L 4 KR 695/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 881/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 695/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die hinzugetretene Erkrankung verlängert auch bei Fortfall der Ersterkrankung die Leistungsdauer von 78 Wochen ab dem ersten Tag der (zunächst nur) auf der Ersterkrankung beruhenden Arbeitsunfähigkeit nicht und setzt auch nicht – wie eine nach Beendigung der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit eingetretene neue Krankheit mit erneuter Arbeitsunfähigkeit – einen neuen Dreijahreszeitraum (Blockfrist) in Gang.
2. Die einheitliche rechtliche Behandlung von bestehender und hinzugetretener Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V entfällt allein in nachfolgenden Blockfristen.
3. Ist der Versicherte nach Ablauf der Blockfrist nicht mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert (hier als Rentenantragsteller), scheidet ein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld aus.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Krankengeld streitig.

Der 1966 geborene Kläger ist seit Januar 2005 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten und arbeitete bis Dezember 2013 als Montageschlosser bei der H1 Druckmaschinen AG. Infolge des Arbeitsplatzverlustes (gegen Abfindung) wurde er sechs Wochen lang wegen einer Depression im Zentrum für Psychiatrie N1 (im Folgenden: PZN)  behandelt. Der Kläger hat danach Beschäftigungen bei der B5 als auch bei der B1 verrichtet. Nach seinen eigenen Angaben übte er seit März 2016 keine versicherungspflichtigen Tätigkeiten mehr aus. Zuletzt bezog er Arbeitslosengeld und Krankengeld (hierzu sogleich). Die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten bestand vom 4. Oktober 2019 bis 18. Februar 2021 wegen Krankengeldbezug, vom 19. Februar bis 30. September 2021 wegen Bezugs von Arbeitslosengeld, vom 1. Oktober 2021 bis 21. September 2023 als Rentenantragsteller, vom 22. September bis 15. Oktober 2023 wegen Bezugs von Arbeitslosengeld und ab dem 16. Oktober 2023 wegen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Schreiben der Beklagten vom 21. Februar 2024).

Seit dem 23. August 2019 wurde der Kläger durchgehend durch B2 wegen orthopädischer Diagnosen (M25.51: Gelenkschmerz Schulterregion; M47.26: Sonstige Spondylose mit Radikulopathie Lumbalbereich; M48.02: Spinal(kanal)stenose Zervikalbereich und M50.1: Zervikaler Bandscheibenschaden mit Radikulopathie) arbeitsunfähig geschrieben. Er bezog deswegen von der Beklagten für 546 Tage (78 Wochen) Krankengeld bis einschließlich 18. Februar 2021.

Vom 11. Dezember 2020 bis 8. Januar 2021 nahm der Klägern an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der F1  in B3 teil. Im Entlassungsbericht vom 8. Januar 2021 gab K1 u.a. folgende Diagnosen an: „1. Lumboischialgie rechts mehr als links bei Osteochondrose, Bandscheibenvorfall L4/5, L5/S1, Foramenstenose, Spinalkanalstenose L4/5 (M 48.06), 2. schmerzhafte Funktionseinschränkung rechte Schulter bei ACG-Arthrose, Impingement-Syndrom und Insertionstendopathie (M 75.4), 3. Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2)“. Das psychologische Konzil habe als Diagnose Angst und depressive Störung gemischt ergeben, weshalb ihm dringend eine ambulante Psychotherapie vorgeschlagen worden sei.

Am 10. Februar 2021 erlitt der Kläger in einer Tierarztpraxis einen Zusammenbruch, nachdem er erfahren hatte, dass seine Katze tödlich erkrankt sei. Nachdem die Erste-Hilfemaßnahmen des Tierarztes keinen Erfolg zeigten, wurde der Rettungswagen gerufen. Laut Einsatzprotokoll vom 10. Februar 2021 (Bl. 96 f. der Senatsakte) wurde der Kläger liegend in der Tierarztpraxis aufgefunden, wobei er wach war, weinte und zunächst nicht kommunizierte. Auf Ansprache habe er reagiert und über Schwindel, Kribbelparästhesien in den Händen und eine akute psychische Belastung geklagt. Der psychische Befund wurde als depressiv und erregt beschrieben. Als Vorerkrankungen wurden angegeben: Arterielle Hypertonie, Depression, Zustand nach Parasuizidalität, Zustand nach Bandscheibenvorfall, Arthrose und Schulteroperation in zwei Wochen. Der Kläger habe angegeben, seit mehreren Tagen Kopfschmerzen zu haben. Es bestehe eine psychische Belastung, da seine Katze wahrscheinlich in den nächsten Tagen versterben werde. Aufgrund dieser Prognose und anderer Belastungen, wie die Schulteroperation in zwei Wochen, sei er überfordert. Er habe seit mehreren Tagen nicht mehr geschlafen und esse kaum noch. Der Kläger wurde daraufhin ins PZN gefahren und dort vollstationär (bis 11. Februar 2021) aufgenommen.

V1 (PZN) nannte in seinem Arztbrief vom 11. Februar 2021 folgende Diagnose: Rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradige Episode (F 33.1). Der Kläger sei nach telefonischer Voranmeldung durch den Rettungsdienst bei Verdacht auf Exazerbation einer vorbekannten depressiven Störung stationär aufgenommen worden. Er habe im Aufnahmegespräch nahezu ununterbrochen geweint. Während seiner vorhergehenden orthopädischen Rehabilitation habe man ihm dringend eine Psychotherapie empfohlen. Er nehme schon länger Lorazepam und Ortoton bei Bedarf zum Beruhigen. Er sei auch schon einmal wegen parasuizidaler Handlungen in der Psychiatrie in H2 gewesen. Im Jahr 2013 sei er sechs Wochen in der Tagesklinik des PZN behandelt worden. Zum psychischen Befund gab V1 an: „Stimmung betrübt. Affekt: Traurigkeit, keine Verzweiflung. Affektive Schwingungsfähigkeit und Auslenkbarkeit reduziert. Psychomotorisch leicht angespannt. Handlungsantriebe erhalten. Impulskontrolle intakt. Reduzierte Belastbarkeit.“ Psychopathologisch habe eine bedrückte Stimmung, eine reduzierte affektive Schwingungsfähigkeit sowie Schlafstörungen mit insgesamt reduzierter Belastbarkeit im Vordergrund bestanden. Die stationäre Aufnahme sei auf rechtlich freiwilliger Basis erfolgt. Diagnostisch seien die ICD-10 Kriterien einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, erfüllt. Der Kläger habe eine psychiatrische medikamentöse Intervention abgelehnt und am 11. Februar 2021 einen dringlichen Entlassungswunsch geäußert. Der stationäre Aufenthalt habe einer Krisenintervention der zur Aufnahme führenden Akutsymptomatik gedient. Es sei eine reduzierte allgemeine Belastbarkeit verblieben, insbesondere in Bezug auf die mittelgradige depressive Symptomatik. Die Möglichkeit der weiteren Behandlung im psychiatrischen Ambulanzzentrum sei dem Kläger erklärt und angeboten worden. Bei Abwesenheit von Rückhaltegründen sei die Entlassung gegen ärztlichen Rat in die ambulante Weiterbehandlung erfolgt. Dem Kläger wurden Candesartan-Tabletten und Symicort Turbohaler verordnet.

Am 31. März 2021 beantragte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung K2 die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (ablehnender Bescheid vom 30. Juni 2021; Widerspruchsbescheid vom 15. September 2021; Klageverfahren beim Sozialgericht Mannheim [SG] S 9 R 2291/21).

Am 20. August 2021 bescheinigte B2 dem Kläger Arbeitsunfähigkeit ab dem 20. August bis voraussichtlich 17. September 2021 und gab als arbeitsunfähigkeitsbegründende Diagnose F32.1 (Mittelgradige depressive Episode) an. Diese Diagnose wurde auch in den Folgebescheinigungen vom 17. September 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 15. Oktober 2021), 15. Oktober 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 12. November 2021), 12. November 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 10. Dezember 2021; weitere Diagnose: H93.1: [Tinnitus Aurium]), 13. Dezember 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 10. Januar 2022) , 11. Januar 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 8. Februar 2022), 7. Februar 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 7. März 2022), 8. März 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 3. April 2022), 5. April 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 3. Mai 2022), 3. Mai 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 31. Mai 2022), 31. Mai 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 28. Juni 2022), 28. Juni 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 26. Juli 2022) und 26. Juli 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 23. August 2022) an. Bis einschließlich 30. September 2021 bezog der Kläger Leistungen durch die Agentur für Arbeit H2.

Mit Bescheid vom 27. September 2021 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab dem 1. Oktober 2021 mit der Begründung ab, der Kläger habe bereits bis zum 18. Februar 2021 Krankengeld erhalten und die Höchstanspruchsdauer ausgeschöpft. Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend, zwischen seinem letzten Krankengeldbezugstag am 18. Februar 2021 und dem Hinzutreten einer neuen Erkrankung habe er mehr als sechs Monate Pflichtbeiträge geleistet und habe auch der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestanden. Da die neue Erkrankung nichts mit der alten Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Dreijahresblockfrist zu tun habe, entstehe eine neue Blockfrist und somit auch ein neuer Krankengeldanspruch.

Die Beklagte holte zunächst die schriftliche Auskunft der B2 vom 12. November 2021 (bei der am 10. und 11. Februar 2021 bestehenden Erkrankung habe es sich nicht - bezogen auf den vorherigen Erkrankungszeitraum - um dieselbe Erkrankung gehandelt; telefonisch bestätigt durch B4 am 13. Dezember 2021) und sodann beim Medizinischen Dienst Baden-Württemberg (MD) das Gutachten des L1 vom 15. März 2022 ein. Dieser gab an, zum Zeitpunkt der Rehabilitationsmaßnahme im Dezember 2020 bis 8 Januar 2021 seien depressive Symptome nicht erkennbar arbeitsunfähigkeitsrelevant gewesen. Es habe sich lediglich um eine leichte depressive Symptomatik gehandelt. Im Zeitraum vom 10. bis 11. Februar 2021 habe aber eindeutig Arbeitsunfähigkeit - auch unabhängig von anderen Erkrankungen - im Rahmen einer psychischen Erkrankung bestanden. Ein konkreter psychopathologischer Befund zeitnah nach der Krankenhausentlassung liege zwar nicht vor, so dass nur eine erfahrungsgemäße Einschätzung abgegeben werden könne. Ausgehend von dem während der stationären Behandlung beschriebenen Befund sei aber aus sozialmedizinischer Sicht davon auszugehen, dass aufgrund der Behandlungsdiagnose (Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode) noch Arbeitsunfähigkeit bis zum 18. Februar 2021 fortbestanden habe. Zwischen der Arbeitsunfähigkeit ab dem 20. August 2021 (Diagnosen F32.1 und H93.1) und der Arbeitsunfähigkeit vom 10. bis 18. Februar 2021 bestehe bei rezidivierender depressiver Störung ein innerer Zusammenhang.

Am 6. April 2022 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, dass er über keinerlei Einnahmen aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit, Vermietung oder Verpachtung, Kapitalvermögen oder Renten bzw. rentenähnliche Einnahmen verfüge (Bl. 113 der LSG-Akte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2022 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Arbeitsunfähigkeit ab dem 20. August 2021 bestehe aufgrund einer psychischen Erkrankung. Zwar treffe es zu, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 23. August 2019 zunächst durch eine orthopädische Erkrankung begründet worden sei. Im weiteren Verlauf sei der Kläger am 10. Februar 2021 mit der Diagnose „Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome“ notfallmäßig zur vollstationären Krankenhausbehandlung in der Allgemeinen Psychiatrie des PZN aufgenommen worden. Die Entlassung sei am 11. Februar 2021 als arbeitsunfähig unter Angabe der Diagnose "Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode“ erfolgt. Die psychische Erkrankung sei somit ab dem 10. Februar 2021 zu der bis dato bestehenden orthopädischen Erkrankung hinzugetreten. Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde für den Fall, dass eine Krankheit, wegen der im aktuellen Fall Arbeitsunfähigkeit bestehe, schon einmal zu einer weiteren Krankheit hinzugetreten sei, als Vorerkrankungszeitraum der gesamte Zeitraum - sowohl wegen der hinzugetretenen als auch zuerst eingetretenen Krankheit - angerechnet. Demnach sei als Vorerkrankungszeitraum auch die komplette Arbeitsunfähigkeitszeit vom 23. August 2019 bis zum 18. Februar 2021 (= 546 Tage) zu berücksichtigen. Mit dem 18. Februar 2021 habe der Krankengeldhöchstanspruch innerhalb des hier maßgeblichen Dreijahreszeitraums geendet, welcher vom 23. August 2019 bis zum 22. August 2022 verlaufe.

Hiergegen legte der Kläger am 2. Mai 2022 beim SG Klage ein und begehrte die Gewährung von Krankengeld ab dem 20. August 2021. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er leide zur Zeit an einer mittelgradigen Depression und an Tinnitus. Allein der Umstand, dass er am 10. und 11. Februar 2021 im PZN gewesen sei, führe nicht dazu, dass er seinen Krankengeldanspruch aufgrund psychischer Erkrankungen verbraucht habe. Seine Hausärztin habe gegenüber der Beklagten bestätigt, dass zwischen der jetzigen Erkrankung und der damaligen Behandlung im PZN kein Zusammenhang bestehe. Daraus folge, dass es sich bei der Behandlung im PZN im Februar 2021 um eine einmalige Belastungssituation gehandelt habe. Bei der erkrankten Katze habe es sich um ein Familienmitglied und sogar um einen Kindersatz gehandelt. Der Kläger legte zur weiteren Begründung unter anderem die Stellungnahme seiner Ehefrau vom 14. Mai 2022 vor. Danach habe der Kläger in der Tierpraxis einen Schock erlitten, sei zusammengebrochen, kollabiert und sei am ganzen Körper verkrampft gewesen und habe sich minutenlang nicht aus der Verkrampfungen befreien können. Er habe am ganzen Körper gezittert und geweint, weshalb der Rettungsdienst gerufen worden sei. Die Besatzung des Rettungswagens habe wegen des Fehlens eines Notarztes keine Beruhigungsspritze oder Tablette geben können. Daher sei die freiwillige Aufnahme in das PZN für eine Nacht erfolgt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zog das SG Unterlagen beim MD bei. Dieser legte unter anderem das Befundschreiben der B2 vom 14. Dezember 2021 vor, wonach der Kläger ab dem 23. August 2019 wegen orthopädischer Erkrankungen (auch im Februar 2021) arbeitsunfähig gewesen sei. Ob dieser im Anschluss an den stationären Aufenthalt im PZN auch wegen einer psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig gewesen sei, könne sie retrospektiv weder aus dem Entlassbrief des PZN noch aus den ihr vorliegenden Unterlagen sicher beurteilen. Der nächstgelegene Kontakt mit dem Kläger sei erst am 5. März 2021. Darüber hinaus legte der MD die Arztbriefe des L2 vom 20. September 2019 und 12. November 2019 vor, wonach beim Kläger unter anderem rezidivierende Depressionen diagnostiziert worden seien, den Arztbrief des Reha-Zentrums M1 vom 11. Januar 2019, in dem als Diagnose unter anderem eine mittelgradige depressive Episode (F 32.1) angegeben wurde.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Februar 2023 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld ab dem 20. August 2021, da sein maximal möglicher Anspruch erfüllt sei. Soweit er bereits ab dem 20. August 2021 Krankengeld begehre, stehe dem bis 30. September 2021 ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung für sechs Wochen durch die Agentur für Arbeit entgegen. So lange ruhe der Anspruch auf Krankengeld. Auch ab dem 1. Oktober 2021 stehe ihm kein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld zu. Zwar sei der Kläger auch über den 30. September 2021 hinaus arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Es sei aber eine weitere Erkrankung innerhalb der Blockfrist hinzugetreten. Beim Kläger habe zunächst Arbeitsunfähigkeit ab 23. August 2019 aufgrund der orthopädischen Diagnosen bestanden, wodurch eine Blockfrist bis 22. August 2022 in Gang gesetzt worden sei. Der Kläger sei dann jedoch zumindest auch am 10. und 11. Februar 2021 wegen einer Erkrankung des depressiven Formenkreises (depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode) arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die depressive Episode sei aufnahmebegründend gewesen. Die Auffassung des Klägers, dass bei ihm erstmals ab dem 20. August 2021 eine Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis aufgetreten sei, sei nicht zutreffend. Aus dem Entlassbericht der F2-klinik vom 8. Januar 2021 sowie den Angaben, die der Kläger im Rahmen der Behandlung beim PZN gemacht habe, folge, dass beim ihm neben der orthopädischen Erkrankung bereits auch eine psychiatrische Erkrankung latent vorbestehend gewesen sei. Die hinzugetretene Krankheit teile das Schicksal der ursprünglichen Krankheit in Bezug auf die 78 Wochen Krankengeld. Die Leistungsdauer für die beiden Erkrankungen, die orthopädischen Erkrankungen und die in der laufenden Blockfrist hinzugetretene depressive Störung, sei einheitlich. Das bereits für die erste Erkrankung in Anspruch genommene Krankengeld und damit der Krankengeldzeitraum vom 23. September 2019 bis 18. Februar 2021 (= 546 Tage) werde auf die hinzugetretene Erkrankung angerechnet. Bei der ab 20. August 2021 bestehenden und arbeitsunfähigkeitsbegründenden Erkrankung F32.1 (mittelgradige depressive Episode) handele es sich auch im Rechtssinne um dieselbe Erkrankung wie die 10. und 11. Februar 2021 diagnostizierte rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, F33.1. Beide Erkrankungen seien depressive Störungen und hätten im Wesentlichen dieselben Auswirkungen, beide seien Störungen der Affektivität. Der Unterschied zwischen F32 und F33 sei, dass dann, wenn eine depressive Episode verschwinde und nach einiger Zeit zurückkehre, die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung angegeben werde. Bezüglich der Auswirkungen beim Betroffenen unterschieden sich die beiden Schlüssel F32 und F33 jedoch in der jeweiligen Situation nicht wesentlich. Im vorliegenden Fall habe schon das PZN im Februar 2021 eine rezidivierende depressive Störung festgestellt. Dass demgegenüber bei der Erstbescheinigung ab 20. August 2021 von den Hausärzten nur eine depressive Episode (F 32) verschlüsselt worden sei, führe damit nicht zum Vorliegen einer anderen Erkrankung. Ebenfalls sei es für das Vorliegen „derselben Krankheit“ im Rechtssinne nach § 48 SGB V nicht erforderlich, dass die Krankheit durchgehend Beschwerden verursache oder durchgehend behandlungsbedürftig sei. Maßgeblich sei, dass es sich um ein einheitliches Krankheitsgeschehen handle. Das sei der Fall, wenn und solange die Krankheit nicht ausgeheilt sei und immer wieder zu behandlungsbedürftigen oder bzw. und Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheitserscheinungen oder Beschwerden führe. Vor dem Hintergrund der bereits 2013 aufgetretenen mittelgradigen depressiven Episode ergebe sich damit, dass sowohl die im Februar 2021 aufgetretene Episode wie auch die seit August 2021 bestehende Erkrankung dieselbe Ursache hätten. Demzufolge handle es sich beim Kläger bei der am 10. und 11. Februar 2000 arbeitsunfähigkeitsbegründenden Erkrankung F33.1 rechtlich um dieselbe Krankheit wie die ab 20. August 2021 diagnostizierte Erkrankung F32.1. Die Leistungsdauer werde damit für diese in der Blockfrist hinzugetretene Erkrankung nicht verlängert, weshalb ihm ab dem 1. Oktober 2021 kein weiteres Krankengeld mehr zustehe. Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 2. Februar 2023 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die am 2. März 2023 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung, die der Kläger zunächst nicht begründet hat. Nach Aufforderung nach § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) begehrt der Kläger nunmehr nur noch die Gewährung von Krankengeld ab dem 1. Oktober 2021 und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, eine arbeitsunfähigkeitsbedingende Zweiterkrankung habe nicht vorgelegen. Soweit das SG eine latent fortbestehende psychiatrische Erkrankung angenommen habe, bestünden Zweifel, dass eine solche latent bestehende Erkrankung als hinzugetretene Erkrankung gewertet werden könne. Sowohl dem Krankheitsverlauf als auch den vorliegenden Unterlagen sei jedoch nicht zu entnehmen, dass er am 10. und 11. Februar 2021 aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei. Die behandelnden Ärzte vom PZN hätten im Arztbrief vom 11. Februar 2021 keine Arbeitsunfähigkeit „diagnostiziert“. Ohne einen medizinischen Hinweis oder Anhaltspunkt, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsunfähigkeit am 10. und 11. Februar 2021 auf psychiatrischen Erkrankungen beruht habe. Die Ärzte des PZN hätten auch keine bindende oder medizinisch begründete Empfehlung für eine stationäre Weiterbehandlung geäußert. Man habe lediglich die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung erklärt, wobei bereits die Aufnahme auf freiwilliger Basis erfolgt sei. Dies sei ein Hinweis darauf, dass aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit für die stationäre Aufnahme bestanden habe. Das SG könne nicht offenlassen, ob die Diagnose rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradige Episode F33.1 oder mittelgradige depressive Episode F32.1 zutreffend sei, wenn die spätere Argumentation gerade auf den rezidivierenden Verlauf der Erkrankung abstelle. Der sechswöchige Aufenthalt im Jahr 2013 könne nicht als Grundlage für den vorliegenden Sachverhalt herangezogen werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Aufenthalt im PZN im Februar 2021 nicht nur auf dem Umstand der eingeschläferten Katze zurückzuführen sei, sondern eine wesentliche Ursache auch sein Kreislauf gewesen sei (kein ausreichender Schlaf, Fahrt zum PZN ohne Frühstück oder Trinken). Insofern sei davon auszugehen, dass er an einer akuten Belastungsreaktion gelitten habe, mithin an einer anderen Krankheit als die ab dem 20. August 2021 zur Arbeitsunfähigkeit führende Depression. Zur weiteren Begründung hat der Kläger das Attest der B2 vom 11. Juli 2023, die Stellungnahme des W1 vom 19. Juli 2023
und das Einsatzprotokoll vom 10. Februar 2021 vorgelegt. Im Attest der B2 führt diese aus, sie sei bei dem Ereignis am 10. Februar 2021 nicht persönlich involviert gewesen und die Angaben beruhten auf der erhobenen Anamnese mit dem Kläger. Anhand der geschilderten Symptome könne sie folgende Diagnosen erheben: Kollaps und Synkope, psychogene Hyperventilation und akute Belastungsreaktion. Bei dem Kläger bestehe eine bekannte Depression, welche sicherlich mit einer erhöhten Vulnerabilität für Krisenereignisse einhergehe. Dennoch sehe sie das Ereignis am 10. Februar 2021 nicht als Ausdruck der Depression, sondern als akute Reaktion auf eine Lebenskrise, sodass eine unabhängige Entität vorliege. W1 hat in seiner Stellungnahme vom 19. Juli 2023 angegeben, nach Berichten des Klägers sowie der retrospektiven Auseinandersetzung mit der Thematik des Vorfalls vom 10. Februar 2021 in den Therapiesitzungen handle es sich aus seiner Perspektive um eine psychische Dekompensation im Sinne einer akuten Belastungsreaktion. Denn die Symptome des Klägers seien am 10. Februar 2021 plötzlich mit der Nachricht des Tierarztes eingetreten, dass seine Katze an einer schweren Tumorerkrankung leide. Schon am nächsten Tag sei der Kläger wieder mit einer deutlichen Reduktion der Symptome nach Hause gegangen. Der Vorfall sei daher der körperliche Versuch einer Dekompensation einer akuten emotionalen Krise und kein Verlaufsgeschehen einer Depression.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Februar 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld in gesetzlicher Höhe ab dem 1. Oktober 2021 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Dass eine Arbeitsunfähigkeit wegen der psychiatrischen Behandlung im PZN bestritten werde, sei äußerst weltfremd. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger gegen ärztlichen Rat aus der stationären Behandlung entlassen worden sei. Erforderlich für eine Arbeitsunfähigkeit sei die kausale Verknüpfung von Krankheit und der Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Es bestünden keine Zweifel daran, dass die vom behandelnden Krankenhaus festgestellte Diagnose F 33.1 für sich allein Arbeitsunfähigkeit ausgelöst habe. Eine gesonderte Bescheinigung hierüber sei nicht notwendig, da die Übermittlung der entsprechenden Krankenhausdaten als Ersatz dieser diene. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger in diesem Zusammenhang eine hypothetische Arbeitsleistung hätte erbringen können, während er sich in stationärer Behandlung befunden habe. Auch die nun nachgereichten Schreiben des W1 und der Hausarztpraxis könnten diese Ansicht nicht erschüttern. Die entsprechenden Schreiben gäben lediglich retrospektiv die Ereignisse aus Sicht des Klägers wieder.

Der Senat hat beim SG die Gerichtsakte zu dem Rentenverfahren des Klägers in dem Klageverfahren S 9 R 2291/21 beigezogen, die unter anderem das Gutachten des Z1 vom 9. März 2023 enthält. In dessen Anamnese wurde festgehalten, dass der Kläger angegeben habe, dass seine Depression seit zehn Jahren bestehe. Er sei in einer Abwärtsspirale, ausgelöst durch den Arbeitsplatzverlust bei der H1 Druckmaschinen AG. Als Diagnosen nannte Z1 unter anderem eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert (F33.4). Im Februar 2021 sei der Kläger nach dem Tod seiner Katze kurzfristig depressiv dekompensiert gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, auf die beigezogene Gerichtsakte S 9 R 2291/21 sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen. Letztere enthält unter anderem das Rentengutachten der C1 vom 23. März 2021, die bei den Diagnosen auch Angst und depressive Störung, gemischt, angab, das Rentengutachten des W2 vom 15. Juni 2021, der unter anderem eine mittelgradige depressive Störung diagnostizierte.


Entscheidungsgründe


1. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedarf nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG, denn die begehrte Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum ab dem 1. Oktober 2021übersteigt deutlich den Betrag von 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2022 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den vom Kläger verfolgten Anspruch auf Zahlung von Krankengeld ab dem 20. August 2021 abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die auf Aufhebung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), die als auf ein Grundurteil gerichtet keiner Bezifferung bedarf (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG; BSG, Urteil vom 30. November 2023 – B 3 KR 23/22 R – juris, Rn. 9). Mit seiner Berufung hat der Kläger sein ursprüngliches Begehren insoweit beschränkt, als er nunmehr nur doch die Gewährung von Krankengeld ab dem 1. Oktober 2021 begehrt und nicht mehr - wie noch beim SG noch beantragt - bereits ab dem 20. August 2021. Insoweit ist der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG rechtskräftig geworden.

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. April 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat für den Zeitraum ab dem 1. Oktober 2021 keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld. Denn im maßgeblichen Dreijahreszeitraum war die Höchstanspruchsdauer von 78 Wochen bereits am 18. Februar 2021 erreicht.

a) Die Voraussetzungen eines Krankengeldanspruchs ab dem 1. Oktober 2021 lagen dem Grunde nach vor.

Gemäß § 44 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für Krankengeld vorliegt (ständige Rechtsprechung, z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 7. April 2022 – B 3 KR 16/20 R – juris, Rn. 10 m.w.N. und 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 – juris, Rn. 14 m.w.N.).

Der Kläger, der im streitgegenständlichen Zeitraum zum anspruchsberechtigten Personenkreis zählte, war ab dem 20. August 2021 (erneut) krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Er litt an einer mittelgradigen depressiven Episode, die zur Arbeitsunfähigkeit führte. Dies entnimmt der Senat der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der B2 vom 20. August 2021. Diese gab als arbeitsunfähigkeitsbegründende Diagnose F32.1 (Mittelgradige depressive Episode) an. Diese Diagnose wurde auch in den Folgebescheinigungen vom 17. September 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 15. Oktober 2021), 15. Oktober 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 12. November 2021), 12. November 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 10. Dezember 2021; weitere Diagnose: H93.1: Tinnitus Aurium), 13. Dezember 2021 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 10. Januar 2022), 11. Januar 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 8. Februar 2022), 7. Februar 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 7. März 2022), 8. März 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 3. April 2022), 5. April 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 3. Mai 2022), 3. Mai 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 31. Mai 2022), 31. Mai 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 28. Juni 2022), 28. Juni 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 26. Juli 2022) und 26. Juli 2022 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis 23. August 2022) angegeben.

b) Der Kläger hat (nach Beendigung der Leistungen durch die Agentur für Arbeit H2 am 30. September 2021) gleichwohl keinen Anspruch auf Krankengeld ab dem 1. Oktober 2021. Denn die Höchstanspruchsdauer auf Krankengeld war bereits im maßgeblichen Dreijahreszeitraum am 18. Februar 2021 ausgeschöpft. Die Erkrankung ab dem 20. August 2021 teilt - entgegen der Auffassung des Klägers - im vorliegenden Fall in rechtlicher Hinsicht als hinzugetretene Erkrankung während der ersten Blockfrist das Schicksal der diese Blockfrist auslösenden Ursprungserkrankung.

aa) Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch längstens für 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V wird die Leistungsdauer nicht verlängert, wenn während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzutritt. Nach dem in § 48 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V geregelten Grundsatz besteht der Krankengeldanspruch zunächst ohne zeitliche Begrenzung, solange die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Hiervon sieht das SGB V nur zwei Ausnahmen vor (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 12 und 21 m.w.N.). Nach der in § 48 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V geregelten ersten Ausnahme führt es zur Rechtsfolge der Begrenzung der Leistungsdauer auf 78 Wochen, wenn „dieselbe Krankheit“ die Arbeitsunfähigkeit bedingt. Jede neue Krankheit löst hier eine Kette von Dreijahreszeiträumen mit entsprechenden Höchstbezugszeiten von 78 Wochen aus (Methode der starren Rahmenfrist; ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 7/12 R – juris, Rn. 17; Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 12 m.w.N.). Die zweite Ausnahme ist in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V geregelt und ein der ersten gleichgestellter weiterer Fall der Leistungsbegrenzung, nämlich dass während der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer ersten Erkrankung eine weitere Krankheit hinzutritt (BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 12).

§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V stellt die hinzutretende Krankheit bezüglich der Rechtsfolge der Leistungsbegrenzung dem Fall „derselben Krankheit“ rechtlich gleich. Das Hinzutreten einer weiteren Krankheit zu einer fortbestehenden und fortlaufenden Arbeitsunfähigkeit verursachenden Erkrankung führt weder zur Entstehung eines gänzlich neuen Krankengeldanspruchs, noch bewirkt es die Verlängerung der schon in Ansehung der ersten Krankheit maßgeblichen (begrenzten) Leistungsdauer. Die Regelungen des § 48 Abs. 1 SGB V wollen auf diese Weise sicherstellen, dass die gesetzliche Höchstbezugsdauer bei Arbeitsunfähigkeit sowohl bei identischen Krankheiten als auch bei bestimmten unterschiedlichen und wechselnden Krankheitsbildern nicht überschritten wird (BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 17; Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 27/04 R – juris, Rn. 19 m.w.N.). Die Begrenzung der Leistungsdauer des Krankengeldes beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass es in erster Linie der gesetzlichen Rentenversicherung obliegt, bei dauerhaft eingetretener Erwerbsminderung des Versicherten Entgeltersatzleistungen zur Verfügung zu stellen, während die gesetzliche Krankenversicherung typischerweise nur für den Ausgleich des entfallenden laufenden Arbeitsentgelts bei vorübergehenden, d.h. behandlungsfähigen Gesundheitsstörungen eintritt (BSG, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 27/04 R – juris, Rn. 20). Anreizen, das Krankengeld zweckwidrig als Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion in Anspruch zu nehmen, sollte dagegen entgegengewirkt werden (BSG, a.a.O., m.w.N.), wie sich z.B. auch an der Möglichkeit der Krankenkassen zeigt, bei dauerhaften gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen den Krankengeldbezug über § 51 SGB V zu beenden.

Ein „Hinzutreten während der Arbeitsunfähigkeit“ im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik sowie nach Sinn und Zweck der Regelung auch dann vor, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zu Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Krankheit zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt. Es reicht insoweit aus, dass die Krankheiten zumindest an einem Tag, d.h. der kleinsten für die Krankengeldgewährung maßgeblichen zeitlichen Einheit (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V), zeitgleich nebeneinander bestanden haben (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 18; Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 27/04 R – juris, Rn. 16). Eine Krankheit tritt dagegen im Rechtssinne nicht mehr hinzu, sondern ist in ihren Rechtsfolgen eigenständig zu beurteilen, wenn sie erst am Tage nach Beendigung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit oder noch später auftritt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 19 m.w.N.; Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 27/04 R – juris, Rn. 23). Die hinzugetretene Erkrankung verlängert auch bei Fortfall der Ersterkrankung die Leistungsdauer von 78 Wochen ab dem ersten Tag der (zunächst nur) auf der Ersterkrankung beruhenden Arbeitsunfähigkeit nicht und setzt auch nicht – wie eine nach Beendigung der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeit eingetretene neue Krankheit mit erneuter Arbeitsunfähigkeit – einen neuen Dreijahreszeitraum (Blockfrist) in Gang (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1992 – 1 RK 8/92 – juris, Rn. 16; Senatsurteil vom 13. August 2021 – L 4 KR 1615/20; Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2019 – L 4 KR 3687/19 ER-B – jeweils nicht veröffentlicht; Sonnhoff/Pfeiffer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, Stand: Juli 2022, § 48 SGB V, Rn. 21).
Die hinzugetretene Erkrankung ist der durch die erste Krankheit ausgelösten Blockfrist zuzuordnen (Waltermann, in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl. 2023, § 48 SGB V Rn. 4). Die schon bestehende und die hinzugetretene Krankheit bilden eine Einheit, ohne dass es darauf ankommt, ob die hinzugetretene allein oder nur zusammen mit der ersten Krankheit Arbeitsunfähigkeit herbeiführt. Die hinzugetretene Krankheit teilt mithin das „Schicksal der Ursprungserkrankung“ (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 27/04 R – juris, Rn. 23). Der Gesetzgeber bewertet somit das zeitlich nachfolgende Hinzutreten einer weiteren Krankheit zur fortbestehenden ersten Krankheit als rechtliche Einheit bzw. wie „dieselbe“ Krankheit (BSG, a.a.O. Rn. 24). Innerhalb der Blockfrist besteht mithin für die zuerst eingetretene und die hinzugetretene(n) Krankheit(en) zusammen für längstens 78 Wochen Anspruch auf Krankengeld (Rieke, in: Krauskopf/Rieke, Stand Juni 2023, § 48 SGB V Rn. 8; Legde, in: LPK-SGB V, 6. Aufl. 2022, § 48 Rn. 5 f.; unklar Gerlach, in: Hauck/Noftz, Kommentar zum Sozialrecht, Stand März 2020, § 48 Rn. 28 f.). Dies gilt nicht nur dann, wenn beide Krankheiten bis zum Ende der 78-wöchigen Bezugszeit nebeneinander fortbestehen und jede für sich allein Arbeitsunfähigkeit verursachen würde, sondern auch dann, wenn zeitweilig nur eine dieser Krankheiten fortbesteht und Arbeitsunfähigkeit verursacht. Daher wird die Bezugszeit auch dann nicht verlängert, wenn die zuerst eingetretene Krankheit keine Arbeitsunfähigkeit mehr verursacht oder völlig wegfällt und die Arbeitsunfähigkeit allein auf der hinzugetretenen Krankheit beruht (vgl. Rieke, a.a.O.). Auch bei einer neu eintretenden Arbeitsunfähigkeit verlängert sich die Leistungsdauer nicht, wenn die neue Arbeitsunfähigkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist, die schon die frühere Arbeitsunfähigkeit verursacht hatte oder die während ihres Bestehens hinzugetreten war (BSG, Urteil vom 24. Juni 1969 – 3 RK 60/66 – juris, Rn. 14).Die hinzugetretene Krankheit kann aber für spätere Bezugszeiten in einem neuen Dreijahreszeitraum bedeutsam sein, wenn sie dann für sich allein die Arbeitsunfähigkeit bedingt bzw. nach Wegfall der ersten Krankheit die - alleinige - Ursache der Arbeitsunfähigkeit ist (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1992 – 1 RK 8/92 – juris, Rn. 16). Die einheitliche rechtliche Behandlung von bestehender und hinzugetretener Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V entfällt mithin allein in nachfolgenden Blockfristen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Dezember 2020 – L 26 KR 252/19 – juris, Rn. 35; Schifferdecker, in: BeckOGK, Stand November 2023; § 48 SGB V Rn. 20).

bb) In Anwendung dieser Regelungen beträgt die hier maßgebliche Blockfrist den Zeitraum vom 23. August 2019 bis 22. August 2022.

Die Blockfrist beginnt mit dem Tage des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit wegen der ihr zu Grunde liegenden Krankheit, unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld bestand oder nicht. Voraussetzung ist, dass zum Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach bestand. Maßgeblicher Dreijahreszeitraum zur Bestimmung der Höchstanspruchsdauer auf Krankengeld ist hier der Zeitraum vom 23. August 2019 bis 22. August 2022, da der Kläger, der seit März 2016 keine versicherungspflichtigen Tätigkeiten mehr ausübt und zuletzt Leistungen der Agentur für Arbeit bezog, erstmals am 23. August 2019 wegen orthopädischer Erkrankungen arbeitsunfähig wurde. Der Kläger wurde ab diesem Tag (bis 18. Februar 2021) durch B2 wegen orthopädischer Erkrankungen (M25.51: Gelenkschmerz Schulterregion; M47.26: Sonstige Spondylose mit Radikulopathie Lumbalbereich; M48.02: Spinal(kanal)stenose Zervikalbereich und M50.1: Zervikaler Bandscheibenschaden mit Radikulopathie) arbeitsunfähig geschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit ab dem 23. August 2019 löste mithin eine Blockfrist von drei Jahren aus, wodurch sich die hier maßgebliche Blockfrist vom 23. August 2019 bis 22. August 2022 errechnet.

cc) In diesem Dreijahreszeitraum vom 23. August 2019 bis 22. August 2022 hat der Kläger die 78-Wochen-Frist für seinen Krankengeldanspruch mit Ablauf des 18. Februar 2021 ausgeschöpft. Die Dauer von 78 Wochen entspricht einer Gesamtdauer von 546 Tagen (BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 1 KR 15/10 R – juris, Rn. 13), da das Krankengeld gemäß § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V für Kalendertage gezahlt wird. Der Kläger bezog von der Beklagten für 546 Tage Krankengeld bis einschließlich 18. Februar 2021. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.


b) Während des Vorliegens der zur Arbeitsunfähigkeit führenden orthopädischen Erkrankungen trat am 10. und 11. Februar 2021 eine weitere, ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führende psychische Erkrankung hinzu. Hiervon ist der Senat aufgrund des Arztbriefes des V1 vom 11. Februar 2021 überzeugt. Danach litt der Kläger an diesen beiden Tagen an einer „rezidivierende depressiven Störung gegenwärtig mittelgradige Episode“. Beide Krankheiten (orthopädische und psychische Erkrankungen) haben an diesen beiden Tagen nebeneinander bestanden und jeweils für sich zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es nicht darauf ankommt, dass der Kläger am 10. und 11. Februar 2021 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund der depressiven Störung erhalten hat. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme und damit eines Beweismittels zu (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2012  B 1 KR 20/11 R  juris, Rn. 14; Urteil vom 8. November 2005  B 1 KR 18/04 R  juris, Rn. 20), das der Verwertung anderer Beweismittel nicht entgegensteht (u.a. Senatsurteil vom 23. April 2021 L 4 KR 2847/18  n.v.). Im Übrigen entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V ein Anspruch auf Krankengeld bereits „bei Krankenhausbehandlung“, die hier vorlag, von ihrem Beginn an und nur „im Übrigen“ von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (Satz 1 Nr. 2).

Dass der Kläger an den genannten beiden Tagen tatsächlich auch arbeitsunfähig war, ergibt sich im Übrigen aus dem
Einsatzprotokoll vom 10. Februar 2021, dem Arztbrief des V1 vom 11. Februar 2021 und dem Gutachten des L1 vom 15. März 2022, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 29/13 R – juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 – B 5 R 175/21 B – juris, Rn. 7; Urteil vom 12. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 13). L1 kam in Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen zu der Einschätzung, dass der Kläger am 10. und 11. Februar 2021 aufgrund des im PZN erhobenen Befundes und der Behandlungsdiagnose (Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode) arbeitsunfähig war. Dies hält der Senat aufgrund des Einsatzprotokolls vom 10. Februar 2021 und des Arztbriefes des V1 für nachvollziehbar und schlüssig. Laut Einsatzprotokoll vom 10. Februar 2021 wurde der Kläger liegend in der Tierarztpraxis aufgefunden, wobei er wach war, weinte und zunächst nicht kommunizierte. Auf Ansprache hat er reagiert und über Schwindel, Kribbelparästhesien in den Händen und eine akute psychische Belastung geklagt. Der psychische Befund wurde als depressiv und erregt beschrieben. Der Kläger habe angegeben, durch die negative Prognose zum Überleben der Katze und andere Belastungen, wie die Schulteroperation in zwei Wochen, sei er überfordert. Daraufhin wurde ihm ein Transport in eine psychiatrische Klinik angeboten. Nachdem der Kläger eingewilligt hatte, wurde er nach telefonischer Voranmeldung durch den Rettungsdienst zur stationären Aufnahme bei Verdacht auf Exazerbation einer vorbekannten depressiven Störung stationär im PZN aufgenommen. Zum psychischen Aufnahmebefund teilte V1 mit, der Kläger habe im Aufnahmegespräch nahezu ununterbrochen geweint, die Stimmung sei betrübt gewesen, er habe Traurigkeit, aber keine Verzweiflung gezeigt und die affektive Schwingungsfähigkeit und die Auslenkbarkeit seien reduziert gewesen. Psychomotorisch sei er leicht angespannt gewesen. Die Belastbarkeit sei reduziert gewesen. Der Kläger habe über Ein- und Durchschlafstörungen geklagt. Eine ausführliche körperliche Untersuchung wurde aufgrund der Ablehnung des Klägers nicht durchgeführt, wobei die Entlassung am 11. Februar 2021 gegen ärztlichen Rat in die ambulante Weiterbehandlung erfolgte. Aus diesem Befund heraus hat V1 nachvollziehbar die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, abgeleitet. Denn nach ICD-10 F33.1 handelt es sich hierbei um eine „Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode mittelgradig ist, ohne Manie in der Anamnese.“ Dass der Kläger unter wiederholten depressiven Episoden leidet, ergibt sich aus den im Rentenverfahren eingeholten Gutachten, die ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnten. Danach haben der Gutachter C1 in seinem Gutachten vom 23. März 2021 (im Hinblick auf die stationäre Behandlung im PZN im Februar 2021 nur einen Monat später) die Diagnose Angst und depressive Störung, gemischt, und der Gutachter W2 in seinem Gutachten vom 15. Juni 2021 eine mittelgradig depressive Störung angegeben. Auch Z1 hat in seinem Gutachten vom 9. März 2023 eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert, diagnostiziert. In dessen Anamnese wurde festgehalten, dass der Kläger angegeben habe, dass seine Depression seit zehn Jahren bestehe. Schließlich wurden zuvor bereits auch im Entlassungsbericht des K1 vom 8. Januar 2021 die Diagnose Angst und depressive Störung, gemischt (weshalb ihm dringend eine ambulante Psychotherapie vorgeschlagen wurde), in den Arztbriefen des L2 vom 20. September 2019 und 12. November 2019 rezidivierende Depressionen und im Arztbrief des Reha-Zentrums M1 vom 11. Januar 2019 eine mittelgradige depressive Episode angegeben.

Der vom Kläger erhobene Einwand, es habe sich am 10. und 11. Februar 2021 lediglich um eine akute Belastungsreaktion gehandelt, die keine Arbeitsunfähigkeit verursacht habe, greift vor diesem Hintergrund nicht durch. Soweit sich der Kläger diesbezüglich auf das Attest der B2 vom 11. Juli 2023 und die Stellungnahme des W1 vom 19. Juli 2023 stützt, überzeugt dies nicht. B2 hat selbst angegeben, bei dem Ereignis am 10. Februar 2021 nicht persönlich involviert gewesen zu sein und die Angaben allein auf der erhobenen Anamnese mit dem Kläger beruhten. In ihrem Befundschreiben vom 14. Dezember 2021 hat sie des Weiteren angegeben, dass sie die Frage der Arbeitsunfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung am 10. und 11. Februar 2021 nicht retrospektiv einschätzen könne. Auch W1 stützt seine Einschätzung allein auf die „retrospektiven Auseinandersetzung mit der Thematik des Vorfalls“. Der Senat misst vor diesem Hintergrund dem Befundbericht und der Diagnosestellung des V1 einen höheren Beweiswert zu.

Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der ab 20. August 2021 bestehenden und arbeitsunfähigkeitsbegründenden Erkrankung F32.1 (mittelgradige depressive Episode) um dieselbe Erkrankung wie die 10. und 11. Februar 2021 diagnostizierte rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F33.1). Beide Erkrankungen sind depressive Störungen und haben im Wesentlichen dieselben Auswirkungen, beide sind Störungen der Affektivität. Der Unterschied zwischen F32 und F33 ist, dass dann, wenn eine depressive Episode verschwindet und nach einiger Zeit zurückkehrt, die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung angegeben wird. Bezüglich der Auswirkungen beim Betroffenen unterschieden sich die beiden Schlüssel F32 und F33 jedoch in der jeweiligen Situation nicht wesentlich.

Nachdem der Kläger in der hier maßgeblichen Blockfrist bis 22. August 2022 bereits seinen
78-wöchigen Krankengeldanspruch ausgeschöpft hat, führt die psychische (Wieder-)Erkrankung ab dem 20. August 2021, mithin innerhalb der Blockfrist, nicht zu einem weiteren Krankengeldanspruch.

4. Der Kläger hat auch nach Ablauf der Blockfrist, hier am 23. August 2022, keinen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für die (vorliegend bis 23. August 2022 attestierte) psychische Erkrankung F32.1 (mittelgradige depressive Episode). Zwar entfällt - wie bereits dargelegt - nach Ablauf der Blockfrist die einheitliche rechtliche Behandlung von bestehender und hinzugetretener Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V, sodass wegen der am 23. August 2022 allein die Arbeitsunfähigkeit begründende Erkrankung F32.1 dem Grunde nach ein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld in Betracht käme. Hierbei ist zu beachten, dass für den Fall, dass nach Wegfall der ersten Krankheit (hier: orthopädische Erkrankung) die hinzugetretene Krankheit allein die Arbeitsunfähigkeit bewirkt, § 48 Abs. 2 SGB V mit seinen Einschränkungen keine Anwendung findet, da der Versicherte nicht wegen „derselben“ Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen hat (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 10/03 R – juris, Rn. 20).

Dem Anspruch auf Krankengeld am 23. August 2022 steht aber entgegen, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert war. Denn das bei Entstehen eines möglichen Krankengeldanspruchs bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als „Versicherter“ Anspruch auf Krankengeld hat (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 2/07 R – juris, Rn. 12 m.w.N.). Vom 1. Oktober 2021 bis 21. September 2023 war der Kläger als Rentenantragsteller bei der Beklagten versichert. Dies entnimmt der Senat dem Schreiben der Beklagten vom 21. Februar 2024. Rentner und Rentenantragsteller sind jedoch nur dann mit Anspruch auf Krankengeld versichert, wenn sie aus einer neben dem Rentenbezug ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, das der Beitragsberechnung unterlag (BSG, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Der Kläger, der am 23. August 2022 als Rentenantragsteller bei der Beklagten versichert war, erzielte zu diesem Zeitpunkt kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Dies entnimmt der Senat der Erklärung des Klägers gegenüber der Beklagten vom 6. April 2022. Danach verfügte er über keinerlei Einnahmen aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit, Vermietung oder Verpachtung, Kapitalvermögen oder Renten bzw. rentenähnliche Einnahmen. Ein Krankengeldanspruch scheidet daher auch für den 23. August 2022 aus.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

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