L 8 AY 15/23 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AY 84/23 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 15/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

An im Rahmen laufender Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruchs zu stellen. Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren zurückgenommen werden, so ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungsverfahren bzw. in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Eine einstweilige Anordnung kann in einem solchen Fall ergehen, wenn massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden und die Rechtswidrigkeit des zu überprüfenden Bescheides offensichtlich erscheint.

  1. Der Antragsgegner wird unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Dresden vom 11. Oktober 2023 im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, den Antragstellern ab dem 29. September 2023 bis zur Entscheidung in der Hauptsache ungekürzte Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren.

 

  1. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge dem Grunde nach zu erstatten.

 

  1. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B.... bewilligt. Zahlungen aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.

 

 

Gründe:

I.

 

Die Antragsteller begehren im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ungekürzte Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

 

Die Antragsteller sind albanische Staatsangehörige. Im Jahr 2014 reisten die Antragsteller zu 1 bis 3 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten, ihnen Asyl zu gewähren. Zur Durchführung der Asylverfahren wurden sie am 9. Dezember 2014 dem Antragsgegner zugewiesen, der ihnen Leistungen nach dem AsylbLG bewilligte. Die Antragstellerin zu 4 wurde 2016 in U.... geboren. Nachdem ihre Asylanträge abgelehnt worden waren, kehrten die Antragsteller zu 1 bis 4 am 30. März 2017 freiwillig nach Albanien zurück.

 

 

Am 17. September 2021 reisten die Antragsteller zu 1 bis 4 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte deren Folgeanträge auf Asyl mit Bescheid vom 3. November 2021 als unzulässig ab, verbunden mit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nach wie vor nicht bestünden. Mit Bescheid der Landesdirektion Sachsen – Zentrale Ausländerbehörde – vom 25. November 2021 wurden sie dem Antragsgegner zugewiesen. Dieser stellt seit dem 13. Januar 2022 Duldungsbescheinigungen für die Antragsteller nach § 60a AufenthG aus, wobei davon nunmehr auch die Antragstellerin zu 5 erfasst wird, die 2022 in A.... geboren worden ist. Ihren daraufhin gestellten Asylantrag lehnte das BAMF mit Bescheid vom 1. April 2022 als offensichtlich unbegründet ab. Der Antragsgegner bat die Landesdirektion Sachsen per Mail vom 20. Juli 2022 darum, aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten.

 

Im Anschluss an die erfolgte Zuweisung nach der Wiedereinreise bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1 bis 4 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Zeit vom 25. November 2021 bis zum 30. April 2022 (Bescheid vom 24. November 2021). Mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 wandte sich der Antragsteller sodann an die Antragsteller zu 1 und 2. Es sei beabsichtigt, ihnen nur noch eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG zu erbringen, da beide Antragsteller ersichtlich in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Die Antragsteller zu 1 und 2 antworteten daraufhin mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 dahin, dass sie aufgrund der schwierigen Lebenssituation in Albanien nach Deutschland eingereist seien. Es habe Streitigkeiten mit den Eltern und Schwiegereltern gegeben, die die Antragsteller zu 3 bis 5 wiederholt geschlagen hätten. Mehrmals hätten die Antragsteller zu 1 und 2 Wohnungen gemietet, allerdings stets nach kurzer Zeit wieder ausziehen müssen, da die Hauseigentümer diese verkauft hätten. Das Leben in Albanien sei sehr schwer gewesen.

 

Der Antragsgegner erließ daraufhin den Bescheid vom 17. Januar 2022. Er änderte den Bescheid vom 24. November 2021 unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft ab, da "die entsprechenden Voraussetzungen" vorlägen. Nachdem die Antragsteller in der Anhörung auf die schwierige Lebenssituation in Albanien hingewiesen hätten mit wiederholter Wohnungslosigkeit, sei ersichtlich, dass sie in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Deshalb bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1 bis 4 für die Zeit vom 1. Februar 2022 bis zum 30. April 2022 lediglich eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG (596 Euro für Februar und März 2022; 626 Euro für April 2022, wobei die Kosten für Unterkunft und Heizung monatlich als Sachleistungen gewährt wurden).Für die Antragsteller zu 1 und 2 wurden bedarfsseitig nur noch 174 Euro monatlich berücksichtigt anstelle der zuvor angesetzten 328 Euro; für die Kinder 139 Euro bzw. 109 Euro anstelle der zuvor angesetzten 282 Euro bzw. 247 Euro monatlich).

 

In ihrer Mail vom 18. Februar 2022 (Blatt 263 der Verwaltungsakte zum AsylbLG) erwähnt die zuständige Sachbearbeiterin des Antragsgegners gegenüber ihrem Sachgebietsleiter, dass "die Familie" am 25. Januar 2022 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 17. Januar 2022 eingelegt habe. Dieser Rechtsbehelf findet sich auf Blatt 391 der Verwaltungsakte. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragsteller in ihrem Heimatland verfolgt, geschlagen und ausgeraubt worden seien. Ein Umzug in einen anderen Landesteil habe daran nichts geändert. Die Antragsteller beabsichtigten, aus humanitären Gründen in Deutschland zu bleiben. Die Leistungskürzung sei unangemessen. Der Antragsgegner bestätigte mit Schreiben vom 2. Februar 2022 den Eingang des Widerspruchs und informierte darüber, dass sich der Vorgang in der Abhilfeprüfung befinde.

 

Nach der Geburt der Antragstellerin zu 5 änderte der Antragsgegner den Bescheid vom
24. November 2021 und bewilligte ihr Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für Januar 2022 in Höhe von 49,80 Euro (Bescheid vom 29. März 2022). Mit weiterem Bescheid vom selben Tag gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 5 – wie den anderen Antragstellern – für die Zeit vom 1. Februar 2022 bis zum 30. April 2022 nur noch eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG als Änderung mit Wirkung für die Vergangenheit zu Gunsten der Betroffenen auf der Grundlage von § 9 Abs. 4 AsylbLG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X, da diese (obwohl wenige Wochen zuvor in A.... geboren) nach Deutschland eingereist sei, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Mit weiterem Bescheid vom 12. April 2022 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern wiederum nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. Mai 2022 bis zum 31. Juli 2022, da diese ersichtlich nach Deutschland eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen.

 

Mit Schreiben vom 2. Juni 2022 hörte der Antragsgegner die Antragsteller zu 1 und 2 erneut zur beabsichtigten Gewährung nur eingeschränkter Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG an. Diese hätten gegenüber dem BAMF mitgeteilt, sie seien wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation in ihrem Heimatland und wegen der Zukunft ihrer Kinder nach Deutschland eingereist. Es sei ersichtlich, dass die Einreise erfolgt sei, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Die Antragsteller legten unter Bezugnahme auf die Anhörung Widerspruch ein und kündigten an, einen Anwalt beauftragen zu wollen (Schreiben vom
4. Juli 2022). Der Antragsgegner erließ am 14. Juli 2022 wie angekündigt den Bescheid über die Bewilligung nur eingeschränkter Leistungen für die Zeit vom 1. August 2022 bis zum 31. Januar 2023. Es sei ersichtlich, dass die Antragsteller nach Deutschland eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Dabei hätten sie keine nachvollziehbaren Gründe angegeben, die ihr Verhalten rechtfertigen würden.

 

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2022 hörte der Antragsgegner die Antragsteller zur in Aussicht genommenen weiteren Gewährung nur eingeschränkter Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG an. Der Antragsteller zu 1 erläuterte daraufhin in seiner Mail vom 16. November 2022, dass er und seine Familie in Albanien nicht sicher seien und er deshalb große Angst habe. Er wolle in Deutschland arbeiten und sich gemeinsam mit seiner Familie hier integrieren. Er könne sich bereits etwas auf Deutsch verständigen und lerne viel. In der Gemeinschaftsunterkunft sorge er für Sauberkeit, ohne dafür Geld zu erhalten. Die Antragstellerin zu 4 sei sehr krank. Offenbar leide sie unter einer Infektion im Kopf, die durch ein Krankenhaus in T…. abgeklärt werde (der Behandlungsbericht des Universitätsklinikums T…. vom 2. Juni 2023 findet sich auf Blatt 229 der Ausländerakte). Er wolle kein Geld, sondern in Deutschland arbeiten sowie Sicherheit für seine Familie.

 

Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern auch daraufhin nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. Februar 2023 bis zum 31. Juli 2023 (Bescheid vom 24. Januar 2023). Die vom Antragsteller zu 1 am 16. November 2022 mitgeteilten Gründe für die erneute Einreise nach Deutschland hätten die Annahme des Antragsgegners bestätigt, dass finanzielle bzw. wirtschaftliche Gründe im Fokus stünden. Bedarfsseitig berücksichtigte er für die Antragsteller zu 1 und 2 insgesamt 194 Euro monatlich, für die Antragsteller zu 3 und 4 einen Betrag von jeweils 153 Euro monatlich und für die Antragstellerin zu 5 insgesamt 122 Euro monatlich.

 

Der Antragsgegner hörte die Antragsteller zu 1 und 2 schließlich mit Schreiben vom 30. Mai 2023 zur beabsichtigten Bewilligung eingeschränkter Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG ab August 2023 an. Der Antragsteller zu 1 teilte daraufhin erneut mit, dass er sich hier integrieren und in Deutschland arbeiten wolle, weshalb er um die entsprechende Erlaubnis bat. Die Familie sei in Albanien nicht sicher und wolle daher nicht dorthin zurückkehren (Schreiben vom 13. Juni 2023). Der Antragsgegner bewilligte den Antragstellern sodann mit Bescheid vom 7. Juli 2023 eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG für die Zeit vom 1. August 2023 bis zum 31. Januar 2024. Albanien sei ein sicherer Herkunftsstaat. Die auf die Anhörung genannten Gründe bestätigten den Antragsgegner in seiner Annahme, dass finanzielle und wirtschaftliche Gründe im Fokus stünden.

 

Mit Schreiben vom 10. August 2023 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner, dass dieser alle Bescheide über die Bewilligung eingeschränkter Leistungen nach § 1a AsylbLG überprüfen möge. Insbesondere mit Blick auf die minderjährigen Kinder seien die Leistungskürzungen nicht gerechtfertigt (Bezug auf Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 7 AY 1/14 R). Den Antragstellern seien Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Das menschenwürdige Existenzminimum sei migrationspolitisch nicht zu relativieren. Mit Schreiben vom 21. September 2023 zeigte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller beim Antragsgegner an und beantragte unter konkreter Bezeichnung, die Bescheide über die Bewilligung nur eingeschränkter Leistungen vom 29. März 2022, 12. April 2022, 14. Juli 2022, 24. Januar 2023 und vom 7. Juli 2023 zu überprüfen.

 

Am 29. September 2023 haben sich die Antragsteller an das Sozialgericht Dresden gewandt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Sozialgericht hat den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 11. Oktober 2023). Die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der streitgegenständliche Bescheid bestandskräftig geworden und daraufhin lediglich ein Überprüfungsantrag gestellt worden sei. Im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens könne eine einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn die Rechtswidrigkeit des zu überprüfenden Bescheides offensichtlich sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Nach der durch die Kammer vertretenen Rechtsauffassung könne bei einem Bescheid, der auf der dem Gesetz entsprechenden Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift beruhe, die möglicherweise verfassungskonform ausgelegt werden könne und die andernfalls dem Bundesverfassungsgericht zuerst zur Klärung vorgelegt werden müsste, nicht davon ausgegangen werden, dass der Bescheid offenkundig rechtswidrig sei.

 

Gegen den ihnen am 11. Oktober 2023 zugestellten Beschluss wenden sich die Antragsteller mit ihrer am selben Tag zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Beschwerde. Der erkennende Senat habe bereits entschieden, dass bestandskräftige Bescheide über eine verfügte Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG offensichtlich rechtswidrig sein könnten (Bezug auf SächsLSG, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – L 8 AY 6/22 B ER und Beschluss vom 16. Dezember 2021 – L 8 AY 8/21 B ER – juris Rn. 57). Die Antragsteller erhielten seit Februar 2022 durchgehend gekürzte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG. Dies sei unter Berücksichtigung der zitierten Entscheidungen des Senats unverhältnismäßig. Für den Fall, dass aufgrund des Wortlauts des § 1a Abs. 2 AsylbLG kein pflichtwidriges Verhalten zu fordern sei, müsse die Norm unangewendet bleiben (Bezug auf Hessisches LSG, Beschluss vom 31. März 2020 – L 4 AY 4/20 B ER). Die vom Antragsgegner verfügte Leistungseinschränkung sei daher offenkundig rechtswidrig, weshalb den Antragstellern ungekürzte Leistungen zustünden.

 

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 11. Oktober 2023 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren.

 

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

            die Beschwerde zurückzuweisen.

 

 

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

 

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsteller erweist sich als begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, da sich die Antragsteller sowohl auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen können. Das Sozialgericht hat bereits übersehen, dass die Antragsteller zu 1 bis 4 Widerspruch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
17. Januar 2022 über die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen ab dem 1. Februar 2022 eingelegt haben. Der Antragsgegner hat noch nicht mitgeteilt, ob er dem Widerspruch abzuhelfen gedenkt, wofür aber alles spricht. Selbst wenn man davon ausginge, dass sämtliche Bescheide über die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen ab Februar 2022 bestandskräftig sein sollten, hätten die Antragsteller nach den erfolgten Überprüfungsanträgen gleichwohl entgegen der Ansicht des Sozialgerichts einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da die zu überprüfenden Bescheide des Antragsgegners offenkundig rechtswidrig sind und die Antragsteller dadurch massiv in ihren Rechten verletzt (worden) sind.

 

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

 

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands vorbeugen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG; sogenannte Regelungsanordnung).

 

Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen
(§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69).

 

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdimension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklungen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umgehung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

 

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

 

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 – 94, 166, 216). Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Juli 1996 – 1 BvR 638/96NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht.

Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).

 

Gemessen daran können sich die Antragsteller sowohl auf einen Anordnungsanspruch als auch auf einen Anordnungsgrund berufen. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts liegt hier ein offener Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Januar 2022 vor, so dass sich die erhöhten Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruchs, wie sie im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens bestehen, hier nicht stellen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Widerspruch nur die Antragsteller zu 1 bis 4 erfasst. Bezogen auf die Antragstellerin zu 5 werden die Überprüfungsanträge allerdings offensichtlich erfolgreich sein.

Dabei sind an im Rahmen laufender Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gestellte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruchs zu stellen. Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren zurückgenommen werden, so ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungsverfahren bzw. in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten (SächsLSG, Beschluss vom 25. Februar 2020 – L 8 AS 1422/19 B ER – juris Rn. 32; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. April 2011 – L 5 AS 342/10 B ER – juris Rn. 19; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Mai 2013 – L 19 AS 638/13 B ER – juris Rn. 12). Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist in diesem Fall erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden (Thüringer LSG, Beschluss vom 14. September 2011 – L 10 AL 434/10 ER – juris Rn. 33). Darüber hinaus kann eine einstweilige Anordnung in derartigen Fällen nur ergehen, wenn die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheids offensichtlich ist und deshalb mit einem für den Antragsteller positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens zu rechnen ist (BayLSG, Beschluss vom 11. September 2015 – L 16 AS 510/15 B ER – juris Rn. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013 – L 9 KR 254/13 B ER – juris Rn. 4; BayLSG, Beschluss vom 8. November 2019 – L 20 KR 479/19 B ER – juris Rn. 32). Die Überprüfungsanträge der Antragsteller müssen somit offenkundige Erfolgsaussichten haben.

Ein solcher Fall liegt hier vor.

 

Die Antragsteller sind leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, da sie eine Duldung nach § 60a AufenthaltG besitzen und vollziehbar ausreisepflichtig sind. Der Antragsgegner hat den Antragstellern zu 1 bis 4 zunächst ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt mit Bescheid vom 24. November 2021 für die Zeit vom 25. November 2021 bis zum 30. April 2022. Dabei handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.

 

 

Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist nach seinem Sinn und Zweck und dem einschlägigen materiellen Recht in seinen Wirkungen wesensgemäß auf Dauer angelegt. Er ist allgemein dadurch gekennzeichnet, dass er sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert. Die Behörde hat den Dauerverwaltungsakt auf fortbestehende Rechtsmäßigkeit zu überprüfen; für seine rechtliche Beurteilung ist grundsätzlich die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 29. Oktober 2014 – 9 B 32/14 – juris Rn. 3 m.w.N.). Eine derartige – zeitlich begrenzte – Dauerwirkung kommt der Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für die Antragsteller zu 1 bis 4 aufgrund des Bescheides vom 24. November 2021 zu. Seine Regelung erschöpft sich der Sache nach nicht darauf, Leistungen für einen Monat festzusetzen. Vielmehr hat der Antragsgegner damit ausdrücklich die Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bis April 2022 verfügt. Für den Fall, dass ein solcher Bescheid geändert werden soll, ist gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG ein Aufhebungsbescheid nach den § 48 SGB X zu erlassen, sofern sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Dauerverwaltungsakts zugrunde gelegen haben, wesentlich geändert haben (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21. Juni 2018 – L 9 AY 1/18 B ER – juris Rn. 39; BayLSG, Beschluss vom 19. März 2019 – L 18 AY 12/19 B ER – juris Rn. 22). Ansonsten ist gegebenenfalls zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 45 SGB X vorliegen.

 

Die Antragsteller zu 1 bis 4 sind am 17. September 2021 erneut in das Bundesgebiet eingereist. Wie erwähnt, hat ihnen der Antragsgegner Grundleistungen nach § 3 AsylbLG mit Bescheid vom 24. November 2021 für die Zeit vom 25. November 2021 bis zum 30. April 2022 bewilligt. Selbst wenn man mit dem Antragsgegner davon ausginge, dass die Antragsteller zu 1 bis 4 wieder eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen, wäre der Aufhebungsbescheid vom 17. Januar 2022 rechtswidrig ergangen. Denn § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, den der Antragsgegner herangezogen hat, würde voraussetzen, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach dem Erlass des Bewilligungsbescheides vom 24. November 2021 wesentlich geändert hätten. Dies war allerdings nicht der Fall. Die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse haben sich für die Antragsteller zu 1 bis 4 in der Zeit vom 25. November 2021 bis zum 17. Januar 2022 überhaupt nicht geändert; erst Recht kann von keiner wesentlichen Änderung die Rede sein. Die Antragsteller hielten sich seit ihrer erneuten Einreise im September 2021 im Bundesgebiet auf. Diese Situation setzte sich bis zum 17. Januar 2022 unverändert fort. Die Voraussetzungen für den Erlass des Aufhebungsbescheides lagen deshalb offensichtlich nicht vor. Stattdessen hätte der Antragsgegner – aus seiner Sicht - § 45 SGB X heranziehen müssen mit dem Ziel, den Bewilligungsbescheid vom 24. November 2021 als womöglich begünstigenden Verwaltungsakt zurückzunehmen. Ein solches Vorgehen dürfte nicht mehr in Betracht kommen, da jedenfalls die Jahresfrist ab Kenntnis nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X verstrichen ist. Ob im Falle der Antragsteller zu 1 bis 4 überhaupt die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorgelegen haben könnten, muss der Senat deshalb nicht erörtern.

 

Im Gegensatz zur Ansicht des Sozialgerichts hat der Antragsgegner auch der Sache nach das einfache Bundesrecht – hier: § 1a Abs. 2 AsylbLG - unzutreffend angewandt. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG und Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG, soweit es sich um Familienangehörige handelt, die sich in den Geltungsbereich des AsylbLG begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu beziehen, nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG. Ihnen werden in einem solchen Fall nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt (vgl. § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG). Weil § 1a AsylbLG als Sanktionsnorm zu verstehen ist, ist sie auch mit Blick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG restriktiv auszulegen (vgl. Cantzler, AsylbLG, 2019, § 1a Rn. 9; Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 7). Die rechnerische Differenz zu Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beläuft sich bei uneingeschränkten Leistungen nach dem AsylbLG auf 20 Prozent. Lässt man zusätzlich den Bedarf für das soziokulturelle Existenzminimum außen vor, ergibt sich eine rein betragsmäßige Differenz von rund 55 Prozent (vgl. Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 7).

 

Für die Antragstellerin zu 5 ist § 1a Abs. 2 AsylbLG von vornherein nicht einschlägig. Sie ist 2022 in A.... geboren worden und bereits deshalb offensichtlich nicht in das Bundesgebiet "eingereist". Aber auch auf die Antragsteller zu 1 bis 4 dürfte diese Vorschrift nicht anzuwenden sein. Diese sind zwar im September 2021 wieder in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Einreise diente aber nicht dem Zweck, Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Die Antragsteller zu 3 und 4 sind als Familienangehörige nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG zwar ausdrücklich in § 1a Abs. 2 AsylbLG erwähnt. Diese Regelung ist allerdings teleologisch zu reduzieren. Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (BVerfG, Beschluss vom 1. September 2007 – 2 BvF 3/02 – juris Rn. 92). Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfG, Urteil vom 30. März 2004 – 2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01 – juris Rn. 148). Voraussetzung und Grenze einer verfassungskonformen Auslegung ist weiter, dass ein Anwendungsbereich für die Norm verbleibt.

 

Der Senat wendet deshalb § 1a Abs. 2 AsylbLG unter Ergänzung des Wortes "selbst" an (vgl. dazu Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 26). Demnach ist eine Einschränkung von Leistungen für Familienangehörige nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG nur in solchen Fällen in Betracht zu ziehen, in denen diese selbst allein bzw. vorrangig zum Zweck des Sozialleistungsbezugs eingereist sind. Einer akzessorischen Anspruchseinschränkung stünde das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entgegen. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Menschenwürde einer jeden einzelnen Person ohne Ausnahme und verlangt, das Existenzminimum in jedem Einzelfall sicherzustellen (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 – juris Rn. 205). Nur eine solche Auslegung trägt im Hinblick auf minderjährige Personen Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 Rechnung (BGBl II 1992, 121), das in der Bundesrepublik Deutschland vorbehaltlos im Rang eines Bundesgesetzes gilt und als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtstaatlicher Grundsätze des Grundgesetzes herangezogen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 708/12 – juris Rn. 21). Darin wird verlangt, dass die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass ein Kind (im Sinne des Art. 1 der Konvention: alle noch nicht volljährigen Personen) vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen Tätigkeiten, Meinungsäußerungen oder Weltanschauungen seiner Eltern geschützt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint dem Senat die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen für die Antragsteller zu 3 und 4 als offensichtlich rechtswidrig. Es besteht kein Anhalt für die Annahme des Antragsgegners, wonach beide Kinder in das Bundesgebiet eingereist sein könnten mit dem Ziel und dem eigenständig gebildeten Willen, Leistungen nach dem AsylbLG beziehen zu wollen.

 

Auch die für die Antragsteller zu 1 und 2 verfügte Leistungseinschränkung erweist sich als offensichtlich rechtswidrig. Denn § 1a Abs. 2 AsylbLG erfordert als individuelles Fehlverhalten die zielgerichtete Einreise nach Deutschland allein bzw. ganz überwiegend aus dem Grund, Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Der Wille, Sozialleistungen zu beziehen, muss mithin im Zeitpunkt der Einreise vorhanden und prägend für den Einreiseentschluss gewesen sein. Es genügt deshalb nicht, dass der Leistungsbezug beiläufig verfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 – 5 C 22/87 – juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rn. 45; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. Mai 2018 – L 8 AY 7/17 – juris Rn. 30; Hohm in: GK-AsylbLG, Stand: Januar 2022, § 1a Rn. 143).

 

Dies gilt selbst dann, wenn etwa aufgrund des geringen Bildungsniveaus des Ausländers oder fehlender Sprachkenntnisse eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt oder die Gesellschaft objektiv nur schwer und erst nach längerer Zeit möglich ist. Maßgeblich für die Zulässigkeit der Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 1 AsylbLG ist nur der subjektive Wille des Ausländers, nicht objektiv bestehende schlechte Integrationschancen. Ansonsten würde bei nahezu jedem Ausländer, der nicht schon bei der Einreise über deutsche Sprachkenntnisse verfügt oder im Wege der Fachkräfteeinwanderung in die Bundesrepublik Deutschland einreisen kann, die Bewilligung nur eingeschränkter Leistungen in Betracht kommen. Damit würde das Regel-Ausnahmeverhältnis der §§ 3, 3a AsylbLG zu § 1a AsylbLG auf den Kopf gestellt (Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 24). Aus der bindenden Ablehnung des Asylantrags durch die Ausländerbehörden oder nach verwaltungsgerichtlichem Rechtschutz darf nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Einreise nur zum Zweck des Leistungsbezugs beabsichtigt gewesen sei (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 – 5 C 22/87 – juris Rn. 17). Selbst die Einreise aus einem sicheren Drittstaat allein rechtfertigt nicht den Schluss auf die Einreiseabsicht nur zum Zweck des Sozialleistungsbezugs (Oppermann in: jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rn. 59).

 

Das Motiv der Einreise ist von der Leistungsbehörde in jedem Fall von Amts wegen zu ermitteln nach § 1 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfZG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Dies kann durch die Befragung des Ausländers geschehen oder die Beiziehung der Ausländerakten. Für jedes erwachsene Familienmitglied ist die Motivationslage zu erforschen. Bei unklarer Sachlage wird es angezeigt sein, die Ausländer persönlich zu befragen, da das Motiv der Einreise ausschließlich in das Wissen der Ausländer gestellt ist (Oppermann in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rn. 63, 64). Mit Blick auf die einschneidende Sanktion des § 1a AsylbLG wird die Behörde im konkreten Einzelfall - unter Berücksichtigung der Sprachkenntnisse der Ausländer – Dolmetscher hinzuzuziehen haben. Die Behörde trägt, da es sich bei § 1a Abs. 2 AsylbLG um eine den Grundanspruch nach § 3 AsylbLG einschränkende Regelung handelt, die Feststellungs- sowie die Darlegungs- und materielle Beweislast für das Vorliegen eines solchen Einreisemotivs. Kann die Absicht zur Einreise nur zum Zweck des Sozialleistungsbezugs nicht festgestellt werden oder bleibt die Einreiseabsicht ungeklärt, ist eine Leistungseinschränkung rechtswidrig. Dies gilt selbst dann, wenn der Ausländer keine, nur unzureichende oder unglaubhafte Erklärungen abgibt, solange nicht die subjektive Einreiseabsicht anderweitig festgestellt werden kann (Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 1a Rn. 28; Oppermann in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rn. 65).

 

Demnach hat bei den Antragstellern zu 1 und 2 im Zeitpunkt der Einreise keine Absicht bestanden, Sozialleistungen zu beziehen. Eine solche Feststellung hat der Antragsgegner auch nicht getroffen. Vielmehr hat er in seinen Bescheiden über die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen ausgeführt, dass es "ersichtlich" sei, dass die Antragsteller zu 1 und 2 nach Deutschland eingereist seien, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen (vgl. die Bescheide vom 17. Januar 2022, 12. April 2022 und 14. Juli 2022). In den Bescheiden vom 24. Januar 2023 und vom 7. Juli 2023 erwähnt der Antragsgegner zusätzlich, dass er "in seiner Annahme bestätigt" worden sei, dass "finanzielle bzw. wirtschaftliche Gründe im Fokus" stünden. Bereits diesen Formulierungen ist zu entnehmen, dass sich der Antragsgegner nicht davon überzeugt hat, dass die Antragsteller zu 1 und 2 zielgerichtet bzw. ganz überwiegend aus dem Grund nach Deutschland eingereist sind, um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen.

 

Die Antworten der Antragsteller zu 1 und 2 auf die erfolgten Anhörungen bestätigen die Ansicht des Senats. Diese haben zunächst im Schreiben vom
23. Dezember 2021 erläutert, wegen der schwierigen Situation in Albanien nach Deutschland gereist zu sein. Es habe Streitigkeiten mit Verwandten gegeben, die zum Teil gewalttätig ausgetragen worden seien. Mehrfach habe die Familie ihre Wohnung verloren. In ihrem Widerspruch vom 25. Januar 2022 gegen den Bescheid vom 17. Januar 2022 haben die Antragsteller zu 1 und 2 ausgeführt, in ihrem Heimatland verfolgt, geschlagen und ausgeraubt worden zu sein, wobei auch der Umzug in einen anderen Landesteil nichts geändert habe. In der Mail vom 16. November 2022 hat der Antragsteller zu 1 erwähnt, dass er kein Geld wolle, sondern Sicherheit für sich und seine Familie. Er wolle in Deutschland arbeiten und sich hier integrieren. Seinen Wunsch bestätigte der Antragsteller zu 1 im Schreiben vom 13. Juni 2023 und bat zugleich um eine Erlaubnis des Antragsgegners, arbeiten zu dürfen. Diesen Ausführungen lässt sich keinesfalls entnehmen, dass die Antragsteller zu 1 und 2 in das Bundesgebiet eingereist sein könnten, um zielgerichtet oder aus überwiegenden Gründen Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen. Vielmehr stellt das prägende Motiv der Einreise nach Deutschland, um sich eine Lebensgrundlage durch Erwerbstätigkeit zu schaffen und unabhängig von staatlichen Leistungen zu leben, keine Rechtfertigung für eine Einschränkung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG dar (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. April 2021 – L 8 AY 21/18 – juris Rn. 25). Auch die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen für die Antragsteller zu 1 und 2 erweist sich damit als offensichtlich rechtswidrig.

Schließlich besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Sache ist eilbedürftig, da den Antragstellern die Mittel fehlen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Selbst wenn sich ein Mensch tatsächlich daran gewöhnen sollte, über längere Zeit geringere Leistungen als das verfassungsrechtlich Gebotene zu erhalten, darf dies kein Maßstab sein für die hier allein maßgebliche juristische Beurteilung. Danach ist das menschenwürdige Existenzminimum zu sichern; zumal im Falle der Antragsteller – wie aufgezeigt – die ausnahmsweise Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a Abs. 2 AsylbLG zur Durchsetzung der Ausreise nach Albanien offensichtlich nicht in Betracht kommt. Das BSG geht davon aus, dass allenfalls monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich und für nur einen kurzen Zeitraum von längstens sechs Monaten eine allenfalls durchschnittliche Bedeutung für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen haben (Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – SozR4-1935 § 14 Nr. 2). Diese Erwägungen sind auf Leistungen nach dem AsylbLG zu übertragen; zumal diese vom Gesetzgeber zielgerichtet niedriger ausgestaltet worden sind.

III.

Den Antragstellern war gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten. Die hinreichende Erfolgsaussicht liegt vor (s.o). Zudem sind die Antragsteller nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftig, da ihnen seit Februar 2022 lediglich eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 2 AsylbLG gewährt werden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar
(§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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