L 5 P 108/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 P 5/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 108/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 13/23 AR
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.08.2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

Im Streit stehen die Rückzahlung zu Unrecht gewährter Leistungen nach einem Pflegegrad 2 und die Weitergewährung dieser Leistungen über den 30.06.2019 hinaus.

 

Die 0000 geborene und bei der Beklagten kranken- und pflegeversicherte Klägerin beantragte im Juli 2017 die Gewährung von Leistungen der Pflegversicherung. Nach Untersuchung durch den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2017 rückwirkend ab Antragstellung Pflegegeld nach einem Pflegegrad 2.

 

Im Rahmen der vom SMD empfohlenen Nachuntersuchung im Dezember 2018 und psychiatrischer Zusatzbegutachtung im Januar 2019 wurde kein Pflegegrad mehr festgestellt. Nach entsprechender Anhörung der Klägerin hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 23.10.2017 mit Bescheid vom 06.03.2019 für die Zukunft, d.h. mit Ablauf des Tages der Bekanntgabe des Bescheides auf. Gegen den ihr am 09.03.2019 förmlich zugestellten Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich in keiner Hinsicht verbessert. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Bis zum 31.05.2019 erbrachte die Beklagte mit Blick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs die ursprünglich bewilligten Leistungen weiter. Die Klage gegen den Aufhebungsbescheid blieb erfolglos (Abweisung der Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.09.2020 – S 3 P 191/19 – SG Gelsenkirchen, Zurückweisung der Berufung mit Urteil vom 18.02.2021 – L 5 P 126/20 – LSG Nordrhein-Westfalen, Verwerfung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 24.08.2021 – B 3 P 4/21 B, Verwerfung der hiergegen gerichteten Anhörungsrüge mit Beschluss vom 22.09.2021 – B 3 P 4/21 C, Verwerfung der weiteren Anhörungsrüge mit Beschluss vom 08.11.2021 – B 3 P 6/21 C).

 

Nach Eintritt der Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 06.03.2019 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2021 nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die einstweilen weiter erbrachten Leistungen für die Zeit vom 10.03.2019 bis zum 30.06.2019 in Höhe von 1.169,20 € zurück. Es seien für März bis Juni monatlich 316,00 € gezahlt worden, tatsächlich beanspruchen könne die Klägerin nur Leistungen für die Zeit vom 01.03. bis zum 09.03.2019 in Höhe von 94,80 € (316 € / 30 x 9 Tage).

 

Hiergegen erhob die Klägerin am 08.10.2021 Widerspruch. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2021 als unbegründet zurück. Die überzahlten Leistungen seien zurückzufordern. Die Beklagte habe hierbei keinen Ermessensspielraum.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 06.01.2022 Klage beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aufhebung der ursprünglich bewilligten Leistungen unrechtmäßig gewesen sei. Die Beklagte habe den Bewilligungsbescheid nicht einfach auf der Grundlage eines Hausbesuchs aufheben dürfen. Dass Gegenstand dieses Besuchs die Überprüfung des Pflegegrades sein sollte, sei für sie nicht erkennbar gewesen. Sie wende sich deshalb gegen die Rückzahlungsverpflichtung. Darüber hinaus seien die Pflegleistungen rückwirkend ab Juni 2019 wieder auszuzahlen. Im Übrigen beanspruche sie mit Blick auf die Sachbehandlung durch die Beklagte eine Entschädigung in Höhe von 100.000 €. Darüber hinaus könne sie urheberrechtliche Vergütungen für die Nutzung ihrer zahlreichen geistigen Schöpfungen u.a. durch die Knappschaft verlangen. Die Rückzahlung des Pflegegeldes könne notfalls mit diesen Vergütungsansprüchen verrechnet werden.

 

Das Sozialgericht hat mit Schreiben vom 21.06.2022, der Klägerin zugestellt am 02.07.2022, zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Soweit die Klägerin sich mit Forderungen gegen die Krankenversicherung u.a. wegen Urheberrechtsverletzungen wende, sei eine Aufrechnung gegenüber der Beklagten als Pflegeversicherung schon mangels Aufrechnungslage nicht möglich. Es stehe der Klägerin frei, solche Ansprüche gesondert geltend zu machen. Hierfür seien die Sozialgerichte allerdings nicht zuständig.

 

Nach Auslegung des Sozialgerichts hat die Klägerin schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 06.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2021 aufzuheben

und

die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Juni 2019 weiterhin Leistungen nach dem Pflegegrad 2 (Pfleggeld) nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet. 

 

Mit Gerichtsbescheid vom 18.08.2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid vom 06.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2021 sei rechtmäßig. Nachdem der ursprüngliche Bewilligungsbescheid bestandskräftig aufgehoben worden sei, habe die Beklagte nach gesetzlicher Anordnung des § 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB X die in der Zeit nach der Bekanntgabe der Aufhebungsentscheidung noch erbrachten Leistungen mittels Verwaltungsakt zurückfordern müssen. Die zurückgeforderte Summe sei auch in der Höhe zutreffend berechnet.

 

Die Klägerin könne auch nicht ab Juni 2019 Leistungen nach dem Pflegegrad 2 beanspruchen. Die unmittelbar auf entsprechende Leistungsgewährung gerichtete Klage der Klägerin sei mangels Antrags und Vorverfahrens unzulässig. 

 

Gegen den ihr am 30.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 02.09.2022 Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und insbesondere mit Blick auf die von ihr vorgetragenen geistigen Schöpfungen und deren Vergütung vertieft. Pflegegeld mache sie vornehmlich mit Blick auf ihre somatischen Erkrankungen geltend, d.h. insbesondere mit Blick auf Bandscheibenprobleme und Bewegungseinschränkungen des rechten Arms. In psychiatrischer Hinsicht stütze sich die Beklagte in ihrer Funktion als Rentenversicherungsträger in dem Streit um ihre Erwerbsminderungsrente unzutreffend auf die Diagnose einer bipolaren Störung. Diese Diagnose sei bereits 2013 durch ihren psychiatrischen Behandler in der W.-Klinik zugunsten der Diagnosen einer Depression und Belastungsstörung verworfen worden. Diese Erkrankungen seien bei der Prüfung der Leistungen der Pflegeversicherung zu berücksichtigen.

 

Im Termin vom 29.06.2023 hat die Klägerin nach eingehender Erörterung ihr Berufungsbegehren sachdienlich auf die pflegeversicherungsrechtlichen Kernfragen begrenzt.

 

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.08.2022 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 06.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2021 aufzuheben.

 

Weiter beantragt die Klägerin,

die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Juli 2019 weiterhin Leistungen nach einem Pflegegrad 2 in Gestalt von Pflegegeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.  

 

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG erteilt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakten, der beigezogenen Verfahrensakten S 3 P 191/19 – SG Gelsenkirchen sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, § 155 Abs. 3 und 4 SGG i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG.

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 18.08.2022 zu Recht die Klage abgewiesen.

 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2021 ist rechtmäßig (siehe nachstehend unter a)). Die Klägerin kann darüber hinaus nicht beanspruchen, dass ihr ab Juli 2019 wieder Leistungen nach einem Pflegegrad 2 von der Beklagten erbracht werden (siehe nachstehend unter b)).

 

Der Senat nimmt zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids, die er sich zu Eigen macht.

 

Das Berufungsvorbringen führt zu keinem anderen Ergebnis.

 

a)

Auch der Senat kann sich nicht darüber hinwegsetzen, dass die Aufhebung des Leistungen der Pflegeversicherung bewilligenden Bescheides vom 23.10.2017 mit Bescheid vom 06.03.2019 für die Zukunft, d.h. ab dem 10.03.2019 bestandskräftig geworden ist. Nachdem die Klägerin den Rechtsweg gegen die Aufhebung erfolglos vollständig beschritten hat, steht zwischen den Beteiligten nach § 77 SGG fest, dass die Klägerin ab dem 10.03.2019 Leistungen der Pflegeversicherung auf der Grundlage der ursprünglichen Bewilligung nicht mehr beanspruchen kann.

 

Diese Bestandskraft ist auch von den Gerichten zu beachten.

 

Die mit Blick auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs noch bis zum 30.06.2019 weiter erbrachten Leistungen hat die Beklagte mit dem hier gegenständlichen Bescheid vom 06.10.2021 zurecht zurückgefordert.

 

§ 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB X ordnet die Rückforderung ohne Rechtsgrund erbrachter Leistungen als Rechtsfolge der Aufhebung des Bewilligungsbescheides an, ohne dass der Beklagten oder den Gerichten hierbei ein Ermessens- oder sonstiger Entscheidungsspielraum zukommt.

Ob die Rückforderung angesichts der aktenkundigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin durchsetzbar ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

 

b)

Die Klägerin kann auch nicht ab Juli 2019 erneut Leistungen nach einem Pflegegrad 2 von der Beklagten beanspruchen. Es fehlt an einer (erneuten) Bewilligung dieser Leistungen. Eine (ablehnende) Entscheidung hierüber, die zum Gegenstand eines Widerspruchs- und Klageverfahrens gemacht werden könnte, hat die Beklagte nicht getroffen. Zutreffender Weise hat das Sozialgericht daher die auf unmittelbare Leistungsgewährung gerichtete Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.

 

Dass die Klägerin in ihrer subjektiven Wahrnehmung zu einer anderen Einschätzung gelangt, vermag der Senat mit Blick auf den medizinischen Kontext durchaus nachzuvollziehen. An der Entscheidungsfindung ändert dies nichts.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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