L 13 SB 90/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 12 SB 14/21
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 13 SB 90/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung bei insulinpflichtigen minderjährigen Diabetikern mit der Folge der Bemessung des Einzel-GdB mit 50 folgt nicht bereits aus allgemeinen, allein im Lebensalter begründeten psychisch-sozialen Erwägungen (hier: Zum Zeitpunkt der Diagnose 13-jähriger, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 17jähriger Kläger). Eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung liegt vielmehr erst dann vor, wenn damit verbundene Befürchtungen, etwa in Bezug auf Verhaltensauffälligkeiten, sich im Einzelfall realisieren. Entsprechend gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung liegen in diesem Sinne nicht bei einem Jugendlichen vor, der in der Schule beliebt ist, gute schulische Leistungen erzielt und sich in psychischer Hinsicht altersentsprechend unauffällig verhält (Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Oktober 2022 L 11 SB 65/18 juris Rn. 12 unter Hinweis auf die Vorinstanz SG Berlin, Urteil vom 21. Februar 2018 S 178 SB 1106/16). Das Maß der aus einer Behinderung resultierenden Teilhabebeeinträchtigung ist grundsätzlich altersunabhängig zu bestimmen (Anschluss an LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2014 L 8 SB 5215/13 juris Rn. 31). Die Werte der VMG stellen altersunabhängige Mittelwerte dar.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 statt bislang 40 und mithin der Schwerbehinderteneigenschaft.

Am 25. September 2020 stellte der im März 2006 geborene Kläger aufgrund einer im Januar 2020 diagnostizierten Erkrankung an Diabetes Typ I einen Erstfeststellungsantrag beim Beklagten. Im Rahmen der nachfolgenden medizinischen Ermittlungen berichtete der Hausarzt des Klägers Dr. J. über den insulinpflichtigen Diabetes, Kontrollen erfolgten alle drei Monate im Klinikum K.. Einen Bericht von dort fügte er bei, Hypoglykämien seien selten, die Therapie werde sehr gewissenhaft und zuverlässig durchgeführt. Bei Erstdiagnose im Januar 2020 war eine zehntägige stationäre Behandlung erforderlich geworden. Es wurden Diabetesschulungen auch der Eltern durchgeführt, der Kläger konnte in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden. Nach Konsultation des Ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 den GdB des Klägers ab Antragstellung mit 40 sowie das Merkzeichen H fest.

Der Kläger legte, vertreten durch seine Eltern, Widerspruch ein, den diese mit Schreiben vom 6. Dezember 2020 insbesondere unter Hinweis auf die vielfältigen Benachteiligungen des Klägers als Diabetiker gegenüber gleichaltrigen Jugendlichen begründeten. Zudem wurde eine Blutzuckerdokumentation vorgelegt. Der Ärztliche Dienst des Beklagten führte hierzu aus, diese Dokumentation belege eine gelingende Zuckereinstellung durch die intensivierte Insulintherapie. Milde Unterzuckerungen seien dokumentiert worden, hätten jedoch keinen Fremdhilfebedarf und keine Lebensbedrohlichkeit zur Folge gehabt. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2020 zurück.

Der Kläger hat am 13. Januar 2021 Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Ein Vergleich mit gesunden Kindern aus dem Umfeld des Klägers mache es unmöglich, keine gravierenden Einschnitte in die Lebensführung des Klägers zu sehen. Unter anderem erfordere die Teilnahme an üblichen Freizeitaktivitäten einen erheblichen planerischen Aufwand. Besonders hervorzuheben sei die nächtliche Hilfebedürftigkeit, hier bestehe ein Fremdhilfebedarf durch die Eltern des Klägers, weswegen er auch nicht auswärts übernachten könne. Der Kläger hat weitere ärztliche Berichte und Diabetestagebücher vorgelegt.

Mit Teilanerkenntnis vom 1. März 2021 hat der Beklagte den GdB des Klägers bereits ab dem 1. Januar 2020 mit 40 festgestellt, ferner ist das Merkzeichen H erneut festgestellt worden. Unter dem gleichen Datum ist ein Ausführungsbescheid ergangen. Gemäß einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes vom 18. Februar 2021 liege eine Schwerbehinderung jedoch nicht vor. Unstrittig bringe die Erkrankung eine gravierende Änderung der Lebensgewohnheiten des Klägers mit sich, die Unterlagen – die Arztberichte und vorgelegten Diabetestagebücher – belegten aber eine gute Stoffwechseleinstellung bei sehr gewissenhaftem und zuverlässigem Umgang mit der Zuckerkrankheit. Schwere Hypoglykämien mit erforderlicher Fremdhilfe seien nicht belegt.

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat ärztliche Befundberichte eingeholt. Die Ärztin K. am Klinikum K. hat über eine gute Stoffwechseleinstellung berichtet. Berichtet hat ferner der Hausarzt Dr. J., er hat dargelegt, die Therapie erfolge am Klinikum K. und nicht durch ihn selbst. Die Vorlage eines weiteren Blutzuckertagebuchs hat weiterhin keine schweren Hypoglykämien ergeben.

Daraufhin hat das SG Oldenburg Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Direktors der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum L., Dr.  M., das dieser unter dem 27. Juni 2022 erstattet hat. Er hat die Diabeteserkrankung mit mehr als vier täglichen Insulininjektionen bestätigt. Die sonstige Lebensführung weise für den Kläger altersüblich ein hohes Maß an Variabilität auf. Auch bei optimaler Einstellung sei er einem massiven Druck gegenüber Gleichaltrigen ausgesetzt und die Wahrscheinlichkeit ungewöhnlichen Verhaltens steige deutlich an. Damit sei eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung dauerhaft vorhanden und die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 50 seien gegeben, dies sei medizinisch zwingend insbesondere unter Berücksichtigung der medizinisch-psychisch sozialen Gründe. Außerdem sei eine Fruktosemalabsorption des Klägers mit einem analog Teil B Nr. 10.2.2 Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG; geregelt sind in dieser Ziffer chronische Darmstörungen mit häufig und stärkeren rezidivierenden anhaltenden Symptomen) einzuschätzenden Einzel-GdB von 20 bis 30 gegeben. Der Kläger habe sowohl Bauchschmerzen, Spasmen wie auch Durchfälle gehabt. Auch eine Parallelbewertung mit einer Zöliakie, Einzel-GdB von 20, könne erwogen werden.

Der Ärztliche Dienst – Dr. N. – ist der Bewertung in einer Stellungnahme vom 15. Juli 2022 nicht gefolgt, auch nicht in Bezug auf die vom Sachverständigen benannte Fruktoseintoleranz, der mittels geeigneter Diät begegnet werden könne. Der Kläger hat das Gutachten hingegen für überzeugend erachtet. Der Ärztliche Dienst des Beklagten ist in einer weiteren Stellungnahme vom 29. August 2022 – Dr. O. – bei seiner Einschätzung geblieben, dies insbesondere unter Hinweis auf die gute Stoffwechseleinstellung, die Diätmöglichkeiten und die Angabe einer bereits deutlichen Besserung nach Weglassen von Fruktose in einem internistischen Bericht vom 5. September 2017. In den Befunden seit 2020 würden Bauchbeschwerden nach dem Weglassen von Fruktose nicht mehr berichtet. Die Fruktoseintoleranz sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, der Gesamt-GdB bleibe bei 40.

Anschließend hat das SG Oldenburg vom Sachverständigen Dr. M. eine unter dem 8. Dezember 2022 gefertigte ergänzende Stellungnahme eingeholt. Er hat nochmals betont, ein jugendlicher Diabetiker sei in seiner spontaneistischen Alltagsbewältigung massiv eingeschränkt und insoweit nicht mit einem Erwachsenen gleichzustellen. Die übliche Anpassung an die Gleichaltrigen und ihre Spontaneität sei nicht möglich, dies bedeute eine sehr ausgeprägte Mehrbelastung im Alltag. Genau die disziplinierte Anpassung, die u. a. schwere Hypoglykämien vermeide, führe bei Jugendlichen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Der Ärztliche Dienst des Beklagten ist auch in einer Stellungnahme vom 2. Januar 2023 – Dr. O. – bei seiner Auffassung geblieben. Entscheidend sei die Einstellungsqualität, die beim Kläger gut sei, und die Teilhabefähigkeit am Leben.

Mit Bescheid vom 11. April 2023 hat der Beklagte nach Anhörung des Klägers das Merkzeichen H mit Wirkung ab dem 1. Juni 2023 entzogen; das Merkzeichen H ist indes nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals ausdrücklich bestätigt hat.

In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2023 hat das SG Oldenburg den Kläger angehört. Er hat ausgeführt, er benutze keine Insulinpumpe, sondern einen Sensor und eine App auf dem Handy. Hieraus resultiere ein Alarm mit akustischem Signal, dies sei insbesondere in der Nacht aufgrund seines tiefen Schlafes wichtig. Der Kläger hat die Auswirkungen der Kontrollen – er berechne den Bedarf an Insulin jeweils individuell – und der Blutzuckereinstellung auf den Tagesablauf geschildert. In der Nachmittagsgestaltung sei er durch dann hohe Blutzuckerwerte regelmäßig eingeschränkt. Belastend seien auch hohe Fehlzeiten aufgrund der Erkrankung und die häufig fehlende Teilnahmemöglichkeit beim Sportunterricht. Sportliche Betätigung wirke sich auf die Blutzuckerwerte noch bis in die Nacht aus, längere Radwege könnten nur unter Schwierigkeiten zurückgelegt werden. Einmal habe sein Wert bei 23 gelegen, da habe ihm durch seine Eltern geholfen werden müssen und es sei auch zu Sehbeeinträchtigung und Schwindel gekommen. Als gewissenhafter Diabetiker sei er auch in seiner Spontaneität und in der Lebensmittelauswahl stark eingeschränkt.

Mit Urteil vom 13. Juni 2023 hat das SG Oldenburg die Klage abgewiesen. Die Feststellung eines GdB von 50 bei einem insulinpflichtigen Diabetes erfordere im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche zusätzlich auch eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung. Dies erfordere eine zusätzliche Wertung neben dem eigentlichen Therapieaufwand. Hierbei könnte z. B. die Planung des Tagesablaufs, die Gestaltung der Freizeit, die Zubereitung der Mahlzeiten, die Berufsausübung und die Mobilität betrachtet werden. Erhebliche Einschnitte in der Lebensführung seien nur unter strengen Voraussetzungen zu bejahen. Die Nachteile des Klägers im Tagesablauf seien zwar spürbar und belastend, aber nicht gravierend im Sinne der VMG, wie die Kammer auf S. 6 des Urteils ausgeführt und auf S. 7 im Einzelnen dargelegt hat. Sie seien eine typische Konsequenz seiner Erkrankung und unterschieden ihn nicht von anderen an Diabetes Erkrankten. Therapieaufwand und -erfolg seien im Normalbereich. Die Stoffwechseleinstellung sei gut.

Gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 12. Juli 2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Juli 2023 Berufung eingelegt. Er meint weiterhin, der GdB sei zu gering festgestellt, hat sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und nochmals auf das Erfordernis nächtlicher Fremdhilfe und Überwachung durch seine Eltern hingewiesen. In seiner Entwicklung als Jugendlicher zum Erwachsenen sei er zudem gravierend in seiner Lebensführung eingeschränkt, u. a. durch das Erfordernis elterlicher Hilfe und daraus folgenden fehlenden Abgrenzungsmöglichkeiten. Hinzu komme ein zusätzlicher ernährungsbedingter Aufwand durch die Fruktosemalabsorption, auch von der Verpflegung in der Schulmensa sei er etwa hierdurch ausgeschlossen. Insoweit beruft er sich ergänzend auch auf die Auffassung des Sachverständigen Dr. M..

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Oldenburg vom 13. Juni 2023 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2020 und des Änderungsbescheides vom 1. März 2021 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB des Klägers mit 50 ab dem 13. Januar 2020 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG Oldenburg für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG Oldenburg vom 13. Juni 2023 sowie der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2020 und des Änderungsbescheides vom 1. März 2021 sind in Bezug auf den zur Überprüfung stehenden Streitgegenstand der Höhe des GdB des Klägers rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, seinen GdB mit 50 festzustellen.

Der während des Klageverfahrens erteilte Bescheid vom 11. April 2023 über die Entziehung des Merkzeichens H ist nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des allein die Höhe des GdB betreffenden Rechtsstreits geworden.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 152 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG, BGBl. I 2016, 3234 ff.). Nach dieser Vorschrift, welche die die bisherigen Regelungen des § 69 SGB IX (Fassung bis zum 31. Dezember 2017) im Wesentlichen unverändert übernommen hat, stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (Abs. 1 S. 1). Als GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX n. F. die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Grundlage der Bewertung waren dabei bis zum 31. Dezember 2008 die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP). Dieses Bewertungssystem ist zum 1. Januar 2009 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen abgelöst worden durch die aufgrund des § 30 Abs. 17 (bzw. Abs. 16) BVG erlassene und zwischenzeitlich mehrfach geänderte Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I 2412). Die darin niedergelegten Maßstäbe waren nach § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX (in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen Fassung) auf die Feststellung des GdB entsprechend anzuwenden. Seit dem 15. Januar 2015 existiert im Schwerbehindertenrecht eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung, in der die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdB und auch für die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen aufgestellt werden (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 gültigen Fassung bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Hierzu sieht der zeitgleich in Kraft getretene § 159 Abs. 7 SGB IX (nunmehr § 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) als Übergangsregelung vor, dass bis zum Erlass einer solchen Verordnung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten.

Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) erlassen worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die AHP und die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX n. F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den VMG feste Grade angegeben sind (Teil A Nr. 3 b VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d ee VMG; vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs. 1, § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX n. F., wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze sind das Urteil des SG Oldenburg vom 13. Juni 2023 und die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat vielmehr zu Recht die Feststellung eines höheren GdB abgelehnt.

Der Senat folgt der ausführlichen und überzeugenden Begründung des Urteils des SG Oldenburg vom 13. Juni 2023, der er sich nach eigener Sachprüfung anschließt und die er daher nicht wiederholt (§ 153 Abs. 2 SGG). Insbesondere hat das SG Oldenburg bereits die Rechtsgrundlage in Teil B Nr. 15 VMG ausführlich dargestellt. Von zentraler Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits ist, ob der Kläger im Rahmen der Auswirkungen des Diabetes durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 18; Urteil vom 25. Oktober 2012 - B 9 SB 2/12 R - juris Rn. 37). Dies hat das SG Oldenburg unter Hinweis auf die gute Stoffwechseleinstellung sowie das Fehlen einer außergewöhnlich schwer regulierbaren Stoffwechsellage verneint und weiter dargelegt, die Einschränkungen des Klägers im schulischen Bereich seien ebenso wie der nächtliche Therapieaufwand, der Planungsaufwand für längere Ausflüge und die Fruktosemalabsorption nicht geeignet, eine derartige wesentliche zusätzliche Beeinträchtigung zu begründen. Dem schließt sich der Senat an. Allerdings sind die Ausführungen des SG Oldenburg im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten alterstypischen Besonderheiten, die auch der Sachverständige Dr. M. in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellt hat, nachfolgend zu ergänzen.

Im Ausgangspunkt lässt sich bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung durch erhebliche Einschnitte in der Lebensführung nur unter strengen Voraussetzungen bejahen. Das zeigt sich schon an der Formulierung der Vorschrift, die eine für einen Normtext seltene Häufung einschränkender Merkmale enthält (erheblich, gravierend, ausgeprägt). Die mit der dort vorausgesetzten Insulintherapie zwangsläufig verbundenen Einschnitte sind nicht geeignet, eine zusätzliche gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung hervorzurufen. Entsprechende gravierende Einschnitte können vorliegen, wenn ein Antragsteller zusätzlich durch eine schlechte Einstellungsqualität in seiner Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist; bei Fehlen schwerer hypoglykämischer Entgleisungen mit erforderlicher Fremdhilfe im Krankheitsverlauf, nennenswerter Zeiten von Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlungsbedürftigkeit und Folgeschäden an anderen Organen – wie im Fall des Klägers – sind insoweit eher Zweifel angebracht. Auch Einschränkungen bei Reisen, beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen und bei der Nahrungsaufnahme bedeuten zwar eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung, erreichen aber nicht das Ausmaß einer darüber noch hinausgehenden ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 SB 2/13 R – juris Rn. 21 f.). Entsprechend zu bewerten sind die Angaben des Klägers zu seinen Einschränkungen bei sportlichen Betätigungen und bei der Zurücklegung des Schulwegs mit dem Fahrrad.

Beim Kläger sind insoweit insbesondere sein junges Lebensalter, die Fruktosemalabsorption und die Störung des Nachtschlafes zu betrachten. Hinsichtlich der beiden letztgenannten Kriterien sieht der Senat eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung nicht gegeben und folgt insoweit den Ausführungen des SG Oldenburg sowie des Ärztlichen Dienstes des Beklagten. Die Besonderheit des Lebensalters bedarf weiterer Betrachtung, allerdings greift auch dieser Aspekt letztlich nicht durch, um eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung zu begründen.

Nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens des Dr. M. vom 27. Juni 2022 ergibt sich eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung zwar nicht aus Eigenarten der Therapie und der Einstellungsqualität, aber aus dem Umstand des Lebensalters des bei Begutachtung 16jährigen Klägers. Auch bei optimaler Einstellung sei er einem massiven Druck gegenüber Gleichaltrigen ausgesetzt, eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung ergebe sich unter Berücksichtigung der medizinisch-psychisch sozialen Gründe. Ein jugendlicher Diabetiker sei in seiner Alltagsbewältigung massiv eingeschränkt und insoweit nicht mit einem Erwachsenen gleichzustellen. Die übliche Anpassung an die Gleichaltrigen und ihre Spontaneität sei nicht möglich. Genau die disziplinierte Anpassung, die u. a. schwere Hypoglykämien vermeide, führe bei Jugendlichen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Gemäß den Ausführungen in der Berufung tritt hinzu das Erfordernis elterlicher Hilfe, etwa nächtlicher Fremdhilfe und Überwachung durch seine Eltern, und daraus folgenden fehlenden Abgrenzungsmöglichkeiten. In seiner Entwicklung als Jugendlicher zum Erwachsenen sei der Kläger daher gravierend in seiner Lebensführung eingeschränkt.

Neben einem unzureichenden Therapieerfolg sind hinsichtlich der Annahme einer ausgeprägten Teilhabebeeinträchtigung auch alle anderen durch die Krankheitsfolgen herbeigeführten erheblichen Einschnitte in der Lebensführung zu beachten (vgl. Hessisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 19. November 2019 – L 3 SB 78/18 – juris Rn. 29).

Der Senat berücksichtigt insoweit auch Besonderheiten jugendlicher Diabetiker gegenüber Gleichaltrigen jenseits der Stabilität der Blutzuckerwerte, etwa die vom Sachverständigen Dr.  M. genannten Umstände des erhöhten Drucks gegenüber Gleichaltrigen und die für das Lebensalter typischen besonderen Risiken ungewöhnlichen Verhaltens in dem Bewusstsein, dass „normwidrige“ Lebensumstände oder gegenüber Gleichaltrigen ungewöhnliches Verhalten die soziale Akzeptanz eines Kindes oder Jugendlichen in der Gruppe gefährden können. Dieses Risiko allein bedingt indes noch keine gravierenden Beeinträchtigungen in der Lebensführung. Dies ist hier ebenso wenig der Fall wie auch sonst bei aufgrund individueller Umstände bestehenden besonderen Risiken. Regelmäßig resultieren aus solchen besonderen Risiken (z. B. erhöhtes Krebsrisiko aufgrund genetischer Disposition) erst dann Auswirkungen auf den GdB, wenn sie sich realisiert haben oder gegenwärtig bereits erhebliche psychische Auswirkungen bestehen, sofern diese bei der Bemessung im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche einen entsprechenden Ausprägungsgrad erreichen. Erhebliche psychische Auswirkungen kann selbstverständlich auch die Erkrankung selbst haben; diese Auswirkungen müssen dann jedoch über das gemäß Teil A Nr. 2 i VMG mit abgedeckte durchschnittliche bzw. übliche Maß erheblich hinausgehen. Auch insoweit ist bei altersunabhängiger Betrachtung nicht auf das übliche Maß bei Betrachtung der durchschnittlichen seelischen Belastung aller Diabetiker, sondern auf dasjenige Vergleichsmaß aller Diabetiker in ähnlichem Lebensalter abzustellen.

Eine gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung liegt somit erst dann vor, wenn die damit verbundene Befürchtung deutlicher, die gewöhnlichen Umstände der Erkrankung übersteigender sozialer Benachteiligung sich im Einzelfall realisiert und diese Auswirkungen über die mit den Umständen der Erkrankung zwangsläufig verbundenen Einschnitte erheblich hinausgehen. Entsprechend gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung liegen in diesem Sinne nach einem Urteil des SG Berlin nicht bei einem Jugendlichen vor, der in der Schule beliebt ist, gute schulische Leistungen erzielt und sich in psychischer Hinsicht altersentsprechend unauffällig verhält (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Oktober 2022 – L 11 SB 65/18 – juris Rn. 12 unter Hinweis auf die Vorinstanz SG Berlin, Urteil vom 21. Februar 2018 – S 178 SB 1106/16). Hingegen liegen sie in Fällen nahe, in denen minderjährige Diabetiker psychische Auffälligkeiten bis hin zur Selbstverletzung zeigen. Gleiches gilt selbstverständlich in Fällen, in denen Diabetikerkinder durch Mobbing oder Ausgrenzung seitens Gleichaltriger in ihrer Entwicklung gestört werden.

Das Maß der aus einer Behinderung resultierenden Teilhabebeeinträchtigung ist grundsätzlich altersunabhängig zu bestimmen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2014 – L 8 SB 5215/13 – juris Rn. 31 mit kritischer Anmerkung Dau, jurisPR-SozR 9/2015 Anm. 3). Zwar führt gerade die Abweichung vom alterstypischen Zustand dazu, dass die allgemeine Regelwidrigkeit nach den Wertungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu einer behinderungstypischen Funktionsbeeinträchtigung wird (LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Im Rahmen der Bewertung dieser Behinderung stellen die Werte der VMG aber altersunabhängige Mittelwerte dar (Teil A Nr. 2 d VMG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht nur ein Diabetes, sondern nahezu jede Form einer Behinderung dazu führen kann, dass die im Rahmen der Teilhabemöglichkeiten zu berücksichtigenden sozialen Auswirkungen aufgrund der typischen Sozialstrukturen des Jugendalters schwerwiegender und erheblicher sind als im fortgeschrittenen Alter. Jedoch teilt der Senat die Auffassung des LSG Baden-Württemberg, a. a. O. (juris Rn. 38), dass eine Differenzierung der Bewertung nach dem altersüblichen Aktivitätsmuster bzw. der altersüblichen Sozialstrukturen weder faktisch durchführbar noch erforderlich ist. Die VMG bilden vielmehr altersunabhängige Mittelwerte und nehmen insoweit eine zulässige Typisierung vor, mit Ausnahme ausdrücklicher Differenzierungen nach dem Lebensalter im Text der VMG (vgl. ausführlich LSG Baden-Württemberg, a. a. O., Rn. 39). Grundsätzlich wird der GdB altersübergreifend bestimmt, ansonsten bedürfte es im Übrigen auch einer weiteren Differenzierung zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen. Dass sich Behinderungen im Jugendalter typischerweise im Rahmen aktiver Sozialstrukturen stärker auswirken als bei alten Menschen, ist insoweit grundsätzlich im Rahmen zulässiger Typisierung hinzunehmen.

Letzteres bedeutet jedoch nicht, dass gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung durch jugendspezifische Besonderheiten insbesondere der Sozialstrukturen bei der Bewertung eines Diabetes mellitus nach Teil B Nr. 15.1 VMG denknotwendig ausgeschlossen wären. Der Senat schließt sich insoweit ausdrücklich dem SG Berlin (a. a. O.) an, dass eine entsprechende alterstypische gravierende Beeinträchtigung zwar grundsätzlich zu betrachten und zu erwägen ist, aber eine solche nicht bei Kindern und Jugendlichen vorliegt, die unter Gleichaltrigen beliebt und in psychischer Hinsicht altersentsprechend unauffällig sind. Diese leiden nämlich vergleichbar wie ältere und jüngere Erwachsene im Wesentlichen unter dem zusätzlich zu erbringenden Therapieaufwand und den mit diesem Aufwand unvermeidbar verbundenen Restriktionen der alltäglichen Lebensführung.

Dies ändert sich auch nicht maßgeblich durch eine stärker erforderliche elterliche Überwachung aufgrund einer Behinderung, sofern dies keine schwerwiegenden weiteren psychischen Konsequenzen für den betroffenen jungen Menschen hat. Auch in gesteigertem Fremdhilfebedarf, der durch die Eltern eines Minderjährigen erbracht wird, sieht der Senat grundsätzlich keine gravierenden Beeinträchtigungen in der Lebensführung (anders SG Osnabrück, Urteil vom 27. April 2023 – S 9 SB 399/20 – S. 5 ff., im Falle eines 12jährigen Kindes; aufgehoben durch Senatsurteil vom 14. Februar 2024 – L 13 SB 60/23 – mit zugelassener Revision zum BSG). Ausnahmefälle sind selbstverständlich denkbar. Im Regelfall aber kann gerade bei Kindern, die an Fremdhilfe durch die Eltern in verschiedenen Ausprägungen ohnehin gewöhnt sind, von entsprechender sozialer Akzeptanz durch das betroffene Kind selbst und durch Dritte ausgegangen werden, im Kindesalter regelmäßig auch bei engmaschiger Begleitung (anders SG Osnabrück, a. a. O.). Bei Jugendlichen kommt es auf Art und Ausmaß an. Gelegentlicher nächtlicher Hilfebedarf dürfte hier die Schwelle zur gravierenden Beeinträchtigung in der Lebensführung aber nicht überschreiten. Es handelt sich bei dem elterlichen Hilfebedarf letztlich um ein Element des durch das Lebensalter modifizierten allgemeinen Therapieaufwandes. Hierbei muss der Kläger ggf. übermäßige Eingriffe in seine Privatsphäre durch die Eltern – ein nächtlicher Alarm wird zeitgleich auf dem Handy der Mutter ausgelöst, wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung geschildert hat – in Anbetracht seines Lebensalters nicht hinnehmen, falls er sich dadurch im Sinne eines gravierenden Eingriffs in seine Lebensführung gestört fühlen sollte.

Einer weiteren Betrachtung bedürfen nach dem vorstehend wiedergegebenen Prüfungsmaßstab insbesondere die individuellen Umstände der psychischen und sozialen Entwicklung in der konkreten Lebenssituation eines Jugendlichen. Dies stellt den wesentlichen Aspekt bei der Beantwortung der Frage dar, ob altersbedingte Besonderheiten des jugendlichen Alters als gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung zu bewerten sind. Einerseits ist dem Diabetiker die übliche Anpassung an die Gleichaltrigen und ihre Spontaneität nicht möglich. Andererseits können sich besondere psychische Probleme etwa im Selbstwertgefühl oder in der sozialen Akzeptanz des behinderten jungen Menschen ergeben.

In diesem Sinne liegen bei Kindern und Jugendlichen zusätzliche gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung dann vor, wenn individuelle soziale Probleme erkennbar werden, dies vor allem dann, wenn gravierende Verhaltensauffälligkeiten aus der Erkrankung resultieren oder wenn im Einzelfall die soziale Akzeptanz des individuellen behinderten Menschen in deutlichem Maße behinderungsbedingt leidet (etwa durch Mobbing oder deutliche Ausgrenzung durch Gleichaltrige aufgrund der bestehenden Behinderung). Dies stellt Risiken dar, die als alterstypisch für Kinder und Jugendliche angesehen werden können, auch wenn sie in höherem Lebensalter nicht denknotwendig ausgeschlossen sind. In weiterer Folge führen diese Problematiken typischerweise zu einer erheblichen Reduzierung der Entfaltungsmöglichkeiten (etwa fehlendes Selbstwert- oder Gemeinschaftsgefühl sowie Einschränkungen gemeinsam erlebter Freizeitaktivitäten) und in vielen Fällen zu gravierenden Auswirkungen auf die Entwicklung. Derartige Beeinträchtigungen sind als gravierende Beeinträchtigungen in der Lebensführung zu berücksichtigen. Dies würde im Übrigen in gleichem Maße auch für betroffene Erwachsene gelten, dürfte aber bei ansteigendem Lebensalter nach üblicher altersbedingter Veränderung von Sozialstrukturen in einem erwachsenen Umfeld mehr und mehr unwahrscheinlich werden.

Entsprechende gravierende Einschnitte im Sinne individueller Auswirkungen, die über die üblichen Einschränkungen eines Diabetes hinausgehen, sind im Falle des Klägers nicht festgestellt. So hat auch der Sachverständige Dr. M. festgestellt, dass sich ungewöhnliches Verhalten beim Kläger erfreulicherweise noch nicht gezeigt habe (Seite 3 des Gutachtens vom 27. Juni 2022). Der GdB des Klägers aufgrund der Diabeteserkrankung ist demzufolge mit 40 korrekt bemessen. Der Generalisierung, die der Sachverständige Dr. M. im Hinblick auf minderjährige Diabetiker und die Bewertung ihrer besonderen Lebenssituation als gravierende Einschnitte in der Lebensführung angenommen hat, vermag der Senat sich nicht anzuschließen.

Weitere Funktionsstörungen und Beschwerden des Klägers rechtfertigen in Anwendung von Teil A Nr. 3 d ee VMG keine weitere Erhöhung des GdB und nicht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen zudem zur vollen Überzeugung des Gerichts in der Weise nachgewiesen werden, dass vernünftige Zweifel nicht verbleiben und das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Auch hinsichtlich des geltend gemachten Ausmaßes einer Gesundheitsstörung ist für den Ausspruch einer entsprechenden Feststellung eine jeden vernünftigen Zweifel ausschließende volle Überzeugung erforderlich, dass die Funktionsstörung in diesem Ausmaß vorliegt und die Möglichkeit einer lediglich mit einem geringeren GdB zu bewertenden Störung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Verbleiben insoweit Zweifel, ist auch im Falle überwiegender Wahrscheinlichkeit eines höher zu bewertenden Ausmaßes eine Höherbewertung nicht möglich, so lange deren Erforderlichkeit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht mit dem entsprechenden Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung als erwiesen gelten kann.

Dies führt in den häufigen Fällen, in denen der Gesamt-GdB in vertretbarer Weise entweder einen Zehnergrad höher oder niedriger angenommen werden kann, zudem regelmäßig dazu, dass eine richterliche Heraufsetzung des GdB auf den höheren vertretbaren Wert aufgrund der in diesen Fällen zumeist verbleibenden Zweifel nach den Regeln der objektiven Beweislast (hierzu BSG, Urteil vom 27. Oktober 2022 – B 9 SB 4/21 R – juris Rn. 41, m. w. N.) nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
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