L 2 AS 2986/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1649/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 2986/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 18. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Klageverfahren S 8 AS 132/23 beendet ist.

Die Klägerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 wies der Beklagte die Klägerin der Maßnahme „Unterstützung mit Gesamtheitlichen Ansatz“ des K1 Bildungswerk I1 GmbH U1 vom 13. Dezember 2022 bis 12. Juni 2023 zu.

Am 19. Dezember 2022 beantragte die Klägerin Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht (SG) Ulm (S 6 AS 2790/22 ER). In diesem Verfahren teilte der Beklagte mit Schreiben vom 28. Dezember 2022 mit, dass keine Sanktion durch den Beklagten erfolgen werde, da die Voraussetzungen einer Sanktionierung durch das bestehende Sanktionsmoratorium und die entsprechende Rechtsfolgenbelehrung nicht vorlägen. Mit Beschluss vom 13. Januar 2023 lehnte das Sozialgericht Ulm den Antrag ab. Nachdem die Klägerin das Verfahren nach Einlegung der Beschwerde für erledigt erklärte, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 31. Januar 2023 über die Kosten des Verfahrens (L 7 AS 179/23 ER-B).

Am 17. Januar 2023 hat die Klägerin Klage zum SG erhoben (Az.: S 8 AS 132/23) und die Aufhebung des Bescheides vom 12. Dezember 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 begehrt. Die Maßnahme sei zu unbestimmt und ihr Zweck und Ziel werde nicht deutlich. Der zeitliche Umfang sei mit „Vollzeit“ angegeben, was ihr aufgrund der Pflege ihrer Schwiegereltern so nicht möglich sei.

Der Beklagte ist dieser Klage entgegengetreten.

Nach dem Hinweis des SG vom 19. Juni 2023, dass die Maßnahme am 12. Juni 2023 geendet habe und sich der Verwaltungsakt daher erledigt habe, hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 30. Juni 2023 „das Verfahren für erledigt erklärt und beantragt, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen“.

Mit Beschluss vom 2. August 2023 hat das SG die Erstattung außergerichtlicher Kosten der Klägerin abgelehnt. Die Klage sei voraussichtlich als unzulässig abzuweisen gewesen, da das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis selbst bei Klageerhebung bereits nicht vorgelegen habe. Dieses sei spätestens mit der Erklärung des Beklagten vom 28. Dezember 2022 im Eilverfahren, also noch vor Klageerhebung, entfallen, mit welcher der Beklagte erklärt habe, dass keine Sanktion erfolgen werde.

Mit Schreiben vom 3. August 2023 hat der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt, „Die Erledigungserklärung vom 30. Juni 2023 werde hiermit wegen Irrtums angefochten und es werde beantragt, dem Verfahren Fortgang zu geben“.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. Oktober 2023 hat das SG festgestellt, dass die zunächst unter dem Aktenzeichen S 8 AS 132/23 geführte Klage erledigt ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass, nachdem im Verfahren S 8 AS 132/23 ursprünglich gegen die Zuweisung zur einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach dem SGB II geklagt worden seien, nunmehr der Fortgang des Verfahrens begehrt werde. Das klägerische Begehren sei sinngemäß auf die Aufhebung des Bescheides vom 12. Dezember 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 und der Fortführung des zunächst abgeschlossenen Klageverfahrens gerichtet. Die Klägerin habe die unter dem Aktenzeichen S 8 AS 132/23 geführte Klage einseitig für erledigt erklärt, was als Klagerücknahme auszulegen sei. In dem gerichtskostenfreien Verfahren sei eine einseitige Erledigungserklärung als Klagerücknahme zu behandeln, weil an die Unterscheidung zwischen Erledigungserklärung und Klagerücknahme keine Kostenfolgen gebunden sei; vielmehr bedürfe es in beiden Fällen auf Antrag einer Kostenentscheidung nach § 102 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die unter dem Aktenzeichen S 8 AS 132/23 geführte Klage sei wirksam zurückgenommen, was den Rechtsstreit gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG in der Hauptsache erledigt habe. Über die Zuweisung zu einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach dem SGB II sei daher nicht mehr zu entscheiden. Die anwaltlich vertretene Klägerin habe nämlich durch ihre mit Schriftsatz vom 30. Juni 2023 erklärte Erledigungserklärung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, ihr Klagebegehren nicht mehr weiter verfolgen zu wollen. Als Prozesshandlung könne die Klagerücknahme grundsätzlich weder entsprechend dem bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) angefochten noch widerrufen werden. Sie sei eine gestaltende Prozesshandlung, auf die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit, Widerruf und Anfechtung nicht anwendbar seien. Hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse unterlägen sie dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht. Daher sei es grundsätzlich unerheblich, ob ein Irrtum vorliege. Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 579 Abs.1 SGG i.V.m. §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) seien nicht ersichtlich. Eine Nichtigkeitsklage nach § 179 ZPO oder Restitutionsklage nach § 580 ZPO sei jeweils nur zulässig bei schwersten Verstößen gegen das Prozessrecht bzw. schwersten Mängeln bei der Willensbildung. Hierfür seien keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei im Übrigen auch nicht gemäß § 179 Abs. 2 SGG statthaft. Es sei kein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen habe.

Gegen den dem Bevollmächtigten der Klägerin gegen elektronisches Empfangsbekenntnis am 20. Oktober 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte der Klägerin für diese am 21. Oktober 2023 beim SG Berufung erhoben. Die Berufung ist nicht begründet worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Ulm vom 18. Oktober 2023 das Klageverfahren S 8 AS 132/23 fortzusetzen und den Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2023 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich mit Schreiben vom 22. November 2023 und die Klägerin mit Schreiben vom 27. November 2023 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Klageakten des SG (S 8 AS 132/23 und S 8 AS 1649/23) und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen


Entscheidungsgründe


Der Senat konnte auf Grund der Zustimmung der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Das Begehren der Klägerin hat kein Erfolg.

Die nach den §§ 143,144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 152 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 18. Oktober 2023 zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit S 8 AS 132/23 beim SG wirksam beendet ist.

Die diesen Rechtsstreit beendende Prozesshandlung findet sich in der Erklärung des Bevollmächtigten der Klägerin vom 30. Juni 2023, mit der er den vorgenannten Rechtsstreit für erledigt erklärt hat. Im Unterschied zum Zivil- und Verwaltungsprozess führt im sozialgerichtlichen Verfahren bereits die einseitige Erledigungserklärung zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 20. Dezember 1995 - 6 Ra 18/95 - in Soziale Sicherheit 1996, 358). Die Erledigungserklärung hat hier anders als nach § 91a ZPO oder § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung; sie stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses oder - wie im vorliegenden Fall - als Klagerücknahme dar. In beiden Fällen führt die Abgabe der entsprechenden Prozesserklärung zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 101 Abs. 2, § 102 Satz 2 SGG).

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 30. Juni 2023 das Klageverfahren S 8 AS 132/23 ausdrücklich für erledigt erklärt. Die Erledigungserklärung, die in der Sache eine Klagerücknahme ist, ist eine Prozesshandlung, die das Gericht und die Beteiligten bindet. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtum angefochten werden (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 1/15 R -, BSGE 119, 293 ff.; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG, 14. Aufl., § 102 Rn. 7c mit weiteren Nachweisen). Damit ist für die Fortführung des Rechtsstreits S 8 AS 132/23 kein Raum mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
Saved