L 5 KR 578/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 68 KR 30/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 578/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 3/24
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2022 geändert und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe des dem Kläger für den Zeitraum vom 23.01.2020 bis zum 24.08.2020 gewährten Krankengeldes im Streit.

Der 0000 geborene Kläger ist Inhaber eines Gartenbauunternehmens und als solcher als hauptberuflich Selbständiger freiwillig bei der Beklagten krankenversichert; seit dem Jahr 2017 besteht die Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld. Der Kläger beschäftigt regelmäßig keine Mitarbeitenden.

Im Jahr 2019 war der Kläger an 317 Tagen arbeitsunfähig und bezog an 253 Tagen von der Beklagten Krankengeld. Der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2019 weist Einkünfte in Höhe von insgesamt 4.522 Euro aus. Die Beklagte legte der Beitragsbemessung für das Jahr 2019 Einkünfte des Klägers in Höhe von monatlich 1.267,85 Euro (4.522 Euro : <360 Tage - 253 Tage> x 30 Tage = 1.267,85 Euro) zu Grunde (Bescheid vom 05.05.2020).

Ab dem 09.12.2019 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig (AU-Bescheinigungen vom 09.12.2019, 16.12.2019, 23.12.2019, 17.01.2020, 22.01.2020, 31.01.2020, 10.02.2020, 19.02.2020, 25.02.2020, 04.03.2020, 18.03.2020, 01.04.2020, 14.04.2020, 20.04.2020, 30.04.2020, 14.05.2020, 28.05.2020, 10.06.2020, 17.06.2020, 25.06.2020, 02.07.2020, 16.07.2020, 05.08.2020, 06.08.2020, 13.08.2020 und 18.08.2020). Die Beklagte gewährte dem Kläger ab dem 23.01.2020 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 29,86 Euro brutto (bekannt gegeben durch Überweisung vom 10.07.2020). Der Kläger legte am 05.08.2020 Widerspruch gegen die Höhe des gewährten Krankengeldes ein. Mit Schreiben vom 11.08.2020 erläuterte die Beklagte die Krankengeldberechnung. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht und führte aus (Schreiben vom 13.08.2020), im Gegensatz zu der Berechnung des Einkommens im Rahmen der Beitragsbemessung seien bei der Bemessung des Krankengeldes Zeiten der Arbeitsunfähigkeit außen vor zu lassen (Sozialgericht Düsseldorf vom 26.07.2007 – S 8 KR 202/06; LSG Berlin Brandenburg vom 16.03.2006 – L 24 KR 3/05). Er sei im Jahr 2019 lediglich im Zeitraum vom 28.02.2019 bis zum 11.04.2019, also an 43 Tagen, arbeitsfähig gewesen; an allen anderen Tagen des Jahres 2019 habe Arbeitsunfähigkeit bestanden. Das durch ihn im Jahr 2019 erzielte Einkommen (4.522 Euro) sei auf 43 Tage zu verteilen. Das sich daraus ergebende zu berücksichtigende monatliche Einkommen von 3.154,8 Euro sei der Bemessung des Krankengeldes zu Grunde zu legen. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 03.12.2020).

Mit seiner am 06.01.2021 bei dem Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er seinen bisherigen Vortrag wiederholend und vertiefend vorgetragen, bei der Berechnung seines Krankengeldanspruchs sei die Zugrundelegung des Einkommens gemäß Einkommensteuerbescheid 2019 nicht zu beanstanden. Allerdings sei die Beklagte zu Unrecht von nur 253 Arbeitsunfähigkeitstagen im Bemessungsjahr ausgegangen. Der Kläger sei im Jahr 2019 an 317 Tagen arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Entscheidung der Beklagten über die Höhe des Krankengeldes seit dem 23. Januar 2020, bekannt gegeben durch Überweisung am 10. Juli 2020, erläutert im Schreiben vom 11. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2020, zugegangen am 7. Dezember 2020, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld seit dem 23. Januar 2020 unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens von 3.154,88 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die getroffene Entscheidung für rechtmäßig gehalten. Bemessungsgrundlage sei das beitragspflichtige Einkommen. An den Tagen mit Krankengeldanspruch sei der Kläger beitragsfrei gewesen. Nur diese Tage (mit Krankengeldanspruch) seien aus der Berechnung herauszunehmen; nicht zusätzlich die weiteren Tage der Arbeitsunfähigkeit ohne Krankengeldanspruch (Wartezeit).

Nachdem die Beteiligten zuvor ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt hatten (Sitzungsniederschrift vom 13.09.2021), hat das Sozialgericht mit Urteil vom 08.08.2022 die Entscheidung der Beklagten über die Höhe des Krankengeldes seit dem 23.01.2020, bekannt gegeben durch Überweisung am 10.07.2020, erläutert im Schreiben vom 11.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020, zugegangen am 07.12.2020, aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld seit dem 23.01.2020 unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens von 3.154,88 Euro zu zahlen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe das monatliche Einkommen des Klägers aus dem Jahr 2019, das als Bemessungsgrundlage für die Berechnung seines Krankengeldanspruchs im Jahr 2020 diene, alleinig aus den Tagen seiner Arbeitsfähigkeit berechnen dürfen. Aufgrund der Entgeltersatzfunktion werde bei hauptberuflich Selbständigen, die regelmäßig keine Mitarbeiter beschäftigten, für die Tage der Arbeitsunfähigkeit von einem vollständigen Wegfall ihres Einkommens ausgegangen (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R). Der Kläger sei im Dezember 2019 erkrankt und beanspruche von der Beklagten Krankengeldzahlungen ab dem 23.01.2020. Maßgeblich für die Berechnung des Regelentgeltes sei das Jahr 2019 als letztes Jahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Die Beklagte habe der Berechnung den Einkommensteuerbescheid 2019 zugrunde gelegt. Dies sei nicht zu beanstanden. Ebenso sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Tage der Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit Krankengeldanspruch in 2019 bei der Berechnung seines monatlichen Einkommens des Jahres 2019 unberücksichtigt gelassen habe. Die Berechnung der Beklagten sei aber insofern unzutreffend, als dass sie das Jahreseinkommen des Klägers aus dem Jahr 2019 auf die Tage seiner Arbeitsfähigkeit und die Tage seiner Arbeitsunfähigkeit ohne Krankengeldanspruch verteilt habe. Aufgrund der Entgeltersatzfunktion sei das Einkommen des Jahres 2019 lediglich aus den Tagen der Arbeitsfähigkeit des Klägers und nicht zusätzlich aus den Tagen der Arbeitsunfähigkeit ohne Krankengeldanspruch zu berechnen. Nur an den Tagen seiner Arbeitsfähigkeit habe der hauptberuflich selbständige Kläger, der regelmäßig keine Mitarbeiter beschäftige, seine Arbeitsleistung erbringen und Einkommen erwirtschaften können. Nur, wenn bei der Berechnung des Regelentgeltes alleinig auf die Tage der Arbeitsfähigkeit des maßgeblichen Referenzjahres abgestellt werde, könne der tatsächliche Verdienst des Klägers aus der Zeit vor dem Eintritt der streitgegenständlichen Arbeitsunfähigkeit zur Berechnung seines Krankengeldanspruchs im Jahr 2020 angemessen abgebildet werden. Andernfalls wäre der Kläger doppelt belastet, da er für die Tage der Wartezeit im Jahr 2019 kein Krankengeld erhalten habe, wenn diese Tage zusätzlich der Bemessung seines Einkommens zugrunde gelegt werden würden.

Gegen das der Beklagten am 16.08.2022 zugestellte Urteil hat sie am 23.08.2022 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Dem Krankengeld komme eine Entgeltersatzfunktion zu, weshalb als Berechnungsgrundlage das beitragspflichtige Arbeitseinkommen heranzuziehen sei. Für Versicherte, die wie der Kläger nicht Arbeitnehmer seien, sehe § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V vor, dass als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gelte, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war. Beitragsfreiheit bestehe indes nur für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld (§ 224 Satz 1 SGB V). Insoweit folge das Leistungsrecht dem Beitragsrecht. Das angegriffene Urteil führe dazu, dass Beiträge aus einem niedrigen Einkommen berechnet würden, wohingegen das Krankengeld aus einem höheren Einkommen berechnet werde. Dieses „Rosinenpicken“ widerspreche der gesetzlichen Konzeption und dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz2 SGB V. Soweit der Kläger auf die Entscheidung des BSG vom 14.12.2006 (B 1 KR 11/06 R) abstelle, ergebe sich hieraus nichts Gegenteiliges. Die Entscheidung stelle lediglich auf den Fall ab, in dem das Einkommen des Betroffenen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wesentlich geringer gewesen sei, als das zuletzt verbeitragte Einkommen. Dies liege nicht vor und die Rechtsprechung sei auch nicht auf die gegenteilige Konstellation übertragbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2022 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2022 zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und nimmt im Wesentlichen darauf, sowie auf sein bisheriges Vorbringen Bezug. Ergänzend führt er aus (Schriftsatz vom 23.05.2023), bei selbstständig Versicherten werde das Äquivalenzprinzip zugunsten der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes durchbrochen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 SGG) Berufung ist begründet.

I. Das Sozialgericht Dortmund hat die Beklagte auf die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) des Klägers zu Unrecht unter Aufhebung der Entscheidung der Beklagten über die Höhe des Krankengeldes seit dem 23.01.2020 (bekannt gegeben durch Überweisung am 10.07.2020, erläutert im Schreiben vom 11.08.2020) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2020 verurteilt, dem Kläger Krankengeld seit dem 23.01.2020 unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens von 3.154,88 Euro zu zahlen. Der Kläger hat lediglich Anspruch auf Zahlung eines Krankengeldes unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens von 1.267,85 Euro. Demgemäß war die Klage abzuweisen.

1. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. beträgt das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V a.F. wird das Regelarbeitsentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V a.F. berechnet und gemäß § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V a.F. für Kalendertage gezahlt. Für die Berechnung des Krankengeldes ist bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zu Grunde zu legen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillige Beiträge entrichtet worden sind. Dies waren vorliegend 1.267,85 Euro (4.522 Euro : <360 Tage - 253 Tage> x 30 Tage) monatlich (Bescheid vom 05.05.2020) bzw. kalendertäglich 42,26 Euro (1.267,85 Euro : 30 Tage). Daraus ergibt sich rechnerisch ein kalendertägliches Brutto-Krankengeld von 29,58 Euro (42,26 Euro x 70%).

2. Hiervon kann ausnahmsweise nur dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 10). Eine solche Ausnahmekonstellation ist hier nicht gegeben. Insbesondere ist die im Jahr 2019 angefallene Wartezeit (§ 46 Satz 4 SGB V) bei der Bemessung des Regelentgeltes nicht dergestalt zu berücksichtigen, dass das Jahreseinkommen des Klägers aus dem Jahr 2019 unter Außerachtlassung dieses Zeitraumes (Tage der Arbeitsunfähigkeit ohne Krankengeldanspruch) zu verteilen und das Einkommen des Jahres 2019 lediglich aus den Tagen der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu berechnen war (4.522 Euro : <360 Tage – 317 Tage> x 30 Tage = 3.154,88 Euro).

a) Das Krankengeld eines freiwillig versicherten hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen bemisst sich nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen (BSG vom 30.03.2004 – B 1 KR 32/02 R Rn. 6 ff.). Dabei ist im Regelfall das schon für die Beitragsbemessung maßgebend gewesenen Arbeitseinkommen zu berücksichtigen (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 11). Sofern der zuletzt der Beitragsbemessung zu Grunde liegende Betrag erkennbar höher als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen des Versicherten war, ist die Vermutung, dass die Beitragsbemessung das Arbeitseinkommen zutreffend widerspiegelt, widerlegt. Nur in diesem Fall muss das vor Eintritt der AU erzielte Arbeitseinkommen konkret ermittelt werden (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 11). Dies kommt etwa in Betracht, wenn der Versicherte Beiträge nicht nur aus seinem Arbeitseinkommen, sondern zu einem erheblichen Teil auch aus sonstigen beitragspflichtigen Einnahmen (z.B. aus Kapitalvermögen oder Vermietung) entrichtet hat oder, falls die Beiträge im Wesentlichen nur aus dem Arbeitseinkommen zu entrichten waren, wenn eine evidente Diskrepanz zwischen tatsächlichem Einkommen und der Beitragsbemessungsgrundlage besteht (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 11). Von diesen Ausnahmefällen abgesehen, kann als Regelentgelt ohne weitere Tatsachenermittlungen auf die zuletzt maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage abgestellt werden. Diese durch den Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V angeordnete Vorgehensweise entspricht sowohl der Funktion des Krankengeldes als auch den Erfordernissen der Verwaltungspraktikabilität (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 12 m.w.N.).

b) Ein solcher Fall, in dem der zuletzt der Beitragsbemessung zu Grunde liegende Betrag erkennbar höher als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen des Klägers war, liegt gerade nicht vor. Vielmehr begehrt der Kläger die Zahlung eines höheren Krankengeldes aufgrund eines Arbeitseinkommens, das höher, als das zuletzt der Beitragsbemessung zu Grunde gelegte Arbeitseinkommen ist.

Die durch das BSG aufgestellten Grundsätze sind auch auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Das Krankengeld soll seiner Funktion nach als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor Beginn der stationären Behandlung als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen. Bei der Frage, welches Arbeitseinkommen der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zuletzt erzielt und damit seine Einkommenssituation geprägt hat, muss berücksichtigt werden, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krankengeld angewiesen ist und die Bewilligung rasch erfolgen muss. Insoweit können Gesichtspunkte der Praktikabilität und Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens Selbstständiger nicht außer Betracht bleiben. Diesen Gesichtspunkten wird Rechnung getragen, wenn gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt wird, die anhand einfach festzustellender Tatsachen (letzte Beitragsbemessungsgrundlage) rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden können (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 12).

Das Abstellen auf ein Regelentgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrundlage führt in aller Regel auch dazu, dass das Krankengeld der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht und damit seine Funktion als Ersatz für entfallendes Arbeitseinkommen erfüllen kann. Denn Versicherte, die dauerhaft ein Arbeitseinkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze erwirtschaften, dürften regelmäßig ein Interesse daran haben, ihre Beitragslast durch den Nachweis eines geringeren Arbeitseinkommens in dem durch § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V eröffneten Rahmen zu verringern und "einkommensangemessene" Beiträge zu zahlen (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 12).

Die Berechnung des Arbeitsentgelts entsprechend der zuletzt maßgeblich gewesenen Beitragsbemessungsgrundlage ist anderen Methoden nicht unterlegen (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 13). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Krankengeld grundsätzlich nur als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden kann, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (bzw. vor Beginn der stationären Behandlung) als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen (LSG Berlin-Brandenburg vom 16.03.2006 – L 24 KR 3/05 Rn. 27). Nur wenn ausnahmsweise konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betrag, welcher zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Beitragsbemessung zu Grunde lag, hinsichtlich des Arbeitseinkommens erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war, ist eine möglichst zeitnahe Ermittlung des maßgeblichen Arbeitseinkommens anzustreben (BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 14). Hieran hat das BSG festgehalten und seiner Rechtsprechung nicht erkennbar auf die hier streitige, gegenteilige Konstellation ausgeweitet (vgl. BSG vom 15.01.2020 – B 3 KR 21/19 B Rn. 10 f. m.w.N., wonach es gefestigter Rechtsprechung entspreche, dass die Krankengeld-Bemessung bei einem hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen grundsätzlich nicht anhand des fiktiv der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Mindestarbeitseinkommens, sondern – wegen der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes – anhand des aus dem letzten Einkommensteuerbescheid ersichtlichen Arbeitseinkommens <§ 15 SGB IV> zu erfolgen habe. Falls gar kein Arbeitseinkommen erzielt worden sei, weil die abzugsfähigen Posten die Einnahmen im betroffenen Kalenderjahr überschritten hätten, scheide trotz Beitragszahlung ein Anspruch auf Krankengeld-Gewährung ganz aus. Bei Bestehen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Betrag, welcher zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Beitragsbemessung zugrunde gelegen habe, hinsichtlich des Arbeitseinkommens erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Einkommen wesentlich geringer gewesen sei, sei eine möglichst zeitnahe Ermittlung des maßgeblichen Arbeitseinkommens anzustreben.).

Soweit das BSG in einem durch den Kläger in Bezug genommenen (Schriftsatz vom 23.05.2023) Beschluss (BSG vom 22.02.2017 – B 3 KR 47/16 B Rn. 13) ausgeführt hat:

„Das Begehren des Klägers, den Krg-Anspruch in solchen Fällen zumindest anhand der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zu berechnen, berücksichtigt nicht das dem Gesetz zugrunde liegende Entgeltersatzprinzip, das - bei entsprechend hohem Arbeitseinkommen - im Einzelfall auch ein Krg oberhalb des sich aus dem der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Arbeitseinkommen ergebenden Krg ermöglicht, und stellt der Sache nach ein sozialpolitisches Anliegen dar, dessen Umsetzung dem Gesetzgeber obliegen würde; nach dem Beschwerdevorbringen ist die vom Kläger gewünschte Krg-Berechnung nicht zwingend aus den Vorschriften des GG abzuleiten.“

folgt daraus keine abweichende Beurteilung. Das BSG hatte in jenem Verfahren gerade keinen Fall eines zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Arbeitseinkommens zu entscheiden, welches deshalb erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsprach, weil sein tatsächliches Einkommen wesentlich höher war. Vielmehr war dort ein tatsächliches Einkommen unterhalb der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage gegenständlich. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Fehlens jeglicher argumentativer Auseinandersetzung mit der Konstellation eines tatsächlichen Arbeitseinkommens, das höher als das der Beitragsbemessung zu Grunde gelegte Arbeitseinkommen ist, vermag der Senat diesen Ausführungen nicht zu folgen. Vielmehr ist für die vorliegende Konstellation unmissverständlich in § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. geregelt, dass als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gilt, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Es besteht dann für den Senat nachvollziehbar ein Bedürfnis, hiervon abzuweichen, wenn die Beitragsbemessung sich an fiktiven Werten (z.B. dem fiktiv der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Mindestarbeitseinkommen; vgl. dazu BSG vom 15.01.2020 – B 3 KR 21/19 B Rn. 10 f. m.w.N.) orientiert und das tatsächliche Arbeitseinkommen hiervon erkennbar abweicht. Dies ist indes in der vorliegenden Konstellation gerade nicht erforderlich. Denn hier erfolgte die Beitragsbemessung gerade nicht anhand fiktiver Werte. Vielmehr erfolgte die Beitragsbemessung anhand des sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Arbeitseinkommens des Jahres 2019, welches auf die Anzahl der beitragspflichtigen Tage verteilt wurde. Für eine Durchbrechung des in § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. zum Ausdruck gebrachten Äquivalenzprinzips besteht kein Bedürfnis. Denn – anders als im Falle der Beitragsbemessung anhand fiktiver Werte – hat es die versicherte Person in dieser Konstellation in der Hand, die Beitragslast entsprechend der tatsächlichen Verhältnisse anzupassen und "einkommensangemessene" Beiträge zu zahlen (vgl. BSG vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R Rn. 12). Das Arbeitseinkommen kann zusammenfassend nur insoweit berücksichtigt werden, als es der Beitragsberechnung unterlag (vgl. auch Gerlach in: Hauck/Noftz SGB V, Stand: September 2020, § 47 Rn. 156). Eine Erhöhung des Krankengeldes durch Nachweis höheren Arbeitseinkommens ist nicht (mehr) möglich. Maßgebend ist entweder das der Beitragsberechnung zugrunde gelegte oder ein (tatsächlich) geringeres Arbeitseinkommen (s. Gerlach in: Hauck/Noftz SGB V, Stand: September 2020, § 47 Rn. 158).

Soweit das Sozialgericht meint, aufgrund der Entgeltersatzfunktion sei das Einkommen des Jahres 2019 lediglich aus den Tagen der Arbeitsfähigkeit des Klägers und nicht zusätzlich aus den Tagen der Arbeitsunfähigkeit ohne Krankengeldanspruch zu berechnen, weil dieser nur an den Tagen seiner Arbeitsfähigkeit seine Arbeitsleistung erbringen und Einkommen erwirtschaften konnte, überzeugt dies nicht. Diese Sichtweise wird der Situation freiwillig versicherter hauptberuflich Selbstständiger nicht gerecht.

Zunächst berücksichtigt dies nicht die Eigenverantwortung, die dieser Versichertengruppe zukommt. Anders als abhängig Beschäftigten wird den freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen – sowohl beitrags- wie leistungsrechtlich – ein weitgehender Eigensorgebereich zugewiesen. Ausdruck dessen ist beispielsweise die Regelung in § 46 Satz 4 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte, die – wie der Kläger – eine Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegeben haben, (erst) von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an entsteht. Diese durch Art. 15 Nr. 2 lit. a des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.07.2009 (BGBl I 1990) geschaffene Norm wurde u.a. damit begründet, dass für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige, die sich mit einer Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V für den "gesetzlichen" Krankengeld-Anspruch gegen Zahlung des allgemeinen Beitragssatzes entschieden hätten, der Anspruch im selben Zeitpunkt wie bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern beginne (vgl. BT-Drucks. 16/12256, S. 64). Hierdurch sollte auch Gesichtspunkten der Gleichbehandlung von Beschäftigten mit Selbstständigen Rechnung getragen werden. Bei der Festlegung des Krankengeld-Beginns ab der siebten Arbeitsunfähigkeits-Woche für freiwillig krankenversicherte hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige mit einer entsprechenden Wahlerklärung sollten im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sowohl leistungs- als auch beitragsrechtlich im Ergebnis bewusst die gleichen Wirkungen herbeigeführt werden wie bei abhängig Beschäftigten (vgl. dazu § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Auf diese Weise wurde ein Gleichklang beim Aufschub des Krankengeld-Anspruchs erreicht und eine Einsparung bei den Krankengeld-Aufwendungen der Krankenkassen herbeigeführt, indem für beide Gruppen ebenfalls der gleiche Beitragssatz galt (vgl. BSG vom 28.03.2019 – B 3 KR 15/17 R Rn. 24 ff.).

Während der Krankengeld-Beginn ab der siebten Arbeitsunfähigkeits-Woche bei Beschäftigten bewusster und gewollter Ausdruck zweier komplementärer bzw. sich ergänzender Regelungssysteme zur Sicherung von Entgelt- bzw. Einkommensausfall bei Krankheit ist (solange Versicherte insoweit Zahlungen des Arbeitgebers nach § 3 EntgFG - kraft Gesetzes im Regelfall für maximal sechs Wochen - erhalten, ist die Krankenkasse wegen Ruhens des Krankengeldes nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V von ihrer Leistungspflicht befreit; vgl. insgesamt BSG vom 28.03.2019 – B 3 KR 15/17 R Rn. 24 ff.), muss der freiwillig krankenversicherte hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige mit einer Wahlerklärung den Entgeltausfall aus eigener Kraft kompensieren bzw. hierfür Vorsorge treffen. Hierzu stehen ihm weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Systems der GKV zur Verfügung. Innerhalb des GKV-Systems kann das finanzielle Risiko bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch freiwillige Krankengeld-Tarife abgefedert werden. Die Satzung der Beklagten sah im streitgegenständlichen Zeitraum (Stand: 01.01.2020) unter § 35 „TK-Tarife Krankengeld“ vor, dass Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, das finanzielle Risiko bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bzw. stationärer Behandlung in einem Krankenhaus oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung über die TK-Tarife Krankengeld (KG) absichern konnten. Anlage 6 der Satzung regelte sodann die „Teilnahmebedingungen nach § 35 – TK-Tarife Krankengeld (KG)“ und sah zusätzliche, der Höhe nach wählbare Krankengeld-Leistungen teilweise bereits ab dem ersten Tag vor. Dass der Kläger vorliegend von dieser für seinen Versichertenkreis bestehenden Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, führt nicht dazu, dass er im Hinblick auf die Bemessung der Höhe des Krankengeldes abweichend von § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V a.F. zu behandeln wäre.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

C. Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Rechtskraft
Aus
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