1. Beiträge zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung sind auch dann vom Einkommen abzusetzen, wenn von zwei Partnern in einer Bedarfsgemeinschaft der eine das Einkommen (hier: aus einer Erwerbsminderungsrente) erzielt, während dem anderen das Fahrzeug gehört, er die Versicherung unterhält und die Beiträge zahlt.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 25. März 2022 wird aufgehoben, soweit darin die ursprünglich unter den Aktenzeichen S 24 AS 1435/20 und S 24 AS 1212/21 geführten Klagen abgewiesen werden.
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 6. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2021 verpflichtet, seinen Bescheid vom 24. März 2020 abzuändern und dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. für Mai 2020 jeweils weitere 15,51 € zu zahlen.
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 11. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 5. Januar 2022 verurteilt, dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. für Juni 2020 jeweils weitere 15,51 € zu zahlen.
Der Beklagte hat den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate Mai und Juni 2020. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs Beiträge des Klägers zu 1. zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung vom Einkommen der Klägerin zu 2. aus einer Erwerbsminderungsrente abzusetzen sind.
Der 1961 geborene Kläger zu 1. und die 1958 geborene Klägerin zu 2. sind Eheleute. Sie lebten gemeinsam in einer Wohnung einer Wohnungsgenossenschaft in H.. Für diese Wohnung hatten sie ab September 2019 monatlich 381,21 € zu zahlen. Davon entfielen 283,42 € auf die Nutzungsgebühr, 65,22 € auf die Betriebskostenvorauszahlung und 32,57 € auf die Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung.
Der Kläger zu 1. war ab 2014 Eigentümer und Halter eines Pkw (VW Golf V, Erstzulassung 2005). Für diesen unterhielt er eine Kfz-Versicherung bei der A. für die er im Jahr 2020 monatlich 44,78 € zahlte. Vom jährlichen Versicherungsbeitrag i.H.v. insgesamt 537,36 € brutto entfielen 372,24 € brutto auf die Haftpflichtversicherung. Die Klägerin zu 2. besaß kein eigenes Fahrzeug und auch keine Fahrerlaubnis.
Die Klägerin zu 2. bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der monatliche Auszahlbetrag belief sich ab Juli 2019 auf 1.001,85 €.
Mit Bescheid vom 24. März 2020 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für die Zeit von Mai 2020 bis April 2021 i.H.v. insgesamt 187,36 € pro Monat. Nachdem die Kläger ihre Betriebskostenabrechnung vom 4. Mai 2020 vorgelegt hatten, die für Juni 2020 eine Nachzahlung von 161,94 € sowie ab diesem Monat eine Erhöhung der Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung um 5,94 € vorsah, erließ der Beklagten unter dem 11. Mai 2020 einen Änderungsbescheid und bewilligte den Klägern für Juni 2020 insgesamt 349,30 €. Dabei berücksichtigte er die geforderte Betriebskostennachzahlung, nicht aber die Erhöhung der Vorauszahlung.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung verwiesen sie auf die von ihnen zu tragenden Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die der Beklagte bei der Einkommensanrechnung zu Unrecht nicht einkommensmindernd berücksichtigt habe. Es sei unerheblich, wer von ihnen der Versicherungsnehmer sei. Sie legten ein Schreiben des Versicherungsunternehmens bei, aus dem sich der monatliche Versicherungsbeitrag i.H.v. 44,78 € ergab.
Der Beklagte forderte die Kläger daraufhin auf, bis zum 29. Juli 2020 einen Nachweis vorzulegen, wie sich dieser Beitrag zusammensetze.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2020, der am 4. August 2020 beim Prozessbevollmächtigten der Kläger einging, wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Er habe bei der Leistungsermittlung für Juni 2020 die Regelbedarfe, die Unterkunftskosten und das Einkommen zutreffend berücksichtigt. Die geltend gemachten Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung seien nicht ausreichend nachgewiesen, weil sich aus den eingereichten Unterlagen nicht ergebe, wie sich der Betrag zusammensetze. Es sei nicht zu erkennen, ob eine Kaskoversicherung, ein Schutzbrief oder ähnliches enthalten sei.
Mit Schreiben vom 11. August 2020 reichten die Kläger den angeforderten Versicherungsschein beim Beklagten ein.
Am 4. September 2020 haben die Kläger beim Sozialgericht (SG) H. Klage erhoben. Diese ist unter dem Aktenzeichen S 24 AS 1435/20 geführt worden.
Während des Klageverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2022 die Leistungsbewilligung für die Zeit von Juni 2020 bis April 2021 ab und bewilligte den Klägern wegen der Erhöhung ihrer Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung weitere 5,94 € pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH), für Juni 2020 also insgesamt 355,24 €.
Bereits am 2. August 2021 hatten die Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 24. März 2020 bzgl. des Monats Mai 2020 gestellt. Dabei hatten sie darauf hingewiesen, dass der Monat Juni 2020 bereits Gegenstand des Verfahrens S 24 AS 1435/20 und die Zeit von Juli 2020 bis April 2021 bereits Gegenstand eines anderen Verfahrens (S 24 AS 1436/20) sei. Sie machten wiederum geltend, dass der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung einkommensmindernd zu berücksichtigen sei.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. September 2021 ab. Unter Verweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zum Sozialhilferecht (Urteil vom 18. März 2008 – B 8 SO 11/06 R – juris) führte er aus, es lägen keinerlei Erkenntnisse dazu vor, dass den Klägern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder unzumutbar sei.
Den dagegen gerichteten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2021 zurück, der am selben Tag beim Prozessbevollmächtigten der Kläger einging.
Dagegen haben die Kläger am 8. November 2021, einem Montag, beim SG H. Klage erhoben. Diese ist zunächst unter dem Aktenzeichen S 24 AS 1212/21 geführt worden.
Mit Beschluss vom 21. März 2022 hat das SG die Verfahren S 24 AS 1335/20, S 24 AS 1436/20 und S 24 AS 1212/21 sowie die weiteren Verfahren S 24 AS 859/21 und S 24 AS 1086/21 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die beiden zuletzt genannten Verfahren betreffen die Zeiträume Januar und Februar 2019 sowie Juli 2021 bis April 2022; auch dort streiten die Beteiligten über die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge des Klägers zu 1. zur Kfz-Haftpflichtversicherung.
Die Kläger haben auch im Klageverfahren weiterhin die Auffassung vertreten, die Versicherungsbeiträge seien einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das Fahrzeug diene nicht nur allgemein ihrer Fortbewegung, sondern ganz wesentlich auch der besseren Integration des Klägers zu 1. in den Arbeitsmarkt. Durch die damit garantierte Mobilität sei er deutlich besser zu vermitteln als ohne Kfz. Da es gerade das Wesen einer Bedarfsgemeinschaft sei, dass ihre Mitglieder sich gegenseitig unterstützten, dürfe die einkommensmindernde Berücksichtigung der Versicherung nicht allein deshalb unterbleiben, weil Versicherungsnehmer nicht die Person sei, die das Einkommen erzielt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Beiträge des Klägers zu 1. zur Kfz-Haftpflichtversicherung könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil nur die Klägerin zu 2. Einkommen erzielt habe. Weiter hat er erneut auf das Urteil des BSG vom 18. März 2008 (a.a.O.) verwiesen, wonach einem Hilfeempfänger zuzumuten sei, auf das Halten eines Kfz zu verzichten. Gesundheitliche Einschränkungen der Kläger, derentwegen ihnen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder nicht zumutbare wäre, seien nicht bekannt.
Mit Gerichtsbescheid vom 25. März 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die Rente der Klägerin zu 2. zutreffend auf den Leistungsanspruch der Kläger angerechnet. Insbesondere sei der Beitrag des Klägers zu 1. zu seiner Kfz-Haftpflichtversicherung davon nicht in Abzug zu bringen. Eine normative Zuordnung dieser Kosten zur Klägerin zu 2. komme nicht in Betracht. Das SGB II gehe von Individualansprüchen aus, was insbesondere bedeute, dass Bedarfe individuell geprüft würden. Das SG hat die Berufung zugelassen. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 29. März 2022 zugestellt worden.
Mit ihrer am 29. April 2022 eingelegten Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Im Rahmen eines Unterwerfungsvergleichs haben die Beteiligten den Streitgegenstand auf die Ausgangsverfahren S 24 AS 1335/20 und S 24 AS 1212/21 beschränkt (Beschluss des Berichterstatters vom 29. Januar 2024, Schriftsätze des Beklagten vom 2. Februar 2024 und des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 5. März 2024).
Die Kläger meinen, die Beiträge des Klägers zu 1. zur Kfz-Haftpflichtversicherung seien vom Einkommen der Klägerin zu 2. abzuziehen. Sie verweisen darauf, dass sie eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft bildeten. In diesem Rahmen unterhielten sie ein gemeinsames Kraftfahrzeug, das aus dem gemeinsamen Familieneinkommen finanziert werde. Es wäre unwirtschaftlich, das Fahrzeug über die Klägerin zu 2. zu versichern, weil dann deutlich höhere Beiträge anfallen würden. Zudem diene das Auto nicht nur der allgemeinen Fortbewegung der Bedarfsgemeinschaft, sondern im Wesentlichen auch der besseren Vermittlungsfähigkeit des Klägers zu 1. auf dem Arbeitsmarkt, weil es seine Mobilität erhöhe. Er habe zuletzt 2007/2008 als Schweißer gearbeitet und seinerzeit den Weg zur Arbeit (ca. 25 km) mit dem Auto zurückgelegt. Zudem sei er auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen, weil er unter Hüft- und Knieproblemen leide. Sie hätten das Auto auch dergestalt gemeinsam genutzt, dass der Kläger zu 1. die Klägerin zu 2. gefahren habe, damit sie Besorgungen erledigen könne. Der Wagen habe über keine Sonderausstattung verfügt und in der streitgegenständlichen Zeit eine Laufleistung von ca. 100.000 km aufgewiesen.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des SG H. vom 25. März 2022 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 6. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2021 zu verpflichten, seinen Bescheid vom 24. März 2020 abzuändern und dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. für Mai 2020 jeweils weitere 15,51 € zu zahlen, sowie ihn unter Abänderung seines Bescheids vom 11. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 5. Januar 2022 zu verurteilen, dem Kläger zu 1. und der Klägerin zu 2. für Juni 2020 jeweils weitere 15,51 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Absetzung von Beiträgen zur Kfz-Haftpflichtversicherung habe grds. bei der Person zu erfolgen, die Versicherungsnehmer ist. Erziele sie kein Einkommen, könne ein Abzug bei einer anderen Person der Bedarfsgemeinschaft erfolgen, soweit diese den Beitrag zahlt. In der Rechtsprechung werde vertreten, dass es ausreiche, wenn dem Leistungsbezieher das betreffende Fahrzeug nicht nur ganz vorübergehend zur eigenbestimmten Nutzung überlassen wird und sie tatsächlich für alle mit dem Betrieb zusammenhängenden Kosten aufkommt. Die Klägerin zu 2. habe aber keine Zahlungen für die Versicherung vorgenommen.
Der Senat hat die Prozessakten des SG sowie die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung ist aufgrund der Zulassung durch das SG statthaft (§ 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 SGG).
2. Die Berufung ist auch begründet. Die Klagen sind zulässig und begründet.
a) Die gilt zunächst für die ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 24 AS 1212/21 geführte Klage wegen des Überprüfungsantrags bzgl. der Leistungen für Mai 2020.
aa) Sie ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 90, 92 SGG). Die Klageerhebung am Montag, dem 8. November 2021 hat die Monatsfrist gewahrt (§ 64 Abs. 3 SGG).
bb) Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 6. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten; sie haben einen Anspruch auf Änderung des Bescheids vom 24. März 2020 und Zahlung von weiteren 15,51 € pro Person für Mai 2020.
Der Anspruch ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) i.V.m. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Die Kläger haben am 12. August 2021 und damit innerhalb der Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X einen konkreten Überprüfungsantrag gestellt.
Es liegen auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Der Bescheid vom 24. März 2020 ist rechtswidrig, soweit der Beklagte bei der Ermittlung der Leistungshöhe die Beiträge des Klägers zu 1. zu seiner Kfz-Haftpflichtversicherung nicht in Bezug auf das Einkommen der Klägerin zu 2. einkommensmindernd berücksichtigt hat. Beide Kläger haben jeweils einen Anspruch auf weitere 15,51 €.
Der Anspruch ergibt sich aus § 19 Abs. 1 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung). Die Kläger sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (Kläger zu 1.) bzw. § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a) SGB II (Klägerin zu 2.) dem Grunde nach leistungsberechtigt und nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen.
Der Beklagte hat seiner Leistungsberechnung die Bedarfe der Kläger zutreffend zugrunde gelegt. Ihr Regelbedarf betrug jeweils 389 € pro Monat. Der Beklagte hat auch zutreffend die vollen tatsächlichen KdUH berücksichtigt, nämlich für Mai 2020 insgesamt 381,21 € (im Bescheid wird wegen der Verteilung nach dem Kopfteilprinzip mit 381,22 € gerechnet). Sowohl die Bruttokaltmiete i.H.v. 348,64 € als auch die Heizkosten i.H.v. 32,57 € waren angemessen und bewegten sich im Rahmen der Vorgaben der maßgeblichen Richtlinie des Beklagten (Grenzwert: 350,40 €) bzw. des einschlägigen bundesweiten Heizkostenspiegels.
Zu Recht hat der Beklagte die Erwerbsminderungsrente der Klägerin zu 2. i.H.v. 1.001,85 € gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Einkommen berücksichtigt. Ebenfalls zu Recht hat er davon die Versicherungspauschale i.H.v. 30 € in Abzug gebracht (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung [Alg II-V; jetzt: Bürgergeld-Verordnung – Bürgergeld-V]).
Zu Unrecht hat er allerdings nicht auch die Beiträge des Klägers zu 1. zu seiner Kfz-Haftpflichtversicherung in Abzug gebracht.
Diese Beiträge sind ebenfalls gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II abzusetzen. Diese Vorschrift erfasst Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Zu den in diesem Sinne gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsbeiträgen gehören auch diejenigen zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung (vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 2015 – B 4 AS 29/14 R – juris Rn. 18, 22; Urteil vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 10/16 R – juris Rn. 19). Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende von derjenigen bei der Sozialhilfe (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2021 – B 14 AS 89/20 R – juris Rn. 25 f. m.w.N.). Die vom Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG zur Sozialhilfe ist deshalb hier nicht einschlägig.
Versicherungsbeiträge i.S.v. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind von jeder Art von Einkommen abzuziehen, nicht bloß von Erwerbseinkommen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Februar 2015, a.a.O., Rn. 22). Die Absetzung von Ausgaben, die mit der Erzielung des Einkommens notwendig verbunden sind, ist vielmehr in § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II gesondert geregelt.
Soweit in den Gesetzesmaterialien zum ursprünglichen § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, der Vorgängervorschrift zu § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, ausgeführt wird, die Absetzung von Beiträgen zur Kfz-Haftpflichtversicherung setze voraus, dass die Haltung des Kfz notwendig ist (vgl. BT-Drs. 15/1749, S. 31), hat dies im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden (s. dazu auch Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11b SGB II, Rn. 137 [Stand: Dezember 2021]; Neumann in: BeckOK Sozialrecht, § 11b SGB II Rn. 6 [Stand: 1. Dezember 2023]; Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 11b Rn. 16; Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 11b Rn. 35 [1. Überarbeitung, Stand: 14. Februar 2024]; Striebinger, in: BeckOGK/Gagel, § 11b SGB II Rn. 12 [Stand: 1. August 2021]). Jedenfalls aber genügt es, wenn das Fahrzeug für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit förderlich sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017, a.a.O.). Das ist vorliegend der Fall, weil der vorhandene Pkw die Mobilität des erwerbsfähigen Klägers zu 1. erhöht und damit eine potentielle Arbeitsaufnahme nach den regionalen Gegebenheiten rund um den Wohnort der Kläger, die Stadt H., erleichtert hat. Der Kläger zu 1. selbst verweist nachvollziehbar darauf, dass er seine letzte Arbeitsstelle mit dem Auto aufgesucht habe.
Es kann auch dahinstehen, ob die Absetzbarkeit der Beiträge voraussetzt, dass das Kfz gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F. zum Schonvermögen gehört, also angemessen ist. Der Gesetzestext enthält dafür keinen Anhaltspunkt. Dennoch wird dies teils gefordert (vgl. Hengelhaupt, a.a.O.; Striebinger, a.a.O.; vgl. auch Söhngen, a.a.O.; a.A.: Geiger in: Münder/Geiger/Lenz, SGB II, 8. Auflage 2023, § 11b Rn. 6). Aber unabhängig davon bestehen insoweit vorliegend angesichts von Typ, Ausstattung, Alter und Laufleistung des Fahrzeugs keine Bedenken.
Die maßgebliche Wertgrenze hat das BSG im Jahr 2007 bei 7.500 € angesetzt (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS 66/06 R – juris Rn. 12 ff.). Seinerzeit hat es ausgeführt, damit werde „[z]umindest für die nächsten Jahre […] auch der Entwicklung der Verbraucherpreis Rechnung getragen“ (a.a.O., Rn. 16). Es erscheint zweifelhaft, ob dies auch im Jahr 2020 noch galt. Das BSG hat sich nämlich bei seiner Entscheidung im Jahr 2007 an § 5 Abs. 1 Satz 1 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) orientiert und von dem dort (in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 9. Juni 2021) vorgesehenen Wert von 9.500 € einen Abschlag vorgenommen. Zum 10. Juni 2021 ist dieser Wert ganz erheblich, nämlich auf 22.000 € erhöht worden.
Aber selbst wenn man für den Streitzeitraum weiterhin von einem Grenzwert von 7.500 € ausgehen wollte, wäre dieser hier nicht überschritten. Diese von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend abgegebene Einschätzung ist nach Auffassung des Senats zutreffend. Es handelte sich um einen im Mai 2020 bereits mehr als 14 Jahre alte VW Golf V mit einer Motorleistung von 75 PS und einer Laufleistung von rund 100.000 km. Nach einer Recherche in der Gebrauchtwagen-Plattform mobile.de ist der Senat überzeugt, dass dieses Fahrzeug zur fraglichen Zeit keinen Verkehrswert von 7.500 € mehr hatte.
Dem Abzug der Versicherungsbeiträge vom Einkommen der Klägerin zu 2. steht nicht entgegen, dass sie vom Kläger zu 1. entrichtet worden sind, dass dieser der Eigentümer und Halter des Fahrzeugs sowie der Versicherungsnehmer war und dass die Klägerin zu 2. das Fahrzeug schon in Ermangelung einer Fahrerlaubnis nicht selbständig, sondern nur in Begleitung ihres Ehemannes nutzen konnte.
Grds. sind die Versicherungsbeiträge i.S.v. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II vom Einkommen der Person abzusetzen, die die Beiträge zahlt (vgl. Geiger, a.a.O., Rn. 6). Soweit aber nicht diese Person Einkommen erzielt, sondern nur ihr Partner, dessen Einkommen gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei dem Beitragszahler berücksichtigt wird, sind die Beiträge dort abzusetzen. Das folgt schon aus dem Konzept der Bedarfsgemeinschaft. Denn ihm liegt die Prämisse zugrunde, dass Partner in einer Bedarfsgemeinschaft „aus einem Topf“ wirtschaften, was u.a. die im Vergleich zu Alleinstehenden geringeren Regelbedarfssätze rechtfertigt (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 – juris Rn. 154; BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 71/12 R – juris Rn. 22; BSG, Urteil vom 12. Oktober 2017 – B 4 AS 37/16 R – juris 22). Auch die wechselseitige Anrechnung von Einkommen zwischen Partnern in einer Bedarfsgemeinschaft beruht u.a. auf diesem Gesichtspunkt. Der Ausgangspunkt der Anrechnung ist die Erwartung, dass diese Personen in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander einstehen. Maßgabelich dafür sind nach Rechtsprechung des BVerfG nicht möglicherweise bestehende Rechtsansprüche, sondern die faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse, also „das tatsächliche Wirtschaften ‚aus einem Topf‘“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 – juris Rn. 39; BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 – juris Rn. 61; Silbermann in: Luik/Harich, a.a.O., § 9 Rn. 32).
Diese Prämisse ist auch zu berücksichtigen, wenn es um die Möglichkeit geht, Beiträge zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung vom Einkommen abzusetzen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 25. Februar 2021 – L 7 AS 45/17 – juris Rn. 88). Da die Absetzung von Versicherungsbeiträgen nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II vom Einkommen gerade nicht davon abhängt, dass diese Ausgaben in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der Einkommenserzielung stehen, kann es auch nicht darauf ankommen, wer innerhalb der Bedarfsgemeinschaft mehr oder weniger zufällig diese Kosten trägt.
In der Rechtsprechung des BSG ist bereits geklärt, dass ein Versicherungsbeitrag, den derjenige entrichtet, der das Einkommen erzielt, auch dann abzusetzen ist, wenn er einem anderen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugutekommt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 14 AS 32/08 R – juris Rn. 22). Deshalb können Aufwendungen für eine Kfz-Haftpflichtversicherung auch dann berücksichtigt werden, wenn sie für Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgewendet werden müssen, denen selbst kein (ausreichendes) Einkommen zufließt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 42/08 R – juris Rn. 28). Bei einem „Wirtschaften aus einem Topf“ muss das auch gelten, wenn der Partner ohne Einkommen die Aufwendungen selbst trägt.
Zu berücksichtigen ist ein Zwölftel des Jahresbeitrags (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Alg II-V). Das sind monatlich 31,02 €. Dies führt für jeden der beiden Kläger zu einem um 15,51 € höheren Leistungsanspruch (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II).
b) Die Berufung ist auch hinsichtlich der bereits von Anfang an unter dem Aktenzeichen S 24 AS 1435/20 geführten Klage (Leistungen für Juni 2020) begründet.
aa) Diese Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 90, 92 SGG).
bb) Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 11. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Juli 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 5. Januar 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie haben auch für Juni 2020 einen Anspruch auf Zahlung von jeweils weiteren 15,51 €.
Insoweit gilt das zur Leistungsgewährung für Mai 2020 Gesagte entsprechend. Der Beklagte hat die Bedarfe der Kläger zutreffend ermittelt und im Ansatz auch die Erwerbsminderungsrente der Klägerin zu 2. zutreffend als Einkommen berücksichtigt. Auch hier hat er aber zu Unrecht die Beiträge des Klägers zu 1. zur Kfz-Haftpflichtversicherung nicht einkommensmindernd abgesetzt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Der Kostenerstattung für das Ausgangsverfahren S 24 AS 1435/20 steht nicht entgegen, dass die Kläger im zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren versäumt haben, innerhalb der ihnen gesetzten Frist eine ausreichend aufgeschlüsselte Beitragsrechnung vorzulegen. Denn der Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren deutlich gemacht, dass er die Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge auch unabhängig davon abgelehnt hätte.
4. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.