Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts A-Stadt vom 20. August 2021 wird geändert.
Die Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 18. März 2020 und 7. April 2020 werden aufgehoben.
Der den Kläger zu 1.) betreffende Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2019 wird aufgehoben, soweit die Leistungsbewilligung für den Monat November 2018 aufgehoben worden ist und die Erstattungssumme den Betrag von 14.735,09 € übersteigt.
Der die Klägerin zu 2.) betreffende Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2019 wird aufgehoben, soweit die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 sowie 11. November bis 31. Dezember 2018 aufgehoben worden sind und die Erstattungssumme den Betrag von 17.993,73 € übersteigt.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 20. Februar 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. August 2019, mit denen der Beklagte seine Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiträume von August 2016 bis Januar 2019 (Kläger zu 1.) sowie Dezember 2014 bis Januar 2015 und Juni 2016 bis Januar 2019 (Klägern zu 2.) aufgehoben und überzahlte Leistungen in Höhe von 15.059,12 € (Kläger zu 1.) bzw. 20.348,54 € (Klägerin zu 2.) geltend gemacht hat.
Die 1974 geborenen, miteinander verheirateten Kläger sind Q. Staatsangehörige. Der Kläger zu 1.) reiste bereits im Jahr 1994 unter einem Alias-Namen in die Bundesrepublik Deutschland ein, wurde im Folgejahr nach R. abgeschoben und gelangte nach einer zwischenzeitlichen Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen im Wege der Familienzusammenführung im Jahr 1996 erneut nach Deutschland. Die Ehe wurde im Jahr 2004 geschieden und im Folgejahr wurde die Ehe der Kläger geschlossen. Der Kläger zu 1.) war seit 2001 im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die im Jahr 2006 mit einem Besuchsvisum in das Bundesgebiet eingereiste Klägerin zu 2.) war seit 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge, welche zuletzt bis zum 13. November 2018 befristet war.
Seit April 2014 standen die Kläger mit der 2009 in A-Stadt geborenen gemeinsamen Tochter S. bei dem Beklagten im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Nach einer vorlegten Meldebestätigung des Stadtamtes A-Stadt vom 15. April 2014 waren daneben auch die gemeinsamen Kinder T. (geb. 2002 in U.), V. (geb. 2003 in U.), W. (geb. 2004 in X.) und Y. (geb. 2006 in A-Stadt) bei den Klägern gemeldet. Diese Kinder waren von der Senatorin für Bildung und Wissenschaft bis zum 31. Dezember 2016 von der gesetzlichen Schulpflicht im Bundesland A-Stadt befreit und gingen in R. zur Schule.
Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2014 und Änderungsbescheid vom 22. November 2014 Leistungen für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2014 bis März 2015 bewilligt hatte, stellte er die Leistungen Ende Januar 2015 wegen eines Auslandsaufenthalts der Kläger ein.
Am 7. März 2016 sprach der Kläger zu 1.) mit einem erneuten Leistungsbegehren bei dem Beklagten persönlich vor und gab ausweislich des Gesprächsvermerks an, dass eine Zwangsräumung seiner Wohnung bevorstehe. Die Familie habe sich zwischenzeitlich in Z. aufgehalten, die Wohnung in A-Stadt aber beibehalten. Die Kinder befänden sich in R. bei der Großmutter. Als eigene Wohnanschrift gab der Kläger in der Folgezeit an: „AA., A-Stadt“. Hierbei handelt es sich um die Anschrift des im Berufungsverfahren gehörten Zeugen C.. Der Beklagte gewährte zunächst nur vorschussweise oder vorläufig Leistungen (zuletzt mit Bescheiden vom 7., 14. und 28. Juli 2016 für den Zeitraum vom 23. Juni bis 14. August 2016 mit Vorläufigkeitsvorbehalt). Im Juli 2016 reichten die Kläger ein Mietangebot für eine Wohnung unter der Anschrift A-Straße, A-Stadt (Stadtteil
), ein und gaben an, sie müssten umziehen, da sie keine eigene Wohnung hätten und momentan bei einem Freund wohnten. Nachdem der Beklagte eine Mietübernahmebescheinigung ausgestellt hatte, mieteten die Kläger die Wohnung zum 29. September 2016 an und gaben fortan die Adresse dieser Wohnung im Schriftverkehr mit dem Beklagten an. Der Beklagte bewilligte zunächst Leistungen für den Zeitraum vom 15. August bis 31. Oktober 2016 (Bescheid vom 2. September 2016). Nachfolgend bewilligte er den Klägern Leistungen für die Bewilligungszeiträume von November 2016 bis April 2017 (Bescheid vom 3. November 2016/Änderungsbescheid vom 26. November 2016), Mai 2017 bis April 2018 (Bescheid vom 26. April 2017/Änderungsbescheide vom 25. November 2017, 2. Februar 2018 und 21. März 2018), Mai bis Oktober 2018 (Bescheid vom 21. März 2018) sowie November 2018 bis April 2019 (Bescheid vom 13. November 2018/Änderungsbescheide vom 19. November 2018 und 24. November 2018). Die Bescheide enthielten u. a. den folgenden Hinweis:
„Sie müssen immer unter der von Ihnen benannten Adresse erreichbar sein. Sie sind verpflichtet, den Zeitraum und die Dauer einer geplanten Ortsabwesenheit mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner vorher abzustimmen. Unerlaubte Abwesenheit kann dazu führen, dass Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II/Sozialgeld wegfällt und die Leistungen zurückgefordert werden.“
Bei den Leistungsbewilligungen wurden neben den Regelbedarfen jeweils Kosten für Unterkunft und Heizung für die angemietete Wohnung in Höhe von 310,10 € nebst Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen berücksichtigt und die Zahlungen insoweit direkt an die Vermieterin geleistet. Mit Bescheid vom 21. November 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1.) ferner einmalige Leistungen für eine Wohnungserstausstattung in Höhe von 899 €. Jeweils vor Ablauf der Bewilligungszeiträume waren Weiterbewilligungsanträge eingegangen, die im Schriftbild unterschiedliche Unterschriften trugen. Für die Zeit ab November 2018 gingen zwei Weiterbewilligungsanträge ein, die ebenfalls mit unterschiedlichen Unterschriften versehen waren. Änderungen in den persönlichen Verhältnissen wurden in den Anträgen nicht angegeben. Der Kläger zu 1.) hatte am 11. Juli, 29. August, 13. Oktober, 18. Oktober, 25. Oktober, 3. November, 17. November und 30. November 2016 bei dem Beklagten persönlich vorgesprochen, die Klägerin zu 2.) am 23. Juni, 11. Juli und 28. Juli 2016. Danach nahmen die Kläger keine Meldetermine mehr wahr und sprachen auch nicht mehr persönlich vor.
U. a. aufgrund der Pflichtverletzungen durch Meldeversäumnisse waren die Auszahlungsansprüche in den Folgezeiten wie folgt gemindert:
Sanktionsgrund |
Sanktions- bescheid |
Minderungszeitraum |
Monatlicher Minderungsbetrag |
Meldeversäumnis am 26.05.2017 (Kläger zu 1.) |
03.07.2017 |
August bis Oktober 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 08.06.2017 (Kläger zu 1.) |
17.07.2017 |
August bis Oktober 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 09.06.2017 (Klägerin zu 2.) |
17.07.2017 |
August bis Oktober 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 23.06.2017 (Klägerin zu 2.) |
31.07.2017 |
September bis November 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 22.06.2017 (Kläger zu 1.) |
31.07.2017 |
September bis November 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 05.07.2017 (Klägerin zu 2.) |
18.08.2017 |
September bis November 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 10.07.2017 (Kläger zu 1.) |
18.08.2017 |
September bis November 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 21.07.2017 (Klägerin zu 2.) |
13.09.2017 |
Oktober bis Dezember 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 19.07.2017 (Kläger zu 1.) |
13.09.2017 |
Oktober bis Dezember 2017 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 02.08.2017 (Klägerin zu 2.) |
12.10.2017 |
November 2017 bis Januar 2018 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 22.09.2017 (Klägerin zu 2.) |
14.11.2017 |
Dezember 2017 bis Februar 2018 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 25.09.2017 (Kläger zu 1.) |
14.11.2017 |
Dezember 2017 bis Februar 2018 |
36,80 € |
Meldeversäumnis am 18.10.2017 (Kläger zu 1.) |
14.11.2017 |
Dezember 2017 bis Februar 2018 |
36,80 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Klägerin zu 2.) |
09.01.2018 |
Februar bis April 2018 |
112,20 € |
Meldeversäumnis am 26.10.2017 (Klägerin zu 2.) |
02.02.2018 |
März bis Mai 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 11.01.2018 (Klägerin zu 2.) |
08.02.2018 |
März bis Mai 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 08.01.2018 (Kläger zu 1.) |
08.02.2018 |
März bis Mai 2018 |
37,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
08.02.2018 |
März bis Mai 2018
|
112,20 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
08.02.2018 |
März bis Mai 2018
|
112,20 € |
Meldeversäumnis am 19.01.2018 (Kläger zu 1.) |
14.03.2018 |
April bis Juni 2018 |
37,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
14.03.2018 |
April bis Juni 2018 |
224,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
02.05.2018 |
Juni bis August 2018 |
658,05 € (100 %) |
Meldeversäumnis am 08.02.2018 (Klägerin zu 2.) |
02.05.2018 |
Juni bis August 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 22.02.2018 (Kläger zu 1.) |
02.05.2018 |
Juni bis August 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 12.02.2018 (Kläger zu 1.) |
02.05.2018 |
Juni bis August 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 06.04.2018 (Klägerin zu 2.) |
30.05.2018 |
Juli bis September 2018 |
37,40 € |
Meldeversäumnis am 27.04.2018 (Klägerin zu 2.) |
19.06.2018 |
Juli bis September 2018 |
37,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
13.07.2018 |
August bis Oktober 2018 |
658,05 € (100 %) |
Meldeversäumnis am 26.04.2018 (Kläger zu 1.) |
13.07.2018 |
August bis Oktober 2018 |
37,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Klägerin zu 2.) |
13.07.2018 |
August bis Oktober 2018 |
224,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
16.07.2018 |
August bis Oktober 2018 |
658,05 € (100 %) |
Meldeversäumnis am 04.06.2018 (Kläger zu 1.) |
31.08.2018 |
Oktober bis Dezember 2018 |
37,40 € |
Pflichtverletzung nach § 31 SGB II (Kläger zu 1.) |
31.08.2018 |
Oktober bis Dezember 2018 |
658,05 € (100 %) |
Hinsichtlich der Meldetermine sind vier telefonische Bitten des Klägers zu 1.) um Terminverschiebung aktenkundig, welche die Termine am 8. Juni 2017, 22. Juni 2017, 4. Juli 2017 und 8. Januar 2018 betrafen. Zu den Anhörungen, die den Sanktionsbescheiden vorausgegangen waren, gingen keine Äußerungen der Kläger ein. Auch wurden keine Widersprüche eingelegt. Der Kläger zu 1.) meldete sich allerdings am 4. Juni 2018 telefonisch bei dem Beklagten und erkundigte sich, aus welchen Gründen nur geminderte Leistungen ausgezahlt worden seien.
Am 10. November 2018 wurden die Kläger am Flughafen A-Stadt bei der Einreise (mit einem Flug aus AB. kommend) von der Bundespolizei kontrolliert. Beide legten ausweislich der Erkenntnismitteilungen der Bundespolizei an das A-Stadt vom 10. November 2018, die auch zu den Akten des Beklagten gelangten, zunächst ungültige Q. Reisepässe vor. Auf Nachfrage legten sie sodann gültige Q. Reisepässe vor. Beide gaben an, vor etwa zwei Wochen von AC. nach R. geflogen zu sein. Flugtickets für diese Ausreise konnten nicht vorgelegt werden. Die behauptete Ausreise konnte anhand der Reisepässe nicht nachvollzogen werden. Im Reisepass des Klägers zu 1.) (Nr. A05162204; abgelaufen am 13. November 2018) fanden sich lediglich ein AD. Einreisestempel vom 21. August 2016 und ein AD. Ausreisestempel vom 9. November 2018. Der letzte (Einreise-)Stempel im Reisepass der Klägerin (Nr. A 5162203, abgelaufen am 13. November 2018) datierte vom 30. November 2014 (N.). Hieraus zog die Bundespolizei den Schluss, dass sich beide Personen über mehrere Jahre in R. aufgehalten hatten. Hinsichtlich des Klägers zu 1.) hielt die Bundespolizei ferner fest, dass sich bei der Durchsuchung des mitgeführten Gepäcks eine Q. Steuerkarte (ausgestellt am 16. Juli 2018), ein Mitarbeiterausweis einer AE. Transportfirma sowie mehrere behördliche, teilweise ungeöffnete Briefe aus dem Jahr 2016 gefunden hätten. Für einen längerfristigen Aufenthalt in R. spreche auch, dass eine polizeiliche Fahndung aus dem Jahr 2017 bestehe. Da bei einer Ausreise aus einem „Non-Schengenstaat“ jede Person fahndungsmäßig überprüft werde, sei es unwahrscheinlich, dass der Kläger zu 1.) vor zwei Wochen über den Flughafen AC. ausgereist sei. Der Kläger zu 1.) habe angegeben, dass er in Deutschland keiner Arbeit nachgehe und er „auch sonst keine Leistungen“ beziehe. Seinen Lebensunterhalt zahle seine Familie in R..
Der Beklagte stellte die Leistungen daraufhin mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 ein und hob nachfolgend mit Bescheid vom 23. Januar 2019 seine für den laufenden Bewilligungszeitraum erteilten Bescheide vom 13., 19. und 24. November 2018 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2019 auf. Zur Begründung gab er an: „Aufenthalt außerhalb des definierten zeit- und ortsnahen Bereichs ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners“. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Das A-Stadt, bei dem der Kläger zu 1.) im Jahr 2016 zuletzt am 17. Oktober 2016 vorgesprochen hatte, nahm die Erkenntnismitteilung der Bundespolizei vom 10. November 2018 zum Anlass, das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu 1.) nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG festzustellen. Der Kläger zu 1.) sei aus Deutschland ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten wieder eingereist. Am 29. November 2016 sei er nachweislich noch in A-Stadt gewesen, was sich aus einem an diesem Tag begangenen Diebstahl gemäß einem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts A-Stadt ergebe. Bei dem Jobcenter habe er zuletzt am 30. November 2016 und dann erst wieder am 12. November 2018 vorgesprochen. Es sei daher davon auszugehen, dass er sich vom 1. Dezember 2016 bis zum 9. November 2018 bei seiner Familie in R. aufgehalten habe (Bescheid vom 30. Januar 2019). Mit Bescheid vom selben Tag stellte das auch das Erlöschen des Aufenthaltstitels der Klägerin zu 2.) fest. Es ging dabei davon aus, dass die Klägerin zu 2.) nach dem 28. Juli 2016 (letzte Vorsprache beim Jobcenter) Deutschland verlassen habe, um in R. zu studieren und mit den Kindern zu leben. Die Klägerin zu 2.) hatte ein Zertifikat der Universität AF. vom 22. November 2018 über einen erworbenen „Bachelor of Laws“ vorgelegt und hierzu bei einer persönlichen Vorsprache am 14. November 2018 erklärt, dass es sich um ein Online-Studium gehandelt habe, welches sie von Deutschland aus betrieben habe. Ferner hatte sie einen Bescheid der Senatorin für Bildung und Wissenschaft vom 24. November 2016 vorgelegt, wonach auch die 2009 geborene Tochter AG. wegen Schulbesuchs in R. von der gesetzlichen Schulpflicht in A-Stadt befristet bis zum 31. Dezember 2018 befreit worden war.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2019 hörte der Beklagte die Kläger zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligungen für die Zeit ab dem 21. August 2016 (Kläger zu 1.) bzw. 1. Dezember 2014 (Klägerin zu 2.) und Rückforderung überzahlter Leistungen an. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 31. Januar 2019 gab der Kläger zu 1.) ausweislich des Gesprächsvermerks an, dass er „nur eine Woche weg gewesen“ sei. Die alten Reisepässe besitze er nicht mehr. Die Stempel seien in den neuen Reisepässen. Bei einer weiteren Vorsprache am 5. Februar 2019 teilte der Kläger mit, dass er seinen Reisepass einer anderen Person mitgegeben habe, um diesen im Ausland abstempeln zu lassen. Er benötige diese Stempel, damit seine selbständige Tätigkeit in R. bestehen bleibe. Er sei die ganze Zeit in Deutschland gewesen. Im Rahmen eines neuen Leistungsantrags legten die Kläger ihre neuen, ab dem 30. August 2018 bzw. 24. Oktober 2018 gültigen AE. Reisepässe vor. In diesen Pässen waren keine Stempel vorhanden.
Der Beklagte erteilte daraufhin die angefochtenen zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 20. Februar 2019. Mit dem den Kläger zu 1.) betreffenden Bescheid hob er sämtliche für den Zeitraum vom 21. August 2016 bis 31. Januar 2019 erteilten Bewilligungs- und Änderungsbescheide auf und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von insgesamt 15.059,12 € zurück (einschließlich der mit Bescheid vom 21. November 2016 bewilligten Leistungen für die Wohnungserstausstattung und gezahlter Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung). Die Aufhebungsentscheidung stützte der Beklagte auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bzw. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 SGB X. Zur Begründung gab er an, dass sich der Kläger zu 1.) seit dem 21. August 2016 ohne Zustimmung des zuständigen Trägers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten habe und deshalb für die Eingliederung in Arbeit nicht zur Verfügung gestanden habe. Für diese Zeit habe der Kläger zu 1.) gemäß § 7 Abs. 4a S. 1 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger zu 1.) nicht berufen, da er seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt und grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Auch habe er erkennen können, dass ihm die Leistungen nicht zugestanden hätten. Die überzahlten Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X und die entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i. V. m. § 335 Abs. 1 und 5 SGB III zu erstatten. Mit gleichlautender Begründung hob der Beklagte mit dem die Klägerin zu 2.) betreffenden Bescheid die Leistungsbewilligungen für die Zeiträume vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 sowie 1. Juni 2016 bis 31. Januar 2019 auf und forderte überzahlte Leistungen einschließlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 20.348,54 € zurück. In der monatsweisen Aufstellung der erteilten Bewilligungs- und Änderungsbescheide, der bewilligten Leistungen und der Aufhebungssummen führte der Beklagte hinsichtlich der Monate Dezember 2014 und Januar 2015 jeweils zwei Bewilligungsbescheide vom 17. März 2016 und 21. November 2016 auf. Diese Bescheide betreffen nicht die genannten Leistungsmonate, sondern mit dem Bescheid vom 17. März 2016 waren Leistungen für März und April 2016 bewilligt worden und mit dem (an den Kläger zu 1. gerichteten) Bescheid vom 21. November 2016 die Leistungen für die Wohnungserstausstattung. Hinsichtlich der übrigen Leistungsmonate wurden die richtigen Bescheiddaten genannt.
Beide Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wurden sowohl postalisch versandt als auch öffentlich zugestellt. Am 21. Mai 2019 legten die Kläger über ihre erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte Widersprüche gegen die Bescheide vom 20. Februar 2019 ein und wiesen darauf hin, dass ihnen die Bescheide erst am 6. Mai 2019 auf Nachfrage ausgehändigt worden seien. Zur Begründung trugen sie vor, dass es nicht zutreffe, dass sie sich in den fraglichen Zeiträumen außerhalb des orts- und zeitnahen Bereichs aufgehalten hätten. Der Beklagte sei insoweit darlegungs- und beweispflichtig, wobei sich den Akten genügend Hinweise darauf entnehmen ließen, dass sie sich in A-Stadt aufgehalten hätten. Mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 16. August 2019 verwarf der Beklagte die Widersprüche als unzulässig. Die Widersprüche seien nicht fristgerecht eingelegt worden, da die Widerspruchsfrist aufgrund der erfolgten öffentlichen Zustellungen am 11. April 2019 geendet habe.
Die Kläger haben am 23. August 2019 Klagen erhoben, die das Sozialgericht (SG) A-Stadt zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Der Beklagte hat während des Klageverfahrens seine Rechtsauffassung hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist auf Hinweis des SG geändert, erneut über die Widersprüche entschieden und diese mit Widerspruchsbescheiden vom 18. März 2020 (Kläger zu 1.) bzw. 7. April 2020 (Klägerin zu 2.) nunmehr als unbegründet zurückgewiesen. Dabei hat er seine Aufhebungsentscheidungen nunmehr (ausschließlich) auf § 45 SGB X gestützt und hinsichtlich der die Klägerin zu 2.) betreffenden Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015, die bereits im Ausgangsbescheid verfügt worden war, zusätzlich auch den Bewilligungsbescheid vom 12. August 2014 zurückgenommen. Für seine Aufhebungsentscheidungen hat der Beklagte nunmehr darauf abgestellt, dass die Kläger für die betreffenden Zeiträume weder ihre Hilfebedürftigkeit noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland glaubhaft gemacht hätten. Die geringen Kontenbewegungen in den zwischenzeitlich auszugsweise vorgelegten Kontoauszügen ließen nicht darauf schließen, dass sich die Kläger – abgesehen von ihren persönlichen Vorsprachen bei dem Beklagten – in Deutschland aufgehalten hätten. Einzelne Aufenthalte habe es offenbar gegeben, diese ließen jedoch nicht auf einen gewöhnlichen Aufenthalt schließen. Es liege die Vermutung nahe, dass die Kläger am 10. November 2018 eingereist seien, um einen Termin beim Stadtamt A-Stadt zwecks Verlängerung des am 13. November 2018 abgelaufenen Aufenthaltstitels der Klägerin zu 2.) wahrzunehmen. Mit Blick auf die beruflichen Aktivitäten, die der Kläger zu 1.) eingeräumt habe, lasse sich auch die Hilfebedürftigkeit nicht feststellen. Die Kläger hätten damit ihre Anspruchsberechtigung nicht glaubhaft machen können.
Die Kläger haben im Klageverfahren die von dem Beklagten angenommene Ortsabwesenheit bestritten, allerdings eingeräumt, dass der Beklagte seine Annahmen zumindest teilweise durch Nachweise in den Ausweisdokumenten belegen könne.
Das hat der Klägerin zu 2.) während des erstinstanzlichen Verfahrens ab Oktober 2019 erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, nachdem sich die Tochter AG. wieder in Deutschland aufgehalten und hier die Schule besucht hat. Das wegen des Feststellungsbescheides des es vom 30. Januar 2019 geführte Klageverfahren (2 K 1814/19) vor dem Verwaltungsgericht (VG) A-Stadt ist auf dieser Grundlage vergleichsweise erledigt worden
Nach Beiziehung der Akten des s A-Stadt hat das SG die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 20. August 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger in den streitgegenständlichen Zeiträumen keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II gehabt hätten. Gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt sprächen die Einreisestempel nach R. in den Reisepässen des Klägers zu 1.) vom 21. August 2016 und der Klägerin zu 2.) vom 30. November 2014 und nicht vorhandene Ausreisestempel bis zur Wiedereinreise am 8. November 2018, der Besitz einer AE. Steuerkarte des Klägers zu 1.), die diversen Meldeversäumnisse der Kläger und die extrem geringen Kontenbewegungen. Es sei davon auszugehen, dass sich die Kläger in den Streitzeiträumen immer nur kurzfristig in Deutschland aufgehalten hätten. Wegen der fehlenden Mitwirkung der Kläger bei der Aufklärung des Sachverhalts sei eine Beweislastumkehr gerechtfertigt. Die Kläger könnten sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht hätten.
Die Kläger haben am 17. September 2021 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, der Beklagte und das SG seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie sich zwischen dem 21. August 2016 und 10. November 2018 nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten. In Deutschland lebende Freunde und Familienmitglieder könnten das Gegenteil bezeugen. Auch die Inhaber von „A.-Läden“ und eines Friseurladens hätten ihre Besuche schriftlich bestätigt. Aus fehlenden Stempeln in den Reisepässen könnten keine Schlussfolgerungen gezogen werden, da in R. bekanntlich die Reisepässe meistens nicht abgestempelt würden oder die Stempel „am Ende einiger Seiten im Pass“ platziert würden. Die Kläger haben diverse schriftliche Bestätigungen verschiedener Personen über persönliche Kontakte in A-Stadt in den Jahren 2016 bis 2018 vorgelegt. Ferner ist ein den Kläger zu 1.) betreffender Krankenblattauszug vom 1. Juni 2016 bis 31. Januar 2019 der Hausarztpraxis AH. vorgelegt worden, aus dem sich Arztbesuche am 17. August, 20. Oktober und 1. Dezember 2016 ergeben. Weitere Besuche sind nicht dokumentiert. Einem ebenfalls eingereichten Krankenblattauszug des Orthopäden Dr. AI. für die Zeit vom 17. März 2016 bis 23. November 2018 sind Arztbesuche des Klägers zu 1.) für das Jahr 2016 im März und Juni sowie zuletzt am 19. Oktober und für die Folgezeit erst wieder am 22. und 23. November 2018 zu entnehmen. Schließlich sind ein Beleg über eine Einzahlung von 210 € bei der Commerzbank A-Stadt am 22. Mai 2017 sowie einzelne Kontoauszüge für das Konto des Klägers zu 1.) bei der Commerzbank für die Jahre 2016 und 2017 vorgelegt worden.
Die Kläger, die zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind, beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des SG A-Stadt vom 20. August 2021 und die Bescheide des Beklagten vom 20. Februar 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. August 2019, 18. März 2020 und 7. April 2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seinen Bescheiden fest.
Während des Berufungsverfahrens hat das VG A-Stadt in dem Verfahren des Klägers zu 1.) gegen das (2 K 1815/19) mit rechtskräftigem Urteil vom 23. September 2022 den Bescheid vom 30. Januar 2019 über das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, es sei nicht nachgewiesen, dass sich der Kläger zu 1.) im Zeitraum vom 30. November 2016 bis zum 9. November 2018 ununterbrochen länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten habe. Die Inaugenscheinnahme des Reisepasses im Verhandlungstermin habe ergeben, dass sich darin abweichend von den Feststellungen der Bundespolizei bei der Einreise am 10. November 2018 sehr wohl weitere Ein- und Ausreisestempel befänden. So seien ein Ausreisestempel aus R. vom 16. September 2016, ein Einreisestempel nach R. vom 5. Oktober 2018 und ein weiterer Ausreisestempel aus R. vom 19. Oktober 2018 vorhanden. Diese Daten deckten sich mit den Angaben des Klägers zu 1.) gegenüber den Bundespolizisten, wonach er sich lediglich zwei Wochen in R. aufgehalten habe, sowie mit seinem weiteren Vortrag, wonach er im Jahr 2017 nicht in Nigeria gewesen sei. Dem daraufhin auf Aufforderung des Senats vorgelegten Original-Reisepass Nr. 05162204 sind die vorgenannten Stempel zu entnehmen, ein Vergleich mit den von der Bundespolizei bei der Einreise am 10. November 2018 gefertigten Kopien ergibt allerdings, dass die Stempel vom 16. September 2016 (Ausreise) und 5. Oktober 2016 (Einreise) damals nicht in dem Reisepass vorhanden waren. Ebenfalls nicht vorhanden war ein in dem jetzt vorgelegten Reisepass befindlicher Ausreisestempel vom 18. April 2016. Der Ausreisestempel vom 19. Oktober 2018 befindet sich auf der S. 18 des dem Senat vorgelegten Original-Reisepasses, diese Seite wurde seinerzeit nicht von der Bundespolizei kopiert.
Der Berichterstatter hat die Kläger in einem Erörterungstermin persönlich gehört. Der Kläger zu 1.) hat erklärt, dass er im Jahr 2017 überhaupt nicht außer Landes gewesen sei. In den übrigen Jahren sei er nie länger als drei Wochen im Ausland gewesen. Aufgrund persönlicher Schwierigkeiten mit dem Sachbearbeiter habe er den Gesprächseinladungen des Beklagten keine Folge geleistet. Hierzu hat der Kläger zu 1.) zunächst angegeben, dass er entsprechende Formulare ausgefüllt und dem Beklagten zugeleitet habe. Auf Vorhalt, dass solche Formulare nicht in den Akten seien, hat er erklärt, dass bei Erhalt der Einladungen die Termine häufig schon verstrichen gewesen seien und er dann manchmal bei dem Beklagten angerufen habe. Zu den in seinem Reisepass befindlichen Stempeln, die bei Vorlage bei der Bundespolizei am 10. November 2018 noch nicht vorhanden waren, hat der Kläger zu 1.) erklärt, dass er diese Stempel nicht angebracht habe und insoweit nur die AE. Behörden Auskunft erteilen könnten. Ferner hat er angegeben, dass die angemietete Wohnung unter der Anschrift A-Straße in A-Stadt mangels Einrichtung zunächst nicht bewohnbar gewesen sei und sie bei dem Zeugen C. in der AJ. gewohnt hätten. Den Zeitraum hat er zunächst nicht benennen können. Nach Vorhalt der von ihm zuvor eingereichten schriftlichen Erklärung des Zeugen C. hat er sodann erklärt, dass sie erst nach ihrer Rückkehr aus R. im November 2018 in die Wohnung im AK. eingezogen seien. Die Klägerin zu 2.) hat erklärt, dass sie im Jahr 2018 auf Veranlassung ihrer Eltern zurück nach R. gegangen sei, um die Zulassung als Rechtsanwältin zu erhalten. Das Jurastudium habe sie bereits im Jahr 2004 abgeschlossen. Auch im Jahr 2016 sei sie nach R. gereist, da es Probleme mit den Kindern gegeben habe.
Der Berichterstatter hat ferner im vorbereitenden Verfahren die Zeugen C., Antony E., D. und F., von denen die Kläger schriftliche Erklärungen zu persönlichen Kontakten in den Jahren 2016 bis 2018 vorgelegt hatten, vernommen. Der Zeuge C. hat ausgesagt, dass die Wohnung der Kläger in AL., die er selbst auch einmal gesehen habe, komplett leer gewesen sei. Sie sei nicht bewohnbar gewesen. Es sei ihm unverständlich, warum der Kläger zu 1.) die Wohnung nicht in Ordnung gebracht habe. Die Kläger seien ca. im Jahr 2016 in seine Wohnung gekommen, die zwei Zimmer habe und ca. 45 qm groß sei. Wenn die Kläger anwesend gewesen seien, hätten sie in der Stube geschlafen, er – der Zeuge – selbst in dem anderen Zimmer. Die Kläger seien aber nie offiziell bei ihm gemeldet gewesen und sie seien manchmal zwei oder drei Wochen nicht da gewesen. Ihm sei nicht bekannt, wo die Kläger dann gewesen seien. Der Kläger zu 1.) habe lediglich im Jahr 2018 einmal erwähnt, dass sie für ein paar Wochen nach R. gehen wollten.
Der Zeuge E., welcher in der AM. einen Callshop mit Internetcafé betreibt, hat ausgesagt, dass die Kläger jede Woche, manchmal sogar zweimal die Woche, (immer gemeinsam) in seinen Laden kämen. Die Frage, ob die Kläger auch einmal mehrere Wochen oder gar Monate nicht gekommen seien, hat der Zeuge verneint und ausgeführt, dass er „zu hundert Prozent“ sagen könne, dass sie jede Woche bei ihm im Laden gewesen seien. Sie hätten auch niemals eine Reise nach Afrika oder ähnliches erwähnt.
Der Zeuge D., welcher in der AM. ein Friseurgeschäft betreibt, hat ausgesagt, dass der Kläger zu 1.) schon seit der Eröffnung seines Friseurladens im Jahr 1998 oder 1999 zu ihm zum Haareschneiden komme. Auch die Klägerin zu 2.) sei manchmal mitgekommen, sie sei insgesamt viermal im Laden gewesen. Zu der Frage, ob der Kläger zu 1.) auch einmal einige Monate oder Wochen nicht erschienen sei, hat der Zeuge erklärt, dass er dies nicht genau sagen könne („Die Leute kommen einfach zu mir zum Haareschneiden und sie gehen dann wieder“). Soweit er in seiner schriftlichen Erklärung vom 15. Juli 2019 angegeben habe, dass der Kläger zu 1.) im Jahr 2017 ungefähr sieben Mal und im Jahr 2018 acht Mal im Salon gewesen sei, habe er sich bei Abgabe dieser Erklärung noch genau daran erinnern können, auch daran, dass der Kläger kurz vor Weihnachten 2016 noch zum Haareschneiden erschienen sei.
Die von den Klägern vorgelegte schriftliche Erklärung des Zeugen F. vom 6. August 2019 lautete dahingehend, dass er den Kläger zu 1.) in den Jahren 2016, 2017 und 2018 regelmäßig in Abständen von ca. zwei Monaten im „W Club“ (A-Stadt-Neustadt) gesehen habe. In seiner persönlichen Vernehmung durch den Berichterstatter hat der Zeuge erklärt, dass er diese Erklärung zwar unterschrieben habe, er sei aber in dieser Sache „missbraucht“ worden. Die Zeiten, die in der Erklärung aufgeführt seien, seien ihm damals vorgegeben worden. Er habe die Erklärung voreilig abgegeben. Die Zeiten könne er aus heutiger Sicht so nicht mehr bestätigen. Er wisse nur noch, dass der Kläger bei ihm trainiert habe.
Der Senat hat im Verhandlungstermin am 24. Januar 2024 den Zeugen C. erneut vernommen. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beweisergebnisses wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten sowie die Akten des s A-Stadt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Kläger zum Verhandlungstermin nicht erschienen waren. Auf diese Möglichkeit waren die Kläger in den Ladungen hingewiesen worden.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist nur in einem geringfügigen Umfang begründet.
Zunächst unterliegen die Widerspruchsbescheide vom 18. März 2020 und 7. April 2020, mit denen der Beklagte während des laufenden Klageverfahrens erneut über die Widersprüche der Kläger entschieden hat, der Aufhebung. Denn der Beklagte war nicht befugt, während des Gerichtsverfahrens erneut Widerspruchsbescheide zu erlassen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. Dezember 1994 – 4 RLw 4/93 – juris Rn. 29). Das als Prozessvoraussetzung notwendige Vorverfahren war mit dem Erlass der Widerspruchsbescheide vom 16. August 2019 abgeschlossen, auch wenn der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unzulässig, weil verspätet eingelegt, zurückgewiesen hatte. Besondere Anforderungen, insbesondere hinsichtlich des Prüfungsumfangs, an die Durchführung eines Vorverfahrens stellt § 78 Abs. 1 SGG nicht, weil andernfalls die Zulässigkeit der Klage des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts von der Rechtmäßigkeit des weiteren Verhaltens der Behörde bzw. der zuständigen Widerspruchsbehörde abhängig wäre (BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R – juris Rn. 9 m. w. N.) Dem Prozesserfordernis des Vorverfahrens ist deshalb schon mit dem Widerspruchsbescheid als solchem Genüge getan, die Fehlerfreiheit des Vorverfahrens ist nicht Prozessvoraussetzung (vgl. BSG, Urteil vom 24. März 2015 – B 8 SO 16/14 R – juris Rn. 15).
In der Sache hat die Berufung der Kläger nur insoweit Erfolg, als sich die angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide hinsichtlich der aus dem Tenor ersichtlichen Teilzeiträume als rechtswidrig erweisen und die von dem Beklagten geltend gemachten Erstattungen entsprechend (geringfügig) zu reduzieren sind.
Die Bescheide sind formell rechtmäßig, insbesondere sind die Kläger vor Erlass der Bescheide ordnungsgemäß angehört worden (§ 24 SGB X).
Die angefochtenen Bescheide sind zum überwiegenden Teil auch materiell rechtmäßig. Sie sind zunächst hinreichend bestimmt i. S. des § 33 Abs. 1 SGB X, weil aus ihnen klar und unzweideutig hervorgeht, dass der Beklagte die zugunsten der Kläger in bestimmten Zeiträumen erfolgten Leistungsbewilligungen in bestimmten, näher bezeichneten Bescheiden in vollem Umfang aufhebt (vgl. zu den Anforderungen an die Bestimmtheit von Aufhebungsbescheiden: BSG, Urteile vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R – juris Rn. 16 ff. und – B 14 AS 6/12 R – juris Rn. 25 ff.; vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 2/13 R - juris Rn. 30 ff.).
Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidungen des Beklagten ist § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III und § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II. Danach ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit er rechtswidrig ist und der Begünstigte sich in Anwendung von § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht auf sein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes berufen kann.
Bei den Bewilligungs- und Änderungsbescheiden, mit denen der Beklagte den Klägern für die streitbefangenen Zeiträume Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt hatte, handelt es sich um rechtswidrige Verwaltungsakte, soweit die Kläger in diesen Zeiten nach § 7 Abs. 4a SGB II wegen eines Aufenthalts außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs von Leistungen ausgeschlossen waren. Anwendbar ist hier noch § 7 Abs. 4a SGB II in seiner bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706), da die Übergangsregelung des § 77 Abs. 1 SGB II die Fortgeltung dieser Fassung bis zum Inkrafttreten der nach § 13 Abs. 3 SGB II zu erlassenen Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales anordnete. Diese Rechtsverordnung war zum Zeitpunkt der angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht erlassen worden. Nach dem danach maßgeblichen § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhielt. Aus den Regelungen zum Nahbereich in § 2 S. 2 EAO ergibt sich, dass ein Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende dann vorlag, wenn der Leistungsberechtigte nach dem SGB II das Jobcenter von dem betreffenden Ort nicht täglich mit zumutbarem Zeitaufwand erreichen konnte. Zur EAO hat das BSG entschieden, dass ein Arbeitsloser nicht täglich erreichbar ist, wenn er wiederkehrend mehrtägig ortsabwesend ist, ohne dass die Tage der Abwesenheit vorausschauend – und damit berechenbar – feststehen. Das Vermittlungsgeschäft der Behörde bezüglich des betreffenden Arbeitslosen ist dann in ganz erheblichem Umfang beeinträchtigt und praktisch vereitelt, und zwar unabhängig davon, ob sich ein solcher Sachverhalt vor der Bewilligung oder für die Vergangenheit herausstellt. In solchen Fällen darf die Behörde von einer durchgängigen Nichterreichbarkeit ausgehen. Dabei geht die Nichterweisbarkeit der maßgeblichen Tatsachen (Dauer und Lage der Auslandsaufenthalte vorausschauend berechenbar) zu Lasten des Arbeitslosen, wenn die Beweislage maßgeblich auf der fehlenden Mitteilung der Auslandsaufenthalte beruht (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 – B 7 AL 56/02 R – juris Rn. 15 ff.). Diese Rechtsprechung ist auf die zum Zeitpunkt der hier angefochtenen Bescheide gültige Rechtslage, die ebenfalls an die EAO anknüpfte, übertragbar.
In Anwendung der vorstehenden Maßstäbe hält zunächst die – allein die Klägerin zu 2.) betreffende – Rücknahmeentscheidung des Beklagten hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Für diese Entscheidung hat der Beklagte allein auf den Umstand abgestellt, dass nach den Feststellungen der Bundespolizei bei der Passkontrolle am Flughafen A-Stadt am 10. November 2018 der letzte Stempel im Pass der Klägerin zu 2.) ein AD. Einreisestempel vom 30. November 2014 war. Hieraus kann indes unter Berücksichtigung weiterer bekannter Umstände nicht geschlossen werden, dass sich die Klägerin zu 2.) seitdem durchgehend in R. aufgehalten hatte. So ist durch ein aktenkundiges Attest der Gemeinschaftspraxis AH. in A-Stadt vom 4. Dezember 2014 nachgewiesen, dass sich die Klägerin zu 2.) dort am 4. Dezember 2014, mithin wenige Tage nach ihrer vermeintlichen dauerhaften Ausreise, vorstellte. Dies belegt die fehlende Aussagekraft im Pass vorhandener bzw. nicht vorhandener Stempel ebenso wie die Tatsache, dass die Klägerin zu 2.) im Juni und Juli 2016 mehrfach bei dem Beklagten persönlich vorsprach. Zu diesen Zeitpunkten müsste sie in R. gewesen sein, wenn der Einreisestempel vom 30. November 2014 tatsächlich belegen würde, dass die Klägerin bis November 2018 nicht wieder aus R. ausgereist war. Diese Umstände lassen nur den Schluss zu, dass entweder die Pässe – wie von den Klägern behauptet – bei Ein- und Ausreise nicht immer abgestempelt wurden oder aber die Klägerin zu 2.) – was der Senat ebenfalls nicht ausschließen kann – über mehrere Reisepässe verfügte. Im Ergebnis liegen jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine fehlende Erreichbarkeit der Klägerin zu 2.) in den Monaten Dezember 2014 und Januar 2015 vor. Dementsprechend war auch das nur von einem Auslandsaufenthalt im Zeitraum vom 29. Juli 2016 bis 9. November 2018 ausgegangen.
Soweit der Beklagte in seinem während des Klageverfahrens (unzulässig) erlassenen Widerspruchsbescheid vom 7. April 2020 seine Rücknahmeentscheidung u. a. hinsichtlich des Zeitraums von 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 erstmals auch auf eine fehlende Hilfebedürftigkeit gestützt hat, handelt es sich um ein Nachschieben von Gründen durch die Behörde. Ein solches ist in Anfechtungssachen regelmäßig unzulässig, wenn die nachgeschobenen Gründe – wie hier – umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordern würden, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt einen anderen Wesenskern erhalten würde (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R – juris Rn. 23). Bei der gerichtlichen Überprüfung ist der Senat vor diesem Hintergrund auf den Rücknahmegrund beschränkt, auf den der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden vom 20. Februar 2019 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. August 2019 abgestellt hat, mithin die fehlende Erreichbarkeit. Die weiteren Aufhebungsgründe, namentlich die fehlende Hilfebedürftigkeit, hat der Beklagte erst während des Klageverfahrens in das Verfahren eingeführt. Hierzu sind die Kläger schon nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Hieraus folgt für die übrigen streitbefangenen Zeiträume, dass die Leistungsbewilligungen des Beklagten für die Zeit ab dem 11. November 2018 (Wiedereinreise der Kläger am 10. November 2018) sich nicht unter dem – allein maßgeblichen – Gesichtspunkt eines Aufenthalts außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs als rechtswidrig darstellen. Denn für einen Aufenthalt der Kläger außerhalb von A-Stadt liegen insoweit keine Anhaltspunkte vor, insbesondere haben diese nach dem 10. November 2018 wieder bei dem Beklagten (und auch dem ) vorgesprochen und nach den vorgelegten Behandlungsdaten war der Kläger zu 1.) auch wieder in A-Stadt in ärztlicher Behandlung. Demgegenüber ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt, dass die Kläger jedenfalls ab dem 2. Dezember 2016 bis zu ihrer Wiedereinreise am 10. November 2018 durchgehend nicht erreichbar im vorstehenden Sinne waren. Während die Klägerin zu 2.) schon seit Ende Juli 2016 (letzte persönliche Vorsprache bei dem Beklagten am 28. Juli 2016) nicht mehr in Erscheinung getreten war, sprach der Kläger zu 1.) zuletzt Ende November 2016 bei dem Beklagten persönlich vor, der letzte Arztbesuch in A-Stadt ist für den 1. Dezember 2016 belegt. Für die Folgezeit liegt kein belastbarer Nachweis für einen Aufenthalt der Kläger im zeit- und ortsnahen Bereich vor. Sie haben bis Mitte November 2018 nicht mehr bei dem Beklagten persönlich vorgesprochen und ihre fehlende Erreichbarkeit für Vermittlungsbemühungen des Beklagten ist durch die Vielzahl der Meldetermine in den Jahren 2017 und 2018, die allesamt versäumt wurden, anschaulich dokumentiert. Dabei haben die Kläger umfangreiche Kürzungen ihrer Leistungen u. a. aufgrund der Meldeversäumnisse hingenommen. Der Kläger zu 1.) stellte sich nach den von ihm selbst vorgelegten Behandlungsdaten in der Zeit vom 2. Dezember 2016 bis 21. November 2018 nicht bei seinen behandelnden Ärzten in A-Stadt vor. Die durchgeführten Ermittlungen im Berufungsverfahren haben ergeben, dass die von den Klägern angemietete und von dem Beklagten fortlaufend finanzierte Wohnung unter der Anschrift A-Straße in A-Stadt von ihnen jedenfalls bis Mitte November 2018 gar nicht bewohnt wurde. Familiäre Bindungen in A-Stadt sind für den fraglichen Zeitraum nicht erkennbar, vielmehr befanden sich alle Kinder in N. zur Schulausbildung, nachdem auch für die jüngste Tochter eine Befreiung von der Schulpflicht im Lande A-Stadt ab Dezember 2016 erwirkt worden war. Es ist für den Senat nicht glaubhaft, dass sich die Kläger als Eltern in Deutschland aufgehalten haben wollen, obwohl sie hier keinerlei berufliche Verpflichtungen o. ä. hatten. Vielmehr deuten noch andere Indizien (bei der Einreise am 10. November 2018 bei dem Kläger zu 2. vorgefundener Mitarbeiterpass einer AE. Transportfirma nebst AD. Steuerkarte sowie die Angaben der Klägerin zu 2. zur im fraglichen Zeitraum in R. erlangten Zulassung als Rechtsanwältin) auf einen Aufenthalt der Kläger in R. hin.
Soweit demgegenüber das VG A-Stadt in seinem von dem Kläger zu 1.) erwirkten Urteil vom 23. September 2022 (2 K 1815/19) einen Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets im Zeitraum vom 30. November 2016 bis zum 9. November 2018 nicht als nachgewiesen angesehen hat, hat es diese Entscheidung allein auf eine Inaugenscheinnahme des im Termin vorgelegten Reisepasses gestützt. In diesen Reisepass sind aber – wie ein Abgleich des dem Senat vorliegenden Original-Passes mit den am 10. November 2018 von der Bundespolizei gefertigten Kopien ergibt – nach der Passkontrolle am jenem Tag weitere Stempel mit früheren Daten eingebracht worden. Auf die Feststellungen im Tatbestand der vorliegenden Entscheidung wird insoweit Bezug genommen. Diese nachträgliche Manipulation kann nur der Kläger zu 1.) selbst veranlasst haben. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der Gesprächsvermerk des Beklagten über die persönliche Vorsprache des Klägers zu 1.) am 5. Februar 2019, wonach dieser seinerzeit erklärte, er habe seinen Pass einer anderen Person zum Abstempeln im Ausland mitgegeben.
Auch der von dem Kläger zu 1.) vorgelegte Einzahlungsbeleg vom 22. Mai 2017, welcher die Person des Einzahlers nicht erkennen lässt, ist als Nachweis für einen Aufenthalt des Klägers zu 1.) an diesem Tag in A-Stadt nicht geeignet. Keine Aussagekraft für einen Aufenthalt im zeit- und ortsnahen Bereich haben auch die aktenkundigen telefonischen Kontaktaufnahmen des Klägers zu 1.) mit dem Beklagten, die auch vom Ausland aus erfolgt sein können.
Schließlich vermag der Senat auch den Angaben der von den Klägern benannten Zeugen nicht zu folgen. Soweit schriftliche Bestätigungen vorgelegt worden sind, ist hinsichtlich des Zustandekommens dieser Erklärungen die Aussage des Zeugen F. vor dem Berichterstatter des Senats zu berücksichtigen. Aus dieser ist zu schließen, dass der Kläger zu 1.) an die Zeugen mit dem Ansinnen herangetreten ist, für bestimmte, von ihm vorgegebene Zeiträume persönliche Kontakte zu bestätigen. Der Zeuge F. hat im Übrigen seine von dem Kläger vorgelegte eidesstattliche Versicherung vom 6. August 2019 ausdrücklich korrigiert und in seiner Vernehmung eingeräumt, dass er die darin mitgeteilten persönlichen Kontakte mit dem Kläger zu 1.) in den Jahren 2016, 2017 und 2018 in Wahrheit nicht bestätigen könne.
Der Inhalt der von den Klägern vorgelegten schriftlichen Bestätigung (ohne Datum) des AN., wonach dieser die Kläger „im Jahre 2018“ in einem Supermarkt gesehen habe, kann als wahr unterstellt werden, so dass es der Vernehmung dieses Zeugen nicht bedarf. Der Senat geht – wie dargelegt – davon aus, dass sich die Kläger ab dem 10. November 2018 wieder im A-Stadt aufgehalten haben. Der Zeuge, der seine Wahrnehmung zeitlich nicht näher eingegrenzt hat, kann die Kläger auch nach diesem Zeitpunkt im Supermarkt gesehen haben.
Soweit der Zeuge D. in seiner vorgelegten eidesstattlichen Versicherung bestätigt hat, dass der Kläger zu 1.) im Jahr 2017 ungefähr sieben Mal, im Jahr 2018 acht Mal sowie im Jahr 2016 am 23. Dezember seinen Friseursalon zum Haareschneiden aufsuchte, ist nicht glaubhaft, dass sich der Zeuge bei Abfassung der Erklärung am 15. Juli 2019 an diese Daten noch genau erinnern konnte. Der Zeuge hat in seiner Vernehmung durch den Berichterstatter des Senats seine schriftlichen Angaben auch relativiert, indem er eingeräumt hat, dass er es nicht ganz genau sagen könne. Auch hat er auf die Vielzahl seiner Kunden verwiesen, die zum Haareschneiden kämen und dann wieder gehen würden, und er hat auf Befragen nicht ausgeschlossen, dass der Kläger zu 1.) auch einmal einige Monate nicht in seinem Salon erschienen ist. Bei lebensnaher Betrachtung dürfte es dem Inhaber eines gutgehenden Friseursalons – wie dem Zeugen – auch nicht möglich sein, sich an die genaue Zahl der Besuche seiner Kunden in früheren Jahren zu erinnern. Es dürfte ihm vielmehr schon schwerfallen, sich bei einem etwas länger zurückliegenden Besuch daran zu erinnern, wann der Kunde zuletzt im Salon war. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat der Aussage dieses Zeugen keinen Glauben zu schenken.
Dies gilt auch für die Aussage des Zeugen AO., der bereits keine widerspruchsfreien Angaben gemacht hat. Während er in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 29. Juli 2019 ausführte, dass der Kläger zu 1.) am 5. Dezember 2016, im Jahr 2017 „immer“ und im Jahr 2018 „fast jeden Monat“ in seinem Callshop gewesen sei, hat er sich in seiner Vernehmung durch den Berichterstatter dahingehend festgelegt, dass der Kläger zu 1.) jede Woche in seinem Laden gewesen sei. Die Richtigkeit dieser Aussage ist allerdings bereits durch das eigene Vorbringen der Kläger widerlegt, dass sie sich zeitweise bis zu drei Wochen im Ausland aufgehalten hätten.
Ferner belegen auch die Bekundungen des Zeugen C. für den Zeitraum vom 2. Dezember 2016 bis zum 10. November 2018 keinen Aufenthalt der Kläger im zeit- und ortsnahen Bereich. Dieser Zeuge hat ausgesagt, dass die von den Klägern angemietete Wohnung im AK. nicht bewohnbar gewesen sei und die Kläger sich zumindest zeitweise in seiner Wohnung aufgehalten hätten. Auf näheres Befragen hat er ausgeführt, dass die Kläger zu keinem Zeitpunkt bei ihm gemeldet gewesen seien und sie hätten auch keine Möbel mitgebracht, sondern seien jeweils mit einem Rucksack bei ihm erschienen. Sie hätten, nachdem der Kläger zu 1.) einen Wohnungsschlüssel verloren habe, über keinen eigenen Schlüssel verfügt. An den Kosten hätten sie sich nicht beteiligt. Auffällig war, dass der Zeuge von sich aus immer nur den Kläger zu 1.) erwähnte und erst auf Nachfrage bestätigte, dass die Kläger manchmal auch zusammen in seiner Wohnung gewesen seien bzw. die Klägerin zu 2.) manchmal auch alleine. Bei seinem Bericht über den Kläger zu 1.) hat er herausgestellt, dass dieser wiederholt längere Zeit weggewesen sei, wobei ihm die jeweiligen Aufenthaltsorte nicht bekannt gewesen seien. Insoweit hat der Zeuge nur Vermutungen mitgeteilt, wonach der Kläger zu 1.) in AC. oder AP. gewesen sein könne. Auf mehrfache Nachfrage des Senats hat der Zeuge sich hinsichtlich der Dauer der Abwesenheitszeiten des Klägers zu 1.) bzw. der Kläger nicht festgelegt; während er zunächst von drei Wochen gesprochen hat, hat er auch eine Abwesenheitszeit von einem Monat für möglich gehalten und eine noch längere Dauer nicht ausschließen können. In der Gesamtschau sind diese Bekundungen lediglich geeignet, Übernachtungsbesuche zu belegen, wobei deren Häufigkeit und Dauer in dem hier interessierenden Zeitraum offengeblieben sind. Ein dauerhaftes Wohnen der Kläger in der Wohnung des Zeugen erschließt sich aus dessen Angaben nicht, zumal der Zeuge über die konkreten Umstände des Zusammenwohnens in der kleinen Wohnung nichts zu berichten vermochte und es auch nicht plausibel wäre, dass der als Schichtarbeiter berufstätige Zeuge einen Aufenthalt von zwei nicht berufstätigen Dauergästen über einen Zeitraum von weit mehr als zwei Jahren hingenommen hätte. Für allenfalls gelegentliche Übernachtungsbesuche des Klägers zu 1.), die sich allerdings zeitlich nicht mehr eingrenzen lassen, spricht neben der nicht erfolgten Aushändigung eines Wohnungsschlüssels und der fehlenden Kostenbeteiligung der Kläger auch der Umstand, dass sich der Zeuge bei allen Nachfragen zur Lebensführung der Kläger auf Nichtwissen berief, obwohl er den Kläger zu 1.) als seinen Freund bezeichnete und bei lebensnaher Betrachtung im Falle des Vorliegens einer Wohngemeinschaft Informationen über die Ziele und die Dauer von Reisen ausgetauscht worden wären.
Unergiebig sind schließlich auch die knappen Angaben des Zeugen AQ. in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 8. August 2019, wonach er mit dem Kläger zu 1.) „in den Jahren 2016, 2017 und 2018 […] die meiste Zeit“ zusammen in A-Stadt ins Schwimmbad gegangen sei. In dieser Allgemeinheit ist die Aussage des Zeugen nicht geeignet, die Erreichbarkeit des Klägers zu 1.) für den Beklagten im fraglichen Zeitraum zu belegen. Die Kläger haben auch nicht behauptet, dass der Zeuge in der Lage wäre, seine Angaben zu konkretisieren. Vor diesem Hintergrund kann auf die Vernehmung dieses Zeugen verzichtet werden.
Nach alledem ist der Senat für den Zeitraum vom 2. Dezember 2016 bis zum 10. November 2018 davon überzeugt, dass sich die Kläger nicht im zeit- und ortsnahen Bereich aufgehalten haben. Für den davorliegenden Zeitraum ab dem 21. August 2016 (Kläger zu 1.) bzw. 1. Juni 2016 (Klägerin zu 2.) ist eine gleichlautende Feststellung unter Beweislastgesichtspunkten zu treffen. Für diese Zeiträume stellt sich der Sachverhalt so dar, dass die Kläger wiederkehrend mehrtägig oder gar längere Zeiträume ortsabwesend waren, ohne dass die Tage ihrer Abwesenheit vorausschauend feststanden. Ihre Auslandsaufenthalte haben die Kläger dem Beklagten zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, so dass in Anwendung der dargestellten Rechtsprechung des BSG die Nichterweisbarkeit der maßgeblichen Tatsachen (nicht mehr nachvollziehbare Dauer und Lage von Auslandsaufenthalten) zu ihren Lasten geht mit der Folge, dass von einer durchgängigen Nichterreichbarkeit auszugehen ist. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids, wenn sie diesen zurücknimmt. Eine Umkehr der Beweislast ist aber gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht. Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R – juris Rn. 30 m. w. N.; Senatsurteil vom 21. Dezember 2022 – L 13 AS 477/21 – juris Rn. 59). So liegt der Fall auch hier. Unstreitig reiste der Kläger zu 1.) am 21. August 2016 ins Ausland (AD. Einreisestempel vom 21. August 2016) und auch die Klägerin zu 2.) befand sich im Jahr 2016 nach eigenem Bekunden in R.. Diese Aufenthaltsaufenthalte, deren Beginn und/oder Dauer sowie Häufigkeit nicht mehr aufklärbar sind, haben die Kläger dem Beklagten nicht mitgeteilt. Für die Annahme einer Beweislastumkehr fällt zudem ins Gewicht, dass die Kläger den Beklagten auch über ihre Wohnverhältnisse getäuscht haben, indem sie den Eindruck erweckten, die von ihnen angemietete Wohnung seit September 2016 zu bewohnen, während sie tatsächlich – wie sie im Berufungsverfahren selbst eingeräumt haben – erst im November 2018 in diese Wohnung einzogen. Schließlich ist dem Kläger zu 1.) eine versuchte Täuschung des Senats anzulasten, welche darin bestand, dass er einen Reisepass mit nachträglich eingebrachten Stempeln vorlegte und hierüber den Eindruck zu erwecken versuchte, dass er im Jahr 2017 überhaupt nicht und in den Jahren 2016 und 2018 nur kurzzeitig in R. gewesen sei. Vor dem Hintergrund ungeklärter Auslandsaufenthalte im Zeitraum von Juni bzw. August bis November 2016 sind die nachgewiesenen persönlichen Vorsprachen der Kläger nicht geeignet, ihre Erreichbarkeit zu belegen, zumal die Kläger sich unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen C. auch noch an anderen Orten (AC., AP.) aufgehalten haben können.
Nach alledem erweist sich die Rücknahme der den Kläger zu 1.) betreffenden Leistungsbewilligungen für die Zeiträume vom 21. August 2016 bis 30. Oktober 2018 als rechtmäßig, während sie für den Monat November 2018 einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Für November 2018 waren dem Kläger zu 1.) mit Bescheid vom 19. November 2018 Sachleistungen bewilligt worden. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger zu 1.) indes wieder in A-Stadt erreichbar, so dass sich die Bewilligung nicht als rechtswidrig erweist. Für Dezember 2018 waren dem Kläger zu 1.) wegen einer 100%-Sanktion keine Leistungen gewährt worden, dementsprechend wurde in dem angefochtenen Bescheid vom 20. Februar 2019 auch keine Rücknahme der Leistungsbewilligung für diesen Monat vorgenommen. Soweit allerdings die Leistungsbewilligung für den Monat Januar 2019 zurückgenommen wurde, ging diese Regelung ins Leere, da bereits mit dem vorangegangenen Bescheid vom 23. Januar 2019, welcher bestandskräftig geworden war, die Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 1. Januar 2019 aufgehoben worden war. Letzteres gilt auch für die Klägerin zu 2.), sodass auch die sie betreffende Rücknahmeentscheidung im angefochtenen Bescheid für den Monat Januar 2019 ins Leere ging. Ferner erweist sich nach den vorstehenden Ausführungen hinsichtlich der Klägerin zu 2.) die Rücknahme der Leistungsbewilligungen für die Zeiträume vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 und vom 11. November bis 31. Dezember 2018 als rechtswidrig, während sie für den Zeitraum vom 1. Juni 2016 bis 10. November 2018 als rechtmäßig zu bestätigen ist.
Auf Vertrauensschutz können sich die Kläger nicht berufen. Die in Rede stehenden Bewilligungsbescheide beruhen auf Angaben, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X). Die Kläger teilten dem Beklagten ihre geplanten Auslandsaufenthalte nicht mit, obwohl sie – wie sie aufgrund der ihnen erteilten Informationen wussten – hierzu verpflichtet waren.
Die Fristen des § 45 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 S. 2 SGB X sind gewahrt. Der Beklagte war nach alledem verpflichtet, seine Bewilligungsbescheide, soweit sie rechtwidrig waren, gemäß § 45 Abs. 1 SGB X aufzuheben. Ein Ermessensspielraum stand ihm insoweit nicht zu (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III).
Die Verpflichtung zur Erstattung der überzahlten Leistungen folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Aus der rückwirkenden Aufhebung der Entscheidungen über die Leistungen und deren Rückforderung folgt zugleich die Verpflichtung der Kläger, dem Beklagten die gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu ersetzen (§ 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i. V. m. § 335 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 SGB III). Aus der teilweisen Rechtswidrigkeit der Rücknahmeentscheidungen des Beklagten ergibt sich für den Kläger zu 1.), dass die für November 2018 bewilligten Sachleistungen in Höhe von 208 € nicht zu erstatten sind. Damit entfällt gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 5 S. 1 Halbs. 2 SGB II auch die Verpflichtung zur Ersatz der entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (98,43 € und 17,60 €). Die Erstattungssumme reduziert sich damit auf 14.735,09 €.
Für die Klägerin zu 2.) ergibt sich folgende Korrekturberechnung:
Von dem Beklagten geltend gemachter Gesamtbetrag (€) 20.348,54
Dez. 2014 Regelbedarf - 353,00
KdU - 160,00
Januar 2015 Regelbedarf - 353,00
KdU - 160,00
November 2018 Regelbedarf - 374,00
KdU - 284,05
Krankenvers. - 98,43
Pflegevers. - 17,60
Dezember 2018 Regelbedarf - 374,00
KdU - 284,05
Krankenvers. - 98,43
Pflegevers. - 17,60
Überzahlung Regelbedarf und KdU 01. – 10.11.2018 + 219,35
17.993,73
Beide Kläger sind – wie von dem Beklagten im Ergebnis zutreffend festgestellt – gemäß § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die Leistungen für Januar 2019 zu erstatten, weil der zugrundeliegende Verwaltungsakt bereits mit Bescheid vom 23. Januar 2019 bestandskräftig aufgehoben worden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des nur geringfügigen Obsiegens der Kläger (7,6%) ist eine Belastung des Beklagten mit den außergerichtlichen Kosten der Kläger nicht gerechtfertigt.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.