Im Ergebnis einer an Art. 31 WVK orientierten Auslegung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 kommt es für die Fortgeltung der Regelungen des DPSVA 1975 maßgeblich auf den Wohnsitz der Person an, die den konkreten Leistungsanspruch geltend macht, wobei auch Hinterbliebene erfasst werden. Denn die (Volks-)Republik Polen und die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsparteien der DPSVA von 1975 und 1990 haben sich durch ihr Regierungen zur Abgrenzung der DPSVA von 1975 und 1990 auf den Verfahrensgrundsatz verständigt, dass die Anwendung eines der DPSVA in Abhängigkeit der Beibehaltung des Wohnsitzes des berechtigten Familienmitgliedes des Verstorbenen in dem jeweiligen Vertragsstaat erfolgt und es auf einen bereits erfolgten Erwerb von Rechten oder Ansprüchen zum 31. Dezember 1990 oder ein zu diesem Zeitpunkt bereits bestehendes Näheverhältnis nicht ankommt. Als Ausnahme hiervon kommt bei Berechtigten, die nach dem 31. Dezember 1990 geboren wurden, ausnahmslos das DPSVA 1990 zur Anwendung. Die Vertragsparteien waren zur Vereinheitlichung der Auslegung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 zur Vereinbarung dieser Verfahrensgrundsätze berechtigt, da hierdurch nicht gegen wesentliche Strukturentscheidungen des DPSVA 1990 verstoßen wurde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Juni 2019, Aktenzeichen B 5 R 36/17 R, Rn 23 bis 27).
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Witwenrente.
Die 1955 geborene Klägerin ist die Witwe des 1934 geborenen und 2020 verstorbenen L (im Folgenden: Der Versicherte). Die Eheschließung der Klägerin und des Versicherten erfolgte 2001. Der Versicherte hatte in Deutschland im Zeitraum vom 1. August 1950 bis 30. Juni 1990 Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Anschließend stand er bis zu seinem Ableben im Rentenbezug.
Die Klägerin zog am 1. Juni 2022 nach Dresden. Zuvor hatte sie seit ihrer Geburt durchgehend in Polen gewohnt.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2021 lehnte die Beklagte den am 25. Februar 2021 bei ihr eingegangenen Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Versicherten ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass auf die Klägerin das Deutsch – Polnische Sozialversicherungsabkommen vom 9. Oktober 1975 (im Folgenden DPSVA 1975) zur Anwendung komme, da diese ihren Wohnsitz vor dem 31. Dezember 1990 in Polen genommen und seitdem dort beibehalten habe. Hiernach sei der polnische Sozialversicherungsträger ZUS für die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen in Bezug auf alle bis zum 31. Dezember 1990 zurückgelegten Beitragszeiten des Versicherten zuständig. Da der Versicherte nach dem vorgenannten Datum keine in die Zuständigkeit der Beklagten fallenden Versicherungszeiten zurückgelegt habe und daher weniger als 12 Monate an Beitragszeiten im Zuständigkeitsbereich der Beklagten vorlägen, müsse der Antrag der Klägerin abgelehnt werden. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 25. November 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die vorgenannte Entscheidung als unbegründet zurück.
Mit ihrer am 20. Dezember 2021 erhobenen Klage macht die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente geltend, welchen sie nach ihrem Umzug nach Dresden und der Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten ab dem 1. Juni 2022 mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 6. April 2023 auf den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Mai 2022 begrenzt hat.
Die Klägerin argumentiert, dass das DPSVA 1975 auf sie keine Anwendung finden könne. Nach den Vorgaben des Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 8. Dezember 1990 (im Folgenden: DPSVA 1990) und dem Verständnis der Vertragsparteien greife das DPSVA von 1975 nur für Personen, bei denen zum Zeitpunkt des Stichtages am 31. Dezember 1990 bereits eine Rechtsbeziehung bestanden habe. Dieses entspreche auch der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 27. Juni 2019 zum Aktenzeichen B 5 R 36/17 R zu den dortigen Randnummern 28 und 29. Da die Ehe der Klägerin und des Versicherten erst im Jahr 2001 geschlossen worden sei, fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Anwendung des DPSVA 1975.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2021 zu verurteilen, die große Witwenrente aus der Versicherung des L, Versicherungsnummer , auch für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2021 bis zum 31. Mai 2022 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat dem Gericht Kopien der Unterlagen aus den Jahren 2000 und 2002 der Deutsch – Polnischen Regierungsvereinbarungen über Soziale Sicherheit, der Besprechung der deutschen Verbindungsstellen und Träger zu den Abkommen mit Polen und der Besprechung der deutschen und polnischen Verbindungsstellen und Träger der Rentenversicherung zur praktischen Durchführung der Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 und über Soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 zur Gerichtsakte gereicht. Die Beklagte hat ferner mitgeteilt, dass der polnische Sozialversicherungsträger ZUS der Klägerin für den im Streit stehenden Zeitraum aus den vorgenannten Beitragszeiten des Versicherten Hinterbliebenenrentenleistungen gewährt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte auf die Verwaltungsakte der Beklagten (Versicherungsnummer ), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden.
I.
Die Klage ist in zulässiger Weise als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 SGG erhoben worden.
II.
1.
Die Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat es mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2021 zu Recht abgelehnt, der Klägerin für den noch im Streit verbliebenen Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis 31. Mai 2022 eine große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten zu gewähren, da nicht sie sondern der polnische Sozialversicherungsträger Zakład Ubezpieczeń Społecznych (ZUS) für die Gewährung von Hinterbliebenenrentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung für den vorgenannten Zeitraum zuständig ist.
Die Klägerin kann den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente nicht auf die einzig hierfür in Betracht kommende Norm des § 46 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) stützen, da sie ihren Wohnsitz beziehungsweise ihren gewöhnlichen Aufenthalt seit ihrer Geburt und im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum noch in Polen hatte. Hieraus resultiert nach dem gemäß § 110 Abs. 2 und 3 SGB VI gegenüber dem § 46 SGB VI vorrangig regelnden zwischenstaatlichen Vertragsrecht der DPSVA von 1975 und 1990 in der Ausgestaltung, welche das DPSVA 1990 durch die Vereinbarung der Zuständigkeit für die Gewährung von Hinterbliebenenrenten durch die Vertragsstaaten in den Jahr 2001 bzw. 2002 gefunden hat, dass die Zuständigkeit für die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen für die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum, ausschließlich beim polnischen Sozialversicherungsträger ZUS liegt.
Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2019 zutreffend entschieden hat, kommt insbesondere die Regelung des Artikel 4 Abs. 1 und 2 des DPSVA 1975, welche bezüglich der Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für bis zum 31. Dezember 1990 zurückgelegte Versicherungszeiten im Sinne des das DPSVA 1975 prägenden Integrationsprinzips eine Zuständigkeit des Sozialversicherungsträgers des Wohnortes der jeweils berechtigten Person vorsieht, auf Grund der in den Anhängen zu den EG Verordnungen 883/2004 und 987/2009 vereinbarten weiteren Anwendbarkeit der Regelungen des Art. 27 Abs. 2 bis 4 des DPSVA 1990 in den dort vorgesehenen Fällen weiterhin zur Anwendung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Juni 2019, Aktenzeichen B 5 R 36/17 R, Rn 16 bis 18, auch zum historischen Hintergrund der Übergangsregelung des Eingliederungsprinzips und dessen Fortgeltung für den hiervon erfassten Personenkreis). Die die Fortgeltung von Art. 4 des DPSVA 1975 regelnde Norm des Art. 27 Abs. 2 des DPSVA 1990 bestimmt dabei, dass die vor dem 1. Januar 1991 auf Grund des DPSVA 1975 von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen Ansprüche und Anwartschaften durch das DPSVA 1990 nicht berührt werden, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaates beibehalten. Für die Ansprüche dieser Personen in der Renten- und Unfallversicherung gelten die Bestimmungen des DPSVA 1975. Hierbei sind für Anspruchsvoraussetzungen und Höhe der Leistungen die Rechtsvorschriften maßgebend, die am jeweiligen Wohnort für Versicherungen und Arbeitsunfälle (Berufskrankheiten) gelten, die dort zurückgelegt worden oder eingetreten sind.
Die Auslegung der vorgenannten Regelungen der DPSVA 1975 und 1990 erfolgt nach den Vorgaben des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention, im Folgenden WVK). Gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks. Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet gemäß Art. 31 Abs. 2 WVK der Zusammenhang außer dem Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen a) jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde; b) jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde. Nach Art. 31 Abs. 3 WVK sind außer dem Zusammenhang jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen zu berücksichtigen (a) sowie jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (b) (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 22). Nach dem Vertragsschluss getroffenen Übereinkünften über den Inhalt des jeweiligen Vertrages kommt daher vertragsfortbildende Wirkung zu (vgl. Dörr in Ipsen, Völkerrecht, 7. Auflage 2018, Verhältnis von Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht, Rn 42).
Dieses zu Grunde gelegt, kommt das Bundessozialgericht im Ergebnis zu Recht zu dem Schluss, dass es in einer an Art. 31 WVK orientierten Auslegung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 maßgeblich auf den unveränderten Wohnsitz derjenigen Person ankommt, die einen konkreten Anspruch auf Rentenleistungen geltend macht, wobei auch Hinterbliebene erfasst werden, die, wie die Klägerin, bis zum 31. Dezember 1990 geborene sind (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 23 bis 26). Das Bundessozialgericht stellt zutreffend fest, dass sich die (Volks-)Republik Polen und die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsparteien der DPSVA von 1975 und 1990 zur Abgrenzung der DPSVA von 1975 und 1990 auf die Verfahrensgrundsätze verständigt haben, dass die Anwendung eines der DPSVA grundsätzlich je nach Verlegung oder Beibehaltung des Wohnsitzes des berechtigten Familienmitgliedes des Verstorbenen erfolgt und dass nur in Bezug auf berechtigte Familienmitglieder des Verstorbenen, die nach dem 31. Dezember 1990 geboren wurde, ausschließlich das DPSVA 1990 zur Anwendung kommt (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 27). Dem Bundessozialgericht ist dabei auch insoweit zu folgen, dass die vorgenannten Vertragsparteien, zumindest in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland, eine durch Art. 4 Nummer 4 des Zustimmungsgesetzes vom 18. Juni 1991 (BGBL II., Seite 741f.) parlamentarisch hinreichend gedeckte Regelung für die sachliche Zuständigkeit des jeweiligen nationalen Rentenversicherungsträgers – bei vorher bestehenden Auslegungsschwierigkeiten und Uneinigkeit zwischen den Vertragsparteien – geschaffen haben (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 33). Diese nach Abschluss des DPSVA 1990 getroffene Übereinkunft bezüglich der Anwendung der DPSVA 1975 und 1990 im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK, die zur Überzeugung der 29. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt (Oder), die auf Grund einer Sonderzuständigkeit für in Polen wohnhafte Kläger relativ oft mit vergleichbaren Verfahren befasst ist, auch mit der späteren Anwendungspraxis im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK konform geht, geht dahin, dass es für die Anwendung des DPSVA 1975 nicht entscheidend darauf ankommt, ob zum Stichtag des 31. Dezember 1990 bereits nach den Vorgaben des jeweiligen nationalem Rechts, Rechte oder Anwartschaften des Hinterbliebenen erworben wurden (so im Ergebnis auch noch: Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 29). Abgestellt wird, entsprechend dem vom Bundessozialgericht zutreffend wiedergegebenen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, allein auf die Beibehaltung oder die Verlegung des Wohnort des Hinterbliebenen.
Dieser Übereinkunft lag allerdings, entgegen der Annahme des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 27. Juni 2019, keine Übereinstimmung zwischen der polnischen und der deutschen Vertragspartei zu Grunde, dass für die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 des DPSVA 1990 darauf abzustellen war, dass die hinterbliebene Person zum Stichtag des 31. Dezember 1990 bereits in einer Rechtsbeziehung zu dem Versicherten stand. Dieses war nur die ursprünglich von der deutschen Seite vertretene Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 2 DPSVA, welcher sich die polnische Seite nicht angeschlossen hat. Dieses ergibt sich aus der Antwort der Direktorin der ZUS vom 11. Mai 2001 (Seite 539 und 545 der von der Beklagten übersandten Unterlagen) welche bezüglich des Fallbeispiels zu 13b (Eheschließung am 15. November 1995, zeitlich späteres Ableben des Versicherten, kein Wohnsitzwechsel der in Polen wohnhaften Witwe nach dem 31. Dezember 1990) von einer Zuständigkeit der ZUS für die Erbringung der Witwenrentenleistung für die in Deutschland bis zum 31. Dezember 1990 zurückgelegten Versicherungszeiten ausging, da es nach der Rechtsauffassung der polnischen Seite allein auf den Wohnsitz der berechtigten Person / der Hinterbliebenen ankam. Daraufhin schlug die deutsche Seite nach Durchführung interner Erwägungen (vgl. Blatt 560f. der übersandten Unterlagen) einen Kompromiss vor, dass die deutsche Seite sich in den vorgenannten Fällen der polnischen Sichtweise anschließt, wenn diese im Gegenzug akzeptiert, dass bei nach dem 31. Dezember 1990 geborenen Hinterbliebenen ausschließlich das DPSVA 1990 zur Anwendung gelangt. Diese Herangehensweise der deutsche Seite war ausweislich der vorgenannten internen Erwägungen neben dem Wunsch eine Einigung in den streitig verblieben Anwendungsfällen zu erzielen, auch von der Motivation einer (Verwaltungs-) vereinfachung zur Abgrenzung der DPSVA 1975 und 1990 zu erreichen, da keine aufwendige Prüfung mehr durchzuführen war, ob von dem Hinterbliebenen nach dem jeweiligen nationalen Recht bereits Anwartschaften erworben worden waren, sondern nur noch die vergleichsweise einfache Prüfung des Wohnortes des Hinterbliebenen verblieb. Dabei schien es der deutschen Seite rechtlich vertretbar, die vom polnischen Sozialversicherungsträger ZUS geäußerte Rechtsauffassung zu übernehmen und für alle bis zum 31. Dezember 1990 geborenen Hinterbliebenen auf den Begriff der „erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ im Sinne des Art. 27 Abs. 2 DPSVA für die bis zum 31. Dezember 1990 geborenen Hinterbliebenen zu verzichten, da das DPSVA 1975 keinen persönlichen Geltungsbereich kenne, sondern grundsätzlich für alle Personen gelte, die in den beiden Vertragsstaaten wohnten (vgl. Seite 561 der übersandten Unterlagen).
Diesen Kompromissvorschlag der deutschen Seite hat zunächst die polnische Verbindungsstelle im Rahmen der im Oktober 2001 in Warschau durchgeführten Besprechung der deutschen und polnischen Verbindungsstellen der Träger der Rentenversicherung zur praktischen Durchführung der DPSVA 1975 und 1990 unter Top 24 und 25 des Protokolls der vorgenannten Besprechung (Seite 614 und 615) der übersandten Unterlagen zugestimmt. Wie bereits ausgeführt, wurde der hieraus gewonnene allgemeine Verfahrensgrundsatz danach auch entsprechend des Protokolls der deutsch – polnischen Regierungsverhandlungen über die Durchführung der Durchführung der Sozialversicherungsabkommen im Mai 2002 von den Vertretern der zuständigen Ministerien beider Staaten angenommen (Seite 679, 689 der übersandten Unterlagen).
In Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht waren die Vertragspartner zu einer solchen Übereinstimmung, zur Ausgestaltung der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der DPSVA 1975 und 1990 nach Art. 27 Abs. 2 DPSV 1990 und im damit Endeffekt zum Abschluss einer faktischen Zuständigkeitsvereinbarung auch berechtigt. Diese Berechtigung ergibt sich, wie bereits ausgeführt, für die deutsche Seite aus dem bereits zitierten Zustimmungsgesetz zur Überführung des DPSVA 1990 in deutsches Recht. Zwar hält die Kammer es für problematisch, dass Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 für die weitere Anwendbarkeit des DPSVA 1975 nach seinem Wortlaut neben der Beibehaltung des Wohnsitzes auch den zum Stichtag bereits erfolgten Erwerb von Rechten oder wenigstens Anwartschaften nach den Vorschriften des bisherigen Wohnortsstaates voraussetzt. Dieses gilt umso mehr, als es der wesentliche Zweck der Vorschrift des Art. 27 DPSVA 1990 ist, einerseits eine Besitzschutzregelung für die bereits erworbenen Rechte für die hierfür betroffenen Personen zu schaffen (so ausdrücklich: Denkschrift zum Abkommensschluss des DPSVA 1990, BT – Drucksache 12/303, Seite 20d.) und andererseits die Vertragsparteien davor zu bewahren, eine Vielzahl von bis zum 31. Dezember 1990 geregelter Versicherungsfälle neu bearbeiten zu müssen. Die Anwendbarkeit der Regelung des DPSVA 1975 auf Personen, die zum 31. Dezember 1990 nach dem jeweiligen deutschen und polnischen nationalen Recht noch keine Rechte erworben haben konnten, wie dieses bei der Klägerin mit Eheschluss erst im Jahr 2001 der Fall war, also de facto auf Neufälle, ist von den Vertragsparteien bei Abschluss des DPSVA 1990 daher wahrscheinlich nicht beabsichtigt gewesen.
Auf das Erfordernis von bis zum 31. Dezember 1990 „erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ durften die Vertragsparteien in einer späteren Übereinkunft jedoch trotzdem verzichten, da die polnische Seite entsprechend ihrer Äußerung zur Fallgruppe 13b dieses ersichtlich nicht als Tatbestandsvoraussetzung für die weitere Anwendbarkeit des DPSVA von 1975 ansah und auch die deutsche Seite den bereits erfolgten Erwerb von Ansprüchen oder wenigstens Anwartschaftsrechten durch die berechtigten Person nach ihrem Verständnis der vorgenannten Norm für die Anwendung des DPSVA 1975 ebenfalls nicht voraussetzte, sondern stattdessen auf das Bestehen einer rechtlichen Bindung zum Versicherten abstellte. Bei dem bis zum Abschluss der vorgenannten Übereinkunft bestehenden Dissenz der betroffenen Vertragsparteien zu Inhalt und Anwendungsbereich der Regelung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 war es legitim, wenn diese durch ihre Regierungen im Nachgang eine Übereinkunft zur zukünftigen übereinstimmenden Auslegung und Anwendung der unklaren völkervertragsrechtlichen Regelung treffen, wie dieses durch den Grundsatz des alleinigen Abstellens auf den Wohnort der vor dem 31. Dezember 1990 geborenen berechtigten Person geschehen ist. Hierfür spricht auch, dass den DPSVA von 1975 und 1990 in Bezug auf die berechtigten Personen keine unmittelbare Drittwirkung zukommt. Es handelt sich bei den vorgenannten Sozialversicherungsabkommen um völkerrechtliche Verträge, aus denen den einzelnen Individuen keine direkt vollziehbaren Rechte entstehen. Diese sollen insbesondere entsprechend den Normen des Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 und Art. 27 Abs. 2 DPSVA ihre jeweiligen Ansprüche nur nach dem jeweiligen nationalem Recht gegenüber den jeweiligen Vertragsstaaten erlangen, was durch die vorgenannte Übereinkunft im Grundsatz nicht vereitelt wird, da eine der beiden Vertragsparteien in jeden Fall für die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig ist. Dass eine von beiden Vertragsparteien für die bis zum 31. Dezember 1990 geleisteten Versicherungszeiten aus dem jeweils anderen Staat Versicherungsleistungen erbringt, ist dem DPSVA 1990 auf Grund der Vereinbarung der Fortgeltung des DPSVA 1975 durch Art. 27 Abs. 2 DPSVA in den dort genannten Fällen auch nicht grundsätzlich fremd. Die von den Vertragsparteien die Regelungen des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 fortbildende Zuständigkeitsvereinbarung für die bis zum 31. Dezember 1990 geborenen Personen verstößt daher trotz des ersatzlosen Verzichts auf den Begriff der „erworbenen Ansprüche und Anwartschaften“ nicht gegen wesentliche Strukturentscheidungen des DPSVA 1990 und verlässt auch nicht den Boden des dort festgelegten Programms (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rn 32 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund kann die Kammer es dahinstehen lassen, ob es durch eine konsequente Anwendung des Grundsatzes durch die Vertragsparteien, dass bei der Abgrenzung der Anwendbarkeit des DPSVA 1975 und des DPSVA 1990 nur auf den Wohnsitz der berechtigten Person abzustellen ist, in der Überzeugung, dass dieses ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht, die vertraglichen Regelung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA durch entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht teilweise derogiert wird. Eine im Völkerrecht grundsätzlich nur vorkommende Derogation von Völkervertragsrecht durch entgegenstehendes bilaterales Völkergewohnheitsrecht kann hier vorliegen, da anzunehmen ist, dass sowohl die deutsche als auch die polnische Vertragspartei in der Überzeugung hierzu durch die getroffenen Übereinkunft verpflichtet zu sein, den vorgenannten Grundsatz des alleinigen Abstellens auf den Wohnort der berechtigten Person seit dem Jahr 2002 stringent anwenden, wobei zumindest die deutsche Seite dieses ausweislich ihrer internen Erwägungen in der Annahme tut, auf den in Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 als Tatbestandsvoraussetzung vorgesehenen Begriff der „erworbenen Rechte und Anwartschaften“ für die bis zum 31. Dezember 1990 geborenen Personen zu verzichten, womit also ein auch bewusstes „sich Lösen wollen“ von diesem Teil der völkervertragsrechtlichen Regelung vorliegen kann (vgl. zu den völkerrechtlichen Voraussetzungen der Derogation einer völkervertragsrechtlichen Regelungen durch nachträglich gebildetes, diesem entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht zwischen allen Beteiligten Staaten, die dieses angeht: Dörr, a.a.O., m.w.N. mit Beispielsfällen zur Derogation).
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang der Hauptsacheentscheidung.
3.
Die Revision wird zugelassen.
Mit Rücksicht darauf, dass das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 27. Juni 2019 zum Aktenzeichen B 5 R 36/17 R zur Überzeugung der Kammer irrtümlich davon ausging, dass nach dem übereinstimmenden Verständnis der Vertragspartner für die Anwendung von Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 darauf abzustellen war, dass die hinterbliebene Person zum Stichtag des 31. Dezember 1990 in einer Rechtsbeziehung zu dem Versicherten stand (s.o.) und es seine Entscheidung in den Randnummer 28f. trotz der zutreffenden Feststellung der Vereinbarung des allgemeinen Verfahrenssatzes, dass es für die Anwendbarkeit nur auf den Wohnort des Hinterbliebenen ankommt, zumindest argumentativ auf diese Annahme gestützt hat, sowie vor dem Hintergrund, dass dieser Fall, anders als der vorgenannte vom Bundessozialgericht entschiedene Fall, eine Hinterbliebene betrifft, die zum vorgenannten Stichtag noch in keiner Rechtsbeziehung zu dem verstorbenen Versicherten stand, kommt der streitentscheidenden und entscheidungserheblichen Rechtsfrage der Auslegung des Art. 27 Abs. 2 DPSVA 1990 im Sinne des § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtsmittelbelehrung