L 4 AS 396/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 32 AS 716/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 4 AS 396/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Schreibens des Beklagten.

Die 1970 in M. geborene Klägerin und Berufungsklägerin (im Weiteren: Klägerin) ist russische Staatsangehörige lebt nach ihren Angaben seit 2010 in Deutschland. Seit 2014 bezieht sie von dem Beklagten und Berufungsbeklagten (im Weiteren: Beklagter) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie ist seither nicht erwerbstätig gewesen.

Mit Schreiben vom 6. Juni 2019 bat die Klägerin den Beklagten um einen Termin für ein persönliches Gespräch, da ihr Konto gepfändet worden sei. Ihrem Schreiben fügte sie neben anderen Unterlagen (die Gegenstand des Verfahrens L 4 AS 395/21 sind) ein von ihr ausgefülltes und unterschriebenes Formular des Beklagten „Erklärung über die Empfangsberechtigung der Kosten der Unterkunft, Heizung und Strom“, das in Teilen nicht lesbar ist, bei. Darin bat sie den Beklagten, bis September 2026 30 € monatlich für die Raten von Geschäftsanteilen ihres Vermieters, der Wohnungsverein D. e.G., und für Strom monatlich 35 € an die D. Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (D) zu zahlen.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2019 sandte der Beklagte die o.g. Erklärung zu seiner Entlastung an die Klägerin zurück und führte dazu aus: Kosten der Unterkunft, wie Grundmiete, Betriebs- und Heizkosten sowie Fernwärme, Wasser/Abwasser und Strom, könnten auf Antrag aus den SGB II-Leistungsansprüchen abgetreten werden. Privatrechtliche Verbindlichkeiten gegenüber Dritten jedoch nicht. Dafür könne die Klägerin einen Dauerauftrag einrichten oder dem Gläubiger einen Einzug durch Lastschrift gestatten. Zur gewünschten Abtretung für Haushaltsstrom müsse sie eine leserliche Abtretungsvereinbarung sowie die Vertragsbestätigung für die Stromversorgung einreichen. Bis zur Vorlage dieser Unterlagen könne eine Abtretung der Abschläge für Haushaltsstrom nicht erfolgen. Auch dafür bestehe die Möglichkeit, einen Dauerauftrag bei der Bank einzurichten oder der D. den Einzug per Lastschrift zu erlauben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2019 verwarf der Beklagte den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 12. August 2019 als unzulässig, da es sich bei dem Schreiben vom 30. Juli 2019 nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe.

Am 20. August 2019 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, das Schreiben des Beklagten vom 30. Juli 2019 stelle eine behördliche Entscheidung oder Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls mit Rechtswirkung nach außen dar. Ihr Schreiben vom 6. Juli 2019 sei eine Bitte um Bearbeitung, also ein Antrag, gewesen. Es gehe um § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) [Begriff des Verwaltungsaktes] und um Art. 17 Grundgesetz (GG) [Petitionsrecht].

Der Beklagte hat dazu ausgeführt, aus dem Vortrag der Klägerin sei nicht erkennbar, welches Rechtsschutzziel sie verfolge.

Auf Hinweis des SG im Schreiben vom 29. Januar 2020, die Rücksendung der Unterlagen stelle keinen Verwaltungsakt dar, hat die Klägerin schriftlich erklärt, sie nehme die Klage nicht zurück, denn der Beklagte habe ihre Bitte und die übersandten Unterlagen bisher nicht bearbeitet.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 15. Juni 2021 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die erhobene Anfechtungsklage sei unzulässig, denn die Rücksendung der Unterlagen stelle eine schlichtes hoheitliches Verwaltungshandeln (Realakt) ohne Verwaltungsaktcharakter dar. Denn eine Regelung sei dem Schreiben vom 30. Juli 2019 zu entnehmen. Eine solche liege vor, wenn die Behörde eine potentiell verbindliche Rechtsfolge setze, d.h. durch eine Maßnahme ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründe, ändere, aufhebe, verbindlich feststelle oder ablehne. Hier habe der Beklagte mit seinem Schreiben die von der Klägerin möglicherweise begehrte Abtretung der Abschläge für Haushaltsstrom nicht abgelehnt, sondern um eine Übersendung weiterer Unterlagen gebeten, um das Begehren bearbeiten zu können. Zudem sei der Sendung der Klägerin kein ausdrücklicher „Antrag“ zu entnehmen, den der Beklagte durch die Rücksendung unbearbeitet im Sinne einer Untätigkeit nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelassen habe. Die Klägerin beziehe bereits seit Jahren Leistungen von dem Beklagten und sei mit einer Antragstellung vertraut. In der Regel füge sie Ihren Unterlagen ein Anschreiben bei, in dem sie um ein Behördenhandeln, beispielsweise um eine Erstattung von Aufwendungen, „bitte“. Allenfalls käme hier eine Auslegung ihres Begehrens als eine Abtretungserklärung für Haushaltsstrom in Betracht. Insoweit habe der Beklagte in seinem Rücksendeschreiben die dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen benannt, die die Klägerin offensichtlich nicht erfüllt habe. Eine Untätigkeit des Beklagten sei damit nicht festzustellen. Für eine entsprechende Klage fehle der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis, da sie das Klageziel auf einfachere Weise, nämlich durch die Übersendung einer leserlichen Abtretungsvereinbarung sowie der benötigten Vertragsbestätigung für die Stromversorgung hätte erreichen können. Eine denkbare Feststellungsklage sei mangels Feststellungsbegehren und mangels eines Feststellungsinteresses unzulässig. Soweit die Klägerin auf ihr Petitionsrecht nach Art. 17 GG verweise, sei ein konkretes Ersuchen im Sinne einer Petition nicht zu erkennen.

Gegen den ihr am 17. Juni 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. Juli 2021 beim Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut auf Art. 17 GG verwiesen und erklärt, sie habe ein Recht auf eine wirksame Beschwerde. Das angegriffene Schreiben des Beklagten sei eine normale Entscheidung mittels Verwaltungsakt. Dementsprechend sei nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens die Klage zulässig.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Juni 2021 und das Schreiben des Beklagten vom 30. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

            die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die seiner Auffassung nach überzeugenden Ausführungen des SG im angegriffenen Gerichtsbescheid.

Nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben vom 28. Februar 2022) hat der Senat mit Beschluss vom 20. Juni 2023 das Berufungsverfahren auf die Berichterstatterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den zum Verfahren L 4 AS 395/21 übersandten Verwaltungsvorgang des Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 153 Abs. 5 SGG konnte die Entscheidung durch die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen, weil der Senat ihr durch Beschluss das Berufungsverfahren übertragen hat.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Aufhebung seines Schreibens vom 30. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2019. Zudem kann sie gegen den Beklagten nicht im Wege der Untätigkeitsklage wegen eines vermeintlich nicht beschiedenen Antrags vorgehen.

Der Senat sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er den zutreffenden Gründen der angegriffenen Entscheidung des SG – nach eigener Prüfung – folgt. Den Ausführungen des SG ist nichts hinzuzufügen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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