Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.2.2020, soweit es den Bescheid vom 12.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2018 hinsichtlich des Zuschusses zur Krankenversicherung aufgehoben hat, geändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist noch die Aufhebung der Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung für die Zeit ab 1.4.2002 bis zum 28.2.2017 sowie die Erstattung des überzahlten Zuschusses in Höhe von 10.682,99 €.
Die 0000 geborene Klägerin bezieht seit dem 1.6.1998 eine Altersrente für Frauen. Diese wurde mit Bescheid vom 19.6.1998 bewilligt und ab 1.8.1998 laufend gezahlt. Zuvor hatte die Klägerin im März und April 1998 den Vordruck „Prüfung der Meldung zur KVdR nach § 201 Abs. 1 SGB V“ unterschrieben. Nachdem die Prüfung durch die Krankenversicherung, die IKK A. (jetzt: IKK O.), ergeben hatte, dass die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner nicht erfüllt waren, beantragte die Klägerin im August 1998 einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung. Das Antragsformular enthielt als Erklärung der Antragstellerin u. a. die Verpflichtung, der Beklagten die Beendigung der freiwilligen Versicherung sowie den Beginn einer Versicherungspflicht unverzüglich anzuzeigen. Mit Bescheid vom 1.10.1998 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass die Rente neu berechnet werde, da sich das Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis ab dem 1.7.1998 geändert habe. Sie habe nunmehr Anspruch auf einen Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung. Der Zuschuss zur Krankenversicherung betrage 78,65 DM und zur Pflegeversicherung 12,57 DKVdR Der Bescheid enthielt unter Mitteilungspflichten auf Seite 3 und 4 des Bescheides den Hinweis:
„Der Anspruch auf Beitragszuschuss für die freiwillige oder private Krankenversicherung entfällt mit der Aufgabe oder dem Ruhen dieser Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen. Dies gilt auch für Änderungen in den Verhältnissen von Familienangehörigen, deren Beitrag bei der Berechnung des Beitragszuschusses berücksichtigt wurde.“
Ein ähnlich lautender Hinweis erfolgte im Anschluss auch für den Beitragszuschuss zur Pflegeversicherung.
Die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin bei der IKK O. endete zum 31.3.2002 und sie wurde zum 1.4.2002 Pflichtmitglied in der KVdR und damit der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Weder die Klägerin noch die IKK O. teilten der Beklagten diesen Wechsel zum damaligen Zeitpunkt mit.
Am 14.12.2016 erhielt die Beklagte von der IKK O. im Rahmen des KVdR-Meldeverfahrens einen die Klägerin betreffenden Datensatz, aus dem sich deren Zugehörigkeit zur KVdR seit 1.4.2002 ergab. Mit Bescheid vom 30.1.2017 berechnete die Beklagte die Altersrente ab 1.4.2002 neu. Bei der laufenden Zahlung werde ab 1.3.2017 der monatliche Beitragsanteil zur Krankenversicherung, der Zusatzbeitrag zur Krankenkasse und der Beitrag zur Pflegeversicherung in Abzug gebracht. Für die Zeit ab 1.4.2002 bis 28.2.2017 ergebe sich eine Überzahlung von 15.806,36 €, die zu erstatten sei. Dieser Betrag setze sich zusammen aus den rückständigen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 1.1.2013 bis 28.2.2017 – die Ansprüche für die Zeit bis 31.12.2012 seien verjährt - in Höhe von 4.957,80 € und den Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung vom 1.4.2002 bis 28.2.2017 in Höhe von 10.848,56 €. Insoweit sei beabsichtigt, den zu Grunde liegenden Bewilligungsbescheid aufzuheben. Es werde ihr hiermit Gelegenheit zur Anhörung gegeben. Die Klägerin legte am 8.2.2017 Widerspruch ein. Sie mache für die Vergangenheit Vertrauensschutz geltend. Das Geld habe sie verbraucht, die Fehlerhaftigkeit liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.3.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Pflicht zur Einbehaltung von Krankenversicherungsbeiträgen bestehe unabhängig von der Schuldfrage; die rückständigen Beiträge seien, soweit nicht verjährt, von Gesetzes wegen geltend zu machen. Das daraufhin bei dem Sozialgericht Köln geführte Klageverfahren, Az.: S 33 R 543/17, endete durch Klagerücknahme.
Mit Bescheid vom 12.4.2017 hob die Beklagte die Bewilligung des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 28.2.2017 nach § 48 SGB X auf. Durch die seit 1.4.2002 bestehende Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sei die freiwillige Krankenversicherung beendet worden und die Grundlage für den Zuschuss zu den Beiträgen zur freiwilligen Versicherung entfallen. Damit sei eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Die Klägerin sei in dem Bescheid vom 1.10.1998 über die Zuschussbewilligung darauf hingewiesen worden, dass der Zuschuss mit der Aufgabe der Versicherung und bei Eintritt von Kranken- und Pflegeversicherungspflicht entfalle und sie daher zur Mitteilung jeder Änderung verpflichtet sei. Dieser Mitteilungspflicht sei sie grob fahrlässig nicht nachgekommen, so dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllt seien. Auch habe sie aufgrund der Hinweise wissen müssen, dass ihr der Zuschuss nicht weiter zustehe. Mit Blick auf das Mitverschulden der Krankenkasse, die den Beginn der Pflichtversicherung verspätet gemeldet habe, werde zu Gunsten der Klägerin von einem „atypischen“ Fall ausgegangen, so dass hinsichtlich der Aufhebung eine Ermessensentscheidung zu treffen sei. Dabei seien der von ihr geltend gemachte Vertrauensschutz, fehlendes Mitverschulden und der Verbrauch der überzahlten Leistungen dem Wissen um die kostenfreie und sogar bezuschusste Krankenversicherung, das fehlende Mitverschulden der Beklagten an der Weitergewährung der Zuschüsse sowie das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes gegenüberzustellen. Unter Abwägung der Gründe werde der Bescheid vom 1.10.1998 in vollem Umfang aufgehoben. Es bestehe die Möglichkeit, Stundung, Ratenzahlung, Niederschlagung oder Erlass zu beantragen.
Die Klägerin legte am 28.4.2017 durch ihre Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, eine Mitteilung sei zwar nicht erfolgt, ihr sei aber keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe keinen Einblick in ihre eigenen Unterlagen gehabt, weil ihr Ehemann sich um die finanziellen Angelegenheiten und den Schriftverkehr gekümmert habe. So habe er auch ihre Post an sich genommen und alleine bestimmt, was zu veranlassen sei. Das habe er bis zu seinem Tod am 27.4.2016 getan und sie sei immer davon ausgegangen, dass alles in Ordnung sei. Dass sie von einer Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses betroffen gewesen sei, habe sie damals aufgrund dessen gar nicht beurteilen können und es sei für sie auch immer noch nicht nachvollziehbar. Grobe Fahrlässigkeit sei ihr vor diesem Hintergrund nicht vorzuwerfen, da der Wegfall des Anspruchs auf den Zuschuss gerade nicht augenfällig für sie gewesen sei. Maßgeblich sei insoweit ein subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab. Ob überhaupt in 2002 ein entsprechendes Informationsschreiben der Krankenkasse bei ihr eingegangen sei, sei bereits fraglich. Bei der Abwägung der Gründe für und gegen die Aufhebung seien nicht alle wesentlichen Aspekte ausreichend berücksichtigt worden; vielmehr hätte auch eine Reduzierung des Betrages erwogen werden müssen.
Mit Schreiben vorm 6.10.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es auch im Falle eines Mitverschuldens der Verwaltung bei der vollständigen Aufhebung der Bewilligung bleiben könne. So liege der Fall hier; zwar werde das Mitverschulden der Krankenkasse aufgrund ihrer materiell-rechtlichen Verknüpfung mit der Beklagten berücksichtigt. Es überwiege aber die Tatsache, dass sie seit Beginn der Versicherungspflicht keine freiwilligen Beiträge mehr gezahlt, aber weiterhin den Zuschuss dazu erhalten habe. Das Wissen und Verschulden ihres Ehemannes müsse sie sich zurechnen lassen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.7.2018 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung der Gründe im Ausgangsbescheid und im Schreiben vom 6.10.2017 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.7.2018 Klage bei dem SG Köln erhoben unter Verweis auf ihren bisherigen Vortrag. Ergänzend hat sie ausgeführt, sie könne nicht sagen, ob ihr Ehemann die Änderung nicht doch mitgeteilt habe; da sich zwischen 2002 und 2016 weder die Krankenversicherung noch die Beklagte bei ihr gemeldet habe, sei sie davon ausgegangen, dass alles in Ordnung gewesen sei. Sie habe zudem die Verantwortung an ihren verstorbenen Ehemann delegiert und könne sich insoweit exkulpieren, als ihr Ehemann sich um die finanziellen Angelegenheiten immer sorgfältig gekümmert habe und zu keiner Zeit eine solch wichtige Mitteilung vergessen worden sei. So könne bei ihr selbst nur von leichter Fahrlässigkeit ausgegangen werden. Das darüber hinaus vorliegende Verschulden der Krankenkasse müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Bei der Rückforderung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 28.2.2017 seien die Verjährungsregeln des § 50 Abs. 4 SGB X unberücksichtigt geblieben. Der Erstattungsanspruch verjähre in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden sei. Hier sei der Aufhebungsbescheid erst am 12.4.2017 erlassen worden und noch gar nicht rechtskräftig.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 12.4.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2018 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht gewesen, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht dadurch ausgehebelt werden könnten, dass der Versicherte einen Dritten mit der Erledigung seiner Angelegenheiten betraue. In diesem Fall müsse dieser sich ein eventuelles Fehlverhalten des Dritten zurechnen lassen, die Klägerin hier das ihres Ehemannes. Da der Aufhebungsbescheid noch nicht unanfechtbar sei, habe die Verjährungsfrist noch gar nicht zu laufen begonnen.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 18.2.2020 stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Weder der Klägerin noch ihrem Ehemann sei ein Verschulden hinreichend nachzuweisen. Die Klägerin selbst habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, von „den finanziellen Dingen“ keinerlei Kenntnis gehabt zu haben, so auch nicht von dem Wechsel des Krankenversicherungsverhältnisses und dem Wegfall der Beitragsentrichtung. Es sei davon auszugehen, dass der Ehemann der Klägerin die Dinge für die Klägerin geregelt habe, die sich auf ihn verlassen habe, weil er diese Angelegenheiten stets sorgfältig erledigt habe. Ihr könne daher auch kein Verschulden bei der Auswahl der Hilfsperson, derer sie sich bedient habe, vorgeworfen werden. Ob und in welcher Form den Ehemann ein Verschulden getroffen habe, könne nicht mehr festgestellt werden, da dieser bereits verstorben sei. Die Beklagte sei insoweit beweisbelastet. Daher könne auch offen bleiben, ob der Klägerin ein Verschulden ihres Ehemannes überhaupt zuzurechnen gewesen wäre.
Gegen das ihr am 5.3.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.4.2020 Berufung eingelegt und diese auf die Aufhebung der angefochtenen Bescheide hinsichtlich des Zuschusses zur Krankenversicherung beschränkt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X seien entgegen der Auffassung des SG erfüllt.
Bereits der Umstand, dass sich die Klägerin um ihre Rentenangelegenheiten nach ihrer eigenen Aussage nicht gekümmert habe, begründe das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit. Jedenfalls für die Zeit nach dem Tod des Ehemannes liege grobe Fahrlässigkeit der Klägerin selbst vor, da sie auch danach keine Veranlassung gesehen habe, sich um ihre Rentenangelegenheiten zu kümmern, was sorglos und damit grob fahrlässig gewesen sei. Auch das Wissen und Verhalten ihres Ehemannes zu Lebzeiten müsse sie sich zurechnen lassen. Der subjektive Tatbestand der Aufhebungsnorm sei auch nicht wegen des Todes des Ehemannes der Klägerin unaufklärbar. Hier komme es auf die subjektiven Verhältnisse zum 1.4.2002 an, die nach 18 Jahren ohnehin schwer ermittelbar gewesen wären. Für die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit der Bewilligung sei zwar der individuelle Verständnishorizont des Begünstigten bzw. dessen Bevollmächtigten maßgeblich. Es seien aber keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Ehemann der Klägerin Verständigungs- oder Verständnisschwierigkeiten gehabt habe; vielmehr habe er die Angelegenheiten nach Aussage der Klägerin stets sorgfältig erledigt. Unabhängig davon, ob die subjektiven Voraussetzungen bei der Klägerin oder bei ihrem Ehemann zu prüfen seien, lägen diese vor. Sowohl einem selbständigen Fleischermeister als auch einer Fleischfachverkäuferin, die bis zur Schließung des Betriebs ihres Ehemannes dort als kaufmännische Angestellte gearbeitet habe, müsse klar sein, dass es keinen kostenfreien Krankenversicherungsschutz gebe, der zudem noch bezuschusst werde. So sei es aber nach dem 1.4.2002 gewesen. Die Klägerin habe ab diesem Zeitpunkt als Mitglied der IKK O. Leistungen in Anspruch genommen, ohne dafür Beiträge zu entrichten.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X seien erfüllt, da die Klägerin sich mit der Beantragung des Zuschusses verpflichtet habe, die Beendigung der freiwilligen Versicherung sowie den Beginn einer Versicherungspflicht unverzüglich anzuzeigen. Auch in dem zuschussbewilligenden Bescheid vom 1.10.1998 sei auf diese Verpflichtung ausdrücklich hingewiesen worden. Unter Beachtung dieser unmissverständlichen Hinweise sei es grob fahrlässig, dass weder die Klägerin noch ihr Ehemann dieser Mitteilungspflicht nachgekommen seien. Auch das zwischen den Krankenkassen und der Beklagten bestehende Meldeverfahren führe nicht dazu, dass die Pflicht, jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses mitzuteilen, entfalle.
Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X seien erfüllt. Die Klägerin bzw. ihr Ehemann hätten wissen müssen, dass zur Rente der Klägerin dauerhaft ein Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung gezahlt worden sei und dass kein Anspruch mehr bestehe, wenn keine Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung mehr anfielen, weil Krankenversicherungspflicht eingetreten sei. So habe es sowohl in dem Antrag auf Zuschuss, den die Klägerin unterschrieben habe, gestanden als auch in dem zuschussbewilligenden Bescheid. Nach Auskunft der IKK sei die Pflichtmitgliedschaft am 13.2.2002 festgestellt worden. Am selben Tag sei die Klägerin informiert und die Versichertenkarte übersandt worden. Beiträge zur freiwilligen Versicherung seien nur bis zum 31.3.2002 entrichtet worden.
Der Klägerin bzw. ihrem Ehemann hätte es daher ins Auge springen müssen, dass ein Zuschuss zu einem Krankenversicherungsbeitrag geleistet werde, den sie aber gar nicht zahle. Zum Zeitpunkt des Rentenbeginns 1998 sei der Klägerin aufgrund der erschwerten Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i. d. F. des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (GSG) der Zugang zur KVdR verwehrt gewesen. Diese durch das GSG erschwerten Vorschriften über die Zugangsvoraussetzungen zur KVdR seien vom BVerfG in 2000 durch Beschluss für verfassungswidrig erklärt worden. Da eine gesetzliche Neuregelung nicht getroffen worden sei, habe dieser Beschluss insoweit Gesetzeskraft entfaltet, als vom 1.4.2002 an wieder § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i. d. F. des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) gegolten habe. Ab diesem Zeitpunkt sei dann für alle Rentner, die die nunmehr erleichterten Voraussetzungen erfüllten, eine Pflichtmitgliedschaft in der KVdR vom 1.4.2002 an in Betracht gekommen. Ihnen sei aber über ein „Optionsrecht“ grundsätzlich die Möglichkeit gegeben worden, ihren bisherigen Versicherungsstatus beizubehalten. Die Klägerin habe sich für die Pflichtmitgliedschaft entschieden, die per Bescheid festgestellt worden sei, so dass ab dem 1.4.2002 keine freiwilligen Beiträge mehr zu Krankenkasse entrichtet worden seien.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des SG Köln vom 18.2.2020 aufzuheben, soweit das SG den Bescheid vom 12.4.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2018 auch hinsichtlich des Zuschusses zur Krankenversicherung aufgehoben hat.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass unter zutreffender Berücksichtigung eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs die Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit nicht erfüllt sei. Sie habe sich, wie das SG zu Recht ausgeführt habe, in finanziellen Angelegenheiten auf ihren Mann verlassen und auch verlassen dürfen, da er diese stets korrekt durchgeführt habe. Zudem müsse sich die Beklagte, wie sie im Vorverfahren selbst eingeräumt habe, das Mitverschulden der Krankenkasse zurechnen lassen.
Nach Hinweis der Berichterstatterin, dass zwar die Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit zu bejahen, das Ermessen aber bei der von der Beklagten selbst im Vorverfahren angenommenen Zurechnung des Mitverschuldens der Krankenkasse auf der Grundlage der dort zitierten und plausiblen Rechtsprechung nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden sein dürfte, trägt die Beklagte vor: Sie gehe davon aus, dass eine „Funktionseinheit“ mit der Krankenkasse nicht bestehe und die unterlassene bzw. verspätete Mitteilung der Krankenkasse keinen atypischen Fall begründe, der im Rahmen der Aufhebung ein Ermessen eröffne, bei dem ein Mitverschulden der Krankenkasse zu berücksichtigen sei. Es existierten zahlreiche landessozialgerichtliche Entscheidungen, die diese Auffassung bestätigten und ausführten, dass auch eine unterlassene oder verspätete Mitteilung der Krankenkasse dem jeweils beklagten Rentenversicherungsträger nicht zurechenbar sei und daher bei der Aufhebungsentscheidung nicht – wie bei einem Fehlverhalten des Rentenversicherungsträgers sonst möglich zu einem atypischen Fall führe. Auch die Kommentarliteratur gehe davon aus, dass der verpflichtende Informationsfluss zwischen Krankenkasse und Rentenversicherungsträger, wenn Krankenversicherungspflicht eingetreten ist, alleine dem Zweck diene, den Rentenversicherungsträger von seiner Beitragspflicht und Beitragszahlung aus der Rente zu informieren, nicht aber, die Einstellung des Beitragszuschusses zu veranlassen. Eine „Funktionseinheit“, die eine Zurechnung möglichen Fehlverhaltens bedinge, lasse sich daraus nicht herleiten. Selbst wenn aber das Ermessen durch einen atypischen Fall eröffnet wäre, sei bei dessen Ausübung auch die Berücksichtigung der Umstände möglich, die bereits auf Tatbestandsebene zum Ausschluss des Vertrauens geführt hätten.
Der Senat hat eine weitere Auskunft der IKK O. eingeholt, die mit Schreiben vom 2.6.2022 die Auskünfte gegenüber der Beklagten vom 16.4.2020 bestätigt hat mit der Abweichung, dass die Feststellung der Pflichtmitgliedschaft sowie die Information der Klägerin und die Übersendung der Versichertenkarte unter dem 23.2.2002 und nicht unter dem 13.2.2002 erfolgt seien.
Mit Schreiben vom 25.4.2023 und 27.6.2023 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist begründet.
A. Das Urteil des SG Köln kann, soweit von der Beklagten angegriffen, keinen Bestand haben. Der Bescheid vom 12.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.7.2018 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Voraussetzungen für die Aufhebung und Erstattung der gewährten Beitragszuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung für die Zeit vom 1.4.2002 bis 28.2.2017 sind erfüllt.
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin anlässlich des Bescheides über die nachträgliche Beitragserhebung zur gesetzlichen Krankenversicherung vom 30.1.2017 zu der beabsichtigten Aufhebung und Erstattung der Beitragszuschüsse angehört.
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte hat die Aufhebung zu Recht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X gestützt.
Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Satz 1). Er soll nach Satz 2 dieser Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit u. a. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).
Bei dem mit Bescheid vom 1.10.1998 bewilligten Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung handelt es sich um einen zum Zeitpunkt des Erlasses rechtmäßigen, begünstigenden Dauerverwaltungsakt. Hier ist zum 1.4.2002 mit dem Eintritt der Versicherungspflicht in der KVdR – die Klägerin hat von ihrem Optionsrecht, in der freiwilligen Versicherung zu verbleiben, keinen Gebrauch gemacht – eine im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, da die freiwillige Krankenversicherung damit endete und so auch die Beitragsentrichtung der Klägerin zu der freiwilligen Krankenversicherung. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 106 SGB VI, wonach Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung erhalten, waren damit entfallen.
Die Klägerin ist der ihr im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X obliegenden Pflicht zur Mitteilung dieser wesentlichen und für sie durch den Verlust des Zuschusses insoweit nachteiligen Veränderung der Verhältnisse nicht nachgekommen. Die Pflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I und bezieht sich auf Änderungen in den für die Leistungsgewährung wesentlichen Verhältnissen. Auf diese Pflicht ist die Klägerin sowohl in dem Formular, mit dem sie den Zuschuss beantragt hat, als auch in dem Bewilligungsbescheid über den Zuschuss vom 1.10.1998 ausdrücklich, umfassend und unmissverständlich hingewiesen worden.
Ihrer Mitteilungspflicht ist sie auch grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grob fahrlässig und damit die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzend (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X) handelt, wer einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSG vom 31.8.1976 – 7 RAr 112/74, Rn. 19). Der Bescheid vom 1.10.1998 über die Bewilligung des Beitragszuschusses enthielt den Hinweis, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss bei Aufgabe der freiwilligen Versicherung und bei Eintritt der Krankenversicherungspflicht entfällt und daher die gesetzliche Verpflichtung besteht, dem Rentenversicherungsträger jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen. Dieser Hinweis ist klar und eindeutig gefasst; es bedarf keiner rechtlichen Erwägungen, sondern nur der Mitteilung von eingetretenen Tatsachen. Die Krankenversicherungspflicht in der KVdR – die Klägerin hätte sich auch für ein Beibehalten der freiwilligen Versicherung entscheiden können –, ist mit der Übersendung einer neuen Versichertenkarte und dem Ende der Beitragsleistung zur freiwilligen Versicherung einhergegangen. Dass dieser Umstand die Mitteilungspflicht auslöst, war aufgrund einfachster Überlegungen zu erkennen. Es bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin in 2002 grundsätzlich die erforderliche subjektive Einsichtsfähigkeit besaß, die Mitteilungspflicht zu erfassen und umzusetzen.
Der Senat hält es aber aufgrund der Schilderungen der Klägerin für glaubhaft, dass sie in 2002 keine detaillierten Kenntnisse im Hinblick auf ihren Krankenversicherungsschutz hatte, nicht wusste, ob sie freiwillig oder gesetzlich versichert war und wer in welcher Höhe Beiträge dazu entrichtete. Hätte sie mit ihrem Ehemann nicht im Rahmen der haushaltsinternen Aufgabenverteilung verabredet, dass er sich um alle finanziellen Dinge und damit auch um ihre Rente und die Beiträge zur Krankenversicherung kümmert, würde sich die grobe Fahrlässigkeit bereits aus der gänzlichen Nichtbefassung mit den bezogenen Sozialleistungen ergeben. Aus dem Leistungsbezug und der daraus resultierenden (vertragsähnlichen) Beziehung zu den Sozialversicherungsträgern folgt die wechselseitige Obliegenheit, sich gegenseitig vor Schaden zu bewahren. Für den Leistungsbezieher bedeutet dies, dass er Bescheide lesen und zur Kenntnis nehmen muss und damit auch die dort enthaltenen Mitteilungspflichten (vgl. BSG vom 8.2.2001 – B 11 AL 21/00 R, Rn. 25). Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben weder Bescheide gelesen noch sich sonst mit Angelegenheiten der Rente und der Krankenversicherung befasst. Im konkreten Fall folgt aus der Unkenntnis alleine noch keine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht, weil sie mit ihrem Mann vereinbart hat, dass er ihre Aufgaben diesbezüglich übernimmt und zwar - nach ihrem eigenen Vortrag - eigenverantwortlich, so dass sie dies nicht kontrolliert, sondern sich auf ihn verlässt. Insofern lag eine, wenn auch konkludente, Bevollmächtigung durch Innenvollmacht vor. Diese hat aber zur Folge, dass die Klägerin sich sowohl nach § 166 Abs. 1 BGB (analog) die Kenntnis ihres Ehemannes oder das Kennenmüssen von Umständen zurechnen lassen muss als auch dessen Fehlverhalten (vgl. BSG vom 18.12.2001 – B 12 RA 4/01, Rn. 14). Für die Kenntnis / das Kennenmüssen der Mitteilungspflicht gelten die oben dargelegten Maßstäbe. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Ehemann der Klägerin in 2002 den Wechsel der Krankenversicherung seiner Ehefrau und die nunmehr ab April nicht mehr erforderliche Beitragszahlung mangels subjektiver Einsichtsfähigkeit nicht hätte erkennen können. Die Mitteilungspflicht selbst ergab sich aus dem Bescheid unmissverständlich.
Der Senat ist in gleicher Weise zu der Überzeugung gelangt, dass der Ehemann der Klägerin, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, jedenfalls grob fahrlässig nicht wusste, dass die sich aus dem Bescheid vom 1.10.1998 ergebenden Ansprüche auf Beitragszuschüsse weggefallen waren und damit auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt sind. Im Rahmen dieser Vorschrift wird regelmäßig dann von grob fahrlässiger Unkenntnis ausgegangen werden können, wenn dem Betroffenen die Voraussetzungen für den Erlass oder den Bestand des Verwaltungsakts vom Versicherungsträger in für ihn verständlicher Form dargelegt worden sind. Dies war vorliegend der Fall. Sowohl in dem gesonderten Antragsvordruck für die Zuschüsse nach §§ 106, 106a SGB V als auch in dem Bescheid vom 1.10.1998 war eindeutig verständlich gemacht worden, dass die Bewilligung der Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung (und Pflegeversicherung) vom Bestehen der freiwilligen Krankenversicherung abhängig ist und mit Eintritt der Versicherungspflicht auch die Zuschüsse wegfallen. Dafür, dass der Ehemann der Klägerin diese Hinweise nicht verstehen konnte oder im April 2002 nicht (mehr) in der Lage gewesen wäre, die maßgebliche Situation zu erfassen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die im Rahmen des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs, der auch die Berücksichtigung der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie des Einsichtsvermögens verlangt, von Bedeutung sein könnten. Vielmehr hat die Klägerin ausgeführt, dass ihr Ehemann sich bis zu seinem Tod in 2016 um alle finanziellen Angelegenheiten gekümmert hat und es nie Probleme oder Beanstandungen gab. Der Wechsel im Krankenversicherungsverhältnis ging nach den von der Klägerin jedenfalls nicht substantiiert bestrittenen Auskünften der IKK auch mit der Übersendung einer entsprechenden Information und einer neuen Versicherungskarte einher. Zudem wurde das Konto, von dem bisher die freiwilligen Beiträge gezahlt worden waren, nicht mehr in Höhe dieser Beiträge belastet. Eine offene, nicht weiter aufklärbare Beweislage zu Lasten der Beklagten, wie vom SG im erstinstanzlichen Urteil angenommen, sieht der Senat daher nicht.
Anders als von ihr vorgetragen, kann die Klägerin sich auch nicht exkulpieren, indem sie vorträgt, dass ihr Ehemann, dessen sie sich zur Erfüllung ihrer Obliegenheitspflichten gegenüber der Beklagten bedient hat, sich stets sorgfältig und beanstandungsfrei um alle finanziellen Angelegenheiten gekümmert habe (Berufung auf fehlendes Auswahl- und Überwachungsverschulden). Denn diese Entlastungsmöglichkeit besteht -- im öffentlichen Recht wie im Zivilrecht -- allein im Bereich deliktischer Haftung (vgl. nur § 831 BGB), nicht aber im Vertragsrecht oder bei einem vertragsähnlichen Sachverhältnis, das aber bei der Beziehung zwischen Rentenversicherungsträger und Beitragszahler gegeben ist (vgl. LSG Niedersachen vom 22.2.2001 - L 1 RA 89/00, Rn. 23 m. w. N., juris).
Damit war der Bescheid über die Zuschussbewilligung rückwirkend ab 1.4.2002 grundsätzlich aufzuheben. Ein atypischer Fall, der eine Ermessenausübung erforderte, lag nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG bedeutet „soll“ in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, dass der Rentenversicherungsträger den Verwaltungsakt im Regelfall rückwirkend aufzuheben hat. Liegt jedoch ein Ausnahmefall (sog. „atypischer Fall“) vor, ist eine Ermessenentscheidung dahingehend zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gegebenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen werden kann. Die Prüfung, ob ein solch atypischer Fall vorliegt, ist nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. BSG vom 6.11.1985 – 10 RKg 3/84, Rn. 17; vom 25.4.1991 – 11 RAr 21/89, Rn. 34). Wann ein atypischer Fall vorliegt, hängt von dem jeweiligen Zweck der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und den Umständen des Einzelfalls ab. Ein Verschulden des Rentenversicherungsträgers weist regelmäßig auf einen atypischen Fall hin. Aber auch ohne ein Verschulden des Rentenversicherungsträgers können besondere Umstände vorliegen, die die Aufhebung für die Vergangenheit als unbilligen Eingriff in die persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen erscheinen lassen (vgl. zu über die Erstattungspflicht hinausgehende „Sonderopfer“ BSG vom 30.6.2016 – B 5 RE 1/15 R, Rn. 26). Ein Verschulden der Beklagten ist vorliegend nicht gegeben, da sie bis 2016 keine Kenntnis von der Versicherungspflicht der Klägerin hatte. Aber auch die Tatsache, dass die Krankenkasse es versäumt hat, entgegen ihrer gesetzlichen Obliegenheit nach § 201 Abs. 5 Satz 1 SGB V der Beklagten die Versicherungspflicht mitzuteilen und Beiträge zu erheben, stellt keinen atypischen Fall dar, da die Beklagte sich dieses Versäumnis nicht zurechnen lassen muss. Von einer entsprechenden Zurechenbarkeit war die Beklagte zwar selbst während des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens ausgegangen, ist aber im gerichtlichen Verfahren davon abgerückt. Dieser Auffassung schließt der Senat sich nach Auswertung insbesondere der Rechtsprechung und unter Beachtung von Sinn und Zweck der maßgeblichen Normen an.
Die Beklagte muss sich das Versäumnis der Krankenversicherung in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zurechnen lassen, denn es fehlt an einer eng verzahnten Zusammenarbeit zwischen den Leistungsträgern, die eine Zurechnung des „Verschuldens“ rechtfertigen könnte (vgl. so bei vergleichbarer Fallkonstellation auch LSG Baden-Württemberg vom 25.5.2023 – L 10 R 39/20, Rn. 72, juris; vom 23.1.2013 – L 5 R 5250/11, Rn. 51, juris). Die Meldepflicht nach § 201 Abs. 5 Satz 1 SGB V, nach der die Krankenkasse dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen hat, wenn der Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung wird, verpflichtet alleine die Krankenkasse. Die Meldung dient im Wesentlichen dazu, dem Rentenversicherungsträger die Einbehaltung und Abführung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu ermöglichen, wozu dieser nach § 255 Abs. 1 SGB V verpflichtet ist (vgl. bspw. LSG Baden-Württemberg vom 7.11.2006 – L 11 R 2053/06, sozialgerichtsbarkeit.de; vom 17.8.2009 - L 5 R 2654/08, sozialgerichtsbarkeit.de; vom 22.5.2014 – L 10 R 4623/12, sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Niedersachsen-Bremen vom 15.5.2019 – L 2 R 315/18, sozialgerichtsbarkeit.de; a. A. nur Hessisches LSG vom 8.10.2013 – L 2 R 46/12, Rn. 35 ff., juris, das von einer „Funktionseinheit“ von Rentenversicherungsträger und Krankenkasse ausgeht und damit einen im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch das BSG entwickelten Begriff heranzieht). Sozialhilfebedürftigkeit und damit eine soziale Bedrängnis der Klägerin durch die Rückforderung tritt nicht ein, da die Beklagte, wie auch bereits bei der Verwirklichung der Beitragsforderung bei der Höhe des im Wege der Aufrechnung einzubehaltenen Betrags die sozialhilferechtlichen Grenzen zu beachten hat.
Da kein atypischer Fall vorlag, bedurfte es keiner Ausübung von Ermessen. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Ermessenserwägungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid ordnungsgemäß und ausreichend waren, war daher nicht erforderlich.
Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann der Verwaltungsakt grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe aufgehoben werden. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann der Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung allerdings auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren noch aufgehoben werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Die Behörde muss dies nach § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Aufhebung für die Vergangenheit rechtfertigen. So liegt der Fall hier. Zwar ist im Hinblick auf die Aufhebung des Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung die Zehn-Jahres-Frist abgelaufen, weil die Frist nach der Änderung des Krankenversicherungsschutzes und der damit verbundene Wegfall des Anspruchs auf Beitragszuschuss zum 1.4.2002 bereits am 2.4.2012, einem Montag, endete (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB; § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Bei dem Beitragszuschuss zur Krankenversicherung handelt es sich aber um eine laufende Geldleistung im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X, die bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung mit der Anhörung anlässlich des Bescheides vom 30.1.2017 bis zum 28.2.2017 gezahlt wurde (vgl. hierzu LSG NRW vom 21.11.2016 – L 3 R 476/16, Rn. 35, juris).
Es bedurfte in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung dazu, ob es sich bei der Verweisung des § 48 Abs. 4 Satz 1 auf § 45 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB X um eine Rechtsgrund- oder um eine Rechtsfolgenverweisung handelt (vgl. zu dem Meinungsstand nur Brandenburg, in: jurisPK-SGB X, § 48 (Stand: 1.12.2017) Rn. 116 ff.). Denn selbst für eine Rechtsgrundverweisung wären die Voraussetzungen erfüllt, da der Ehemann der Klägerin, wie oben dargelegt, im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X bösgläubig war, und die Klägerin sich diese Bösgläubigkeit zurechnen lassen muss.
Auch ist hinsichtlich der Aufhebung der Beitragszuschüsse die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB X gewahrt. Die Beklagte hat durch die elektronische Meldung der Krankenkasse am 14.12.2016 von der Überzahlung Kenntnis erlangt. Die Aufhebung erfolgte mit Bescheid vom 12.4.2017.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Hier belaufen sich die vom 1.4.2002 bis zum 28.2.2017 gezahlten Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung, wie von der Beklagten zutreffend ermittelt und von der Klägerin auch nicht angegriffen, auf 10.682,99 €.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Das Obsiegen der Klägerin hinsichtlich des Beitragszuschusses für die Pflegeversicherung rechtfertigt mit 165,57 € keine Kostenquote zu Lasten der Beklagten.
C. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.