S 5 U 40/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 40/16
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I. Die Klage gegen den Bescheid vom 30.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2016 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

T a t b e s t a n d :

Die Parteien streiten um die Anerkennung eines beim Kläger aufgetretenen Multiplen Myeloms als Berufskrankheit im Sinne der Ziffer 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der im Januar 1956 geborene Kläger war während seiner beruflichen Tätigkeit u.a. als Druck- und Druckformenhersteller sowie Vorarbeiter tätig. Er gab an, im Rahmen dieser Tätigkeiten der Einwirkung von Benzol ausgesetzt gewesen zu sein.

Bereits im Jahre 1995 wurde insoweit der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) angezeigt und beim Kläger ein möglicher Zusammenhang zwischen der Exposition von Lösungsmitteln und einer peripheren Neuropathie geprüft. Die daraufhin vom Gewerbeaufsichtsamt durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass bei den Gefahrstoffmessungen nur geringe Schadstoffe festgestellt werden konnten und die zulässigen Grenzwerte deutlich unterschritten wurden. Mit Schreiben vom 18.03.1996 wurde vom Gewerbeärztlichen Dienst ausgeführt, dass eine berufliche Verursachung der peripheren Neuropathie und von erhöhten Leberwerten nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden könne. Bestätigt wurde dies auch durch ein Gutachten des Dr. F. vom 10.04.1996 sowie ein weiteres Gutachten des Dr. G. vom 23.09.1996. Schlussendlich wurde damals eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1302 und 1315 auf Grundlage der Gutachten wegen des nicht ausreichenden Nachweises des Kontakts mit relevanten Gefahrenstoffen nicht anerkannt.

Am 12.05.2014 stellte der Kläger schließlich den hier streitigen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Ziffer 1318 der Anlage zur BKV. Darüber hinaus verlangte er die Wiederaufnahme des Berufskrankheitsverfahrens, das im Jahre 1997 abgeschlossen wurde. Zur Begründung führte er aus, dass im August 2013 eine chronische Krebserkrankung in Form eines Multiplen Myeloms/Plasmozytoms festgestellt worden sei. Von 1971 bis 1996 sei der Kläger in verschiedenen Druckereien täglich in Kontakt mit krebserregenden Stoffen gewesen, weshalb er den Verdacht auf eine berufliche Verursachung sehe.

Im Rahmen der Ermittlungen nahm die Beklagte Kontakt zu den Arbeitgebern des Klägers auf, um zu ermitteln welche konkrete Tätigkeit und welche Benzolbelastung beim Kläger nachweisbar sei. Von der Firma H. Druck GmbH wurde insoweit am 12.08.2014 die Auskunft erteilt, dass man dort nicht mehr wisse, in welcher Tätigkeit der Kläger bei ihnen beschäftigt war und darüber hinaus die Mitarbeiter nicht mit benzolhaltigen Stoffen in Berührung kämen. Die Firma I. Druck & Verlag GmbH teilte am 19.08.2014 mit, dass keinerlei Unterlagen mehr über den Kläger vorhanden seien.

Die Stellungnahme des Präventionsdiensts der Beklagten vom 17.09.2014 führte nach einer Auswertung der Angaben des Klägers aus, dass bereits frühzeitig der Benzolgehalt in den eingesetzten Arbeitsmitteln in der Druck- und Papierverarbeitung begrenzt worden sei. Bereits 1964 war eine Obergrenze für das Druckgewerbe von 0,3 % Benzol festgelegt worden, die in der ersten Hälfte der 70er Jahre auf 0,2 % und in den der zweiten auf 0,1 % abgesenkt wurde. Jedenfalls ab 1980 sei der Benzolgehalt der Arbeitsmittel so gering gewesen, dass bei den eingesetzten Arbeitsplatz-/Raumluftmessungen kein Benzol oberhalb der Bestimmungsgrenze mehr in den Betrieben gefunden werden konnte. Alles in allem geht die Präventionsabteilung nach den Auskünften des Klägers davon aus, dass dieser zwar durchaus benzolhaltigen Stoffen ausgesetzt war, die Exposition jedoch weit unterhalb der hohen oder gar extremen Belastungsgrenze liege, die nach der wissenschaftlichen Begründung der BK 1318 gefordert werde.

Der Gewerbeärztliche Dienst der Regierung der Oberpfalz führte am 14.10.2014 aus, dass eine Verursachung des Plasmozytoms durch Benzol im vorliegenden Fall für nicht wahrscheinlich gehalten werde, jedoch wurde vorgeschlagen, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine Stellungnahme eines Toxikologen einzuholen. In einer weiteren Stellungnahme vom 21.11.2014 wurde ausgeführt, dass nach derzeitigem Wissensstand eine Plasmozytose bei einer toxisch relevanten Einwirkung durch Benzol durchaus verursacht werden könne. Jedoch lasse sich aus dem derzeitigen vorliegenden epidemiologischen Datenmaterial keine präzise Beschreibung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung ableiten. Insoweit sei im vorliegenden Fall eine Einzelfallbeurteilung erforderlich.

Daraufhin nahm für die Beklagte am 17.03.2015 Dr. H. zum medizinischen Sachverhalt Stellung. Er führte aus, dass nach den arbeitstechnischen Ermittlungen beim Kläger lediglich eine geringe Benzolexposition im Laufe der beruflichen Tätigkeit zwischen 1971 und 1986 anzunehmen sei. Das Multiple Myelom sei in einem Abstand von 27 Jahren nach Ende der geringen beruflichen Benzolexposition festgestellt worden. Die Interimszeit für eine expositionsbedingte lymphohämatopoetische Erkrankung durch Benzol liege jedoch in einem Zeitfenster von 15 bis maximal 20 Jahren nach Expositionsende. Beim Kläger sei diese Zeit deutlich überschritten. Darüber hinaus sei der Kläger im Alter von 57 Jahren an dem Multiplen Myelom erkrankt, was dem typischen Erkrankungsalter für ein Non-Hodgkin-Lymphom entspreche. Ein ungewöhnlich früher Erkrankungseintritt liege somit ebenfalls nicht vor. Insoweit sprach sich der Beratungsarzt gegen die Anerkennung eines Zusammenhangs zwischen der Krebserkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers aus.

Daraufhin erging am 30.04.2015 der streitige Bescheid der Beklagten, mit dem der Antrag des Klägers auf Anerkennung der BK 1318 der Anlage zur BKV abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen die Argumentation des Dr. H. wiederholt.

Mit Schriftsatz vom 25.05.2015 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Er führte aus, dass es sich seiner Ansicht nach um eine Berufskrankheit handle, da bereits in einem Gutachten des Jahres 1996 Hinweise auf eine Erkrankung des Bluts vorlagen.

Daraufhin nahm am 28.09.2015 Dr. H. nochmals zum medizinischen Sachverhalt Stellung. Er führte aus, dass bei einer Begutachtung des Klägers im Jahre 1996 eine Blutbildveränderung beim Kläger festgestellt worden sei. Es lag damals eine gering erhöhte Lymphozytenzahl sowie die Erhöhung des IgA und eine grenzwertig niedrige CD4/CD8 Ratio vor. Jedoch würden diese Laborwerte keinen Beweis einer schon damals vorliegenden Krebserkrankung darstellen. Vielmehr seien diese auch durch chronische Infekte, Schleimhautinfektionen, aber auch toxisch aggressive Prozesse der Leber oder Autoimmunerkrankungen hervorrufbar. Zwischen 1995 und 2014 gebe es aber keine weiteren Arztberichte, die auf eine Auffälligkeit hindeuteten. Insbesondere die typischen Hinweise auf ein Multiples Myelom wie ein erhöhtes Gesamteiweiß, Proteinurie, eine beschleunigte Blutsenkung, eine Anämie oder eine Hyperkalzämie fanden sich jedenfalls 1995 beim Kläger noch nicht. Darüber hinaus könne ausgeschlossen werden, dass sich 1996 schon eine klinische Manifestation eines Multiplen Myeloms darstellte, so dass eine deutlich frühere initiale Erkrankung als 2013 nicht angenommen werden könne. Darüber hinaus führte Dr. H. am 14.12.2015 aus, dass es beim Kläger erst im Sommer 2013 zu einem Leistungsknick und einer Sturzsenkung sowie Anämie gekommen sei. Nach den hausärztlichen Laborchecks konnte eine Anämie jedenfalls im Jahre 2011 und 2012 noch nicht nachgewiesen werden. Erstmals im Februar 2013 lag insoweit ein auffälliger Befund vor. Eine Blutsenkung wurde beim Kläger nicht regelmäßig durchgeführt. Es liege jedoch ein Befund aus dem Jahre 2005 vor, der hier noch einen Normalwert beschrieb. Rückblickend könnte der Beginn der Erkrankung allenfalls für Mitte 2012 angesetzt werden.

Am 14.01.2016 erging schließlich der streitige Widerspruchsbescheid, mit dem der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde abermals darauf verwiesen, dass beim Kläger eine hohe oder gar extreme Belastung gegenüber benzolhaltigen Arbeitsstoffen nicht nachgewiesen sei und darüber hinaus auch eine Manifestation des Multiplen Myeloms erst sehr lange Zeit nach Ende der Exposition auftrat. Die Krebsdiagnose könnte jedoch frühestens Mitte 2012 als gesichert gelten, so dass alles in allem ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und der beruflichen Tätigkeit nicht wahrscheinlich sei.

Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 11.02.2016 Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Er beantragte:

1. Den Bescheid der Beklagten vom 30.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2016 aufzuheben,
2. beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen und
3. die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend eine Versichertenrente nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Mit Schriftsatz vom 25.02.2016 beantragte die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf den Inhalt der Beklagtenakte sowie den streitigen Bescheid verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Beiziehung von Befunden der behandelnden Ärzte des Klägers sowie die Einholung eines Gutachtens durch Dr. E..

Dieser erstellte seinen Bericht am 10.05.2016. Er führte aus, dass beim Kläger das Vorliegen eines Plasmozytoms (Multiples Myelom) gesichert sei. Die Exposition gegenüber Benzol könne beim Kläger jedoch ausweislich der vorliegenden Unterlagen nicht exakt benannt werden. Insgesamt sei jedoch davon auszugehen, dass die Exposition weder hohe, noch extreme Intensitäten angenommen hatte.
Der Sachverständige führt aus, dass das Multiple Myelom eine Erkrankung des höheren und hohen Lebensalters sei, wobei der Altersmeridian bei ca. 65 Jahren liege. Die Erkrankung im Alter von 57 Jahren stelle somit eine nicht signifikante zeitliche Vorverlegung der Erkrankungsmanifestation dar. Hinsichtlich der Ätiologie müsse beachtet werden, dass diese noch nicht vollständig ergründet sei und viele Risikofaktoren nach wie vor unbekannt seien. Die wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 gehe jedoch insoweit nach einer Auswertung der epidemiologischen Studienergebnisse davon aus, dass ein beruflicher Zusammenhang zwischen einer Benzolexposition und Malignomen des myeloischen und lymphatischen Systems durchaus bestehen könne. Eine Sonderstellung nehme hierbei das Multiple Myelom ein, da es sich aufgrund dessen Seltenheit und der langen Latenzzeit nur sehr schwierig beurteilen lasse. Insoweit sei hinsichtlich der Zusammenhangsfrage eine einzelfallbezogene Beurteilung der Expositionsbedingungen vorzunehmen. Bejaht werde eine ausreichende Exposition bei einer extremen Belastungsintensität über einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren oder einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von 6 Jahren und mehr.
Dabei müsse aber beachtet werden, dass diese Ausführungen nach der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 nicht unumstritten seien. So komme eine Arbeitsgruppe von US-amerikanischen Epidemiologen zu einer anderen Schlussfolgerung. Sie führen nach der Auswertung von Studien aus, dass der Nachweis von Erkrankungen eines Multiplen Myeloms unter Benzolkontakt sich in einem statistisch nicht signifikanten Bereich befinde und daher von einem zufälligen Ergebnis auszugehen sei. Insgesamt stellte der Sachverständige daher fest, dass es also keine Konsistenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine Kausalität zwischen einer Exposition zu Benzol und einem Multiplen Myelom gebe.
Selbst wenn man jedoch der Auffassung der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 folge, sei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass beim Kläger zwar eine Exposition im Zeitraum von 1971 bis 1996 vorgelegen habe, die Expositionsintensität bzw. -dosis aber mangels Unterlagen nicht konkret bestimmbar sei. Aus den allgemeinen Arbeitsbedingungen im Tätigkeitsgewerbe des Klägers sei jedoch abzuleiten, dass weder eine hohe noch eine extreme Belastungsintensität zu begründen sei. Diese werde jedoch sogar nach der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 gefordert.
Im Weiteren gibt der Sachverständige an, dass bei den von den Berufsgenossenschaften anerkannten Fällen der BK 1318 die durchschnittliche Expositionsdauer 21 Jahre betrage und die mittlere Latenzzeit 35 Jahre. Im Falle des Klägers sei von einer Expositionsdauer von rund 23 Jahren und einer Latenzzeit von ca. 32 Jahren auszugehen, was mit diesen Erfahrungswerten gut in Einklang gebracht werden könne. Jedoch falle die sogenannte Interimszeit, also die Zeitspanne zwischen dem Expositionsende und der Krankheitsmanifestation, etwas aus dem Rahmen. Da ab den 1980er Jahren in den Arbeitsmitteln die Benzolanteile so stark reduziert seien, dass diese nicht mehr im nachweisbaren Bereich lagen, müsse von einem Expositionsende ab 1980 ausgegangen werden. Dies führe dazu, dass von einer Interimszeit von rund 33 Jahren beim Kläger auszugehen sei. Jedoch zeigten die vorliegenden Studien, dass das Erkrankungsrisiko mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Benzolexpositionsende abnehme. Nach einem Intervall von 10 bis 15 Jahren nach Expositionsende sei insoweit ein statistisch erhöhtes Erkrankungsrisiko nicht mehr nachweisbar. Auch dies spreche im Falle des Klägers gegen einen Zusammenhang.
Alles in allem kommt der Sachverständige daher zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung der BK 1318 im vorliegenden Falle nicht empfohlen werden könne.

Daraufhin beantragte der Kläger die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch Dr. F..

Dieser erstattete seinen Bericht am 14.03.2017. Auch in diesem Gutachten wurde nochmals bestätigt, dass beim Kläger ein Multiples Myelom gesichert sei. Der Sachverständige führt aus, dass die Erkrankungshäufigkeit ab dem Alter von 50 Jahren signifikant ansteige. Erkrankungen vor dem 35. Lebensjahr seien selten. Das mediane Erkrankungsalter betrage 71 Jahre bei Männern. Dabei sei jedoch grundsätzlich davon auszugehen, dass das primäre Erkrankungsereignis viel früher als die Erstdiagnose anzunehmen sei. Der Kläger sei im Alter von 57 Jahren an dem Multiplen Myelom erkrankt. Der Sachverständige geht insoweit davon aus, dass eine zeitliche Vorverlegung als Folge der langjährigen Exposition gegenüber verursachenden Noxen nicht ausgeschlossen werden könne.
Im Weiteren führte der Sachverständige aus, dass nach einer Studie mit 24.917 männlichen Arbeitern auf einer Ölbohrinsel, die einer niedrigen Benzolexposition ausgesetzt waren, ein erhöhtes Risiko der Erkrankung an einem Multiplen Myelom nachgewiesen werden konnte - mit einer klaren Dosis-Wirkungs-Beziehung. Hingegen konnte in einer australischen Studie keine solche Assoziation belegt werden. Im Weiteren wurde eine Studie aufgeführt, bei der Probanden, die mit Kunststofffolien arbeiteten, einen statistisch signifikanten Anstieg an Fällen eines Multiplen Myeloms aufzeigten, wobei bei einem Update dieser Studie dieser Zusammenhang dann nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Eine weitere Studie von Arbeitern in der chemischen Industrie konnte wiederum eine Dosis-Wirkungs-Beziehung aufzeigen, ebenso wie eine Fallkontrollstudie aus dem Jahre 1989. Hingegen zeigte eine große Fall-Kontroll-Studie von Non-Hodgkin-Lympomen in Europa keine Assoziation zwischen dem Multiplen Myelom und der Benzolexposition. In der aktuellsten Zusammenfassung der International Agency für Research on Cancer wird eine positive Assoziation zwischen der Exposition durch Benzol und einem Multiplen Myelom beschrieben. Insoweit geht der Sachverständige davon aus, dass eine Benzolexposition grundsätzlich in der Lage sei, bei einem Menschen ein Multiples Myelom zu verursachen.
Im Weiteren stellte der Sachverständige fest, dass beim Kläger ausweislich der vorliegenden Unterlagen von einer 25-jährigen beruflichen Exposition zu Benzol im Zeitraum von 1971 bis 1996 auszugehen sei. Eine hohe oder gar extreme Belastungsintensität sei hierbei jedoch nicht nachgewiesen. Der Sachverständige geht davon aus, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Exposition und der Erkrankung bestehe, weshalb die Angabe von ppm-Benzoljahren als sehr wichtig angesehen werde. Beim Kläger sei jedoch die tatsächlich vorliegende Benzolexposition nicht bekannt, da diesbezüglich keine ausreichenden Messdaten vorlägen. Aufgrund der branchenspezifischen Bewertungen geht der Sachverständige daher davon aus, dass beim Kläger eine eher niedrige Belastungsintensität vorgelegen habe.
Hinsichtlich der Interimszeit geht der Sachverständige davon aus, dass beim Kläger ein Ende der Benzolexposition nicht schon 1980 vorlag, sondern erst im Jahre 1994 mit der tatsächlichen Aufgabe der Tätigkeit in der Druckerei. Denn durch die Messungen der Berufsgenossenschaften sei lediglich festgestellt, dass keine Werte oberhalbe der Bestimmungsgrenze des Messverfahrens nachgewiesen werden konnten. Gemische mit geringem Benzolgehalt wurden jedoch weiterhin verwendet. Insoweit müsse eine Exposition zu geringfügigen Mengen an Benzol weiterhin angenommen werden. Die Interimszeit sei deshalb mit etwa 17 Jahren anzunehmen. Dies liege deutlich näher an dem von Dr. E. bezeichneten Erfahrungszeitraum von 10 bis 15 Jahren. Insgesamt sei also festzustellen, dass sowohl die Expositionslatenz als auch die Interimszeit mit den Erfahrungswerten übereinstimme.
Zusammenfassend geht der Sachverständige davon aus, dass eine berufsbezogene Benzolexposition und das Auftreten eines Multiplen Myeloms auch bei geringer Belastungsintensität bestehen könne. Eine solche geringe Belastungsintensität sei beim Kläger auch anzunehmen. Da der Erkrankungsbeginn auch wesentlich früher als der Zeitpunkt der Erstdiagnose anzusetzen ist, lägen auch Exposition, Latenz und Interimszeit im Rahmen der Erfahrungswerte, sodass im Endergebnis der Sachverständige beim Kläger das Vorliegen der Berufskrankheit 1318 mit Wahrscheinlichkeit annimmt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit werde auf 100 % eingeschätzt.

Hierzu nahm die Beklagte mit Schriftsatz vom 02.05.2017 Stellung. Sie führte aus, dass das Gutachten des Dr. F. das Gutachten des Dr. E. nicht entkräfte. Auch Dr. F. habe festgestellt, dass beim Kläger nur eine niedrige Benzolexposition vorgelegen habe. Eine hohe oder extreme Belastungsintensität könne hingegen ausgeschlossen werden. Insoweit könne ein hinreichender Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung nicht gesehen werden.

Die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht Regensburg fand am 03.08.2017 statt. Hinsichtlich des Hergangs der Sitzung wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen.

Der Klägervertreter stellte zuletzt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 11.02.2016 mit der Maßgabe, dass die Ziffer 3 dieses Antrags nach dem Hinweis des Gerichts nicht mehr aufrechterhalten wird.

Der Beklagtenvertreter beantragte zuletzt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist unbegründet.

A. Die Klage ist zulässig.

Statthafte Klageart ist die Anfechtungs- und Feststellungsklage soweit es um die Aufhebung des Bescheids vom 30.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2016 und die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) der Ziffer 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) geht. Diese Feststellung stellt ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar und ist zulässig.

Der ursprüngliche Klageantrag zu 3, der die Gewährung einer Verletztenrente beinhaltete, wurde in der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2017 nicht aufrechterhalten. Dieser Antrag wäre auch unzulässig gewesen. Denn im streitigen Bescheid wurde über die Gewährung einer Verletztenrente nicht entschieden, sondern ausschließlich über die Anerkennung der BK dem Grunde nach. Da also gar keine ablehnende Verbescheidung hinsichtlich der Verletztenrente vorlag, war deren Begehr im Rahmen des Klageverfahrens unzulässig.

B. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 30.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2016 ist rechtmäßig und stellt keine Rechtsverletzung dar. Es besteht weder ein Anspruch auf die Rücknahme des Bescheids noch auf die Feststellung des Vorliegens der BK Ziffer 1318 der Anlage 1 zur BKV.

Gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.

Dies bedeutet zum einen, dass nicht jede durch einen Beruf verursachte Erkrankung eine Berufskrankheit in diesem Sinne darstellt, sondern grundsätzlich auch eine Aufnahme in die BKV notwendig ist.

Zum anderen wird durch das Wort "infolge" klargestellt, dass das bloße Vorliegen der in der BKV genannten Gesundheitsschädigung in Verbindung mit der Durchführung einer gefährdenden Tätigkeit nicht ausreicht um eine Berufskrankheit anzuerkennen. Denn bei vielen der Erkrankungen die in der BKV genannt werden handelt es sich um Gesundheitsstörungen die bei einer Vielzahl von Personen in der Bevölkerung vorliegen, auch ohne dass eine gefährdende Tätigkeit verrichtet wurde. Daher muss auch der Nachweis geführt werden, dass gerade die Berufsausübung für die nun beklagten Beschwerden verantwortlich ist.

Es müssen also zur Anerkennung der streitigen BK zwei Voraussetzungen gegeben sein. Zum einen müssen die arbeitsmedizinischen und zum anderen die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen. Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn das in der jeweiligen Ziffer der Anlage 1 zur BKV benannte Krankheitsbild vorliegt. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen hingegen sind gegeben wenn die versicherte Tätigkeit unter Arbeitsbedingungen verrichtet wurde, die geeignet sind die in der jeweiligen Ziffer der Anlage 1 der BKV benannten Gesundheitsschäden zu verursachen. Darüber hinaus muss gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII bzw. § 1 BVK der in der jeweiligen Ziffer der Anlage 1 der BKV benannten Gesundheitsschaden gerade "infolge" der den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit eingetreten sein. D.h. es muss neben dem bloßen Vorliegen der arbeitstechnischen und arbeitsmedizinischen Voraussetzungen auch noch ein positiver Kausalzusammenhang dieser beiden Voraussetzungen nachgewiesen werden.

Die Ziffer 1318 der Anlage 1 zur BKV beschreibt als Berufskrankheit die Erkrankung des Bluts, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol.

Nach einer eigenständigen Auswertung der medizinischen Unterlagen, insbesondere der eingeholten Sachverständigengutachten kommt die Kammer zu der Auffassung, dass beim Kläger das Vorliegen der BK 1318 der Anlage 1 zur BKV nicht nachgewiesen werden konnte.

Unstreitig steht fest, dass der Kläger an einem Plasmozytom (Multiples Myelom) und damit an einer Erkrankung des Bluts, des blutbildenden bzw. lymphatischen Systems leidet. Jedoch konnte nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass diese Erkrankung durch die berufsbedingte Benzolexposition ausgelöst worden ist.

Insoweit widersprechen sich die eingeholten Sachverständigengutachten schon in der Frage, ob Benzol überhaupt in der Lage ist, ein Multiples Myelom zu verursachen. Dr. E. zitiert insoweit Studien und kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer statistischen Auswertung ein solcher Zusammenhang nicht gesichert ist und es sich bei den positiven Studien vielmehr um statistisch zufällige Ereignisse handle. Dr. F. zitiert ebenfalls eine Reihe von Studien und kommt danach jedoch genau zum gegenteiligen Ergebnis. Die wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 geht hingegen ebenfalls davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen einer Benzolexposition und der Verursachung eines Multiplen Myeloms unter bestimmten Voraussetzungen bestehen kann.

Die Kammer hingegen kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass sowohl Dr. E. als auch Dr. F. eine ganze Reihe an Studien zitieren, die teilweise einen Zusammenhang bestätigen und teilweise einen solchen Zusammenhang nicht nachweisen können. Solange die unterschiedlichen Studien jedoch hier zu so divergierenden Ergebnissen kommen, kann die Kammer nicht davon ausgehen, dass ein Zusammenhang zwischen einer Benzolexposition und dem Vorliegen eines Multiplen Myeloms besteht. Vielmehr steht für die Kammer nach der Einholung der Gutachten fest, dass sich die Wissenschaft insoweit noch nicht einig ist und daher von gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Benzolexposition und der Entstehung eines Multiplen Myeloms nicht ausgegangen werden kann. Solange jedoch solche gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse fehlen, ist die Anerkennung der Berufskrankheit nicht möglich.

Jedoch selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Benzolexposition grundsätzlich in der Lage ist, ein Multiples Myelom zu verursachen, kann dies im vorliegenden Fall nicht die Anerkennung der BK 1318 begründen. Denn ausweislich der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 ist dafür jedenfalls eine hohe, wenn nicht sogar eine extreme Benzolbelastung über einen langen Zeitraum notwendig. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen sind sich sämtliche Sachverständige einig, dass eine solche Expositionsintensität beim Kläger in keinem Fall vorgelegen hat. Vielmehr ist beim Kläger von einer niedrigen Benzolexposition auszugehen. Damit ist also selbst nach der Annahme der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 das Vorliegen des Zusammenhangs zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung des Multiplen Myeloms beim Kläger auszuschließen.

Insoweit kann die Kammer die Argumentation im Gutachten des Dr. F. nicht nachvollziehen. Dieser führt zum einen aus, dass er das Vorliegen einer Dosis-Wirkungs-Beziehung annimmt und daher für ihn sogar die konkrete Berechnung der ppm-Benzoljahre für die Beurteilung des Sachverhalts wichtig sei. Auf der anderen Seite kommt er dann zu dem Schluss, dass bei einer unbekannten, aber in jedem Falle niedrigen Benzolexposition der Zusammenhang beim Kläger als wahrscheinlich anzunehmen sei. Dies stellt für die Kammer eine widersprüchliche Argumentationsweise dar. Denn gerade wenn eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, bedeutet es, dass eine hohe Exposition eine wahrscheinliche Verursachung bedeutet und eine niedrige Exposition gerade gegen einen Zusammenhang spricht. Weshalb der Sachverständige nun bei der niedrigen Exposition den Zusammenhang für wahrscheinlich hält, erklärt er nicht.

Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass in den Ausführungen des Sachverständigengutachtens immer nur die Rede davon ist, dass Benzol ein Multiples Myelom verursachen "kann" bzw. auch eine niedrige Exposition zu Benzol zu einem Multiplen Myelom führen "kann". Damit führt Dr. F. jedoch nur aus, dass die Möglichkeit eines Zusammenhangs besteht. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt jedoch nicht, um schon die Wahrscheinlichkeit zu begründen. Eine Möglichkeit verdichtet sich erst dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn insgesamt mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht. Hier fehlen jedoch sämtliche Ausführungen des Sachverständigen, die gerade diese Wahrscheinlichkeitsbeurteilung begründen.

Auf der anderen Seite wird im Gutachten des Dr. E. beschrieben, dass die Ätiologie des Multiplen Myeloms eben nicht abschließend geklärt ist und es eine Vielzahl an Risikofaktoren gibt, die dieses verursachen können. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es notwendig, um die Berufskrankheit zu bejahen, dem Einflussfaktor der Benzolexposition im Verhältnis zu den weiteren Risikofaktoren eine geradezu überwiegende Bedeutung zuzumessen. Gerade dies geht aus den eingeholten Sachverständigengutachten jedoch nicht zur Überzeugung der Kammer hervor. Dr. E. positioniert sich insoweit sogar eindeutig gegen die Anerkennung eines Zusammenhangs, wohingegen die Ausführungen des Dr. F. lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs begründen, aber eben nicht dessen Wahrscheinlichkeit.

Dafür, dass eben gerade nicht die Benzolexposition, sondern andere Ursachen für die Entstehung des Myeloms verantwortlich sind, spricht nach Auffassung der Kammer auch der Zeitpunkt der Erstdiagnose beim Kläger. Bei ihm wurde die Erkrankung im Alter von 57 Jahren erstmals festgestellt. Insoweit führen sowohl Dr. E. als auch Dr. F. übereinstimmend aus, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter deutlich steigt. Insbesondere sei ab dem 50. Lebensjahr mit einer erheblichen Zunahme der Erkrankungswahrscheinlichkeit zu rechnen, wohingegen Erkrankungen vor dem 35. Lebensjahr eher selten seien. Damit steht aber für die Kammer fest, dass die Erkrankung im Alter von 57 Jahren nicht als ungewöhnliche Vorverlagerung des Erkrankungszeitpunkts gelten kann. Denn schließlich haben beide Sachverständigen ausgeführt, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeit ab dem 50. Lebensjahr erheblich zunimmt. Damit steht für die Kammer jedoch fest, dass die Erkrankung im Alter von 57 Jahren gerade nicht als auffällige Vorverlagerung des Erkrankungszeitpunkts zu werten ist.

Alles in allem ist die Kammer daher nicht davon überzeugt, dass ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Benzolexposition des Klägers und der Entstehung des Multiplen Myeloms besteht. Die Kammer zweifelt aufgrund der divergierenden Studien schon an, dass überhaupt gesichert ist, dass ein Zusammenhang zwischen der Benzolexposition und der Entstehung des Multiplen Myeloms besteht. Darüber hinaus wäre, selbst wenn man diesen Zusammenhang annimmt, aufgrund der von sämtlichen Sachverständigen angeführten Dosis-Wirkungs-Beziehung eine hohe bis extreme Exposition notwendig, welche beim Kläger ebenfalls nicht nachgewiesen werden konnte. Insoweit konnte eine Anerkennung der BK 1318 der Anlage 1 zur BKV nicht erfolgen und die Klage war insgesamt abzuweisen.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass es sich bei Prof. Dr. F. um einen Gutachter handelt, der noch voll in den wissenschaftlichen Betrieb eingebunden ist, wohingegen Dr. E. sich bereits im Ruhestand befinde, kann die Kammer dem keine große Bedeutung beimessen. Denn die Reputation eines Sachverständigen ist kein losgelöstes Merkmal, das darüber entscheidet, ob einem Gutachten gefolgt werden kann oder nicht. Vielmehr kommt es darauf an, ob ein Gutachten in sich schlüssig und logisch ist und daher aus sich selbst heraus und seiner Argumentationsstruktur eine Überzeugungskraft entfaltet. Weiter oben wurde bereits ausgeführt, welche Ausführungen des Dr. F. die Kammer nicht überzeugen und weshalb sie daher dem Gutachten des Dr. E. folgt.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

 

 

Rechtskraft
Aus
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