Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 statt bislang 70 sowie des Merkzeichens RF.
Der 1961 geborene Kläger erlitt im Alter von 19 Jahren einen schweren Motorradunfall, nachdem er gemäß einem Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G. vom 27. November 1989 zuvor eine unproblematische Kindheit durchlebt und kurz zuvor das Abitur abgelegt hatte. Ein nachfolgend aufgenommenes Physikstudium betrieb der Kläger mehrere Jahre, schloss es aber nicht ab. Er hatte zu dieser Zeit auch eine mehrjährige Beziehung zu einer Freundin, die ihn nach seinen Angaben nach vier Jahren verließ. Anschließend studierte er ab 1987 Geologie, brach aber auch diesen Studiengang ab. Er hatte nach der Anamnese jenes Gutachtens in den vorausgegangenen acht Jahren vor 1989 zweimal für kurze Zeit Freundinnen. Geblieben sei jedoch eigentlich nur noch ein guter Bekannter. Er plane viel, bastele viel, lese viel Zeitschriften und interessiere sich eigentlich für alle Naturwissenschaften.
Letztlich wurde bei dem Kläger seinerzeit gemäß Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 1992 aufgrund eines hirnorganischen Psychosyndroms nach Verkehrsunfall und einer Nervenläsion der rechten Hand die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 60 festgestellt. Aufgrund eines chronisch-rezidivierenden psychischen Prozesses wurde gemäß Bescheid des Beklagten vom 13. Juni 2007 der GdB des Klägers mit Wirkung ab dem 12. Juli 1996 auf 70 angehoben. Ein im Jahr 2012 gestellter Neufeststellungsantrag, gerichtet u. a. auf Feststellung des Merkzeichens RF, blieb erfolglos.
Am 28. Februar 2017 stellte der Kläger den Neufeststellungsantrag, der den Ausgangspunkt des hier anhängigen Rechtsstreits darstellt. Der Beklagte führte medizinische Ermittlungen durch und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. April 2017 ab. Der Kläger legte Widerspruch ein. Er berief sich unter Vorlage von ärztlichen Attesten u. a. auf eine Stuhlinkontinenz, eine Reizdarmproblematik sowie eine erektile Dysfunktion. Sein Gang sei hinkend, die Beugung der linken Hüfte schmerzhaft und es bestehe ein Beckenschiefstand links von 1,5 cm. Der Ärztliche Dienst des Beklagten wies darauf hin, die geltend gemachten Beschwerden seien nicht endgültig diagnostisch abgeklärt und auch nicht hinreichend therapiert worden. Nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen, u. a. der Einholung eines Berichts des Orthopäden Prof. Dr. H. vom 9. Oktober 2017, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2017 zurück.
Der Kläger hat am 14. Dezember 2017 Klage erhoben. Er hat seine Verschlechterungen des Gesundheitszustandes nicht ausreichend gewürdigt gesehen und zudem darauf hingewiesen, in Kürze stünden weitere ärztliche Begutachtungen an.
Das Sozialgericht (SG) Aurich hat mehrere ärztliche Befundberichte eingeholt. Unter anderem hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. I. unter dem 16. Juni 2018 berichtet. Sie hat eine akzentuierte Persönlichkeitsentwicklung mit Anhalt für eine Autismus-Spektrum-Störung bei posttraumatischer Persönlichkeitsveränderung diagnostiziert. Vorausgegangen ist die Diagnose eines Asperger-Syndroms bei dem Sohn des Klägers. Zu seiner Lebenssituation hat der Kläger vorgetragen, er sei Hausmann, seine Ehefrau arbeite. Er habe zwei Töchter im Alter von 20 und 18 Jahren aus einer früheren Verbindung und jetzt zwei Söhne im Alter von sechs Jahren und einem Jahr, ein weiteres Kind werde im August oder September 2018 erwartet. Er habe Probleme mit Autoritäten und sei bereits zu Schulzeiten ein Sonderling gewesen, habe aber keine sozialen Probleme gehabt. Nach dem Abitur sei er mit dem Motorrad verunglückt. Er lebe sehr zurückgezogen und meide größere Menschenansammlungen, auch benötige er kein Sozialleben, nur der Kinder zuliebe.
Wegen der weiteren Angaben wird auf den Inhalt des Berichts der Ärztin Dr. I. verwiesen. In der Beurteilung hat sie ausgeführt, einen biographischen Bruch stelle der Motorradunfall zu Beginn des Studiums dar, was zu einer erheblichen Leistungseinbuße geführt habe. Die Fremdanamnese der Ehefrau zähle eine Vielfalt von Persönlichkeitszügen auf, die sowohl autistisch eingeordnet werden könnten als auch posttraumatisch bzw. als neuropsychologische Folgen einer möglichen schweren Schädel-Hirn-Verletzung. Sowohl die Emotionalität bei der Exploration als auch unkonkrete ausweichende Antworten und Ablenkungen vom Thema entsprächen nicht der Struktur einer autistischen Persönlichkeit. Zusammenfassend bestehe aber nach ihrem Eindruck eine Persönlichkeitsentwicklung mit schwergradigen Defiziten der Beziehungs- und Leistungsfähigkeit mit autistischen Zügen. Empfohlen werde noch eine differenzierte Testung. Der Kläger hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, er habe sich bei Dr. I. nicht zur Diagnostik eines Asperger-Syndroms vorgestellt, sondern sei lediglich nachdenklich geworden, nachdem sein Sohn die Diagnose erhalten habe. Wegen weiterer Klarstellungen des Klägers zu den Befundberichten wird auf den Schriftsatz seiner damaligen Prozessbevollmächtigten vom 24. Oktober 2018 verwiesen.
Anschließend hat das SG Aurich ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie J. eingeholt, das dieser unter dem 13. Dezember 2018 erstattet hat. Nach umfangreicher Anamnese und Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige ausgeführt, auf körperlich-neurologischem Fachgebiet habe sich kein schwerwiegender krankhafter Befund gefunden. Ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Verkehrsunfall sei bereits mit einem GdB von 70 anerkannt. Seither habe sich keine wesentliche Veränderung ergeben, insbesondere keine Verschlechterung. Ein Vergleich mit dem psychischen Befund im Gutachten des Prof. Dr. G. vom 27. November 1989 zeige, dass es im Zeitverlauf eher zu einer Verbesserung gekommen sei.
Die Untersuchung habe einerseits eine extrem hohe Grundintelligenz ergeben, andererseits bestünden Zweifel hinsichtlich der Offenheit des Klägers, die er – der Sachverständige – jedoch als Ausdruck der hirnorganischen Störung bewertet habe. Es handele sich zusammenfassend um einen Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung mit einem Spekrum im Bewertungsspielraum von 50 bis 60 nach Teil B Nr. 3.1.1 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG). Die Einschätzung des Beklagten mit einem GdB von 70 stelle eine sehr wohlwollende Beurteilung dar, die sich jedoch dadurch rechtfertigen lasse, dass es zumindest in der Vergangenheit zu stärkeren Beeinträchtigungen und auch zu schlechteren Befunden gekommen sei. Eine weitere Erhöhung dieses GdB von 70 sei jedoch nicht angemessen. Die Befunde seien im Übrigen nicht in der Lage, eine Störung aus dem Autismus-Spektrum zu belegen. Abgesehen davon sei jedoch der GdB auch im Falle eines gesicherten Nachweises einer solchen Störung nicht zu erhöhen. Der Kläger sei ohne Beruf, lebe als Hausmann und habe drei Kinder aus der jetzigen Ehe, die er zurzeit zusammen mit der Ehefrau versorge und betreue. Darüber hinaus habe er einen Minijob, betreue dreimal in der Woche seine Eltern, die 50 km entfernt lebten. Er nehme auch am sozialen Leben teil, bringe die Kinder zu deren Aktivitäten und gehe mit einer gewissen Regelmäßigkeit ins Fitnessstudio. Die Voraussetzungen des Merkzeichen RF lägen bei alledem nicht vor.
Der Kläger ist dem Gutachten entgegengetreten und davon ausgegangen, es liege ein autistisches Syndrom in Form eines Asperger-Syndroms vor, das einen GdB von mindestens 80 bedinge. Eine nachfolgende Testung in der K. Nord in L. am 21. März 2019 hat die Diagnose eines Asperger-Syndroms ergeben, wobei auf erhebliche Auffälligkeiten hinsichtlich der sozialen Interaktionsfähigkeit des Klägers sowie auf besondere und ausgeprägte spezielle Interessen und eine Neigung zu Stereotypen, rigiden Verhaltensweisen hingewiesen worden ist. Diese Auffälligkeiten hätten schon seit der Kindheit des Klägers bestanden und sich wie ein roter Faden durch sein Leben gezogen. Auch die testpsychologische Untersuchung habe auffällige Werte ergeben. Empfohlen werde eine verhaltenstherapeutische autismusspezifische Psychotherapie (unterzeichnet durch die Oberärztin Dr. M.).
Gemäß Beschluss des SG Aurich vom 5. Februar 2020 ist das Ruhen des Verfahrens auf Antrag der Beteiligten angeordnet worden, nachdem der Kläger am 2. August 2019 einen Neufeststellungsantrag beim Beklagten gestellt hat, der vorrangig behandelt werden sollte. Im Rahmen dieses Verfahrens hat der Kläger u. a. im Rahmen der Widerspruchsbegründung nochmals umfangreiche Ausführungen zu der Begutachtung bei dem Sachverständigen J. gemacht, der seiner Ansicht nach tendenziös und unsachlich vorgegangen sei. Zudem bestehe nach dem Gutachten der Ärztin Dr. M. bei ihm zweifelsfrei die Diagnose Autismus. Zuvor hatte der Beklagte den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 18. Mai 2020 abgelehnt; der hiergegen gerichtete Widerspruch ist gemäß Widerspruchsbescheid vom 28. September 2020 letztlich erfolglos geblieben.
Am 15. Oktober 2020 haben sich die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Verfahren gemeldet und die Wiederaufnahme des ruhend gestellten Rechtsstreits beantragt. Sie haben hierbei Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 28. September 2020 genommen. Das SG Aurich hat zunächst einen Befundbericht des Hausarztes Dr. N. vom 3. Dezember 2020 eingeholt. Er hat mitgeteilt, von Juli 2018 bis heute habe der Kläger sich wegen Inkontinenzbeschwerden nicht mehr vorgestellt und auch keine fachärztlichen Untersuchungen diesbezüglich nachgefragt. In Kenntnis des Patienten sei es weiterhin möglich und wahrscheinlich, dass milde Stuhlinkontinenzbeschwerden weiterhin bestanden haben könnten, thematisiert worden seien diese jedoch nicht. Die Diagnose eines Asperger-Syndroms in der O. in L. habe den Kläger stark entlastet, da er sich mit dieser Beurteilung richtig und gut verstanden sehe. Im Verlauf der letzten Monate hätten urogenitale Störungen im Vordergrund gestanden, wobei auch im Rahmen derer Abklärung eine etwaige Inkontinenz keine Erwähnung gefunden habe. Einen urologischen Zwischenbericht vom 17. September 2020 hat der Hausarzt beigefügt. Ergänzend vorgelegt hat der Kläger einen Bericht des Proktologen Dr. P. vom 28. Januar 2021, ferner ein Bericht des Gastroenterologen Dr. Q. vom 31. Mai 2021. In beiden Berichten ist ein stark erhöhter Calprotectinwert erwähnt, wobei der Kläger gemäß Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 1. Juni 2021 anhand eigener laienhafter Recherchen ermittelt habe, dass dies ein Indiz für eine Erkrankung an Morbus Crohn sein könne. Eine weitere Ursachenabklärung sei beabsichtigt.
Gemäß Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom 27. Januar 2022 ist dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bewilligt worden.
Auf Antrag des Klägers in Anwendung des § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. R. eingeholt worden, das dieser unter dem 26. Dezember 2021 nach Untersuchung des Klägers erstattet hat. Der Sachverständige hat zunächst die anamnestischen Angaben des Klägers wiedergegeben und einen kurzen Psychostatus geschildert. Das äußere Erscheinungsbild des Klägers sei altersgerecht, die Bewusstseinslage wach und die Orientierung unauffällig. Er sei im Verlaufe der Exploration zugänglicher geworden, nachdem er anfänglich in der Interaktion verschlossen gewesen sei, zunehmend werde er etwas zu direkt in seinen Aussagen. Der Antrieb sei unauffällig, die Artikulation klar und deutlich. Nach anfänglicher Anspannung wirke er zunehmend ausgeglichen. Denkabläufe und Inhalte seien unauffällig. Er wirke „gut begabt“, das Kurzzeitgedächtnis sei etwas eingeschränkt, sein Langzeitgedächtnis sehr gut. Die Wahrnehmung sei nicht eingeschränkt, ebenso nicht das Ich-Bewusstsein und das Ich-Erleben. Der Kläger sei kooperativ und es bestehe keine Suizidalität.
Nach Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige ausgeführt, es zeigten sich die typischen Symptome einer Autismus-Spektrums-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms. Er empfehle eine Gruppenpsychotherapie in einem Autismuszentrum. Es handele sich um eine angeborene, tiefgreifende Entwicklungsstörung, insbesondere im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung, die von Geburt an in vielfältiger Weise die Beziehung zur Umwelt, die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, den Schulerfolg und die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft behindere. Er halte einen GdB von 80 für angemessen. Es bestünden keine Freundschaften und bei geringfügigen Veränderungen im Tagesablauf sei der Kläger so stark irritiert, dass er unselbstständig werde. Er sei auch übermäßig geräuschempfindlich. Es bestünden Ein- und Durchschlafstörungen und er habe auch Schwierigkeiten, angemessen Kontakt zu Mitmenschen aufzunehmen, durch seine häufig zu direkte Art wirke er verletzend und ecke an. Den GdB aufgrund des Autismus schätze er, der Sachverständige, auf 40 bis 50 ein. Er sei Psychiater und kein Neurologe oder Internist, für die weiteren Funktionsstörungen hätten die Kollegen aber einen GdB von 70 festgelegt. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erscheine ihm ein Gesamt-GdB von 80 angemessen. Von Geburt an habe ein GdB von 40 bis 50 vorgelegen. Auch die Voraussetzungen des Merkzeichens RF lägen vor, der Kläger sei übermäßig geräuschempfindlich und er könne nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.
Der Ärztliche Dienst des Beklagten – Dr. S. vom 7. Mai 2022 – ist dem Gutachten in einer Stellungnahme nicht gefolgt. Nach den Lebensumständen des Klägers, der in langjähriger Partnerschaft lebe und sich um seine drei Kinder kümmere, lasse sich eine Höherbewertung nicht hinreichend begründen. Demgegenüber haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Auffassung vertreten, man könne von einem seltenen Glücksfall sprechen, dass die Ehefrau des Klägers es schaffe, sich auf dessen Besonderheiten einzulassen. Dies nun zum Nachteil des Klägers auszulegen, werde für verfehlt gehalten. Außerdem ist nochmals Bezug darauf genommen worden, der Kläger erhalte aufgrund seiner schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten nun eine Rente wegen Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Aurich vom 2. November 2022 hat das Gericht den Kläger persönlich angehört und zudem dessen Ehefrau als Zeugin vernommen. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen.
Mit Urteil vom 2. November 2022 hat das SG Aurich die Klage abgewiesen und hat sich zur Begründung auf die medizinischen Befundberichte, das Sachverständigengutachten des Facharztes J. und den persönlichen Eindruck des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestützt. Der Kläger habe im dortigen Sachverständigengutachten einen geregelten Tagesrhythmus beschrieben, welcher durch die Erziehung der Kinder geprägt sei. Jedenfalls damals hätten keine schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach den Angaben des Klägers bestanden. Demgegenüber bleibe das Sachverständigengutachten des Dr. R. hinsichtlich der Beschreibung des Tagesablaufs sehr vage. Der Kläger und seine Ehefrau hätten übereinstimmend ein seit vielen Jahren weitestgehend intaktes Zusammenleben mit den drei jüngeren Kindern beschrieben. Zudem habe der Kläger einen geregelten Tagesrhythmus beschrieben, auch wenn dieser nach den getätigten Angaben weitgehend eigenständig zum Rest der Familie im Hause verlaufe. Nach wie vor bestünden auch Hobbys in Form von der Astronomie und dem Kajakfahren, wenn auch der diesbezügliche Zeitaufwand geringer geworden sei. Auch das Verhältnis zu seinen beiden älteren Töchtern und seinem Bruder sei intakt. In der Gesamtschau lasse sich zwar noch eine schwere psychische Störung i. S. von Teil B Nr. 3.7 VMG rechtfertigen, schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten könne das Gericht jedoch insgesamt nicht erkennen. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die einen Einzel-GdB von mindestens 20 bedingten und sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken könnten, ließen sich nicht feststellen, insbesondere nicht im Hinblick auf die vorgetragene Darmstörung. Auch die Voraussetzungen des Merkzeichens RF lägen nicht vor. Er sei an der Teilnahme an derartigen Veranstaltungen nicht schlechthin gehindert, verlasse das Haus auch beispielsweise für Kajakausflüge im Sommer und dass der Sachverständige Dr. R. die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF allein auf eine angebliche Geräuschempfindlichkeit des Klägers stütze, sei für das Gericht schlechterdings nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige begründe dies auch nicht weiter.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 16. November 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. Dezember 2022 Berufung eingelegt. Zur Begründung haben seine Prozessbevollmächtigten unter dem 19. Mai 2023 ausgeführt, der Kläger könne sich weiterhin mit den bisher getroffenen Entscheidungen nicht einverstanden erklären. Das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei nicht hinreichend erfasst und gewürdigt worden. Der Kläger hat sich insoweit auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. berufen, während der Sachverständige J. die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der bestehenden Autismuserkrankung nicht in die Bewertung miteinbezogen habe. Dem Kläger sei es nie gelungen, einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nachzugehen und er beziehe mittlerweile eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zudem bestünden erhebliche Beeinträchtigungen im familiären Umfeld und Bekanntenkreis. Beziehungen zu Frauen habe er nur bis zu einem bestimmten Grad aufrechterhalten können, bis diese letztlich an seinen Beeinträchtigungen gescheitert seien, und auch mit seiner jetzigen Ehefrau sei in der Anfangszeit eine 1½-jährige Paartherapie erforderlich gewesen. Außerdem verbringe jeder den Tag größtenteils für sich und ein Freundes- und Bekanntenkreis des Klägers sei nicht vorhanden. Seine Hobbys, wie Kanufahren und Astronomie, würden stets ohne Gesellschaft ausgeübt. Auch der Gerichtstermin vor dem SG Aurich sei nur unter größter Anstrengung für ihn zu absolvieren gewesen. Hinsichtlich des Merkzeichens RF sei einzuwenden, dass der Kläger zwar in seltenen Fällen das Haus verlasse, jedoch nie, um sich in Gesellschaft zu begeben. Er sei keinesfalls in der Lage, außerhalb eines besonders geschützten Rahmens an öffentlichen Veranstaltungen jedweder Art teilzunehmen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 2. November 2022 sowie die Bescheide des Beklagten vom 5. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2017 und vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB des Klägers mit 80 sowie das Merkzeichen RF jeweils ab Februar 2017 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG Aurich für zutreffend.
Mit ergänzendem Schriftsatz vom 15. Juni 2023 hat der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten noch mitgeteilt, der Sachverständige J. sei nicht bereit gewesen, im Rahmen der Begutachtung eine Autismustestung vorzunehmen. Deswegen sei es bereits im Vorfeld zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen, der Kläger erblicke darin eine erhebliche Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses.
Mit Schreiben vom 12. April 2023 und dann nochmals vom 26. Juli 2023 hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, es werde erwogen, über den Rechtsstreit durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG zu entscheiden, und hat den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben sich unter dem 30. August 2023 geäußert und unter Hinweis auf die Fallkonstellation die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angeregt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet in Anwendung von § 153 Abs. 4 SGG durch einstimmigen zurückweisenden Beschluss der Berufsrichter des Senats, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Der Senat hat den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30. August 2023, die unter Hinweis auf die Fallkonstellation die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angeregt haben, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung gewürdigt. In Anbetracht der Eindeutigkeit des Fehlens der Erfolgsaussichten der Berufung – in Bezug auf das Merkzeichen RF dürfte nach der Fallkonstellation sogar Mutwilligkeit zu erwägen sein – besteht allerdings kein Anlass, von der durch § 153 Abs. 4 SGG für derartige Fälle eröffneten Möglichkeit der Entscheidung im schriftlichen Verfahren keinen Gebrauch zu machen.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG Aurich vom 2. November 2022 und der Bescheid des Beklagten vom 5. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, seinen GdB mit 80 und/oder das Merkzeichen RF festzustellen. Der Senat hat hierbei den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 15. Oktober 2000 auch vor dem Hintergrund der nachfolgend gestellten Anträge dahingehend ausgelegt, dass auch der Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2020 im vorliegenden Klageverfahren im Sinne der Klageerweiterung angefochten worden ist, wobei der Senat diese Klageerweiterung gemäß § 99 Abs. 1 SGG – ebenso wie offenbar bereits das SG Aurich, ohne dies in den Entscheidungsgründen gesondert zu erwähnen – als sachdienlich ansieht.
Der Senat folgt der ausführlichen und überzeugenden Begründung des Urteils des SG Aurich vom 2. November 2022, der er sich nach eigener Sachprüfung anschließt und die er daher nicht wiederholt (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Senat folgt ebenfalls den Feststellungen im Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie J. vom 13. Dezember 2018.
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zunächst handelt es sich bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie J. um einen sehr erfahrenen Sachverständigen, an dessen Objektivität der Senat weder generell, noch im Einzelfall und auch nicht aus den vom Kläger genannten Gründen zweifelt.
Im Wesentlichen begründet der Kläger seine Berufung mit einer nicht ausreichenden Berücksichtigung einer autistischen Erkrankung. Der Senat, der bereits eine Vielzahl von Fällen zu beurteilen hatte, in denen es auf das Vorliegen und die Bewertung autistischer Erkrankungsbilder ankommt, teilt die seitens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie J. geäußerten Bedenken im vorliegenden Fall vollumfänglich.
Insoweit erfolgt die Bewertung nach Teil B Nr. 3.5.1 VMG, wobei die Überschrift von Teil B Nr. 3.5 VMG „Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend“ eine Fortschreibung im Erwachsenenalter nicht ausschließt. Die Vorschrift lautet wie folgt:
„3.5.1 Tief greifende Entwicklungsstörungen (insbesondere frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom)
Bei tief greifenden Entwicklungsstörungen
- ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 10-20,
- mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 30-40,
- mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50-70,
- mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 80-100.
Soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausgehenden Beaufsichtigung bedürfen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist.“
In Anwendung dieser Grundsätze ist auch dann, wenn zu seinen Gunsten die Erkrankung an einem Asperger-Syndrom als wahr unterstellt wird, die Integration des Klägers im Wesentlichen gelungen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten, die einen Einzel-GdB von 50 rechtfertigen, setzen insoweit voraus, dass die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung, etwa einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe, möglich ist. Hier ist der Kläger ersichtlich bessergestellt. Mit dem Asperger-Syndrom einher geht regelmäßig auch in leichteren Ausprägungen eine Schwierigkeit beim Einschätzen sozialer Situationen und zu adäquaten Reaktionen. Der Kläger hat die Schule durchlaufen, er war auch in der Lage, nacheinander mehrere Partnerinnen für sich gewinnen zu können und seine jetzige Partnerin langjährig zu halten. Bei diesen Einzelfallumständen sind mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten im Sinne von Teil B Nr. 3.5.1 VMG bei dem mittlerweile 61jährigen Kläger nicht erkennbar. Nach dem Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr.
G. vom 27. November 1989 hatte der Kläger eine im Wesentlichen unproblematische Kindheit durchlebt und das Abitur abgelegt, hat ein Physikstudium aufgenommen und hatte eine mehrjährige Beziehung zu einer Freundin, auch weitere kurzzeitige Freundinnen. Mit einer schweren Ausprägung von angeborenem Autismus wäre diese Biographie nur schwerlich vereinbar. Ganz sicher kommen in ihr keine mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten im Sinne von Teil B Nr. 3.5.1 VMG zum Ausdruck.
Auch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. I. hat eine akzentuierte Persönlichkeitsentwicklung „mit Anhalt“ für eine Autismus-Spektrum-Störung bei posttraumatischer Persönlichkeitsveränderung diagnostiziert, wobei die unfallbedingte Persönlichkeitsveränderung plausibel ist, das autistische Element in Anbetracht der Lebensgeschichte des Klägers vor dem Unfall eher zweifelhaft. Da der Senat Funktionsstörungen und nicht deren zugrunde liegende Diagnosen zu bewerten hat, kann dies indes dahingestellt bleiben. Ein GdB von 70 aufgrund eines hirnorganischen Psychosyndroms nach Verkehrsunfall ist bereits anerkannt. Mit Sicherheit ist der GdB für den Funktionsbereich „Nervensystem und Psyche“ nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht weiter zu erhöhen. Der Kläger lebt in einer im Wesentlichen funktionierenden Beziehung und hat mehrere Kinder. Er ist Hausmann und hat drei Kinder aus der jetzigen Ehe, die er zusammen mit der Ehefrau versorgt und betreut. Er nimmt auch am sozialen Leben teil, bringt die Kinder zu deren Aktivitäten und geht ins Fitnessstudio. Darüber hinaus berichtet worden ist ein Minijob und die Betreuung der 50 km entfernt lebenden Eltern durch den Kläger. Nach den Ausführungen des Sachverständigen J. verfügt er über eine extrem hohe Grundintelligenz. Auf körperlich-neurologischem Fachgebiet besteht kein schwerwiegender krankhafter Befund. Nach Meinung des Sachverständigen J. handelt es sich zusammenfassend um einen Hirnschaden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung mit einem Spektrum im Bewertungsspielraum von 50 bis 60 nach Teil B Nr. 3.1.1 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG). Die Feststellung eines GdB von 70 stelle eine sehr wohlwollende Beurteilung dar. Dieser Einschätzung schließt der Senat sich an.
Eine Vergleichsbetrachtung möge dies verdeutlichen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt eine im Rahmen von Teil B Nr. 3.7 VMG zu beurteilende stärker behindernde psychische Störung, die für sich allein genommen einen Einzel-GdB von 40 rechtfertigt, bereits regelmäßig einen erheblichen Verlust an sozialen Kontakten oder Vitalität voraus, was sich in der Regel durch deutliche Anzeichen sozialer Isolation und/oder Interesselosigkeit und geschwundene Lebensfreude manifestiert. Ein Indiz für bestehenden Leidensdruck ist darüber hinaus auch die Behandlungsfrequenz beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie oder beim Psychotherapeuten, ferner die – ggf. wiederholte – Durchführung stationärer Maßnahmen. Indizien jeglicher Art sind zur Ermittlung der Schwere der psychischen Beeinträchtigung und des Teilhabeverlustes heranzuziehen und auszuwerten.
Zudem ist bei alledem – insbesondere auch dann, wenn ein höherer Einzel-GdB als 40 Gegenstand der Beurteilung ist – zu berücksichtigen, dass der GdB für psychische Funktionsstörungen in eine vernünftige und maßvolle Relation zu den übrigen Tabellenwerten zu setzen ist, woraus sich ergibt, dass bereits das Vorliegen einer „schweren“ Störung nur in besonders begründeten Fällen anzuerkennen ist. Die Funktionsstörung des Klägers, bei dem bereits ein GdB von 70 anerkannt ist, ist auch danach eindeutig ausreichend bewertet. Dies gilt auch bei Zugrundelegung der Testergebnisse in der K. Nord in L. vom 21. März 2019 und der Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. vom 26. Dezember 2021, der ebenfalls das äußere Erscheinungsbild des Klägers als altersgerecht sowie die Bewusstseinslage als wach und die Orientierung, Denkabläufe und Inhalte als unauffällig beschrieben hat. Wenn er auch typische Symptome einer Autismus-Spektrums-Störung im Sinne eines Asperger-Syndroms bejaht hat, so ergibt sich auch auf Grundlage seiner Feststellungen keinesfalls die Angemessenheit eines GdB von 80 auf der Grundlage der Kriterien nach Teil B Nr. 3.5.1 VMG. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 26. Dezember 2021 ist in diesem Sinne in sich nicht schlüssig.
Weitere Funktionsstörungen und Beschwerden des Klägers rechtfertigen eine weitere Anhebung des GdB in Anwendung von Teil A Nr. 3 d ee VMG gleichfalls nicht. Auch eine Erwerbsunfähigkeit zwingt im Übrigen keineswegs zur Erhöhung eines festgestellten GdB. Bei alledem ist stets eine Würdigung des konkreten Einzelfalles erforderlich und pauschale Feststellungen von regelmäßigen Auswirkungen einer festgestellten dauerhaften Erwerbsminderung sind nicht möglich. Im vorliegenden Fall sieht der Senat für eine diesbezügliche Erhöhung keinen Anlass.
Auch das Merkzeichen RF steht dem Kläger nicht zu. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 SchwbAwV ist der Nachteilsausgleich RF in den Ausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Die Befreiung natürlicher Personen von der Rundfunkgebührenpflicht im ausschließlich privaten Bereich bzw. die Ermäßigung der Rundfunkgebühren ist seit dem 1. Januar 2013 in § 4 Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBeitrStV; Nds. GVBl. 2011, 186; zuletzt geändert durch Art. 8 des Staatsvertrages zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland vom 14./28. April 2020 als Anlage des Gesetzes vom 14. September 2020, Nds. GVBl. 2020, 289) geregelt.
Der Kläger erfüllt zunächst keinen der beiden Katalogtatbestände des § 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 RBeitrStV. Hiernach wird auf Antrag blinder oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderter Menschen mit einem GdB von 60 v.H. allein wegen der Sehbehinderung sowie hörgeschädigter Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, die Gebühr auf ein Drittel ermäßigt (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 RBeitrStV).
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 3 RBeitrStV. Hiernach wird die Rundfunkgebühr auf Antrag behinderter Menschen auf ein Drittel ermäßigt, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Unter dem Begriff „öffentliche Veranstaltung“ ist die Gesamtheit der Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 10. August 1993 – 9/9a RVs 7/91, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2). Ein ständiger Ausschluss von diesen Veranstaltungen liegt erst vor, wenn der Schwerbehinderte allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Es ist eine enge Auslegung dieser Anspruchsvoraussetzungen geboten; praktisch muss eine Bindung an das Haus bestehen (BSG, Urteil vom 10. August 1993 – a. a. O. –; Urteil vom 11. September 1991 – 9/9a RVs 15/89, SozR 3-3870 § 4 Nr. 2). Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung des Ausschlusses von öffentlichen Veranstaltungen ist außerdem zu beachten, dass das SGB IX der Förderung aktiver Teilnahme der Behinderten am gesellschaftlichen Leben dient und nicht dem Ausschluss von behinderten Menschen. Dementsprechend darf ein Ausschluss von sämtlichen Veranstaltungen nicht vorschnell bejaht werden. Für die Beurteilung dieser Maßstäbe kommt es dabei nicht auf die individuelle Situation des behinderten Menschen an, sondern darauf, ob er objektiv gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (BSG, Urteil vom 3. Juni 1987 - 9a RVs 27/85, SozR 3870 § 3 Nr. 25). Dabei ist bereits die Möglichkeit von Hilfsmitteln in die Betrachtung einzubeziehen. Nicht maßgeblich ist dabei, ob diese, etwa ein Rollstuhl, tatsächlich vorhanden sind (vgl. Anmerkung zu Nr. 33 AHP 2007 - Gesundheitliche Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht gehindert, auch unter Beachtung seiner Leiden an öffentlichen Veranstaltungen ständig teilzunehmen, wie sich bereits aus seinen alltäglichen Verrichtungen mit Begleitung und Betreuung seiner Kinder, Besuch des Fitnessstudios, Ausübung eines Minijobs und dergleichen ergibt. Außerdem verfügt er auch nicht über einen GdB von zumindest 80. Aber auch dann, wenn letzteres der Fall wäre, sind die Voraussetzungen des Merkzeichens RF beim Kläger sehr eindeutig nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.