L 3 AS 750/23 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 AS 760/21 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 AS 750/23 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

 

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

 

Gründe

 

I.

 

Streitgegenständlich ist die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Neuruppin vom 29. Juni 2023.

 

Der im Jahr 1961 geborene Kläger steht bei dem Beklagten im laufenden Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 07. Juli 2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Monate Juli bis einschließlich Dezember 2014 in Höhe von 716,00 € monatlich.

 

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit am 06. August 2014 eingegangenem Schreiben vom 04. August 2014 Widerspruch ein. Der Bescheid vom 07. Juli 2014 sei unvollständig, da die Warmwasserpauschale von 8,79 € für die dezentrale Warmwasserversorgung für die Gastherme nicht aufgeführt worden sei.

 

Der Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 03. September 2014 um Mitteilung, wie das Warmwasser bei ihm aufbereitet werde. Versuche zur Feststellung im Wege des Hausbesuchs verliefen ausweislich des Prüfberichts des Beklagten vom 19. Dezember 2014 erfolglos.

 

Mit am 23. Dezember 2014 beim SG Neuruppin eingegangenem Schreiben vom 22. Dezember 2014 hat der Kläger Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung seines Widerspruchs vom 04. August 2014 erhoben.

 

Unter dem 22. Januar 2015 ergab eine telefonische Nachfrage bei einem Mitarbeiter der Vermieterin des Klägers, der Wohnungsgenossenschaft E e. G., dass das Warmwasser mit Hilfe einer Gasttherme erzeugt werde.

 

Mit Änderungsbescheid vom 29. Januar 2015 entschied der Beklagte über den Widerspruch des Klägers und gewährte ihm für den Zeitraum von Juli bis einschließlich Dezember 2014 Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 724,99 € - also monatlich 8,99 € mehr - unter Berücksichtigung der Kosten der dezentralen Warmwasseraufbereitung. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. Februar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch nach Erlass des Änderungsbescheides vom 29. Januar 2015 für die Zeit vom 01. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 zurück.

 

Im Hinblick auf die Untätigkeitsklage des Klägers hat ihn das SG Neuruppin mit Schreiben vom 14. September 2016 zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört und taggleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschlusswege abgelehnt. Die gegen den ablehnenden Beschluss gerichtete Beschwerde des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 08. März 2018 als unzulässig verworfen; die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge des Klägers ist durch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 17. April 2018 zurückgewiesen worden.

 

Nach erneuter Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 22. März 2019 hat das SG Neuruppin die Klage durch Gerichtsbescheid vom 30. März 2021 abgewiesen. Der Beklagte habe der Untätigkeitsklage durch Abhilfebescheid vom 29. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Februar 2015 abgeholfen. Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an der Fortführung der Untätigkeitsklage sei hierdurch entfallen und die Klage sei unzulässig geworden. Der Kläger habe sich auch auf gerichtliche Nachfrage hin nicht zum Ziel der Fortführung des Verfahrens geäußert. Der Widerspruchsbescheid vom 02. Februar 2015 sei ausweislich eines auf ihm befindlichen Vermerks am 03. Februar 2015 zur Post aufgegeben und damit dem Kläger gemäß § 85 Abs. 3 SGG in Verbindung mit § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bekannt gegeben worden. Bei der Untätigkeitsklage handele es sich mangels eines materiell-rechtlichen Sachantrags nicht um eine Streitigkeit, die unmittelbar eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betreffe (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), weshalb die Berufung nicht der Zulassung bedürfe. In der dem Gerichtsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist die Berufung als gegebenes Rechtsmittel bezeichnet worden. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 01. April 2021 zugestellt worden.

 

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger mit am 14. April 2021 beim SG Neuruppin eingegangenem Schreiben vom 12. April 2021 Berufung eingelegt, die nach entsprechender Weiterleitung am 21. April 2021 beim LSG Berlin-Brandenburg einging.

 

Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das LSG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 28. April 2021 abgelehnt. Die Berufung sei bereits mangels Erreichens des für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Wertes des Beschwerdegegenstandes unzulässig. Das SG habe die Berufung auch weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides zugelassen. Es habe die Berufung auch nicht dadurch zugelassen, dass es in der dem Gerichtsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung die Berufung als gegebenes Rechtsmittel bezeichnet habe. Dem Kläger stehe ein Wahlrecht zwischen dem Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem SG (als Rechtsbehelf) und der Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung (als Rechtsmittel) zu, für deren rechtzeitige Einlegung wegen der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des SG nicht die Monatsfrist ab Zustellung des Gerichtsbescheides maßgeblich sei, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG. Sodann hat das LSG die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 18. Mai 2021 aus den vorgenannten Gründen als unzulässig verworfen.

 

Unterdessen hat der Kläger mit am 17. Mai 2021 beim LSG Berlin-Brandenburg eingegangenem Schreiben vom 15. Mai 2021 Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung gestellt und zugleich eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

 

Nach Rückgabe der Akten durch das LSG hat das SG Neuruppin das Verfahren im Hinblick auf den Antrag des Klägers auf Durchführung der mündlichen Verhandlung wiederaufgenommen und den Kläger am 12. Juni 2023 zu 13:20 Uhr zur mündlichen Verhandlung für den 29. Juni 2023 geladen. Für diesen Termintag ist der Kläger zu sieben weiteren von ihm geführten Verfahren ab 11:00 Uhr und jeweils im Abstand von 20 Minuten geladen worden (Verfahren zu den Aktenzeichen S 16 AS 1604/15, S 16 AS 2696/15, S 16 AS 2711/15, S 16 AS 884/17, S 16 AS 749/18, S 16 AS 1549/19 WA, S 16 AS 471/21 WA und das hier zugrundeliegende Verfahren S 16 AS 760/21 WA). Ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde ist dem Kläger die Ladung am 13. Juni 2023 zugestellt worden.

 

Der Kläger hat daraufhin mit am 19. Juni 2023 beim SG Neuruppin eingegangenen Schreiben vom 16. Juni 2023 (zu den Aktenzeichen „S 16 AS 1604/15 u. a.“) Anträge auf Akteneinsicht, auf Ablehnung des Kammervorsitzenden wegen Befangenheit und auf neue Terminierung des Verfahrens unter einer anderen Kammer gestellt. Die Befangenheit ergebe sich aus der Tatsache, dass es unter Leitung des Kammervorsitzenden bei der letzten mündlichen Verhandlung am 02. August 2011 zu erheblichen Verfahrensmängeln gekommen sei.

 

Mit Beschluss vom 22. Juni 2023 hat das SG Neuruppin das gegen den Kammervorsitzenden gerichtete Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen (Az. S 1 SF 57/23 AB). Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat das LSG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 10. August 2023 als unzulässig verworfen (Az. L 5 SF 175/23 B AB).

 

Mit Schreiben vom 21. Juni 2023 hat das SG Neuruppin dem Kläger zu allen acht oben genannten, für den 29. Juni 2023 terminierten Verfahren mitgeteilt, dass Akteneinsicht im Gericht jederzeit während der Geschäftszeiten genommen werden könne.

 

Mit weiterem Schreiben vom 22. Juni 2023 - dieses Mal nur zum Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens - hat der Kläger seinen Vortrag aus dem Schreiben vom 16. Juni 2023 wiederholt und ergänzt, er erhebe zudem eine Verzögerungsrüge wegen überlanger Verfahrensdauer.

 

Mit Beschluss vom 28. Juni 2023, dem Kläger zugestellt am 29. Juni 2023, hat das SG Neuruppin die Anträge des Klägers auf Verlegung des auf den 29. Juni 2023 anberaumten Termins in allen acht oben bezeichneten Verfahren abgelehnt. Erhebliche Gründe für die Terminverlegung seien weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2023 ist der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht erschienen. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung in dem hier zugrundeliegenden Verfahren ist die Klage durch Urteil vom gleichen Tage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen worden. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es, das Gericht habe nach Erlass des Gerichtsbescheides vom 30. März 2021 auf Antrag des Klägers auf Grundlage mündlicher Verhandlung entschieden. Werde mündliche Verhandlung beantragt, könne das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folge und dies in seiner Entscheidung feststelle. Unter Bezugnahme auf diese Vorschrift sehe das Gericht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung des Gerichtsbescheides folge. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, gegen dieses Urteil stehe den Beteiligten die Berufung nicht zu, weil sie vom SG nicht zugelassen worden sei. Die Nichtzulassung der Berufung könne mit der Beschwerde angefochten werden. Das Urteil ist dem Kläger am 05. Juli 2023 zugestellt worden.

 

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit am 24. Juli 2023 eingegangenem Schreiben vom 18. Juli 2023 Nichtzulassungsbeschwerde beim LSG Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe keine Akteneinsicht erhalten, die Ablehnung der von ihm beantragten Terminverlegung habe ihn zu spät erreicht, seine Verzögerungsrüge wegen überlangen Verfahrens sei ignoriert worden, ebenso auch sein Antrag auf neue Terminierung des Verfahrens unter einer anderen Kammer wegen Befangenheit des Vorsitzenden der derzeit zuständigen Kammer, es fehlten Begründungen sowohl des Gerichtsbescheids als auch des Urteils, es sei zu Terminüberschneidungen bei der mündlichen Verhandlung gekommen und Massenterminierungen seien unangemessen. Die Befangenheit des Kammervorsitzenden ergebe sich aus der Tatsache, dass dieser bei der letzten mündlichen Verhandlung, an der er teilgenommen habe - nämlich am 02. August 2011 - weder seine Sehschwäche noch sein Veto gegenüber Massenterminierungen berücksichtigt habe; ansonsten hätte er damals Teilerfolge erzielen können. Die Begründetheit seiner Verzögerungsrüge ergebe sich aus der Überlänge des Verfahrens. Weiterhin beantrage er für das Beschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts.

 

Der Kläger beantragt,

 

auf seine Beschwerde hin die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juni 2023 zuzulassen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juni 2023 zurückzuweisen.

 

Er hält die Nichtzulassung der Berufung in dem genannten Urteil für zutreffend. Die Rechtssache habe weder grundsätzliche Bedeutung noch weiche das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Zudem ergebe sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht schlüssig, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen werde und warum das Urteil darauf beruhen könne.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

 

II.

 

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juni 2023 ist zulässig, aber unbegründet.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 145 SGG ist vorliegend statthaft, da die Berufung aufgrund eines den Betrag von 750 € nicht übersteigenden Wertes des Beschwerdegegenstandes von 6 x 8,99 €, also insgesamt 53,94 € (zusätzliche Berücksichtigung der Kosten der dezentralen Warmwasseraufbereitung für den Zeitraum Juli bis einschließlich Dezember 2014, mithin für 6 Monate) der Zulassung bedurfte (§ 145 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, dass § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auch dann einschlägig ist, wenn – wie vorliegend - Gegenstand des Berufungsverfahrens eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG ist, die entweder auf die Vornahme eines beantragten Verwaltungsaktes (§ 88 Abs. 1 SGG) oder den Erlass eines Widerspruchsbescheides (§ 88 Abs. 2 SGG) gerichtet ist, der Geld-, Dienst- oder Sachleistungen betrifft, die einen Wert von 750,00 € nicht übersteigen (Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 06. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B -, Rn. 10; Urteil vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 3/16 R -, Rn. 13, jeweils zitiert nach Juris), obwohl in einem solchen Fall nicht über das materielle Begehren, sondern nur über den Anspruch auf Bescheidung als solchen zu entscheiden ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 7/06 R -, Rn. 16; Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 P 5/10 R -, Rn. 23; Beschluss vom 16. Oktober 2014 – B 13 R 282/14 B -, Rn. 6; jeweils zitiert nach Juris). Es liegt auch weder eine Ausnahme hiervon (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) noch eine den Senat bindende Zulassung der Berufung durch das SG (§ 144 Abs. 3 SGG) vor.

 

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet, da die Berufung gegen das Urteil des SG vom 29. Juni 2023 durch das SG nicht zuzulassen war. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Zunächst hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 28 f.). Ein bloß individuelles Interesse genügt nicht. Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein. Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, das heißt die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, das heißt die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, hinzutreten. Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 - 1 BJ 72/84 -, Rn. 3 ff., Beschluss vom 30. September 1992 – 11 BAr 47/92 -, Rn. 8; Sächsisches LSG, Beschluss vom 24. August 2022 – L 3 BK 2/20 NZB -, Rn. 34; jeweils in Juris). Insbesondere hinsichtlich Tatsachenfragen kann über § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG keine Klärung verlangt werden (Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 29). Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen in diesem Sinne liegen hier nicht vor. Die Begründung des Klägers wirft über den konkreten Einzelfall hinaus keine grundsätzlichen Rechtsfragen auf.

Auch der Berufungszulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (Divergenz) ist hier nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aufgestellt hat. Eine Abweichung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die diese Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine eventuelle Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz (BSG, Beschluss vom 05. Oktober 2010 – B 8 SO 61/10 B -, Rn. 11, Juris, m. w. N.). Bei der Frage, ob eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts zu bejahen ist, beschränkt sich die Prüfung auf das zuständige Berufungsgericht (Jungeblut in: Beck-Online Kommentar Sozialrecht, 71. Edition, Stand: 01. Dezember 2023, § 144 Rn. 40). Das SG hat hier keinen abweichenden Rechtssatz in diesem Sinne aufgestellt, auf dem das Urteil beruht. Sollte das SG hier im Einzelfall auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen Wertung eine unrichtige Entscheidung getroffen haben, so würde allein dies den Zulassungsgrund der Divergenz nicht begründen. Dass der Rechtsprechung des BSG, des LSG Berlin-Brandenburg, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG andere Rechtssätze zu entnehmen wären, als diejenigen, die das SG hier angewandt hat, ist weder ersichtlich noch dem Vortrag des Klägers selbst zu entnehmen.

Schließlich ist auch der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Er bezieht sich begrifflich auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil, nicht aber auf dessen sachlichen Inhalt, das heißt seine Richtigkeit. Erfasst werden somit weder inhaltliche Fehler der erstinstanzlichen Entscheidung noch Verfahrensfehler im Widerspruchs- oder Verwaltungsverfahren. Die Entscheidung des Sozialgerichts kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung des Sozialgerichts beeinflusst hat. Maßgeblich ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Sozialgerichts. Bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes im Sinne des § 202 SGG in Verbindung mit § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) beruht die Entscheidung ausnahmslos auf dem Verfahrensfehler (vgl. zum Ganzen: Jungeblut in: Beck-Online Kommentar Sozialrecht, 71. Edition, Stand: 01. Dezember 2023, § 144 Rn. 43 ff., m. w. N.).

 

Zur Zulassung kann nur ein der Beurteilung des LSG unterliegender Verfahrensmangel führen. Verfahrensmängel, die nicht der Beurteilung des LSG unterliegen, sind zum Beispiel Verfahrensmängel im Zusammenhang mit nach § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 512 ZPO nicht anfechtbaren Vorentscheidungen, zum Beispiel Entscheidungen nach § 60 SGG über Ablehnungsgesuche (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 32 ff; Sommer in: Beck-Online Großkommentar SGG, Stand: 01. November 2023, § 144 Rn. 46).

 

Der Vortrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des SG Neuruppin vom 29.  Juni 2023 sei zuzulassen, weil seinem Antrag auf neue Terminierung des Verfahrens unter einer anderen Kammer wegen Befangenheit des Vorsitzenden der entscheidenden Kammer nicht nachgekommen worden sei, betrifft der Sache nach eine behauptete Verletzung des § 60 SGG und unterliegt mithin bereits nicht der Beurteilung des LSG. Zwar hat das BSG für die Zulassung der Revision entschieden, dass die Sperrwirkung des § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 557 Abs. 2 ZPO einer Überprüfung nicht entgegensteht, wenn das LSG zum Beispiel ein als missbräuchlich angesehenes Ablehnungsgesuch nicht durch Beschluss beschieden hat. Eine Verfahrensrüge ist dann trotz unanfechtbarer Vorentscheidung möglich, wenn sie sich nicht unmittelbar gegen diese richtet, sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Entscheidung selbst anhaftet, zum Beispiel der Vortrag, die Behandlung eines Ablehnungsgesuchs beruhe auf willkürlichen bzw. manipulativen Erwägungen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 160 Rn. 17, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG, etwa Beschluss vom 27. Juni 2019 – B 5 R 1/19 B -, Rn. 9, zitiert nach Juris).

 

Ein solcher Fall der ausnahmsweise bestehenden Überprüfbarkeit eines Verstoßes gegen die verfahrensrechtlichen Vorgaben des § 60 SGG liegt hier nicht vor. Das SG hat über den am 19. Juni 2023 eingegangenen Antrag auf Ablehnung des Kammervorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit mit Beschluss vom 22. Juni 2023 entschieden und das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen (Az. S 1 SF 57/23 AB). Es ist nicht erkennbar und auch durch den Kläger selbst nicht vorgetragen, dass diese Entscheidung auf willkürlichen bzw. manipulativen Erwägungen beruhen würde.

 

Der Kläger rügt weiter die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz <GG>), weil ihn die Entscheidung des SG über seinen Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2023 zu spät erreicht habe. Nach § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Termin „aus erheblichen Gründen“ auf Antrag oder von Amts wegen verlegen. Auch wenn danach kein Anspruch auf Verlegung besteht, so darf doch im gerichtlichen Bestreben um ein zügiges Verfahren das rechtliche Gehör eines Beteiligten nicht verkürzt werden. Dies geschieht allerdings, wenn eine Terminverlegung abgelehnt und es dem verhinderten Beteiligten dadurch unmöglich gemacht wird, sich sachgerecht und erschöpfend zu äußern (vgl. BSG, Beschluss vom 05. März 2004 – B 9 SB 40/03 B -, Rn. 6, Juris). Der gemäß § 124 Abs. 1 SGG auch für das sozialgerichtliche Verfahren geltende Mündlichkeitsgrundsatz gewährt dem Verfahrensbeteiligten grundsätzlich ein Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und mit seinen Ausführungen gehört zu werden. Die Möglichkeit des Vortrags in der mündlichen Verhandlung ist die umfassende Form der Gewährung des rechtlichen Gehörs. Bestandteil des Anspruchs des Beteiligten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Form der mündlichen Verhandlung ist auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung, wenn dies aus erheblichen Gründen notwendig ist. Entsprechende Anforderungen an die Verhaltensweise des Gerichts ergeben sich auch aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (vgl. hierzu BSG, Beschlüsse vom 06. Oktober 2010 – B 12 KR 58/09 B –, Rn. 7 ff., und vom 06. Oktober 2022 – B 8 SO 5/22 B –, Rn. 7 ff., jeweils in Juris).

 

Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darin besteht, dass ein Verfahrensbeteiligter gehindert wurde, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, für die Entscheidung ursächlich geworden ist. Obwohl die Verletzung des rechtlichen Gehörs anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. § 138 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>) nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet ist (vgl. § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 547 ZPO), erübrigen sich auch im sozialgerichtlichen Verfahren im Allgemeinen Ausführungen dazu, inwieweit das angefochtene Urteil auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (BSG, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – B 5 R 238/16 B -, Rn. 12, m. w. N., Juris).

 

Im vorliegenden Fall ist eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs unter dem Gesichtspunkt einer nicht rechtzeitigen Kenntnis von der Entscheidung über den Antrag auf Verlegung des Termins der mündlichen Verhandlung nicht gegeben. Das SG hat den Kläger am 12. Juni 2023 zur mündlichen Verhandlung für den 29. Juni 2023 um 13:20 Uhr geladen. Ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde ist dem Kläger die Ladung am 13. Juni 2023 zugestellt und damit nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGG bekanntgegeben worden. Die ohnehin gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG nur als „Soll-Regelung“ ausgestaltete Ladungsfrist, wonach der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung bestimmt und diese den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mitteilt, ist eingehalten. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2023 ist dem Kläger 16 Tage zuvor bekanntgegeben worden. Mit am 19. Juni 2023 beim SG eingegangenem Schreiben vom 16. Juni 2023 und erneut mit weiterem Schreiben vom 22. Juni 2023 hat der Kläger seinen Antrag auf Ablehnung des Kammervorsitzenden mit einem Antrag „auf neue Terminierung des Verfahrens unter einer anderen Kammer“ verbunden. Nachdem die hierfür zuständige Kammer des SG mit Beschluss vom 22. Juni 2023 das gegen den Kammervorsitzenden gerichtete Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen hatte, hat der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 28. Juni 2023, dem Kläger zugestellt am 29. Juni 2023, den Antrag des Klägers auf Verlegung des für den 29. Juni 2023 anberaumten Termins abgelehnt und mitgeteilt, erhebliche Gründe für die Terminverlegung seien weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden. Unabhängig davon, ob der mit einem Antrag auf Ablehnung des Kammervorsitzenden verbundene Antrag „auf neue Terminierung des Verfahrens unter einer anderen Kammer“ nur akzessorisch zu einem ggf. begründeten Ablehnungsgesuch gestellt werden sollte oder aber als eigenständiger Antrag auf Terminverlegung unabhängig von der Frage der Kammerzuständigkeit zu verstehen war, liegt damit eine am Tag vor der mündlichen Verhandlung ergangene Entscheidung über den Antrag auf Neuterminierung vor. Unter den gegebenen Umständen des Falles hält es der Senat auch für unbeachtlich, dass diese Entscheidung dem Kläger erst am Tag des Termins der mündlichen Verhandlung selbst zugestellt worden ist und dieser ggf. keine Kenntnis hiervon besaß. Über einen Antrag des Klägers auf Neuterminierung konnte der Kammervorsitzende erst nach einer Zurückweisung des zeitgleich gestellten Ablehnungsgesuchs entscheiden, mithin am 22. Juni 2023 bzw. nach Rücklauf der Akten von der über das Befangenheitsgesuch entscheidenden Kammer. Aus einer ihm vor dem Termintag nicht zugegangenen Aufhebung bzw. Verlegung konnte der Kläger, insbesondere auch unter Berücksichtigung der ihm bekannten engen Terminlage, die die technische Durchführbarkeit und zeitliche Zumutbarkeit einschränkte, nicht folgern, seinem Antrag sei stattgegeben worden. Vielmehr traf ihn aus seiner Prozessverantwortung heraus eine Erkundigungsobliegenheit. Er hätte sich beim Gericht Kenntnis verschaffen müssen, ob seinem Antrag stattgegeben wurde. Solange ihm eine Terminverlegung nicht mitgeteilt wurde, musste er davon ausgehen, dass die mündliche Verhandlung, zu der er ordnungsgemäß geladen worden war, stattfinden wird. Bereits in der Ladung vom 12. Juni 2023 war er darauf hingewiesen worden, dass bei einem Ausbleiben auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (vgl. hierzu: BSG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 64/17 B -, Rn. 8, Bundesfinanzhof <BFH>, Beschluss vom 16. August 2019 – V B 57/18 -, Rn. 11, beide in Juris; Oberlandesgericht <OLG> Karlsruhe, Beschluss vom 20. Juni 1991 – 15 W 22/91 -, Leitsatz und Gründe in MDR 1991, 1195). Bei dieser Sachlage kann aus einer fehlenden Kenntnis des Klägers hinsichtlich der Ablehnung seines Antrags auf Neuterminierung nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geschlossen werden. Im Übrigen war auch eine telefonische Benachrichtigung vorab durch das Gericht bei dem nicht anwaltlich vertretenen Kläger nicht möglich. Eine eigene Telefonnummer des Klägers ist in den Verfahrensakten bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Neuterminierung nicht dokumentiert. Schließlich ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass durch den Kläger ein erheblicher Grund für eine Neuterminierung vorgetragen worden wäre. Sein nicht begründeter Verlegungsantrag steht zudem im Widerspruch zur gleichzeitig erhobenen Rüge einer überlangen Verfahrensdauer.

 

Soweit der Kläger vorbringt, ihm sei die beantragte Akteneinsicht verwehrt worden, kann auch hierin grundsätzlich eine Gehörsverletzung liegen, und zwar im Sinne eines Erschwerens bzw. Vereitelns rechtlichen oder tatsächlichen Vortrags, den das Gericht hätte zur Kenntnis nehmen können. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG gewährleistet, dass die Beteiligten zum gerichtlichen Verfahren herangezogen werden und Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zum Prozessstoff zu äußern.

 

Tatsächlich hat das SG den am 19. Juni 2023 bei ihm eingegangenen Antrag des Klägers auf Akteneinsicht unter dem 21. Juni 2023 dahingehend positiv beschieden, dass er jederzeit während der Geschäftszeiten Akteneinsicht nehmen könne. Eine verweigerte Akteneinsicht, die zu einer Gehörsverletzung führen könnte, liegt mithin nicht vor. Soweit der Kläger die Auffassung vertreten sollte, nicht rechtzeitig vor dem Termin von der Bewilligung der Akteneinsicht Kenntnis erhalten zu haben, ist dem entgegenzuhalten, dass terminliche Zwänge, die aus einem erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellten Akteneinsichtsgesuch resultieren, grundsätzlich in die Sphäre des Klägers fallen und bei frühzeitiger Antragstellung hätten vermieden werden können. Jedenfalls hat der Kläger aber in keiner Weise dargelegt, welcher entscheidungserhebliche Vortrag durch die unterbliebene Akteneinsicht nicht habe rechtzeitig vorgebracht werden können. Einen Verfahrensmangel kann er insoweit bereits aus diesem Grunde nicht rügen.

 

Soweit der Kläger vorbringt, seine Verzögerungsrüge wegen überlanger Verfahrensdauer sei durch das SG ignoriert worden, ist auch dieser Vortrag nicht geeignet, seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Allein eine überlange Verfahrensdauer des erstinstanzlichen Verfahrens führt nicht zur Statthaftigkeit der Berufung, da hierauf die Entscheidung in der Regel nicht beruhen kann. Es ist nicht ersichtlich und wird durch den Kläger auch nicht geltend gemacht, dass eine überlange Verfahrensdauer den Inhalt der Entscheidung beeinflusst habe, diese also auf dem Mangel – sein Vorliegen unterstellt – beruhen könne. Eine etwaige Verletzung des Rechts des Klägers auf ein zügiges, in angemessener Frist durchgeführtes Verfahren könnte im Übrigen durch die Zulassung der Berufung nicht geheilt werden. Das Verfahren würde sich im Gegenteil bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung weiter verlängern (BSG, Beschlüsse vom 04. September 2007 – B 2 U 308/06 -, Rn. 13 f., und vom 28. Februar 2008 – B 7 AL 109/07 B –, Rn. 5, beide in Juris). Der (früher vertretenen) gegenteiligen Rechtsauffassung, wonach eine Nichtzulassungsbeschwerde (im Revisionsverfahren) gestützt auf die Garantien in Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) <Recht auf ein faires Verfahren> und Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) sowie auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes folgenden Justizgewährleistungsanspruch als Verfahrensfehler im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG bzw. des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG geltend gemacht werden kann, ohne darlegen zu müssen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann (so noch: BSG, Beschluss vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 220/04 B -, Rn. 36 ff., Juris), ist durch den Erlass des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) im Jahr 2011 der Boden entzogen. Falls Gerichtsverfahren unangemessen lange dauern, kann dies inzwischen nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) einen eigenständigen Entschädigungsanspruch der Beteiligten begründen. § 198 Abs. 3 GVG regelt die Möglichkeit und die Obliegenheit, einer sich abzeichnenden überlangen Verfahrensdauer mit einer Verzögerungsrüge vorzubeugen. Dieser mit einer vorbeugenden Verzögerungsrüge kombinierte Entschädigungsanspruch soll das Rechtsschutzproblem überlanger Verfahrensdauer abschließend lösen und die Funktion richterrechtlich entwickelter Rechtsbehelfe übernehmen. Der Kläger legt mit seiner Beschwerde nicht dar, warum neben der Entschädigungsregelung in § 198 GVG gleichwohl die Überlänge eines Gerichtsverfahrens noch einen Verfahrensmangel begründen könnte, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden kann (vgl. hierzu: BSG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2015 – B 9 V 15/15 B -, Rn. 9, und vom 22. Januar 2020 – B 9 SB 46/19 B -, Rn. 7, beide in Juris). Soweit der Kläger darauf hinweist, die durch ihn erhobene Verzögerungsrüge werde durch das Gericht ignoriert, handelt es sich dabei ohnehin um ein eigenständiges Verfahren, von dem weder ausgeführt noch ersichtlich wird, weshalb dieses Teil des vorliegenden Rechtsstreits sein könnte.

 

Soweit der Kläger vorbringt, das SG habe weder den Gerichtsbescheid vom 30. März 2021 noch das Urteil vom 29. Juni 2023 hinreichend begründet, rügt er damit einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Diese verpflichtet die Gerichte, im Urteil – bzw. in einem diesem gleichgestellten Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 3 SGG - die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Dafür muss das Gericht aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (BVerfG, Beschluss vom 25. März 2010 – 1 BvR 2446/09 -, Rn. 11, Juris). Auch braucht es nicht zu Fragen Stellung nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt. Eine Entscheidung ist deshalb nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat. Zugleich wäre die Begründungspflicht selbst dann nicht verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sein sollten (BSG, Beschlüsse vom 22. Januar 2008 – B 13 R 144/07 B -, Rn. 7, und vom 26. Mai 2021 – B 13 R 219/20 B -, Rn. 14, beide in Juris, m. w. N.). Dass gemessen daran das Urteil des SG vom 29. Juni 2023, das zu seiner Begründung gemäß § 105 Abs. 4 SGG in prozessual ordnungsgemäßer Weise auf die Begründung des Gerichtsbescheides vom 30. März 2021 Bezug nimmt, als nicht mit Gründen versehen anzusehen sei, legt der Kläger in keiner Weise dar.

 

Schließlich ist auch der Einwand der „Massenterminierung“ nicht geeignet, der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum Erfolg zu verhelfen. Abgesehen davon, dass auch insoweit durch den Kläger keine Entscheidungserheblichkeit eines etwaigen Verfahrensfehlers dargetan ist, stellt es einen Ausfluss des Bestimmungsrechts des Vorsitzenden im Hinblick auf Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung im Sinne des § 110 Abs. 1 SGG dar, wenn dieser mehrere Verfahren der gleichen Beteiligten bündelt und diese effizient und ressourcenschonend am selben Tag verhandelt.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

III.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das von ihm geführte Beschwerdeverfahren.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für die Prozessführung nicht oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der Prozesskostenhilfe findet lediglich eine summarische Prüfung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Rahmens der Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 19 Abs. 4 GG statt. Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers bzw. Antragstellers auf Grund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u. a., SGG Kommentar, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 7a, m. w. N.). Aus Gründen der Rechtsschutzgleichheit zwischen den Beteiligten sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Prozesskostenhilfe kommt jedoch nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07. April 2000 – 1 BvR 81/00 -, Juris).

Vorliegend hat die Beschwerde aus den obigen Gründen zu keinem Zeitpunkt eine hinreichende Erfolgsaussicht geboten, so dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bereits aus diesem Grunde abzulehnen war.

IV.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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