L 5 KR 22/24 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 362/23 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 22/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

 

1. Bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (reinen) Anfechtungsklage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gegen einen Widerlegungsbescheid über eine Mindestmengenprognose kommt es für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Verwaltungsentscheidung an. Dieser Zeitpunkt entspricht damit demjenigen der (reinen) Anfechtungsklage als dem (akzessorischen) Hauptsacheverfahren.

2. Diese (rein) prozessuale Betrachtung entspricht auch den Regelungen und den ihnen zugrundeliegenden Wertungen des Fachrechts. Sinn und Zweck der Verfahrensregelungen in § 136b Abs. 5 Sätze 3 bis 8 SGB V besteht darin, eine verbindliche Klärung der Berechtigung des Krankenhauses zur Erbringung und Abrechnung der mindestmengenbelegten Leistungen vor Beginn des maßgeblichen Kalenderjahres herbeizuführen. Dies dient zum einen der effektiven Durchsetzung des Leistungserbringungsverbots gemäß § 136b Abs. 5 Satz 1 SGB V und damit der Qualitätssicherung. Zum anderen verschafft es den Krankenhäusern Rechtssicherheit. Um diesen Zweck effektiv zu erreichen, sind die Entscheidungen nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V mit verbindlicher Wirkung im Verhältnis zwischen dem einzelnen Krankenhaus und sämtlichen Krankenkassen ausgestattet. Wirksame Widerlegungsentscheidungen suspendieren die Leistungsberechtigung, die das Krankenhaus durch die Prognose des Krankenhausträgers nach § 136b Abs. 5 Satz 3 SGB V gegenüber sämtlichen Krankenkassen erlangt. Hält der Krankenhausträger die Widerlegung für rechtswidrig, kann er hiergegen Anfechtungsklage erheben (und Antrag auf Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung stellen) und so eine gerichtliche Klärung herbeiführen.

3. Diesen Grundsätzen entspricht es, dass sich die Krankenkasse in ihrem Widerlegungsbescheid nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V mit allen bis zu diesem Zeitpunkt ihr bekannten die Prognose des Krankenhausträgers tragenden Argumenten/Elementen sorgfältig auseinandersetzen muss. Das verfassungsrechtliche Recht auf ein rechtsstaatliches und faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, 103 Abs. 1 GG) und seine einfachgesetzliche Ausprägung in § 24 Abs. 1 SGB X mit der dort geregelten Pflicht zur vorherigen Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts, von der nur ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 SGB X abgesehen werden kann, erfordern zudem, den Krankenhausträger vor Erlass der Widerlegungsentscheidung anzuhören. Dies gilt in besonderer Weise, wenn die Widerlegung der vom Krankenhausträger abgegebenen Prognose von den Krankenkassenverbänden wie hier mit einer Unplausibilität der (bisherigen) Angaben begründet wird. Dann müssen die Krankenkassenverbände die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen, dem Krankenhausträger ggf. unter Setzung einer kurzen Frist eine Ergänzung des für unvollständig gehaltenen Vorbringens zu ermöglichen.

4. Es spricht daher wegen Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG und deren Anforderungen an Ausschlussfristen mit weitreichenden materiell-rechtlichen Folgen mehr dagegen, als dafür, die (ausschließlich) in § 5 Abs. 1 Satz 1 Mm-R und damit in einer Verfahrensnorm des G-BA vorgesehene Frist zur Übermittlung der Prognose des Krankenhausträgers bis spätestens 7. August des laufenden Kalenderjahres als Ausschlussfrist anzusehen (mit Blick auf die Reichweite der Regelungskompetenz des G-BA zweifelnd auch BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R, BSGE 132, 55 = BeckRS 2021, 17173, Rn. 27).

 

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerinnen vom 27.12.2023 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 20.11.2023 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerinnen haben der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens gesamtschuldnerisch zu erstatten.

III. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 88.807,16 EUR festgesetzt.


G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Ast.) begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Antrags- und Beschwerdegegnerinnen (Ag.) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Ag. über die Widerlegung einer Mindestmengenprognose nach § 136b Abs. 5 Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Die Ast. ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Plankrankenhauses in K im Allgäu.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in diesem Krankenhaus bislang die in den vergangenen Jahren geltende Mindestmenge für komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus (Speiseröhre) bei Erwachsenen von 10 eingehalten wurde. Ab dem Jahr 2024 wurde die Mindestmenge auf die Zahl 26 erhöht, Übergangsregelungen sind ausgelaufen (Anlage 3 der Mindestmengenregelungen (Mm-R) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), zuletzt geändert am 21.12.2023, in Kraft getreten am 15.02.2024).

1.
Mit maschineller Datenmeldung vom 07.08.2023 stellte die Ast. für den Leistungsbereich der komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene die positive Prognose und gab dabei an, dass im Jahr 2022 insgesamt 11 Leistungen und im Zeitraum vom 01.07.2022 bis 30.06.2023 bereits 18 Leistungen erbracht worden seien.

Mit Schreiben vom 10.08.2023 führten die Ag. ein schriftliches Anhörungsverfahren nach § 24 SGB X mit Hinweis auf die Regelungen in § 136b Abs. 5 SGB V durch, weil sie Zweifel an der seitens der Ast. prognostizierten Mindestmenge hatten.

Mit einem auf den 08.08.2023 datierten Schreiben führte die Ast. ergänzend aus, dass zutreffenderweise bei grundsätzlicher Betrachtung der Größe des Krankenhauses die nötige Menge an Leistungen nicht zu erfüllen sei. Es seien allerdings konkrete Besonderheiten der hiesigen Klinik zu berücksichtigen, die ein Erreichen der Mindestmengen deutlich wahrscheinlich mache und dass wahrscheinlich sogar in 2023 bereits die Menge von 26 erreicht werde. Die Klinik sei im Allgäu der einzige überregionale Versorger, echte Großkliniken seien über zwei Stunden entfernt. Darüber hinaus biete die Klinik eine besondere Versorgung mittels Robotik an. Es handele sich hier um ein Alleinstellungsmerkmal, zumal die Kliniken in U und R diese Art der Operationen aufgrund von Personaländerungen hätten einstellen müssen und daher die hiesige Klinik mehr Zulauf erhalte. Aufgrund der neuen innovativen Methode steige die Nachfrage nach diesen Operationen bei der Ast. stark an, da diese komplett minimalinvasiv ablaufen würden. Man sei daher überzeugt, die Mindestmengen in naher Zukunft erfüllen zu können. Die Ast. sei das erste Haus, das seit 2017 die Operationen mittels Robotik durchführe und es bestehe viel Erfahrung in diesem Bereich.

Mit gemeinsamem Bescheid vom 26.09.2023 erklärten die Ag. gegenüber der Ast., dass für das Jahr 2024 keine positive Prognose bestehe, wonach die Mindestmenge von 26 komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus für Erwachsene erreicht werden könne. Die Leistung dürfe daher ab 01.01.2024 nicht mehr bewirkt werden. Den Ausführungen zu weiteren Umständen hinsichtlich der Erreichung der Mindestmengen habe unter Abwägung aller Umstände nicht gefolgt werden können. Es könne der Darstellung, dass echte Großkliniken nur in ein bis zwei Autostunden zu erreichen seien, nicht gefolgt werden, da im engeren Einzugsbereich wenigstens ein weiteres Krankenhaus diesen Leistungsbereich anbiete. Ebenso trage der Verweis auf die Robotikbehandlung nicht zu einer anderen Einschätzung bei. Denn die Robotik sei kein Alleinstellungsmerkmal, aufgrund dessen eine Erreichung der Mindestmenge erwartbar dargelegt werden könne.

2.
Am 26.10.2023 hat die Ast. (Anfechtungs-)Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben (S 3 KR 348/23) und ihren Sachvortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Darüber hinaus hat die Ast. auf Aufforderung des Gerichts eine Liste der bereits in 2023 durchgeführten Operationen vorgelegt, wonach bis zur Klageerhebung 19 derartige Operationen durchgeführt waren (Schriftsatz vom 31.10.2023). Eine Äußerung der Ag. im Klageverfahren ist bislang nicht erfolgt.

Am 06.11.2023 hat die Ast. außerdem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gestellt und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Ag. vom 26.09.2023 begehrt. Zur Begründung hat die Ast. ausgeführt, dass
vorliegend ihr Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse der Ag. überwiege, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Bescheides bestünden, weil der Bescheid materiell rechtswidrig sei:

• Zwar treffe es zu, dass die Ast. die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 der MmR des G-BA benannte Leistungsmenge in den dort benannten Zeiträumen nicht erfüllt habe, jedoch könne der jeweilige Krankenhausträger gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 und 4 der MmR des G-BA weitere Umstände zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranziehen, so u.a. auch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie.

• Unter Berücksichtigung dieser in der MmR des G-BA normierten weiteren Umstände ergebe die Prognoseentscheidung der Ast. die erwartbare Erreichung von 26 Eingriffen am komplexen Organsystem Ösophagus für Erwachsene. Das Klinikum K sei das größte Krankenhaus im Allgäu und auch die größte Einrichtung im südlichen Schwaben. Der Träger sei durch die Gebietskörperschaften der Stadt K, des Landkreises O und des Landkreises U gegründet worden. Zum unmittelbaren Einzugsgebiet des Krankenhauses der Ast. gehörten daneben noch der Landkreis W, der westliche Teil des Landkreises O1 und die östlichen Regionen des Landkreises O2. Die Städte L, W1 und I lägen alle im Westen des Landkreises O2 und hätten eine klare Orientierung Richtung K. Das Einzugsgebiet umfasse mithin ca. 500.000 Einwohner. Nachdem andere Krankenhäuser, wie etwa das Klinikum K1 oder das Klinikum R, keine Ösophagus-Chirurgie mehr betreiben würden, stelle das Krankenhaus der Ast. einen medizinischen Großversorger dar, der nachhaltig und qualitativ hochwertig die Einwohner der vorbenannten Region versorge. Die Versorgungssicherheit für die streitbefangenen komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus sei daher nicht gewährleistet, sofern der Ast. keine positive Prognose für die Mindestmenge zuteil werde.

• Als "weiterer Umstand" im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 3 der MmR des G-BA komme überdies die zwischenzeitlich auch im Bereich der komplexen Eingriffe am Organsystem Ösophagus verwendete Robotertechnik zum Tragen. Diese stelle nahezu ein Alleinstellungsmerkmal des Krankenhauses der Ast. dar, da etwa andere Versorger, wie etwa die Universitätsklinik U oder das Klinikum R, aufgrund personeller Veränderungen die Leistungserbringung mittels dieser Robotertechnik hätten einstellen müssen. Der Vorteil dieser Methode liege darin, dass die Patienten nahezu keine postoperative Intensivtherapie mehr benötigen würden und der Krankenhausaufenthalt deutlich verkürzt sei, da durch die Robotertechnik eine deutlich weniger invasive operative Versorgung sichergestellt sei. Mit Blick auf die Prognose habe dieser weitere Umstand der Robotertechnik einen wesentlichen Einfluss auf die Anzahl der zukünftig erbringbaren Leistungen am komplexen Organsystem Ösophagus für Erwachsene im Krankenhaus der Ast. Die Patienten würden aufgrund der deutlich geringeren Invasivität des Eingriffs, der erheblich verkürzten postoperativen Intensivtherapie und der damit einhergehenden geringeren Belastungen im postoperativen Verlauf eine Versorgung in Krankenhäusern begehren, welche diese Robotertechnik durchführen. Dieser weitere Umstand berechtige daher zur Prognose der Ast., die Mindestmenge zu erfüllen.

• Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 4 der MmR des G-BA seien auch die Folgen der Covid-19-Pandemie zu berücksichtigen. Im Krankenhaus der Ast. zeige sich für die in § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 der MmR des G-BA vorgegebenen Zeiträume eine Auslastung mit Corona Patienten von allein 10 % für das Gesamtjahr 2022 und von 7 % für das dritte und vierte Quartal 2022 nebst des ersten und zweiten Quartals 2023. Im gleichen Zuge habe sich im gesamten Jahr 2022 eine Krankenquote des Pflegedienstes von 7,0 % und eine Quote von 6,1 % für die Zeiträume des dritten und vierten Quartals 2022 sowie des ersten und zweiten Quartals 2023 gezeigt. Im Vergleich zur Krankheitsquote vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 ergebe sich mithin eine Erhöhung der Krankenquote im Pflegedienst von bis zu 1,5 %.

• Diese erhöhte Anzahl an zu behandelnden Coronapatienten in Kombination mit der erhöhten Krankenquote habe dazu geführt, dass weniger Patienten mit komplexen Eingriffen am Organsystem Ösophagus hätten behandelt werden können. Mithin liege ein "weiterer Umstand" gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 der MmR des G-BA vor, welcher zur berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranzuziehen sei und eine positive Prognose bestätige.

• Letztlich seien im Krankenhaus der Ast. im gesamten Jahr 2023 bis zum heutigen Tag 19 komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene durchgeführt worden. Es stehe mithin zu erwarten, dass die Ast. bis zum 31.12.2023 nicht nur mit Blick auf eine Prognose, sondern an rein tatsächlichen Ist-Zahlen die Mindestmenge erfüllen werde. Die Erfüllung der Ist-Zahlen würde eine lediglich auf Basis von Erwartungen zu übermittelnde Prognose ohnehin zurückstehen lassen. Die tatsächliche Ist-Erreichung würde der lediglich mengenmäßigen Erwartung in Form der Prognose vorgehen. Zum Zeitpunkt des heutigen Tages sei daher aufgrund der bereits erreichten Leistungsmenge von 19 für das Jahr 2023 die tatsächliche Ist-Erfüllung bis 31.12.2023 zu erwarten.

In ihrer Erwiderung vom 15.11.2013 haben die Ag. vorgetragen, dass die Ast. die erforderliche Anzahl an Operationen von 26 seit 2018 stets deutlich unterschritten habe und haben dazu die konkreten Zahlen dargelegt. Außerdem trage die Ast. selbst vor, dass sie grds. nicht das Einzugsgebiet habe, um über die erforderlichen Mengen zu verfügen, da dieses zwei Millionen Einwohner betragen müsse, das Einzugsgebiet aber nur 500.000 zähle. Es gebe in räumlicher Nähe (25 Minuten Fahrtzeit) weitere Kliniken, die die Operation anböten. Sowohl das Klinikum M als auch das Klinikum A seien zur Leistungserbringung berechtigt, ebenso die Uniklinik U. Das Einzugsgebiet reiche daher nicht bis nach M. Die Anhebung der Mindestmengen sei aus Gründen der Qualitätssicherung geboten gewesen, um die Versorgung auf wenige Krankenhäuser zu zentralisieren. Der Eingriff sei schließlich gut planbar und somit keine zwingend wohnortnahe Leistung. Im gesamten Regierungsbezirk seien in 2022 von den drei erbringenden Krankenhäusern in einem Jahr 65 Eingriffe dieser Art erbracht worden, was auf einen geringen Versorgungsbedarf hindeute. Wenn die Ast. ausführen lasse, dass sie im gesamten Jahr 2023 bis zum 06.11.2023 19 Eingriffe durchgeführt habe, so seien dies Angaben, die nachgeschoben worden seien und deshalb keine Berücksichtigung mehr finden könnten. Grundlage der Bewertung könnten nur die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erkennbaren Umstände sein. Tatsachen, die nach diesem Zeitpunkt bekannt würden, seien weder von den Ag. noch von Seiten des Gerichts zu berücksichtigen. Dies gelte in gleicher Weise hinsichtlich der Ausführungen der Ast., dass auch die Folgen der Covid-19-Pandemie nach § 4 Abs. 2 Satz 4 der MmR zu berücksichtigen seien und sich im Krankenhaus der Ast. eine hohe Krankenquote gezeigt und sich eine Auslastung von Corona-Patienten im Jahr 2022 von 10% ergeben habe. Diese Argumente seien im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht vorgebracht worden. Schließlich könne dem Hinweis der Ast., dass sie mit der verwendeten Robotertechnik ein Alleinstellungsmerkmal besitze, aufgrund dessen vermehrt Patienten angezogen werden würden, nicht gefolgt werden. Der DaVinci-Roboter sei nur eine andere Operationstechnik, welche für sich genommen nicht zu mehr Fällen führe. Die Fallzahl am Markt könne nicht durch den Einsatz eines Roboters erhöht werden, diese blieben vielmehr gleich. Was schließlich den Anordnungsgrund angehe, seien die von der Ast. mit dem Leistungserbringungsverbot einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile nicht geeignet, dem vom Gesetzgeber grundsätzlich angeordneten Ausschluss des Suspensiveffekts zu begründen.

Mit Beschluss vom 20.11.2023 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage der Ast. vom 26.10.2023 zum Az. S 3 KR 348/23 gegen den Bescheid der Ag. vom 26.09.2023 angeordnet, weil ernsthafte Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Widerlegungsbescheids der Krankenkassenverbände vom 26.09.2023 bestünden:

• Der Widerlegungsbescheid stütze sich maßgeblich darauf, dass in den vergangenen Jahren die Zahl von 26 nötigen Eingriffen nicht erreicht worden sei. Allein der Umstand, dass ein Krankenhausträger die erforderliche Mindestmenge in den beiden Vorjahren nicht erreicht habe bzw. voraussichtlich nicht erreichen werde, reiche als Begründung für erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prognose für das maßgebliche Kalenderjahr nicht aus.

• Die weitere Begründung beruhe alleine auf der kurzen Darstellung, dass es nicht zutreffend sei, dass andere Großkliniken mit diesem Angebot mehr als ein bis zwei Stunden entfernt seien. Es werde pauschal - ohne jegliche nähere Darlegung - erklärt, dass es eine weitere Klinik gebe. Weder werde die Klinik benannt, noch deren Größe, noch welche Technik dort angeboten werde. Eine tragfähige Einwendung liege hier nicht vor, die Einwendung verbleibe bei bloßer Pauschalierung.

• Auch werde pauschal abgehandelt, dass die Robotiktechnik kein Alleinstellungsmerkmal sei. Die Ag. würden hier keinen konkreten Bezug darstellen, wo überhaupt die Behandlung mit Robotiktechnik in näherer Umgebung möglich sei. Die Ast. habe hingegen konkret ausgeführt, dass sie Vorreiterin sei und andere Krankenhäuser dies nicht anböten. Die Ag. gingen hierauf überhaupt nicht ein. Es verbleibe eine pauschale Ablehnung, dass dieser Punkt nicht tragfähig sei.

• Auch gingen die Ag. schon überhaupt nicht auf die Darlegung der Ast. ein, dass zwei Krankenhäuser im Einzugsgebiet der Ast. diese Operationstechnik aufgegeben hätten und daher bei der Ast. ein höherer Zulauf zu erwarten sei und bereits bestehe. Es fehle weiter komplett ein Eingehen auf die Darlegung, dass aufgrund von Covid19-Auswirkungen nunmehr (wieder) mehr Operationen durchgeführt werden könnten.

• Was den Versuch der Ag. angehe, innerhalb des Bescheides die Prognose der Ast. zu widerlegen, müsse festgestellt werden, dass die behauptete Abwägung an deutlichen Mängeln leide, da es an einem Bezug zum konkret vorgetragenen Sachverhalt schlicht mangele. Die Ast. habe umfangreich und konkret bezogen die Darlegungen erbracht, warum die Mindestmengen erreicht werden würden. Insbesondere habe die Ast. darauf hingewiesen, dass die Mengen in den vergangenen beiden Jahren bereits kontinuierlich und vor allem deutlich gesteigert worden seien. Es sei zu erwarten gewesen, dass die Ag. hierauf eine konkrete Einschätzung abgebe und die Widerlegung nicht allein darauf stützen würde, dass die Mengen bislang nicht erreicht worden seien. Die Ag. würden hierbei verkennen, dass bislang die Mengen auch nicht erreicht werden mussten und dass eine Prognose eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Leistungserbringung voraussetze.

• Erst im gerichtlichen Verfahren sei eine ausführlichere Begründung nachgeschoben und konkret zu den einzelnen von der Ast. vorgetragenen Punkten Stellung bezogen worden. Für dieses "Nachschieben von Gründen" sei es nach Auffassung der Kammer in Anbetracht der fristgebundenen Entscheidungsobliegenheit nach § 5 Abs. 5 der Mm-R (bis zum 7. Oktober des laufenden Jahres) im gerichtlichen Verfahren zu spät. Die grundsätzlich vom BSG vertretene Rechtsprechung, wann ein Nachschieben von Gründen möglich sein soll, könne bei einer solchen Art der Entscheidungs-obliegenheit nach Auffassung der Kammer nicht greifen. Die Verbände hätten gerade die Verpflichtung. bis spätestens 07. Oktober alle Zweifel konkret vorzutragen, welche für die Widerlegung der Prognose gelten sollen, in Anbetracht der gravierenden Auswirkungen des Leistungsverbotes ab dem 01.01. des Folgejahres. Würde man den Verbänden die Möglichkeit einräumen, selbst im gerichtlichen Verfahren noch Gründe für die Widerlegung der Prognose nachzuschieben oder die bisherige Begründung zu substantiieren, so würde der Sinn und Zweck der fristgebundenen Entscheidung konterkariert und die Krankenhäuser in eine noch schwächere Position gerückt, als diese aufgrund der kurzen zeitlichen Fristen zur Erreichung einer gerichtlichen Entscheidung ohnehin schon seien.

• Die nun von den Ag. vorgetragenen Gründe im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, warum die von der Ast. abgegebene Prognose fehlerhaft sei, könne ebensowenig Beachtung finden, wie die tatsächliche Zahl der in diesem Jahr bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung durchgeführten Operationen. In diesem Zusammenhang hätten sich gerade die Ag. darauf gestützt, dass diese Angabe aufgrund des späteren Vorbringens keine Beachtung finden könne.

• In Anbetracht der gravierenden Auswirkungen des Widerlegungsbescheides sei von den Ag. eine umfassende und konkrete Befassung mit der sauber dargelegten Prognose der Ast. im Rahmen des erlassenen Bescheides zu erwarten gewesen. Hieran mangele es aus o.g. Gründen deutlich, die Widerlegung erfolge in lediglich zwei sehr kurzen Absätzen in pauschaler Weise und nicht einmal unter Betrachtung aller vorgetragenen Argumente.

3.
Gegen den am 23.11.2023 zugestellten Beschluss des SG vom 20.11.2023 hat die Ag. mit Schriftsatz vom 27.12.2023 Beschwerde beim SG erhoben, die am 12.01.2024 an das Bayer. Landessozialgericht (LSG) weitergeleitet worden ist. Zur Begründung wurde der erstinstanzliche Vortrag im Wesentlichen wiederholt und vertiefend vorgetragen:

Die vom SG im Wesentlichen vertretene Auffassung, dass der Negativbescheid materiell rechtswidrig sei, da er eine umfassende und korrekte Befassung mit den einzelnen Gründen der Prognose vermissen lasse, verfange bereits deshalb nicht, weil die Gründe, auf die die Ast. die Prognose gestützt habe, von den Ag. ohnehin innerhalb des Bescheides nicht mehr hätten berücksichtigt werden dürfen. Im vorliegenden Fall habe die Ast. innerhalb der Frist des § 5 Abs. 1 Mm-R lediglich die Leistungszahlen übermittelt. Weitere Gründe, warum die Mindestmenge im kommenden Leistungsjahr erreicht werde, seien innerhalb der Frist nicht genannt worden. Da es sich bei der Frist des § 5 Abs. 1 Mm-R um eine Ausschlussfrist handele, hätten die Ag. die Argumente aus der Prognosebegründung, die erstmalig nach Fristablauf "nachgeschoben" worden sei, nicht mehr berücksichtigen dürfen. Dem stehe auch das den Krankenhäusern grundsätzlich zu gewährende Recht zur Anhörung nach § 24 SGB X nicht entgegen. Sollte man dies anders sehen, so wären die Fristen des § 5 Abs. 1 Mm-R sinnentleert, da ein Krankenhaus ansonsten die Möglichkeit hätte, bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses beliebig viele und neue Argumente anzubringen. Dies liefe aber der der Fristenregelung innewohnenden Beschleunigungsabsicht sowie der Überlegung entgegen, dass es den Krankenkassenverbänden ermöglicht werden müsse, ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren durchzuführen.

Die Ast. hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 22.01.2024 ausführlich erwidert und darauf verwiesen, dass § 5 Abs. 1 der MmR des G-BA keine Ausschlussfrist darstelle. Dies sei weder im Wortlaut verankert, geschweige denn durch allgemeine Rechtsgrundsätze herzuleiten. Eine Ausschlussfrist liege nicht vor, sodass seitens der Ag. ein untauglicher Versuch vorliege, belastbar behaupten zu können, sie hätten sich im Widerlegungsbescheid nicht mit allen rechtlichen Argumenten auseinandersetzen müssen. Sofern die Ag. die Rechtsprechung des BSG vom 25.03.2021 (B 1 KR 16/20 R) zitieren, würden sie - trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung - den Stellenwert und die Bedeutung des Anhörungsverfahrens verkennen.

Inhaltlich sei insbesondere die lapidare Abhandlung im letzten Schriftsatz der Ag. zur Robotertechnik nicht geeignet, ein durch das erheblich weniger invasive Behandlungsverfahren resultierende höhere Patientenaufkommen in Abrede zu stellen. Die Patientenzahlen würden bei weit weniger invasiven Folgen für die Patientinnen und Patienten offenkundig ansteigen.

Weiter sei nicht der von Seiten der Ag. zitierte Beschluss des LSG NRW vom 18.01.2023 (L 10 KR 119/23 B ER), sondern der aktuellere Beschluss vom 09.11.2023 (L 16 KR 357/23 B ER) auf den hier streitgegenständlichen Fall übertragbar. Das LSG NRW gehe, wie das SG im angegriffenen Beschluss, zutreffend von der Notwendigkeit strenger Anforderungen an eine Widerlegungsentscheidung aus, da der Prognoseentscheidung - auch bei Nichterreichung der Fallzahlen - eine nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG enorme Bedeutung zukomme. Diese strengen Anforderungen seien bereits deshalb nicht erfüllt, da die Widerlegung in lediglich zwei sehr kurzen Absätzen in pauschaler Weise und nicht unter Beachtung aller vorgetragenen Argumente erfolgt sei, wie es das SG im angegriffenen Beschlusses bestätigt habe.

Aus der "Mindestmengen-Transparenzliste 2024" des Spitzenverbandes (Anlage BWP8) folge zusammenfassend, dass die hier tätigen Ag. 46 % der Krankenhausträger, welche die Fallzahlen aus der Mindestmengenregelung des GBA nicht erfüllt hätten, keine
Widerlegungsentscheidung entgegengehalten und die Prognosen akzeptiert haben. Unter
Berücksichtigung der Ausführungen des LSG NRW an vorzitierter Stelle würden daher die die Ag. in Bayern eine unzulässige Marktsteuerung vollziehen, da anderen Krankenhausträgern mit ebenfalls nicht erfüllter Fallzahl keine Widerlegungsentscheidung zugestellt worden sei und seitens der Ag. die dortigen Prognosen bestätigt worden seien. Dies gelte insbesondere auch für Krankenhäuser mit geringeren oder vollständig identischen Fallzahlen. Letztlich zeige sich daran "außerordentlich offensichtlich" die Rechtswidrigkeit der Widerlegungsentscheidung.

Weiter werde darauf hingewiesen, dass die Ast. am 08.12.2023 die erforderlichen 26 Eingriffe am komplexen Organsystem Ösophagus durchgeführt und damit die Mindestmenge im Jahr 2023 selbst erfüllt habe. Gehe man mit der Rechtsprechung des LSG NRW vom 27.06.2013 (L 8 KR 114/13 B ER) davon aus, dass maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung ist, würden daher die Ist-Zahlen im konkret betroffenen Jahr 2023 ohnehin die Prognosezahlen schlagen. Die Ast. habe im Jahr 2023 die erforderliche Mindestmenge von 26 Eingriffen am Organsystem Ösophagus erfüllt, sodass die Widerlegungsentscheidung unter Berücksichtigung des maßgeblichen Entscheidungszeitpunktes rechtswidrig sei.

Schließlich sei auch die vom SG getroffene Abwägung der relevanten Interessen nicht
zu beanstanden, so dass der Beschluss des SG unter allen rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten rechtmäßig sei.

Mit weiteren Schriftsätzen vom 01.02.2024 (Ag.) und 08.02.2024 (Ast.) haben die Beteiligten nochmals ihre gegenläufigen Standpunkte wiederholt. Auf die Ausführungen im Einzelnen wird Bezug genommen.

Die Ag. beantragen,

den Beschluss des SG Augsburg vom 20.11.2023 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 26.10.2023 abzuweisen.

Die Ast. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die Prozessakten des LSG (L 5 KR 22/24 B ER) und des SG (S 3 KR 362/23 ER sowie S 3 KR 348/23) sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 20.11.2023 ist zulässig (§§ 172, 173 SGG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das SG im angegriffenen Beschluss vom 20.11.2023 die ausschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) der Ast. vom 26.10.2023 unter dem Az. S 3 KR 348/23 gegen den Bescheid der Ag. vom 26.09.2023 hinsichtlich der Widerlegung der Mindestmengenprognose nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V, die nach Satz 11 dieser Vorschrift ab der Prognose für das Jahr 2023 keine aufschiebende Wirkung (mehr) hat, gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG angeordnet.

Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses des SG zurück und nimmt nach eigener Würdigung gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf diese Gründe Bezug. Zum ausführlichen Beschwerdevorbringen der Beteiligten, das im Wesentlichen aus einer Wiederholung und Vertiefung ihres jeweiligen erstinstanzlichen Vortrags besteht, sind folgende ergänzende Bemerkungen veranlasst:

1.
Bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer (reinen) Anfechtungsklage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kommt es für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Verwaltungsentscheidung an (zwischen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes und Interessenabwägung differenzierend: Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. Stand: 04.03.2024, § 86b Rn. 192; vgl. auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 18). Dieser Zeitpunkt entspricht damit demjenigen der (reinen) Anfechtungsklage als dem (akzessorischen) Hauptsacheverfahren (vgl. Keller, a.a.O., § 54 Rn. 33, m.w.N.). Damit kommt es weder - jedenfalls in diesem Punkt - auf den von Seiten der Ast. ins Feld geführten (späten) Zeitpunkt der gerichtlichen (Beschwerde-)Entscheidung an noch - wofür sich die Ag. aussprechen - auf den (frühen) Zeitpunkt der Prognose nach § 136b Abs. 5 Satz 3 SGB V.

Diese (rein) prozessuale Betrachtung entspricht auch den Regelungen und den ihnen zugrundeliegenden Wertungen des Fachrechts. Nach § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V beschließt der G-BA einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen und Ausnahmetatbestände. Erreicht ein Krankenhaus die erforderlichen Mindestmengen voraussichtlich nicht, darf es die Leistungen nicht bewirken (Leistungsbewirkungsverbot); für gleichwohl bewirkte Leistungen erhält es keine Vergütung (§ 136b Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB V). Nach § 136b Abs. 5 Satz 3 SGB V muss der Krankenhausträger für die Zulässigkeit der Leistungserbringung gegenüber den Kassenverbänden für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose). Für die Darlegung der Prognose nach § 136b Abs. 5 Satz 5 SGB V hat der G-BA in § 5 Abs. 1 Satz 1 Mm-R geregelt, dass die Prognose des Krankenhausträgers den für den jeweiligen Standort zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen spätestens zum 7. August des laufenden Kalenderjahres zu übermitteln ist. Sodann sieht § 136b Abs. 5 Satz 6 Halbsatz 1 SGB V vor, dass die Kassenverbände für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit ab der Prognose für das Kalenderjahr 2023 bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose durch Bescheid widerlegen müssen (Entscheidung). Neben dem vom G-BA nach § 136b Abs. 5 Satz 6 Halbsatz 2 SGB V in § 4 Abs. 4 Mm-R festgelegten Regelbeispielen für "begründete erhebliche Zweifel" hat der G-BA in § 5 Abs. 5 Satz 1 Mm-R geregelt, dass die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen die Prognose prüfen und dem Krankenhausträger bis zum 7. Oktober des laufenden Kalenderjahres das Ergebnis der Prüfung mitteilen. Schließlich findet ein Widerspruchsverfahren gegen die Widerlegungsentscheidung nicht statt (§ 136b Abs. 5 Satz 11 Halbsatz 1 SGB V). Zudem haben Klagen - seit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz vom 11.07.2021 (BGBl. I S. 2754) - gegen die Entscheidung nach Satz 6 ab der Prognose für das Jahr 2023 keine aufschiebende Wirkung (§ 136b Abs. 5 Satz 11 Halbsatz 2 SGB V).

Sinn und Zweck der Verfahrensregelungen in § 136b Abs. 5 Sätze 3 bis 8 SGB V besteht darin, eine verbindliche Klärung der Berechtigung des Krankenhauses zur Erbringung und Abrechnung der mindestmengenbelegten Leistungen vor Beginn des maßgeblichen Kalenderjahres herbeizuführen. Dies dient zum einen der effektiven Durchsetzung des Leistungserbringungsverbots gemäß § 136b Abs. 5 Satz 1 SGB V und damit der Qualitätssicherung. Zum anderen verschafft es den Krankenhäusern Rechtssicherheit. Um diesen Zweck effektiv zu erreichen, sind die Entscheidungen nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V mit verbindlicher Wirkung im Verhältnis zwischen dem einzelnen Krankenhaus und sämtlichen Krankenkassen ausgestattet. Wirksame Widerlegungsentscheidungen suspendieren die Leistungsberechtigung, die das Krankenhaus durch die Prognose des Krankenhausträgers nach § 136b Abs. 5 Satz 3 SGB V gegenüber sämtlichen Krankenkassen erlangt. Hält der Krankenhausträger die Widerlegung für rechtswidrig, kann er hiergegen Anfechtungsklage erheben (und Antrag auf Anordnung ihrer aufschiebenden Wirkung stellen) und so eine gerichtliche Klärung herbeiführen (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R, BSGE 132, 55 = BeckRS 2021, 17173, Rn. 13; Knispel, GesR 2020, 558, 559 ff.).

Diesen Grundsätzen entspricht es, dass sich die Krankenkasse in ihrem Widerlegungsbescheid nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V mit allen bis zu diesem Zeitpunkt ihr bekannten die Prognose des Krankenhausträgers tragenden Argumenten/Elementen sorgfältig auseinandersetzen muss. Das verfassungsrechtliche Recht auf ein rechtsstaatliches und faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, 103 Abs. 1 GG) und seine einfachgesetzliche Ausprägung in § 24 Abs. 1 SGB X mit der dort geregelten Pflicht zur vorherigen Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts, von der nur ausnahmsweise unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 SGB X abgesehen werden kann, erfordern zudem, den Krankenhausträger vor Erlass der Widerlegungsentscheidung anzuhören (BSG, Urteil vom 25.03.2021, a.a.O., Rn. 26 ff.; LSG S-H, Beschluss vom 26.01.2023 - L 10 KR 125/22 B ER, BeckRS 2023, 1456, Rn. 21). Dies gilt in besonderer Weise, wenn die Widerlegung der vom Krankenhausträger abgegebenen Prognose von den Krankenkassenverbänden - wie hier mit Schreiben vom 10.08.2023 - mit einer Unplausibilität der (bisherigen) Angaben (hier der Fallzahlen im Zeitraum vom 01.07.2022 bis 30.06.2023) begründet wird. Dann müssen die Krankenkassenverbände die ihnen möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen, dem Krankenhausträger - ggf. unter Setzung einer kurzen Frist - eine Ergänzung des für unvollständig gehaltenen Vorbringens zu ermöglichen (vgl. LSG S-H, Beschluss vom 26.01.2023, a.a.O., Rn. 21, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25.03.2021, a.a.O., Rn. 29). Dies spricht wegen Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG und deren Anforderungen an Ausschlussfristen mit weitreichenden materiell-rechtlichen Folgen (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2021 - B 1 KR 32/20 R, juris, Rn. 33) mehr dagegen, als dafür, die (ausschließlich) in § 5 Abs. 1 Satz 1 Mm-R und damit in einer Verfahrensnorm des G-BA vorgesehene Frist zur Übermittlung der Prognose des Krankenhausträgers bis spätestens 7. August des laufenden Kalenderjahres als Ausschlussfrist anzusehen (mit Blick auf die Reichweite der Regelungskompetenz des G-BA zweifelnd auch BSG, Urteil vom 25.03.2021, a.a.O., Rn. 27).

Wendet man die vorstehend dargelegten Grundsätze mit dem im Eilverfahren gültigen Maßstab auf den hier vorliegenden Fall an, wird der streitgegenständliche Bescheid der Ag. vom 26.09.2023 diesen Erfordernissen nicht gerecht. Wie das SG in seinem Beschluss vom 20.11.2023 herausgearbeitet hat, ist die Widerlegung der Prognose der Ast. lediglich in zwei sehr kurzen Absätzen in pauschaler Weise und nicht unter Beachtung aller vorgetragenen Argumente erfolgt, so dass erhebliche Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids vom 26.09.2023 bestehen. Entsprechend der vorstehend dargelegten Grundsätze hat das SG ebenfalls zutreffend darauf hingewiesen, dass die von den Ag. vorgetragenen Gründe im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, warum die abgegebene Prognose fehlerhaft sei, ebenso wenig Beachtung findet, wie die von der Ast. dargestellte tatsächliche Zahl der in diesem Jahr bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung (bis dato 19) durchgeführten Operationen.

Wenn die Ag. im Zusammenhang mit der Pflicht zur Bescheidbegründung auf § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X verweist, wonach in der Begründung eines Verwaltungsakts (nur) die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben und es dabei (auch) nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50; juris) nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Argumenten der Betroffenen auseinandersetzt, so ist dem vorliegend im Fall des Widerlegungsbescheids nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V nicht zu folgen. Wie das BSG in dem zitierten Urteil selbst ausführt, richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des Einzelfalles (BSG, a.a.O., Rn. 32 des Urteils, juris; vgl. auch: Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 15.11.2023, § 35 SGB X Rn. 13). Über die Grundregel des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X hinausgehend erfordern der oben dargestellte Sinn und Zweck der Verfahrensregelungen in § 136b Abs. 5 Sätze 3 bis 8 SGB V, dass sich die Krankenkasse im Widerlegungsbescheid nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V mit allen ihr bis zu diesem Zeitpunkt bekannten die Prognose des Krankenhausträgers tragenden Argumenten/Elementen sorgfältig auseinandersetzt. Denn anders lassen sich "begründete erhebliche Zweifel" an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen Prognose, ggf. auch nach dessen Anhörung, nicht widerlegen. Wie weit die Begründungspflicht beim Widerlegungsbescheid nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V letztlich reicht, braucht vom Senat nicht abschließend entschieden zu werden, weil die hier vorliegende formelhafte/pauschale Entgegnung der Ag. auf die Prognose der Ast. dem aufgezeigten Begründungerfordernis nicht genügt.

Ob der hier festgestellte Begründungsmangel nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung des Widerlegungsbescheids vom 26.09.2023 gemäß § 42 Satz 1 SGB X führt, bleibt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren (S 3 KR 348/23) vorbehalten.  

2.
Nachdem der Senat nach dem unter 1. Erläuterten in Übereinstimmung mit dem Beschluss des SG vom 20.11.2023 bereits erhebliche Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids vom 26.09.2023 hat, kommt es auf eine allgemeine Interessenabwägung, in die alle bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung vorgetragenen Gesichtspunkte einzustellen wären (vgl. Burkiczak, a.a.O., § 86b Rn. 192), nicht mehr entscheidungserheblich an.

3.
Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63, 52 und 47 GKG schließt sich der Senat der hierzu vom SG gegebenen Begründung, die von keinem der Beteiligten angegriffen wurde, an.

Nach alledem war die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 20.11.2023 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und beendet das vorläufige Rechtsschutzverfahren.

 

Rechtskraft
Aus
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