I. Der Bescheid vom 19.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 wird aufgehoben und die Beklagte dazu verurteilt, die Kosten für eine Behandlung mittels mehrzeitiger wasserstrahlassistierter Liposuktion an den Oberschenkeln sowie am Gesäß, an der Hüfte und an den Oberarmen zu übernehmen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
T a t b e s t a n d
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Übernahme von Kosten für eine Liposuktion aufgrund eines Lipödems.
Die im Jahr 1978 geborene Klägerin leidet an einem Lipödem des Stadiums II, welches erstmals im Jahr 2018 diagnostiziert wurde. Zudem besteht u.a. eine Adipositas, eine rezidivierende depressive Störung, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und ein Schulter-Arm-Syndrom mit Mittelnervenschädigung beidseits. Seit dem 02.03.2020 wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 ohne Merkzeichen festgestellt. Der Einzel-GdB für das Lipödem beträgt 20.
Mit Schreiben vom 23.04.2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine mehrzeitige wasserstrahlassistierte Liposuktion in stationärer Durchführung im H. in E-Stadt. Diese Behandlung verschaffe ihr dauerhafte Schmerzbeseitigung und wieder deutlich mehr Lebensqualität.
Mit Bescheid vom 19.05.2021 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Die Behandlung sei aktuell noch keine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse.
Mit Schreiben vom 11.06.2021 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Laut ihrer behandelnden Ärzte leide sie an einem Lipödem des Stadiums II bis III. Die Erkrankung sei aufgrund der enormen Schmerzsymptomatik so schwerwiegend, dass ihre Lebensqualität auf Dauer nachhaltig enorm beeinträchtigt sei. Insbesondere leide sie an Spannungsschmerzen, die sie seelisch beeinträchtigten und zu sozialer Isolation führten. Konservative Therapien hätten zu keiner relevanten Beschwerdelinderung geführt und seien ausgeschöpft. Umfangreiche körperliche Aktivität und Ernährungsumstellung hätten ebenfalls keine Besserung gebracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar liege grundsätzlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung vor, diese sei jedoch begrenzt auf Behandlungsmethoden, die das Qualitätsgebot erfüllen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe im Lichte dessen lediglich für eine Liposuktion wegen Lipödem ab Stadium III eine positive Empfehlung abgegeben. Daraus folge im Umkehrschluss, dass eine Liposuktion wegen Lipödem des Stadiums bis II nicht anerkannt worden sei. Eine Ausnahme von der strengen Bindung an das Qualitätsgebot sei nur bei der Behandlung von lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen möglich. Eine solche stelle ein Lipödem jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht dar.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten am 15.10.2021 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Potentialleistung vorliegen.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht die medizinischen Unterlagen beigezogen und schließlich Beweis erhoben durch das Gutachten nach Aktenlage der Sachverständigen Dr. med. M. vom 29.10.2023.
* Die Sachverständige bestätigt zunächst das Vorliegen eines Lipödems des Stadiums II. Betroffen seien insbesondere die Oberschenkel und die Hüften sowie die Oberarme, jeweils beidseits. Bedingt durch die Schmerzen in den Beinen bestehe eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit und Beweglichkeit.
* Im Fall der Klägerin sei es nicht möglich, die Liposuktion im ambulanten Setting durchzuführen.
* Auch wenn keine lebensbedrohliche Situation bestehe, handele es sich nach Ansicht der Sachverständigen um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Aufgrund eines erhöhtes Drucks im Weichteilgewebe komme es bei Belastung häufig zu Schmerzen in den Beinen und Armen; typisch seien ebenfalls Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit mit einem erheblichen Spannungsgefühl. Für die Ausprägung der Beschwerden sei das Stadium alleine nicht aussagekräftig. Häufig bestehe keine Korrelation zwischen klinischer Symptomatik und der Stadieneinteilung; so auch im Fall der Klägerin: Diese leide an einer ausgeprägten klinischen Symptomatik bei noch mittlerer Stadieneinteilung. In mehreren Arztbriefen werde ein positives Stemmerzeichen als Hinweis auf eine progrediente Lymphstauung beschrieben. Durch die Zunahme der Beinvolumina steige zudem das Risiko von orthopädischen, lymphatischen und dermatologischen Komplikationen.
* Die gerichtliche Sachverständige führt weiter aus, dass im Fall der Klägerin die Standardtherapien ausgeschöpft sind, da diese nicht den erforderlichen Therapieerfolg bewirkt hätten. Klassische Maßnahmen wie Diät und Sport seien beim Lipödem grundsätzlich nicht erfolgreich. In Betracht kommen Lymphdrainage, das Tragen von Kompressionswäsche und die kombinierte physikalische Entstauungstherapie. Gemäß der aktuellen S1-Leitlinie sei die Liposuktion zu erwägen, wenn die konservative Therapie nach sechs Monaten keinen Erfolg gebracht habe. Im Fall der Klägerin konstatiert die Sachverständige, dass sie seit Jahren regelmäßig Lymphdrainage erhalte und Kompressionswäsche trage. Eine Befundstabilisierung habe dadurch jedoch nicht erreicht werden können.
* Gemäß den aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen einer vom G-BA beauftragten Studie zu Liposuktion bei Lipödem der Stadien I, II und III habe die Liposuktion bei Lipödem das Potential für eine Optimierung der Behandlung und eine effektivere Behandlung.
Die Beklagte hat auf das Gutachten erwidert, dass die Ansicht der Sachverständigen zum Schweregrad der Erkrankung rein subjektiver Natur sei. Das BSG habe bereits mehrfach entschieden, dass ein Lipödem keine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V sei. Hinsichtlich einer Potentialleistung nach § 137c Abs. 3 SGB V bestehe nicht die erforderliche Entscheidungsvakanz, da der G-BA mit seiner Entscheidung, die Liposuktion für Lipödeme des Stadiums III anzuerkennen, zugleich konkludent entschieden habe, die Anerkennung für die Stadien I und II zu versagen.
Die Klägerin lässt hierauf erwidern, dass das BSG in aktuellen Verfahren den Rechtsstreit an das jeweilige Landessozialgericht zur Ermittlung der Schwere einer Lipödemerkrankung zurückverwiesen habe. Dies zeige, dass das BSG keinesfalls ausschließe, dass das Lipödem eine schwerwiegende Erkrankung sein kann. Die Entscheidung des G-BA hinsichtlich des Lipödems des Stadiums III beinhalte keine explizite Entscheidung zu den Stadien I und II.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13.03.2024 hat die Klägerin dem Gericht ausführlich die für sie mit der Erkrankung verbundenen Einschränkungen geschildert.
Die Klägerin beantragt nach alldem,
den Bescheid vom 19.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Behandlung mittels mehrzeitiger wasserstrahlassistierter Liposuktion an den Oberschenkeln sowie an Gesäß, Hüfte und Oberarmen zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Beklagtenakte Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Liposuktion aufgrund eines Lipödems des Stadiums II in stationärer Durchführung. Die streitgegenständlichen Bescheide verletzen sie daher in ihren Rechten und sind aufzuheben.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die begehrte Behandlung im Fall der Klägerin nur im stationären Setting durchgeführt werden kann. Die Erforderlichkeit einer stationären Durchführung hat die gerichtliche Sachverständige schließlich nachvollziehbar bestätigt. Rechtsgrundlage für den Leistungsanspruch der Klägerin ist daher § 39 Abs. 1 SGB V.
§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellt klar, dass der Leistungsanspruch auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden umfasst, zu denen der G-BA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat und die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Korrespondierend hierzu hat der Gesetzgeber in § 137c Abs. 3 SGB V Folgendes geregelt:
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat, dürfen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt und von den Versicherten beansprucht werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach § 137c Abs. 1 Satz 1 SGB V gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach § 137c Abs. 1 SGB V noch nicht abgeschlossen ist.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der von der Klägerin begehrte Leistungsanspruch besteht. Der G-BA hat bislang keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen (dazu 1.). Die begehrte Behandlung erfüllt derzeit zwar nicht das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, allerdings ist dieses aufgrund von § 137c Abs. 3 SGB V partiell eingeschränkt; es gilt der Potentialmaßstab (dazu 2.). Auch nach Erlass der Erprobungs-Richtlinie Liposuktion des G-BA vom 18.01.2018 bleibt es bei den vom BSG hierfür aufgestellten Voraussetzungen; weitere Qualitätsanforderungen des G-BA für Krankenhäuser, die nicht an der Erprobung teilnehmen, bestehen nicht (dazu 3.). Die Voraussetzungen des § 137c Abs. 3 SGB V liegen vor: Die Klägerin leidet an einer schwerwiegenden Erkrankung, Standardtherapien sind ausgeschöpft und die begehrte Behandlung bietet das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative (dazu 4.). Die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf stationäre Krankenhausbehandlung liegen ebenfalls vor (dazu 5.).
1.
Dem Anspruch auf eine Potentialleistung im Sinne des § 137c Abs. 3 SGB V steht - anders als die Beklagte meint - eine Entscheidung des G-BA nach § 137c Abs. 1 SGB V nicht entgegen. Entsprechend der Ausführungen des BSG (Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 12) sind bei dem Verweis auf § 137c Abs. 1 SGB V solche Entscheidungen gemeint, die dahingehen, dass die Methode nach einem negativen Methodenbewertungsverfahren im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der Krankenkasse erbracht werden darf (vgl. § 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V). Im Fall der Liposuktion bei Lipödem hat der G-BA das entsprechende Methodenbewertungsverfahren jedoch nur ausgesetzt und ein Erprobungsverfahren auf der Grundlage der genannten Erprobungs-Richtlinie veranlasst. Die Erprobung umfasst dabei alle Stadien eines Lipödems. Eine Entscheidung im Sinne des § 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt indes nicht vor. Gestützt wird diese Auslegung letztlich durch die Klarstellung in § 137c Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 SGB V; denn auch hier wird explizit auf den Abschluss des Methodenbewertungsverfahrens abgestellt.
Die befristete Zulassung der Liposuktion bei Lipödem des Stadiums III durch den Beschluss des G-BA vom 19.09.2019 (Änderung der Anlage I der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung) hat keine Auswirkung auf den Potentialleistungsanspruch des § 137c Abs. 3 SGB V. Es handelt sich dabei nämlich weder ausdrücklich noch konkludent um eine abschließende negative Entscheidung im Sinne des § 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V. Der G-BA wollte mit der befristeten Zulassung erkenntlich nur eine schnellere Versorgung der Versicherten ermöglichen, wenn mindestens bereits das Stadium III vorliegt. Eine konkludente negative Nutzenbewertung hinsichtlich der Stadien I und II ist damit nicht verbunden. Die Nutzenbewertung läuft (für alle Stadien) weiter; eine abschließende Entscheidung über den Nutzen der Behandlungsmethode wird daher erst nach Abschluss der Erprobungsstudie möglich sein. Bis dahin ist der Anwendungsbereich des § 137c Abs. 3 SGB V für Liposuktionen bei Lipödem des Stadium I und II eröffnet.
2.
Der im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Grundsatz, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V), ist für die begehrte Behandlung unstreitig nicht erfüllt. Dies belegt gerade die laufende Erprobungsstudie aufgrund der genannten Erprobungs-Richtlinie, die dazu dient, eine abschließende Beurteilung darüber herbeizuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Liposuktion bei Lipödem dem allgemeinen Qualitätsgebot entspricht (BSG, Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 16).
Im Anwendungsbereich des § 137c SGB V, der wie gezeigt eröffnet ist, ist das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V durch § 137c Abs. 3 SGB V jedoch partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch der Versicherten auf Krankenhausbehandlung. An die Stelle des allgemeinen Qualitätsgebots tritt der Potentialmaßstab (BSG, Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 18 mit Verweis auf sein Urteil vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - juris, in dem der Senat seine bisherige ständige Rechtsprechung aufgegeben hat).
3.
Das BSG konstatiert, dass der Anwendungsbereich von Potentialleistungen zur Gewährleistung eines ausreichenden Patientenschutzes für den Fall einer noch nicht existierenden Erprobungs-Richtlinie wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen sei. Versicherte haben außerhalb eines auf einer Erprobungs-Richtlinie beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung daher nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs Anspruch auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, wenn es 1. um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar ist und wenn 3. die Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (BSG, Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 19).
Für den Fall, dass - wie hier - nun bereits eine Erprobungs-Richtlinie erlassen wurde, hat das BSG entschieden, dass die genannten Voraussetzungen grundsätzlich weitergelten. Denn die hierfür soeben genannten Gründe seien auch nach dem Erlass einer Erprobungs-Richtlinie unverändert zutreffend (BSG, Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 20).
Dies gelte jedoch nach Ansicht des BSG wiederum nur soweit und solange, der G-BA keine Regelungen nach § 137e Abs. 2 Satz 3 SGB V getroffen habe. Nach dieser Vorschrift kann der G-BA Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung für Krankenhäuser regeln, die - wie das Krankenhaus, in dem die Klägerin die Behandlung begehrt - nicht an der Erprobung teilnehmen. In diesem Fall würde der Leistungsanspruch (zusätzlich) von den Voraussetzungen einer solchen Regelung abhängen.
Für die Liposuktion bei Lipödem hat der G-BA zwar weitere Regelungen erlassen, die für Krankenhäuser gelten, die an der Erprobung teilnehmen (s. Erprobungs-Richtlinie vom 18.01.2018 und das entsprechende Studiendesign). Auch hat er eine Richtlinie zur Qualitätssicherung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V vom 19.09.2019 erlassen, die für die befristete Zulassung der Liposuktion beim Lipödem des Stadium III gilt. Eine Regelung für Fälle des Stadiums I und II, die für nicht an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser gilt, liegt indes nicht vor. § 137e Abs. 2 Satz 3 SGB V stellte hierfür eine abschließende Regelungsermächtigung dar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.08.2022 - B 1 KR 29/21 R -, juris, Rn. 22 ff.); hiervon hat der G-BA jedoch keinen Gebrauch gemacht.
Damit bleibt es vorliegend beim Potentialmaßstab und den oben dargestellten, vom BSG hierfür aufgestellten Voraussetzungen.
4.
Die Klägerin erfüllt die vom BSG im Rahmen des § 137c Abs. 3 SGB V aufgestellten Voraussetzungen.
a.
Nach den insoweit nachvollziehbaren, schlüssigen und unbestrittenen Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen hat die Klägerin die Standardtherapien ausgeschöpft. Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an. Hinsichtlich der Standardmethoden hat die Sachverständige ausführlich beschrieben, welche Behandlungen die Klägerin bereits seit Jahren anwendet (vor allem Kompressionswäsche und Lymphdrainage) und dass diese ausweislich der regelmäßigen Untersuchung durch die behandelnden Ärzte für die Klägerin ohne Erfolg geblieben sind. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin diese Feststellungen glaubhaft bestätigt. Für das Gericht ist es daher ohne Zweifel, dass Standardmethoden mangels Erfolgs im Fall der Klägerin längst ausgeschöpft sind und damit nicht mehr verfügbar sind.
b.
Auch bietet die streitgegenständliche Behandlungsmethode nach den insoweit ebenfalls nachvollziehbaren, schlüssigen und unbestrittenen Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative.
Ein solches Potential ist zu bejahen, wenn nach umfassender Ermittlung des Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des Wirkprinzips nicht von der Schädlichkeit oder Unwirksamkeit der Methode auszugehen ist, sowohl die Aussicht auf eine effektivere Behandlung im Vergleich zu bestehenden Standardmethoden als auch die Aussicht auf Schließung der bestehenden Evidenzlücke durch eine einzige Studie in einem begrenzten Zeitraum auf hinreichend aussagekräftige Erkenntnisse gestützt werden kann und eine Gesamtabwägung der potentiellen Vor- und Nachteile der Methode mit denjenigen vorhandener Standardmethoden positiv ausfällt (BSG, Urteil vom 13.12.2022 - B 1 KR 33/21 R -, juris, 3. Leitsatz).
Das Gericht hat auch hier im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen keinen Zweifel daran, dass die vom BSG für das Potential aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Liposuktion bei Lipödem wird seit Jahren erfolgreich in der medizinischen Praxis angewendet. Sofern medizinisch-wissenschaftliche Nachteile dieser Behandlungsmethode überhaupt noch konstruierbar sind, so fiele die durchzuführende Gesamtabwägung im Fall der Klägerin jedenfalls deshalb zu ihren Gunsten aus, da die üblichen Standardmethoden bei der Klägerin trotz jahrelanger Anwendung nicht erfolgreich gewesen sind und ihr weitere Versuche oder ein Zuwarten bis zum Abschluss der Erprobung und einer abschließenden Entscheidung des G-BA nicht zumutbar sind.
c.
Zur Überzeugung der Kammer leidet die Klägerin schließlich auch an einer schwerwiegenden Erkrankung.
Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 25/20 R, juris, Rn. 40 unter Verweis auf seine Rechtsprechung zum Off-Label-Use mit Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R, juris, Rn. 26).
Anzumerken ist, dass es - anders als die Beklagte ausgeführt hat - nicht darauf ankommt, ob eine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt. Der von der Beklagten genannte Maßstab bezieht sich lediglich auf Ansprüche nach § 2 Abs. 1a SGB V, nicht jedoch auf den hier einschlägigen Potentialmaßstab des § 137c Abs. 3 SGB V. So nimmt auch die von der Beklagten insoweit zitierte BSG-Entscheidung (Urteil vom 24.04.2018 - B 1 KR 13/16 R, juris, Rn. 8) lediglich Bezug auf § 2 Abs. 1a SGB V.
Was unter einer schwerwiegenden Erkrankung zu verstehen ist, hat der 1. Senat des BSG in seiner Rechtsprechung zum Medizinalcannabis kürzlich konkretisiert. Das Gericht erachtet die dort ausgeurteilten Grundsätze auch auf den hiesigen Fall anwendbar, da die Leistungspflicht auf dasselbe Tatbestandsmerkmal (sei es richterrechtlich, sei es nach dem Gesetzeswortlaut) abstellt und das BSG in seiner Grundsatzentscheidung zum Potentialmaßstab vom 25.03.2021 für die Definition der schwerwiegenden Erkrankung auch kein Problem darin gesehen hat, auf die Definition einer schwerwiegenden Erkrankung im Rahmen eines anderen Leistungsanspruchs (Off-Label-Use) zurückzugreifen.
Somit können nach BSG, Urteil vom 10.11.2022 - B 1 KR 28/21 R, juris, Rn. 11 ff. sowie nach dem Terminbericht Nr. 43/22 (Ziffer 2) folgende, für den hiesigen Fall maßgebliche Grundsätze zur weiteren Definition einer die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung festgehalten werden:
* Lebensqualität umschreibt das Vermögen, die Befriedigung von Grundbedürfnissen selbst zu gewährleisten, soziale Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten sowie am Erwerbs- und Gesellschaftsleben teilzunehmen. Die dauerhafte und nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität ergibt sich deshalb nicht allein aus einer ärztlich gestellten Diagnose. Entscheidend sind Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, welche die Lebensqualität beeinträchtigen.
* Die Auswirkungen der Krankheit mit den sich aus dieser ergebenden Beeinträchtigungen müssen sich durch ihre Schwere vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Insoweit hält es der Senat für gerechtfertigt, sich an die Bewertung der Auswirkungen von Krankheiten in der Versorgungsmedizin-Verordnung anzulehnen (Teil 2 der Anlage zu § 2 VersMedV). Entsprechen die Auswirkungen nach der GdS-Tabelle bereits allein ohne Einbezug weiterer Erkrankungen einem GdS von 50, kann im Regelfall von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden. Dies ist weder im Sinne eines starren Grenzwertes zu verstehen, noch ist eine formelle Feststellung eines GdS oder GdB erforderlich, um einen Leistungsanspruch zu begründen.
* Erreichen die Auswirkungen nicht die Schwere, die einem Einzel-GdS von 50 vergleichbar sind, ist die Annahme einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht ausgeschlossen. Sie kommt im Einzelfall in Betracht, etwa wenn ihre Auswirkungen aufgrund weiterer Erkrankungen schwerer wiegen oder die Teilhabe am Arbeitsleben oder in einem anderen Bereich besonders einschränken.
Bei der Klägerin kann demnach nicht bereits als Regelfall von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden, da das Lipödem ausweislich der Feststellungen im Rahmen des Schwerbehindertenrechts lediglich zu einem Einzel-GdS (entspricht dem GdB) von 20 führt.
Unabhängig davon gelangt die Kammer unter Berücksichtigung der oben genannten weiteren Grundsätze zu der Überzeugung, dass bei der Klägerin im Einzelfall eine schwerwiegende Erkrankung im Rechtssinne dennoch vorliegt. Maßgeblich für diese Überzeugung sind die beigezogenen medizinischen Unterlagen, die die gerichtliche Sachverständige einer nachvollziehbaren und schlüssigen Würdigung unterzogen hat, sowie die ausführlichen und glaubhaften Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung.
So hat die Sachverständige etwa darauf hingewiesen, dass zwischen klinischer Symptomatik und der Stadieneinteilung nicht notwendigerweise ein Zusammenhang bestehen müsse. Bei der Klägerin sei etwa bei noch mittlerer Stadieneinteilung von einer ausgeprägten klinischen Symptomatik auszugehen. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass ihre Ärzte immer von einem Stadium II - III sprächen. Dem Gericht stellt sich dies so dar, dass im Fall der Klägerin aus medizinischen Gründen zwar tatsächlich nur ein Lipödem des Stadiums II diagnostizierbar ist, durchaus aber die schwerere Symptomatik eines Stadiums III vermutet werden kann. Entscheidend für die Annahme einer schwerwiegenden Erkrankung ist gerade die Symptomatik, mithin vor allem die durch eine Erkrankung verursachten Funktionsstörungen; die reine Diagnose ist sekundär.
Die Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung haben die Kammer letztlich davon überzeugt, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt. Die Einschränkungen, unter denen die Klägerin leidet, durchziehen ihr gesamtes Berufs-, Alltags- und Privatleben. Wenn auch durch den - aufgrund einer anderen Erkrankung notwendig gewordenen - Jobwechsel die Tätigkeit als Sekretärin mit einem Lipödem weniger schmerzhaft auszuführen sein dürfte als die vorherige Tätigkeit als Krankenschwester, so ist es dennoch nachvollziehbar, dass sich auch bei Bürotätigkeiten regelmäßig Schmerzzustände einstellen. Noch gewichtiger erscheinen der Kammer hier jedoch die Einschränkungen des Alltags- und Privatlebens: Während das ungünstige Verwendenmüssen von Kompressionswäsche über die meiste Zeit des Jahres oder das regelmäßige Durchführen von Lymphdrainage noch hinnehmbar erscheint, gerät die Klägerin gerade in der wärmeren Jahreszeit immer wieder in die Situation, dass das Tragen der Kompressionswäsche auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt. Wenn die Klägerin aufgrund der Kompressionswäsche - wie sie glaubhaft schildert - etwa ganze Monate an bestimmten Hautstellen offen ist, ist dies jedenfalls nicht mehr hinnehmbar. Als Alternative wäre es ihr dann nur möglich, auf das Tragen der Kompressionswäsche als Standardbehandlung zu verzichten; dies ist jedoch selbstredend nicht im Sinne einer effektiven Krankenbehandlung. Auch die geschilderten und nachvollziehbaren Einschränkungen im Privatleben erscheinen der Kammer gravierend. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein auf der Erkrankung und ihrem Erscheinungsbild einhergehenden Schamgefühl, ob dessen die Klägerin nicht etwa auf psychiatrische Behandlungsoptionen verwiesen werden kann. Das Schamgefühl ist zwar dem Grunde nach ein psychologisches Phänomen, bei der Klägerin hat es jedoch keinen eigenständigen Krankheitswert, sondern ist in nachvollziehbarer Weise mit der Grunderkrankung, dem Lipödem, verknüpft. Es wirkt sich bei der Klägerin im sozialen Bereich aus (kein Schwimmbadbesuch mit der Familie mehr möglich, Freunde und Bekannte können nur im geschützten Privatraum getroffen werden, nicht in der Öffentlichkeit, wie z.B. einem Restaurant) sowie im eng zwischenmenschlichen Bereich mit ihrem Ehemann. All dies sind Gesichtspunkte, die die Lebensqualität in besonderem Maße einschränken. Im Vergleich mit anderen Versicherten, die ebenfalls an einem Lipödem des Stadiums II leiden, aber noch die hierfür klassische Symptomatik aufweisen mögen, gehen die Einschränkungen der Klägerin, die im Lichte der schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen an einer ausgeprägteren Symptomatik leidet, über die bei klassischer Symptomatik anzunehmenden und dann womöglich noch hinzunehmenden Einschränkungen nach Ansicht der Kammer deutlich hinaus. Die Einschränkungen der Klägerin heben sich nach allen dargelegten und geschilderten Aspekten vom Durchschnitt der Erkrankungen ab, sodass im Einzelfall trotz der noch relativ geringen GdS-Einstufung eine schwerwiegende Erkrankung anzunehmen ist.
Im Fall der Klägerin bestehen die Einschränkungen auch dauerhaft und nachhaltig. Das Lipödem wurde erstmals im Jahr 2018 diagnostiziert. Die bisher angewandten Standardmethoden führten nicht zu einer Besserung der Erkrankung oder ihrer Symptome. Im Gegenteil hat sich die Erkrankung wohl weiter ausgebreitet. Denn die Sachverständige kommt insoweit nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass eine progrediente Lymphstauung vorliegt. Zudem besteht ohne die begehrte Behandlung das Risiko von orthopädischen, lymphatischen und dermatologischen Komplikationen, mithin einer weiteren Verschlechterung der Beschwerden und möglicher Begleiterkrankungen.
5.
Letztlich liegen auch die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Behandlung in einem (nicht an der Erprobungsstudie teilnehmenden) Krankenhaus nach § 39 Abs. 1 SGB V vor. Darauf, dass im Fall der Klägerin eine stationäre Behandlung erforderlich ist, hat das Gericht bereits eingangs hingewiesen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 A-Stadt, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, J-Stadt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.