L 3 BA 51/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 BA 15/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 3 BA 51/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Soweit vom Insolvenzverwalter aufgrund fehlerhafter Berechnung Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig entrichtet worden sind, können sie nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Arbeitgeber durch Beitragsbescheid festgesetzt werden.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. November 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Den Beigeladenen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger Schuldner der Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) ist.

Der Kläger war Inhaber des Einzelunternehmens „T. .... “ in W.. Ihm wurde die Betriebsnummer .... zugeordnet. Er beschäftigte die Beigeladenen zu 1. bis 5 in seinem Unternehmen. Am 29. Juni 2012 wurde das Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt (Eröffnungsbeschluss vom 29. Juni 2012, Amtsgericht M., Az. ....  [371]). Insoweit wird auf Blatt 32 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen zunächst fort. Hierzu wurde ihm antragsentsprechend die Betriebsnummer ...  erteilt. Die Beigeladenen zu 1. bis 5. wurden vom 29. Juni bis zum 31. Juli 2012 unter dieser neuen Betriebsnummer weiterbeschäftigt. Die am 16. Oktober 2012 von der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland durchgeführte Betriebsprüfung ergab - bezogen auf den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Juni 2012 - keine Beitragsnachberechnungen (Bescheid vom 16. Oktober 2012).

Das Insolvenzverfahren wurde nach dem Vollzug der Schlussverteilung am 19. Januar 2016 aufgehoben. Gleichzeitig wurde bekannt gemacht, dass die Wohlverhaltensphase des Klägers im Restschuldbefreiungsverfahren am 29. Juni 2018 enden werde. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 36, 37 der Gerichtsakte verwiesen.

Auf der Grundlage einer Betriebsprüfung, durchgeführt in der Zeit vom 9. Dezember 2016 bis zum 13. Juni 2017, bezogen auf den Prüfzeitraum vom 29. Juni bis zum 30. September 2012, forderte die Beklagte - nach vorheriger Anhörung - vom Kläger Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 2.181,90 € nach. Die Beitragsnachweise für Juli 2012 seien für die Beigeladene zu 6. sowie für die Barmer GEK und IKK gesund plus zu korrigieren. Bei der Beitragsberechnung seien falsche Berechnungsgrundlagen (fehlerhafte Entgelte der Arbeitnehmer) verwendet worden. Dementsprechend seien die Beiträge für die Entgeltdifferenzen nachberechnet worden. Soweit Beiträge im Zeitraum zwischen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und Bestätigung eines Insolvenzplans nicht gezahlt worden seien, seien diese im Rahmen von Betriebsprüfungen geltend zu machen. Diese Geltendmachung könne - in Anbetracht der Aufhebung des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit der Planbestätigung - in der Regel nur gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber erfolgen, der im Rahmen des Insolvenzplanes seine wirtschaftliche Tätigkeit fortsetze. Hinsichtlich nicht entrichteter Beiträge für weiterbeschäftigte Arbeitnehmer bestehe die Besonderheit des § 61 Insolvenzordnung (InsO), der eine Haftung des Verwalters für die Nichterfüllung der von ihm selbst begründeten Masseverbindlichkeiten vorsehe. Eine Geltendmachung von Beiträgen im Rahmen der Betriebsprüfung unter Berufung auf diese Vorschrift erfolge nicht. Die Beiträge für weiterbeschäftigte Arbeitnehmer seien vom bisherigen Arbeitgeber zu fordern, der seine wirtschaftliche Tätigkeit fortsetze. Soweit das Insolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Forderung von Beiträgen bereits abgeschlossen sei, könnten diese - im Rahmen der Betriebsprüfung - nicht mehr gegenüber dem (ehemaligen) Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Die Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten gegenüber dem ehemaligen Insolvenzverwalter scheide aus, da dieser mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 200 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen (inklusive der Geschäftsunterlagen) verliere. In der Anlage sind Korrektur-Beitragsnachweise für Juli 2012 beigefügt (1.807,64 € zugunsten der IKK gesund plus, 306,22 € zugunsten der Beigeladenen zu 6. und 68,04 € zugunsten der Barmer GEK; Bescheid vom 13. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2017).

Mit der hiergegen am 22. Januar 2018 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 13. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2017 verfolgt und geltend gemacht, der angefochtene Bescheid richte sich an den falschen Beteiligten. Nicht er, sondern der Insolvenzverwalter sei unter der Betriebsnummer .... als Arbeitgeber geführt. Dieser habe auch die fehlerhaften Meldungen zur Sozialversicherung zu vertreten. Er - der Kläger - habe mit Ausnahme der Tatsache, dass es sich um ein Insolvenzverfahren über ein von ihm geführtes Unternehmen handle, nichts mit diesen Abrechnungen zu tun. Er habe sie weder veranlasst noch anderweitig zu vertreten. Hieran ändere auch die Tatsache nichts, dass das eigentliche Insolvenzverfahren formal am 19. Januar 2016 aufgehoben und damit abgeschlossen sei und er sich nunmehr im Restschuldbefreiungsverfahren befinde. Seine Befugnisse hätten mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet. Ab diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr Arbeitgeber und damit auch nicht für eventuell fehlerhafte Meldungen verantwortlich gewesen. Arbeitgeber sei im fraglichen Zeitraum ausschließlich der Insolvenzverwalter gewesen. Auch der Hinweis auf die Haftungsvorschriften der §§ 60, 61 InsO verfange nicht, da der Insolvenzverwalter sein Unternehmen nicht unter der alten Betriebsnummer weitergeführt, sondern eine neue Betriebsnummer für das Unternehmen beantragt habe. Auch habe er - der Kläger - es nicht zu vertreten, dass nunmehr nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Nachforderung von Beiträgen gegenüber dem vormaligen Insolvenzverwalter gemäß § 200 InsO ausscheide. Die Beklagte habe sich mit der - dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden - Betriebsprüfung gut vier Jahre Zeit gelassen. Dies erstaune umso mehr, als sie das Unternehmen unter dessen ursprünglicher Betriebsnummer während des Insolvenzverfahrens betreffend den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 (gemeint: 1. Januar 2010) bis zum 29. Juni 2012 überprüft habe, ohne dass es hierbei zu Feststellungen gekommen sei. Schließlich sei der geltend gemachte Gesamtbetrag in Bezug auf die im vormaligen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht nachzuvollziehen.

Die Beklagte hat in der Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass der Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers berührt werde. Die Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung bestehe auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bis zur rechtlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses fort. Der Insolvenzverwalter trete an die Stelle des Arbeitgebers. Er habe das Arbeitsentgelt aus der Insolvenzmasse zu zahlen. Die Beiträge für die für das insolvente Unternehmen weiterbeschäftigten Arbeitnehmer seien sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter müsse den Einzugsstellen diese Beiträge in einem Beitragsnachweis nach § 28f Abs. 2 SGB IV nachweisen. Er habe daneben die erforderlichen Meldungen nach der DEÜV zu erstatten. Die Beitragsforderung bestehe für den Zeitraum bis zum arbeitsrechtlichen Ende der Beschäftigungsverhältnisse. Hier habe der zuständige Insolvenzverwalter von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht nach § 113 Abs. 2 InsO Gebrauch gemacht und alle Arbeitnehmer des Klägers zum 31. Juli 2012 gekündigt. Die hier streitigen Nachforderungen für den Juli 2012 könnten ausschließlich Masseverbindlichkeiten sein, da sie erst nach Insolvenzeröffnung angefallen und somit zwangsläufig nicht Gegenstand des Insolvenzverfahrens sowie der im Rahmen dieses Verfahrens durch den Kläger beantragten Restschuldbefreiung seien. Der Geltendmachung einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen durch Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid stehe ein insolvenzrechtliches Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nicht entgegen. Denn der Leistungs- und Zahlungsbescheid des prüfenden Rentenversicherungsträgers nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV schaffe erst die Grundlage für das Beitragsverfahren. Ob ein solcher Bescheid dann vollstreckt werden dürfe oder ob die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheide, sei erst auf einer späteren Ebene von den Krankenkassen (als Einzugsstellen) beim Einzug der Beiträge und in einem letzten, selbstständigen Verfahrensabschnitt zu prüfen, sofern die vom Arbeitgeber geschuldete Beitragssumme nicht freiwillig gezahlt werde (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 28. Mai 2015 - B 12 R 16/13 R-, juris, RdNr. 21 ff.). Diese Grundsätze fänden auch für den vorliegenden Fall einer Nachforderung gegen den Kläger als (früheren) Arbeitgeber in der sogenannten Treuhandphase bis zur endgültigen Entscheidung über die Erteilung einer Restschuldbefreiung Anwendung. Sofern der Gesetzgeber Masseverbindlichkeiten in die Restschuldbefreiung hätte einbeziehen wollen, hätte er den Anwendungsbereich des § 301 InsO nicht ausdrücklich auf Insolvenzgläubiger beschränkt. Da der ehemalige Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung keine Verwaltungs- und Verfügungsgewalt mehr innegehabt habe, sei die Bescheidadressierung zutreffend an den Kläger erfolgt. Auch habe der Insolvenzverwalter lediglich im Namen des Klägers die neue Betriebsnummer beantragt, um eine „saubere“ Trennung der Masseverbindlichkeiten ab der Insolvenzeröffnung am 29. Juni 2012 von den bisherigen Forderungen vor der Insolvenzeröffnung zu erreichen, da nur diese Forderungen bis zum 28. Juni 2012 Gegenstand des am 19. Juni 2016 abgeschlossenen Insolvenzverfahrens gewesen seien. Nur dadurch werde der Insolvenzverwalter jedoch nicht zum offiziellen Arbeitgeber der betroffenen Arbeitnehmer über den Abschluss des Insolvenzverfahrens hinaus. Dessen Verfügungsgewalt beschränke sich auf die Dauer des Insolvenzverfahrens. Mit Abschluss des Insolvenzverfahrens erhalte der ursprüngliche Arbeitgeber diese Funktion wieder, da der Insolvenzverwalter gemäß § 200 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das insolvenzbefangene Vermögen (inklusive der Geschäftsunterlagen) verliere. Durch die Rückgabe der originären Arbeitgeberfunktionen sei der Arbeitgeber nunmehr auch wieder Beitragsschuldner gegenüber den Einzugsstellen und gemäß § 28e SGB IV zur Beitragszahlung verpflichtet. Im Sozialversicherungsrecht sei hierbei unerheblich, wer die Zahlungsverpflichtung zu vertreten bzw. verursacht habe. Das SGB IV stelle allein auf den Arbeitgeberbegriff ab. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens trete der Insolvenzverwalter aus seinen Verpflichtungen zurück, auch wenn dieser die Forderungen aus Masseverbindlichkeiten zu vertreten habe. Zudem hafte der Insolvenzverwalter nur beschränkt im Sinne des § 80 InsO, sodass für die zu wenig abgeführten Sozialversicherungsbeiträge allein der Kläger hafte. Nachfolgend hat sie die Berechnung der Nachforderungen nochmals im Einzelnen erläutert. Insoweit wird auf Blatt 56 f. der Gerichtsakten verwiesen. Schließlich hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die letzte Betriebsprüfung unter der alten Betriebsnummer des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Juni 2012 durch die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland am 16. Oktober 2012 im Rahmen einer Insolvenzeröffnungsprüfung erfolgt sei. Damit sei die von ihr durchgeführte Betriebsprüfung regulär im Jahr 2016 (am 9. Dezember 2016) begonnen und mit der Bescheiderteilung am 13. Juni 2017 beendet worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. November 2021 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Zurecht habe die Beklagte für den Prüfzeitraum vom 29. Juni bis zum 30. September 2012 eine Nachforderung von Beiträgen i.H.v. 2.181,90 € gegen den Kläger geltend gemacht. Der Insolvenzverwalter habe nicht Adressat der Forderung sein können, da das Insolvenzverfahren zum Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsprüfung am 13. Juni 2017 bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens sei der Kläger persönlich in Anspruch zu nehmen (Hinweis auf Urteil des BSG vom 7. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R -, juris, RdNr. 60 ff.). Sofern man der Auffassung des Klägers folge, dass er selber nicht zahlen müsse und der Insolvenzverwalter die Beitragsnachforderungen nach Abschluss des Verfahrens - rechtlich und mangels Masse - nicht mehr begleichen könne, würde das nicht hinzunehmende Resultat eintreten, dass niemand die Beitragsschulden zahle. Dies wiederum widerspräche nicht nur den sozialversicherungsrechtlichen Interessen der Arbeitnehmer, sondern auch dem gesetzlichen Grundsatz des § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV, wonach zunächst der Arbeitgeber die Beiträge zu entrichten habe. Schließlich könne sich der Unternehmer in die Insolvenz „flüchten“, um dauerhaft von der Verpflichtung der Beitragsentrichtung frei zu werden. Denn wäre die Insolvenz nicht eingetreten, hätte auch der hiesige Kläger die Beiträge für die fünf Arbeitnehmer weiterhin entrichtet. Über den vom Kläger gerügten Umstand, dass nicht er, sondern der Insolvenzverwalter den Übertragungsfehler an die Krankenkassen begangen habe, sei im hiesigen Verfahren nicht zu entscheiden.

Gegen das ihm am 6. Dezember 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Dezember 2021 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Die streitgegenständliche Beitragsforderung werde der Höhe nach nicht mehr streitig gestellt. Das Sozialgericht habe aber verkannt, dass sich die Forderung gegen die falsche Partei richte. Denn der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Meldungen zur Sozialversicherung vom Insolvenzverwalter vorgenommen worden seien und nicht von ihm. Dies folge bereits aus den unterschiedlichen Betriebsnummern, die für ihn und den Insolvenzverwalter geführt worden seien. Die Beklagte habe die Betriebsprüfung zu der Betriebsnummer, die vom Insolvenzverwalter für das insolvente Unternehmen beantragt worden sei, durchgeführt. Nicht er, sondern der Insolvenzverwalter habe den Übertragungsfehler zur Sozialversicherung zu vertreten. Der Insolvenzverwalter sei der Arbeitgeber gewesen und nicht er - der Kläger -. Die Arbeitgebereigenschaft lebe nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gerade nicht wieder auf, zumal der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse zum Ablauf des 30. September 2012 (gemeint 31. Juli 2012) beendet gehabt habe. Auch sei der Beklagten bekannt gewesen, dass ein Regelinsolvenzverfahren im fraglichen Zeitraum eine Laufzeit von sechs Jahren gehabt habe und dass 2012 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Es obliege ihr, zu entscheiden, wann sie eine Betriebsprüfung durchführe. Es wäre der Beklagten folglich ohne weiteres möglich gewesen, innerhalb der Regelinsolvenz die ordnungsgemäße Betriebsprüfung abzuhalten. Es habe daher von der Beklagten erwartet werden können, dass sie die Betriebsprüfung so rechtzeitig durchführe, dass diese noch innerhalb der Regellaufzeit des Insolvenzverfahrens hätte abgeschlossen werden können. Insoweit habe es die Beklagte zu vertreten, dass die festgestellten Nachforderungsbeiträge zur Sozialversicherung nicht mehr hätten beigetrieben werden können. Aus den zitierten Entscheidungen des BSG vom 28. Mai 2015 (B 12 R 16/13 R) bzw. aus der Entscheidung vom 7. Februar 2012 (B 13 R 85/09 R) sei seine persönliche Inanspruchnahme jeweils nicht abzuleiten. Beiden Entscheidungen lägen jeweils andere Sachverhalte zu Grunde, nämlich zum einen eine Beitragsnachforderung im laufenden Insolvenzverfahren und zum anderen die Verrechnung durch Verwaltungsakt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. November 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts M.  vom 30. November 2021 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat erneut auf die besondere Eigenart von Betriebsprüfungsbescheiden und ergänzend auf die Ausführungen hierzu im Urteil des BSG vom 15. September 2016 in dem Verfahren B 12 R 2/15 R hingewiesen. Grundsätzlich werde, wenn ein Insolvenzverfahren beantragt werde, eine sogenannte „.... “-Prüfung veranlasst. Dies sei hier am 16. Dezember 2012 erfolgt. Die Folgeprüfung sei dann - wie üblich - im gesetzlich geforderten Vierjahreszeitraum durchgeführt worden. Auch seien ihr die Meldungen zur Sozialversicherung zunächst nicht bekannt gewesen, da diese gegenüber den zuständigen Einzugsstellen abgegeben worden seien. Sie - die Beklagte - habe erst im Rahmen der dann durchgeführten Betriebsprüfung Kenntnis von den abgegebenen Meldungen erhalten.

Mit Beschluss vom 5. Dezember 2022 sind zunächst die Beiladungen zu 1. bis 5. erfolgt. Nach der gerichtlichen Anfrage gemäß § 75 Abs. 2b S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind die antragsentsprechenden Beiladungen zu 6. und 7. vorgenommen worden (Beschluss vom 24. Mai 2023). Die IKK gesund plus, die Barmer GEK und die Agentur für Arbeit haben auf die vorgenannte Anfrage keinen Beiladungsantrag gestellt. Alle Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung weder anwesend noch vertreten gewesen sind. Hierauf sind sie mit der ihnen jeweils ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden (§ 126 SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 13. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 2, 54 Abs. 2 S. 1 SGG).

Die mit dem Anfechtungsbegehren der Aufhebung des angefochtenen Bescheides erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht vom Kläger Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 2.181,90 € nachgefordert.

Nach § 28p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 sowie § 93 i.V.m. § 89 Abs. 5 SGB X nicht (Satz 5).

Die Beklagte hat hier zu Recht den angefochtenen Bescheid, mit dem sie Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert hat, an den Kläger als Arbeitgeber der Beigeladenen zu 1. bis 5. gerichtet. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. Juni 2012 waren diese Arbeitnehmer des Klägers. Die Arbeitsverhältnisse bestanden noch über den Eröffnungstag hinaus bis zum 31. Juli 2012 fort. Gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO in der ab dem 1. Juli 2007 geltenden Fassung vom 13. April 2007 (BGBl. I, S. 509) bestehen Dienstverhältnisse des Schuldners mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Erst zum 31. Juli 2012 beendete der vom Insolvenzgericht gemäß § 56 InsO bestellte Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse mit den Beigeladenen zu 1. bis 5. Die aus den fortbestehenden Arbeitsverhältnissen erwachsenen Verbindlichkeiten in Form von Zahlung von Arbeitsentgelt und Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen sind Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO gewesen, die vom Insolvenzverwalter, der anstelle des Klägers in der Funktion des Arbeitgebers das insolvenzbefangene Unternehmen fortgeführt hat (§ 80 Abs. 1 InsO), zu erfüllen waren (Jaeger, Kommentar zur Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2004, § 22 RdNr. 219). Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bestellung zum Insolvenzverwalter ist dieser in die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers eingetreten (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1. Juni 2006 - 6 AZR 59/06 -, juris, RdNr. 22). Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt - mit der Folge, Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten - sind nicht persönlich vom Insolvenzverwalter, sondern aus der Insolvenzmasse zu erfüllen (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. November 2005 - 5 Sa 41/05 -, juris, RdNr. 25).

Soweit vom Insolvenzverwalter aufgrund fehlerhafter Berechnung die Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig entrichtet worden sind, können sie nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger durch Beitragsbescheid festgesetzt werden. Denn mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 19. Januar 2016 gemäß § 200 InsO hat der Kläger die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über sein Vermögen zurückgewonnen, die infolge der Eröffnung nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen war. An Verpflichtungen und Verfügungen, die der Verwalter eingegangen ist, bleibt er gebunden. Insbesondere muss er die vom Verwalter eingegangenen Verpflichtungen nun selbst erfüllen (Meller-Hannich in Jaeger, a.a.O., § 200 RdNrn. 1, 13).

Dem steht nicht entgegen, dass der Insolvenzverwalter eine neue Betriebsnummer beantragt hatte. Denn dies diente zur Abgrenzung der Verpflichtungen des Insolvenzschuldners vor der Insolvenzeröffnung und den Masseverbindlichkeiten für die Zeit ab Insolvenzeröffnung.

Ob die festgesetzte Beitragsnachforderung durchsetzbar ist, ist nicht Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens. Es war im Rahmen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Betriebsprüfung lediglich zu prüfen, ob die arbeitgeberseitigen melde- und beitragsrechtlichen Pflichten erfüllt worden sind. Der auf dieser Grundlage von der Beklagten erlassene Beitragsbescheid hat nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat sich anschließt, den Charakter eines Grundlagenbescheides, der den Rechtsgrund für das Tätigwerden der Einzugsstellen als Gläubiger der Beitragsforderungen darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015, a.a.O., RdNr. 22 ff.; Urteil vom 15. September 2016 - B 12 R 2/15 R -, a.a.O.). Einwendungen, insbesondere gegebenenfalls vorliegende Vollstreckungshindernisse, hat der Kläger nach der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides gegebenenfalls gegenüber den Einzugsstellen, u.a. der Beigeladenen zu 6., geltend zu machen.

Ebenfalls nicht streitgegenständlich ist der Vorwurf des Klägers, der Insolvenzverwalter habe die fehlerhafte Beitragsentrichtung und damit die ihm gegenüber geltend gemachte Beitragsnachforderung zu verantworten. Zwar kommt eine Haftung des Insolvenzverwalters, sofern er seiner Verpflichtung zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht nachkommt, nach § 60 Abs. 1 InsO, § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch, § 266a Strafgesetzbuch in Betracht. Diese ist jedoch erst nach dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens zu prüfen.

Ebenfalls unberücksichtigt zu bleiben hat das Vorbringen des Klägers, die Beklagte habe nicht innerhalb des ab dem 29. Juni 2012 laufenden Insolvenzverfahrens eine weitere Betriebsprüfung durchgeführt. Denn zum einen hat die Beklagte unmittelbar nach Stellung des Insolvenzantrags eine sogenannte „... “-Betriebsprüfung durchgeführt, die den Zeitraum bis zu dem Tag vor der Insolvenzeröffnung umfasste. In diesem Zeitraum entstandene eventuelle Nachforderungen wären Gegenstand des Insolvenzverfahrens gewesen. Zum anderen hat während des laufenden Insolvenzverfahrens kein Anlass bestanden, eine erneute Betriebsprüfung außerhalb des in § 28p Abs. 1 S. 1 SGB IV geregelten Vierjahreszeitraums durchzuführen. Insbesondere hat die Einzugsstelle nicht auf Unregelmäßigkeiten, die Anlass für eine vorzeitige Prüfung gewesen wären, hingewiesen. Denn der Insolvenzverwalter hat Sozialversicherungsbeiträge entrichtet, dies jedoch in unrichtiger Höhe, was sich erst durch die dann regelhaft durchgeführte Betriebsprüfung innerhalb des sich anschließenden Vierjahreszeitraums herausgestellt hat.

Die Höhe der nachgeforderten Beiträge ist zuletzt nicht mehr gerügt worden und aus Sicht des Senats auch nicht zu beanstanden.Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und trägt dem Ergebnis der Berufungsentscheidung Rechnung. Die Beigeladenen haben selbst keine Anträge gestellt und sich damit auch nicht in ein Kostenrisiko begeben, § 162 Abs. 3 VwGO. Vor diesem Hintergrund hat der Senat ihnen auch keine Kostenerstattung zugesprochen.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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