L 6 AS 947/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 947/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 947/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 9/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.12.2021 aufgehoben.

 

Die Klagen werden abgewiesen.

 

Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

Tatbestand:

 

 

Im Streit steht eine Entscheidung des Beklagten über die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende– (SGB II) für den Monat Dezember 2017 und eine darauf beruhende Erstattungsforderung gegenüber der Klägerin sowie die Höhe der an sie zu zahlenden Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2018.

 

Die 0000 geborene, im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten wohnende Klägerin bezog seit 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnt eine 51,75 m² große Mietwohnung, für welche ab dem 01.10.2017 monatlich 311 € Grundmiete und 121 € Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten zu leisten waren. Zum 01.04.2018 erfolgte eine Erhöhung der Grundmiete auf 327 € monatlich, zum 01.11.2018 darüber hinaus eine Erhöhung der Heiz- und Nebenkostenvorauszahlungen auf insgesamt 124 €. Sie erzielt Einkommen aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der Universität C. (nachfolgend: Arbeitgeber), das sie in Teilzeit ausübt. Als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unterliegt sie dabei der betrieblichen Altersversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Der Arbeitgeber führt monatlich 1,81 % des Bruttoeinkommens der Klägerin zur Zusatzversorgung für Angestellte im öffentlichen Dienst an die VBL ab.

 

Jeweils im November eines Jahres erhält die Klägerin eine Jahressonderzahlung ihres Arbeitgebers, welche gemeinsam mit den laufenden Bezügen zur Auszahlung gelangt. Für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzt sie den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Die Gesamtkosten für die zu diesem Zwecke notwendigen Abonnements zweier verschiedener Verkehrsverbünde beliefen sich im Jahr 2017 auf monatlich 185,11 €, im Jahr 2018 auf 192,41 € und im Jahr 2019 auf 194,85 €. Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin eines Pkw, für welchen sie jährliche Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung i.H.v. 161,40 € (2017), 166,20 € (2018) und 187,08 € (2019) entrichtete.

 

Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 12.09.2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.09.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.11.2017 und 30.04.2018 Leistungen für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 i.H.v. 134,29 € (November 2017), i.H.v. 122,99 € (Dezember 2017) sowie i.H.v. 141,45 € (Januar bis April 2018). Dabei legte er eine von ihm als angemessen erachtete monatliche Grundmiete i.H.v. 280 € sowie die zu leistenden Vorauszahlungen in tatsächlicher Höhe zugrunde. Ferner berücksichtigte er Einkommen i.H.v. 1.160 € netto (1.400 € brutto) abzüglich Werbungskosten, Freibeträgen und Aufwendungen für Versicherungen i.H.v. insgesamt 474,88 €.

 

Durch Bescheid vom 20.11.2017 stellte das für die Klägerin zuständige Finanzamt gegenüber dieser eine Einkommensteuernachzahlung i.H.v. 346,62 € für das Jahr 2016 fest und setzte eine Zahlungsfrist bis zum 27.12.2017. Die Klägerin beantragte unter Vorlage des entsprechenden Bescheides bei dem Beklagten die „Übernahme“ der Forderungskosten des Finanzamtes. Durch Bescheid vom 11.12.2017 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, eine Übernahme als Mehrbedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II komme nicht in Betracht. Aus diesem Grunde sei ein Darlehen ebenfalls abzulehnen. Die Klägerin legte dagegen keinen Widerspruch ein, sondern ließ die Forderung durch einen Bekannten am 22.12.2017 durch Überweisung an das Finanzamt begleichen.

 

Ihr Bruttoeinkommen belief sich ausweislich der durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung des Landes Nordrhein-Westfalen (LBV) erstellten Bezügemitteilungen im November und Dezember 2017 auf 1.416,08 € (1.093,10 € netto) sowie ab Januar 2018 auf 1.449,36 € brutto (1.120,95 € netto). Ein Betrag i.H.v. 25,63 € (2017) bzw. 26,23 € (2018) monatlich wurde als Beitrag der Klägerin zur Arbeitnehmer-Zusatzversorgung durch den Arbeitgeber an die VBL abgeführt. Im November 2017 erhielt die Klägerin zudem eine Jahressonderzahlung i.H.v. 1.317,65 € brutto, ausgezahlt wurde am 29.11.2017 ein Gesamtbetrag i.H.v. 2.062,51 €. Dabei befand sich das Girokonto der Klägerin mit einem Betrag i.H.v. 4.194,91 € im Debet. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten der Vergütungsberechnung wird auf die Bezügemitteilungen Nr. 26 bis 28 des LBV (2. Abteilung Blatt 15 bis 17, 50 der grünen Verwaltungsvorgänge des Beklagten) Bezug genommen.

 

Nach Anhörung zu einer Aufhebung (zur Begründung herangezogen § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – [SGB X]) und Erstattung, zu der die Klägerin auf ihr entstandene, von dem Beklagten nicht übernommene Mehrkosten wie Ausgaben für das Kfz, Nebenkostennachzahlung und Steuernachzahlung verwies, hob der Beklagte mit Bescheid vom 17.05.2018 die Bewilligung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis zum 30.04.2018 teilweise mit der Begründung auf, die Entscheidung sei wegen Erzielung von Einkommen (Weihnachtsgeld) rechtswidrig geworden (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – [SGB III] i.V.m. § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X), und verlangte die Erstattung eines überzahlten Betrages i.H.v. 649,84 €. Die Aufhebung und Erstattung für den Monat Dezember 2017 belief sich auf 98,64 €.

 

Die Klägerin legte hiergegen, vertreten durch ihren vormaligen Bevollmächtigten, am 29.05.2018 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die geltend gemachten Erstattungsbeträge seien ihr zunächst nicht in der zur Erstattung gestellten Höhe bewilligt worden bzw. zugeflossen. Zudem seien selbst in dem Fall, dass die Jahressonderzahlung ab dem Monat Dezember 2017 auf sechs Monate zu verteilen gewesen wäre, jedenfalls die notwendigen Ausgaben der Klägerin einkommensmindernd zu berücksichtigen gewesen. Hierunter falle u.a. die Steuerschuld aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 vom 20.11.2017 i.H.v. 346,62 €. Dieser Betrag hätte im Monat Dezember 2017 bedarfserhöhend bzw. einkommensmindernd berücksichtigt werden müssen. Die Nachzahlung sei dadurch entstanden, dass sie nach einer im Jahr 2015 erfolgten Stellenreduzierung ihren auf Basis der Vollzeittätigkeit ermittelten Steuerfreibetrag beibehalten und somit monatlich eine ermäßigte Lohnsteuer zu entrichten gehabt habe. Der Beklagte habe im zurückliegenden Bewilligungsabschnitt von der geringen Steuerlast profitiert, da hierdurch ein niedrigerer Bedarf festgestellt worden sei.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2018 änderte der Beklagte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, dass die Aufhebung und Erstattung für den Zeitraum 01.12.2017 bis 30.04.2018 um monatlich jeweils 0,18 € reduziert wurde. Im Übrigen wies er den Widerspruch als unbegründet zurück. Die im November 2017 zugeflossene Jahressonderzahlung sei neben dem laufenden Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Klägerin als einmalige Einnahme zu berücksichtigen und auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen. Die Steuerschuld aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 könne nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. Die Schulden stünden in keinem Zusammenhang mit der Einkommenserzielung in dem Bewilligungszeitraum, weil es sich dabei nicht um Aufwendungen handele, die zur Erzielung des Erwerbseinkommens in diesem Zeitraum angefallen seien. Da der Klägerin somit höheres Einkommen zugeflossen sei, als der ursprünglichen Leistungsbewilligung zugrunde gelegen habe, habe sie den entsprechenden Differenzbetrag zu erstatten.

 

Am 04.12.2018 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erhoben (Aktenzeichen S 35 AS 4706/18). Zur Begründung hat sie unter Aufrechterhaltung ihres Vortrags im Widerspruchsverfahren ergänzend vorgetragen, im Zeitpunkt des Eingangs der Jahressonderzahlung auf dem Girokonto der Klägerin habe sich dieses bereits weit im Soll befunden, sodass die Sparkasse die vollständige Summe zum Ausgleich des Dispositionskredits vereinnahmt habe. Sie habe daher im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr über die Zahlung verfügen können, sodass diese nicht als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen sei. Zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten habe sie sich damals durch Abschluss eines privaten Darlehensvertrags behelfen müssen, welchen sie in monatlichen Raten zurückführe. Der Darlehensgeber habe auch die Steuerschuld i.H.v. 346,62 € beglichen.

 

Am 16.10.2018 stellte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2017 und eine Steuerschuld der Klägerin i.H.v. 317,67 € fest. Die Zahlungsfrist setzte es auf den 19.11.2018. Die Klägerin beantragte unter dem 18.12.2018 die Übernahme der Steuernachzahlung bei dem Beklagten.

 

Das Einkommen der Klägerin aus Erwerbstätigkeit belief sich ausweislich der Bezügemitteilungen des LBV von November 2018 bis April 2019 auf 1.449,36 € brutto (1.147,18 € netto) monatlich. Einen Betrag i.H.v. 26,23 € monatlich führte der Arbeitgeber an die VBL ab. Mit Zahlungseingang am 30.11.2018 erhielt die Klägerin die Auszahlung ihrer Bezüge für den Monat November 2018 sowie der Jahressonderzahlung mit einem Gesamtbetrag i.H.v. 2.058,39 €. Das Girokonto der Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt mit einem Betrag i.H.v. 992 € im Debet. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten der Vergütungsberechnung wird auf die Bezügemitteilungen Nr. 29 bis 31 des LBV (2. Abteilung Blatt 260 der grünen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie Blatt 1 und 42 der blauen Verwaltungsvorgänge des Beklagten) Bezug genommen.

 

Im Mai 2019 wurde eine Erhöhung der monatlichen Bezüge der Klägerin auf einen Betrag i.H.v. 1.499,36 € brutto (1.193,41 € netto) – rückwirkend für den Zeitraum ab Januar 2019 – umgesetzt. Die Klägerin erhielt daher eine Nachzahlung von Bezügen für die Monate Januar bis April 2019 i.H.v. monatlich 50 € brutto. An die VBL wurden Beträge i.H.v. 27,14 € für den Monat Mai 2019 abgeführt. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten der Vergütungsberechnung wird auf die Bezügemitteilung Nr. 32 des LBV (Blatt 82 der blauen Verwaltungsvorgänge des Beklagten) Bezug genommen.

 

Mit Bescheid vom 15.01.2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 22.10.2018 für den Zeitraum 01.12.2018 bis 30.05.2019 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes i.H.v. 39,21 € (Dezember 2018) bzw. 28,34 € (Januar 19 bis Mai 2019). Dabei berücksichtigte er eine monatliche Grundmiete i.H.v. 307 € (an Stelle tatsächlich geschuldeter 327 €) sowie Heiz- und Nebenkostenvorauszahlungen in tatsächlicher Höhe von 35 € bzw. 89 € monatlich.

 

Mit weiterem Bescheid vom 15.01.2019 – im Betreff bezeichnet als „Ablehnungsbescheid“ – lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 18.12.2018 auf Übernahme der Kosten für die Steuernachzahlung für das Jahr 2017 ab. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05.02.2019 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, die Kosten seien entstanden, da auf der Bescheinigung der Klägerin ein Freibetrag eingetragen gewesen sei, der noch auf ihrer Vollzeittätigkeit beruht habe. Diesen haben sie stehen lassen, da sie sich immer wieder auf eine Vollzeitstelle beworben habe. Deshalb sei das Nettoeinkommen, welches der Bedarfsberechnung für das Jahr 2017 zugrunde gelegt worden sei, tatsächlich höher gewesen. Die Steuernachzahlung sei daher von dem Beklagten zu übernehmen.

 

Durch Widerspruchsbescheid vom 22.02.2019 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin bestehe im SGB II keine Rechtsgrundlage. Es lägen weder die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Mehrbedarfes, noch für die Gewährung eines Darlehens vor. Soweit die Klägerin anführe, lediglich die Eintragung eines zu hohen Freibetrages habe letztlich zu der Steuernachforderung geführt, sei dieser Umstand allein dem Einflussbereich der Klägerin zuzurechnen. Diese habe die Entscheidung getroffen, den Freibetrag nicht rechtzeitig zu ändern. Sie habe daher zunächst einen höheren Nettolohn erhalten und müsse die Differenz nun verwenden, um die Nachforderung zu begleichen. Zwar sei auch der Beklagte bei der Leistungsberechnung von diesem höheren Nettolohn ausgegangen, dieser habe der Klägerin jedoch auch tatsächlich zur Bedarfsdeckung zur Verfügung gestanden, sodass die Berücksichtigung zutreffend gewesen sei.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 22.03.2019 ebenfalls Klage beim SG Düsseldorf erhoben (Aktenzeichen S 35 AS 1239/19). Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Frage, ob Einkommensteuerbeträge im Bewilligungszeitraum abgesetzt werden könnten, wenn sie zwar nicht das in diesem Zeitraum erzielte Einkommen betreffen, aber im Bewilligungszeitraum erstmals festgesetzt und fällig würden, sei klärungsbedürftig.

 

Durch Bescheid vom 15.05.2020, der dem SG nicht bekannt geworden ist, hat der Beklagte die Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 01.12.2018 bis 30.04.2020 abschließend auf 1,44 € (Dezember 2018), 34,36 € (Januar 2019) bzw. i.H.v. 9,62 € (Februar – Mai 2019) festgesetzt.

 

Das SG hat die Verfahren S 35 AS 47061/18 und S 35 AS 1239/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden (Beschluss vom 25.10.2021).

 

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt:

1. der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 wird aufgehoben,

2. der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2019 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2018 unter Berücksichtigung eines weiteren Betrages i.H.v. 317,67 € zu zahlen.

 

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klagen abzuweisen.

 

Er hat im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

 

Nach entsprechender Anhörung hat das SG am 09.12.2021 durch Gerichtsbescheid entschieden. Es hat den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verpflichtet, den Bescheid vom 17.05.2018 und den Widerspruchsbescheid vom 05.11.2018 dahingehend abzuändern, dass der Klägerin eine weitere Absetzungssumme i.H.v. 346,62 € anerkannt wird, sowie den Bescheid vom 15.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2019 dahingehend abzuändern, dass der Klägerin ein weiterer Absetzungsbetrag i.H.v. 317,67 € zuerkannt wird.

 

Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Bescheide erwiesen sich als rechtswidrig, soweit der Beklagte die von der Klägerin zu leistende Einkommensteuernachzahlung nicht gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 1 SGB II als von dem Einkommen entrichtete Steuern von deren Einnahmen abgesetzt habe. Zwar seien die von ihr gezahlten Beträge zur Einkommensteuer Steuern, die nicht unmittelbar auf die Einkünfte im Bewilligungszeitraum anfielen, sondern solche, die eigentlich in einem vorherigen Bewilligungszeitraum angefallen seien und nunmehr erst im Nachhinein mit dem entsprechenden Einkommensteuerbescheid festgesetzt würden. Dies ändere jedoch nichts daran, dass es sich um Steuern auf Einkommen der Klägerin handele, die im Laufe des Bezuges von SGB Il-Leistungen angefallen seien. Die Vorschrift des § 11b Abs. 1 Nr. SGB II ziele im Ergebnis darauf ab, Leistungsberechtigte nach dem SGB Il grundsätzlich von der Zahlung von Steuern zu befreien, denn das Einkommen von Leistungsberechtigten nach dem SGB Il liege grundsätzlich unterhalb des steuerlichen Existenzminimums. Da die verzögerte Festsetzung durch das Finanzamt nicht der Klägerin zur Last zu legen sei, müsse sie entsprechende im Nachhinein festgesetzte Steuernachforderungen von ihrem Einkommen absetzen können. Diese Auslegung des § 11b Abs. 1 Nr. 1 SGB II sei auch im Hinblick darauf zwingend, dass im Umkehrfall Steuererstattungen für vergangene Zeiträume nach § 11 Abs. 1 SGB II als Einnahmen bewertet würden. Eine Steuernachzahlungsverpflichtung könne allenfalls für Zeiträume ohne SGB II-Bezug unbeachtlich sein. Hier seien aber Steuern für einen Zeitraum nachgefordert worden, in denen die Klägerin im Bezug von Leistungen gestanden habe.

 

Den Bewilligungsbescheid vom 19.09.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.11.2017 habe der Beklagte für die Zeit vom 01.12.2017 bis zum 30.04.2018 dagegen zu Recht insoweit aufgehoben, als er Einkommen aus einer Sonderzahlung an die Klägerin angerechnet habe.

 

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner (durch den Senat zugelassenen) Berufung.

 

Er macht geltend, die Auffassung des SG sei mit höhergerichtlicher Rechtsprechung sowie der herrschenden Meinung in der Literatur nicht zu vereinbaren. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB II könnten nur solche zu entrichtenden Steuern vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgesetzt werden, die sich auf das im Bewilligungszeitraum berücksichtigte Einkommen bezögen. Steuernachforderungen, also solche Steuern, die nicht dem im Bedarfszeitraum bezogenen Einkommen zuzuordnen und in diesem fällig seien, könnten nicht abgesetzt werden. Auch seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Zeitpunkt der Erzielung des Einkommens offene Schulden nicht vom Einkommen abzusetzen.

 

Der Beklagte beantragt:

den Gerichtsbescheid vom Sozialgericht Düsseldorf vom 09.12.2021 zu ändern und die Klagen in vollem Umfang abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und gibt an, von der Anrechnung der Jahressonderzahlung nicht überrascht gewesen zu sein.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.04.2023 hat der Beklagte den Bescheid vom 17.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 dahingehend abgeändert, dass von der Klägerin für den Monat Dezember 2017 ein um 1,35 € geringerer Betrag aufgehoben und zur Erstattung verlangt wird. Darüber hinaus hat er unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 15.05.2020 das Bestehen eines Leistungsanspruches i.H.v. 26,17 € für den Monat Dezember 2018 festgestellt. In diesem Umfang hat er die Berufung jeweils für erledigt erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im Ausgangspunkt der Gerichtsbescheid vom 09.12.2021, mit dem das SG nach vorangegangener Verbindung über die beiden Klageverfahren mit den vormaligen Aktenzeichen S 35 AS 1239/19 und S 35 AS 4706/19 entschieden hat.

 

Damit geht es inhaltlich zum einen um den Bescheid vom 17.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 in der Fassung der Erklärung des Beklagten vom 06.04.2023, womit der Beklagte die Leistungen u.a. für den Monat Dezember 2017 teilweise aufgehoben und (für diesen Monat i.H.v. 97,29 €) erstattet verlangt hat (Verfahren mit dem vormaligen Aktenzeichen S 35 AS 4706/19).

 

Zum anderen ist Gegenstand des Berufungsverfahrens (nur noch) der abschließende Bescheid vom 15.05.2020, der im Zeitpunkt der Entscheidung des SG zwar schon in der Welt, diesem aber noch nicht bekannt war, in der Fassung der Erklärung des Beklagten vom 06.04.2023 (Verfahren mit dem vormaligen Aktenzeichen S 35 AS 1239/19). Denn dieser abschließende Bescheid hat den Bescheid vom 15.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2019 über die vorläufige Leistungsgewährung, womit der Beklagte auch die Berücksichtigung der von der Klägerin geschuldeten Steuernachzahlung für das Jahr 2017 i.H.v. 317,67 € (konkludent) abgelehnt hat, gemäß § 39 Abs. 2 SGB X ersetzt und erledigt, ohne dass es einer Aufhebung oder Änderung der vorläufigen Entscheidung bedurft hätte, und ist nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden (BSG, Urteil vom 19.03.2020, B 4 AS 1/20 R, juris Rn. 10 m.w.N.; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, Stand: 13.01.2023, § 41a Rn. 56). Der Senat geht insoweit davon aus, dass die Klägerin zuvor mit dem Widerspruch vom 05.02.2019 nicht nur den Ablehnungsbescheid vom 15.01.2019, sondern auch den Leistungsbescheid vom 15.01.2019 angegriffen hat und damit auch die vorläufige Leistungsbewilligung bereits Gegenstand des Klageverfahrens war. Denn die beiden Bescheide vom 15.01.2019 bildeten insoweit eine rechtliche Einheit (vgl. zu diesem Begriff bei Erstattungsbescheiden nach vorausgehender Rücknahme der Bewilligung auf Grundlage der §§ 45, 48 SGB X BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R; zur Situation bei Erstattung und vorläufiger Bewilligung auch BSG, Urteil vom 20.02.2020, B 14 AS 3/19 R). Eine gesonderte Entscheidung über einen Mehrbedarf, wie von dem Beklagten in dem weiteren Bescheid vom 15.01.2019 verfügt, war nicht zulässig. Eine solche hätte vielmehr im Rahmen einer einheitlichen Bewilligungsentscheidung ergehen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 14.02.2013, B 14 AS 48/12, juris Rn. 9). Dies gilt erst Recht für die Entscheidung über die Berücksichtigung eines Absetzbetrages i.S.d. § 11b Abs. 1 SGB II, da sich dieser unmittelbar auf die Berechnung des Leistungsanspruchs des Hilfebedürftigen i.S.d. § 20 Abs. 1 SGB II auswirkt.

 

In zeitlicher Hinsicht ist das Verfahren auf die Überprüfung der genannten Entscheidungen für die Monate Dezember 2017 und Dezember 2018 beschränkt, da der Gerichtsbescheid vom 09.12.2021 allein hierzu eine Entscheidung und damit eine Beschwer für den Beklagten enthält. Zwar hat das SG im Tenor des Gerichtsbescheides nicht ausdrücklich ausgeführt, in welchem Leistungszeitraum es eine Berücksichtigung der Einkommensteuernachzahlungen als Absetzbeträge von dem Einkommen der Klägerin für geboten hält. Unter Heranziehung der Entscheidungsgründe zur Auslegung des insoweit unklaren Tenors (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 29.06.2000, B 13 RJ 41/99 R; juris Rn. 13 m.w.N.) ist jedoch hinreichend deutlich erkennbar, dass das SG die Nachzahlungen von dem laufenden Erwerbseinkommen der Klägerin in den Monaten Dezember 2017 und Dezember 2018 abgesetzt wissen wollte. Denn es hat seine Entscheidung auf die Vorschrift des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II gestützt – und nicht auf den die Absetzung einer einmaligen Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II regelnden Satz 2 dieser Bestimmung. Allein in dem zuletzt genannten Fall wären jedoch weitere Leistungsmonate als der Dezember von der streitgegenständlichen Absetzung betroffen. Diese Auslegung entspricht auch dem Verständnis der Beteiligten, was sie durch ihren schriftlichen Vortrag zum Ausdruck gebracht und in der mündlichen Verhandlung am 06.04.2023 ausdrücklich bestätigt haben. Schließlich ist jedenfalls mit Blick auf den die Steuernachforderung im Jahr 2018 betreffenden Verfahrensteil eine entsprechende Beschränkung bereits durch den erstinstanzlich formulierten Klageantrag (vgl. dazu den Inhalt der Klageschrift vom 22.03.2019) erfolgt.

 

B) Die zulässige Berufung ist unter Berücksichtigung der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 06.04.2023 erklärten Teilrücknahme des Beklagten vollumfänglich begründet, denn die Entscheidung über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen für den Monat Dezember 2017 ist ebenso rechtmäßig (dazu I.) wie die Ablehnung der Gewährung höherer Leistungen für den Monat Dezember 2018 (dazu II.). Dies gilt selbst unter Zugrundelegung der in den streitgegenständlichen Leistungsmonaten tatsächlich von der Klägerin an ihren Vermieter zu entrichtenden Grundmiete an Stelle des von dem Beklagten im Rahmen seiner Bewilligungsentscheidungen zugrunde gelegten, von diesem für angemessen erachteten Betrages, sodass eine Entscheidung über die Frage, welche Kosten tatsächlich als angemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind, nicht getroffen werden musste.

 

I. Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) gegen den Bescheid vom 17.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2018 ist unbegründet. Die genannten Bescheide sind rechtmäßig, so dass die Klägerin nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist. Der Beklagte war zur teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung für den Monat Dezember 2017 berechtigt, weil der Klägerin höheres Einkommen zugeflossen ist als den Bewilligungen (vom 19.09.2017 und 25.11.2017) zugrunde gelegt worden war.

 

1. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 bis 4 SGB X und nicht (wie der Beklagte meint) § 48 Abs. 1 SGB X.

 

Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab (vgl. auch BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 45/09 R, juris Rn. 15 m.w.N.).

 

Die Bescheide vom 19.09.2017 und 25.11.2017 waren anfänglich rechtswidrig, sodass diese Entscheidungen nur noch unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. i.V.m. § 45 SGB X korrigiert werden konnten. Der Einkommenszufluss erfolgte zwar erst nachträglich (am 29.11.2017). Dennoch liegt hierin keine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, weil dem Beklagten bekannt war, dass die Klägerin (jeweils im November) eine Sonderzahlung erhielt. Auch der Höhe nach konnte der Beklagte wissen, wie hoch die Zahlung sein würde, da diese sich aus den vorab festgesetzten tariflichen Regelungen der Länder ergibt und der Nettobetrag hieraus – ggf. unter Zuhilfenahme von im Internet verfügbaren Rechnern für Jahressonderzahlungen (des öffentlichen Dienstes) – hätte ermittelt werden können.

 

2. Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig.

 

Gegen seine Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II) bestehen keine Bedenken (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen im Einzelnen Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 33 Rn. 6 m.w.N.). Denn der Rücknahmebescheid vom 17.05.2018 bezeichnet in seinem Verfügungssatz – tabellarisch aufgeschlüsselt – den jeweiligen betroffenen Bewilligungsmonat, den der Bewilligung zugrundeliegenden Bewilligungsbescheid, die aufzuhebende Leistungsart sowie den aufzuhebenden Betrag.

 

Der angegriffene Bescheid des Beklagten erweist sich auch nicht etwa deshalb als formell rechtswidrig, weil die Klägerin zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ordnungsgemäß angehört worden wäre. Denn bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (BSG, Urteil 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, juris Rn. 21 m.w.N.; BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 4 AS 37/09 R, juris Rn. 12). Zwar hat der Beklagte die Klägerin vor Erlass der in ihre Rechtsposition eingreifenden Aufhebungsverfügungen nicht zu dem Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen angehört. Ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsansicht, wonach § 48 SGB X taugliche Ermächtigungsgrundlage war, ist aber bereits durch Schreiben vom 30.04.2018 eine ausreichende Anhörung der Klägerin durchgeführt und dieser Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, wovon sie auch Gebrauch gemacht hat.

 

3. Auch im Übrigen führt der Umstand, dass der Beklagte seine Rücknahmeverfügungen zunächst fehlerhaft auf § 48 SGB X gestützt hat, nicht aus formellen Gründen zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides.

 

Stützt die Behörde ihre Entscheidung auf eine falsche Rechtsgrundlage, sind aber für den Erlass des Verwaltungsaktes die Voraussetzungen der zutreffenden Rechtsgrundlage erfüllt, handelt es sich bei gebundenen Verwaltungsakten lediglich um eine unzutreffende Begründung des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 29.06.2000, B 11 AL 85/99 R, juris Rn. 21). Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das "Auswechseln" dieser Rechtsgrundlagen durch das Gericht grundsätzlich zulässig (BSG, Urteil vom 21.06.2011, B 4 AS 21/10, juris Rn. 34; BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, juris Rn. 23). Bei dem Bescheid vom 17.05.2018 handelte es sich um einen gebundenen Verwaltungsakt. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II ist § 330 Abs. 2, 3 Satz 1 und 4 SGB III entsprechend anwendbar. § 330 Abs. 3 SGB III sieht im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X eine gebundene Entscheidung vor, sodass Ermessen nicht auszuüben war.

 

4. Die materiellen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 Abs. 1 SGB X sind erfüllt.

 

Danach darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte dabei nicht auf sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

 

a) Die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids vom 19.09.2017 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 25.11.2017 ergibt sich neben dem fehlenden Vorläufigkeitsvorbehalt auch aus der zugrunde gelegten Leistungshöhe. Unter Berücksichtigung der der Klägerin im November 2017 zugeflossenen Jahressonderzahlung war sie im Monat Dezember 2017 in geringerer Höhe als in den o.g. Bescheiden angenommen hilfebedürftig.

 

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten Personen nach den Maßgaben der §§ 7 ff. i.V.m. §§ 19 ff. SGB II. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II in der hier maßgebenden bis zum 31.07.2019 geltenden Fassung, weil sie 50 Jahre alt und erwerbsfähig war sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte.

 

Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum über zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11 SGB II, welches zu einer geringeren Hilfebedürftigkeit geführt hat, als mit der ursprünglichen Bewilligung angenommen worden war.

 

aa) Ihr monatlicher Gesamtbedarf belief sich auf höchstens 850,41 € unter Berücksichtigung des Regelbedarfs für Alleinstehende gemäß § 20 Abs. 1 SGB II i.H.v. 409,00 €, eines Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung gemäß § 21 Abs. 7 SGB II i.H.v. 9,41 € sowie der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II i.H.v. insgesamt 432,00 €. 

 

bb) Von dem Bedarf der Klägerin ist ihr zu berücksichtigendes Einkommen abzusetzen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen.

 

(1) Die laufenden Einkünfte aus Erwerbstätigkeit der Klägerin gemäß § 11 Abs. 2 SGB II beliefen sich im Dezember 2017 auf 1.416,08 € brutto (1.118,73 € netto).

 

Davon sind gemäß § 11b SGB II folgende Beträge abzusetzen:

 

(a) 302,18 € gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 2 SGB II (Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung);

 

(b) 13,45 € gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Alg-II-VO (Kfz-Haftpflichtversicherung);

 

(c) 25,63 € gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II (Arbeitnehmer-Zusatzversorgung)

 

Diese Summe i.H.v. 1,81 % des monatlichen Bruttoeinkommens führt der Arbeitgeber der Klägerin als deren Umlage zur Zusatzversorgung für Angestellte im öffentlichen Dienst (Betriebsrente der VBL) ab. Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind grundsätzlich versicherungspflichtig in der VBL. Die Versicherungspflicht ergibt sich aus § 2 des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vom 01.03.2002 (Tarifvertrag Altersversorgung – ATV –).

 

(d) 30 € gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg-II-VO

 

Die Versicherungspauschale ist neben den unter (a) und (b) berücksichtigten Beiträgen zu gesetzlichen Pflichtversicherungen abzusetzen. Denn die Vorschrift bezieht sich nur auf die von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 1. Teilsatz Konjunktionalsatz 2. Alt. erfassten Beiträge zu fakultativen privaten Versicherungen (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 4. Erg.-Lfg. 2023, § 11b Absetzbeträge, Rn. 182).

 

(e) 185,81 € gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 (Kosten für ÖPNV)

 

Diese nachgewiesenen Beträge sind gemäß § 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II in tatsächlicher Höhe abzusetzen.

 

(f) Daneben ist ein Betrag i.H.v. 200 € gemäß § 11b Abs. 3 SGB II von dem Einkommen der Klägerin abzusetzen.

 

(g) Die durch Einkommensteuerbescheid vom 20.11.2017 festgesetzte, von der Klägerin bzw. ihrem Bekannten am 22.12.2017 beglichene Einkommensteuernachzahlung i.H.v. 346,62 € ist (entgegen der Ansicht des SG) demgegenüber nicht gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 5 SGB II als Absetzbetrag von dem laufenden Einkommen der Klägerin abzuziehen. Dabei kann es vorliegend dahinstehen, ob entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift lediglich die im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich entrichteten Steuern absetzbar sind oder die Vorschrift auch auf die am maßgeblichen Anrechnungsstichtag hinreichend konkretisierten Steuern (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1, § 220 Abs. 1 Abgabenordnung i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 Einkommensteuergesetz) anwendbar ist (vgl. Neumann in BeckOK-SGB II, Stand: 01.03.2023, § 11b Rn. 2). Denn im streitgegenständlichen Zeitraum hat jedenfalls eine Entrichtung im Sinne der o.g. Vorschrift stattgefunden.

 

Es entspricht allgemeiner Meinung, dass nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II nur solche zu entrichtenden Steuern vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgesetzt werden können, die sich auch auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen beziehen. Nicht unter die Vorschrift fallen Steuernachforderungen für zurückliegende Zeiträume, denn diese werden nicht auf das aktuelle Einkommen entrichtet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2018, L 31 AS 402/18 NZB; LSG Sachsen, Urteil vom 10.11.2020, L 8 AS 701/16). Solche Nachzahlungen stehen Schulden gleich, deren Tilgung nicht die Hilfebedürftigkeit zu begründen vermag (Söhngen in juris-PK-SGB II, Stand 07.03.2023, § 11b Rn. 19 m.w.N.). Die Anwendung des § 11b Abs. 1 Satz Nr. 5 SGB II scheidet insoweit ebenfalls aus. Die Ziffer erfasst lediglich die von Nr. 1 nicht erfassten Steuern, wie die Umsatzsteuer, die Grund- oder die Grunderwerbssteuer (Söhngen, a.a.O.).

 

Diese Wertung führt zwar im Einzelfall zu leistungsrechtlichen Nachteilen derjenigen Leistungsberechtigten, die durch die Verpflichtung zur Rückzahlung von Gehaltsbestandteilen, welche in vorherigen Bewilligungsabschnitten leistungsmindernd Berücksichtigung gefunden haben, im Ergebnis weniger Leistungen erhalten als sie erhalten hätten, wenn die Berechnung des Nettoentgelts von vorneherein auf Grundlage der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt wäre. Dieses Ergebnis ist jedoch Ausfluss des Monats- und Zuflussprinzips als maßgeblicher Leitlinien des SGB II. Ausnahmen hiervon werden regelmäßig in engen Grenzen und aus besonderen, das Abweichen von den herrschenden Grundgedanken rechtfertigenden Gründen gemacht (wie etwa im Rahmen des § 41a Abs. 4 SGB II a.F. aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, vgl. hierzu weiter unten). Ein besonders gelagerter Fall, welcher eine abweichende Bewertung rechtfertigen würde, ist jedoch in der vorliegenden Konstellation nicht zu erkennen. Wie der Beklagte zutreffend dargelegt hat, hatte allein die Klägerin Einfluss auf den für sie eingetragenen Lohnsteuerfreibetrag. Diesen hat sie nach ihrem eigenen Vortrag willentlich zunächst nicht reduziert. Die Hinnahme der sich hieraus ergebenden leistungsrechtlichen Konsequenzen erscheint dem Senat aus diesem Grund auch nicht als unzumutbar.

 

Die letztlich allein auf Billigkeitserwägungen beruhende Argumentation des SG vermag der Klägerin demgegenüber nicht zum Erfolg zu verhelfen.

 

(h) Es ergibt sich mithin (aus (a) bis (f)) ein Absetzbetrag i.H.v. 454,89 €.

 

(2) Neben dem laufenden Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat die Klägerin im November 2017 (Gutschrift auf dem Girokonto am 29.11.2017) eine Jahressonderzahlung i.H.v. 1.317,65 € brutto (969,41 € netto) erhalten, welche als einmalige Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II über einen Zeitraum von 6 Monaten ab Dezember 2017 einkommensmindernd zu berücksichtigen ist. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II sind einmalige Einnahmen in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen. Sofern für den Zuflussmonat bereits Leistungen ohne Einbeziehung einmaliger Einnahmen erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt (§ 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II bzw. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II in der ab 01.08.2016 geltenden Fassung). Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.

 

Die Höhe des auf die Jahressonderzahlung entfallenden Nettobetrages ist durch einen Vergleich des im November tatsächlich ausgezahlten Gesamtnettobetrages (2.111.99 €) mit dem im Oktober bzw. Dezember ausgezahlten laufenden Einkommen (1.093,10 €) zu ermitteln. Hier ergibt sich ein Betrag i.H.v. 969,41 €. Dabei ist neben den Absetzungen für Steuer und Sozialversicherung gemäß § 11b Abs. 1, 2 SGB II der Beitrag zur Arbeitnehmer-Zusatzversorgung i.H.v. 23,85 € gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II in Abzug gebracht. Weitere Absetzungen sind nicht vorzunehmen, da diese bereits von dem laufenden Erwerbseinkommen der Klägerin in Abzug gebracht wurden, eine doppelte Berücksichtigung kommt nicht in Betracht. Der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 SGB II ist bereits im Rahmen der Berechnung des laufenden Erwerbseinkommens vollständig ausgeschöpft worden.

 

Eine Berücksichtigung des Betrages i.H.v. 969,41 € ließe den Leistungsanspruch der Klägerin im November 2017 entfallen, sodass eine Verteilung auf den Zeitraum Dezember 2017 bis Mai 2018 vorzunehmen ist. Mithin ergibt sich ein monatlich zu berücksichtigender Betrag i.H.v. 161,59 €.

 

Der Wert dieser einmaligen Einnahme im Zeitpunkt ihres Zuflusses ändert sich auch nicht dadurch, dass unmittelbar mit der Gutschrift auf dem Konto aufgrund des mit der Sparkasse vereinbarten Kontokorrents ein Kontosoll zurückgeführt wurde. Im Monat der Einkommensberücksichtigung ist dennoch ein tatsächlicher Wertzuwachs eingetreten (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 10/14 R, juris Rn. 31 f.; BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 KG 1/10 R, juris Rn. 18 zu gepfändetem Einkommen; vgl. zur stichtagsbezogenen Bewertung von Vermögen BSG vom 20.02.2020, B 14 AS 52/18 R, juris Rn. 38).

 

Während unter Berücksichtigung der bis zum 31.12.2016 geltenden, vom BSG entwickelten Grundsätze zu den „bereiten Mitteln“ eine einmalige Einnahme im Verteilzeitraum dennoch nicht als Einkommen berücksichtigt werden konnte, soweit sie bereits zu anderen Zwecken als zur Bestreitung einer aktuellen Notlage verwendet wurde und daher nicht mehr geeignet war, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteil v. 29.11.2012, B 14 AS 33/12 R m.w.N. zur Verwendung einer Einkommensteuererstattung zur Rückzahlung eines Darlehens unmittelbar nach deren Erhalt; BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 10/14 R zur Prüfung des Vorhandenseins bereiter Mittel nach Ausgleich eines Kontosolls durch eine einmalige Einnahme; BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 KG 1/10 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012, B 4 AS 132/11 R), findet für Zeiträume ab dem 01.01.2017 die Vorschrift des § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II Anwendung.

 

Danach können Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als rückzahlbares Darlehen erbracht werden, soweit Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen entgegen deren gesetzlich vorgesehener Berücksichtigung im Verteilzeitraum vorzeitig verbraucht haben. Durch die veränderte Form der Leistungserbringung (Darlehen statt Zuschuss) kann u.a. einer Schuldentilgung mit den gleichwohl vom Jobcenter zu erbringenden existenzsichernden Mitteln entgegengetreten werden. Gleichzeitig sollte bewirkt werden, dass die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende von aufwändigen Prüfungen der Ersatzansprüche nach § 34 SGB II entlastet werden (BT-Drucks 18/8041 S. 40 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch BSG, Urteil vom 24.06.2020, B 4 AS 9/20 R; BSG, Urteil vom 19.08.2015, B 14 AS 43/14 R).

 

Eine zuschussweise Leistungsgewährung scheidet demnach trotz vorzeitigen Verbrauchs der einmaligen Einnahme regelmäßig aus, vielmehr soll das Bestreiten des Lebensunterhalts, soweit erforderlich, allenfalls durch die Gewährung eines Darlehens sichergestellt werden. Auch bei kritischer, fiktiver Überprüfung der durch die Behörde zu treffenden Ermessensentscheidung unter Einbeziehung der im Schrifttum z.T. gesehenen Möglichkeit einer zuschussweisen Leistungsgewährung im Einzelfall (vgl. hierzu Behrend/König in jurisPK-SGB II, Stand: 03.01.2023, § 24 Rn. 106 ff.) ergäbe sich im vorliegenden Fall kein anderes Ergebnis. Denn zugunsten der Klägerin werden Freibeträge aus ihrer Erwerbstätigkeit i.H.v. 200 € monatlich berücksichtigt, welche den durch die Jahressonderzahlung in Anrechnung zu bringenden Betrag übersteigen. Eine Bewilligung von Darlehensleistungen stellt sich daher nicht als unzumutbar dar, ein Anspruch auf zuschussweise Gewährung von Leistungen war nicht gegeben.

 

Nach alledem bestand im Monat Dezember 2017 ein Leistungsanspruch der Klägerin höchstens i.H.v. 25 €. Der Beklagte hat durch Bescheid vom 19.09.2017 Leistungen i.H.v. 122,29 € bewilligt. Der Bescheid war dementsprechend mindestens i.H.v. 97,29 € aufzuheben. Der Beklagte hat durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 17.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides eine Aufhebung i.H.v. 98,64 € verfügt, welche er wiederum durch entsprechende Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung um 1,35 € reduziert hat.  

 

b) Die Klägerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 19.09.2017 hatte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Die Kenntnis (bzw. die zum Entfall des Vertrauensschutzes bereits ausreichende grob fahrlässige Unkenntnis) muss sich dabei auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde beziehen. Eine rechtliche Subsumtion ist nicht erforderlich, vielmehr genügt es, wenn der Begünstigte im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ (vgl. Merten in Hauck/Noftz, SGB X,            2. Ergänzungslieferung 2023, § 45 Rn. 68) weiß bzw. wissen muss, dass ihm die zuerkannten Leistungen so nicht zustehen. Das war hier der Fall: Die Klägerin wusste nicht zuletzt aufgrund der Bewilligungsentscheidungen und deren Änderungen in den vorangegangenen Bewilligungszeiträumen, dass die Leistungen an die tatsächlichen Einkommensverhältnisse angepasst werden würden und insbesondere eine Berücksichtigung der jährlich im November zufließenden Jahressonderzahlung als einmalige Einnahme vorgenommen werden würde. Dies hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt.

 

Infolgedessen war ihr klar bzw. hätte ihr klar sein müssen, dass die dauerhaft angelegte Zugrundlegung eines festen, jeden Monat gleichen Einkommens in den ursprünglichen Bewilligungsbescheiden nicht richtig war bzw. nicht auf Dauer Bestand haben konnte. Bei dieser Sachlage musste die Klägerin mit einer Änderung der Leistungsbewilligung rechnen, ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Bescheide ist nicht erkennbar. Letztlich steht die Klägerin damit nicht anders als jede Leistungsberechtigte, die nach Bewilligung von Leistungen höheres Einkommen als erwartet erzielt. Hier würde nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ohne weiteres die Bewilligung (teilweise) aufgehoben werden können. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob unerwartet höheres Einkommen erzielt wird (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) oder erkennbar im Bewilligungsbescheid keine Vorsorge für schwankendes Einkommen getroffen wird (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, so etwa Landessozialgericht [LSG] Hamburg, Urteil vom 30.09.2019, L 4 AS 26/18).

 

c) Die Frist zur Rücknahme der Bewilligungsentscheidung (§ 45 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III) ist eingehalten.

 

5. Rechtsgrundlage der (vor dem Hintergrund der Ausführungen unter 1. bis 4. ebenfalls rechtmäßigen) Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

 

II. Die zulässige, auf höhere Leistungen gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) gegen die abschließende Festsetzung vom 15.05.2020 ist ebenfalls unbegründet.

 

Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Leistungsmonat Dezember 2018 auch unter Zugrundelegung ihrer tatsächlich geschuldeten Unterkunftskosten jedenfalls keinen höheren Leistungsanspruch als mit dem angefochtenen Bescheid (nach Abänderung durch den Beklagten am 06.04.2023) festgestellt.

 

Bei diesem Bescheid handelt es sich um eine abschließende Festsetzung nach vorläufiger Bewilligung. Grundlage für die abschließende Entscheidung ist § 41a SGB II a.F. Nach § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. entschieden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht. Bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs ist nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II a.F. als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift nicht (1.) in den Fällen des Absatzes 3 Satz 4, (2.) soweit der Leistungsanspruch in mindestens einem Monat des Bewilligungszeitraums durch das zum Zeitpunkt der abschließenden Feststellung nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen entfällt oder (3.) wenn die leistungsberechtigte Person vor der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruches eine Entscheidung auf der Grundlage des tatsächlichen monatlichen Einkommens beantragt.

 

Bei schwankenden monatlichen Einkünften muss demnach stets geprüft werden, ob in allen Monaten des Bewilligungszeitraums bei Zugrundelegung des im jeweiligen Monat exakt erzielten Einkommens Hilfebedürftigkeit bestand. Nur wenn dies zu bejahen ist, darf ein Durchschnittseinkommen gebildet und der abschließenden Festsetzung zugrunde gelegt werden (vgl. Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. Stand: 13.01.2023, § 41a Rn. 61).

 

1. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. für eine abschließende Bewilligung nach vorläufiger Leistung liegen vor. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die abschließend festzustellenden Leistungen von den vorläufigen Leistungen abweichen; dies folgt aus der im November 2018 ausgezahlten Jahressonderzahlung, welche Einkommen im Sinne des § 11 SGB II darstellt, und zu einer Änderung der vorläufig bewilligten Leistungen führt.

 

2. Die Vorgabe des § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II, bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nach § 41a Abs. 3 SGB II als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen, ist vorliegend anzuwenden, weil keiner der drei o.g. Ausnahmetatbestände nach § 41a Abs. 4 Satz 2 SGB II gegeben ist. Insbesondere lässt das nachgewiesene zu berücksichtigende Einkommen den Leistungsanspruch der Klägerin in keinem Monat des Bewilligungszeitraums Dezember 2018 bis Mai 2019 entfallen. Denn dem Gesamtbedarf der Klägerin i.H.v. 876,57 € für den Monat Dezember 2018 (zur Berechnung s.u. unter 3. a)) bzw. 884,75 € für die Monate Januar bis Mai 2019 (Regelbedarf i.H.v. 424 €, Kosten der Unterkunft i.H.v. 451 €, Mehrbedarf für Warmwassererzeugung i.H.v. 9,75 €) steht bei nach den allgemeinen Regelungen der §§ 11 ff. SGB II gebildetem Durchschnittseinkommen in keinem Leistungsmonat bedarfsübersteigendes Einkommen gegenüber (entsprechend BSG, Urteil vom 18.05.2022, B 7/14 AS 9/21 R, juris Rn. 22, siehe zur Einkommensberechnung unten unter 3. b)). Gleiches gälte bei Zugrundelegung des hier im jeweiligen Monat exakt erzielten Einkommens an Stelle eines Durchschnittswertes (vgl. hierzu Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, Stand 13.01.2023, § 41a Rn. 61).

 

3. Als monatliches Durchschnittseinkommen ist für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt.

 

a) Der Gesamtbedarf der Klägerin belief sich im Dezember 2018 unter Berücksichtigung des Regelbedarfs für Alleinstehende gemäß § 20 Abs. 1 SGB II i.H.v. 416 €, eines Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung i.H.v. 9,57 € sowie tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 451 € auf insgesamt höchstens 876,57 €.

 

b) Das laufende Erwerbseinkommen der Klägerin belief sich von Dezember 2018 bis April 2019 auf 1.449,36 € brutto und im Mai 2019 auf 1.499,36 € brutto. Daraus errechnet sich ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen von 1.457,69 €. Dieses durchschnittliche Bruttoeinkommen ist um die Absetzbeträge nach § 11b SGB II zu bereinigen. Abzuziehen sind zunächst Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II), sodass sich ein Gesamtnettoarbeitsentgelt von 6.961,71 €, mithin monatlich 1.160,29 €, errechnet. Neben den weiteren Absetzbeträgen gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Alg-II-VO (Kfz-Haftpflichtversicherung), § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II (Arbeitnehmer-Zusatzversorgung), § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg-II-VO (Versicherungspauschale) und § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 (Kosten für ÖPNV) sind gemäß § 11b Abs. 3 SGB II weitere 200 € nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Damit ergibt sich ein durchschnittlicher monatlicher Absetzbetrag i.H.v. 466,13 €.

 

Daraus errechnet sich ein bereinigtes durchschnittliches laufendes Einkommen aus Erwerbstätigkeit von 694,16 € monatlich.

 

Nach Auffassung des Senats ist auch hinsichtlich der o.g. Absetzbeträge von einem Durchschnittsbetrag, nicht hingegen von den tatsächlich monatlich anfallenden Summen – welche im vorliegenden Fall variieren – auszugehen. Dies ergibt sich zunächst aus systematischen Erwägungen. Nach dem Wortlaut des § 41 a Abs. 4 Satz 1 SGB II a.F. ist ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Einkommen sind nach der Definition des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Das Einkommen errechnet sich dementsprechend aus (den unter Anwendung des § 11a SGB II zu berücksichtigenden) Einnahmen abzüglich der in § 11b SGB II geregelten Absetzbeträge. Dementsprechend sind diese in die Durchschnittsbildung mit einzubeziehen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, welche der Verwaltungsvereinfachung dienen und aufwändige Mehrfachprüfungen vermeiden soll. Gerade diese würden jedoch wieder notwendig, wenn zwar für die Einnahmen ein Durchschnitt gebildet, die Absetzbeträge hingegen monatsgetreu in Ansatz gebracht würden.

 

Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem durch den 14. Senat des BSG aufgestellten Grundsatz, nach dem je Einkommensart ein Durchschnittseinkommen zu berechnen und abschließend das Durchschnittseinkommen um die Absetzbeträge nach § 11b SGB II zu bereinigen ist (BSG, Urteil vom 11.07.2019, B 14 AS 44/18 R, juris Rn. 41). Denn die Entscheidung befasst sich lediglich mit der systematischen Reihenfolge der Berechnungsschritte. Zu der Frage, ob die Absetzbeträge monatlich gesondert oder durchschnittlich in Ansatz zu bringen sind, enthält das Urteil keine Aussage. Hierzu bestand auch keine Veranlassung, zumal in der dort zugrundeliegenden Konstellation die Absetzbeträge monatlich gleichbleibend waren.

 

Ein entsprechendes Verständnis der Durchschnittbildung kann der Senat auch der Entscheidung des BSG vom 18.05.2022, B 7/14 AS 9/21 R, juris Rn. 24, entnehmen. Das BSG bezieht hier jedenfalls die Absetzbeträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-2 (Steuern und Sozialversicherungsbeiträge) in die Durchschnittsberechnung mit ein. Wenn aber die Absetzbeträge nach den Ziffern 1 und 2 der Vorschrift in die Durchschnittsberechnung einfließen, so muss dies in der Konsequenz auch für die übrigen Beträge nach den Ziffern 3 bis 8 sowie Abs. 2 und 3 der Vorschrift gelten.

 

Die mit den Bezügen für den Monat Mai 2019 zur Auszahlung gelangte „Nachverrechnung aus Vormonaten“ i.H.v. 200 € brutto war nicht in die Einkommensberechnung mit einzustellen. Bei dieser Zahlung handelte es sich um eine einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II, welche gemäß Satz 3 der Vorschrift im Folgemonat zu berücksichtigen ist, sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, sodass eine Berücksichtigung im Monat Mai 2019 ausscheidet.

 

Die durch Bescheid vom 16.10.2018 festgesetzte und zum 19.11.2018 fällig gestellte Einkommensteuernachzahlung für das Jahr 2017 i.H.v. 317,67 € kann auch hier aus den oben unter I., 4., a), bb), (1), (g) dargestellten Gründen nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden.

 

c) Neben dem laufenden Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat die Klägerin im November 2018 eine Jahressonderzahlung i.H.v. 1.376,89 € brutto erhalten, welche der Beklagte zutreffend als einmalige Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II über einen Zeitraum von 6 Monaten ab Dezember 2018 einkommensmindernd berücksichtigt hat. Durch Vergleich des im November 2018 tatsächlich ausgezahlten Gesamtnettobetrages (2.058,39 €) mit dem im Oktober bzw. Dezember ausgezahlten laufenden Einkommen (1.120,95 €) ergibt sich ein auf die Jahressonderzahlung entfallender Nettobetrag i.H.v. 937,44 €, mithin ein monatlich zu berücksichtigender Betrag i.H.v. 156,24 €. Dabei ist neben den Absetzungen für Steuer und Sozialversicherung gemäß § 11b Abs. 1, 2 SGB II der Beitrag zur Arbeitnehmerzusatzversorgung gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II in Abzug gebracht.

 

4. Ausgehend von einem Bedarf der Klägerin höchstens i.H.v. 876,57 € und Einkommen i.H.v. insgesamt 850,40 € ergibt sich für den Monat Dezember 2018 ein Leistungsanspruch der Klägerin allenfalls i.H.v. 26,17 €. In dieser Höhe hat der Beklagte der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung Leistungen bewilligt. Ein darüberhinausgehender Leistungsanspruch besteht nicht.

 

C) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache. Eine Beteiligung des Beklagten an den außergerichtlichen Kosten der Klägerin ist aufgrund des geringen Betrages ihres Obsiegens im Berufungsverfahren nicht gerechtfertigt.

 

D) Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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