L 6 VG 1890/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 VG 128/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1890/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Neuberechnung nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ihres seit 2011 gewährten Berufsschadensausgleichs nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund eines zwischenzeitlich abgeschlossenen Fachhochschulstudiums.

Die 1979 geborene, mittlerweile verpartnerte Klägerin und selbst Mutter von 2013 geborenen Zwillingen, wuchs, bis sie 10 Jahre alt war, mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten R1 (im Folgenden: R.) im Haus der Großeltern mütterlicherseits auf, wobei die Großmutter nach dem Tod des Großvaters im Jahre 1986 ihre Bezugsperson war. Anschließend zog die Klägerin mit ihrer Mutter und R. innerhalb der Wohngemeinde um. Ab dem 13. Lebensjahr hielt sie sich dort nur noch an den Wochenenden auf, ihren Lebensmittelpunkt hatte sie wieder zu ihrer Großmutter verlagert, zu der sie auch in der Zeit davor den Kontakt intensiv gepflegt hatte. Sie lebte dort bis zum Abschluss der Hauptschule im Jahre 1994. Anschließend zog sie wieder zu ihrer Mutter und besuchte die Haus- und Landwirtschaftsschule M1, eine hauswirtschaftlich-sozialpädagogische Berufsfachschule, die sie 1996 mit der Durchschnittsnote 3,0 und der Berechtigung des Realschulabschlusses beendete. Im Mai 1996 kam sie in eine von der Jugendhilfe C1 e. V. betreute Außenwohngruppe. Von 1996 bis 1997 leistete sie ein Vorpraktikum in einem Kindergarten ab.

Am 19. Oktober 2001 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen Misshandlungen durch die Mutter und sexuellen Missbrauch durch R. Während ihrer gesamten Kindheit sei sie von ihrer Mutter psychisch und körperlich misshandelt worden und habe in einer verwahrlosten Wohnung aufwachsen müssen. Sie sei von R. bis zum Alter von 11 Jahren sexuell missbraucht worden; bis sie 15 Jahre alt gewesen sei, habe er sie noch sexuell bedrängt.

Das Amtsgericht M1 verurteilte R. wegen an der Klägerin 1990/1991 und 1994/1995 vorgenommener sexueller Handlungen neben einer Geldauflage zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde nach Rücknahme des Rechtsmittels rechtskräftig.

Auf Veranlassung des Beklagten erstattete M2 nach einer Untersuchung der Klägerin am 13. November 2002 ein nervenärztliches Gutachten, wonach eine chronische posttraumatische Belastungsreaktion, depressive Verstimmungszustände bei erheblichen sozialen Problemen und eine primäre Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, der GdS mit 50 eingeschätzt und die Fortführung der Psychotherapie für notwendig erachtet wurden.

Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Einschätzung von H1 von März 2003 stellte der Beklagte mit (Erstanerkennungs-)Bescheid vom 15. Mai 2003 fest, dass die chronische posttraumatische Belastungsreaktion, die depressiven Verstimmungen und die Borderline-Persönlichkeit Folgen von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen in den Jahren 1990/1991 und 1994/1995 sind. Weiter wurde festgestellt, dass die Klägerin hierdurch in ihrer Erwerbsfähigkeit ab 1. Oktober 2001 um 50 vom Hundert (v. H.) gemindert ist. Ferner wurde dem Grunde nach Heilbehandlung gewährt. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einkommensunabhängiger Leistungen wie Ausgleichsrente, Familienzuschlag und Berufsschadensausgleich seien nicht erfüllt. Unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 15. Mai 2003 wurde mit Bescheid vom 6. Juli 2005 ein Recht der Klägerin auf Ausgleichsrente vom 1. Oktober 2001 bis 30. September 2003 festgestellt.

Zur Prüfung, ob eine von der Klägerin am 14. März 2007 geltend gemachte Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen eintrat, erstattete wiederum M2 für den Beklagten ein Gutachten, wonach angesichts der nach wie vor bestehenden erheblichen Schwierigkeiten, besonders in der beruflichen Entwicklung, ab Februar 2008 ein Grad der Schädigung (GdS) von 60 anzunehmen sei. Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2008 den GdS mit 60 ab 1. Februar 2008 fest.

Am 20. September 2010 stellte die Klägerin ausdrücklich einen Antrag auf Gewährung eines Berufsschadensausgleiches. Im Antragsformular danach gefragt, wie der berufliche Werdegang ohne die Schädigung verlaufen wäre, führte sie einen Intelligenzquotienten (IQ) von 130 an. Es sei schwer zu sagen, welchen Weg sie ohne die Schädigung eingeschlagen hätte, da diese bereits vor Grundschulbeginn erfolgt sei. Sie hätte gerne Jura oder Sozialpädagogik studiert. Allerdings habe sie bereits bei den Ausbildungen große Probleme mit der Klassengröße und Mitschülern sowie wegen Konzentrationsschwierigkeiten und körperlichen Schmerzen in Form von Migräne, Übelkeit und Verspannungen gehabt.

Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg lehnte mit Bescheid vom 27. April 2011 die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wegen nicht erfüllter Wartezeit ab.
Mit Bescheid vom 8. März 2012, welcher durch das Schreiben vom 17. April 2012 berichtigt wurde, stellte der Beklagte, unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit, den GdS mit 70 ab 1. Februar 2011 fest. Mit weiterem Bescheid vom 8. März 2012 stellte der Beklagte zum einen ein Recht der Klägerin auf Ausgleichsrente im Juni 2011 in Höhe von 479 € und ab dem Folgemonat in Höhe von monatlich 484 € fest; zum anderen gewährte er ihr damit einen Berufsschadensausgleich für Juni 2011 in Höhe von 779 € und ab dem Folgemonat in Höhe von monatlich 805 €. Für die Berechnung des Berufsschadensausgleiches legte der Beklagte das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe A 7, DA 9 mit Stellenzulage, zugrunde; er orientierte sich am Abschluss einer Mittelschulausbildung („Mittlere Reife“) und daher aus seiner Sicht am Durchschnittseinkommen von Beamtinnen und Beamten im Mittleren Dienst.

Mit ihrem Widerspruch erhob die Klägerin Einwände gegen den festgestellten Beginn der Gewährung des Berufsschadensausgleiches und der Ausgleichsrente sowie die Berechnung des Berufsschadensausgleiches unter Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens, welches ohne Schädigungsfolgen an einer vermuteten Mittelschulausbildung anknüpfe. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2012 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 16. Juli 2012 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG – S 4 VG 1922/12), welches mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 3. September 2014 den Beklagten verurteilte, der Klägerin ab dem 1. Juni 2011 den Berufsschadensausgleich „mit dem Ansatz eines Durchschnittseinkommens unter Eingruppierung bei vermutlichem Erzielen der Reifeprüfung“ zu gewähren, und wies die Klage im Übrigen ab.

Gegen das Urteil legte die Klägerin am 28. Oktober 2014 Berufung beim Senat ein (L 6 VG 4549/14), der Beklagte im Nachgang zu der nichtöffentlichen Sitzung vom 17. Juli 2015 am 22. Juli 2015 Anschlussberufung. Mit Urteil vom 19. Oktober 2015 hob der Senat das Urteil des SG vom 3. September 2014 teilweise auf und wies die Klage umfassend ab. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die grundlegend reformierten Vorschriften über den Berufsschadensausgleich nur für Fälle gelten würden, bei denen der Berufsschadensausgleich erstmals nach dem 30. Juni 2011 beantragt worden sei, was bei der Klägerin nicht der Fall sei. Die Berechnung sei richtig anhand der Besoldungsgruppe A7 als Vergleichseinkommen erfolgt. Der Beklagte habe die zutreffende – nachträgliche – Prognoseentscheidung getroffen, dass die Klägerin ohne die mit Bescheid vom 15.
 Mai 2003 anerkannten Schädigungsfolgen nicht vermutlich den Abschluss einer höheren oder gleichwertigen Schulausbildung (Reifeprüfung) erreicht habe. Die im Sommer 2006 an der Beruflichen Schule B1 in der hauswirtschaftlichen, landwirtschaftlichen und sozialpädagogischen Fachrichtung tatsächlich erreichte Fachhochschulreife für das Studium an Fachhochschulen in Baden-Württemberg stelle keinen solchen Bildungsgrad dar. Denn im Unterschied dazu beschränke dieses so genannte „Fachabitur“ mit dem Zeugnis der fachgebundenen Hochschulreife den Hochschulzugang auf bestimmte, in der Regel eben fachgebundene Hochschulstudiengänge.

Die zum Bundessozialgericht (BSG) erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (B 9 V 69/15 B) wurde als unzulässig verworfen (Beschluss vom 25. Februar 2016).

Am 26. März 2020 beantragte die Klägerin aufgrund des inzwischen abgeschlossenen Studiums die Eingruppierung des Berufsschadensausgleichs in das Vergleichseinkommen eines Beschäftigten mit Hochschulabschluss. Wie vor dem LSG festgestellt, sei der tatsächliche Bildungsstand maßgebend. Dieser sei aufgrund des inzwischen abgeschlossenen Fernstudiums, auch wenn ihr eine realistische Arbeitstätigkeit weiterhin unmöglich sei, nun der eines Beschäftigten mit Hochschulabschluss. Da das Studium weiterhin erforderlich gewesen sei, um ihre tatsächlichen geistigen Fähigkeiten nachzuweisen, beantrage sie die Übernahme der Studienkosten. Zudem beantrage sie die rückwirkende Einstufung in die Eingruppierung eines Beschäftigten mit Hochschulabschluss seit März 2016, also seit dem Studienbeginn, da bereits hier festgestanden habe, dass ihre geistigen Fähigkeiten ihr einen Hochschulabschluss ermöglichten. Zur Akte gelangte das Abschlusszeugnis der D1 Hochschule – Private Fachhochschule N1 – für die bestandene Bachelor-Prüfung im Bachelor-Studiengang „Soziale Arbeit“ vom 21. März 2020 (Gesamtnote 1,7).

Mit Bescheid vom 1. April 2021 lehnte das LRA den Antrag auf Neufeststellung des Versorgungsanspruchs ab. Es werde die Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs aufgrund des inzwischen abgeschlossenen Hochschulstudiums beantragt. Es werde geltend gemacht, dass bei der Eingruppierung zum Berufsschadensausgleich das Vergleichseinkommen eines Beschäftigten mit Hochschulabschluss auch rückwirkend ab Studienbeginn erfolgen müsse.

Die nach § 30 Abs. 5 BVG vorzunehmende Feststellung des Vergleichseinkommens richte sich bei einer Schädigung vor Beginn der Berufsausbildung gemäß § 5 BSchAV zu § 30 Abs. 5 BVG nach Veranlagung und Befähigung, den gezeigten schulischen Leistungen sowie den Lebensverhältnissen des Beschäftigten im Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung. Die Prüfung sei dahingehend vorzunehmen, ob eine wesentliche Änderung in der bisher getroffenen Prognose des wahrscheinlichen Vergleichseinkommens beim Berufsschadensausgleich durch einen im weiteren Leben erreichten Hochschulabschluss eingetreten sei und die Voraussetzungen des § 48 SGB X erfüllt seien. Da die Klägerin bereits schon einige Jahre einen Berufsschadensausgleich beziehe, könne ihre jetzt erreichte Hochschulausbildung (Bachelor) bei der Feststellung des Vergleichseinkommens zum Berufsschadensausgleich im Rahmen des § 48 SGB X keine Berücksichtigung finden. Bereits bei der erstmaligen Entscheidung über den Berufsschadensausgleich sei festgestellt worden, dass berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht zumutbar bzw. erfolgversprechend seien. Deshalb sei ab 1. Juni 2011 ein Berufsschadensausgleich bewilligt worden. Da bereits lange vor der Bachelor-Prüfung die Prognose zum Schulabschluss getroffen worden sei, könne die damalig getroffene Entscheidung nicht mehr nachträglich durch Elemente aus dem tatsächlichen beruflichen Werdegang korrigiert werden. Die ursprüngliche Eingruppierung bleibe also durch eine spätere Qualifikation unberührt. Maßgebend für die Einstufung zum Berufsschadensausgleich sei der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung. Eine Änderung im Sinne des § 48 SGB X sei durch die Ablegung der Bachelor-Prüfung nicht eingetreten. Im Übrigen komme die Übernahme der Studienkosten nicht in Betracht, da das BVG solche Leistungen nicht vorsehe.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S1 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2021 zurück. Der am 21. März 2020 erreichte Bachelor-Abschluss an der Privaten Fachhochschule N1 finde bei der Feststellung des Vergleichseinkommens zum Berufsschadensausgleich im Rahmen des § 48 SGB X keine Berücksichtigung. Die Prognoseentscheidung aus dem Jahre 2012 bleibe durch die spätere Qualifikation unberührt. Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X sei nicht eingetreten.

Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 21. Januar 2022 Klage beim SG erhoben, ebenso gegen den weiteren Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2021 (S 8 VG 129/22). Im Hinblick auf das Parallelverfahren hat die Klägerin die Aussetzung des Verfahrens beantragt, hierzu hat das SG mitgeteilt, dass eine solche nicht beabsichtigt sei.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. Mai 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei nicht eingetreten. Bei der Entscheidung, welches Vergleichseinkommen dem Berufsschadensausgleich zu Grunde zu legen sei, handele es sich um eine Prognoseentscheidung. Für diese maßgeblich seien die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung, sodass Grundlage nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erkennbare Umstände sein könnten. Dementsprechend sei der mittlerweile von der Klägerin erreichte Fachhochschulabschluss nicht geeignet, eine Änderung in den Berechnungsgrundlagen des Berufsschadensausgleichs herbeizuführen. Ebenso verhalte es sich mit der Änderung der BSchAV ab dem 1. Juli 2011, da diese Regelungen auf die Klägerin nicht anwendbar seien.
Am 29. Juni 2023 hat die Klägerin erneut Berufung beim Senat eingelegt und auf die Begründung im Klageverfahren Bezug genommen. Das Urteil des SG könne in der Begründung nicht nachvollzogen werden. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten und es habe eine andere Prognoseentscheidung getroffen werden müssen. Mit dem Erreichen des Fachhochschulabschlusses sei eindeutig eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten.

Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Mai 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 1. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 ihr Berufsschadensausgleich in Höhe der Besoldungsstufe A 11 für Beschäftigte mit Fachhochschulabschluss gemäß § 5 i. V. m. § 3 Abs. 1 BSchAV zu gewähren,
hilfsweise, ihr ab dem Zeitpunkt der Erlangung der Fachhochschulreife einen Berufsschadensausgleich in Höhe der Besoldungsstufe A 9 gemäß § 5 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 BSchAV sowie ab dem Zeitpunkt der Erlangung des Fachhochschulabschlusses einen Berufsschadensausgleich in Höhe der Besoldungsstufe A 11 zu gewähren,
weiter hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, ab dem Zeitpunkt der Erlangung der Fachhochschulreife einen Berufsschadensausgleich in Höhe der Besoldungsstufe A9 zu gewähren,
sowie den nachzuzahlenden Betrag gemäß § 44 SGB I zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss hingewiesen. Die Klägerin hat sich hiermit einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte, auch des Vorverfahrens, Bezug genommen.



II.

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 24. Mai 2023, mit dem die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs unter Aufhebung des Bescheides vom 1. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 21. Dezember 2021 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 1. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats kann sie die Neuberechnung des Berufsschadensausgleichs und die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs nicht beanspruchen, da der zwischenzeitlich erlangte Fachschulabschluss aus Rechtsgründen keine wesentliche Änderung begründet. Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen. Der Senat nimmt auf die Entscheidung des SG nach eigener Prüfung Bezug und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid vom 8. März 2012 aus Rechtsgründen nicht eintreten konnte.

Maßgebend für die Berechnung des Berufsschadensausgleichs der Klägerin sind, wie der Senat im Beschluss vom heutigen Tage im Parallelverfahren (L 6 VG 1909/23) nochmals ausführlich dargelegt hat, § 1 OEG i. V. m. § 30 Abs. 3 BVG in der bis 30. Juni 2011 geltenden Fassung (a. F.). Entgegen der Auffassung der Klägerin gelten die Neuregelungen zum 1. Juli 2011 insgesamt nur für Fälle, in denen erstmalig nach dem 30. Juni 2011 ein Berufsschadensausgleich beantragt worden ist (vgl. Dau in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 30 Rz. 49), was bei ihr aufgrund des am 19. Oktober 2001 gestellten Antrags nicht der Fall ist. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Berufsschadensausgleichverordnung (BSchAV), die zum 1. Juli 2011 ebenfalls eine grundlegende Neuordnung erfahren hat. Es führt deshalb aus Rechtsgründen nicht weiter, dass die Klägerin zur Stützung ihres Begehrens auf eine höhere Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs auf verschiedene Konstellationen nach § 5 Abs. 1 BSchAV i. d. F. ab 1. Juli 2011 i. V. m. § 3 BSchAV i. d. F. ab 1. Juli 2011 Bezug nimmt.

Den als Haupt- und Hilfsanträgen formulierten Anträgen kommt deshalb kein Erfolg zu, weil eine Neuberechnung nach dem ab 1. Juli 2011 geltenden Recht insgesamt ausscheidet. Es kann deshalb dahinstehen, dass ein Antrag nach § 48 SGB X ohnehin nur insoweit erfolgreich sein könnte, als eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid vom 8. März 2012 festzustellen ist, was im Hinblick auf die Fachhochschulreife als solcher schon deshalb ausscheidet, da die Klägerin diese bereits 2006 – und damit zeitlich vor dem Vergleichsbescheid – erreicht hat.

Unabhängig davon bestimmt die Übergangsvorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 1 BVG (vgl. zu deren Verfassungsmäßigkeit ausführlich: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. August 2018 – L 10 VE 4/16 –, juris, Rz. 33 ff.; Hansen, jurisPR-SozR 24/2018 Anm. 4), dass wenn der Berufsschadensausgleich vor dem 1. Juli 2011 beantragt worden ist, zum 30. Juni 2011 der Betrag des jeweiligen Vergleichseinkommens festgestellt und dann jährlich mit dem in § 56 Abs. 1 Satz 1 bestimmten Vomhundertsatz angepasst wird. Die Gesetzesbegründung weist zu der Übergangsvorschrift darauf hin, dass mit der Regelung das maßgebliche Vergleichseinkommen betragsmäßig festgestellt und dann zukünftig jährlich mit dem gleichen Vomhundertsatz wie die Rentenleistungen nach dem BVG – und damit mit demselben Anpassungssatz wie die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung – angepasst werden (vgl. BT-Drs. 17/5311, S. 23). Dass die Anpassungen nach der Übergangsvorschrift somit nicht mehr an der Entwicklung der Vergleichseinkommen teilnehmen, sondern nach dem im BVG überwiegend geltenden Mechanismus angepasst werden (vgl. Dau in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 87 Rz. 1), unterstreicht gleichzeitig, dass es für die Feststellung des Vergleichseinkommens auf den Stichtag (30. Juni 2011) ankommt und nachträgliche Änderungen nicht zu berücksichtigen sind. Darauf, dass die Klägerin nachträglich den Fachhochschulabschluss erreicht hat, kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich an und eine wesentliche Änderung wird hierdurch nicht begründet.

Abgesehen davon ändert das tatsächliche Erreichen des Fachhochschulabschlusses nichts an der vom Beklagten getroffenen Prognose, wie der Senat in der vorangegangenen Entscheidung bereits zum Erreichen der Fachhochschulreife ausgeführt hat und woran er festhält (vgl. auch die Parallelentscheidung L 6 VG 1909/23). In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nach den bis 30. Juni 2011 geltenden Gesetzesfassungen das Durchschnittseinkommen ausgehend von – nur – drei verschiedenen Schul- und Hochschulausbildungsabschlüssen zu bestimmen gewesen ist, was keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, da es sich um den Bereich der gewährenden Staatstätigkeit handelt und dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit zum Erlass typisierender und generalisierender Regelungen berechtigt ist (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 14. Mai 1969 – 1 BvR 615/67 –, juris, Rz. 39).

Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen kommt daher nur insoweit in Betracht, als die Anpassungen entsprechend den Erhöhungen in der gesetzlichen Rentenversicherung jeweils zum 1. Juli eines Jahres vorzunehmen sind, was der Beklagte auch getan hat.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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