1. Bei der Entscheidung, ob und welche Frist einem Sachverständigen zu setzen ist und wann er wie an die Erstellung des Gutachtens zu erinnern ist, handelt es sich um eine Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung, die in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt.
2. Auch die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf die zu erwartenden medizinischen Erkenntnisse aufgrund einer ausstehenden Begutachtung des Klägers im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sowie eines Parallelverfahrens zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich seiner Entscheidungsprärogative und ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht grundsätzlich nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten.
3. Eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens kann auch auf dem Umfang der Akten des Verfahrens (700 Seiten) sowie eines für das Verfahren relevanten Parallelverfahrens (400 Seiten Akteninhalt) und der Vielzahl von Anträgen des Klägers beruhen.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 8.000 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt vom Beklagten eine Entschädigung aufgrund einer behaupteten überlangen Dauer eines Berufungsverfahrens beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt (L 1 R 181/16).
Mit einem am 25. April 2014 eingegangenen Schriftsatz erhob der Kläger, vertreten durch seine Schwester, Klage am Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau und beantragte eine Verurteilung der beklagten Rentenversicherung zur Neubescheidung. In der Sache begehrte er in einem Verfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) die Umdeutung seines Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Klage wurde der beklagten Rentenversicherung am 30. April 2014 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Weiterhin wurden die Verwaltungsakten angefordert. Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2014 - eingegangen am gleichen Tage - übergab der Kläger zum Beleg seines Vortrages mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die am Folgetag der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnisnahme übersandt wurden. Der Kläger beantragte zugleich Akteneinsicht bezüglich seiner 3 Gerichtsverfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung. Noch am 8. Mai 2014 teilte das SG ihm mit, dass die Akten zu den Sprechzeiten auf der Geschäftsstelle eingesehen werden könnten. Am 15. Mai 2014 nahm der Kläger Akteneinsicht. Am 24. Juni 2014 erinnerte das SG die Beklagte an die Übersendung der Klageerwiderung. Diese ging sodann am 4. Juli 2014 beim SG ein. Am 8. Juli 2014 übersandte das SG diesen Schriftsatz dem Kläger zur Kenntnisnahme und zudem zwei Vordrucke. Mit einem am 14. Juli 2014 beim SG eingegangenen Schriftsatz nahm der Kläger zu den Ausführungen der beklagten Rentenversicherung Stellung und bekräftigte seinen Vortrag durch Vorlage diverser Anlagen. Diese Ausführungen gab das SG am 16. Juli 2014 der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnis. Am 17. Juli 2014 informierte der Kläger das Gericht telefonisch, dass die Vordrucke am 21. Juli 2014 dem Gericht übersandt werden würden. Sodann erklärte er ausschließlich für eine einzelne, namentlich genannte Ärztin eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht und führte aus, die relevanten Befundberichte lägen dem Gericht bereits in einem Parallelverfahren (Az: S 1 R 603/13) vor. Weiter fügte er diverse Anlagen bei. Diese Ausführungen wurden der beklagten Rentenversicherung am 24. Juli 2014 zur Kenntnisnahme übersandt. Am 8. Oktober 2014 verfügte der Kammervorsitzende eine Wiedervorlage zum 1. Dezember 2014 und vermerkte „Gutachten in S 1 R 603/13 eingegangen?“.
Mit einem am 24. Oktober 2014 beim SG eingegangenen Schriftsatz wies der Kläger darauf hin, dass er eine substantiierte Stellungnahme vom Sozialmedizinischen Dienst der beklagten Rentenversicherung beantragt habe. Es werde um Sachstandsmitteilung gebeten. Dieser Schriftsatz wurde der Rentenversicherung am 28. Oktober 2014 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Am 2. Dezember 2014 erinnerte das SG an diese Stellungnahme. Mit einem am 18. Dezember 2014 eingegangenen Schriftsatz teilte die Rentenversicherung mit, dass sich der Vorgang noch beim Sozialmedizinischen Dienst befinde. Danach werde eine substantiierte Stellungnahme übersandt. Diesen Schriftsatz gab das Gericht dem Kläger am 8. Dezember 2014 zur Kenntnis.
Mit einem 30. Dezember 2014 eingegangenem Schriftsatz verwies die beklagte Rentenversicherung auf ihre Stellungnahme vom 22. Dezember 2014 in dem Verfahren S 1 R 603/13. Unter Berücksichtigung der dortigen Ausführungen sei die Klage im vorliegenden Verfahren unbegründet. Diesen Schriftsatz leitete das Gericht dem Kläger am 12. Januar 2015 zu und forderte ihn zu einer Stellungnahme auf. Der Kläger beantragte und erhielt im Januar 2015 Akteneinsicht und vertiefte am 2. Februar 2015 (Eingang am Gericht) seinen Vortrag. Dieser Schriftsatz wurde der Rentenversicherung am 4. Februar 2015 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Diese führte mit am 13. Februar 2015 eingegangenem Schriftsatz weiter aus. Diesen übersandte das SG dem Kläger am 17. Februar 2015. Am 10. März 2015 lud das SG zu einem Erörterungstermin am 17. April 2015. Am 23. März 2015 führte der Kläger weiter aus; diese Darlegungen gab das SG noch am gleichen Tag der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnis- und freistellten Stellungnahme. In dem Termin verhandelten die Beteiligten ergebnislos zur Sache. Das Protokoll wurde den Beteiligten am 21. April 2015 zur Kenntnisnahme übersandt.
Mit einem am 24. April 2015 eingegangenen, 19 Seiten langen Schriftsatz trug der Kläger ausführlich vor und bekräftigte seinen Vortrag zusätzlich mit diversen Anlagen. Diese Ausführungen übersandte das Gericht der Rentenversicherung am 5. Mai 2015 zur Kenntnisnahme. Am 14. September 2015 fragte der Kläger an, wann mit einem Urteil zu rechnen sei. Das SG antwortete mit Schreiben vom 15. September 2015, dass das Verfahren derzeit nicht entschieden werden könne, da umfangreiche Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen in dem Verfahren S 1 R 603/13 erhoben worden seien. Die angeforderte Stellungnahme sei noch nicht eingegangen. Der Sachverständige sei mit Schreiben vom selben Tage erinnert worden.
Am 16. Februar 2016 lud das SG den Rechtsstreit zur mündlichen Verhandlung am 18. März 2016. An diesem Tag wies das SG die Klage ab und begründete dies unter anderem mit dem in dem Verfahren S 1 R 603/13 eingeholten Gutachten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe sich angesichts des Gesundheitszustandes des Klägers zum Zeitpunkt seines Antrags auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben keine Umdeutung dieses Antrags in einen Antrag auf Rente aufgedrängt. Dieses Urteil wurde am 4. April 2016 versandt und dem Kläger am 5. April 2016 zugestellt.
Mit einem am 2. Mai 2016 eingegangenen Schriftsatz legte der Kläger Berufung ein, den das LSG am 11. Mai 2016 der beklagten Rentenversicherung übersandte. Diese beantragte mit einem am 16. Juni 2016 eingegangenen Schriftsatz, die Berufung zurückzuweisen. Am 23. Juli 2016 gab das Gericht dies dem Kläger zur Kenntnis. Dieser begründete seine Berufung mit einem am 14. Juli 2016 eingegangenen, 25 Seiten langen Schriftsatz, dem 5 Anlagen beigefügt waren. Hierzu forderte das LSG die Rentenversicherung am 15. Juli 2016 zur Stellungnahme auf. Diese führte am 5. August 2016 zur Sache aus. Mit Schreiben vom 10. August 2016 gab die Berichterstatterin dem Kläger diesen Schriftsatz zur Kenntnis und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Zugleich wurde die Rentenversicherung hierzu angehört. Dieses Schreiben ist dem Kläger am 13. August 2016 zugestellt worden.
Am 2. September 2016 (Eingang am Gericht) wandte sich der Kläger gegen die beabsichtigte Verfahrensweise und bat um Fristverlängerung. Zugleich führte er zur Sache aus und legte diverse Unterlagen vor. Am 5. September 2016 legitimierte sich eine Rechtsanwältin für den Kläger und bat um Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 6. September 2016 wurden die Akten dieser Prozessbevollmächtigten zur Einsichtnahme übersandt. Am 22. September 2016 gab diese die Akten zurück und erklärte, dass das Mandat mit dem heutigen Tage beendet worden sei. Der Kläger wende sich weiterhin gegen die Entscheidung durch Beschluss und halte eine Entscheidung nach mündlicher Verhandlung bzw. Erörterung der Sach- und Rechtslage für angezeigt.
Dies wurde der Rentenversicherung am 27. September 2016 zur Kenntnis gegeben. Anfang Oktober 2016 bat der Kläger um weitere Fristverlängerung um 3 Wochen, da die Beauftragung eines anderen Rechtsanwaltes geplant sei. Mit einem am 18. Oktober 2016 eingegangenen Schriftsatz beantragte der Kläger die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob es sich bei dem Bewilligungsbescheid um einen rechtmäßigen Verwaltungsakt gehandelt habe. Er fügte mehrere Anlagen bei. Die Berichterstatterin übersandte alles am 20. Oktober 2016 der Rentenversicherung zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme. Unter dem 19. Oktober 2016 führte der Kläger aus, dass er zukünftig anwaltlich vertreten werde. Weiter reichte er am 23. Oktober 2016 Kopien nach.
Am 21. Juli 2017 ging ein Schriftsatz der Rentenversicherung ein, der dem Kläger zur Kenntnis gegeben wurde. Am 23. August 2017 lud die Berichterstatterin das Verfahren zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 29. September 2017 (Zustellung der Ladung an den Kläger am 25. August 2017). Am 29. August 2017 führte der Kläger in einem 18 Seiten langen Schriftsatz weiter aus. Beigefügt waren 5 Anlagen. In dem Termin wies die Berichterstatterin erneut auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Berufung hin und kündigte eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG an. Diese werde nicht vor dem 31. Oktober 2017 ergehen.
Am 9. April 2018 übersandte die beklagte Rentenversicherung dem LSG ein Schreiben des Klägers zur Kenntnis und führte aus, es sei zweifelhaft, ob der Kläger an der Bevollmächtigung seiner Schwester als Prozessvertreterin festhalten wolle. Mit Schreiben vom 10. April 2018 bat die Berichterstatterin um Vorlage einer persönlichen Erklärung des Klägers, dass er am Berufungsverfahren festhalte und weiterhin eine Prozessvertretung durch seine Schwester wünsche. Am 25. Mai 2018 lehnte die Prozessbevollmächtigte des Klägers bzw. dieser die Abgabe von weiteren Erklärungen hierzu ab und verwies auf die bisher vorgelegten Unterlagen. Eine Rechtsgrundlage für die Aufforderung des Gerichts existiere nicht. Diese Ausführungen übersandte die Berichterstatterin am 31. Mai 2018 der Rentenversicherung. Mit Schreiben vom 28. Mai 2018 wies die Berichterstatterin darauf hin, dass das Gericht eine schriftliche Prozessvollmacht anfordern dürfe. Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2018 gingen die gewünschten Erklärungen des Klägers bei Gericht ein. Diese wurden der Rentenversicherung am 21. Juni 2018 zur Kenntnisnahme übersandt.
Am 9. Oktober 2018 trug der Kläger erneut in rechtlicher Hinsicht vor. Diese Ausführungen wurden der Rentenversicherung am 15. Oktober 2018 zur Kenntnis gegeben. Am 23. Oktober 2018 hörte die Berichterstatterin die Beteiligten erneut zu der Absicht einer Entscheidung durch Beschluss an. Dieses Schreiben wurde dem Kläger am 27. Oktober 2018 zugestellt. Mit einem am 26. Oktober 2018 eingegangenen Schriftsatz trug der Kläger erneut vor, was die Berichterstatterin der Rentenversicherung am 30. Oktober 2018 zur Kenntnis gab. Am 30. Oktober 2018 vertiefte der Kläger seinen bisherigen Rechtsvortrag nochmals und stellte mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tage einen Beweisantrag (zeugenschaftliche Vernehmung der im Jahre 2014 begutachtenden Prüfärztin der Rentenversicherung). Ein weiterer Schriftsatz folgte am selben Tage. Diese Ausführungen wurden der Rentenversicherung zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme übersandt.
Am 7. November 2018 ging erneut ein Schriftsatz des Klägers mit weiteren Ausführungen ein, der am 9. November 2018 der Rentenversicherung zur Kenntnisnahme übersandt wurde. Weitere Schriftsätze des Klägers gingen am 8. November 2018, 15. November 2018 und 20. November 2018 ein. In dem letztgenannten beantragte der Kläger die Verbindung des anhängigen Berufungsverfahrens mit 2 weiteren Berufungsverfahren von ihm gegen die beklagte Rentenversicherung. Diese Ausführungen übersandte die Berichterstatterin der Rentenversicherung am 22. November 2018 zur Kenntnis.
Am 12. Februar 2019 führte der Kläger erneut aus. Diesen Schriftsatz übersandte die Berichterstatterin der beklagten Rentenversicherung am 18. Februar 2019.
Weitere Ausführungen des Klägers erfolgten am 2. April 2019, was der Rentenversicherung am 3. Mai 2019 zur Kenntnis gegeben wurde. Am 28. Mai 2019 wiederholte der Kläger seinen bisherigen Vortrag und fügte die aus seiner Sicht maßgeblichen Vorgänge bei. Unter dem 26. Mai 2019 fragte er an, wann mit dem angekündigten Beschluss zu rechnen sei. Die Berichterstatterin antwortete am 31. Mai 2019, ein konkreter Monat könne derzeit nicht genannt werden. Am 12. September 2019 erhob der Kläger Verzögerungsrüge und wies darauf hin, dass er sich bereits beim Präsidenten des LSG über die Dauer des Verfahrens beschwert habe. Dieser Vorgang wurde der Rentenversicherung am 16. September 2019 zur Kenntnis übersandt.
Am 4. August 2020 trug der Kläger erneut vor. Die Berichterstatterin gab dies der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnis und forderte zugleich den Kläger auf, den Sachstand hinsichtlich der Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.Oktober 2019 hinaus mitzuteilen. Am 12. August 2020 führte der Kläger aus, ohne eine erneute Anhörung könne nicht durch Beschluss entschieden werden. Die Berichterstatterin gab dies der Rentenversicherung am 8. September 2020 zur Kenntnis.
Am 9. Dezember 2020 stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen die Berichterstatterin, die hierzu am 15. Februar 2021 Stellung nahm. Auf Aufforderung des Gerichts äußerte sich der Kläger am 26. Februar 2021 weiter. Bereits am 19. Februar 2021 war der Rechtsstreit zusammen mit 3 weiteren Verfahren des Klägers gegen die Rentenversicherung zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Mit Beschluss vom 1. März 2021 wies das Gericht ohne Beteiligung der abgelehnten Richterin den Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit als unbegründet zurück. Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 4. März 2021 zugestellt. Aufgrund einer mündlichen Verhandlung am 31. März 2021 wies der Senat die Berufung zurück. Das Urteil umfasst ohne Rechtsmittelbelehrung knapp 7 Seiten. Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Senat unter anderem aus, die Klage sei bereits unzulässig gewesen. Das Urteil wurde dem Kläger am 14. Mai 2021 zugestellt.
Am 22. November 2021 hat der Kläger Klage erhoben und die Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung einer Entschädigung verlangt. Er hat vorgetragen, die Berichterstatterin habe das Verfahren bewusst verzögert. Er hat weiterhin eine strukturelle Überlastung der Gerichtsbarkeit insbesondere des LSG gerügt und dies näher begründet. Daher komme eine erhöhte Entschädigung in Betracht. Es sei unzumutbar, dass erst nach 5 Jahren festgestellt worden sei, dass die Klage unzulässig sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen überlanger Dauer des Berufungsverfahrens L 1 R 181/16 eine Entschädigung in Höhe von mindestens 5.900 € zu zahlen sowie eine erhöhte Entschädigung von weiteren 260 € sowie Zinsen auf diesen Betrag i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, neben der Entschädigung festzustellen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Senat hat am 30. Mai 2023 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und - wegen eines zwischen den Beteiligten widerruflich geschlossenen Vergleichs - einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 4. Juli 2023 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2023 hat der Kläger seinen bereits in der mündlichen Verhandlung geäußerten Wunsch nach einem weiteren Verhandlungstermin erneut aufgegriffen und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Er habe erst im Termin erfahren, dass der Beklagte die Klageabweisung beantrage. Erst mit Übersendung des Sitzungsprotokolls sei es ihm möglich gewesen, sich mit den Hinweisen des Gerichts auseinanderzusetzen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
A. Der Senat konnte aufgrund der am 30. Mai 2023 geschlossenen mündlichen Verhandlung entscheiden. Es bestand kein Anlass für die vom Kläger im Verhandlungstermin angeregte Vertagung. Gemäß § 106 Abs. 2 SGG ist das Klageverfahren möglichst in einem einzigen Verhandlungstermin zu erledigen. Abweichend davon besteht zwar insbesondere dann Grund zu einer Vertagung, wenn eine solche erforderlich ist, um dem Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz [GG]) zu genügen. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Die Klage war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits rund 1 ½ Jahre am Gericht anhängig gewesen. Der Sachverhalt ist in der knapp 1 ½ Stunden dauernden mündlichen Verhandlung umfassend erörtert worden. Der Kläger hatte Gelegenheit, sich zu sämtlichen relevanten Gesichtspunkten zu äußern, und hat dies auch getan. In der Verhandlung sind keine neuen oder überraschenden Gesichtspunkte zur Sprache gekommen, mit denen die Beteiligten nicht rechnen konnten. Insbesondere ist es fernliegend, eine Vertagung damit zu begründen, dass die Klägerseite davon überraschend worden sei, dass der Beklagte die Klageabweisung beantragt hat.
Dass der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Juni 2023 sein Begehren wiederholt hat, gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 121 Satz 2 SGG. Einer Beteiligung der ehrenamtlichen Richter (siehe dazu allgemein Leopold in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK-SGG, § 121 Rn. 15 [Stand: 1. Mai 2023]; Harks, jurisPR-SozR 17/2021 Anm. 3) bedurfte es insoweit schon deshalb nicht, weil der Vertagungswunsch des Klägers bereits bei der Urteilsberatung am 30. Mai 2023 bekannt war.
B. Die als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthafte Entschädigungsklage ist zulässig.
Die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), wonach eine Entschädigungsklage frühestens 6 Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann, ist gewahrt. Die als solche bezeichnete Verzögerungsrüge wurde am 12. September 2019 vor dem Ausgangsgericht schriftlich angebracht (§ 198 Abs. 3 GVG). Angesichts des Umstandes, dass zu diesem Zeitpunkt das Verfahren seit rund 5 ½ Jahre rechtshängig war, bestand Anlass zur Besorgnis, das Verfahren werde nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen. Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung hat der Kläger erst am 22. November 2021 erhoben.
Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG hat der Kläger mit der Klageerhebung am 22. November 2021 eingehalten. Danach muss die Klage spätestens 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Rechtskraft trat hier gemäß § 160a Abs. 1 Satz 2 SGG einen Monat nach Zustellung des Urteils des Ausgangsgerichts am 14. Mai 2021 ein. Für die Fristwahrung kommt es nur auf den Eingang der Klage beim Entschädigungsgericht an. Unerheblich für die Einhaltung der Klagefrist ist dagegen der Eintritt der Rechtshängigkeit, die gemäß § 94 Satz 2 SGG erst mit der Zustellung der Entschädigungsklage beim Beklagten beginnt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Dezember 2020 - B 10 ÜG 1/19 R, juris Rn. 16).
C. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung.
Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wenn er zuvor bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Erforderlich ist eine konkrete Festlegung des Entschädigungsgerichts hinsichtlich der Angemessenheit oder der Unangemessenheit der Verfahrensdauer, weil die Höhe der Entschädigung von der Dauer der Überlänge abhängt (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R, juris Rn. 29).
Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist in 3 Schritten zu prüfen (ständige Rechtsprechung, BSG, Urteil vom 24. März 2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - B 10 ÜG 1/19 R, juris Rn. 45 m.w.N.). Den Ausgangspunkt und ersten Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens insbesondere an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen, bei denen es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Soweit das Entschädigungsgericht Tatsachen feststellt, um diese Begriffe auszufüllen, hat es einen erheblichen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat.
1. Die Gesamtdauer des Ausgangsverfahren betrug von der Klageerhebung am 25. April 2014 bis zum rechtskräftigen Abschluss einen Monat nach Zustellung des Urteils des LSG am 14. Mai 2021 (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - B 10 ÜG 1/19 R, juris Rn. 38) 85 Monate (Mai 2014 bis Mai 2021).
Die so festgestellte Gesamtdauer des Ausgangsverfahren bleibt auch dann maßgeblich, wenn der Kläger wie hier nur eine Entschädigung für das Berufungsverfahren begehrt. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs unterliegen nicht der Dispositionsbefugnis des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr.3, Rn. 43).
Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des BSG auf volle Kalendermonate abzustellen (vgl. zur Berechnung BSG, Urteile vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R, juris Rn. 23, vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 31 sowie vom 12. Dezember 2019 - B 10 ÜG 3/19 R, juris Rn. 32; Kaltenstein, WzS 2020, 295, 297). Dem schließt sich der Senat an.
2. Unter Berücksichtigung des Klageverfahrens am SG lag keine Untätigkeit des LSG vor, die zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung i.S.d. § 198 GVG geführt hat. Hier kommen entgegen der Ansicht des Klägers von vornherein nur Zeiten ohne eine Aktivität des Gerichts in Betracht. Als eine solche Aktivität zählt auch die Entgegennahme eines Posteingangs, da dies am Beginn der gerichtlichen Bearbeitung durch das Gericht steht (BSG, Urteil vom 24. März 2022 - B 10 ÜG 2/20 R, juris Rn. 29).
Es bestanden grundsätzlich berücksichtigungsfähige Zeiten der Untätigkeit des LSG in 18 Kalendermonaten. Dies hat aber nicht zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung geführt, weil das Verfahren vor dem SG beschleunigt geführt worden ist und dort maximal eine gerichtliche Untätigkeit von 3 Kalendermonaten festzustellen ist. Diese bleibt weit hinter der dem SG zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit zurück. Hier ist eine Betrachtung des gesamten Verfahrens geboten (vgl. BSG, Urteil vom 24. März 2022 - B 10 ÜG 4/21 R, juris).
Zwar ist zwischen dem 24. Juli 2014 bis zu dem Posteingang am 24. Oktober 2014 keine gerichtliche Aktivität des SGs aktenkundig. Allerdings ergibt sich aus dem gefertigten Aktenvermerk, dass ein Gutachten in dem Verfahren S 1 R 603/13 abgewartet wurde. In diesem dem erkennenden Senat aufgrund einer weiteren Entschädigungsklage (L 10 SF 46/21 EK) bekannten Verfahren hatte das SG am 24. Juni 2014 die Einholung eines Gutachtens angeordnet, welches erst am 9. Oktober 2014 am Gericht einging. Hier geht der Senat davon aus, dass diese Zeit ausgehend von der materiellen Rechtsansicht des SGs noch als vertretbares Abwarten der Erstellung des Gutachtens zu bewerten ist. Denn auf dieses Gutachten hat sich das SG in seinem Urteil gestützt, so dass es relevant für seine Entscheidung war.
Trotz des generellen Beschleunigungsgebots war das SG im Jahr 2014 in dem Parallelerfahren S 1 R 603/13 zu einer Fristsetzung bei der Beauftragung eines Sachverständigen nicht verpflichtet (vgl. § 118 Abs. 1 S 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 ZPO in der Fassung von Art. 10 Nr. 4 des Justizmodernisierungsgesetzes vom 22. Dezember 2006, BGBl. I S. 3416; anders seit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes vom 11. Oktober 2016 mit Wirkung zum 15. Oktober 2016).
Wird eine Verzögerung durch das Verhalten Dritter (wie hier des Sachverständigen) ausgelöst, kommt es darauf an, inwieweit dies dem Gericht zugerechnet werden kann, insbesondere, weil es seinerseits von zumutbaren Beschleunigungshandlungen abgesehen hat (so BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 41). Bei der Entscheidung, ob und welche Frist einem Sachverständigen zu setzen ist und wann er wie an die Erstellung des Gutachtens zu erinnern ist, handelt es sich um eine Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung. Sie setzt eine tatsächliche und rechtliche Bewertung voraus, die in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt. Solche Entscheidungen können deshalb nur dann die Feststellung einer Verfahrensverzögerung rechtfertigen, wenn die richterliche Bewertung vor dem Hintergrund der jeweils geltenden Prozessordnung und/oder des materiellen Rechts unvertretbar und unter keinem Gesichtspunkt verständlich erscheint (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 41). Im sozialgerichtlichen Verfahren kann erfahrungsgemäß mit dem Eingang eines medizinischen Gutachtens nicht vor Ablauf von drei Monaten gerechnet werden und wird daher typischerweise regelmäßig erst nach vier bis fünf Monaten eine Sachstandsanfrage an den jeweiligen Gutachter gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 41 m.w.N.).
Keine gerichtliche Aktivität ist im November 2014 festzustellen. Allerdings hatte das Gericht die Rentenversicherung mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 zu einer Stellungnahme zu einem Schriftsatz des Klägers aufgefordert, mit dem dieser selbst eine substantiierte Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes beantragt hatte. Angesichts dessen war es vertretbar, diese abzuwarten, zumal das Gericht im Dezember 2014 hieran erinnerte.
Keine verfahrensfördernde Tätigkeit ist zwischen dem 5. Mai 2015 und dem 14. September 2015 festzustellen. Gleichwohl liegt keine Verzögerung des Verfahrens vor. Denn das Gericht hat mit Schreiben vom 15. September 2015 darauf hingewiesen, dass das Verfahren derzeit nicht entschieden werden könne, da umfangreiche Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen in dem Parallelverfahren S 1 R 603/13 erhoben worden waren.
Das SG durfte auch vertretbar annehmen, dass diese Berücksichtigung der Beweisergebnisse des Parallelverfahrens auch im Interesse des Klägers und der Verfahrensbeschleunigung liege. Denn in beiden Verfahren ging es in der Sache jeweils um eine frühere Rentengewährung. Insoweit erschien eine Stattgabe in dem einen Verfahren und eine Klageabweisung in dem anderen ohne eine verfahrensrechtliche Begründung schwer vorstellbar. Eine solche prozessuale Differenzierung der beiden Verfahren, die das LSG in dem vorliegenden Ausgangsverfahren schließlich seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, drängte sich jedoch nicht auf. Der Kläger selbst hat durch sein Prozessverhalten forciert, dass das SG auf die in dem Parallelverfahren zu gewinnende Erkenntnisse zurückgriff. Denn der Kläger hat im vorliegenden Ausgangsverfahren eine Entbindung von der Schweigepflicht ausschließlich für eine einzelne, namentlich benannte Ärztin erklärt. Auch der Kläger hat zur Begründung seiner Klage im Ausgangsverfahren auf Befundberichte in dem Parallelverfahren (Az: S 1 R 603/13) hingewiesen. Daher durfte das SG - und später das LSG - im vorliegenden Ausgangsverfahren die Entwicklung im Parallelverfahren abwarten.
In diesem hatte das Gericht den Sachverständigen am 24. April 2015 zu einer ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. Diese ging erst am 12. Februar 2016 beim Gericht ein. Jedoch erhielt der Sachverständige die ergänzenden Fragen des Gerichts nach dem Empfangsbekenntnis erst am 16. Juli 2015. Diese Postlaufzeit kann nicht als Zeit der Untätigkeit berücksichtigt werden. Für eine Fehlerhaftigkeit des Empfangsbekenntnisses ist nichts ersichtlich. Vor dem Erhalt der Unterlagen war keine Aktivität des Sachverständigen möglich.
Im Weiteren durfte das Gericht dem Sachverständigen in dem Parallelverfahren - wie oben dargelegt - vergleichbar der erstmaligen Erstellung des Gutachtens eine gewisse Zeit zur Erarbeitung seiner Stellungnahme einräumen (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 41 m.w.N.). Nachdem fast ein Jahr seit der Erstellung des Gutachtens vergangen war, durfte auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dem Sachverständigen der Sachverhalt noch in frischer Erinnerung war. Angesichts der Vielzahl der Einwendungen des Klägers war eine gründliche Einarbeitung in die Thematik notwendig.
Das Gericht erinnerte den Sachverständige bereits rund 2 Monate nach Zugang der Unterlagen am 15. September 2015 an die Erstellung des Gutachtens. Weitere Erinnerungen folgten am 20. Oktober 2015, 19. November 2015, 7. Januar 2016 und 29. Januar 2016. Insbesondere die zusätzliche telefonische Erinnerung am 25. Januar 2016 bewertet der Senat als besonders effektiv, da sie im Gegensatz zu schriftlichen Mahnungen vom Sachverständigen wahrgenommen werden muss. Der Senat hält eine monatliche Erinnerung des Sachverständigen oder die Androhung eines Ordnungsgeldes nicht für notwendig, zumindest solange die gesamte Bearbeitungszeit durch den Sachverständigen wie hier noch unter 6 Monaten lag. Hier hat das Gericht einen Ermessensspielraum. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers eine berücksichtigungsfähige Untätigkeit des SG in den Monaten November 2016 bis einschließlich Januar 2017 annehmen würde (3 Kalendermonate), ergäbe sich für das erstinstanzliche Verfahren eine so kurze Zeit der Untätigkeit, dass dieses geeignet bleibt, spätere Verzögerungen durch das LSG zu kompensieren.
Die Fertigstellung und insbesondere die Zustellung des Urteils im April 2016 sind ebenfalls als Aktivität des Gerichts zu berücksichtigen. § 134 Abs. 2 S. 1 SGG billigt dem Gericht einen Monat als gesetzlich definierte Aktivitätszeit für die Formulierung und die Niederschrift des Urteils zu, der daher nicht der allgemeinen Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugeordnet werden kann (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 44).
Der erste Zeitabschnitt ohne erkennbare gerichtliche Aktivität im Berufungsverfahren reicht vom 23. Oktober 2016 bis zu einem Posteingang am 21. Juli 2017. Allerdings hatte der Kläger im Oktober 2016 um Fristverlängerung gebeten und mehrfach betont, er werde zukünftig anwaltlich vertreten werden. Hier war es vertretbar, zumindest im November abzuwarten, ob noch ein weiterer Vortrag erfolgen werde.
Angesichts des engen Zusammenhanges darf auch im weiteren die Verfahrensentwicklung im Parallelverfahren (L 1 R 180/16) nicht unberücksichtigt gelassen werden. Dort hatte der Kläger am 8. November 2016 erneut Fristverlängerung beantragt und am 27. November 2016 erneut Ausführungen zur Sache gemacht und um einen richterlichen Hinweis gebeten. Hierzu hatte das LSG die Rentenversicherung zu einer Stellungnahme aufgefordert. Diese ist am 5. Januar 2017 am LSG eingegangen und eine Woche später dem Kläger übersandt worden. Dieser beantragte daraufhin am 31. Januar 2017 erneut Fristverlängerung unter Hinweis auf eine kurzfristig zu erwartende Übernahme der Vertretung durch eine namentlich bezeichnete Rechtsanwältin. Am 2. März 2017 legte die beklagte Rentenversicherung einen Bescheid vom 23. Februar 2017 vor, mit dem dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31. Oktober 2019 gewährt wurde. Dies alles hatte auch unmittelbare Relevanz für das vorliegende Verfahren, so dass es jeweils unter Berücksichtigung der Einräumung rechtlichen Gehörs vertretbar war, den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme einzuräumen.
Am 3. März 2017 bat die Berichterstatterin im Parallelverfahren die Rentenversicherung um Mitteilung, ob der Kläger einen weiteren Rentenantrag gestellt habe. Weiterhin forderte sie zur Übersendung der medizinischen Unterlagen auf, auf die der anerkannte Rentenanspruch gestützt werde. Auch dies war im vorliegenden Verfahren relevant. Daher war auch der am 16. März 2017 im Parallelverfahren eingegangene Schriftsatz zu berücksichtigen, in dem weitere Ausführungen der beklagten Rentenversicherung nebst Übersendung weiterer Unterlagen erfolgten. Am 21. März 2017 stellte der Kläger im Parallelverfahren erneut einen Beweisantrag und machte auf sechs Seiten weitere Ausführungen zur Sache. Erneut fügte er verschiedene Unterlagen bei. Dieser Schriftsatz wurde der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Am 29. März 2017 trug der Kläger im Parallelverfahren erneut vor und fügte verschiedene Unterlagen bei. Hierzu forderte die Berichterstatterin die beklagte Rentenversicherung zu einer Stellungnahme auf. Angesichts der Identität der Streitgegenstände bezüglich der Leistungsklage (Gewährung der Rente) war dies im Ausgangsverfahren zu berücksichtigen und eine Reaktion der dortigen Beklagten abzuwarten.
Unter dem 1. Mai 2017 (Eingang 3. Mai 2017) beantragte der Kläger im Parallelverfahren, den Sachverständigen gemäß §§ 116, 118 SGG i.V.m. §§ 397, 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) zur ergänzenden Erläuterung seines Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden. Er erklärte, er habe noch diverse Fragen an diesen und werde diese noch rechtzeitig vor einer mündlichen Verhandlung weiter konkretisieren. Die Berichterstatterin übersandte diese Ausführungen der beklagten Rentenversicherung am 4. Mai 2017 zur Kenntnis. Am 29. Juni 2017 führte der Kläger im Parallelverfahren erneut zur Sache aus und legte wiederum diverse Unterlagen vor. Diese Ausführungen wurden der beklagten Rentenversicherung am 6. Juli 2017 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt. Am 1. Juli 2017 trug der Kläger erneut im Parallelverfahren vor und bekräftigte dies mit diversen weiteren Unterlagen.
Es liegt - auch angesichts der Gesamtdauer des Verfahrens - noch innerhalb einer angemessenen Prozessführung, diese Entwicklung und den weiteren intensiven Austausch der Beteiligten abzuwarten und die Bearbeitung des Ausgangsverfahrens einstweilen zurückzustellen, um die Ergebnisse des Parallelverfahrens im Ausgangsverfahrens würdigen zu können.
Eine weitere Untätigkeit liegt in der Zeit nach Übersendung des Protokolls des Erörterungstermins vom 29. September 2017 bis zum Eingang eines Schriftsatzes am 9. April 2018 vor. Allerdings hatte die Berichterstatterin im Termin angekündigt, keine Entscheidung vor dem 31. Oktober 2017 zu treffen. Dies entspricht dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG; Art. 103 GG) und liegt noch im Rahmen der richterlichen Verfahrensgestaltung.
In der Folgezeit durfte das LSG wieder die Entwicklung des Parallelverfahrens abwarten. Dort waren am 27. Oktober 2017 drei Schriftsätze des Klägers eingegangen. Diese waren der Rentenversicherung erst am 6. November übersandt worden, so dass eine Stellungnahme dieser bis in den Dezember hinein abgewartet werden durfte, zumal auch noch die am 8., 11., 17. und 18. Oktober 2017 eingegangen Schriftsätze zu sichten waren (insgesamt Bl. 530 bis 589 der Akte des Ausgangsverfahrens).
Jedoch bleibt eine Untätigkeit von Januar bis März 2018 (3 Kalendermonate).
Ebenfalls keine Aktivität liegt im Zeitraum vom 21. Juni 2018 bis zum 9. Oktober 2018 vor. Allerdings ist am 30. August 2018 ein Schriftsatz des Klägers im Parallelverfahren eingegangen, der Ausführungen zu dem früheren Rentenbeginn und zu der Erwerbsfähigkeit des Klägers enthielt. Letzteres war auch für das Verfahren L1 R 181/16 relevant, so dass nur im Juli 2018 keine gerichtliche Aktivität festzustellen ist (1 Kalendermonat).
Ebenso ist keine Tätigkeit im Zeitraum vom 22. November 2018 bis 10. Februar 2019 festzustellen. Jedoch folgte dieser Zeitraum auf 4 Schriftsätze des Klägers allein im Monat November 2018. Hier ist es angemessen, der Rentenversicherung im Rahmen des rechtlichen Gehörs zumindest im Dezember 2018 stillschweigend Zeit für eine Stellungnahme zu geben. Anschließend ist im Parallelverfahren am 16. Januar 2019 ein Beweisantrag zu der Erwerbsfähigkeit des Klägers in den Jahren 2009/10 eingegangen. Es war vertretbar, dessen rechtliche Relevanz für das vorliegende Verfahren zu prüfen bzw. der Rentenversicherung auch hier Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben Dies gilt auch für den Schriftsatz des Klägers vom 10. Februar 2019 hinsichtlich des Kalendermonats März 2019.
Zwischen dem 31. Mai 2019 und dem 4. August 2020 ist das Verfahren nicht erkennbar bearbeitet worden (Juni 2019 bis Juli 2020 - 14 Kalendermonate). Die Kenntnisnahme des Gerichts von der Rüge der überlangen Verfahrensdauer ist keine verfahrensfördernde Aktivität.
In dem Ausgangsverfahren ist weiter keine Aktivität im Zeitraum vom 8. September 2020 bis 9. Dezember 2020 ersichtlich. Allerdings erfolgte Anfang August 2020 im Parallelverfahren ein Telefonat mit der beklagen Rentenversicherung und damit in jenem Verfahren eine gerichtliche Aktivität. Da sich daraus ergab, dass der Kläger begutachtet werden sollte, lag ein Zuwarten auf das Ergebnis dieser Beweiserhebung auch im vorliegenden Verfahren im richterlichen Ermessen. Denn hier war ebenfalls die Gewährung der Rente umstritten (Umdeutung seines Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Antrag auf Zahlung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung). Hinnehmbar ist eine Untätigkeit des Gerichts für zwei volle Kalendermonate bis zum 20. November 2020 (erneutes Telefonat mit der Rentenversicherung). Zwar hat das Ausgangsgericht stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick zu behalten, dass hier bereits rund 7 Jahre anhängig war. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen. Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt eine (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung. Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten (BSG, Urteile vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R, juris Rn. 37 - B 10 ÜG 9/13 R, Rn. 40 - B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 44, zitiert jeweils nach, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Juli 2018 - L 37 SF 202/17 EK U, juris Rn. 38).
Der erkennende Senat hält es aber für vertretbar, ein kurzfristig zu erwartendes, aber noch nicht vorliegendes (Verwaltungs-)Gutachten abzuwarten. Aufgabe des Gerichts ist zunächst, von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen (§ 103 SGG). Hierbei sind auch Gutachten der Verwaltungsträger zu berücksichtigen. § 106 Abs. 1 SGG verlangt vom Vorsitzenden, dass er möglichst bereits vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eine umfassende Klärung herbeiführt. Die so entstandene Wartezeit von 2 Kalendermonaten ist nicht gravierend.
Zwar stellte sich im Weiteren heraus, dass kein Gutachten erstellt werden würde. Maßgebend für die Beurteilung der richterlichen Handlungen ist, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus einer Ex-ante-Sicht einschätzen durfte; es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrensverlauf angesichts eines später weiter verzögerten Verlaufs im Nachhinein bei einer Ex-post-Betrachtung darstellt (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 47).
Im Januar 2021 ist zwar keine Aktivität im Ausgangsverfahren festzustellen; allerdings war der Befangenheitsantrag des Klägers gegen die Berichterstatterin zu bearbeiten, wofür zumindest dieser Monat notwendig war. Dies ist kein üblicher Teil des Verfahrens und insoweit zusätzlich zu berücksichtigen. Schließlich ist der April 2021 nicht zu berücksichtigen. § 134 Abs. 2 S. 1 SGG billigt dem Gericht - wie bereits ausgeführt - einen Monat als gesetzlich definierte Aktivitätszeit für die Formulierung und die Niederschrift des Urteils zu, der daher nicht der allgemeinen Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugeordnet werden kann.
3. Von den festgestellten insgesamt maximal 21 Monaten der fehlenden erkennbaren Bearbeitung des Verfahrens durch das SG und das LSG ist eine allgemeine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten je Instanz abzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R, juris Rn. 37). Dieser Abzug ergibt sich aus der vom BSG aus der Struktur und Gestaltung sozialgerichtlicher Verfahren abgeleiteten Regel, der zufolge vorbehaltlich besonderer Umstände je Instanz eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten noch hinzunehmen ist (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R, juris Rn. 37). Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht verlangt (Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. November 2013, X K 13/12, juris). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 12. Mai 2021 - L 6 SF 21/19 EK AS, juris Rn. 67 - 68).
Die Bewertung der unangemessenen Verzögerung eines Rechtsstreits umfasst nach der Rechtsprechung des BSG und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ausdrücklich auch einen instanzübergreifenden Ausgleich, im Rahmen dessen - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige unangemessene Verfahrensdauer in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann (BSG, Urteil vom 24. März 2022 - B 10 ÜG 4/21 R, juris; BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2017 - 5 B 11/17 D, juris Rn. 13).
Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut des § 198 GVG und hier insbesondere aus der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr 1 Halbsatz 1 GVG, wonach „ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss“ ist. Hierdurch werden Beginn und Ende des Zeitraums festgelegt, der zur Feststellung einer unangemessenen „Dauer eines Gerichtsverfahrens“ (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) bzw. des Umstands, dass „ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat“ (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG), zu betrachten ist. Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Dem stehen in systematischer Hinsicht weder die nach Land oder Bund getrennte Haftungsverantwortung (§ 200 Satz 1 und 2 GVG) und die dem folgende gerichtliche Zuständigkeit (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) noch die von dem Kläger vorgenommene Beschränkung des Entschädigungsanspruchs auf das Berufungsverfahren entgegen. Denn materiell-rechtlicher Bezugsrahmen eines derart beschränkten prozessualen Begehrens bleibt gleichwohl das gesamte gerichtliche Verfahren, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Ein Ausgleich von Verzögerungen in einem späteren Verfahrensabschnitt ist durch eine besonders zügige Bearbeitung „in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten“ möglich (z.B. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3, Rn. 43).
Es kann für den Entschädigungsanspruch nicht darauf ankommen, wie sich die den Gerichten insgesamt zuzubilligenden Phasen nicht erkennbarer gerichtlicher Verfahrensförderung verteilen. Deshalb ist die von einer Instanz nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit auch instanzübergreifend entschädigungsmindernd zu berücksichtigen. Es macht für die Beteiligten nach Abschluss von zwei Tatsacheninstanzen in der Gesamtschau keinen Unterschied, ob z.B. in beiden Instanzen jeweils zwölf Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit „verbraucht“ werden oder aber in der ersten Instanz nur vier Monate und in der zweiten Instanz 20 Monate (BSG, Urteil vom 24. März 2022 - B 10 ÜG 4/21 R, juris). Insgesamt wären es in beiden Fällen jeweils 24 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei zwei Instanzen.
Vorliegend besteht kein Anlass, von der Bemessung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit mit 12 Monaten je Instanz abzuweichen. Die zu berücksichtigende Bedeutung des Verfahrens für den Kläger ist insgesamt als etwas unterdurchschnittlich zu bewerten. Er begehrte die Umdeutung seines Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 27. Juli 2010 in einen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Da der Kläger bereits am 27. Oktober 2011 ausdrücklich eine solche Rente beantragt hatte, konnte mit einer Umdeutung nur noch ein früherer Rentenbeginn erreicht werden.
Hinzu kommt, dass der Kläger aufgrund des späteren Rentenantrags parallel bereits eine Klage auf Zahlung einer Rente ab dem 1. Juli 2010 (also demselben Datum) erhoben hatte. Vor diesem Hintergrund hatte das LSG im Ausgangsverfahren die Klage als unzulässig abgewiesen. Zumindest ging es auch aus Sicht des Klägers im Ergebnis - maximal - um eine frühere Rentengewährung, also keine Dauerleistung und (rückwirkend) nicht um eine grundsätzlich existenzsichernde Leistung. Zudem war dem Kläger eine Rente bereits durch das Urteil des SGs im Parallelverfahren für den Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2016 und mit Bescheid der beklagten Rentenversicherung vom 23. Februar 2017 befristet bis zum 31. Oktober 2019 bewilligt worden. Über den Antrag des Klägers auf Weitergewährung war zum Zeitpunkt des Urteils im Ausgangsverfahren noch nicht entschieden worden. Dies verringert die Bedeutung des Ausgangsverfahrens.
Allerdings haben die Gerichte bei der Verfahrensgestaltung auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2.12.2011 - 1 BvR 314/11, juris Rn. 7; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06, juris Rn. 20; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00, juris Rn. 11). Diese war hier ungewöhnlich lang.
Jedoch lag eine besondere Schwierigkeit des Berufungsverfahrens vor. Hier ist zu bedenken, dass das Verfahren bereits quantitativ mit rund 400 Seiten Akteninhalt umfangreich war. Bedeutsam ist auch der Umstand, dass der Kläger hier mehrere Klageverfahren anhängig gemacht hatte, die wie dargelegt einige Zusammenhänge aufwiesen, wie das mehrfache Abwarten von Verfahrensfortschritten in den Parallelverfahren, aber auch der Verbindungsantrag des Klägers selbst zeigt. Das relevante Parallelverfahren umfasste 700 Seiten Akteninhalt. Die Vielzahl von Schriftsätzen des Klägers erhöhte die Komplexität deutlich.
Der Annahme einer besonderen Schwierigkeit steht nicht entgegen, dass die Klage im Ausgangsverfahren nach dem rechtskräftigen Urteil des LSG unzulässig war. Das SG war noch von einer zulässigen Klage ausgegangen. Dieser Auffassung war offenkundig auch die Berichterstatterin zumindest zeitweilig während des Berufungsverfahrens, da ansonsten kein Anlass bestanden hätte, Ermittlungen der Versicherung abzuwarten. Dies ergibt sich auch explizit aus ihren mehrfachen rechtlichen Hinweisen. Es waren auch von keiner Seite und insbesondere nicht von dem Kläger Probleme bezüglich der Zulässigkeit der Klage aufgeworfen worden. Allein der Umstand, dass die Entscheidungsbegründung angesichts der letztlich verneinten Zulässigkeit nicht lang ausfiel, besagt nichts über die Schwierigkeit der Entscheidungsfindung. Es ist nicht Aufgabe des Entschädigungssenates, abgesehen von offensichtlichen Fällen, eine bestimmte Rechtsansicht bezüglich des Ausgangsverfahrens als vorzugswürdig zu bewerten. Maßgeblich ist insoweit, dass bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht zwingend von der Unzulässigkeit der Klage auszugehen war, weshalb die materiell-rechtlichen Probleme als die Schwierigkeit erhöhend berücksichtigt werden können.
Es ist festzustellen, dass die Gerichte im Ausgangsverfahren wiederholt die Notwendigkeit der Verfahrensbeschleunigung gesehen haben. Hier berücksichtigt der Senat, dass das SG den Rechtsstreit wenige Tage nach Eingang des Gutachtens zur mündlichen Verhandlung lud und insoweit sehr rasch handelte.
Auch nachdem sich im Februar 2020 ein Rechtsanwalt legitimiert hatte, hätte das LSG einen eventuellen neuen Vortrag bzw. neue Anträge abwarten dürfen. Denn die Bevollmächtigung eines Anwaltes hat dies zum Ziel. Insoweit war es eine besondere Verfahrensförderung, dass das Gericht sich nicht auf das Abwarten beschränkte, sondern zeitnah am 19. März 2020 weitere rechtliche Hinweise gab. Um solche hatte der Kläger gebeten; er hatte auch mehrfach Fristverlängerung beantragt.
Auch im Übrigen ist zumindest phasenweise wieder eine besonders schnelle Bearbeitung festzustellen. So wäre die Terminierung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschlussfassung über das Ablehnungsgesuch bei einem jüngeren Verfahren nicht notwendig gewesen.
Weiter ist festzustellen, dass sich das Verfahrensdauer auch aufgrund der vom Kläger erbetenen Hinweise und seiner mehrfachen Anträge auf Fristverlängerung verlängert hat. Schließlich führte die zeitweilige Beauftragung eines Rechtsanwaltes und die Ankündigung der Beauftragung eines anderen Prozessvertreters ebenfalls zu Verfahrensverzögerungen.
Solche Zeiten durch den Kläger selbst herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen, auch wenn sie sich wie hier im Rahmen zulässigen Prozessverhaltens bewegen, in seinen Verantwortungsbereich und können keine unangemessene Verfahrensdauer begründen (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 38 f; BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R, juris Rn. 37). Es wäre im Hinblick auf das eigene Verhalten des Klägers widersprüchlich, einerseits durch bestimmte Proesshandlungen eine Verfahrensverlängerung zu verursachen, aber für diese Zeit eine Entschädigung zu verlangen, weil durch eine insgesamt lange Verfahrensdauer sein Anspruch auf Rechtsschutz verletzt worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2020 - B 10 ÜG 4/19 R, SozR 4-1720 § 198 Nr. 19 Rn. 45). Nach § 198 Abs. 1 S. 2 GVG ist das Verhalten der Beteiligten bei der Würdigung des Verfahrensablaufs zu berücksichtigen.
Wie oben dargelegt, ist trotz der jahrelangen Rechtshängigkeit weitgehend eine Verfahrensförderung des Gerichts festzustellen. Unter Berücksichtigung dieser Aktivitäten und der exemplarisch festgestellten Bemühungen um eine rasche Entscheidung sowie des Umstands, dass die Verfahrensdauer im erheblichen Umfang auf das Prozessverhalten des Klägers zurückgeht, ist in einer Gesamtschau keine entschädigungspflichtige Überlänge festzustellen.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
E. Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2, § 202 Satz 2 SGG, § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.
F. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Den Wert des ausdrücklich gestellten Feststellungsantrags hat der Senat mit zusätzlich 100 € bewertet. Die Festsetzung mit dem Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000 € ist unangemessen. Maßgeblich für den Senat ist der Umstand, dass bei einer Verurteilung der Beklagten schon zu einer Zahlung von 100 € implizit die Überlänge festgestellt wird.
Da der Kläger ursprünglich eine erhöhte Entschädigung i.H.v. 150 € pro Monat seit der Anhörung im November 2017 (insgesamt zusätzlich 2.000 € statt noch 260 €) verlangt hatte, ergibt sich der im Tenor festgestellte Streitwert von 8.000 €.
Diese Festsetzung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).