L 15 VG 29/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 VG 2/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 29/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Im Rahmen eines Verfahrens nach dem Opferentschädigungsgesetz muss sich ein Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens möglichst präzise mit den vorliegenden Gesundheitsstörungen und der Frage auseinandersetzen, ob und inwieweit diese auf einen vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des auf § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zurückgehen. Die bloße Bezugnahme auf die bei den vorangegangenen Gutachten gestellten Beweisfragen reicht nicht aus.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15. November 2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beschädigtengrund- und einer Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die Klägerin wurde 1968 als zweitjüngstes Kind in die nach der Geburt des jüngsten Kindes A, der Klägerin im Parallelverfahren L 15 VG 26/21, insgesamt 17 Kinder umfassende Familie der Eheleute A1 und E M geboren. Der Vater verstarb im Jahr 1971, die Mutter im Jahr 2005.

Nach dem Tod des Vaters der Klägerin zeigte sich die Mutter mit der Erziehung der zahlreichen Kinder immer stärker überfordert. So ist eine Bestrafung der Mutter durch das Amtsgericht Landshut wegen Vernachlässigung der Kinder im Jahr 1972 in den beigezogenen Akten des Kreisjugendamts aktenkundig, in einem Vermerk des Kreisjugendamts ist in Bezug auf das Jahr 1974 davon die Rede, dass der Haushalt "völlig zusammengebrochen" sei.

Um den Jahreswechsel 1973/1974 (Meldedatum: 9. Januar 1974) herum zog die Mutter mit den noch bei ihr lebenden Kindern in ein Wohnhaus in der E Straße in A um, in das im Frühjahr 1974 der beschuldigte B (Täter) einzog.

Am 21. November 1974 wurde der Mutter der Klägerin das Sorgerecht entzogen. Die Klägerin wurde zusammen mit ihrer Schwester A am 16. Dezember 1974 in das Kinderheim V in L aufgenommen. Vom 21. Dezember 1979 bis 1985 war die Klägerin ebenfalls mit ihrer Schwester A zunächst bei der Pflegefamilie J untergebracht, wobei die beiden Schwestern mit ihrer Pflegefamilie teilweise in Südafrika lebten, und im Anschluss daran in den Jahren 1986/1987 bei einer weiteren Pflegefamilie in Deutschland (Familie H). Mit Unterstützung der neuen Pflegemutter Frau H erreichte die Klägerin den Realschulabschluss. Die Klägerin absolvierte sodann erfolgreich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in R (Abschlusszeugnis der Staatlichen Berufsschule B1 vom 25. Juni 1990). Anschließend war sie nach einer vorübergehenden Aushilfstätigkeit im Ausbildungshotel ihrer Schwester als Verpflegungsassistentin an einer Universitätsklinik, Betriebsratsvorsitzende und zuletzt bis 2017 als Tagesmutter tätig. Sie wurde Mutter zweier mittlerweile erwachsener Söhne.

Mit Antrag vom 23. Juni 2016 begehrte die Klägerin Opferentschädigung vom Beklagten. Sie gab an, ihrer Erinnerung nach sei sie einmal nachts schlafend im Wohnzimmer gelegen. Der Täter sei zu ihr gekommen, habe sie aufgeweckt und wollte sie packen. Sie habe "nein, nein" gesagt und habe versucht, ihm die Hände weg zu schlagen. Nach einer anderen Erinnerung weine sie und sei vom Täter in seiner Kellerwohnung mit spitzen Hölzern in den Bauchnabel, die Oberarme und in die Ohren gestochen worden. Auch habe sie einmal mit ihrer Schwester P durch ein Fenster in die Kellerwohnung geblickt und dort ihren Bruder M1 nackt und gefesselt sitzend auf einem Stuhl gesehen. Der Kopf ihres Bruders sei gesenkt gewesen. Auch sei sie einmal nackt auf dem Boden gelegen und Herr B habe ihr mit einem Stock in die Scheide gestoßen. Es sei ihr etwas in den Mund geschoben worden, sie habe würgen müssen, danach sei ihr eine klebrige Masse über Kopf und Gesicht gelaufen. Eine weitere Erinnerung sei, dass sie mit ihrem Bruder R zusammen in der Kellerwohnung von Herrn B sei. Sie seien nackt gewesen und sie habe das Geschlechtsteil ihres Bruders anfassen müssen. Sie habe laut Anweisung von Herrn B die Position wechseln und in eine bestimmte Richtung schauen müssen. Es sei noch ein Mann anwesend gewesen und sie habe ein Surren gehört. Auch könne sie sich an ihren Bruder R erinnern, wie er nackt mit dem Kopf zur Wand gestanden sei und die Arme seitlich hoch befestigt waren. Die Beine seien leicht gespreizt gewesen und er sei mit einer Schnur geschlagen worden. Eine andere Erinnerung sei noch, dass sie bei dem Haus in A durch den Garten gelaufen, dann plötzlich von Herrn B mit einem Stock verfolgt worden sei, dann einen Schlag verspürt habe und hingefallen sei.

Der Beklagte zog einen Entlassungsbericht von 31. Mai 2004 des Kurhauses S Bad W bei, in dem u.a. von einem Überforderungssyndrom bedingt durch die Trennung der Partnerschaft und das Alleinerziehen der Kinder gesprochen wird. In einem Bericht der Psychotherapeutin H1 vom 20. Juli 2016 wird von einer Überforderung der Klägerin mit der Erziehung der Kinder, einem Schockzustand, nachdem der Partner sie verlassen habe, Existenzängsten, Kraftlosigkeit, Erschöpfungszustand, Angst um die Kinder und einem Grübeln über die belastende Vergangenheit (unzuverlässige Mutter, früher Tod des Vaters, bis 12 Jahre im Heim aufgewachsen, anschließend verschiedene Pflegefamilien, viele Schulwechsel) gesprochen und als Diagnose eine Angst- und depressive Störung angegeben.

Der Beklagte zog ferner die Jugendamtsakten bei. Akten der Staatsanwaltschaft über ein von der Klägerin berichtetes Strafverfahren gegen den Täter lagen nicht mehr vor.

Mit angefochtenem Bescheid vom 9. Januar 2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Ein sexueller Missbrauch sei nicht nachgewiesen. Die Akten der Staatsanwaltschaft lägen nicht mehr vor, die Jungendamtsakte enthielten keine Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch. Der Grund für die Herausnahme der Klägerin aus ihrer Ursprungsfamilie habe allein in der Verwahrlosung gelegen. Wiederentdeckte Erinnerungen seien nicht ausreichend für eine Glaubhaftmachung eines sexuellen Missbrauchs.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin insbesondere geltend, ihre Schwester P habe den Missbrauch bestätigt. Es seien keine Zeugen befragt worden. Die Erinnerungen über den schweren sexuellen Missbrauch seien von ihr verdrängt gewesen und durch die langjährige Therapie sowie das Nachfragen ihrer Schwester A wieder in ihr Bewusstsein getreten.

Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte einen Befundbericht des B vom 24. Februar 2017 (psychische Dekompensation, Erschöpfungssyndrom, Infekte, Herpes zoster, Adipositas gigantea) ein und nahm die 1955 geborene Schwester I als Zeugin ein. Diese erklärte, es seien ihr keine Angaben möglich, sie habe den Täter einmal im Treppenhaus gesehen. Von den Vorkommnissen habe sie nichts mitbekommen. Es habe einen Prozess gegeben, den Grund hierfür wisse sie nicht. Die ebenfalls schriftlich befragte Zeugin J (Pflegemutter) erklärte, sie habe keine Kenntnis über einen sexuellen Missbrauch, weder durch das Jugendamt, noch durch Andeutungen der Schwestern.

Die Klägerin legte einen Artikel der Zeitung "W" vom 10. Oktober 2017 mit der Überschrift "Ein düsteres Geheimnis" vor, in dem über eine Strafverhandlung gegen den Täter berichtet wird. Aus einem weiteren Zeitungsbericht vom 8. April 1975 (Mediengruppe L Zeitung/S Tagblatt) geht hervor, dass das Gericht Zweifel an den kindlichen Zeugen (R1, M, M1, A und I1) gehabt habe. Die Mutter habe angegeben, sie glaube ihren Kindern nicht. Es hätten gewisse Spannungsverhältnisse vorgelegen und die Kinder hätten sich in Widersprüche verwickelt. Der wegen schweren Raubes vorbestrafte Täter sei daher vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen worden. Auf die Polizei und die Staatsanwaltschaft hätten die Kinder hingegen - so der Zeitungsartikel - einen glaubhaften Eindruck gemacht. Aus diesem lässt sich ferner entnehmen, dass die Mutter ihr Heim mit ihren Kindern in einem unbeschreiblichen Zustand verlassen habe.

Nachforschungen des Beklagten bei der Staatsanwaltschaft ergaben, dass sämtliche Akten der Staatsanwaltschaft zum ursprünglichen Gerichtsverfahren gegen den Täter vernichtet worden sind. Ein auf eine erneute Anzeige hin eingeleitetes Strafverfahren 40 Js 24970/16 ist am 6. Juli 2016 eingestellt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2018 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein sexueller Missbrauch sei nicht nachgewiesen. Ein Schuldspruch sei laut Zeitungsartikel vom 8. April 1975 im damaligen Verfahren nicht erfolgt. Was im Kellerraum passiert und wer Opfer geworden sei, könne nicht mehr gesagt werden. Es fehle an einer konstanten und hinreichend detaillierten Wiedergabe von Erinnerungsinhalten. Die Geschehnisse lägen über 40 Jahre zurück und hätten wiedererinnert werden müssen. Eine Verfremdung/Verfestigung falscher Erinnerungen sei durch diesen Zeitlauf und die Eigenart der Erinnerung nicht auszuschließen. So habe Frau I eine einschlägige Vorstrafe des Täters wegen Kindesmissbrauchs angegeben, der Zeitungsartikel spreche jedoch von Raub. Der heutigen Darstellung von gewalttätigen Vorfällen könne kein höherer Beweiswert zugesprochen werden als die damaligen abstreitenden Aussagen des inzwischen verstorbenen Täters. Die ebenfalls angegebene Zeugin Schwester A2 sei keine Zeugin des Tatgeschehens gewesen.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Ausweislich einer vom SG eingeholten Auskunft aus dem Zentral- und Erziehungsregister liegt in Bezug auf den Täter kein Eintrag vor (Auskunft des Bundesamts für Justiz vom 8. Juli 2019).

Das SG hat im Erörterungstermin vom 9. September 2019 die Klägerin sowie die Zeugen A, P, M1 und R einvernommen, die folgende Aussagen gemacht haben:

1. Klägerin

"Von meinen ersten sechs Lebensjahren habe ich nicht mehr viel in Erinnerung, es kamen aber immer wieder bestimmte Bilder und gewisse Sachen hoch.

Meine Schwester A erzählte mir, sie sei einmal aufgewacht mit dem Gefühl, dass sie eine Frau eingraben musste. Ich selbst habe an einen solchen Vorfall keine direkte Erinnerung mehr, aber das Gefühl, dass damals in dem Haus noch irgendetwas Schlimmes passiert ist. Am selben Tag fragte mich meine Schwester P anlässlich eines Telefonats, bei dem ich äußerte, das Gefühl zu haben, dass noch etwas Schlimmes passiert sei, ob ich mich erinnern könne, dass wir jemanden verscharrt haben. Hintergrund soll ein Streit zwischen den Brüdern R2 und P1 gewesen sein, bei dem R2 ein Messer führte; dabei soll die damalige Freundin von P1 dazwischen gegangen sein und in Folge dessen durch das Messer zu Tode gekommen sein. Wir hatten diesen Vorfall im Jahr 2016 oder 2017 zur Anzeige gebracht, das Verfahren wurde aber eingestellt. Von einem Verfahren am Landgericht weiß ich nichts.
Bezüglich des damaligen Gerichtsverfahrens im Jahr 1975 weiß ich noch, dass ich vor dem Richter saß; als ich einmal nach hinten sah, habe ich auch meine Mutter, A3, S und wohl auch den W gesehen. Vom Urteil selbst weiß ich nichts mehr und ich weiß noch, dass Schwester A2 sagte "Am nächsten Tag gehen wir aufs Gericht.".
Meine Mutter war nicht besonders liebevoll; ich kann mich nur an eine positive Situation erinnern, als sie mir einmal eine Tüte Bonbons mitbrachte; ansonsten hat sie gerne getrunken, war auch viel in der Wirtschaft, ich denke schon, dass sie Alkoholikerin war.
Gegen Ende 1973 sind wir dann in das kleine Einfamilienhaus in A gezogen; obwohl nicht mehr alle Geschwister dort lebten, hatte ich z.B. keinen eigenen Schlafplatz oder Ähnliches. Im Frühjahr 1975 kam dann einer meiner Brüder und erzählte mir, dass da einer unten in die Kellerwohnung eingezogen ist. An die eigentlichen Übergriffe habe ich keine durchgehende Erinnerung, es sind eher so Ausschnitte, so z.B. wie ich einmal durch den Garten gelaufen bin und der B mir mit einem Stock in die Beine schlug, so dass ich hingefallen bin; in meiner Erinnerung sehe ich dann noch das Gras. Oder eine Situation, in der ich das Gesicht des B vor mir auftauchen sehe; dies war an meinem Schlafplatz; er wollte mich packen, ich habe ihm dann die Hände weggeschlagen und Nein gesagt.
Weiter erinnere ich mich an eine Situation im Keller, in der ich nackt war, auch mein Bruder R war nackt; es befand sich noch ein weiterer unbekannter Herr dort; ich musste dann das Geschlechtsteil meines Bruders anfassen und in eine bestimmte Richtung schauen; im Hintergrund hörte ich nur ein Klackern und Surren.
Eine weitere Erinnerung habe ich an eine Situation im Keller; dabei erinnere ich mich, an ein Würgen, da mir irgendetwas in den Mund reingesteckt wurde, und daran, dass mir irgendetwas Klebriges übers Gesicht lief.
Eine andere Erinnerung habe ich an einen Übergriff durch Herrn B unter Verwendung spitzer Hölzer, dabei wurde ich gestochen, z.B. in die Ohren, den Bauchnabel, die Brust, die Oberarme; ich erinnere mich auch an einen Stock im Genitalbereich; dabei erinnere ich mich noch, dass der Stock mir reingesteckt wurde, auch der Schmerz ist mir noch erinnerlich.
In meinem Gedächtnis ist auch noch ein Blick durch ein längliches Fenster (wie ein Kellerfenster), dabei sah ich meinen Bruder M1 nackt auf einem Stuhl sitzen; mehr Erinnerung habe ich dazu nicht.
In einer anderen Situation bin ich im Keller gesessen und habe beobachten müssen, wie mein Bruder R mit dem Gesicht zur Wand an Haken an der Wand gefesselt wurde; der B schlug ihn dabei mit einer Schnur.
Erinnerlich ist mir noch eine Situation, in der ich aus dem Keller heraufgelaufen bin und am Kopf blutete; das Blut tropfte auf die Treppenstufen; ich habe heute noch eine Kerbe am Kopf, kann mich aber nicht mehr erinnern, wie das zustande kam.
Einmal konnte ich nicht mehr vom Bett aufstehen, ich wurde dann von meiner Schwester A3 ins Krankenhaus gebracht, weil ich nicht mehr laufen konnte und ich erinnere mich noch, dass mir damals öfter Blut abgenommen wurde; ich erinnere mich auch noch, dass ich damals länger im Krankenhaus war.
Bezüglich meiner Schwester A habe ich keinerlei Beobachtungen gemacht.
Die Erinnerungen waren nicht die ganze Zeit über präsent; vielmehr wurde der Erinnerungsvorgang im Jahr 2014 durch A angestoßen; wir haben dann versucht, genauer hinzuschauen, danach kamen dann bei mir Erinnerungen wieder hoch; danach hatte ich nachts z.B. plötzlich wieder ein Bild im Kopf, wobei es sich aber nicht um Träume handelte, sondern um klare Erinnerungen. Bereits im Jahr 2007, noch vor diesen Erinnerungen, ging es mir nicht gut und ich habe deswegen bei Frau Dr. H1 eine Therapie versucht, diese dann aber wieder abgebrochen. Auch eine genehmigte Rentenkur habe ich gar nicht erst angetreten.
Die Mutter war schon immer sehr grob zu uns. Einmal erinnere ich mich noch an einen Vorfall in den Baracken, als sie uns wegen eines Anlasses bezüglich eines Kissens alle geschlagen hat. R schürfte sich dabei die beiden Unterarme auf.
Ich erinnere mich noch, dass wir im Winter kurz vor Weihnachten ins Kinderheim gekommen sind; Herr B lebte damals noch im Haus, die Polizei suchte ihn an diesem Tag auch.
An einen weiteren Vorfall mit meiner Schwester A weiß ich nur von meiner Schwester A3. Die Mutter soll die A in einem Kinderwagen in der Sonne stehen gelassen haben, so dass sie schwere Verbrennungen erlitten hat und ins Krankenhaus musste.
Die Verhältnisse damals im Haus waren ungeordnet; alles war durcheinander; einmal haben mein Bruder R und ich Katzenfutter gegessen, weil nichts Anderes da war; für einen Zeitungsartikel wurde damals auch ein Foto von unserem Haus gemacht, das den vermüllten Zustand dokumentierte. Es war in der Wohnung auch sehr kalt; einmal hat mein Bruder R versucht, den Ofen mit Wasser zu befüllen, damit es warm wird; die Mutter war nicht da. Wie oft unsere Mutter im Haus war, weiß ich nicht; sie war einfach oft weg.
Von den Übergriffen des Herrn B hat die Mutter wohl gewusst, aber nichts gemacht."

2. A

"Als es damals zu dem Austausch mit M kam, hat sie mich gefragt, ob ich meine, dass in dem Haus jemand umgekommen sei. Im Halbschlaf bzw. Traum hatte ich auch eine Erinnerung, wonach ich mit anderen jemanden eingegraben habe, wohl ein Mädchen mit dunkelblonden Haaren, ich dachte aber, es sei nicht passiert. meinte aber, dass da draußen alles möglich wäre und sie mit P reden werde. P meinte aber, dass sie sich erinnern könne, dass sie damals ein junges Mädchen verscharrt habe. Aus Pflichtbewusstsein stellten wir Strafanzeige, diese wurde aber durch die Staatsanwaltschaft eingestellt.
An den damaligen Prozess habe ich noch folgende Erinnerungen: Davor sagte mir meine Schwester S "Du musst die Wahrheit sagen". Ich weiß noch, wie ich mit jemandem am B vorbeiging und er hat mich dabei so komisch angegrinst, und ich erinnere mich noch, dass ich gefragt wurde, ob ich mich erinnern könnte, ob mir ein Hölzlein eingeführt wurde, und ich sagte Ja; dann wurde ich noch einmal gefragt und ich habe dabei den Kopf geschüttelt und der Richter sah mich dann so abwinkend an.
An die Familienverhältnisse kann ich mich nur noch sehr wenig erinnern; mir fällt da noch eine Flasche ein, die im Haus rumstand, in die die Jungs reingebieselt haben, ich bin da alleine im Haus rumgelaufen. An meine Mutter kann ich mich im normalen Leben zur damaligen Zeit im Haus in A gar nicht erinnern; nur einmal weiß ich, dass sie mich in den Keller geworfen hat, aber das hängt dann schon mit dem Missbrauch zusammen.
An den Einzug des Herrn B habe ich keine Erinnerung mehr, ich erinnere mich z.B. daran, dass er mich einmal an meinem Schlafplatz geweckt hat und mir mit einem Lächeln so einen Stock gezeigt hat.
Ich weiß auch noch, dass er mich einmal gepackt und in den Keller mitgenommen hat, wie in ein dunkles Loch; ich habe dabei geschrien; an der Stelle endet meine Erinnerung.
Einmal erinnere ich mich an eine Situation, als ich auf einem Tisch oder auf dem Boden gelegen bin, es war jedenfalls kalt; Herr B hat mir da ein Stöcklein vaginal hineingeschoben; an die Schmerzen erinnere ich mich noch.
In einer weiteren Situation bin ich im Keller mit freiem Oberkörper auf einem Tisch gesessen und Herr B hat mir mit etwas Spitzem wie einem Stift oder Ähnlichem in die Mitte der Brust gestochen (dazwischen). Ich habe da heute noch etwas drin, dazu kann ich auch noch ärztliche Berichte nachreichen.
Ich erinnere mich noch an eine Situation, in der ich verschnürt eingewickelt war und dann ganz schnell hochgezogen worden bin; an mehr erinnere ich mich dazu nicht.
Eine weitere Erinnerung ist ein fülliger Herr im Anzug mit dunklen, seitengescheitelten Haaren, der mit einem Stock ausholend vor mir stand; wie es dann weiterging, weiß ich nicht mehr.
Einmal haben mich meine Schwestern A3 und I2 gebadet und dabei über Verletzungen gesprochen; ich habe dann an mir heruntergeschaut und an den Innenseiten der Oberschenkel rote Stellen gesehen, wie Blut.
Übergriffe auf andere Geschwister habe ich nicht beobachtet.
In einer Situation saß ich bei B unten, meine Mutter war auch dabei; sie hat von B einen Umschlag mit Geld bekommen und dabei selbstzufrieden gelächelt. Ob diese Situationen unmittelbar zeitlich nach dem Vorfall passierten, bei dem mich meine Mutter in den Keller geworfen hatte, weiß ich nicht mehr.
Seit Anfang der 2000er Jahre war ich dann lange in Therapie, damals noch ohne Wissen von den Übergriffen; dann kam die Frührente, und ich bin im Kopf zurückgegangen bis zu diesem ersten Bild "B-Stock-Lächeln". Dann habe ich irgendwann P angesprochen, die mir von ihren Beobachtungen durchs Kellerfenster erzählte; sie habe B beobachtet, wie er mir unten ein Stöcklein eingeführt hat. Die weitere Erinnerung kam dann nacheinander, so wie wenn Türen aufgehen.
Bezüglich Kälte und mangelndem Essen damals habe ich keine Erinnerung mehr.
Als wir ins Heim kamen, erinnere ich mich noch an das Taxi; ich wurde wohl auf dem Arm von jemandem dort hingetragen; ich kann mich noch erinnern, dass es kalt war.
Ich erinnere mich noch an eine weitere Situation, in der ich dalag, vermutlich auf dem Boden, es war kalt, und ich hörte dabei ein Surren wie von einer Kamera und sah auch Licht; an mehr erinnere ich mich nicht."

3. P

"In meiner Erinnerung war die Mutter schon immer überfordert, auch wegen der vielen Geschwister, es kam immer mal wieder vor, dass ich an ihr vorbeiging, geschubst wurde, oder auch geschlagen. Auch innerhalb der Geschwister gab es Ellenbogeneinsatz. Ich kann mich noch erinnern, dass die Mutter aus der vormaligen Barackensiedlung eigentlich gar nicht wegwollte.
Nach dem Umzug war es dann so, dass ich z.B. halt gar kein eigenes Bett hatte; ich hatte unterschiedliche Schlafplätze, z.B. eine Couchbank oder bei anderen Geschwistern oder auch mal auf dem Boden. Im Haus war Chaos, es war auch nicht so, dass man z.B. regelmäßig sein Essen bekommen hat. Es gab von dem Haus aus einen direkten Zugang zum Keller; diese Einliegerwohnung konnte man sowohl von außen als auch von innen betreten. Der innere Zugang war nie verschlossen. An den Einzug von Herrn B erinnere ich mich nicht. Irgendwann kurz nach unserem Einzug war er auf einmal da.
Ich selbst konnte einige sexuelle Übergriffe auf meine Geschwister beobachten. Außen ging bei uns eine Treppe runter zur Kellerwohnung, dort habe ich durch ein Fenster geschaut und dabei drei verschiedene Situationen beobachten können:
Einmal sah ich meinen Bruder M1, wie er nur mit Unterhose bekleidet auf einem Stuhl mit Schnüren gefesselt saß; Herr B stand mit offenem Hosentürl vor ihm und hat ihn mit einem spitzen Holzteil immer wieder gestochen.
In einer zweiten Situation sah ich meine Schwester A, die ebenfalls nackt und gefesselt war, aber bei ihr war es so wie am ganzen Körper eingewickelt, wie in einen Kokon; als er sie an einer Schnur nach oben zog, bin ich schreiend weggelaufen, hoch zum Wald.
In einer dritten Situation habe ich gesehen, wie A auf einer Couch am Rücken lag und Herr B sich so schräg über ihr befand; er hatte dabei einen Kochlöffel in der Hand (das Rührteil hatte er in der Hand) und er führte dann bei ihr im unteren Körperbereich mit dem anderen Ende des Löffels so Auf- und Ab-Bewegungen aus.
Eine vierte Beobachtung fällt mir jetzt noch ein: Ich habe und R bei Herrn B von außen im Keller beobachtet; ich glaube, R hat gesessen und hatte nur eine Unterhose an, hat gestanden, bekleidet mit Unterhemd und Schlüpfer; machte dann so Bewegungen an der Hose von R; danach habe ich einen Filmriss.
Es gab auch einen Vorfall, bei dem ich selbst betroffen war: Mein Bruder M1 und ich befanden uns unten an der Außentreppe, als Herr B auftauchte und M "etwas zeigen" wollte; er hat dann M und anschließend auch mich am Arm gepackt, reingezogen und die Türe zugemacht; M sollte sich dann ausziehen; dann hat ihm der B die Hose runtergezogen, das T-Shirt blieb an; ich musste mich dann auf einen Stuhl setzen; M stand dann seitlich neben Herrn B, der sein Hosentürl öffnete; er musste dann dem B einen runterholen. Die Situation wurde dadurch beendet, dass meine Schwester S reinkam; sie spuckte dem B ins Gesicht und sagte: "Dich zeig ich an".
Bei einem zweiten Vorfall bin ich auf der Couch im Keller gelegen, wie ich da runter gekommen bin, weiß ich nicht mehr; der B war bekleidet, hatte aber ein offenes Hosentürl, ich war unten rum nackt; B stand vor mir und machte bei mir unten irgendwas, ich glaube mit der Hand, weiß es aber nicht mehr genau, hatte dann einen Filmriss; später an diesem Tag bin ich dann im Garten neben besagtem Treppenaufgang von einer Nachbarin gefunden worden, wie man mir erzählte mit einem Blinddarmdurchbruch; ich wurde dann auch ins Krankenhaus gebracht und operiert; beides war sicher an diesem Tag, ich hatte auch den ganzen Tag über so ein Übelkeitsgefühl.
Ich erinnere mich auch noch an eine Nacht, in der ich beobachten konnte, wie Herr B in unserem Erdgeschoss bei M stand, sich über M gebeugt und sich dabei selbst in die Hosentasche gegriffen hat; ich war erschrocken und habe mich umgedreht, es war ja auch immer mit Angst verbunden.
Ich bin mir sicher, dass meine Mutter von den sexuellen Übergriffen gewusst hat; er war ja ein guter Freund von ihr und sie haben sich so gut verstanden; ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es nicht gewusst oder bemerkt hat.
Ich hatte mich damals an unsere Nachbarin, Frau R, gewandt, die auch das Jugendamt einschalten wollte. Sie meinte später einmal, da sei nichts geschehen. Allgemein war öfter die Polizei bei uns.
Bezüglich der Gerichtsverhandlung erinnere ich mich, dass uns eine Ordensschwester und eine Erzieherin dorthin zu Fuß gebracht haben; wir hatten ziemliche Angst vor der Verhandlung; ich habe meine Aussage gemacht, aber auch dort einige Filmrisse gehabt, auch M brachte in der Aufregung was durcheinander; es kamen immer wieder Nachfragen wie "Das kann so nicht stimmen", ich sagte dann: "doch".
Bezüglich dritter Personen in unserem Haus erinnere ich mich an einen dunkelhaarigen, ungepflegten Herrn, der öfter bei Herrn B war. Er war auch bei einem der sexuellen Übergriffe mit dabei, ich weiß aber nicht mehr, bei welchem und ob ich da selbst betroffen war. An Männern in Anzügen habe ich keine Erinnerung, außer an zwei Herren mit Aktentaschen, mutmaßlich vom Jugendamt.
Wann wir ins Heim kamen, weiß ich nicht mehr genau. Die kleinen Kinder bei uns im Haus hatten alle kein eigenes Bett.
Ich kann noch sagen, dass Herr B öfter nachts bei uns im Erdgeschoss herumgeschlichen ist, wir hatten dann immer Angst.
Einmal habe ich mich auch an meine ältere Schwester A3 gewandt mit der Bitte um Hilfe wegen der Übergriffe; sie hat sich dann einfach umgedreht und ist gegangen.
Das Hochziehen der gefesselten A muss man sich so vorstellen, dass sie entweder an der Schnur oder an den Füßen hochgezogen worden ist, der Kopf war unten, mehr weiß ich dazu nicht mehr.
Bezüglich des Übergriffs auf mich auf der Couch kann ich mich nicht mehr an Schmerzen erinnern, mir war den ganzen Tag schlecht.
Bezüglich der Gerichtsverhandlung kann ich noch ergänzen, dass ich damals auch schon diese Filmrisse hatte; es wurde mir als Kind bei der Verhandlung ja auch dauernd gesagt: "Du lügst".
Die Erinnerung an die Übergriffe war bei mir lange Zeit auch weg, kam dann aber immer mehr zurück.
Im damaligen Zeitungsartikel ist eine Namensverwechslung enthalten; gesprochen wird von der Aussage einer I2, tatsächlich habe ich die Aussage gemacht. An die Zeugenbefragung bei der Polizei kann ich mich nicht mehr genau erinnern, ich weiß nur noch, dass wohl ein Mann und eine Frau dabei waren."

4. M1

"An den Einzug des Herrn B kann ich mich nicht mehr erinnern; er war halt einfach da.
Direkter Augenzeuge von Übergriffen auf meine Geschwister bin ich nicht geworden. Allerdings hat der B mich missbraucht. Er hat mich öfters abgeholt, entweder nachts aus dem Bett oder auch am Tage. Die Übergriffe liefen immer ähnlich ab: Meist hat er mich (bekleidet) an einen Stuhl gefesselt, um mir dann Gegenstände, wie z.B. einen Bleistift in die Ohren oder Nasenlöcher zu stecken; ich erinnere mich aber nicht, dass es schmerzhaft war. Auch der B war bei diesen Übergriffen bekleidet; diese Vorfälle endeten immer damit, dass er sein Hosentürl öffnete, sein Glied herausholte und dass ich ihm dann einen blasen musste; bevor er dann soweit war, hat er sich immer schnell weggedreht und ihn wieder in die Hose reingetan; bei all diesen Übergriffen war ich immer allein im Raum.
Ich erinnere mich noch an eine Situation mit meiner Schwester P, bei der der B zunächst mich missbraucht hat und danach, als er mich wegschickte, auch die P zu sich reingezogen hat, die vor der Tür auf mich gewartet hatte; ich bin dann auch immer gleich wieder rauf und weiß daher nicht, was mit P geschehen ist.
Von Übergriffen auf A und M habe ich im Haus nichts mitbekommen.
Im damaligen Gerichtsprozess weiß ich noch, dass ich meine Aussage gemacht habe und dass ich nach der Verhandlung sehr traurig war, weil der Richter mir nicht geglaubt hat; an mehr kann ich mich heute nicht mehr erinnern; im Anschluss daran habe ich mich noch mit der Ordensschwester unterhalten, die zu mir sagte: "M, des wird alles wieder gut, der kriegt auch noch seinen gerechten Lohn."
Die Erinnerungen an die damaligen Ereignisse waren schon immer in meinem Kopf, allerdings konnte ich erst in einem Alter von 48 Jahren darüber reden. Ich habe keine Erinnerung mehr daran, dass bei der Gerichtsverhandlung damals auch A und M anwesend waren.
Ich erinnere mich auch nicht an eine Aussage von mir, die ich vor ein paar Tagen A gegenüber anlässlich eines Treffens wegen des Todes unseres Bruders R getätigt haben soll, wonach der B sich damals ein Kind nach dem anderen geholt haben soll.
In unserem damaligen Haus hatte ich ein Bett im ersten Stock; auch andere Kinder hatten Betten; ich weiß aber nicht mehr, ob A und M ein Bett hatten. Wir haben damals fast nichts zu essen bekommen, auch nicht von Herrn B. Im Haus herrschte immer ein Durcheinander, ein Chaos. Die Mutter war nur selten anwesend, sie hielt sich immer in der P Straße, bei unterschiedlichen Männern oder in Gaststätten auf. Ob unsere Mutter im Rotlichtmilieu tätig war, kann ich nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob die Mutter etwas von den Übergriffen durch den Herrn B gewusst hat.
Es könnte damals auch ein Kugelschreiber gewesen sein, der B hatte ja mehrere Stifte auf seinem Tisch.
Bei der Gerichtsverhandlung damals kam mir der Richter sehr forsch vor, er war immer dagegen; ich habe gespürt, dass er mir nicht glaubt.
Dass ich mit 48 Jahren darüber reden konnte, lag daran, dass ich mich einfach selbst befreit habe; ich wollte auch den anderen klarmachen, warum ich im Leben teilweise schlechter gestellt war; damals ging ich als Erster auf A und M zu und sprach mit ihnen über die Vorfälle mit B. In diesem Gespräch sagten mir die beiden dann gleich, dass ihnen das auch passiert war.
Es stimmt, das erste Gespräch über diese Vorfälle habe ich nicht mit A oder M geführt, sondern mit meiner Schwester A3, ich habe ihr Vorwürfe gemacht, warum sie nicht besser auf uns aufgepasst hat. Sie hat dann abgeblockt und gesagt, dass sie ja selbst noch ein Kind gewesen sei. Erst 2014 fand dann im K in L das Gespräch mit A und M statt.
An meine Aussage bei der Polizei habe ich keine Erinnerung mehr. Bei den Übergriffen auf mich war einmalig auch ein weiterer Mann dabei, der aber nur zugeschaut hat; er hatte schwarze Haare, einen Stoppelbart und eine Brille."

5. R

"Vom damaligen Gerichtsverfahren habe ich nichts gewusst. Vor ca. 1 1/2 Jahren kam es zu einem Kontakt durch A, M und P. Allerdings muss ich sagen, dass ich vorher von einem B nie etwas gehört habe. Ich selbst habe auch nie in dem Haus in A gewohnt. Nach dem Tod meines Vaters war ich beruflich viel mit Schaustellern unterwegs und hatte keinen Kontakt zur Familie mehr, vor allem nicht zu den jüngeren Geschwistern. Deswegen weiß ich auch nichts über die Zustände im Haus in A. Davor, also in der Barackensiedlung, herrschte noch eine gewisse Ordnung, so lange mein Vater noch lebte; die Mutter war aber vorher schon überfordert mit den vielen Kindern, erst recht nach dem Tod des Vaters, dann herrschte nur noch Chaos. Ich habe auch von den anderen Geschwistern keine Bemerkungen über den Herrn B gehört. Mir gegenüber hat auch niemand etwas von einer Gerichtsverhandlung erzählt."

Die weiteren Zeugen W, R2, P1, I und I2 hatten bereits vor der Verhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Zeugen W, R2 und I haben mit Schreiben vom 26. August 2019 gemeinsam erklärt, dass ihnen der "angebliche Vorgang" unbekannt und "zeitlich nicht bekannt" sei, sie zudem ihr Recht auf Zeugnisverweigerung wahrnehmen würden. Der Zeuge P1 hat mit Schreiben vom 26. August 2019 dargelegt, dass er keinerlei Angaben machen könne und ihm nicht bekannt sei, dass es sexuelle Übergriffe und körperliche Misshandlungen je gegeben habe. Unter dem 05. September 2019 hat er ergänzt, die Konfrontation mit den Klägerinnen vermeiden zu wollen, zumal sie ihm zuletzt einen Totschlag hätten anhängen wollen. Im Übrigen hat er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht bezogen. Die Zeugin I2 hatte unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht um Abladung gebeten. Die Zeugenladung der Ordensschwester A2 ist vom SG wegen Vernehmungsunfähigkeit aufgehoben worden.

Das SG hat die strafrechtlichen Ermittlungsakten (101 Js 18507/17 jug) beigezogen. Hierbei handelt es sich um ein von der Klägerin zusammen mit ihren Schwestern A und P am 15. April 2017 initiiertes Verfahren gegen die beiden Brüder P1 und R2, wonach diese im Jahr 1974 im bewussten und gewollten Zusammenwirken im Anwesen E Straße in A eine ca. 16-20-jährige blonde Frau im Rahmen einer Rangelei mit einem Messerstich getötet und sodann im Wald vergraben haben sollen. Mit Verfügung vom 25. Juli 2017 hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen P1 und R2 wegen Totschlags nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung - StPO - aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen eingestellt, da ein Tatnachweis bereits im Ansatz nicht zu führen sei. Die Anzeigeerstatterinnen hätten geglaubt, sich an einen entsprechenden Vorfall erinnern zu können. Dieser sei zum Teil als "Träume im Halbschlaf" geschildert worden, wobei sich nicht ausschließen lasse, dass die vermeintlichen Erinnerungen auf zurückliegende Therapien der Anzeigeerstatterinnen zurückzuführen seien. Objektive Anhaltspunkte, welche den Tatverdacht stützen würden, existierten nicht. Insbesondere korrespondierten die Angaben weder mit einem Vermisstenfall noch einem Leichenfund.

Das SG hat weitere Befundberichte des B1 (Behandlung von 2009-2019, Erschöpfungssyndrom, depressives Syndrom, keine Angaben zum Missbrauch) und des B2 vom 5. März 2020 (Schlafstörungen, Antriebsstörungen, Depressionen, Schmerzen, Morgentief; psychogene Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsreaktion, Depression, Anpassungsstörung Polyarthalgie) beigezogen.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 hat das SG den Beteiligten einen ausführlichen richterlichen Hinweis erteilt, wonach das Gericht davon ausgehe, dass der Täter an der Klägerin im Zeitraum 9. Januar 1974 bis 16. Dezember 1974 folgenden Übergriff verübte:

"Der Beschuldigte veranlasste die nur mit Unterhemd und Schlüpfer bekleidete Klägerin, Bewegungen an der Unterhose ihres Bruders R auszuführen".

Dieser Vorgang sei von der Zeugin P geschildert worden. Der Zeuge M1 habe nur von an ihm verübten Missbrauchshandlungen berichtet, jedoch keine eigenen Beobachtungen zu Übergriffen gegenüber der Klägerin gemacht.

Das SG hat daraufhin unter Bezugnahme auf dieses nachgewiesene schädigende Ereignis F mit der Erstellung eines nervenärztlichen-psychosomatischen Gutachtens beauftragt, das unter dem 2. September 2020 erstellt worden ist. Der Sachverständige hat bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt:

Missmutig verbittert depressives Syndrom als Dysthymie bzw. vorübergehend rezidivierend als Anpassungsstörung, darunter subsumiert auch psychovegetatives Erschöpfungssyndrom.
Dieses Störungsbild lasse sich bis zum Zeitpunkt der Mutter-Kind-Kur in 2004 zurückverfolgen.
Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das gerichtlich festgestellte schädigende Ereignis nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für den Eintritt oder die Verschlimmerung dieser Gesundheitsstörungen ursächlich sei. Ein solcher Zusammenhang wäre konstruiert und spekulativ. Ein Grad der Schädigungsfolgen könne deshalb nicht festgestellt werden; ohne Rücksicht auf die Ursache sei der Grad der Behinderung mit 30 zu bewerten. Ein Vor- und Nachschaden sei nicht differenzierbar. Nach dem 23.06.2016 habe sich aus anderen Motiven im Sinne einer Wesensverschiebung eine stärkere seelische Betroffenheit entwickelt.

Ein von der Klägerin gestellter Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen F wegen der Besorgnis der Befangenheit (Az. S 13 SF 160/120 AB) mit der Begründung, der Sachverständige habe falsche oder veränderte Äußerungen der Klägerin in seinem Gutachten übernommen, ist mit Beschluss vom 11. März 2021 als unzulässig abgelehnt worden. Der Antrag wäre aber auch unbegründet.

Die Klägerin hat zu dem Gutachten umfangreich Stellung genommen und dabei unter anderem ausgeführt, § 15 KOV-VfG sei anzuwenden. Sie sei seit ihrer frühen Jugend Opfer mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs und der Verletzung der ihr gegenüber bestehenden Fürsorge- und Erziehungspflicht geworden. Sie sei dem Täter über Monate ausgeliefert gewesen. Es sei keineswegs unüblich, wenn sie sich erst nach längerer Zeit beginnend ab 2014 Stück für Stück konkret an die Vorgänge habe erinnern können. In Bezug auf den damaligen Freispruch sei eine eigenständige Würdigung angezeigt. Die Polizeibeamten und die Staatsanwaltschaft hätten das Ergebnis der Hauptverhandlung gänzlich anders gewertet als das Strafgericht. Die Mutter habe die Kinder nicht geschützt, sondern vielmehr vom Täter Geld in Umschlägen erhalten. Der sexuelle Missbrauch habe auch durch andere Personen stattgefunden. Die Klägerin sei Opfer einer strafbaren Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht seitens der Mutter geworden. Das Gutachten F nehme eine nicht vom Gutachtensauftrag abgedeckte, unzulässige weitere Beweiswürdigung in Form einer Glaubwürdigkeitsprüfung in Bezug auf die Missbrauchserlebnisse vor. Zahlreiche Äußerungen seien unzutreffend wiedergegeben worden.

Der Beklagte hat nach wie vor keinen Nachweis eines tätlichen Angriffs gesehen. Insbesondere die Aussage der Zeugin S könne keinen Nachweis begründen, da diese unter denselben Einschränkungen leide wie die Aussagen der Klägerin und deren Schwester.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 15. November 2021 die Klage gegen den Bescheid vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2018 abgewiesen.

Eine Versorgung sei nur nach der Härtefallregelung des § 10a OEG möglich, da die Schädigung im Zeitraum 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 erfolgt sei. Voraussetzung sei damit u.a., dass die Klägerin allein infolge dieser Schädigung schwer beschädigt sei, einen Grad der Schädigung (GdS) von 50 oder mehr aufweise. Die Klägerin habe nach dem Gutachten von F aber nur einen GdS von 0 und auch nur einen GdB von 30, sodass ein Anspruch ausscheide.

Das SG hat den oben genannten sexuellen Angriff zugrunde gelegt und sich dabei auf die Aussagen der Augenzeugin P gestützt. Aber auch insoweit gebe es Zweifel. Die Detailtiefe der Schilderung sei äußerst gering gewesen. Es habe offenbleiben müssen, ob es zu konkreten sexuellen Handlungen gekommen sei. Es sei aber ein sexualisierter Kontext in Verbindung mit körperlichen Eingriffen festzustellen gewesen, auch wenn gewisse Zweifel verblieben. Auch angesichts des von der Klägerin initiierten Strafverfahrens gegen ihre Brüder P1 und R2 bestünden doch erhebliche Zweifel an der Erinnerungsfähigkeit der Klägerin sowie am Vermögen, hinreichend zwischen realen Erlebnissen und rekonstruierte Fiktion zu unterscheiden. Es sei weder eine Leiche gefunden worden noch habe es einen korrespondierenden Vermisstenfall gegeben.

Aus den weiteren lediglich bruchstückhaften Erinnerungen der Klägerin ließen sich keine weiteren tätlichen Angriffe ableiten, auch nicht gemäß § 15 KOV-VfG, da es an jedwedem Detaillierungsgrad fehle. Ein Antragsteller müsse selbst Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen und dazu widerspruchsfrei vortragen. Es müssten so klare und detailreiche Angaben vorliegen, dass sich aus diesen der vollständige Sachverhalt soweit konkretisieren lasse, wie es für die Annahme eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffes erforderlich sei. Reine Erinnerungsfetzen und bruchstückhafte Schilderungen würden für einen Nachweis nicht genügen und auch nicht als ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine ärztliche Begutachtung ausreichen.

In der Kindheit sei es zu einer erheblichen Vernachlässigung der Klägerin gekommen. Rein seelische Misshandlungen stellten jedoch keine tätlichen Angriffe dar (BSG, Beschluss vom 23. März 2015, Az. B 9 V 48/14 B). Ein tätlicher Angriff müsse auf eine körperliche Einwirkung gerichtet sein. Vernachlässigung von Kindern und auch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge könnten nicht als Gewalttat im Sinne des OEG angesehen werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19. Dezember 2019, Az. L 10 VE 44/15). In der früheren Rechtsprechung sei zum Teil in Erwägung gezogen worden, im Falle einer böswilligen Vernachlässigung im Sinne des § 225 Strafgesetzbuch (StGB) einen OEG-Tatbestand anzunehmen. Dieser Straftatbestand sei aber nicht nachweislich erfüllt. Nach den Schilderungen der Zeugen sei die Mutter mit den vielen Kindern überfordert gewesen. Dies schließe eine Böswilligkeit aus. Die aktenkundige Verurteilung sei aufgrund eines anderen Tatbestandes erfolgt, der keine Rückschlüsse auf böswillige Vernachlässigungen zulasse.

Schädigungsfolgen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit feststellbar. Dies ergebe sich aus dem Gutachten von F. Die schädigungsfremden Umstände in der Herkunftsfamilie und die seit 1971 nachweisbare Vernachlässigung durch die leibliche Mutter seien eine hinreichende Erklärung für die heutigen Gesundheitsstörungen der Klägerin. Diese alternative Ursache habe erhebliches Gewicht. Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten würden nicht durchgreifen. Selbst wenn man von Kausalität ausgehen würde, bestünde kein Anspruch, da der Sachverständige den GdB auf 40 festgesetzt habe. Damit läge keine Schwerbeschädigung vor, wenn man diesen Wert als GdS ansehen würde.

Zwar habe nach Auffassung der Klägerin aus ihrer Sicht noch weitaus mehr als die genannte Gewalttat stattgefunden. Trotz großer Bemühungen, erheblicher Nachforschungen und umfangreicher Zeugeneinvernahmen haben diese aber nicht im notwendigen Beweisgrad festgestellt werden können. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass die Klägerin selbst nur rudimentär in der Lage gewesen sei, konkrete einzelne Übergriffe in einem Umfang vorzutragen, den ein Gericht einer Anerkennung zugrunde legen könne.

Es sei nicht zutreffend, dass F den Gutachtensauftrag überschritten und ein eigenes Glaubhaftigkeitsgutachten angefertigt habe. Vielmehr sei es Aufgabe eines jeden Sachverständigen, die Angaben seiner Probanden kritisch zu hinterfragen und auf Plausibilität zu prüfen da dies wiederum auch Einfluss auf die Würdigung von Symptomschilderungen und der Kausalfrage haben könne. Zudem habe der Sachverständige an diversen Stellen deutlich gemacht, dass er die Anknüpfungstatsachen des Gerichts beachtet habe.

Weitere Beweiserhebungen seien nicht erforderlich. Die beantragten Zeugeneinvernahmen der Geschwister seien durchgeführt worden, soweit diese nicht im Vorfeld von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätten oder verstorben gewesen sein. Die Einvernahme der Ordensschwester A2 scheitere an ihrer Vernehmungunfähigkeit. Die Zeugeneinvernahme des Herrn G sei entbehrlich, da das Gericht dessen Schilderung zu den verwahrlosten Zuständen für glaubhaft erachte. Die Einvernahme der Ärztin W1 oder anderer Therapeuten sei ebenfalls entbehrlich, da sie keine unmittelbaren Tatzeugen gewesen seien. Ärztliche Diagnosen oder therapeutische Berichte stellten für sich genommen auch nicht den Nachweis einer Gewalttat dar. Ein Trauma werde durch eine Diagnose nicht bewiesen. Ein Rückschluss sei insoweit zirkelschlüssig. Eine Einvernahme der Frau O sei nicht erforderlich gewesen. Die Begleitperson sei in der eigentlichen Untersuchungssituation nicht anwesend gewesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen, F habe falsche Tatsachen zugrunde gelegt und diese im Ergebnis falsch gewürdigt. Insoweit ist auf die Stellungnahmen vor dem SG zu dem Gutachten von F verwiesen worden. Sie habe auch nicht, wie von F behauptet, einfache Infekte erlitten, sondern durchaus schwere Erkrankungen wie beispielsweise eine Lungenentzündung.

Der Sachverständige sei ungefragt zu dem Ergebnis gekommen, dass nur der Bruder M1 Opfer von Gewalttaten geworden sei und nicht auch die Klägerin. Dass er dann in der Folge auch keinen Zusammenhang zwischen der nicht stattgefundenen Tat und den Tatfolgen herstellen könne, sei nur konsequent, aber deshalb noch nicht richtig.

Der Senat hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von S1 eingeholt, das am 14. April 2023 erstellt worden ist. Die Sachverständige hat bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1. Rezidivierende depressive Störung mittelschwer bis schwer ausgeprägt mit latenter Suizidalität vor dem Hintergrund einer soziophobischen, ängstlich-vermeidenden und selbstunsicheren Persönlichkeitsakzentuierung
2. Anamnestisch bekannt: in der Kindheit eine Traumafolgestörung im Sinne einer Anpassungsstörung
3. Essstörung

Das schädigende Ereignis sei nicht ausschließlich mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für den Eintritt oder die Verschlimmerung der unter 1. genannten Gesundheitsstörungen ursächlich. Es spreche eindeutig mehr dagegen als dafür. Die psychischen Gesundheitsstörungen der Klägerin seien ebenso bedingt durch Traumatisierungen und Vernachlässigungen im Kindes- und Jugendalter. Die vorliegenden Gesundheitsstörungen könnten medizinisch nicht als Folgen der anerkannten Schädigungen im Sinne des OEG weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung nachgewiesen werden. Der GdB werde mit 50 bewertet. Es ergäben sich auch keine Änderungen in der Beantwortung der Beweisfragen, falls man folgenden Vorfälle mit dem Täter mitberücksichtigen würde:

Schläge in die Beine beim Laufen durch den Garten, Täter wollte Klägerin packen, Klägerin schlägt die Hände weg, Klägerin befindet sich nackt mit ihrem ebenfalls nackten Bruder im Keller, Klägerin musste das Geschlechtsteil ihres Bruders anfassen und in eine bestimmte Richtung schauen, Klägerin wurde irgendetwas in den Mund gesteckt und es lief etwas Klebriges übers Gesicht, Stechen mit Spitzenhölzern zum Beispiel die Ohren, den Bauchnabel, die Brust, die Oberarme, in den Genitalbereich, Zwang zur Beobachtung der Fesselung und Schläge des Bruders.

Die Klägerin hat sich hierzu mit Schreiben vom 6. Juni 2023 geäußert. Eigene Angaben der Klägerin seien falsch wiedergegeben worden und müssten korrigiert werden.

Im Erörterungstermin am 25. Juli 2023 ist die Sachverständige S1 ergänzend zur Erläuterung ihres Gutachtens angehört worden. Insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen. Die Klägerin hat eine weitere Stellungnahme vom 25. Juli 2023 vorgelegt. Im Erörterungstermin haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt,    
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 15. November 2021 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. September 2018 zu verurteilen, der Klägerin Beschädigtengrundrente und Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte zu gewähren, hilfsweise ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG zu den Beweisfragen nach der Beweisanordnung des Bayerischen Landessozialgerichts einzuholen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und des Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die zulässige Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 09. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. September 2018 zu Recht abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zwar ist ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zur Überzeugung des Senats insoweit nachgewiesen, als der Täter die nur mit Unterhemd und Schlüpfer bekleidete Klägerin veranlasst hat, Bewegungen an der Unterhose ihres Bruders R auszuführen. Weitere vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin sind weder im Vollbeweis nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Der Klägerin steht jedoch keine Beschädigtengrundrente (vgl. § 31 BVG) und Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte (vgl. § 32 BVG) zu, da sich für die Klägerin keine Schädigungsfolgen feststellen lassen, für die ein Grad der Schädigung (GdS) von mindestens 50 zu vergeben ist. Dies gilt selbst dann, wenn man die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Taten (Schläge mit dem Stock in die Beine beim Laufen durch den Garten; Täter will Klägerin packen, Klägerin schlägt die Hände weg; Klägerin befindet sich nackt mit ihrem ebenfalls nackten Bruder im Keller; Klägerin muss Geschlechtsteil ihres Bruders anfassen und in eine bestimmte Richtung schauen; Klägerin wird irgendetwas in den Mund reingesteckt und ihr lief etwas Klebriges übers Gesicht; Stechen mit spitzen Hölzern zum Beispiel in die Ohren, den Bauchnabel, die Brust, die Oberarme, in den Genitalbereich; Zwang zur Beobachtung der Fesselung und Schläge des Bruders) als vorsätzliche und rechtswidrige tätliche Angriffe anerkennen würde. Der Hilfsantrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens "zu den Fragen nach der Beweisanordnung des Bayerischen Landessozialgerichts" war abzulehnen. Ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag liegt insoweit nicht vor; davon abgesehen fühlt sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 SGG).

Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff muss danach zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen bedingt haben muss. Dabei müssen sich die drei Glieder der Kausalkette selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht.

Diese drei Glieder der Kausalkette (vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff, Primärschaden, Schädigungsfolgen) müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt, d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R; Urteil vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R und vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 3/13 R; alle in juris). Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt.

Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R - in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch für den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 25.03.2004, Az.: B 9 VS 1/02 R, juris Rn. 16 und vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 3/13 R, juris Rn. 14 m.w.N.).

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben der Schädigung, die durch zur Überzeugung des Gerichts feststehende vorsätzliche und rechtswidrige tätliche Angriffe bedingt ist, mehrere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist diese Schädigung versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge ihr zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die durch den vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff bedingte Schädigung in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R, juris, Rn. 18 mit Hinweis auf Urteil vom 06.12.1966, Az.: 9 RV 346/65 und Urteil vom 20.07.2005, Az.: B 9aV 1/05 R, alle in juris). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R, juris Rn. 18 unter Bezug auf BSG, Urteil vom 27.02.1962, Az.: 10 RV 119/59, juris). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R, juris, Rn. 18 unter Bezug auf BSG, Urteil vom 10.06.1995, Az.: 10 RV 390/54 und Urteil vom 12.06.2001, Az.: B 9 V 5/00 R, alle in juris). Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Anspruchsstellers.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG geht der Senat (vgl. etwa Urteile vom 5. Februar 2013, Az. L 15 VG 42/09, vom 20. Oktober 2015, Az. L 15 VG 23/11, vom 26. Januar 2016, Az. L 15 VG 30/09, alle in juris) unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung von folgenden rechtlichen Maßgaben aus:

Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung zu sehen (BSG, Urteil vom 10. September 1997, Az. 9 RVg 1/96, vom 7. April 2011, Az. B 9 VG 2/10 R, zuletzt vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, alle in juris). Entscheidend ist dabei auf der einen Seite die Rechtsfeindlichkeit im Sinne vor allem einer Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, wobei sich die Auslegung dieses Begriffs allerdings von subjektiven Merkmalen wie etwa einer kämpferischen oder feindseligen Absicht des Täters mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes weitestgehend gelöst hat. Auf der anderen Seite genügt es nicht, dass die Tat gegen eine Norm des Strafgesetzes verstößt. Denn die Verletzungshandlung im OEG ist nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt. Dessen ungeachtet orientiert sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" an der im Strafrecht zu den §§ 113,121 Strafgesetzbuch (StGB) gewonnenen Bedeutung. Wesentlich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. B 9 V 3/15 R, in juris Rn. 23, unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs 7/2706 S. 10).

In Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern kommt es für die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes entscheidend darauf an, dass die Begehungsweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche (oder das spielerische) Moment im Vordergrund steht (BSG vom 7. April 2011, AZ. B 9 VG 2/10 R, in juris).

Der tätliche Angriff in Form des sexuellen Missbrauchs muss nachgewiesen sein. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Ausreichend und erforderlich ist insoweit ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. B 9 VG 3/99 R, in juris).

Für den Senat steht trotz gewisser Zweifel, die sich aus dem geringen Konkretisierungsgrad der Angaben ergeben, sich aber noch nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichtet haben, fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs geworden ist, als sie und ihr Bruder R beim Täter im Keller waren, ihr Bruder nur mit einer Unterhose bekleidet gesessen ist und die stehende Klägerin, bekleidet mit Unterhemd und Schlüpfer, Bewegungen an der Hose von R gemacht hat. Dieser Sachverhalt steht für den Senat fest aufgrund der Aussage der Zeugin P, die diese im Erörterungstermin vor dem SG gemacht hat. Das SG hat diese Angabe nach ihrer persönlichen Einvernahme für glaubhaft erachtet. Der Senat hat keine Veranlassung, von dieser Einschätzung des SG abzuweichen. Es handelt sich hierbei - im Gegensatz zu den von der Klägerin in eigener Sache geschilderten Vorfällen - um die Wiedergabe einer Beobachtung über einen Vorfall, in den die Zeugin nicht selbst involviert war. Die 1965 geborenen Zeugin war zum Zeitpunkt ihrer Beobachtung auch immerhin bereits mindestens 8 Jahre alt.

Bei dem von der Zeugin geschilderten Vorgang handelt es sich um einen sexuellen Missbrauch von Kindern jedenfalls gemäß § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung des 4. StrG vom 23. November 1973 (a.F.). Gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. wird mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt. Ebenso wird gemäß § 176 Abs. 2 StGB a.F. bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vor ihm oder einem Dritten vornimmt, um sich, das Kind oder einen anderen hierdurch sexuell zu erregen (§ 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F.).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Täter die Klägerin zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum des Zusammenlebens im gleichen Haus mit dem Täter vom 9. Januar 1974 bis 16. Dezember 1974 durch Überreden o.ä. veranlasst hat, "Bewegungen an der Hose" ihres Bruders R vorzunehmen, um sich dadurch sexuell zu erregen. Der Sexualbezug der von der Klägerin vorgenommenen "Bewegungen an der Hose" ergibt sich für den Senat aus dem Umstand, dass sowohl die Klägerin als auch ihr Bruder R nur mit Unterwäsche bekleidet waren. Unerheblich ist, ob es zu einem Körperkontakt zwischen der Klägerin und ihrem Bruder gekommen ist, da kontaktlose sexuelle Handlungen von § 176 Abs. 5 Nr. 2 StGB a.F. erfasst werden. Die Klägerin ist damit zu sexuellen Handlungen im Sinne dieser Vorschrift bestimmt worden. Da damit der Straftatbestand des Kindesmissbrauchs erfüllt ist, kommt es nicht darauf an, dass keine gewaltsame Einwirkung gegenüber der Klägerin insoweit nachgewiesen ist.

Für die weiteren streitgegenständlichen, von der Klägerin bei Antragstellung geltend gemachten und in ihrer Einvernahme vor dem SG wiederholten Vorfälle mit dem Täter (Schläge mit dem Stock in die Beine beim Laufen durch den Garten; Täter will Klägerin packen, Klägerin schlägt die Hände weg; Klägerin befindet sich nackt mit ihrem ebenfalls nackten Bruder im Keller; Klägerin muss Geschlechtsteil ihres Bruders anfassen und in eine bestimmte Richtung schauen; Klägerin wird irgendetwas in den Mund reingesteckt und ihr lief etwas Klebriges übers Gesicht; Stechen mit Spitzenhölzern zum Beispiel in die Ohren, den Bauchnabel, die Brust, die Oberarme, in den Genitalbereich; Zwang zur Beobachtung der Fesselung und Schläge des Bruders) gibt es jedoch keinen Nachweis in Form eines Sachbeweises oder von Zeugenaussagen, die solche bestätigen würden. Sämtliche einvernommenen Zeugen konnten insoweit keine Angaben aus eigener Anschauung machen.

Allerdings kommt der Klägerin hier die Beweiserleichterung des § 15 S. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG), die gemäß § 6 Abs. 3 OEG auch im Opferentschädigungsverfahren Anwendung findet, zugute. Nach dieser - sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren anzuwendenden (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, Az. B 9 RVg 3/89, in juris) - Bestimmung sind Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind. Mit dieser Verweisung wollte der Gesetzgeber der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen. Die Bestimmung findet also auch dann Anwendung, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind, etwa weil der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist (vgl. BSG, Urteile vom 31. Mai 1989, Az. B 9 RVg 3/89, vom 17. April 2013, Az. B 9 V 1/12 R, alle in juris), Zeugen vorhanden sind, diese aber von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen und sebst dann, wenn eine als Täter in Betracht kommende Person als Zeuge aussagt, die schädigende Handlung aber bestreitet (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, in juris). Auch in letzterem Fall sei die Beweisnot des Opfers nicht geringer als in den anderen Fällen.

Der Senat schließt sich hier der Einschätzung des SG an, dass mit den diesbezüglichen vagen, ausgesprochen detailarmen Erinnerungsfetzen der im relevanten Zeitraum erst 6 Jahre alten Klägerin, die diese zudem erst nach vielen Jahren wiedergewonnen haben will, eine Glaubhaftmachung dieser Taten nicht gelingen kann. Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurden die diesbezüglichen Ausführungen des SG von Seiten der Klägerin auch nicht fundiert angegriffen. Die Berufungsbegründung richtete sich vielmehr gegen das Gutachten von F und zielte auf die Einholung eines weiteren Gutachtens ab. Auch im Erörterungstermin vor dem erkennenden Senat wurde nicht die Einvernahme weiterer Zeugen beantragt, um weitere vorsätzliche und rechtswidrige tätliche Angriffe nachzuweisen. Angesichts dessen verweist der Senat insoweit zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des SG, denen er sich anschließt und insoweit von einer weiteren Begründung absieht.

Ergänzend und vertiefend weist er darauf hin, dass auch aus der Sicht des Senats aus dem ausweislich der Kurzmitteilung der KPI R an die KPI L vom 15. April 2017 von der Klägerin zusammen mit ihrer Schwester A an diesem Tag initiierten Strafverfahren gegen ihre Brüder P1 und R2 (101Js 18507/17 jug.) Zweifel an von der Klägerin gemachten Angaben resultieren. Die von der Klägerin mitgetragenen Vorwürfe, ihre beiden Brüder hätten die damalige Freundin des P1 erstochen, die dann unter ihrer Mithilfe vergraben worden sei, wurden ausweislich des genannten Vermerks auf "bruchstückhafte, nicht konkret greifbare Erinnerungen" gestützt. Diese Erinnerungen haben sich ausweislich der Einstellungsverfügung als haltlos erwiesen. Der Senat schließt sich unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin vor dem SG zu der Genese der Anzeige insoweit der Einschätzung von F an, wonach es sich hierbei um einen Vorgang handelt, bei der es zu gegenseitig bestätigenden und verstärkenden Erinnerungen der Geschwister gekommen ist, wobei verschiedene Fetzen aus der Kindheit, Träume, Zeichnungen, Ereignisse in der Zeit bei der Pflegefamilie zusammen kombiniert worden sind und so ein Gesamtbild entstanden ist.

Auch die Erinnerungen der Klägerin zu den oben genannten Vorfällen sind von ihr über Jahre nicht erinnert worden. Vielmehr wurde ausweislich der Aussage der Klägerin vor dem SG der Erinnerungsprozess im Jahr 2014 durch ihre Schwester A ausgelöst. Sie, die Klägerin und ihre Schwester A, hätten dann versucht, genauer hinzuschauen, danach seien bei ihr Erinnerungen wieder hochgekommen, sie habe nachts zum Beispiel plötzlich wieder ein Bild im Kopf gehabt. Die Klägerin hat, so F, nicht eine bewusst verfügbare autobiografische Erinnerung aktiv unterdrückt - ein solcher aktiver Unterdrückungsprozess hat einen erlebnisbezogenen Charakter -, sondern ein "unbewusstes" Geschehen aus einem letztlich fiktiven Traumagedächtnis "verdrängt", wobei die persönliche Erinnerung erst durch die therapeutisch induzierte Erinnerung der Schwester A "katalysiert" worden sei. Auch insoweit besteht also die Möglichkeit, dass es zu einer Rekonstruktion von Erinnerungen im gemeinsamen Gespräch gekommen ist, die nicht der Realität entsprechen. Unter weiterer Berücksichtigung der von F ebenfalls hervorgehobenen Tatsache, dass sich die Erinnerung der Klägerin an die Schädigungszeit im Wesentlichen auf das erlittene Unrecht beziehe, dass es sich "wie ausgestanzt nur um Schädigungsereignisse handele", erscheint es auch dem Senat unmöglich, diese Erinnerungen von Konfabulationen und Quellenverwechslungen, die laut F häufig die Ursache für Fehlerinnerungen und Erinnerungstäuschungen sind, zu unterscheiden. Es lässt sich damit nicht mehr mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit feststellen, ob die Taten tatsächlich wie geschildert geschehen sind, oder ob eine vergleichbare Rekonstruktion von Erinnerungen auch in Bezug auf die angegebenen Taten erfolgt ist.

Der Senat legt dabei Wert auf die Feststellung, dass er nicht die Glaubwürdigkeit der Klägerin anzweifelt. Er geht davon aus, dass die Klägerin fest davon überzeugt ist, über erlebnisfundierte Erinnerungen zu verfügen. Damit nimmt der Senat auch nicht an, dass die Klägerin sowohl dem Beklagten als auch dem SG und dem erkennenden Senat gegenüber Angaben macht, von deren Unwahrheit sie selbst ausgeht. Der Senat zieht nur aufgrund der dargelegten Umstände die Erlebnisfundiertheit dieser Erinnerungen in Zweifel mit der Folge, dass er sie nicht mehr als glaubhaft anzusehen vermag.

Zusammenfassend besteht durchaus die Möglichkeit, dass weitere Taten, so wie sie geschildert worden sind, stattgefunden haben, der Senat sieht aber nicht eine für eine Glaubhaftmachung erforderliche gute Möglichkeit für solche Taten zulasten der Klägerin.

Die im Gutachten von F deutlich zu Tage tretende Skepsis gegenüber den Angaben der Klägerin zu ihren eigenen Erinnerungen wird, soweit diese nicht von älteren Geschwistern gestützt werden, vom Senat also geteilt. Der Senat ist nicht daran gehindert, sich diese Einschätzungen des Sachverständigen F zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin zu eigen zu machen. Diese sind in der Sache überzeugend. Ein Sachverständiger ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, berechtigt und verpflichtet, von dem Probanden getätigte Aussagen kritisch zu hinterfragen und auf ihre Plausibilität zu überprüfen, da dies Einfluss auf die Würdigung von Symptomschilderungen und der Kausalfrage haben könne.

Im Übrigen ist schon jetzt darauf hinzuweisen, dass sich kein anderes Ergebnis ergeben würde, wenn die weiteren Vorfälle mitberücksichtigt würden, da sie nach den Feststellungen von S1 auch dann keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen zu den als vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff zu qualifizierenden Vorkommnisse ergeben würde. Dies hat die Sachverständige sowohl in ihrem Gutachten ausgeführt als auch im Erörterungstermin vor dem erkennenden Gericht ausdrücklich noch einmal bestätigt.

Das SG hat auch zutreffend entschieden, dass sich aus der vielfach aktenkundig gewordenen Vernachlässigung der Klägerin in ihrer Familie durch die offensichtlich überforderte, wohl alkoholkranke Mutter als solches kein Schädigungstatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ergibt. Relevante vorsätzliche und rechtswidrige tätliche Angriffe wurden insoweit weder geltend gemacht noch hat der Beklagte dementsprechend über solche entschieden. Rein seelische Misshandlungen sind keine tätlichen Angriffe, die Vernachlässigung von Kindern und auch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge sind für sich genommen keine Gewalttat im Sinne des OEG. Soweit ab dem 1. Januar 2024 durch das Sozialgesetzbuch 14. Buch - SGB XIV - insoweit eine Änderung eintritt, als auch eine erhebliche Vernachlässigung von Kindern zu einer Entschädigung führen kann (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV), ist diese Regelung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht einschlägig, da das SGB XIV - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - erst am 1. Januar 2024 in Kraft tritt. Aber auch nach Inkrafttreten des SGB XIV ist eine Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen, da die Neuregelungen nur für Sachverhalte nach dem 31. Dezember 2023 Geltung beanspruchen: § 137 SGB XIV bestimmt, dass dieses Buch für Anträge auf Leistungen der sozialen Entschädigung gilt, die ab dem 1. Januar 2024 gestellt werden, soweit die Vorschriften dieses Kapitels nichts Abweichendes bestimmen. In § 138 Abs. 3 SGB XIV ist geregelt, dass Personen, die die Klägerin, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, Leistungen nach diesem Buch erhalten, wenn sie
1. die Voraussetzungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in der zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung erfüllen,
2. allein infolge dieser Schädigung einen Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 haben,
3. bedürftig sind und
4. ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

Dies bedeutet, dass für die Frage, ob und nach welchen Vorschriften Entschädigungsleistungen an Opfer von Gewalttaten erbracht werden, der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die Gewalttat oder die Gewalttaten ausgeübt wurden. Für Altfälle im Sinne des § 10a OEG verbleibt es also auch nach dem 31. Dezember 2023 bei bei einer Anwendung des Rechts des OEG in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung.

Bei Zugrundelegung des oben wiedergegebenen, für den Senat nachgewiesenen vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG lassen sich jedoch keine Schädigungsfolgen feststellen. Ein - aufgrund § 10a OEG erforderlicher (es liegt ein sogenannter Altfall vor, da die nachgewiesenen und auch die behaupteten tätlichen Angriffe ausnahmslos im Zeitraum 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 stattgefunden haben bzw. haben sollen) - GdS von 50 lässt sich nicht feststellen.

Auch wenn die Diagnosen, die F und S1 bei der Klägerin erhoben haben, etwas differieren, so haben sie jedoch übereinstimmend festgestellt, dass sich kein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Tat und den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen feststellen lässt.

Dr S1 geht von einer rezidivierenden depressiven Störung mittelschwer bis schwer ausgeprägt mit latenter Suizidalität vor dem Hintergrund einer soziophobischen, ängstlich-vermeidenden und selbstunsicheren Persönlichkeitsakzentuierung, einer anamnestisch bekannten Traumafolgestörung im Sinne einer Anpassungsstörung in der Kindheit und einer Essstörung aus.

F nimmt demgegenüber ein missmutig verbittertes depressives Syndrom als Dysthymie, darin enthalten auch das von E erwähnte psychovegetative Erschöpfungssyndrom, an. Er postuliert damit eine etwas leichtere Gesundheitsstörung der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet, was sich auch in der Festsetzung eines geringeren Grades der Behinderung (GdB) widerspiegelt, der unabhängig von der Ursache der vorliegenden Gesundheitsstörungen festgesetzt wird. Hier geht F nur von einem GdB von 40 aus, während S1 einen GdB von 50 für angemessen hält.

Von Bedeutung ist, dass weder S1 noch F vom Vorliegen einer PTBS ausgehen, die Folge der Tat sein könnte. S1 hat überzeugend dargelegt, dass sich aus Heimberichten und Schulzeugnissen nicht entnehmen lässt, dass bei der Klägerin entsprechende Symptomkriterien aufgetreten seien. Die in den Heimberichten genannten Defizite (Ängstlichkeit, fehlende Selbstbewusstsein, Empfindsamkeit, Abhängigkeit von Lob und Anerkennung) lassen nicht den Rückschluss auf eine PTBS zu. F hat gleichermaßen erklärt, dass sich aus den Befunden keine Symptomatik einer PTBS oder einer komplexen Traumafolgestörung ableiten lassen.

Die genaue diagnostische Bezeichnung der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen ist nicht von streitentscheidender Bedeutung. Allein maßgeblich ist der Umstand, dass die Sachverständige S1 - ebenso wie F - eine Vielzahl von möglichen Ursachen für die Entstehung und Ausprägung der Gesundheitsstörungen der Klägerin identifiziert hat. Der Senat ist davon überzeugt, dass die nachgewiesene Tat in ihrer Bedeutung und Tragweite für deren Eintritt allein nicht mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen.

Die Sachverständige hat insoweit als relevante Konkurrenzursachen identifiziert, dass die Klägerin nach einer ersten Zeit im Heim in ihrer Herkunftsfamilie in lieblosen und verwahrlosten Zuständen aufgewachsen sei. Dieser Umstand steht für den Senat fest zum einen aufgrund der entsprechenden Eintragungen in der Jugendamtsakte ("Haushalt völlig zusammengebrochen") und zum anderen aufgrund der Aussagen der vor dem SG einvernommenen Zeugen. So hat der Zeuge M1 davon gesprochen, dass in dem Haus immer ein Durcheinander, ein Chaos geherrscht habe, die Mutter selten anwesend gewesen sei und die Kinder damals fast nicht zu essen bekommen hätten. Die Zeugin P hat u.a. mitgeteilt, dass die Mutter schon immer überfordert gewesen sei, auch wegen der vielen Geschwister.

Darüber hinaus hat die Sachverständige - für den Senat nachvollziehbar - auf die weitere Traumatisierung in der ersten Pflegefamilie, erzwungene Kontaktabbrüche zu langjährigen Bezugspersonen beim Übergang vom Heim in die Familie, dann zurück ins Heim und dann zu wechselnden Pflegefamilien hingewiesen. In beiden Pflegefamilien habe es schwere Defizite gegeben im Hinblick auf eine liebevolle emotionale Unterstützung und auch positiven Körperkontakt. Man könne insgesamt von einer Milieuschädigung sprechen.

Aus den Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen S1 lässt sich unschwer nachvollziehen, dass die Klägerin erheblichen Traumatisierungen auch in der ersten Pflegefamilie ausgesetzt war. Mit der Pflegefamilie J, so die Klägerin, sei es ziemlich bald schwierig geworden. Ihr Pflegevater habe sie geschlagen, habe ihren Rückzug nicht verstanden, ihr sei aber alles viel zu viel gewesen. Ihre Pflegemutter habe sie als sehr abweisend und kalt erlebt, die Pflegeeltern hätten sie und ihre Schwester wie Luft behandelt, man habe keinerlei Interesse mehr an ihnen gehabt. Sie hätten nicht alles so gemacht, wie die Pflegeeltern sich das vorgestellt hätten. Aus der gemeinsamen Zeit in Südafrika hat die Klägerin berichtet, sie habe mit ihrer Schwester A darüber geredet, nicht mehr leben zu wollen. Sie sei mit ihr am Strand gewesen und sie hätten darüber gesprochen, dass alles vorbei wäre, wenn sie jetzt ertrinken würden. Es hätte in Südafrika schön sein können, es sei aber tatsächlich traurig gewesen wegen der schrecklichen Beziehung zu den Pflegeeltern. Sie hätten mit diesen nicht mehr gesprochen, das Singen sei ihnen verboten worden, sie hätten nicht mehr den Rasen betreten und den Pool benutzen dürfen. Beim Essen seien sie nicht mehr am Tisch erwünscht gewesen, sie hätten in ihrem Zimmer auf dem Boden gegessen. Schließlich sei ihnen mitgeteilt worden, dass sie wieder zurück nach Deutschland müssten.

Auch in der zweiten Pflegefamilie, der Familie H, hat sich die Kläger ihren eigenen Angaben zufolge fremd und nicht zugehörig gefühlt. Die eigene Tochter der Pflegefamilie sei von den Pflegeeltern bevorzugt worden. Nach einem Jahr sei sie froh gewesen, wieder gehen zu können.

S1 hat insoweit angemerkt, dass die frühkindliche Entwicklung der Klägerin intellektuell und motorisch normal gelaufen sei, allerdings verbunden mit Selbstunsicherheit und großem Bedürfnis nach Lob und Unterstützung. Die Klägerin habe nur sehr wenige positive Erfahrungen als Heimkind und später in den Pflegefamilien machen können, sei auf sich allein gestellt gewesen. Im Verlauf dann bis in die Gegenwart ergebe sich ein zunehmendes Bild ausgeprägter Ängstlichkeit, Selbstunsicherheit, Scheu vor Menschen sowie Selbstabwertung.

Es habe sich eine grundsätzlich ängstlich-vermeidende Haltung nicht nur gegenüber Männern, sondern auch gegenüber Frauen mit Ausnahme der Schwester herausgebildet sowie ein erhebliches Misstrauen gegenüber potentiellen Hilfspersonen. Später hätten sich dann als belastende Faktoren die Überforderung als alleinerziehende Mutter, zunehmende Ängste in ihrer selbstständigen Tätigkeit als Tagesmutter bezüglich den Anforderungen der Eltern und der Sorge, den Kindern könnte etwas passieren, sowie die Enttäuschung, dass beide Söhne psychische Probleme haben, hinzugesellt.

Angesichts dieser Vielzahl von belastenden Faktoren steht für den Senat fest, dass die Traumatisierung durch die nachgewiesene Tat - und auch bei Berücksichtigung der sonstigen geltend gemachten Sachverhalte - nicht mindestens dasselbe Gewicht hat wie die Konkurrenzursachen zusammen. Eine Feststellung, die einen derartigen Zusammenhang bestätigen würde, findet sich in keinem der vorliegenden Gutachten. Beide Sachverständigen haben hingegen übereinstimmend erklärt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht als Folgen der anerkannten Schädigungen im Sinne des OEG weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung medizinisch nachgewiesen seien. S1 hat in ihrem Gutachten auch festgehalten, dass sich an diesem Ergebnis nichts ändern würde, wenn man die sonstigen geltend gemachten Taten mitberücksichtigen würde.

Die von der Klägerin erhobenen zahlreichen Einwendungen in ihren diversen Schriftsätzen gegen die Gutachten von F und S1 können nicht überzeugen. In Bezug auf F macht die Klägerin vor allem geltend, dass er sich im Hinblick auf seine Ausführungen über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin über den Gutachtensauftrag hinweggesetzt habe und seiner Beurteilung nicht die vom SG vorgegebenen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt habe. Dies trifft jedoch nicht zu. F hat etwa ausdrücklich formuliert, dass die Situation eines gescheiterten Lebens nicht, wie es von der Klägerin und ihrem Anwalt nahegelegt werde, mit der erforderlichen Sicherheit auf die spezifische Schädigung, wie sie hier gerichtlich festgestellt sei, zurückgeführt werden könnte. Daraus geht klar hervor, dass F sich nicht über den Gutachtensauftrag hinweggesetzt hat.

Im Übrigen enthalten die Stellungnahmen zum Gutachten von F ebenso wie diejenigen zu dem von S1, zuletzt mit dem im Erörterungstermin überreichten Schriftsatz vom 25. Juli 2023, eine Vielzahl von Einwendungen gegen einzelne Feststellungen der Sachverständigen zum Sachverhalt und zu den von der Klägerin bei der Exploration gemachten Angaben.

Die von der Klägerin erhobenen Einwendungen gegen das Gutachten von S1 mögen im Detail zutreffen (zum Beispiel geringfügig falsche Angabe des Gewichts der Klägerin im Gutachten), wobei es dahinstehen bleiben kann, worauf diese Unrichtigkeit beruht. Die Einwendungen in Bezug auf Details vermögen aber auch nicht in ihrer Gesamtheit für den Senat die Grundaussage der Sachverständigen in Frage stellen, wonach die vorliegenden Gesundheitsstörungen medizinisch nicht als Folgen der anerkannten Schädigungen im Sinne des OEG weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung nachgewiesen werden können, da die Klägerin durch eine Vielzahl von Konkurrenzursachen traumatisiert worden ist. Diese Kernaussage hat die Sachverständige überzeugend aus einer ausführlichen Nachzeichnung des Lebenswegs der Klägerin und den damit verbundenen Traumatisierungen gewonnen. Im Übrigen hat S1 klargestellt, dass sie die Aussagen der Klägerin bei der Anamnese handschriftlich so gut wie möglich mitschreibe und nach Verabschiedung der Probandin das Geschriebene sofort diktiere. Entscheidend sei das Gesamtbild. Selbst wenn sämtliche Einwendungen der Klägerin im Detail zutreffend wären, hat der Senat keinen Grund zur Annahme, dass die Grundaussage der Sachverständigen unzutreffend wäre.

Noch deutlicher wird in Bezug auf die Frage der Kausalität zwischen der nachgewiesenen Tat und den Gesundheitsstörungen der Klägerin F, der klarstellt, dass die Annahme einer Kausalität zwischen der nachgewiesenen Tat und den jetzt bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen rein spekulativ wäre. Er hat nachvollziehbar unter Hinweis auf den Bericht von H1 vom Juli 2016 über den Behandlungsversuch im Jahr 2007 darauf hingewiesen, dass Behandlungsanlässe im Vorfeld Überforderungssituationen bei der persönlichen Lebensführung (Arbeitsplatzverlust, Partnerverlust, alleinerziehende Mutter, Tagesmuttertätigkeit) gewesen seien. Auch die Indikation für eine Mutter-Kind-Kur sei von B2 wegen Überforderung bei Partnerproblematik und alleinerziehend durchgeführt worden. Konkrete psychische Beeinträchtigungen der damaligen Vorkommnisse seien nicht erinnert worden. Anhaltspunkte für durchgängige psychische Störungen als Traumafolgen gebe es nicht, auch keine Brückensymptome zwischen dem Schädigungsereignis und den wiedereinsetzenden Erinnerungen nach 40 Jahren. Der Senat macht sich diese Feststellungen von F zur Kausalität ebenfalls zu eigen.

Damit sind keine Schädigungsfolgen feststellbar mit der Folge, dass ein Anspruch auf Beschädigtengrundrente sowie Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte nicht in Betracht kommt. Die von der Klägerin begehrte "Berechnung" eines GdS kommt damit ebenfalls nicht in Betracht. Dieser ist mangels feststellbarer Schädigungsfolgen 0.

Der hilfsweise gestellte Antrag, "ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG zu den Beweisfragen nach der Beweisanordnung des Bayerischen Landessozialgerichts" einzuholen, wird abgelehnt.

Aus Sicht des Senats liegt insoweit schon kein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs 2 SGG iVm § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, 403 Zivilprozessordnung - ZPO - vor. Ein Beweisantrag muss aufzeigen, über welche im Einzelnen bezeichneten "zu begutachtenden Punkte" (Tatsachen) Beweis erhoben werden sollte. Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt das Gericht in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit eines Antrags zu prüfen und gegebenenfalls eine Ablehnung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ausreichend zu begründen (vgl. BSG, Beschluss vom 28. November 2022, Az. B 9 SB 28/22 B, in juris Rn. 8 m.w.N.).

Zwar wurde in dem im Erörterungstermin vor dem erkennenden Gericht gestellten Hilfsantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf die Beweisanordnung des Bayerischen Landessozialgerichts verwiesen. Die bloße Bezugnahme auf die bei den vorangegangenen Gutachten gestellten Beweisfragen reicht jedoch nicht aus. Im Rahmen eines Verfahrens nach dem Opferentschädigungsgesetz muss sich ein Beweisantrag möglichen präzise mit den vorliegenden Gesundheitsstörungen und der Frage auseinandersetzen, ob und inwieweit diese auf einen vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des auf § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zurückgehen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen. Es bedarf besonderer Angaben, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich ist. Hierfür müssen gezielt etwa zusätzliche Gesundheitsstörungen behauptet und möglichst genau bezeichnet ("dargetan") oder in Bezug auf die Kausalitätsbeurteilung konkrete Angaben zu der Notwendigkeit einer erneuten Begutachtung gemacht werden (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Februar 2015, Az. B 13 R 372/14 B in Bezug auf das Rentenrecht).

An solchen besonderen konkreten Angaben mangelt es hier. Im Antrag wird schon nicht einmal dargelegt, auf welchem Fachgebiet das Gutachten eingeholt werden soll. Im Übrigen fehlt es an jeglichen Angaben zu den zu begutachtenden Tatsachen und zu der Frage, weshalb die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich sein soll. Auch wird nicht hypothetisch umrissen, was die Beweisaufnahme erbringen soll.

Deswegen, aber auch davon abgesehen fühlt sich der Senat nicht gedrängt, ein weiteres Gutachten einzuholen. Es liegen zwei umfangreiche Sachverständigengutachten auf nervenärztlichem-psychosomatischem Fachgebiet (F) und auf neurologischem-psychiatrischem Fachgebiet (S1) vor, in denen die Gesundheitsstörungen der Klägerin ausführlich dargestellt werden und eine Kausalitätsbeurteilung vorgenommen wird. Die geringfügigen, nicht entscheidungserheblichen Differenzen in der Diagnosestellung rechtfertigen nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens auf nervenärztlichem Fachgebiet.

Der Senat fühlt sich auch nicht zu einer Einholung eines Gutachtens auf einem anderen, somatischen Fachgebiet gedrängt. Insoweit ist schon nicht einmal ansatzweise ersichtlich, welche somatischen Gesundheitsstörungen auf die hier streitgegenständliche und als nachgewiesen anzusehende Tat ("Der Beschuldigte veranlasste die nur mit Unterhemd und Schlüpfer bekleidete Klägerin, Bewegungen an der Unterhose ihres Bruders R auszuführen") zurückzuführen sein sollten. Die Möglichkeit einer - zu einem GdS von 50 führenden - körperlichen Verletzung der Klägerin bei der geschilderten Tathandlung ist nicht ersichtlich.

Aber auch bei fiktiver Mitberücksichtigung der sonstigen Taten von der Klägerin beantragten Taten (Schläge mit dem Stock in die Beine beim Laufen durch den Garten; Täter will Klägerin packen, Klägerin schlägt die Hände weg; Klägerin befindet sich nackt mit ihrem ebenfalls nackten Bruder im Keller; Klägerin muss Geschlechtsteil ihres Bruders anfassen und in eine bestimmte Richtung schauen; Klägerin wird irgendetwas in den Mund reingesteckt und ihr lief etwas Klebriges übers Gesicht; Stechen mit spitzen Hölzern zum Beispiel in die Ohren, den Bauchnabel, die Brust, die Oberarme, in den Genitalbereich; Zwang zur Beobachtung der Fesselung und Schläge des Bruders) würde sich für den Senat nicht eine Beweiserhebung in einem somatischen Fachgebiet aufdrängen. Dies gilt auch für die von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 25. Juli 2023 geltend gemachten "kleinen Gegenstand unter der Haut am rechten Oberarm", den sie in Bezug setzt zu dem von ihr behaupteten Umstand, der Täter habe sie mit spitzen Hölzern gestochen. In Bezug auf das Stechen mit spitzen Hölzern - insoweit könnte theoretisch eine somatische Gesundheitsschädigung entstanden sein - fehlt es nämlich bereits an jeglichem nachgewiesenen Primärschaden, der durch den - hier ohnehin nur fiktiv unterstellten - vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff entstanden ist, der wiederum dann zu Schädigungsfolgen geführt haben könnte. Aus sämtlichen Unterlagen, die aus damaliger Zeit vorliegen, lassen sich keine Angaben über eine medizinische Behandlung der Klägerin in Bezug auf durch derartige Handlungen ausgelöste Gesundheitsstörungen entnehmen. Die Jugendamtsberichte sind insoweit blande. Davon abgesehen kommt ersichtlich keine Vergabe eines GdS von mindestens 50 für "kleine Gegenstände unter der Haut am rechten Oberarm" in Betracht. Auch zu einer Untersuchung des Schädels, die von der Klägerin in demselben Schriftsatz angemahnt worden ist, weil sie schon bei Gericht ausgesagt habe, dass sie von der Kellerwohnung des Täters die Treppen hochgelaufen sei und am Kopf geblutet habe, gibt es aus denselben Gründen keine Veranlassung für den Senat.

Davon abgesehen ergeben sich auch aus den vorliegenden Befundberichten keine Hinweise auf mögliche Gesundheitsstörungen, die auch nur ansatzweise mit den nur hilfsweise als vorsätzliche und rechtswidrige tätliche Angriffe angesehenen Vorfällen in Zusammenhang stehen könnten.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 15. November 2021 war damit zurückzuweisen und der Hilfsantrag abzulehnen.

Die Kostenentscheidung (vgl. § 193 SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved