Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 27. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum 16. Februar 2019 bis 7. Juni 2020.
Die Klägerin erkrankte am 10. Dezember 2018 arbeitsunfähig mit der Diagnose F48.0G (Neurasthenie, gesichert) sowie ab dem 15. April 2019 hinzutretend Z73G (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung, gesichert). Ab dem 24. Dezember 2018 war sie aufgrund eigener Kündigung vom 10. Dezember 2018 arbeitslos. Unter dem 21. Januar 2019 wurde der Klägerin eine Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt, die bis zum 15. Februar 2019 (einem Freitag) reichte. Die nachfolgende AU-Bescheinigung stammte vom 19. Februar 2019 (Dienstag) und datierte bis zum 15. März 2019. Es folgten weitere lückenlose AU-Bescheinigungen bis zum 29. Juni 2020.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2019 bewilligte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab 21. Januar 2019. Mit weiterem (streitgegenständlichem) Bescheid vom 5. März 2019 bewilligte sie die Zahlung von Krankengeld bis einschließlich 15. Februar 2019 und lehnte eine Krankengeldzahlung hierüber hinaus ab. Nachdem die vorgehende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) bis zum 15. Februar ausgestellt worden sei, habe die Klägerin sich eine Folge-AU-Bescheinigung spätestens am Montag, den 18. Februar 2019, ausstellen lassen müssen. Aufgrund der verspäteten AU-Bescheinigung vom 19. Februar 2019 könne kein weiteres Krankengeld gezahlt werden.
Unter dem 18. März 2019 reichte die Klägerin eine „korrigierte“ AU-Bescheinigung ein, die in Ausstellungs- und Feststellungsdatum der AU auf den 18. Februar 2019 lautete. Am 21. März 2019 widersprach sie der Einstellung des Krankengeldes telefonisch sowie schriftlich. Am Telefon führte sie nach dem vorliegenden Aktenvermerk aus, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 18. Februar 2019 nach einer persönlichen Untersuchung durch ihre behandelnde Ärztin in der Praxis erfolgt sei, sie versehentlich aber heimgegangen sei, ohne sich zuvor eine AU-Bescheinigung an der Rezeption geben zu lassen. Am nächsten Tag sei die AU dann versehentlich erst unter (und ab) dem 19. Februar 2019 bestätigt worden. In ihrem schriftlichen Widerspruch schilderte sie nur, dass ihre Ärztin die weitere AU am 18. Februar 2019 „festgestellt“ habe, diese aber aufgrund eines Versehens des Praxispersonals erst am 19. Februar 2019 ausgedruckt worden sei. Diesen Ablauf bestätigte die Ärztin Dr. F. handschriftlich auf dem Widerspruchschreiben.
In einem von der Beklagten daraufhin übersandten Arzt- Fragebogen gab die Ärztin an, dass die Klägerin am 18. Februar 2018 ihre Telefonsprechstunde in Anspruch genommen habe. Im Trubel habe sie (die Ärztin) vergessen, die AU-Bescheinigung fertig zu machen. Auf Nachfrage der Klägerin sei die AU-Bescheinigung dann am 19. Februar 2019 ausgestellt worden. Hierbei habe der PC das aktuelle Ausstellungsdatum übernommen; die erforderliche „händische“ Korrektur sei aufgrund eines Versehens unterblieben. Zugleich legte Dr. F. einen Auszug aus der Patientenkarte vor, die folgende Eintragungen unter dem 18. Februar 2019 enthält: „03230“, „AU Folgebescheinigung bis zum 15.03.2019“ und „F48.0G Überlastungssyndrom“. Unter dem 19. Februar 2019 finden sich keine Eintragungen.
Mit Bescheid vom 1. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie berief sich darauf, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -) das Krankengeld zwar auch dann weiter zu gewähren sei, wenn es zu einer nicht rechtzeitigen AU-Bescheinigung aufgrund einer nichtmedizinischen Fehleinschätzung des Arztes gekommen sei, dass dies aber nur unter engen Voraussetzungen gelte. Insbesondere müsse es am maßgeblichen Tag einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gegeben habe. Ein telefonischer Kontakt reiche hierfür nicht aus (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 25/14 R -). Erforderlich sei vielmehr eine ärztliche Beratung bzw. Behandlung in der Praxis. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11. Mai 2017 könne daher nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die Klägerin sei ab dem 16. Februar 2018 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen.
Hiergegen richtete sich die am 28. August 2019 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage. Die Klägerin trug vor, dass sie um einen Termin am 18. Februar 2018 gebeten habe, ihre Ärztin ihr aber dazu geraten habe, erst am 19. Februar 2019 zu erscheinen aufgrund der Erkältungswelle und eines darum vollen Wartezimmers. Sie habe dann die für den 18. Februar 2019 ausgestellte AU-Bescheinigung abholen sollen. Dass die Bescheinigung versehentlich unter dem 19. Februar 2019 ausgestellt worden sei, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen. Sie habe vielmehr alles Erforderliche getan, um eine lückenlose AU-Bescheinigung zu erhalten. Der Irrtum ihrer Ärztin könne nicht ihr angelastet werden. Vielmehr habe das Bundessozialgericht auf den Wortlaut der AU-Richtlinien hingewiesen, wonach eine Bescheinigung „in der Regel nicht für einen mehr als 7 Tage zurückliegenden Zeitraum“ erteilt werden könne. Dies stehe im Widerspruch zur Regelung in § 46 SGB V. Darüber hinaus sei das Postulat eines persönlichen Kontaktes zwischen Arzt und Patient nicht mehr zeitgemäß. Laut Musterberufsordnung aus 2018 könne eine Behandlung auch über andere Kommunikationswege erfolgen.
Mit Urteil vom 27. Mai 2020 hat das Sozialgericht Wiesbaden die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Zahlung von Krankengeld sei § 44 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 46 SGB V. Danach hätten Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig mache. Dabei entstehe der Anspruch auf Krankengeld vom Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V). Der Anspruch auf Krankengeld bleibe jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt werde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolge. Samstage gälten insoweit nicht als Werktage (§ 46 Satz 2 SGB V).
Vorliegend habe die Klägerin eine AU-Bescheinigung vorgelegt, die für den Zeitraum vom 21. Januar 2019 bis zum 15. Februar 2019 (Freitag) ausgestellt worden sei. Angesichts der Wochenendregelung hätte sie sich somit spätestens am Montag, den 18. Februar 2019 eine weitere Folge-AU-Bescheinigung ausstellen lassen müssen. Dies sei indes nicht erfolgt. Vielmehr sei die weitere Folge-AU-Bescheinigung erst am Dienstag, den 19. Februar 2019 ausgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Nach § 190 Abs. 2 SGB V ende die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Beschäftigter mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt ende. Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibe darüber hinaus erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld bestehe oder diese Leistung bezogen werde (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Vorliegend sei die Klägerin seit dem 24. Dezember 2018 arbeitslos gewesen und die Mitgliedschaft aus dem Beschäftigungsverhältnis so lange erhalten geblieben, wie Krankengeld gezahlt worden sei. Da die Klägerin für den 18. Februar 2019 keine AU-Bescheinigung vorzuweisen gehabt habe, habe zu diesem Zeitpunkt ihre Mitgliedschaft geendet. Die dann am 19. Februar 2019 ausgestellte Bescheinigung könne eine Mitgliedschaft daher nicht weiter begründen. Gemäß § 4 Abs. 1 der AU-Richtlinien setze die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arzt voraus, dass eine ärztliche Untersuchung erfolge. Dies sei am besagten Tag indes nicht erfolgt. Vielmehr sei die Klägerin am 18. Februar 2019 lediglich mit der behandelnden Ärztin in telefonischen Kontakt getreten. Eine derartige Kontaktaufnahme reiche nach der bereits bekannten und zitierten BSG-Rechtsprechung indes nicht aus. Die „Feststellung“ der Arbeitsunfähigkeit sei kein nur praxisinterner Vorgang, sondern müsse nach außen dokumentiert worden sein. Das BSG habe lediglich wenige Ausnahmen anerkannt, wenn z.B. die AU- Feststellung durch Umstände verhindert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen seien, d.h. etwa von der Krankenkasse zu vertretende Organisationsmängel vorlägen sowie bei Nichterteilung einer AU-Bescheinigung wegen irrtümlich verneinter AU aufgrund einer ärztlichen Fehlbeurteilung (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 8. November 2005 - B1 KR 30/04 R -, Urteil vom 10. Mai 2012 - B 1 KR 19/11 R - und Urteil vom 16. Dezember 2014 - B1 KR 37/14 R -, juris). Nach der zitierten Rechtsprechung müsse der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan haben, um seine Ansprüche zu wahren, indem er innerhalb der anspruchsbegründenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert habe, um die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Krankengeldanspruchs zu erreichen.
Zwar möge der Klägerseite zuzugestehen sein, dass auch Behandlungen über neue Kommunikationswege möglich sein sollten. Hier stehe die Gewährung von Krankengeld indes in untrennbarem Zusammenhang mit den AU-Richtlinien, die nach wie vor (abgesehen von der zeitlich befristeten Ausnahmesituation im Zusammenhang mit SARS-CoV-2) eine persönliche Untersuchung der Versicherten voraussetzten (§ 4 Abs. 1 AU- Richtlinie).
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 2. Juni 2020 zugegangene Urteil hat die Klägerin am 1. Juli 2020 Berufung eingelegt. Die Klägerin habe alles ihr zumutbare getan, um eine rechtzeitige AU-Feststellung herbeizuführen. Es sei die Entscheidung der behandelnden Ärztin Dr. F. gewesen, sich angesichts des ihr wohlbekannten Krankheitsbildes der Klägerin bereits im Rahmen des mit dieser geführten Telefonats eine Meinung darüber zu bilden, das Arbeitsunfähigkeit fortbestehe, und die Klägerin zu bitten, die entsprechende AU-Bescheinigung erst am Folgetag in der Praxis abzuholen. Der Fall sei damit so zu behandeln, als habe die Klägerin sich am 18. Februar 2019 in die Praxis begeben und sei dort abgewiesen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 27. Mai 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab dem 16. Februar 2019 bis zum 7. Juni 2020 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. § 46 Satz 1 SGB V setze unabdingbar sowohl bei der Erstfeststellung als auch bei nachfolgenden Feststellungen der AU die persönliche Untersuchung des Versicherten durch den Arzt voraus. Die Klägerin habe – mit Ausnahme des 18. Februar 2019 – lückenlose AU-Bescheinigungen bis zum 29. Juni 2020 vorgelegt. Die Höchstanspruchsdauer für das Krankengeld wäre am 7. Juni 2020 erschöpft gewesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die schriftliche Zeugenvernehmung der Dr. F., die unter dem 26. Oktober 2020 schriftlich wie folgt aussagte:
„Im Rahmen der üblichen Telefonsprechstunde bat [die Klägerin] mich, die AU-Bescheinigung (Erstausstellung 10.12.2018) zu verlängern, da es ihr zu diesem Zeitpunkt in keiner Hinsicht besser ging. [...] Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt fand im Rahmen dieser Telefonsprechstunde statt, da es durchaus Situationen gibt, in denen Ärzte ausreichend medizinisch beurteilen und beraten können, ohne den Patienten zu sehen. [...] Wäre ich nicht dieser Auffassung gewesen, hätte ich die AU-Bescheinigung aufgrund des telefonischen Kontaktes nicht ausgestellt.“
Einer durch den Senat vorgeschlagenen vergleichsweisen Einigung hat die Beklagte sich nicht angeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 5. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin kommt der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld für den Zeitraum 16. Februar 2019 bis 7. Juni 2020 nicht zu.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld sind §§ 44, 46 SGB V in der vom 23. Juli 2015 bis zum 10. Mai 2019 geltenden und vorliegend anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Art. 20 Abs. 1 GKV-Versorgungsstärkungsgesetz <GKV-VSG> vom 16. Juli 2015, BGBl I S. 1211; im Folgenden: a.F.) in Verbindung mit § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V.
Nach § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V a.F. haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld unter anderem dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für das Krankengeld vorliegt (stRspr, vgl. nur BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, juris, Rn. 15). Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. entsteht der Anspruch auf Krankengeld (erst) von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von Arbeitsunfähigkeit anschließende Folgefeststellungen (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, juris, Rn. 14 m.w.N.). Der Anspruch auf Krankengeld bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage, § 46 Abs. 1 Satz 2 SGG a.F. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestimmt ergänzend, dass eine zum Bezug von Krankengeld berechtigende Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger über das Ende des Versicherungstatbestandes hinaus erhalten bleibt, solange der Anspruch auf Krankengeld besteht oder diese Leistung bezogen wird. Die Vorschrift verweist damit zurück auf den Entstehungstatbestand des Krankengeldanspruchs.
Die ärztliche Feststellung im Sinne des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V setzt hierbei grundsätzlich unabdingbar sowohl bei der Erstfeststellung der AU als auch bei nachfolgenden Feststellungen die persönliche Untersuchung des Versicherten durch einen Arzt voraus (ausführlich BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R -, juris, Rn. 13; vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V in der vorliegend anwendbaren, am 24. Dezember 2016 in Kraft getretenen Fassung).
Dies zugrunde gelegt hätte die behandelnde Ärztin Dr. F., nachdem die von ihr ausgestellte AU-Bescheinigung vom 21. Januar 2019 am Freitag, dem 15. Februar 2019, endete, spätestens am Montag, dem 18. Februar 2019, im Rahmen einer persönlichen Untersuchung der Klägerin den Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit feststellen müssen. Dies ist, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nicht erfolgt. Stattdessen fand am 18. Februar 2019 lediglich ein telefonischer Arzt-Patienten-Kontakt statt, auf dessen Grundlage die Ärztin die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Patientenakte dokumentierte. Darauf, dass die entsprechende AU-Bescheinigung erst am Folgetag, dem 19. Februar 2019, tatsächlich ausgestellt wurde, als die Klägerin in der Praxis erschien, um ihre AU-Bescheinigung abzuholen, kam es daneben bereits nicht mehr an. Das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld endete am 15. Februar 2019.
Es ist auch kein Fall gegeben, der unter die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fiele, nach der ausnahmsweise eine Nachholung der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung und damit die nachträgliche Schließung einer Lücke in den AU-Bescheinigungen ausnahmsweise möglich ist.
Grundsätzlich hat der Versicherte im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche AU-Feststellung erfolgt (stRspr, vgl. nur BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, juris, Rn. 17 m.w.N.). In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind zum Erfordernis der lückenlosen AU-Feststellung jedoch eng umgrenzte Ausnahmen anerkannt worden. So hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 11. Mai 2017 (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, juris) unter Fortentwicklung und Teilaufgabe früherer Rechtsprechung entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 1 KR 37/14 R -, juris, Rn. 24 m.w.N.), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeitsfeststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen Krankenkasse zuzurechnen ist. Danach steht dem Krankengeldanspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung nicht entgegen, wenn
1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um
(a) die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und
(b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch erfolgt ist,
2. er an der Wahrung der Krankengeldansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), und
3. er – zusätzlich – seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der AU erhalten (BSG, Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, juris, Rn. 20 f.).
Einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ist es nach der zuletzt zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts und damit in Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung gleichgestellt, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist. Hierfür spricht – so das BSG, dem der Senat sich aus eigener Überzeugung anschließt – insbesondere, dass sich Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln auch am Rechtsgedanken von Treu und Glauben (vgl. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] auszurichten haben. Dieser findet auch im Bereich der Sozialversicherung Anwendung. Versicherungsträger aller Zweige dürfen sich daher z. B. nicht auf die Versäumung einer dem geltend gemachten Leistungsanspruch entgegenstehenden Ausschlussfrist berufen, wenn sie die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert haben. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB, nach dem in dem Fall, in dem der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil der Eintritt gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert wird, diese Bedingung (gleichwohl) als eingetreten gilt. § 162 Abs. 1 BGB liegt damit der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand – auch kein Träger öffentlicher Verwaltung – aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf (BSG, a.a.O., Rn. 25 f.). In diesem Sinne dürfen auch Krankenkassen gegenüber dem Krankengeldanspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche Arzt-Patienten-Kontakt sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die
1. in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen, und die
2. auch den Krankenkassen zuzurechnen sind (BSG, a.a.O., Rn. 22, 27).
Erforderlich ist insofern aber nicht nur eine (nichtmedizinische) Fehleinschätzung des Arztes des Versicherten. Voraussetzung ist vielmehr auch die Existenz von Normen oder Grundsätzen, die eine Zurechnung des Verhaltens der Arztpraxis auf die Krankenkasse ermöglichen (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2019 - B 3 KR 6/18 R -, juris, Rn. 30; Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, BSGE 123, 134 = juris, Rn. 29 ff.). Eine solche Zurechnung fehlerhaften Arztverhaltens zu den Krankenkassen (bezogen auf deren Sozialversicherungsverhältnis zu ihren Versicherten) hat das Bundessozialgericht etwa mit der missverständlichen Fassung der AU-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) begründet, für die die Krankenkassen mit verantwortlich zeichnen und die es den Vertragsärzten ausdrücklich erlaubt, eine zeitlich begrenzte Rückdatierung und rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vorzunehmen, ohne dass die Richtlinie zugleich deutlich auf die damit verbundenen ganz erheblichen leistungsrechtlichen Nachteile für die Krankengeldansprüche der Versicherten hinweist (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R -, BSGE 123, 134 = juris, Rn. 31 ff.; Urteil vom 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R -, juris, Rn. 28). In einem anderen Fall hat es eine besondere Vertrauensgrundlage und damit Grundlage für die Zuweisung des Übermittlungsrisikos bei der Übersendung von AU-Bescheinigungen darin gesehen, dass die Krankenkasse den Ärzten Freiumschläge für die Übersendung überlassen und damit den Eindruck erweckt hatte, der Arzt trete berechtigterweise für sie als Übermittler der AU-Bescheinigungen auf. Es sei insofern gerechtfertigt, als Zurechnungsgrundlage Rechtsgedanken heranzuziehen, die in ähnlicher Weise für die einen Geschäftsherrn treffende Verantwortlichkeit für die Vornahme von Rechtshandlungen Dritter nach den Grundsätzen über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht anerkannt seien (BSG, Urteil vom 8. August 2019 - B 3 KR 6/18 R -, juris, Rn. 31 ff.).
Gemessen an den dargelegten Grundsätzen ist ein zugunsten der Klägerin wirkender Ausnahmefall vorliegend nicht anzunehmen. Gegen die Annahme eines Ausnahmefalles spricht insofern allerdings nicht die verspätete Ausstellung der AU-Bescheinigung erst unter dem 19. Februar 2019; diese wäre bei einem tatsächlich stattgehabten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt im Ergebnis unschädlich gewesen. Eine die bestehende Lücke in der AU-Feststellung schließender Ausnahmefall ist vorliegend aber nicht ausgeschlossen, weil der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt zur Feststellung der AU zu spät stattgefunden hätte, sondern vielmehr, weil ein solcher Kontakt gar nicht – weder am 18. Februar 2019 noch nachträglich am 19. Februar 2019 – stattfand. Nach übereinstimmender Aussage der Dr. F. wie auch der Klägerin traf die Ärztin die Feststellung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit vielmehr allein aufgrund einer telefonischen Feststellung des Gesundheitszustandes der Klägerin. Ob die Klägerin dabei annehmen durfte, dass diese durch ihre Ärztin getroffene Entscheidung rechtlich zulässig sei und ihren Anspruch auf Krankengeld wahre, kann dabei im Ergebnis offenbleiben. Allerdings spricht aus Sicht des Senats viel dafür, dass auch in der Laiensphäre bekannt sein dürfte, dass die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die tatsächliche Untersuchung bzw. Inaugenscheinnahme des Versicherten durch den Arzt voraussetzt. Im Ergebnis kommt es hierauf jedoch nicht an. Denn in jedem Fall ist keine Grundlage dafür erkennbar, auf der das geschilderte Verhalten der Ärztin Dr. F. der Beklagten zugerechnet werden könnte. Eine solche Grundlage ergibt sich insbesondere nicht aus den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien des GBA. Anders als in Bezug auf die rückwirkende Feststellung von Arbeitsunfähigkeit verhalten sich diese zu den an die Form der Feststellung der AU zu stellenden Anforderungen nämlich eindeutig. Gemäß § 4 Abs. 1 der am 24. Dezember 2016 in Kraft getretenen und im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung der Richtlinie waren danach bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der körperliche, geistige und seelische Gesundheitszustand der oder des Versicherten gleichermaßen zu berücksichtigen (Satz 1), weshalb die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit und die Empfehlung zur stufenweisen Wiedereingliederung nur auf Grund ärztlicher Untersuchung erfolgen durfte (Satz 2). Der AU-Richtlinie war damit eindeutig zu entnehmen, dass eine telefonische AU-Feststellung nicht den rechtlichen Anforderungen entsprechen konnte, die an eine solche Feststellung zu richten sind. Auch andere Zurechnungstatbestände sind hier nicht erkennbar. Dass die Ärztin der Klägerin rechtsfehlerhaft eine AU-Folgebescheinigung allein aufgrund eines telefonischen Kontaktes ausstellte, ist der Beklagten danach nicht zuzurechnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.