Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2022 geändert.
Der Bescheid vom 23.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020 sowie die Bescheide vom 12.10.2020 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum April 2020 bis Juni 2020 Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den Mitarbeiter E. I. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte hat in beiden Instanzen die Kosten der Klägerin zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Kurzarbeitergeld für den Zeugen, ihren in Deutschland tätigen Mitarbeiter E. I..
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts (Società per azioni) mit Sitz in K. (Lombardei). Sie stellt Maschinen zur Werkzeugvermessung her und beliefert damit ua die Automobilindustrie. Der Zeuge wohnt in U., er ist seit dem Jahr 2007 bei der Klägerin als Servicetechniker für die Einrichtung und Wartung der elektrischen Maschinen angestellt. Daneben ist er auch in der Kundenberatung und im Verkauf tätig. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Betreuung der deutschen Kunden, er ist der einzige Mitarbeiter in Deutschland. Der Zeuge erledigte 2019 seine Tätigkeiten wie z.B. Kundenberatung per Telefon oder online an ca. der Hälfte der Arbeitstage von seiner Privatwohnung aus. Andere Arbeiten musste der Zeuge vor Ort bei den Kunden durchführen, wie z.B. die Einrichtung und Wartung der Maschinen. Von seinem Arbeitgeber hat er einen Laptop, einen Werkzeugkoffer mit Prüfdornen, Muster, Arbeitskleidung und einen Firmenwagen erhalten. Die Lohnabrechnung erfolgt über die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten. Die Leitung, Koordinierung sowie Einteilung der Einsätze erfolgte von der Zentrale in Italien aus, dort befand sich auch die Personalleitung. Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie fielen die Vor-Ort-Termine des Zeugen ab April 2020 weitgehend weg. Darüber hinaus fanden ab diesem Zeitpunkt keine Neuinvestitionen in den Unternehmen mehr statt, weshalb sich die Arbeitszeit des Zeugen weiter verringerte.
Die Klägerin schloss am 14.04.2020 eine Vereinbarung mit dem Zeugen über die Einführung von Kurzarbeit ab und zeigte am gleichen Tag den Arbeitsausfall von April 2020 bis Juni 2020 bei der Agentur für Arbeit S. an. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Zeugen sollte von 40 auf 0 Stunden reduziert werden. Tatsächlich arbeitete der Zeuge jedoch in reduziertem Umfang weiter, von dem Brutto-Soll-Entgelt iHv 3.000 € erhielt er im April 2020 68,18 €, im Mai 2020 687,50 € und im Juni 2020 1.082,39 €.
Mit Bescheid vom 23.04.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit: „Ihrer Anzeige kann nicht entsprochen werden.“ Die Gewährung von Kurzarbeitergeld sei nur möglich, wenn der Betrieb seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland habe. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall.
Die Klägerin beantragte am 30.04.2020 das Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen iHv 2.169,76 € für April 2020.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 20.05.2020 Widerspruch ein. Sie zahle für ihren Mitarbeiter Sozialversicherungsbeiträge, weshalb auch Kurzarbeitergeld zu gewähren sei. Es bestehe EU-weit ein Anspruch auf Gleichbehandlung.
Die Klägerin beantragte am 02.06.2020 das Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen iHv 1.651,15 € für Mai 2020 und am 03.07.2020 iHv 1.317,97 € für Juni 2020.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2020 zurück. Die Klägerin unterhalte keinen Betrieb in Deutschland. Für einen in Deutschland lediglich im Home-Office tätigen Mitarbeiter bestehe kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, auch wenn Sozialversicherungsbeiträge gezahlt würden.
Die Beklagte lehnte die Anträge auf Kurzarbeitergeld für die Monate Mai 2020 und Juni 2020 mit Bescheiden jeweils vom 12.10.2020 ab. Hiergegen legte die Klägerin am 28.10.2020 jeweils Widerspruch ein, die Widerspruchsverfahren ruhen.
Die Klägerin hat am 19.10.2020 Klage erhoben. Sie zahle für den Zeugen in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge und müsse daher auch einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für diesen haben. Darüber hinaus sei ein Ausschluss der Klägerin vom Kurzarbeitergeld nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 23.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kurzarbeitergeld gemäß ihrem Antrag vom 14.04.2020 ab April 2020 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das Sozialgericht hat die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 13.05.2022 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, da die betrieblichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Betrieb müsse in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin nicht, denn sie verfüge in Deutschland nicht über betriebliche Strukturen im Sinne einer technisch-organisatorischen Einheit. Die Ausstattung des Zeugen mit Laptop und Werkzeugkoffer sowie die Nutzung seiner Privatwohnung seien dafür nicht ausreichend. Der Ausschluss der Klägerin vom Kurzarbeitergeld verstoße nicht gegen das Diskriminierungsverbot des EU-Rechts. Art. 3 GG sei nicht verletzt. In der Arbeitslosenversicherung sei es nicht geboten, eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistung herzustellen.
Gegen das ihr am 30.06.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.07.2022 Berufung eingelegt. Sie habe einen Betrieb in Deutschland, da für den Zeugen eine eigene Lohnbuchhaltung existiere und ihm abgrenzbare Vertriebs- und Außendienststrukturen zugewiesen worden seien. Wenn man sie vom Anspruch auf Kurzarbeitergeld ausschließe, verletze dies das Diskriminierungsverbot. Sie zahle in voller Höhe Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und müsse daher auch die entsprechenden Leistungen beanspruchen können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 13.05.2022 zu ändern, den Bescheid vom 23.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020, sowie die Bescheide vom 12.10.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum April 2020 bis Juni 2020 Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den Mitarbeiter E. I. nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Der Senat hat den Mitarbeiter E. I. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 23.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020, sowie die Bescheide vom 12.10.2020 sind rechtswidrig. Die Klägerin hat für die Monate April 2020 bis Juni 2020 Anspruch auf Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den Zeugen.
Streitgegenstand des Verfahrens sind die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 23.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2020 sowie die Ablehnungsbescheide vom 12.10.2020 und ein Anspruch der Klägerin auf Kurzarbeitergeld sowie Sozialversicherungsbeiträge. Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren einen Anspruch von April 2020 bis Juni 2020 geltend, da sich die Anzeige vom 14.04.2020 und der Bescheid vom 23.04.2020 nur auf diesen Zeitraum beziehen. Die Bescheide vom 12.10.2020, die Mai 2020 und Juni 2020 betreffen, sind gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Die Klägerin erhebt zutreffend eine Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), gerichtet auf Aufhebung der Ablehnungsbescheide und Zahlung von Kurzarbeitergeld. Sie hat bereits während des Verwaltungsverfahrens für alle streitgegenständlichen Monate gem. § 323 Abs. 2 Satz 1 SGB III Leistungsanträge bei der Beklagten gestellt. Der negative Anerkennungsbescheid beinhaltet zugleich eine Ablehnung der begehrten Leistung, gegen die sich der Betroffene mit der Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Zahlung von Kurzarbeitergeld, wehren muss (BSG Urteile vom 21.07.2009 – B 7 AL 3/08 R und vom 24.06.1999 – B 11 AL 1/99 R; Urteil des Senats vom 19.10.2023 – L 9 AL 43/22). Allein diese Klage ist zulässig, denn die Rechtsordnung gibt dem Rechtsuchenden grundsätzlich nur das Recht, den begehrten Rechtsschutz auf dem kürzesten Weg zu suchen (BSG Urteil vom 15.02.1990 – 7 RAr 22/89). Offenbleiben kann, ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn der Erklärung und dem Verhalten des Arbeitgebers eindeutig zu entnehmen ist, dass er allein den negativen Anerkennungsbescheid anfechten will (dazu BSG Urteil vom 24.06.1999 – B 11 AL 1/99 R), denn die Klägerin hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren einen Zahlungsanspruch geltend gemacht.
Die Klägerin ist klagebefugt. Die jeweiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind zwar Inhaber des Anspruchs, jedoch nicht aktivlegitimiert, den Anspruch gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Dies erfolgt durch den Arbeitgeber, der insoweit Prozessstandschafter der Arbeitnehmer ist und deren Rechte im eigenen Namen geltend machen kann. Der Zeuge war nicht notwendig beizuladen (dazu BSG Urteil vom 25.05.2005 – B 11a/11 AL 15/04 R).
Die Klage ist begründet. Die Ablehnungsbescheide sind rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von Kurzarbeitergeld sowie Beiträgen zur Sozialversicherung für ihren Mitarbeiter von April 2020 bis Juni 2020.
Der Anspruch beruht auf § 95 Satz 1 SGB III. Danach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.
Im streitigen Zeitraum lag ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall iSv § 95 Satz 1 Nr. 1 SGB III vor. Nach § 96 Abs. 1 SGB III ist ein Arbeitsausfall erheblich, wenn er 1. auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, 2. vorübergehend ist, 3. nicht vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind durch die auf § 109 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB III gestützte Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung - KugV) vom 25.03.2020 (BGBl. 2020 I 595 ff) insoweit modifiziert worden, als gem. § 1 Nr. 1 KugV abweichend von § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III der Anteil der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, die im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sind, auf mindestens zehn Prozent festgesetzt wird.
Der Zeuge war in allen streitigen Monaten von einem Entgeltausfall von mehr als zehn Prozent seines monatlichen Bruttoentgelts betroffen. Sein Einkommen lag jeweils unter der Hälfte des vereinbarten Bruttoentgelts, zum Teil deutlich darunter. Da der Zeuge der einzige Mitarbeiter des Betriebs in Deutschland (dazu sogleich) war, erfüllt der Betrieb auch die Quote der vom Entgeltausfall betroffenen Mitarbeiter.
Der Entgeltausfall beruhte auf einem unabwendbaren Ereignis iSv § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III. Dabei handelt es sich um von außen auf den Betrieb einwirkende, als solche vom Betrieb nicht abzuwendende Umstände (BSG Urteil vom 21.06.2018 – B 11 AL 4/17 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl., § 96 Rn. 22). Nach § 96 Abs. 3 Satz 2 SGB III liegt ein unabwendbares Ereignis auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht ist, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind.
Der Zeuge hat ausgeführt, dass während der Corona-Pandemie, also ab April 2020, seine beruflichen Außenkontakte stark eingeschränkt waren. Während er normalerweise regelmäßig „nach draußen gefahren“ sei, wenn etwas anstand, habe das nach Ausbruch der Corona-Pandemie kaum noch stattgefunden. Auch von ihm zu betreuende Neuinvestitionen seien unterblieben. Insgesamt habe Corona dazu geführt, dass seine Arbeitszeit deutlich geringer war und deutlich weniger zu tun gewesen ist, als vor der Pandemie. Der Senat hat keine Bedenken, diese glaubhaften Bekundungen, an denen zu zweifeln kein Anlass besteht, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Bei den Auswirkungen der Corona-Pandemie handelt es sich um ein unabwendbares Ereignis. Der Ausfall der Vor-Ort-Termine des Zeugen beruhte jedenfalls mittelbar auf behördlichen Maßnahmen. Die Bundesregierung und die Landesregierungen hatten, wie allgemeinkundig ist, dazu aufgerufen, Kontakte möglichst zu vermeiden. Dies führte zu entsprechenden Einschränkungen im Wirtschaftsleben, selbst wenn es diesbezüglich keine direkten Verbote gab. Der Ausfall der Neuinvestitionen wurde ebenfalls durch die Corona-Pandemie verursacht. Der Arbeitsausfall war allein durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie bedingt und damit vorübergehend sowie für die Klägerin unvermeidbar.
Die Förderung durch das Kurzarbeitergeld ist auf das Inland beschränkt (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R; LSG Bayern Urteil vom 09.08.2023 – L 10 AL 167/21; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 97 Rn. 9). Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn der Arbeitsausfall ist bei einem im Inland beschäftigten Mitarbeiter eingetreten, der der Sozialversicherungspflicht in Deutschland unterlag.
Nach § 97 SGB III sind die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung. Die Klägerin beschäftigt in Deutschland mit dem Zeugen einen Arbeitnehmer.
Es handelt sich auch um einen inländischen Betrieb. Diese Voraussetzung ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Aus der zum Saisonkurzarbeitergeld ergangenen Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R) folgt lediglich, dass es sich für einen Anspruch auf Saisonkurzarbeitergeld um eine Beschäftigung im Inland handeln muss und der Arbeitsausfall nicht im Ausland eingetreten sein darf. Das BSG schließt in diesem Urteil einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer eines inländischen Betriebes, die auf Auslandsbaustellen eingesetzt sind, aus. Darüberhinausgehend wird in der Rechtsprechung gefordert, dass der Betrieb, für den Kurzarbeitergeld geltend gemacht wird, seinen Sitz im Inland haben muss (Bayerisches LSG Urteil vom 09.08.2023 – L 10 AL 167/21; Bayerisches LSG Beschluss vom 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn 15; Müller-Grune in jurisPK SGB III § 97 Rn. 16; zweifelnd Bieback, DB 2021, 732 ff).
Die Notwendigkeit eines inländischen Betriebes folgt aus dem Zweck des Kurzarbeitergeldes, Arbeitsplätze in Deutschland zu stabilisieren (Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 14). Welche Anforderungen an einen inländischen Betrieb zu stellen sind, ist allerdings allein vor diesem Hintergrund zu beantworten. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld soll bei konjunkturell bedingten Arbeitsausfällen der Verhinderung von Arbeitslosigkeit und der Stabilisierung bestehender Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland dienen (BSG Urteil vom 14.03.2012 – B 14 AS 18/11 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 95 Rn. 6). Den Arbeitnehmern sollen die Arbeitsplätze und den Betrieben die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten bleiben (Müller-Grune in jurisPK-SGB III, § 95 SGB III Rn. 40). Das Kurzarbeitergeld soll nur Arbeitsverhältnisse stabilisieren, die dem deutschen Arbeitsmarkt zuzurechnen sind (Bieback, DB 2021, 732).
Im Hinblick auf den Zweck des Kurzarbeitergeldes ist ein inländischer Betreib bereits zu bejahen, wenn die Betriebstätigkeit der Produktion von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland dient, deshalb spezifischen Risiken für die Produktion in Deutschland ausgesetzt ist und auf Dauer angelegt ist (Urteil des Senates vom 19.10.2023 – L 9 AL 43/22). So werden in der Regel einzelne Mitarbeiter im Home-Office ohne Bezug zu dem Produktionsstandort Deutschland – anders als etwa Vertriebs- oder Servicemitarbeiter für Kunden in Deutschland – die Voraussetzungen eines Betriebs im Inland iSd § 97 SGB III nicht erfüllen, da deren ortsunabhängige Tätigkeit keine Produktionen von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland darstellt und nicht zwingend inländischen Risiken iSd § 96 SGB III ausgesetzt ist. Nicht zu fordern sind hingegen von einem Hauptbetrieb abgrenzbare und mit eigenen Betriebsmitteln ausgestattete gefestigte Strukturen (so aber Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 15). Denn es ist anerkannt, dass auch reine Dienstleistungsunternehmen Betriebe bilden können (Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 5 mwN), die häufig nicht über wesentliche Betriebsmittel verfügen werden, sondern deren Produktion hauptsächlich aus dem Einsatz menschlicher Arbeitskraft besteht (zB Beratungs-, Vertriebs- oder Akquisetätigkeiten). Mit dem Zweck des Kurzarbeitergeldes wäre es nicht zu vereinbaren, Arbeitnehmer, die ausschließlich Dienstleistungen erbringen, vom Kurzarbeitergeld auszuschließen, wenn der Sitz, die Leitung und wesentliche technische Einrichtungen des Unternehmens sich im Ausland befinden. Mit der Verortung der Beschäftigung in Deutschland, der Geltung des deutschen Sozialversicherungsrechts für die Beschäftigten und der Erbringung und Abwicklung der Dienstleistung in Deutschland mit der Folge, dass diese hier den spezifischen Risiken des § 96 SGB III ausgesetzt ist, ist der Betrieb ausreichend von Betrieben im Ausland abgegrenzt (so auch Bieback, DB 2021, 732 f).
Die Produktion in Deutschland muss dauerhaft sein. Diese Notwendigkeit folgt daraus, dass nur vorübergehende Einrichtungen, wie Baustellen und Montageplätze (dazu LSG Bayern Beschluss vom 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B ER, Rn. 190; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 97 Rn. 7; Müller-Grune in jurisPK-SGB III, § 97 SGB III Rn. 15) von vornherein nicht geeignet sind, entsprechend dem Schutzzweck des Kurzarbeitergeldes stabile inländische Beschäftigungen zu gewährleisten.
Die Tätigkeit des Zeugen diente der Produktion von Dienstleistungen (Installation und Wartung der Maschinen, Kundenberatung) im Inland, die den hiesigen Risiken iSd § 96 SGB III ausgesetzt sind. Er betreut im Wesentlichen die deutschen Kunden und ist dementsprechend ganz überwiegend im Inland tätig. Es handelt sich um eine dauerhafte Produktion, denn der Zeuge übt diese Tätigkeit bereits seit dem Jahr 2007 für die Klägerin aus.
In Abweichung zur Auffassung der Beklagten ist nicht erforderlich, dass sich neben der dauerhaften Produktion von Waren und Dienstleistungen auch Leitungsstrukturen in personeller Hinsicht im Inland befinden müssen (Urteil des Senates vom 19.10.2023 – L 9 AL 43/22). Dem steht nicht entgegen, dass das Kurzarbeitergeld auch Subventionscharakter hat (BSG Urteil vom 11.12.2014 – B 11 AL 3/14 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 95 Rn. 7). Ausländische Unternehmen profitieren von der Subvention nur, soweit sie für inländische Beschäftigungen mit einem spezifischen Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt beansprucht wird. Es wäre vor dem Hintergrund des Zwecks des Kurzarbeitergeldes und verfassungsrechtlich problematisch, den Anspruch von Arbeitnehmern in Deutschland bei identischer Risikosituation davon abhängig zu machen, ob sie für ein Unternehmen mit Leitungsstrukturen auch im Inland oder solchen nur im Ausland tätig sind und damit letztendlich den Anspruch auf Kurzarbeitergeld von Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers abhängig zu machen, die im Übrigen im Hinblick auf einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld zielgerichtet gestaltet werden könnten.
Die Notwendigkeit einer Leitung im Inland ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die Prüfungen des erheblichen Arbeitsausfalls nach § 96 SGB III und der persönlichen Voraussetzungen nach § 98 SGB III nicht im Inland durchführen könne, wenn die Leitung ihren Sitz im Ausland habe (so aber für Fluggesellschaften Greiser/Kador, ZESAR 2021, 383). Gem. § 28f Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p SGB IV) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Wenn ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland hat, hat er gem. § 28f Abs. 1b SGB IV zur Erfüllung dieser Pflichten einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Die Klägerin kam dem nach, denn sie hatte die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten mit der Lohnabrechnung für den in Deutschland tätigen Zeugen beauftragt und dort befinden sich sämtliche Entgeltunterlagen.
Für Unternehmen mit – wie hier – Sitz in der europäischen Union käme schließlich eine Gleichstellung von Leitungsfunktionen im Ausland mit solchen im Inland aufgrund der Regelung des Art. 5 lit. b VO (EG) 883/2004 in Betracht. Der sachliche Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist für das Kurzarbeitergeld eröffnet, denn bei diesem handelt es sich um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit iSd Art 3 Abs. 1 lit. h VO (EG) 883/2004 (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R; Brall in jurisPK SGB I Art 3 VO 883/2004 Rn. 56). Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse nach dieser Vorschrift, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Niederlassung eines ausländischen Unternehmens im Inland einen Betrieb iSv 97 SGB III darstellt, wäre der Sitz des Managements im Ausland dem Sitz im Inland daher gleichzustellen (Schuler in Fuchs/Janda, EuSozR, 8. Aufl. 2022, VO [EG] Nr. 883/2004 Art. 5 Rn. 6).
Die Klägerin hat den Arbeitsausfall gem. § 95 Satz 1 Nr. 4 SGB III bei der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt. Der Arbeitsausfall ist gem. § 99 Abs. 1 SGB III bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat, schriftlich oder elektronisch anzuzeigen. In Ermangelung von Geschäftsräumen der Klägerin im Inland konnte die Anzeige nur bei der Agentur am Wohnsitz des Zeugen erfolgen, der Agentur für Arbeit S.. Das Fehlen einer Stellungnahme eines Betriebsrats führt nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige, da es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (BSG Urteil vom 30.05.1978 – 7/12 RAr 100/76; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 99 Rn. 10).
Die persönlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kurzarbeitergeld nach § 98 SGB IIII sind erfüllt. Der Zeuge hat die versicherungspflichtige Beschäftigung nach dem Beginn des Arbeitsausfalls fortgesetzt (§ 98 Abs. 1 Nr. 1a SGB III), das Arbeitsverhältnis besteht fort (§ 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) und der Zeuge ist nicht vom Kurzarbeitergeld ausgeschlossen (§ 98 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 und 4 SGB III). Die Höhe des Anspruchs (§ 105 SGB III) ist nicht Gegenstand des Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen beruht auf § 2 KugV in der jeweils gF vom 25.03.2020 (BGBl I 595) und 21.10.2020 (BGBl I 2259). Nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung der Norm wurden dem Arbeitgeber für Arbeitsausfälle bis zum 31.12.2020 die von ihm während des Bezugs von Kurzarbeitergeld nach § 95 SGB III oder nach § 101 SGB III allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung auf Antrag von der Bundesagentur für Arbeit in pauschalierter Form erstattet. Die Klägerin kann daher im streitigen Zeitraum die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe verlangen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197a SGG findet keine Anwendung (BSG Urteil vom 21.07.2009 - B 7 AL 3/08 R).
Die Revision war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.