L 5 KR 101/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 23 KR 785/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 101/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 11.01.2021 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, seine stationäre Aufnahme in der Psychiatrie der Uniklinik B. zu veranlassen.

 

Der 0000 geborene Kläger leidet an einer organisch emotional labilen Störung, die eine verminderte Frustrationstoleranz, eine Neigung zu unkontrollierten Impulsdurchbrüchen und verbale Aggressionen bedingt. Für ihn war zwischenzeitlich eine Betreuung eingerichtet, die aber durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 06.07.2021 wieder aufgehoben wurde (Az. 61 XVII 109/19 St).

 

Am 22.11.2019 beantragte er bei der Beklagten eine „notfallmäßige Behandlung (stationär)“ in der Psychiatrie der Uniklinik B.. Er sei mit einem Betreuer seines Ambulant-betreuten-Wohnens dorthin gefahren, aber man habe eine stationäre Aufnahme trotz geschilderter Selbstmord- und Fremdgefährdung abgelehnt.

 

Die Beklagte teilte dem Kläger mit (Schreiben vom 27.11.2019), dass der behandelnde Arzt ihm eine Einweisung für eine Krankenhausbehandlung ausstellen könne, wenn eine solche indiziert sei. Die Kosten würden dann nach Beendigung des Aufenthaltes direkt mit der Beklagten abgerechnet. Der aufnehmende Arzt werde in einem Vorgespräch entscheiden, ob die geplante Behandlung stationär durchgeführt werden müsse.

 

Der Kläger wandte sich daraufhin erneut an die Beklagte (Schreiben vom 03.12.2019) und verwies auf die erfolgte Ablehnung einer stationären Aufnahme durch die Uniklinik B.. Er bat um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides.

 

Die Beklagte teilte dem Kläger mit (Schreiben vom 05.12.2019), dass von dem aufnehmenden Krankenhaus zu entscheiden sei, ob eine geplante Behandlung stationär durchgeführt werden müsse. Sofern eine medizinische Notwendigkeit bestehe, sei das Krankenhaus im Rahmen des Versorgungsvertrages zur stationären Aufnahme verpflichtet. Das Risiko einer Fehleinschätzung könne das Krankenhaus nicht an den Versicherten oder den Krankenversicherungsträger delegieren. Das Schreiben war mit einer Rechtsmittelbellehrung versehen.

 

Am 20.12.2019 legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe am 04.12.2019 eine Verordnung über eine Krankenhausbehandlung auf Grund der Diagnosen Persönlichkeitsstörung, Angststörung, Depression erhalten, gleichwohl sei er am 17.12.2019 durch die Uniklinik B. abgewiesen worden.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2020 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück. Für den geltend gemachten Anspruch bestehe keine Rechtsgrundlage. Ein Weisungsrecht der Krankenkasse gegenüber den Krankenhäusern habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen.

 

Am 15.06.2020 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Köln Klage erhoben, mit der er sein Anliegen weiter verfolgt.

 

Der Kläger hat nach Auslegung des Sozialgerichts sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27.11.2019 und vom 05.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 zu verurteilen, ihm eine stationäre Krankenhausbehandlung in seiner Sektorpsychiatrie zu gewähren und zu bezahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist bei ihrer Auffassung verblieben, dass eine Rechtsgrundlage für das vom Kläger vorgetragene Begehren nicht bestehe.

 

Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme der Uniklinik B., Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, eingeholt. Der Leitende Oberarzt F. teilte mit, der Kläger habe sich zuletzt im Oktober 2019, nicht aber im Dezember 2019 vorgestellt. Es sei keine Notwendigkeit zur stationären Aufnahme gesehen worden.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Unabhängig von der Notwendigkeit der Durchführung einer stationären psychiatrischen Behandlung sei keine Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren des Klägers ersichtlich. Die Prüfung, ob und inwieweit eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich sei, sei in erster Linie Aufgabe des jeweiligen Krankenhauses. Ein Weisungsrecht der Beklagten dergestalt, dass eine stationäre Aufnahme durch das jeweilige Krankenhaus erfolgen müsse, bestehe nicht.

 

Mit seiner am 03.02.2021 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung hingegen für zutreffend.

 

Am Tag des Termins zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger im Gericht erschienen und hat an der Einlasskontrolle ein ärztliches Attest vom 30.07.2021 vorgelegt. Danach sei er von der Pflicht, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, befreit. Als medizinische Gründe lägen Erkrankungen im HNO-Bereich vor, die die ausreichende Atmung einschränkten, außerdem lägen bei ihm eine psychische Erkrankung sowie eine Sprachbehinderung vor. Die Befreiung für Mund-Nase-Bedeckung gelte nur bei völliger Symptomfreiheit. Als Diagnosen waren nach ICD benannt: F32.9, F60.9, F41.8, J44.99. Der Vorsitzende hat daraufhin beschlossen, dem Kläger ohne Mund-Nasen-Bedeckung keinen Zugang zum Sitzungssaal zu gewähren.

 

Für die Beklagte ist im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

A. Der Senat konnte auch in Abwesenheit der Beteiligten entscheiden. Die Beteiligten sind auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§ 63 Abs. 1 und 2 SGG) hingewiesen worden.

 

Insbesondere liegt in dem Umstand, dass der Senat in Abwesenheit des Klägers entschieden hat, obwohl dieser erkennen lassen hat, dass er an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wolle, kein Verstoß gegen den (Verfassungs-)Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG). Die Verweigerung des Zugangs des Klägers in das Gerichtsgebäude am Tag der mündlichen Verhandlung sowie der Ausschluss von der mündlichen Verhandlung erforderte keine Vertagung derselben. Der Kläger hat den Grund für sein Fernbleiben vom Termin zur mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten.

 

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs besagt, dass ein Beteiligter eines gerichtlichen Verfahrens Gelegenheit haben muss, sich vor Erlass einer Entscheidung zum Streitstoff zu äußern und gehört zu werden (Keller in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 62 Rn. 2 m.w.N.). Zunächst hatte der Kläger während des gesamten Verfahrens hinreichend Gelegenheit, zum Prozessstoff Stellung zu nehmen und mit seinen Stellungnahmen gehört zu werden. Von diesem Recht hat der Kläger durch schriftliche Stellungnahmen Gebrauch gemacht. Streitstoff, zu dem er sich nicht hat äußern können bzw. nicht geäußert hat, ist nicht ersichtlich. Insbesondere war ihm auf Grund des Beschlusses vom 25.10.2021, mit dem der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hatte, die Rechtsauffassung des Senats und die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung hinreichend bekannt. Er hatte ausreichend Gelegenheit, diesbezüglich weiter vorzutragen.

 

Zum Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Klage- bzw. Berufungsverfahren gehört in der Regel weiter, dass den Beteiligten Gelegenheit geboten wird, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung (selbst oder durch einen Bevollmächtigten) darzulegen. Dem hat der Senat durch Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung und Benachrichtigung des Klägers von diesem Termin Rechnung getragen. Ob der Kläger die ihm durch die Anberaumung eines Termins eröffnete Möglichkeit nutzt und an der mündlichen Verhandlung teilnimmt (oder dazu ggf. einen Bevollmächtigten entsendet), bleibt allein seiner Entscheidung überlassen. Der Senat hielt die Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich. Dementsprechend hatte der Senat das persönliche Erscheinen des Klägers zu diesem Termin nicht angeordnet.

 

Die Verweigerung des Zutritts des Klägers in das Gerichtsgebäude stellte kein Hindernis dar, die mündliche Verhandlung durchzuführen und den Rechtsstreit zu entscheiden. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er objektiv daran gehindert war, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Der Kläger hatte sich vielmehr trotz Anordnung des Vorsitzenden geweigert, im Gerichtsgebäude und insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen geeigneten Mund-Nasen-Schutz zu tragen, obwohl der Vorsitzende eine entsprechende Anordnung zum Schutz aller Beteiligten angesichts der aktuell herrschenden Pandemielage mit am Tag der mündlichen Verhandlung mehr als 200.000 Corona-Neuinfektionen und einer bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von 1017 getroffen hatte. Allein diese fehlende Bereitschaft und nicht etwa objektive Hindernisse haben dazu geführt, dass der Kläger an dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen konnte. Auch das vorgelegte ärztliche Attest war nicht geeignet, eine Ausnahme von der getroffenen Anordnung zuzulassen. Einen geeigneten Nachweis dafür, dass er aus gesundheitlichen Gründen eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht tragen dürfe, hat er im Rahmen der Einlasskontrolle am Terminstag nicht erbracht. Das bei der Einlasskontrolle vorgelegte Attest, datierend vom 30.07.2021, war nicht geeignet, den Einlass in das Gerichtsgebäude und eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ohne medizinische Maske zu gestatten. Erforderlich hierfür wäre ein aktuelles Attest, das eine Diagnose erkennen lässt und darüber Auskunft gibt, welche konkreten Beeinträchtigungen durch das Tragen der Maske hervorgerufen werden (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2021 - 13 B 104/21 -, juris). Das sechs Monate alte Attest ließ aber schon auf Grund seiner Pauschalität keine eindeutigen Erkrankungen erkennen, die eine Befreiung von der Anordnung hätten rechtfertigen können. Welche konkreten Beeinträchtigungen der Kläger bei Tragen eines geeigneten Mund-Nasen-Schutzes zu erwarten gehabt hätte, ist nicht dargetan. Zudem stand das Attest unter dem Vorbehalt der Symptomfreiheit, die durch die anwesenden, medizinisch nicht vorgebildeten Richter nicht mit hinreichender Sicherheit überprüft werden konnte. Allein die Vorlage eines negativen Bürgertests vermag eine Symptomfreiheit nicht ausreichend zu belegen.

 

B. Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet.

 

I. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch gerichtet auf eine Verpflichtung der Beklagten, eine stationäre Einweisung des Klägers zu veranlassen und die entstehenden Kosten zu tragen, besteht nicht.

 

Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass eine Rechtsgrundlage für das vom Kläger verfolgte Begehren nicht existiert. Ein Weisungsrecht der Krankenkasse gegenüber einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus, einen Versicherten stationär aufzunehmen, besteht nicht. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V gewährt Versicherten einen Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- oder nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Gesetzgeber macht damit den Anspruch auf Krankenhausbehandlung (und auf Übernahme der dadurch entstehenden Kosten) von deren Erforderlichkeit abhängig, die im Verhältnis zum Versicherten prognostisch in der Regel zunächst allein von dem behandelnden oder aufnehmenden Arzt beurteilt werden kann. Wird eine solche Erforderlichkeit bejaht, so ist das Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsvertrages zur Aufnahme des Patienten verpflichtet. Ein Weisungsrecht der Krankenkasse gegenüber einem Krankenhaus zur Aufnahme eines bestimmten Patienten hat der Gesetzgeber demgegenüber nicht vorgesehen. Es besteht somit keine Möglichkeit der Beklagten, auf das vom Kläger favorisierte Krankenhaus dergestalt einzuwirken, dass es zu einer stationären Aufnahme des Klägers verpflichtet wäre.

 

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

III. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved