Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung ihrer Reisekosten für drei Reisen nach M. im März 2018, Februar 2019 und Dezember 2019.
Die 1970 in M. geborene Klägerin und Berufungsklägerin (im Weiteren: Klägerin) ist russische Staatsangehörige und lebt nach ihren Angaben seit 2010 in Deutschland. Seit 2014 bezieht sie von dem Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe der Unterkunftskosten sowie des Regelbedarfs. Sie ist seither nicht erwerbstätig gewesen.
Die Klägerin reiste regelmäßig – meist zweimal im Jahr – nach M. Jeweils im Anschluss an die Reise beantragte sie beim Beklagten die Erstattung ihrer Reisekosten, die zumeist zwischen 200 und 300 € betrugen. Dies lehnte der Beklagte regelmäßig mit Bescheid und Widerspruchbescheid ab: Eine Übernahme von Reisekosten für Familienheimfahrten für private Zwecke sei in den Regelungen des SGB II nicht vorgesehen. Private Reisen ins Ausland dienten nicht der Sicherung des Lebensunterhalts oder der Eingliederung in Arbeit. Sie seien aus dem Regelbedarf zu finanzieren. Die anschließend geführten Klageverfahren beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) blieben ohne Erfolg. Die anschließend geführten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren hat der Senat jeweils abgewiesen. Es handelte sich u.a. um Reisen im
Mai 2015: L 4 AS 305/21 NZB und L 4 AS 308/21 NZB (Beschlüsse vom 14. Juli 2021),
Juni 2015: L 4 AS 306/21 NZB (Beschluss vom 14. Juli 2021),
Februar 2017: L 4 AS 334/20 NZB (Beschluss vom 20. April 2021) und
April 2017: L 4 AS 307/21 NZB (Beschluss vom 14. Juli 2021).
Am 19. Dezember 2019 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Erstattung der Kosten ihrer Fahrten nach M. im Zeitraum vom 14. bis 18. März 2018, 5. bis 9. Februar 2019 und 9. bis 13. Dezember 2019 in Höhe von insgesamt 893,52 € und legte dazu Belege über die Aufwendungen für die Flüge sowie die An- und Abreise zu den Flughäfen vor.
Mit Bescheid vom 2. Januar 2020 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab: Die beantragten Sonderleistungen seien durch die gewährten Regelbedarfsleistungen abgedeckt und stellten keinen unabweisbaren Bedarf dar. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und des Aufenthaltsorts ihrer Familienangehörigen habe sie einen Mehrbedarf, der einen zusätzlichen Leistungsanspruch auslöse. Der Beklagte habe die urlaubsbedingten Abwesenheiten erlaubt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Der Leistungskatalog der §§ 16 ff. SGB II (Eingliederungsleistungen), § 19 SGB II (Regelbedarf), § 21 SGB II (Mehrbedarf) und § 24 SGB II (abweichende Leistungserbringung) sei abschließend. Die Übernahme von Reisekosten für Familienheimfahrten zu privaten Zwecken sei nicht geregelt und nicht vorgesehen.
Zur Begründung der am 12. März 2020 beim SG erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Widerspruchsvorbringen wiederholt. Bei den als Urlaub genehmigten Fahrten zu ihrer Familie handele es sich um den notwendigen Bedarf einer ausländischen Arbeitskraft. Zudem seien ihre Aufwendungen für die Fahrten als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu gewähren, weil im Regelbedarf keine Aufwendungen für Luftverkehr vorgesehen seien.
Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 1. März 2023 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2023 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der angegriffene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Fahrtkosten für die Reisen nach M. Mit den ihr gewährten Regelleistungen seien die typischen Bedarfe für ein menschenwürdiges Existenzminimum abgedeckt. Dazu gehöre auch – in vertretbarem Umfang – eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB II) Der Regelbedarf erfasse auch besondere Bedarfslagen, wie etwa Kosten der Gesundheit oder des Verkehrs. Es gelte die Regel, dass vom Regelbedarf nach § 20 SGB II alle Bedarfslagen umfasst seien, die nicht im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen anderweitig geregelt worden seien. Indes sei eine Reise von D. nach M. zu dem Zweck, die dort lebenden Verwandten zu besuchen, nicht notwendig zur Sicherung des Existenzminimums. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin ohne diese Fahrten ihre sozialen Kontakte nicht pflegen könne. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II. Danach werde ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Die Vorschrift sei eine Härtefallregelung, die einer besonderen Bedarfslage gerecht werden und das menschenwürdige Existenzminimum gewährleisten solle. Da die Reisen nach M. jedoch nicht notwendig seien zur Sicherung des Existenzminimums, könne hieraus keine Erstattung der Reisekosten erfolgen.
Gegen den ihr am 19. April 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17. Mai 2023 Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, der Gerichtsbescheid enthalte Fehler. Sie sei weiterhin Staatsangehörige der Russischen Föderation. Daher sei (ihr Reiseziel) M. ihre aktuelle und nicht ihre ehemalige Heimat. Sie beziehe bereits seit November 2010 SGB II-Leistungen. Das SG habe ihren Bedarf an Mitteln zur Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen (Fahrten nach M.) fehlerhaft im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II bewertet.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid vom 3. April 2023 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. März 2020 zu verurteilen, ihr unter Änderung der zugrundeliegenden Bewilligungsbescheide weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 893,52 € für die Monate März 2018, Februar 2019 und Dezember 2019 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die überzeugenden Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 18. August 2023 das Berufungsverfahren auf die Berichterstatterin übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) konnte die Entscheidung durch die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen, weil der Senat ihr das Berufungsverfahren durch Beschluss übertragen hat.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung ihrer Aufwendungen für drei Flugreisen nach M. im März 2018 sowie Februar und Dezember 2019.
Der Senat sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidung ab, weil er – nach eigener Prüfung – den zutreffenden Gründen der angegriffenen Entscheidung des SG folgt.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 26. Januar 2022 (B 4 AS 3/21 R, juris) ausgeführt hat, die Geltendmachung eines Mehrbedarfs wegen zwischenmenschlicher Beziehungspflege bedürfe aufgrund des strengen Tatbestandsmerkmals der Unabweisbarkeit und der Begrenzung des Existenzminimums auf das zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt Erforderliche (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175, juris) eines besonderen Näheverhältnisses zu der von der Beziehungspflege betroffenen Person. Es müsse sich um eine tatsächlich gelebte Beziehung von besonderer Nähe handeln, die durch wechselseitige Verantwortlichkeit füreinander sowie Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sei und deshalb für die individuelle personale Existenz herausgehobene Bedeutung habe. Dabei geht es primär um (sehr enge) Beziehungen – wie die von Eltern zu ihren minderjährigen Kindern, zwischen Ehegatten oder Lebensgefährten. Erforderlich ist weiterhin, dass der Bedarf unabweisbar ist. Dies ist nicht der Fall, wenn er durch alternative Handlungen abgewendet oder vermindert werden kann (BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 12/13 R, juris RN 29). So sind insbesondere (ungewollte) räumliche Trennungen für den Härtefallmehrbedarf unbeachtlich, soweit der Leistungsberechtigte nicht alle ihm zumutbaren Möglichkeiten zu deren Beendigung oder Verringerung ausgeschöpft hat.
Hierfür ist weder ein Näheverhältnis in der beschriebenen Art zur Verwandtschaft in M. noch eine Unabweisbarkeit des Bedarfs ersichtlich. Die Klägerin ist in der Wahl ihres Wohnortes frei.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).