L 7 AS 26/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 256/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 26/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 187/23 BH
Datum
Kategorie
Urteil


1.    Auf die Berufung des Klägers und entsprechend des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 6. April 2023 werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 7. Dezember 2018 sowie der Bescheid vom 22. Mai 2013 in der Form des Änderungsbescheides vom 4. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2014 (S 8 AS 263/14) und der Bescheid vom 1. November 2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2014 (S 8 AS 257/14) abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum Juni 2013 bis einschließlich Mai 2014 weitere Leistungen in Höhe von 106,48 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. 

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum Juni 2013 bis Mai 2016 unter anderem für Mehrbedarfen wegen kostenaufwändiger Ernährung, der Durchführung einer ambulanten Psychotherapie zur Aufrechterhaltung seiner Erwerbsfähigkeit und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren sind.

Der 1970 geborene Kläger hatte während seiner Schulzeit 1991 einen Sportunfall mit Kniegelenksverletzung erlitten. Darüber hinaus leidet er unter weiteren Behinderungen, u. a. fehlendem räumlichen Sehvermögen, Tinnitus und Wirbelsäulenbeschwerden. Nach Absolvierung des Abiturs hatte der Kläger zunächst ein Lehramtsstudium begonnen, währenddessen die Fachkombination gewechselt und es letztlich ohne Abschluss abgebrochen. Auch ein sodann begonnenes Studium der Rechtswissenschaften brach er ohne Abschluss ab. Eine anderweitige Ausbildung oder eine Erwerbstätigkeit hat er seitdem nicht aufgenommen. Er hat im Laufe der Jahre gegenüber verschiedenen Sozialleistungsträgern erfolglos einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausschließlich gerichtet auf Förderung eines weiteren Studiums geltend gemacht.

Seit dem 1. Januar 2005 bezieht der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten. Auch diesem gegenüber hat er in einer Mehrzahl von Verfahren Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – ausschließlich – in Form eines Studiums geltend gemacht. Mit Teilanerkenntnis vom 13. Juli 2011 in dem Berufungsverfahren L 6 AS 8/08 vor dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) hat der Beklagte seine Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach anerkannt. Ansprüche auf Finanzierung diverser Studiengänge wurden jedoch abgelehnt, weil grundsätzlich die Förderung einer Ausbildung ausreichend zur Eingliederung des Klägers in das Erwerbsleben sei und die besonderen Voraussetzungen für die Förderung eines Studiums nicht vorlägen.

Jedenfalls sei das dem Leistungsträger eröffnete Ermessen nicht auf null reduziert. Diese Verwaltungsentscheidungen wurden mehrfach erstinstanzlich und obergerichtlich bestätigt (vgl. Sozialgericht <SG> Marburg, Urteil vom 29. Oktober 2007, Az. S 5 AS 82/05; Gerichtsbescheide vom 5. August 2014, Az. S 8 AS 112/11; und vom 23. März 2016, Az. S 8 AS 212/12; Hessisches LSG, Urteile vom 13. Juli 2011, Az. L 6 AS 8/08; vom 18. Dezember 2015, Az. L 7 AS 648/14; und vom 17. Februar 2017, Az. L 7 AS 391/16; zuletzt SG Marburg mit Beschlüssen vom 26. November 2018, Az. S 8 AS 214/18 ER und S 8 AS 215/18 ER).

Der Beklagte hatte dem Kläger nach Einschaltung eines Rehabilitationsberaters Eignungstests und Eingliederungsmaßnahmen sowie Umschulungen zum Fachinformatiker oder zum Personaldienstleistungskaufmann und zuletzt die Förderung einer betrieblichen Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten, alternativ zum Rechtsanwaltsfachangestellten bewilligt. Der Kläger hat diese Angebote (mit Ausnahme eines Eignungstests 2015) nicht wahrgenommen.

Weiterhin waren auch höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung bereits Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren (SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2010 / Hessisches LSG, Urteil vom 3. April 2013, Az. L 6 AS 389/10; SG Marburg, Urteil vom 29. Oktober 2007, Az. S 5 AS 19/06 / Hessisches LSG, Beschluss vom 29. März 2012, Az. L 6 AS 6/08; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 31. Oktober 2007 / Hessisches LSG, Urteil vom 21. März 2012, Az. L 6 AS 7/08; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 5. August 2014, Az. S 8 AS 112/11/ Hessisches LSG, Urteil vom 18. Dezember 2015, Az. L 7 AS 648/14; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2014, Az. S 8 AS 286/12 / Hessisches LSG, Urteil vom 18. Dezember 2015, Az. L 7 AS 579/14; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 23. März 2016, Az. S 8 AS 212/12 / Hessisches LSG, Urteil vom 10. Februar 2017, Az. L 7 AS 391/16). In dem Verfahren S 8 AS 236/07 hatte das SG Marburg durch Einholung eines Befundberichts bei den Hausärzten des Klägers Dres. D. und H. Beweis erhoben. Diese haben unter dem 6. April 2009 unter Beifügung eines im Juni 2007 endenden Auszuges aus der Krankenakte des Klägers mitgeteilt, dass bei diesem eine Erhöhung der Blutfettwerte, der Triglyceride sowie teilweise des Cholesterins bestehe. Dem damals übergewichtigen Patienten seien mediterrane Kost, Bewegung und Alkoholkarenz empfohlen worden. In den genannten Entscheidungen wurde jeweils festgestellt, dass sich daraus kein Hinweis auf die Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung ergebe. Ebenso wurde ein Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs im Hinblick auf eine seit Oktober 2000 durchgeführte Psychotherapie bereits mehrfach rechtskräftig abgelehnt (vgl. SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2010 / Hessisches LSG, Urteil vom 3. April 2013, Az. L 6 AS 389/10; Gerichtsbescheid vom 5. August 2014, Az. S 8 AS 112/11/ Hessisches LSG, Urteil vom 18. Dezember 2015, Az. L 7 AS 648/14; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 18. Juni 2014, Az. S 8 AS 286/12 / Hessisches LSG, Urteil vom 18. Dezember 2015, Az. L 7 AS 579/14).

Mit Bescheid vom 22. Mai 2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Juni 2013 bis November 2013 in Höhe von 597,14 Euro monatlich. Die Leistungsbewilligung umfasste die Regelleistung in Höhe von 382,00 Euro und Kosten der Unterkunft und ohne Berücksichtigung von Heizkosten bei den Unterkunftskosten, weil solche noch nicht nachgewiesen seien, in Höhe von 215,14 Euro monatlich. Die Bewilligung erfolgte ohne Berücksichtigung von Mehrbedarfen. Mit Widerspruch vom 3. Juni 2013 machte der Kläger erneut einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung und einen Bedarf an beruflicher Rehabilitation geltend. Nach Vorlage der Verbrauchsabrechnung seines Energie- und Gasversorgers vom 24. Juni 2013 durch den Kläger mit Schreiben vom 1. Juli 2013 änderte der Beklagte mit Bescheid vom 4. Juli 2013 die Leistungsbewilligung und berücksichtigte im Juni 2013 die sich aus der Abrechnung ergebende Nachforderung, so dass Leistungen in Höhe von 970,90 Euro für Juni 2013, und 646,49 Euro jeweils für die Monate Juli bis November 2013 entsprechend der nachgewiesenen monatlichen Abschläge für die Heizkosten bewilligt wurden. Mit Schreiben vom 7. August 2013 legte der Kläger Widerspruch wegen fehlender über Regelbedarf und Unterkunftskosten hinausgehender Leistungen ein. Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2014 zurück. Zur Begründung führt der Beklagte aus, bei der geltend gemachten Erkrankung bestehe kein krankheitsbedingter Mehraufwand für Ernährung, vielmehr sei Vollkost angezeigt, deren Kosten im Regelbedarf berücksichtigt seien. Ein geeigneter Nachweis für die Notwendigkeit kostenaufwändiger Ernährung sei nicht vorgelegt und im neuen Bewilligungszeitraum keine neuen Umstände vorgetragen worden, die Anlass für weitere Ermittlungen gegeben hätten. Der Kläger hat dann am 9. Oktober 2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben (S 8 AS 263/14).

Auf seinen Fortzahlungsantrag aus Oktober 2013 mit gleichen Ausführungen wie zuvor bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 1. November 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in zuletzt gewährter Höhe für den Zeitraum Dezember 2013 bis Mai 2014 in Höhe von 646,49 Euro monatlich ohne die Berücksichtigung von Mehrbedarfen. Aufgrund einer mitgeteilten Mieterhöhung sowie des erhöhten Regelbedarfs änderte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Dezember 2013 die Leistungsbewilligung für den Zeitraum Januar 2014 bis Mai 2014 ab und gewährte nunmehr Leistungen ohne Berücksichtigung von Mehrbedarfen in Höhe von 659,06 Euro. Der Kläger legte mit Schreiben vom 5. Dezember 2013 und 12. Januar 2013 gegen diese beiden Bescheide mit gleicher Begründung Widerspruch ein. Die Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2014 zurück, weil Leistungen in gesetzlicher Höhe gewährt worden seien. Dagegen hat der Kläger am 6. Oktober 2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben (S 8 AS 257/14).

Der Kläger stellte am 29. April 2014 einen Fortzahlungsantrag, woraufhin ihm der Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Juni 2014 bis Oktober 2014 ohne Berücksichtigung von Heizkosten und Mehrbedarfe in Höhe von 609,71 Euro bewilligte. Mit seinem Widerspruch vom 3. Juni 2014 rügt der Kläger die Nichtberücksichtigung der Mehrbedarfe wegen kostenaufwändiger Ernährung und Psychotherapie sowie das Fehlen einer Begründung für die Nichtberücksichtigung von Heiz- und Warmwasserzubereitungskosten. So dann bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 2014 für den Zeitraum Juni bis November 2014 Leistungen in Höhe von 665,70 Euro monatlich. Bei der Bewilligung berücksichtigte der Beklagte einen Mehrbedarf für Warmwasserzubereitung in Höhe von 8,99 Euro sowie Heizkosten in Höhe von 47,00 Euro monatlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2014 wies der Beklagte darüber hinaus den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2014 zurück. Weder lägen die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwendiger Ernährung vor. Sei bei dem Kläger lediglich die Ernährung mit Vollkost angezeigt. Noch bestehe eine Prüfkompetenz der Verwaltung soweit der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung rüge. Der Kläger hat daraufhin am 6. Oktober 2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben (S 8 AS 256/14).

Auf einen weiteren Fortzahlungsantrag des Klägers bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 24. November 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate Dezember 2014 bis einschließlich Mai 2015. Für den Monat Dezember 2014 wurden Leistungen in Höhe von 609,71 Euro und von Januar 2015 bis Mai 2015 in Höhe von 617,71 Euro monatlich bewilligt. Bei der Bewilligung wurden für Dezember 2014 ein Regelbedarf von 391,00 Euro und ab Januar 2015 von 399,00 Euro sowie Kosten der Unterkunft in Höhe 218,71 Euro monatlich berücksichtigt. Mehrbedarfe und Heizkosten wurden nicht bewilligt. Der Kläger erhoben mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 Widerspruch und begehrte neben den Mehrbedarfen Heizkosten und Warmwasseraufbereitungskosten eine Begründung der Verwaltungsentscheidung. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2014 mit Ausführungen wie zuvor zum nicht bestehenden Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zurück. Auf die Frage der Heiz- und Warmwasserzubereitungskosten ging er nicht ein. Am 15. Januar 2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben (S 8 AS 13/15).

Mit Schreiben vom 28. April 2015 beantragte der Kläger unter Geltendmachung der Mehrbedarfe für kostenaufwendige Ernährung und nach § 21 Abs. 4 SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und machte gleichzeitig Bedarfe der beruflichen und medizinischen Rehabilitation geltend. Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 15. Mai 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Juni 2015 bis November 2015 in Höhe von 617,17 Euro monatlich. Die Bewilligung erfolgte erneut ohne Berücksichtigung von Heiz- und Warmwasserzubereitungskosten. Den auch dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger mit Schreiben vom 9. Juni 2015 wie zuvor und legte außerdem die Verbrauchsabrechnungen vom 2. Juni 2014 und vom 29. Mai 2015 seines Energieversorgers vor. Der Beklagte änderte daraufhin mit Bescheid vom 25. Juni 2015 die Leistungsbewilligungen für die Zeiträume Juni 2014 bis November 2015. Er berücksichtigte Heizkosten in Höhe von 46,00 Euro pro Monat mit Ausnahme des Mai 2015, in dem kein Abschlag anfiel, und Warmwasserzubereitungskosten von Juni bis November 2014 in Höhe von 8,99 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 17. Juli 2015 änderte er ab August 2015 den angegebenen Zahlungsempfänger und überwies die Miete einschließlich Nebenkosten direkt an den Kläger. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 28. Juli 2015 mit, dass er über die Abhilfebescheide hinaus, seinen Widerspruch aufrechterhalte. Er wies daraufhin, dass der Abschlag 48 Euro statt der bewilligten 46 Euro betrage und fragte, wieso kein Mehrbedarf für Warmwasserzubereitung ab Dezember 2014 gewährt werde. Der Beklagte erließ der Beklagte am 5. August 2015 einen weiteren Änderungsbescheid für den Zeitraum Dezember 2014 bis November 2015, mit dem er den Mehrbedarf für Warmwasserzubereitung, nicht aber den Heizkostenabschlag in tatsächlicher Höhe von 48 Euro, sondern nur in Höhe von 46 Euro berücksichtigte und dem Kläger für den Monat Dezember 2014 Leistungen in Höhe von 664,70 Euro sowie für die Monate Januar bis April 2015 und Juni bis November 2015 in Höhe von 672,89 Euro monatlich und für Mai 2015 in Höhe von 626,89 Euro bewilligte. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2014 korrigierte der Beklagte darüber hinaus die Höhe der bewilligten Heizkosten und berücksichtigte nunmehr von Juni bis November 2015 den Abschlag in tatsächlicher Höhe von 48,00 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch des Klägers zurück und begründete den nicht bestehenden Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung wie zuvor. Der Kläger hat am 5. Oktober 2015 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben (S 8 AS 341/15).

Auf weiteren mit gleicher Begründung wie zuvor gestellten Fortzahlungsantrag vom 2. November 2015 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 1. Dezember 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Dezember 2015 bis Mai 2016. Unter Berücksichtigung der Warmwasserzubereitungskosten sowie der Heizkosten von Dezember 2015 bis April 2016 wurden für diesen Zeitraum Leistungen in Höhe von 674,80 Euro bzw. ab Januar 2016 in Höhe von 680,00 Euro gewährt. Da im Mai 2016 erneut kein Abschlag anfiel, bewilligte der Beklagte für diesen Monat 632,00 Euro. Den Widerspruch des Klägers vom 21. Dezember 2015 wegen Nichtgewährung von Leistungen über den Regelbedarf und die Unterkunftskosten hinaus wies er mit gleicher Begründung wie zuvor mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2016 zurück, woraufhin der Kläger am 12. April 2016 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben hat (S 8 AS 121/16).

In dem Erörterungstermin vom 30. August 2016 hat der Kläger die Kammervorsitzende des Sozialgerichts wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss vom 30. August 2017 hat die 9. Kammer des Sozialgerichts Marburg das Gesuch zurückgewiesen (Az. S 9 SF 55/17 AB).

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2017 hat das Gericht die Verfahren S 8 AS 256/14, S 8 AS 257/14, S 8 AS 263/14, S 8 AS 13/15, S 8 AS 341/15 und S 8 AS 121/6 miteinander verbunden.

Mit Schreiben vom 16. März 2016 hat das Sozialgericht die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Nach Akteneinsicht des Klägers hat das Sozialgericht die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beteiligten über die gleichen Rechtsfragen wie in mehreren im Tatbestand zitierten Gerichtsverfahren zuvor streiten würden. Mit Ausnahme der – unstreitigen – Kosten der Unterkunft nach einem Umzug zum 1. November 2012 habe sich auch die Sachlage in keiner Weise geändert. Die Klagen seien im Hinblick auf die Anträge auf Eingliederungsleistungen unzulässig, im Übrigen unbegründet, soweit sie sich nicht erledigt hätten. 

Die Eingliederungsleistungen/ Leistungen zur Förderung einer Ausbildung seien nicht Gegenstand der hier angegriffenen Bescheide in der Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide. Mit den hier angegriffenen Bescheiden habe der Beklagte lediglich „passive“ Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt, jedoch nicht über so genannte „aktive“ Eingliederungsleistungen entschieden. Hierzu habe er vielmehr separate Verwaltungsverfahren durchgeführt. Die streitgegenständlichen Bescheide beinhalteten keine Regelungen zu (aktiven) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die darauf bezogenen Klageanträge seien deshalb unzulässig.

Bezüglich der (passiven) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seien die Klagen zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen in streitigen Zeitraum. Die Bescheide seien zunächst formal rechtmäßig ergangen. Soweit der Kläger moniere, er sei vor ihrem Erlass nicht angehört worden, könne dies nicht durchgreifen. Gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -SGB X - sei ein Beteiligter anzuhören, bevor ein Verwaltungsakt erlassen werde, der in seine Rechte eingreife. Dies sei nur dann der Fall, wenn eine bereits bestehende und zuerkannte Rechtsposition zum Nachteil des Betroffenen verändert werden solle. Das sei bei den angegriffenen Bescheiden nicht der Fall. Ebenso wenig seien die Bescheide wegen mangelnder Begründung formal rechtswidrig. Auch für die von dem Kläger angenommene Nichtigkeit des Verwaltungsakts gemäß § 40 Abs. 1 SGB X bis zur Nachholung einer Begründung fehle es bereits deshalb an jeglichem Anhaltspunkt. Die angegriffenen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. 

Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Mehrbedarfe.
a) Ein Mehrbedarf i. H. v. 35 % des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II bestehe nicht, denn bei der von dem Kläger absolvierten ambulanten Psychotherapie handele es sich um eine medizinische Maßnahme und nicht um eine solche zur Teilhabe am Arbeitsleben. Denn sie diene nicht den in § 33 Abs. 1 SGB IX umschriebenen Ziele der Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben, also der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigten Die Psychotherapie des Klägers diene nach seinen eigenen Angaben der Vermeidung einer Dekompensation und damit der Aufrechterhaltung seiner Erwerbsfähigkeit. Damit sei sie aber gerade medizinisch auf die Vermeidung der Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes gerichtet. Dass damit – wie bei jeder medizinischen Krankenbehandlung – auch eine Erwerbstätigkeit ermöglicht werden könnte, wenn der Kläger eine solche aufnehmen wollte, sei lediglich mittelbarer Nebeneffekt. 

b) Ebenso wenig seien die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs wegen aus medizinischen Gründen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II gegeben. Mit Ausnahme eines einzelnen Vortrages zu einer Erhöhung der Blutfettwerte, der Triglyceride sowie teilweise des Cholesterins habe der Kläger keinerlei Anhaltspunkte für eine Erkrankung vorgetragen, die eine kostenaufwändigere Ernährung als eine von dem Regelbedarf bereits umfasste Vollkost erforderlich machen könnte. Soweit der Kläger ausführt, ihm sei die Verletzung von Mitwirkungspflichten unterstellt worden, ohne dass ihm solche zuvor auferlegt worden seien, verkennt er, dass keine Mitwirkungspflichten im Raum stehen, sondern lediglich substantiierter Vortrag, in dem er zumindest ansatzweise auf das Bezug nehme, was ihm mehrfach gerichtlich als Substantiierungsobliegenheit dargelegt worden sei. Es ginge ausschließlich um die Obliegenheit eines jeden Antragstellers, hinreichende Anknüpfungspunkte für Ermittlungen von Amts wegen zu benennen. Dies habe der Kläger jedoch nicht getan. Die Klagen seien daher abzuweisen.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 12. Dezember 2018 zugestellt worden. 

Der Kläger hat 14. Januar 2019 Berufung beim Sozialgericht Marburg eingelegt.

Die Berufung begründet der Kläger durch Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens, dass er vor Erlass der Bescheide nicht angehört worden sei und der Beklagte mit Ausnahme der Nichtgewährung des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung keine Begründung gegeben habe. 

Hinsichtlich der beruflichen Rehabilitation berufe sich der Beklagten auf mangelnde Zuständigkeit ohne, dass dargelegt werde, warum die Anträge nicht fristgemäß weitergeleitet worden seien. 

Auch sei es unzutreffend, dass die Psychotherapie lediglich eine medizinische Behandlung sei und keine Maßnahme nach § 49 SGB IX. Die Tatsache, dass die Behandlung länger als sechs Monate dauere, verbiete es bereits von einer Akutbehandlung auszugehen. Der Sachverhalt hinsichtlich des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung sei von Amtswegen zu ermitteln. Er habe mittlerweile derart hohe Blutfettwerte, dass er als Spender für Blutplasma ausscheide. Zudem müsse er Medikamente zur Senkung des Bluthochdrucks einnehmen. 

Des Weiteren seien die Bescheide nicht ordnungsgemäß begründet worden. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts lägen die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB X vor. 

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 7. Dezember 2018 aufzuheben und den Beklagten entsprechend der Klagesätze der ersten Instanz zu verurteilen. 

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die erstinstanzliche Entscheidung, in denen die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt werde.

Mit Beschluss des Senats vom 3. Februar 2020 wurde die Berufung des Klägers auf die Berichterstatterin übertragen.

Auf Nachfrage der Berichterstatterin, warum im Zeitraum vom 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2014 keine Gewährung eines Mehrbedarfs für Warmwasseraufbereitung erfolgt ist, hat der Beklagte im Schreiben vom 6. April 2023 ein Teilanerkenntnis abgegeben und anerkannt, dass der Kläger im Zeitraum 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2014 ein Anspruch auf Gewährung des Mehrbedarfes in Höhe von 7 x 8,79 Euro für die Monate Juni bis Dezember 2013 und in Höhe von 5 x 8,99 Euro für die Monate Januar bis Mai 2014 zu stehe. Der Gesamtbetrag von 106,48 Euro nebst Zinsen könne unverzüglich zur Auszahlung gebracht werden.

Der Kläger hat sich hierzu trotz Aufforderung des Gerichts nicht geäußert.  

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, sowie die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlungen vom 17. April 2023 und 5. Juni 2023 Bezug genommen. 


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers in der Besetzung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG - entscheiden, nachdem die entsprechende Übertragung mit Beschluss erfolgt ist. 

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet, darüber hinaus unbegründet. Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind die folgenden Bescheide:
-    der Bescheid vom 22. Mai 2013 in der Form des Änderungsbescheides vom 4. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2014 (S 8 AS 263/14),
-    der Bescheid vom 1. November 2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. September 2014 (S 8 AS 257/14),
-    der Bescheid vom 6. Mai 2014 in der Form des Änderungsbescheides vom 3. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 25. Juni 2015 (S 8 AS 256/14),
-    der Bescheid vom 24. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2014 in Form der Änderungsbescheide vom 25. Juni 2015 und vom 5. August 2015 (S 8 AS 13/15),
-    der Bescheid vom 15. Mai 2015 in der Form der Änderungsbescheide vom 25. Juni 2015 und 17. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2015 (S 8 AS 341/15),
-    der Bescheid vom 1. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2016 (S 8 AS 121/16).
   
Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet, soweit sich der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 7. Dezember 2018 und den Bescheid vom 22. Mai 2013 in der Form des Änderungsbescheides vom 4. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2014 (S 8 AS 263/14) sowie den Bescheid vom 1. November 2013 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 4. September 2014 (S 8 AS 257/14) wendet. 

Der Gerichtsbescheid sowie diese Bescheide verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten als ihm kein Mehrbedarf für die Warmwasseraufbereitung zu erkannt worden ist. Das dieser Anspruch besteht, hat der Beklagte im Schreiben vom 6. April 2023 anerkannt und seine Bereitschaft bekundet, diesen Betrag nebst Verzinsung unmittelbar zur Auszahlung zu bringen. 

Darüber hinaus wird der Kläger durch den angegriffenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts und die oben genannten streitgegenständlichen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt. Die Klagen waren insoweit - wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - in der Sache unbegründet. 

Daher nimmt der erkennende Senat auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Gerichtsbescheids Bezug und sieht von einer erneuten Darstellung derselben ab (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen der Kostenentscheidung hat der Senat zum einen berücksichtigt, dass der Kläger nur hinsichtlich eines untergeordneten Teils obsiegt und er diese Leistungen nicht explizit gegen den Beklagten geltend gemacht hat. Zum anderen wurde bei der Kostenentscheidung dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beklagte unmittelbar nach Hinweises des Gerichts ein Teilanerkenntnis abgegeben hat. Deshalb übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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