Das erneute Ablehnungsgesuch der Kläger gegen Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. Harks wird als unzulässig verworfen.
Es wird festgestellt, dass das Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich vom 16. März 2021 beendet worden ist.
Weitere außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren nach Anfechtung eines gerichtlichen Vergleichs die Fortführung eines Berufungsverfahrens. In der Sache streiten die Beteiligten über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Kläger sind Eheleute. Sie beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten.
Mit ihrer am 19. September 2011 beim Sozialgericht (SG) Halle erhobenen Klage haben sie einen Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2010 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen für die Zeit von Januar bis Juni 2011 in der Fassung von „Änderungsbescheiden“ vom 4. August 2011 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheids vom 19. August 2011 angegriffen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum haben sie einen Anspruch auf höhere Leistungen geltend gemacht und sich gegen Erstattungsforderungen i.H.v. 293,08 € pro Person gewandt.
Mit Urteil vom 24. August 2016 hat das SG die angegriffenen Bescheide dahingehend abgeändert, dass es die Erstattungsforderungen auf 263,08 € pro Person reduziert hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Mit ihrer am 22. September 2016 erhobenen Berufung haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Das Verfahren ist zunächst unter dem Aktenzeichen L 2 AS 544/16 geführt worden.
Am 16. März 2021 hat in diesem und in vier weiteren Berufungsverfahren der Kläger ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Dazu sind die Kläger persönlich in Begleitung von Rechtsanwältin S. erschienen, die sie in drei der fünf Verfahren vertreten hat, u.a. im vorliegenden. In dem Termin haben die Beteiligten auf Vorschlag des Berichterstatters einen Vergleich geschlossen, der alle fünf Verfahren betraf und außerdem hinsichtlich eines Streitpunktes (Berücksichtigung von Tilgungsleistungen auf mehrere Darlehen als Kosten der Unterkunft) eine Regelung auch für weitere Streitigkeiten zwischen den Beteiligten enthielt. Im Sitzungsprotokoll ist zum Ablauf des Termins Folgendes festgehalten worden:
Es wird ausführlich die vergleichsweise Beendigung sämtlicher hier anhängiger Rechtsstreite erörtert.
Der Kläger erhält noch einmal die Gelegenheit, etwaige Unklarheiten zu klären. Dies geschieht im Gespräch mit seiner Bevollmächtigten, dem Beklagtenvertreter und dem Vorsitzenden.
Der Kläger erklärt:
Ich habe das jetzt verstanden.
Die Beteiligten schließen sodann zur vollständigen Erledigung der fünf Rechtsstreite folgenden Vergleich:
1.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der Beklagte ab Juli 2015 die Tilgungsleistungen für das Eigenheim der Kläger als Kosten der Unterkunft berücksichtigt. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Tilgungsleistungen vor diesem Zeitpunkt nicht als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für andere, hier nicht anhängige Verfahren.
2.
Der Beklagte verpflichtet sich, an die beiden Kläger zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus den hier anhängigen Rechtsstreiten noch einen Betrag von insgesamt 600,- € zu zahlen.
3.
Der Beklagte macht gegen die Kläger aus den hier streitgegenständlichen Bescheiden keinerlei Erstattungsforderung mehr geltend.
4.
Der Beklagte erstattet den Klägern in den Verfahren L 2 AS 544/16 und L 2 AS 545/16 jeweils ein Viertel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten. In den übrigen Verfahren findet keine Kostenerstattung statt.
5.
Damit sind die Rechtsstreite L 2 AS 544/16, L 2 AS 545/16, L 2 AS 294/17, L 2 AS 407/17 und L 2 AS 432/19 vollständig erledigt.
Vorgespielt und vom Kläger, der Klägerin, der Prozessbevollmächtigten der Kläger und dem Beklagtenvertreter genehmigt.
Noch am 16. März 2021 hat der Kläger zu 1. auf der Geschäftsstelle des Senats angerufen und seine Unzufriedenheit mit dem Vergleich bekundet. Wenig später hat er jedoch erneut angerufen und mitgeteilt, dies habe sich erledigt.
In Umsetzung des Vergleichs sowie eines weiteren, am 19. März 2021 vor dem SG Halle geschlossenen Vergleichs hat der Beklagte am 29. März 2021 insgesamt 3.145,85 € an die Kläger überwiesen.
Mit Schreiben vom 30. März 2021 hat der Kläger zu 1., zugleich als Vertreter der Klägerin zu 2., „Widerspruch gegen den Vergleich“ eingelegt. Das Protokoll des Erörterungstermins sei nicht nachvollziehbar und oberflächlich. Es sei nicht zu erkennen, wie der Berichterstatter auf den von ihm vorgeschlagenen Vergleichsbetrag von 600 € gekommen sei. Er vermute, dass der Beklagte die Kläger und den Berichterstatter arglistig getäuscht habe. Der Beklagte habe jahrelang die einfache Strecke für den Weg der Klägerin zu 2. zur Arbeit gezahlt; den Rückweg hätten sie selbst finanzieren müssen. Steuererstattungen habe der Beklagte als Einkommen gebrandmarkt. Hier liege ein Widerspruch vor. Er vermute, dass der Beklagte sehr wohl wisse, „dass das Gesetz: ‚Bezahlung der nur einfachen Strecke zum Arbeitsplatz‘ in Verbund mit ‚Steuererstattung‘ im argen Widerspruch steh[e,] und dieses Wissen [dem Gericht] vorenthalten [werde]“. Deshalb beantrage er die Wiederaufnahme des Verfahrens. Auch habe der Beklagte nicht nur in einem Punkt getäuscht. Die klägerischen Beanstandungen seien vermutlich bewusst kein Thema der Verhandlung gewesen.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2021 hat der Kläger zu 1. weiter ausgeführt, die gesamte Vereinbarung könne zwar so bestehen bleiben, wie getroffen. Jedoch stünden ihm und der Klägerin zu 2. weitere Gelder zu. Der Berichterstatter und der Vertreter des Beklagten hätten sich im Erörterungstermin darum bemüht, dass sie dem Vergleich zustimmten. Dabei seien sie in dem Glauben gelassen worden, dass grundsätzlich keine Anfechtung möglich sei. Eine solche könne jedoch mit Frist vereinbart werden, worauf sie nicht hingewiesen worden seien. Auch ihre Prozessbevollmächtigte habe sie darauf nicht hingewiesen. Erst kurz vor Ende des Termins habe er erfahren, dass der Berichterstatter mit Rechtsanwältin S. und dem Beklagtenvertreter telefonisch in Kontakt gestanden habe. Vermutlich sei die Vereinbarung bei dieser Gelegenheit abgesprochen worden. So habe er es jedenfalls im Termin verstanden. Dies bedürfe der Aufklärung, denn er habe mit Rechtsanwältin S. vereinbart, dass ohne seine Zustimmung keine Vereinbarungen getroffen werden dürften. Als er im Termin versucht habe, darauf hinzuweisen, dass mit der Berücksichtigung von Krediten zur Immobilienfinanzierung etwas nicht stimme, seien ihm der Berichterstatter, der Beklagtenvertreter und die eigene Prozessbevollmächtigte „fast wie ‚im Chor‘“ ins Wort gefallen. Er habe sich dann noch erkundigt, ob in dem Vergleich Steuererstattungen und offene 300 € aus einer Nachzahlung für den Zeitraum Januar bis Juni 2009 berücksichtigt seien. Nachdem dies bejaht worden sei, habe er dem Vergleich zugestimmt, weil er darauf vertraut habe, dass der Berichterstatter alle Gesetze richtig, nachhaltig und konsequent anwende. Mit seinem „Widerspruch“ habe er zwei Wochen gewartet, weil er auf ein Schreiben des Berichterstatters gehofft habe, in dem dieser auflistete, wie es zu dem Vergleichsvorschlag gekommen sei. Insgesamt seien ihm und der Klägerin zu 2. aufgrund des Vergleichs 8.065,19 € vorenthalten worden (wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf das Schreiben vom 10. Mai 2021 samt Anlagen verwiesen).
Mit Schreiben vom 24. Mai 2021 hat der Kläger zu 1. mitgeteilt, es sei bezüglich des Zeitraums Juli 2015 bis Juni 2016 „zu weiteren Unstimmigkeiten gekommen“. Schornsteinfegerrechnungen seien nicht erstattet und Heizölkosten nicht übernommen worden.
Der Beklagte hat ausgeführt, er nehme die Erklärung des Klägers zu 1. mit Bedauern und Verwunderung zur Kenntnis. Aus seiner Sicht seien im Erörterungstermin alle maßgeblichen Sachverhalte ausführlich besprochen und erläutert worden, auch das Thema Fahrtkosten. Er habe sowohl diesen Vergleich als auch den weiteren, der am 19. März 2021 beim SG Halle geschlossen worden sei, direkt umgesetzt.
Ein Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Vorsitzenden und Berichterstatter vom 22. Juni 2021 hat der Senat mit Beschluss vom 20. Juli 2021 (L 2 SF 26/21 AB) für unbegründet erklärt. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss verwiesen. Am 24. August 2021 haben die Kläger den Vorsitzenden und Berichterstatter erneut als befangen abgelehnt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass dieser seit dem 16. März 2021 nicht mehr neutral entscheide. Er habe ihr Vorbringen zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen für das Eigenheim ignoriert. Weiter haben sie auf ihre Ausführungen zum ersten Ablehnungsgesuch verwiesen.
Der Berichterstatter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss in Betracht komme, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Der Senat hat die Prozessakte des SG und die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen.
II.
1. Der Senat verwirft das erneute Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Vorsitzenden und Berichterstatter vom 24. August 2021 unter Mitwirkung des Abgelehnten als unzulässig, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche bloße Wiederholung des bereits beschiedenen Ablehnungsgesuchs vom 22. Juni 2021 handelt. Die Kläger machen weder neue Ablehnungsgründe geltend, noch geht ihr Vorbringen in anderer Weise über das erste Ablehnungsgesuch hinaus.
2. In der Sache geht es den Klägern bei der nach § 123 SGG gebotenen Auslegung ihres Vorbringens um die Fortsetzung des Berufungsverfahrens mit ihrem ursprünglichen Berufungsbegehren. Dieses ist gerichtet auf die Abänderung des angegriffenen Urteils und der angegriffenen Bescheide dahingehend, dass ihnen für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt und die Erstattungsforderungen aufgehoben werden.
3. Der Senat entscheidet über diese Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass das Verfahren durch Abschluss des gerichtlichen Vergleichs vom 16. März 2021 beendet worden ist, und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs. 4 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Vorschrift ist entsprechend anwendbar, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist, ob ein Berufungsverfahren wirksam beendet worden ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B –, juris Rn. 7; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 153 Rn. 66; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 153 Rn. 14).
4. Das Verfahren ist durch den im Erörterungstermin am 16. März 2021 geschlossenen Vergleich beendet worden.
Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens zu Protokoll des Gerichts, des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können (§ 101 Abs. 1 Satz 1 SGG). Ist im Verfahren vor dem Landessozialgericht ein Berichterstatter bestellt, tritt dieser an die Stelle des Vorsitzenden (§ 155 Abs. 4 SGG, vgl. Stäbler, in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 101 Rn. 12).
Ein solcher Vergleichsschluss ist sowohl eine Prozesshandlung als auch ein Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne. Aufgrund dieser Doppelnatur muss der Vergleichsschluss den Anforderungen sowohl des Prozessrechts als auch des öffentlichen Vertragsrechts genügen (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 101 Rn. 6 ff.). Dies ist vorliegend der Fall.
Die Beteiligten haben den Vergleich in einem anhängigen Gerichtsverfahren im Rahmen ihrer Verfügungsbefugnis zu Protokoll des Berichterstatters abgeschlossen. An der Wirksamkeit ihrer Prozesshandlungen besteht kein Zweifel. Die gesetzlichen Formerfordernisse, die sich aus § 101 Abs. 1 Satz 1 SGG und § 122 SGG i.V.m. §§ 159 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ergeben, sind gewahrt worden. Der Vergleich ist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in das Protokoll des Erörterungstermins aufgenommen worden. Die Protokollierung ist den Beteiligten, wie von § 162 Abs. 1 Satz 2 ZPO gefordert, vorgespielt worden. Sie haben die Protokollierung genehmigt, und die Genehmigung ist ebenfalls protokolliert worden (§ 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Das Protokoll hält ausdrücklich fest, dass der Kläger zu 1., die Klägerin zu 2., die Prozessbevollmächtigte der Kläger und der Vertreter des Beklagten die Protokollierung genehmigt haben.
Materiell-rechtlich haben die Beteiligten einen wirksamen Vergleichsvertrag i.S.v. § 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geschlossen. Es liegen unstreitig übereinstimmende Willenserklärungen beider Kläger und des auf Grundlage einer Generalterminsvollmacht handelnden Vertreters des Beklagten vor. Diese Erklärungen sind auch wirksam. Beide Seiten haben durch den Vergleichsschluss im Wege gegenseitigen Nachgebens eine Situation tatsächlicher und rechtlicher Ungewissheit aufgelöst.
Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Prozessvergleichs, etwa nach den Bestimmungen der §§ 116 ff. BGB, oder seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
Die von den Klägern erklärte Anfechtung des Vergleichs führt nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB zu dessen Nichtigkeit. Es liegt weder eine wirksame Anfechtung wegen eines Irrtums (§ 119 BGB) noch eine solche wegen einer Täuschung (§ 123 BGB) vor.
Soweit die Kläger offenbar meinen, sie hätten in Wirklichkeit einen Anspruch auf höhere Leistungen, als im Vergleich vereinbart worden sind, lässt sich das wohl als Anfechtung wegen eines Irrtums verstehen (§ 119 BGB). Unabhängig davon, ob die so verstandene Anfechtung unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB und damit rechtzeitig erklärt worden ist, fehlt es jedenfalls an einem Anfechtungsgrund. Nach § 119 Abs. 1 BGB kann eine Willenserklärung anfechten, wer bei ihrer Abgabe über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden (§ 119 Abs. 2 BGB). Einen Irrtum in diesem Sinne machen die Kläger aber selbst nicht geltend. Sie haben bei Abschluss des Vergleichs erklärt, was sie erklären wollten, nämlich die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags mit seinem konkreten Inhalt. Diese Erklärung reut sie lediglich im Nachhinein, weil sie nach dem Vergleichsschluss zu der Auffassung gelangt sind, der vereinbarte Vergleichsinhalt werde der Sach- und Rechtslage nicht gerecht und sie hätten in Wirklichkeit einen höheren Anspruch. Dabei handelt es sich aber allenfalls um einen sog. Motivirrtum, also eine Fehlvorstellung im Hinblick auf den Beweggrund zum Abschluss des Vergleichs. Ein solcher Motivirrtum begründet kein Anfechtungsrecht (vgl. Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 1, 8. Auflage 2018, § 119 Rn. 105).
Die Kläger können den Vergleich auch nicht erfolgreich wegen arglistiger Täuschung anfechten. Nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann derjenige eine Willenserklärung anfechten, der zu ihrer Abgabe durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Das ist vorliegend nicht geschehen. Es liegt keine arglistige Täuschung vor, weder durch den Prozessvertreter des Beklagten noch durch den Berichterstatter oder eine andere Person.
Täuschung ist die vorsätzliche Erregung, Bestärkung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums, sei es durch das Vorspiegeln falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen, um den Willensentschluss des Getäuschten zu beeinflussen. Sie darf sich nicht auf lediglich subjektive Werturteile, sondern muss sich auf objektiv nachprüfbare Angaben beziehen. Die Täuschung ist arglistig, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unredlich handelt, der Getäuschte dies nicht erkennt und ohne die Täuschung die Willenserklärung nicht oder nicht mit dem geäußerten Inhalt abgegeben hätte. Schließlich muss die Täuschung für die angefochtene Willenserklärung des Getäuschten ursächlich gewesen sein. Eine Willenserklärung kann nur dann angefochten werden, wenn der Anfechtende einem auf die Bestimmung des Willens gerichteten Verlangen nachgegeben und die Willenserklärung nicht aus eigener, selbständiger Überlegung abgegeben hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 – B 12 KR 18/18 R –, juris Rn. 14 m.w.N.). Eine solche arglistige Täuschung ist von den Klägern nicht dargelegt und auch nicht ansatzweise zu erkennen.
Die Kläger haben ihre Anfechtung zunächst vor allem darauf gestützt, dass das Protokoll des Erörterungstermins oberflächlich sei und dass sie nicht erkennen könnten, wie der Berichterstatter auf den Betrag von 600 € gekommen sei (Schriftsatz vom 30. März 2021). Dabei gingen die Kläger ausdrücklich noch davon aus, dass sowohl sie als auch vermutlich der Berichterstatter durch den Beklagten getäuscht worden seien. Worin genau diese Täuschung gelegen haben soll, ist nicht zu erkennen. Soweit die Kläger auf die Berücksichtigung von Fahrten zur Arbeit abstellen, machen sie deutlich, inwiefern sie den Rechtsstandpunkt des Beklagten für falsch halten. Eine Täuschung ist insoweit aber nicht einmal benannt, geschweige denn zu erkennen.
Sodann haben die Kläger ihre Anfechtung damit begründet, sie seien fälschlich in dem Glauben gelassen worden, dass grundsätzlich keine Anfechtung eines Vergleichs möglich sei (Schreiben vom 10. Mai 2021). Dies haben sie ausdrücklich nicht nur auf den Erörterungstermin am 16. März 2021 bezogen, sondern auch auf einen weiteren Termin vor dem SG am 19. März 2021. Wer konkret sie insoweit in welcher Weise getäuscht haben soll, bleibt jedoch offen, zumal weder den Beklagten noch das Gericht eine Verpflichtung trifft, die – zudem anwaltlich vertretenen – Kläger über jede denkbare Gestaltungsmöglichkeit eines Vergleichs, etwa die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts, zu beraten. Dies gilt umso mehr, wenn, wie im vorliegenden Fall, kein Anlass zu einer solchen Regelung erkennbar ist.
Soweit die Kläger im gleichen Schreiben rügen, sie hätten erst kurz vor Ende des Termins erfahren, dass der Berichterstatter mit dem Beklagten und ihrer Rechtsanwältin in telefonischem Kontakt gestanden habe, liegt ebenfalls kein Anfechtungsgrund vor. Eine arglistige Täuschung – durch wen und in welcher Form auch immer – ist nicht zu erkennen. Die Spekulationen der Kläger darüber, dass der Berichterstatter, der Beklagte und ihre eigene Prozessbevollmächtigte heimlich irgendwelche Absprachen zu ihren Lasten getroffen hätten, sind völlig haltlos. Der Berichterstatter hat im Vorfeld des Erörterungstermins lediglich sowohl mit der damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger als auch dem zuständigen Mitarbeiter des Beklagten den Termin abgestimmt und bei dieser Gelegenheit wegen der außerordentlich großen Zahl an Streitpunkten kurz skizziert, welche Themen aus seiner Sicht in dem Termin insbesondere erörtert werden sollen. Unabhängig davon erschließt sich nicht, wie die von den Klägern in diesem Zusammenhang behauptete Täuschung für den Abschluss des Vergleichs ursächlich gewesen sein soll.
5. Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG. Angesichts der Kostenregelung im Vergleich vom 16. März 2021 war nur noch über die weiteren Kosten zu entscheiden (vgl. Hunke, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Auflage 2021, Anh. § 307 Rn. 39).
6. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.