L 18 R 478/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 R 1073/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 478/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 25/24 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.04.2019 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Witwenrente nach dem E. E. L. F. - auch O. I. O. I. L. - (im Folgenden: Versicherter).

Der Versicherte, der ausweislich der bei der Beklagten gespeicherten Versicherungsnummer am 00.00.0000 geboren sein soll, war zunächst marokkanischer und dann spanischer Staatsbürger. Er verstarb am 00.00.0000. Die Klägerin hat ihren Wohnsitz in H./Spanien. Sie stellte am 03.05.2017 einen Antrag auf große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten.

Die Beklagte nahm einen Ausdruck des den Kläger betreffenden (elektronisch gespeicherten) „Gesamtkontospiegels“ zu den Akten. Das Versicherungskonto des Versicherten enthält danach einen Eintrag, der „Erstattung § 1303 Abs. 1 RVO“ lautet. Als Antragsdatum wird der 08.08.1974 angegeben, als Bescheiddatum der 16.10.1974. Unter der Überschrift „Beitragserstattung/ Rückzahlung“ sind als Rückzahlungsbetrag 7.402,30 und als Erstattungsdatum der 27.10.1974 eingetragen. Die im System hinterlegte Adresse stimmt mit dem von der Klägerin vorgelegten Personalausweis des Versicherten überein. Darüber hinaus enthält das Versicherungskonto des Versicherten Versicherungszeiten vom 28.09.1962 bis zum 31.08.1971.

Mit Bescheid vom 18.07.2017 lehnte die Beklagte daraufhin den Witwenrentenantrag mit der Begründung ab, dass aufgrund der Beitragserstattung keinerlei Ansprüche gegenüber der deutschen Rentenversicherung mehr bestehen.

Auf den von der Klägerin eingelegten Widerspruch richtete die Beklagte eine Anfrage an die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS), da laut Gesamtkontenspiegel die Bundesknappschaft das Beitragserstattungsverfahren durchgeführt haben sollte. Die DRV KBS teilte mit Schreiben vom 19.12.2017 mit, dass dort keine Beitragsunterlagen – auch keine verfilmten - mehr vorlägen. Mit am 20.04.2018 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 10.04.2018 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Beiträge zur Rentenversicherung bereits im Jahr 1974 erstattet worden seien. Sie stützte die Entscheidung auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins, der sich aus den Eintragungen im Versichertenkonto ergebe.

Am 18.07.2018 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, ihr stehe die Witwenrente zu. Ihr verstorbener Ehemann habe niemals Zahlungen der Rentenkasse bezogen. Es liege in der Verantwortung der Verwaltung, die angebliche Zahlung zu beweisen. Die Rentenverwaltung vermute lediglich, dass Zahlungen in den Siebzigerjahren geleistet worden seien, könne dies jedoch nicht beweisen, da weder ein Einzahlungsbeleg noch ein von ihrem Ehemann unterschriebenes Dokument existiere.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.04.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch auf Witwenrente scheitere daran, dass aufgrund der bereits im Jahr 1974 gemäß § 1303 RVO von der damaligen LVA T. durchgeführten Beitragserstattung das Versicherungsverhältnis mit dem inzwischen verstorbenen Ehemann der Klägerin aufgelöst worden sei, sodass aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten keine Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr bestünden (§ 1303 Abs. 7 RVO). Zwar trage die Beklagte die objektive Beweislast für die Durchführung einer Beitragserstattung und die Erfüllung der Beitragserstattungsforderung, also auch der Auszahlung der Erstattungssumme. In diesem Rahmen sei jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Beweis des ersten Anscheins zulässig. Dies sei der Fall, wenn ein feststehender Lebenssachverhalt typischerweise bestimmte Folgen auslöst, ohne dass eine atypische Situation nachzuweisen sei, die die Grundlagen für den Anscheinsbeweis zu erschüttern vermögen. Für die Kammer stehe aufgrund der Eintragungen im Kontenspiegel der Beklagten fest, dass ein Beitragserstattungsverfahren durchgeführt worden sei und dem verstorbenen Ehemann der Klägerin der Erstattungsbetrag i.H.v. 7.402,30 DM ausgekehrt worden sei. Aus dem Kontenspiegel der Beklagten ergebe sich, dass am 08.08.1974 ein Antrag auf Beitragserstattung gestellt worden sei. Dieser Antrag sei mit Bescheid vom 16.10.1974 verbeschieden. Die Erstattung i.H.v. 7.402,30 DM sei am 27.10.1974 erfolgt. Die Kammer habe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erstattungsbetrag nicht tatsächlich an den Versicherten ausgekehrt sein könnte. Der verstorbene Ehegatte habe zu Lebzeiten auch nie einen Antrag auf Altersrente gestellt. Dies spreche ebenfalls für die Erstattung. Zu berücksichtigen sei dabei, dass sämtliche Daten konkret seien. Dies spreche deutlich dafür, dass die Beitragserstattung tatsächlich durchgeführt worden sei, zumal in der Folgezeit kein Schreiben oder Nachfrage nach dem Verbleib des ausgekehrten Betrages stattgefunden habe.

Am 14.06.2019 hat die Klägerin gegen das ihr nach ihren Eingaben am 13.05.2019 zugestellte Urteil in spanischer Sprache beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Der Senat hat die Übersetzung veranlasst, diese ist am 26.07.2019 beim LSG eingegangen. Die Klägerin behauptet weiterhin, dass ihr verstorbener Ehemann keine Zahlungen aus einem Beitragserstattungsverfahren erhalten habe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.04.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2018 zu verpflichten, der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung des O. L. F. ab dem Sterbedatum des Versicherten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält es schon nicht für zweifelsfrei erwiesen, dass die Klägerin die Witwe des Versicherten ist, da diese keine amtliche Bescheinigung darüber vorgelegt habe, dass die Ehe bis zum Tod des Versicherten bestanden habe. Darüber hinaus hält sie den Nachweis der durchgeführten Beitragserstattung durch die Eintragungen im Versicherungskonto des Verstorbenen für geführt.

Die Klägerin hat das Familienstammbuch und einen Ausweis über eine Militärdienstzeit des O. I. O. I. L. vorgelegt. Aus dem vorgelegten Stammbuch geht hervor, dass die Klägerin und der Versicherte verheiratet waren und sieben gemeinsame Kinder hatten. Außerdem legte die Klägerin eine Bescheinigung einer marokkanischen Einwohner-Meldebehörde vor, wonach Personenidentität zwischen O. O. L. und F. E. E. L. bestehe, weiter eine Bescheinigung der Meldebehörde, dass die Klägerin und O. O. L. von 1981 bis 1991 unter einer gemeinsamen Adresse gemeldet waren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zu der Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen, den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 2, § 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl. nur Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 30.01.2002 - B 5 RJ 10/71 R; Fock in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 151 SGG Rdz. 9), und endete mit Ablauf des 13.08.2019. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin bereits mit ihrem am 14.06.2019 eingegangenen, in spanischer Sprache verfassten Schreiben wirksam Berufung („Recurso de apelación“) eingelegt hat. Die Gerichtssprache ist (nur) die deutsche Sprache, § 61 SGG i.V.m. § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist grundsätzlich nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG Urteil vom 22.10.1986 - 9a RV 43/85 - SozR 1500 § 61 Nr. 1; Landessozialgericht (LSG) Berlin Urteil vom 22.3.2001 - L 3 U 23/00 - juris). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob die Einlegung der Berufung in spanischer Sprache ausnahmsweise zulässig ist oder der Klägerin gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (vgl. dazu auch Urteile des Senats vom 15.11.2011 - L 18 KN 30/10; vom 29.4.2013 - L 18 KN 83/12 - beide in juris). Das Gericht hat nämlich das Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass die Klägerin sich gegen den Gerichtsbescheid wendet, ins Deutsche übersetzen lassen; die deutsche Übersetzung lag dem Gericht spätestens am 26.06.2019 und damit innerhalb der dreimonatigen Berufungsfrist vor. Zwar war das Gericht nicht zur Übersetzung einer in einer Fremdsprache verfassten Berufungsschrift verpflichtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 61 Rdz. 7c mwN); die deutsche Übersetzung ist vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegt (vgl. BSG Urteil vom 22.10.1986 a.a.O.).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat die zulässige Klage der Klägerin zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.07.2017, mit dem diese den Antrag der Klägerin auf Witwenrente abgelehnt hat, ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Rente.

Es kann offenbleiben, ob die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente gemäß § 46 Abs. 1 und 2 SGB VI (im Übrigen) erfüllt. Insbesondere brauchte der Senat der Frage, ob die Klägerin tatsächlich die Witwe des Versicherten ist, nicht weiter nachzugehen.

Denn die Beklagte kann mit Erfolg einwenden, dass Ansprüche aus den zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten des Versicherten nicht mehr bestehen, weil diesem die entsprechenden Beiträge erstattet worden sind und das Versicherungsverhältnis aufgelöst wurde. Gemäß § 210 Abs. 6 Satz 2 und 3 SGB VI wird ein bestehendes Versicherungsverhältnis mit einer Erstattung der Beiträge aufgelöst und es bestehen keine Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten Zeiten mehr (vgl. auch § 1303 Abs. 7 Reichsversicherungsordnung in der Fassung vom 01.01.1957; § 95 Abs. 7 Reichsknappschaftsgesetz). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine solche Beitragserstattung erfolgt ist. Die verbleibenden Restzweifel wirken sich nicht zu Lasten der Beklagten aus, da sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. zum Vollbeweis bspw. BSG Urteil vom 24.11.2010 – B 11 AL 35/09 R –, juris Rdz. 21).

Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung der Beitragserstattung trägt die Beklagte die objektive Beweislast (vgl. dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr. 6). Es kann offenbleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid folgt (LSG NRW Urteil vom 18.10.2001 - L 2 KN 64/01 - mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei nicht erwiesener Erfüllung der Erstattungsforderung nach Treu und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier ist erwiesen, dass der Versicherte einen Antrag auf Erstattung der Beiträge gestellt, die Beklagte einen Erstattungsbescheid erlassen, dem Versicherten diesen wirksam bekannt gegeben und ihre Erstattungsschuld erfüllt hat.

Aufgrund der im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem so genannten „Gesamtkontospiegel“), der Einlassungen der Klägerin sowie dem chronologischen Geschehensablauf steht für den Senat mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit fest, dass die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt, da zugunsten der beweisbelasteten Beklagten ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins (sog prima facie-Beweis) heranzuziehen sind. Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 128 Rdz. 9 mwN; stRspr des Senats, vgl. Urteile vom 13.9.2011 - L 18 (2) KN 223/07; vom 15.11.2011 - L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012 - L 18 KN 32/10 - alle bei juris). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Keller a.a.O. Rdz. 9a). Dabei wird der Vollbeweis einer Tatsache vermutet, solange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl. Keller a.a.O. Rdz. 9e mwN).

Von einem solchen typischen Geschehensablauf kann nicht etwa deshalb nicht ausgegangen werden, weil es an Urkunden (oder sonstigen Beweismitteln) fehlt, die einen Erstattungsantrag des Versicherten beweisen. Urkundliche Unterlagen zu dem von der Beklagten behaupteten Erstattungsverfahren (zB Antrag(sformular), Erstattungsbescheid) finden sich in den gesamten Akten zwar nicht; dies gilt gleichermaßen für Nachweise über den Zugang eines Erstattungsbescheides sowie die Auszahlung bzw. Überweisung des Erstattungsbetrages.

Die Beklagte kann sich jedoch zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten Erstattungsverfahrens auf die im elektronischen Versicherungskonto des Versicherten gespeicherten Daten stützen. Diese Daten allein genügen zur Überzeugung des Senats, um eine vollständige wirksame Beitragserstattung mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Sie lassen zunächst den Schluss auf einen intern abgelaufenen Verwaltungsvorgang zu und es darüber hinaus höchstwahrscheinlich erscheinen, dass (außerdem) ein wirksamer Erstattungsantrag des betreffenden Versicherten gestellt und ein Erstattungsbescheid an ihn ergangen ist. Zum Nachweis der wirksamen Antragstellung durch den Versicherten, des Zugangs eines Erstattungsbescheids und der Erfüllung der Erstattungsforderung bedarf es hier keiner weiteren feststehenden Hilfstatsachen, die den Schluss auf die maßgeblichen Haupttatsachen (Antragstellung, Zugang eines Erstattungsbescheides, Leistung mit befreiender Wirkung an den - ehemaligen - Versicherten) zulassen. Der vom SG zitierten Auffassung des Bayerischen LSG (z.B. Urteil vom 17.07.2013 - L 13 R 275/12 - sowie Urteil vom 18.11.2009 - L 13 R 559/08 - beide zitiert nach juris) schließt sich der Senat insofern an.

Zwar ist der Ausdruck des Gesamtkontospiegels, also der in dem von der Beklagten geführten elektronischen Versicherungskonto des Versicherten gespeicherten Daten, keine öffentliche Urkunde, aus der sich die genannten Haupttatsachen ergeben, weder eine öffentliche Urkunde über Erklärungen nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 415 Abs. 1 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Entscheidung nach § 417 ZPO. Der Ausdruck kann insoweit keine Urkunde sein, weil es sich lediglich um einen "Ausdruck" handelt, der (allenfalls) dokumentiert, dass die entsprechenden Daten elektronisch gespeichert sind. Urkunden in diesem Sinne können nur schriftliche Dokumente sein, von denen ein Original existiert bzw. existiert hat, vgl. § 435 ZPO. Diese Anforderungen kann ein (beliebig wiederholbarer) Ausdruck elektronisch gespeicherter Daten von vornherein nicht erfüllen.

Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels steht auch nicht - selbst wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wäre – nach § 416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Nach dieser Vorschrift steht der mit einem Beglaubigungsvermerk versehene Ausdruck eines öffentlichen elektronischen Dokuments gemäß § 371a Abs. 3 ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich, wenn ihn eine öffentliche Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt hat. Bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel, also den in dem Versicherungskonto gespeicherten Daten, handelt es sich gerade nicht um ein öffentliches elektronisches Dokument nach § 371a Abs. 3 Satz 1 ZPO. Danach sind öffentliche elektronische Dokumente (nur) elektronische Dokumente, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sind. Die Regelung des § 416a ZPO soll gewährleisten, dass der Beweis durch Urkunden in Papierform auch dann geführt werden kann, wenn das Originaldokument (nur) in elektronischer Form besteht. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Papier-Ausdruck eines bestimmten elektronischen Dokuments die Wirkungen einer Urkunde zukommen können. Daraus ergibt sich, dass ein öffentliches elektronisches Dokument im Sinne der § 371a Abs. 3 Satz 1 und § 416a ZPO mit Ausnahme der Schriftlichkeit die Merkmale einer öffentlichen Urkunde im Sinne der §§ 415, 417 f ZPO erfüllen muss, um mit diesen gleichgestellt werden zu können. Dies ist bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht der Fall.

Der elektronische Gesamtkontospiegel kann auch keiner öffentlichen Urkunde über Erklärungen nach § 415 Abs. 1 ZPO gleichgestellt werden. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift erstreckt sich darauf, dass die Erklärung samt dem niedergelegten Inhalt und den Begleitumständen (Zeit, Ort, Behörde, Urkundsperson) zutreffend und vollständig so wie beurkundet, bzw. - bei öffentlichen elektronischen Dokumenten - gespeichert, und nicht anders abgegeben wurde (Huber in Musielak, ZPO, 20. Auflage 2023, § 415 Rdz. 10). Daten mit dieser Aussagekraft über bei der Beklagten abgegebene Erklärungen enthält der elektronische Gesamtkontospiegel nicht. Der Kontospiegel gibt lediglich die Daten „Antragsdatum…08.08.74“ und „Eingangsdatum…12.08.74“ wieder. Dies stellt die bloße Angabe dar, dass an dem genannten Datum eine Erklärung gegenüber der Bundesknappschaft abgegeben worden sein soll. Der tatsächliche Inhalt der Erklärung, der die Bewertung zulässt, es handele sich rechtlich um einen Antrag auf Erstattung der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge, ist dem Gesamtkontospiegel nicht zu entnehmen. Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Antrag unter „V41 Erstattung § 1303 Abs. 1 RVO“ gespeichert haben mag, kann nicht auf den Inhalt der abgegebenen Erklärung geschlossen werden. Vielmehr muss sich aus dem öffentlichen elektronischen Dokument selbst die Erklärung mitsamt dem niedergelegten Inhalt ergeben, damit sich die Beweiskraft nach § 415 Abs. 1 ZPO hierauf erstrecken kann. Darüber hinaus geht die Zuweisung zu dieser Verfahrensart nicht auf den Erklärenden, sondern auf die Beklagte zurück. Sie kann deshalb auch auf einer unzutreffenden Wertung einer Erklärung beruhen. Daneben ergibt sich aus den Daten des elektronischen Gesamtkontospiegels auch nicht, wer den etwaigen „Antrag“ gestellt haben soll, ob dies der Versicherte persönlich, ein Bevollmächtigter oder eine - uU nicht wirksam bevollmächtigte - dritte Person war. Da der Versicherte nur bis 1971 in Deutschland beschäftigt war, liegt nahe, dass er im Zeitpunkt, an dem der Antrag gestellt worden sein soll, bereits nach Spanien zurückgekehrt war, sodass mindestens möglich erscheint, dass ein Dritter den (etwaigen) Antrag gestellt hat.

Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kann auch nicht die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden über amtliche Anordnungen, Verfügungen oder Entscheidungen nach § 417 ZPO zukommen, da er keine amtliche Entscheidung im Sinne eines Verwaltungsakts ist. Im hier maßgeblichen Zusammenhang sind ihm lediglich die Daten „Bescheiddatum 16.10.74“, „Erst./Rückz.Beitr. 7.402,30 sowie „Erst. bis bzw. am…:27.10.74“ zu entnehmen. Dies reicht nicht aus, um den elektronischen Gesamtkontospiegel einer öffentlichen Urkunde nach § 417 ZPO gleichstellen zu können. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift umfasst, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung tatsächlich erlassen wurde und hierbei den Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt, und unter den in der Urkunde angegebenen Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Ort und Zeit (Krafka in: BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2023, § 417 Rdz. 5).

Im Wege des Augenscheinbeweises kann dem Ausdruck des elektronischen Gesamtkontospiegels jedoch entnommen werden, dass Bedienstete (oder Beauftragte) der Beklagten diese Daten eingegeben und gespeichert haben. Es kann daraus der Schluss gezogen werden, dass zum Versichertenkonto des Versicherten ein Vorgang existierte, den die Beklagte intern als „Erstattungsverfahren“ bewertet und bearbeitet hat.

Nach den oben dargestellten Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins lässt dieser Geschehensablauf typischerweise den Schluss darauf zu, dass tatsächlich eine Beitragserstattung durchgeführt worden ist. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung erfolgt die Eingabe der Daten eines Erstattungsverfahrens in den Gesamtkontenspiegel eines Versicherten nur dann, wenn entsprechende Verwaltungsvorgänge als Grundlage für eine solche Eingabe auch tatsächlich vorgelegen haben. Dies gilt umso mehr, wenn man in Rechnung stellt, dass die zur Beitragserstattung gespeicherten Daten absolut plausibel erscheinen. Den letzten Pflichtbeitrag in Deutschland hat der Versicherte im August 1971 entrichtet. Nach § 1303 Abs. 1 Satz 2 RVO und § 95 Abs. 1 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz war eine Beitragserstattung auch damals erst zwei Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung möglich. Im Zeitpunkt der gespeicherten Antragstellung im August 1974 war diese Frist abgelaufen. Auch die Übrigen im Konto gespeicherten Daten (Bescheiddatum, Auszahlungsdatum, Auszahlungsbetrag) geben einen nachvollziehbaren Ablauf eines Beitragserstattungsverfahrens wieder. Andere Umstände, die zu einer Eintragung dieser Daten in das Versicherungskonto des Versicherten geführt haben könnten, sind dagegen nicht erkennbar und kaum vorstellbar.

Es sind keine Tatsachen nachgewiesen worden, die den typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen. Allein der Vortrag der Klägerin, ihr verstorbener Ehemann habe nie eine Zahlung der Deutschen Rentenversicherung erhalten, kann keine Zweifel des Senats an der Durchführung eines Beitragserstattungsverfahrens hervorrufen. So hat der Senat bereits erhebliche Zweifel daran, dass es möglich sein kann, sich an die Vorgänge aus dem Jahr 0000 in hinreichender Genauigkeit zu erinnern, zumal die Klägerin im Zeitpunkt der Rentenantragstellung 86 Jahre alt war und die zu erinnernden Vorgänge nicht ihr eigenes Versicherungsverhältnis, sondern das ihres Ehemannes betrafen. Vielmehr sprechen die Umstände nach 0000 sogar gerade für den vom Senat als typisch erachteten Geschehensablauf. So hat der Versicherte trotz Erreichen der Regelaltersgrenze von damals 63 Jahren (vgl. § 1248 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung idF vom 13.04.1984) bis zu seinem Tod keine Regelaltersrente bei einem deutschen Rentenversicherungsträger beantragt. Der Senat sieht dies als gewichtiges Indiz dafür, dass sich der Versicherte des Verlustes seiner Ansprüche bewusst war. Andere mögliche Erklärungen, wie etwa die fehlende Kenntnis der Altersgrenze, erscheinen dem Senat dagegen so unwahrscheinlich, dass die indizielle Wirkung des fehlenden Rentenantrags hierdurch nicht entkräftet werden kann. Einen weiteren Hinweis für das Bewusstsein fehlender Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung bietet der Umstand, dass auch die Klägerin seit dem Tod ihres Ehemannes im  00.0000 bis zum Jahr 0000 – also 28 Jahre lang – keine Veranlassung sah, einen Antrag auf Hinterbliebenenrente zu stellen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu wissen vorgibt, dass ihr Ehemann zu Lebzeiten keine Zahlungen von der Deutschen Rentenversicherung erhalten habe, erscheint die generelle Unkenntnis von einem möglichen Anspruch auf Witwenrente wenig nachvollziehbar.

Andere Anhaltspunkte für einen anderen als den typischerweise anzunehmenden Geschehensablauf sind nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, vgl. § 160 Abs. 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls

 

Rechtskraft
Aus
Saved