Die Unmöglichkeit der Betreuung durch einen Elternteil des Kindes ist nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG objektiv festzustellen. Die Inanspruchnahme von Elternzeit hat für die Frage der Unmöglichkeit der Betreuung keine Tatbestands- oder Feststellungswirkung.
Der Beklagte wird unter Abänderung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 24.10.2022 in der Fassung des Bescheides vom 01.11.2022 verurteilt, der Klägerin für das Kind E. Elterngeld in Form von Partnermonaten und Partnerschaftsbonus entsprechend des Antrags vom 29.01.2021 in gesetzlichen Umfang zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Alleinbezug von Elterngeld in Form von Partnermonaten und Partnerschaftsbonus aufgrund § 4 Abs. 6 nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der Fassung vom 23.05.2017 (a. F.).
Die 1977 geborene und verheiratete Klägerin ist Mutter des am 30.11.2020 geborenen Kindes E. Der 1975 geborene Kindesvater und Ehemann der Klägerin, Herr G. H., leidet seit der Geburt an einem angeborenen Katarakt, einer Dysphorie der Netzhaut und einer Missbildung des Sehnervs und des damit einhergehenden Verlustes des Sehvermögens. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Gießen stellte bei ihm zuletzt mit Bescheid vom 05.10.2020 einen Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen Bl, H, B, G und RF fest. Vor der Geburt ihres Sohnes war die Klägerin als angestellte Juristin berufstätig und erzielte daneben Einkünfte aus Nebentätigkeiten als Autorin und Hochschuldozentin. Für den Zeitraum vom 26.01.2021 bis 29.11.2022 nahm die Klägerin Elternzeit bei ihrem Arbeitgeber in Anspruch. Die Klägerin bezog vom 18.10.2020 bis zum 25.01.2021 Mutterschaftsgeld in Höhe eines kalendertäglichen Zahlbetrags von 13,00 Euro.
Die Klägerin beantragte unter dem 29.01.2021 Elterngeld für ihren Sohn E. Hierbei beanspruchte die Klägerin für den ersten, zweiten, zehnten und elften Lebensmonat Elterngeld in Form von Basiselterngeld und Elterngeld Plus für die dritten bis neunten sowie zwölften bis 20. Lebensmonat. Auch für den Zeitraum nach dem 20. Lebensmonat beantragte sie Elterngeld Plus als Alleinbetreuende, da ihrem Ehemann aufgrund seiner Behinderung eine Betreuung ihres gemeinsamen Sohnes E. nicht möglich sei. In der Folge stellte der Ehemann der Klägerin keinen eigenen Antrag auf Elterngeld.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin vorläufig Elterngeld unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 8 Abs. 3 BEEG mit Bescheid vom 19.02.2021. Hierbei wurde Basiselterngeld für den ersten Lebensmonat vom 30.11.2020 bis zum 29.12.2020 in Höhe von 0,00 Euro, für den zweiten Lebensmonat vom 30.12.2020 bis zum 29.01.2021 in Höhe von 230,32 Euro und für den zehnten bis elften Lebensmonat vom 30.08.2021 bis 29.10.2021 in Höhe von jeweils 1.785,00 Euro gewährt. Für den dritten bis neunten Lebensmonat vom 03.01.2021 bis zum 29.08.2021 sowie für den zwölften bis 24. Lebensmonat vom 30.10.2021 bis zum 29.11.2022 bewilligte der Beklagte Elterngeld Plus in Höhe von jeweils 900,00 Euro. Eine Entscheidung über das beantragte Elterngeld Plus aufgrund des Partnerschaftsbonus stellte die Beklagte vorerst zurück, da eine abschließende Prüfung zum jetzigen Zeitpunkt mangels vollständiger Nachweise über Arbeitszeit und Verdienst der Klägerin noch nicht möglich wäre.
In der Zwischenzeit nahm der als Richter beschäftigte Ehemann der Klägerin bei seinem Arbeitgeber, dem Land Hessen, vom 06.09.2021 bis zum 23.12.2021 Elternzeit in Anspruch. Ab dem 01.12.2021 nahm die Klägerin eine befristete Teilzeittätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber mit einer Arbeitszeit von zwölf Wochenstunden auf; ab dem 01.12.2022 erhöhte sie die Arbeitszeit auf 25 Wochenstunden. Daraufhin hob der Beklagte mit (Änderungs-)Bescheid vom 28.01.2022 den vorherigen Elterngeldbescheid vom 19.02.2021 auf und stellte das Elterngeld unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 8 Abs. 3 BEEG vorläufig neu fest. Eine betragsmäßige Änderung der bisherigen Elterngeldfestsetzung ergab sich hierdurch nicht.
Mit E-Mail vom 28.07.2022 erkundigte sich die Klägerin bei dem Beklagten wegen den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Partnerschaftsbonus und teilte dabei mit, dass ihr Ehemann Elternzeit genommen habe und ansonsten durchgehend in Vollzeit berufstätig gewesen sei. Daraufhin teilte der Beklagte mit Schreiben vom 28.07.2022 mit, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit durch den berufstätigen Ehemann im Widerspruch zur Erklärung vom 29.01.2021 stünde, dass dieser aufgrund seiner Schwerbehinderung ihren gemeinsamen Sohn nicht betreuen könne. Denn Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Elternzeit nach § 15 BEEG sei gerade die persönliche Betreuung und Erziehung des Kindes. Damit lägen allerdings nicht mehr die Voraussetzungen für einen Alleinbezug des Elterngeldes durch die Klägerin vor. Mit weiterer E-Mail vom 06.08.2022 teilte die Klägerin mit, dass ihr Ehemann die Betreuung des gemeinsamen Sohnes nur unter bestimmten Vorkehrungen und kurze Zeiten übernehme könne. Eine Beaufsichtigung des Sohnes sei ihrem Ehemann nur in „kindersicheren“ Räumen möglich. Für Wickeln, Körperpflege, Ankleiden, Nahrungszubereitung, Füttern etc. sei ihr Ehemann aufgrund seiner Blindheit auf die Hilfe anderer angewiesen. Die Hauptlast der Betreuung liege daher bei ihr, wobei sie aufgrund ihrer Berufstätigkeit auch noch zusätzlich Fremdbetreuung in Anspruch nehmen müsse.
Im Anschluss hob der Beklagte mit Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 19.08.2022 den (Änderungs-)Bescheid vom 28.01.2022 nach § 48 SGB X (teilweise) auf und versagte den beantragten und bisher bewilligten Bezug von Elterngeld Plus für den 21. bis 24. Lebensmonat vom 30.07.2022 bis zum 29.11.2022. Im Übrigen blieb hierbei die vorhergehende vorläufige Festsetzung des Elterngeldes für den ersten bis 20. Lebensmonat unverändert. Dies führte zu einer Überzahlung des bereits ausgezahlten Elterngelds in Höhe von nunmehr 900,00 Euro. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Klägerin nicht i. S. v. § 4 Abs. 6 BEEG a. F. alleinerziehend bzw. alleinbetreuend sei. Mit dem Antrag auf Elternzeit habe der Ehemann der Klägerin faktisch erklärt, dass er zur Betreuung und Erziehung in der Lage sei, da dies Anspruchsvoraussetzung für die Elternzeit sei. Die Begriffe der Betreuung und Erziehung seien einheitlich im BEEG auszulegen. Hierbei regele das BEEG nicht, in welchem Umfang die Betreuungstätigkeit vorliegen müsse, auch Teilbetreuungsaktivitäten würden für den Anspruch auf Elternzeit und Elterngeld genügen. Ausgehend hiervon, könne nicht von einer Unmöglichkeit der Betreuungsfähigkeit des Ehemannes ausgegangen werden. Aufgrund der ursprünglichen Erklärung der Klägerin vom 29.01.2021 zur Betreuungsfähigkeit ihres Ehemanns habe man die Voraussetzungen für einen Alleinbezug des Elterngeldes angenommen. Die Einschätzung, ob die Betreuung dem anderen Elternteil unmöglich sei, obliege in erster Linie den Eltern. Vorliegend sei diese Einschätzung allerdings durch die Inanspruchnahme der Elternzeit widerlegt worden. Damit stehe der Klägerin nur ein Anspruch auf zwölf Lebensmonate Basiselterngeld zu. Aufgrund des bisher bezogenen Elterngeldes in Form von Basiselterngeld und Elterngeld Plus sei mit Ablauf des 20. Lebensmonats der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld insgesamt aufgebraucht worden.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 07.09.2022 Widerspruch ein. Zu Begründung führte sie mit Schreiben vom 25.09.2022 und per E-Mail vom 29.09.2022 im Wesentlichen aus, dass sie sich für die Lebensmonate 21 bis 28 hinsichtlich des Partnermonats und Partnerschaftsbonus für Elterngeld Plus anspruchsberechtigt halte. Entgegen der Auffassung verlange die Vorschrift des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG a. F. zum Alleinbezug für Elterngeld nur die Unmöglichkeit der Betreuung durch den anderen Elternteil. Dies sei bei ihrem Ehemann aufgrund der Schwerbehinderung gerade der Fall. Hingegen sei für die Inanspruchnahme von Elternzeit neben der persönlichen Betreuung auch die persönliche Erziehung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEEG Voraussetzung. Demnach seien Erziehungsleistungen durch ihren Ehemann für den Alleinbezug von Elterngeld unbeachtlich. Ein Widerspruch wie der Beklagte zwischen der genommenen Elternzeit und dem Elterngeldalleinbezug sehe, bestünde daher tatsächlich nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von 14 Lebensmonaten Elterngeld als Alleinerziehende nicht erfüllen würde. Zur weiteren Begründung verwies er auf die Ausführungen im (Änderungs )Bescheid vom 19.08.2022.
Per E-Mail vom 26.10.2022 legte die Klägerin dem Beklagten einen Arbeitgebernachweis über ihre befristete Teilzeittätigkeit, welche sie seit dem 01.12.2022 nun mit 25 Wochenstunden ausübte, vor. Daraufhin setzte der Beklagte mit einem weiteren Änderungsbescheid- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2022 das Elterngeld endgültig fest. Der Beklagte änderte hierbei die vorhergehende Bewilligung für den zweiten Lebensmonat auf 232,24 Euro und für den zehnten bis elften Lebensmonat auf jeweils 1.800,00 Euro. Im Übrigen blieb die vorhergehende Festsetzung des Elterngeldes unverändert. Hierdurch verminderte sich die Überzahlung um einen Betrag von 31,92 Euro auf nunmehr 868,08 Euro. Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 27.11.2022 ebenso Widerspruch eingelegt.
Am 23.11.2022 hat die anwaltlich vertretene Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben.
Die Klägerin trägt vor, dass für den Alleinbezug von Elterngeld in ihrem Fall einzig die Unmöglichkeit der Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG a. F. vorausgesetzt werde. Die ihrem Ehemann bewilligte Elternzeit belege auch nicht die Betreuungsfähigkeit, da nicht vorgeben sei, in welchem Umfang eine Betreuung für die Gewährung von Elternzeit erforderlich sei. Zudem stehe neben der Betreuung auch gleichwertig die Erziehung des Kindes als Zweck der Elternzeit. Ihrem Ehemann sei zwar die Erziehung, aber aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht die Betreuung ohne wesentliche fremde Hilfe möglich.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 24.10.2022 in der Fassung des Bescheides vom 01.11.2022 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für das Kind E. Elterngeld entsprechend des Antrags vom 29.01.2021 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die Inanspruchnahme der Elternzeit durch den Ehemann der Klägerin belege, dass diesem die Betreuung seines Sohnes E. entgegen des Elterngeldantrags gerade nicht unmöglich gewesen sei. Denn Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Elternzeit sei nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEEG gerade die Betreuung und Erziehung des Kindes durch den Arbeitnehmer selbst, der Elternzeit für sich in Anspruch nehmen möchte. Weiter seien die Begriffe der Erziehung und Betreuung als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Elternzeit aus § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEEG identisch mit denen in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BEEG für den Anspruch auf Elterngeld. Damit läge die gesetzliche Voraussetzung für den Alleinbezug des Elterngeldes durch die Klägerin nach § 4 Abs. 6 BEEG a. F. nicht vor.
Das Gericht hat am 23.10.2023 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten durchgeführt und hierbei Beweis erhoben durch die Vernehmung des Ehemanns der Klägerin, Herrn G. H., als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug auf das Sitzungsprotokoll vom 23.10.2023 genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und beigezogenen Schwerbehinderten-Akte des Zeugen Herrn H., die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.
Streitgegenständlich ist der Widerspruchsbescheid vom 24.10.2022 in der Fassung des Änderungsbescheid- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2022 mit dem das Elterngeld endgültig festgesetzt wurde. Der Änderungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 01.11.2022 ist nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Verfahrens geworden. Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nach dieser Vorschrift nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Dies gilt auch, wenn der Änderungs- oder Ersetzungsbescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheides und vor Klageerhebung ergeht (vgl. BSG, Urt. v. 01.08.1978 – 7 RAr 37/77, BSGE 47, 28, Juris Rn. 17; Binder, in: Berchtold, SGG, Kommentar, 6. Aufl. 2021, § 96 SGG Rn. 3; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, Kommentar, 14. Aufl. 2023, § 96 SGG Rn. 3a). Nach Maßgabe des § 96 SGG wird der neue Verwaltungsakt automatisch Klagegegenstand, ohne dass es einer gewillkürten Klageänderung oder eines Vorverfahrens bedarf; es handelt sich also um eine Klageänderung kraft Gesetzes (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, Kommentar, 14. Aufl. 2023, § 96 SGG Rn. 1a). Geändert oder ersetzt wird ein Verwaltungsakt immer, wenn er denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsverwaltungsakt betrifft, bzw. wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2016 – B 8 SO 1/15 R, Juris Rn. 12; Urt. v. 17.12.2015 – B 8 SO 14/14 R, Juris Rn. 11; Urt. v. 20.07.2005 – B 13 RJ 23/04 R, SozR 4-1500 § 96 Nr. 3, Juris Rn. 14). Vorliegend wurde die vorläufige Gewährung von Elterngeld durch den Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 19.08.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2022 mit dem Änderungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 01.11.2022 endgültig festgesetzt. Sein Regelungsgegenstand ist damit identisch mit dem des Änderungs- und Erstattungsbescheides vom 19.08.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2022.
Hingegen ist die zulässigerweise nach § 8 Abs. 3 BEEG erfolgte vorläufige Neufestsetzung von Elterngeld durch den Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 19.08.2022 nicht streitgegenständlich. Dieser Änderungsbescheid hat mit Erlass der endgültigen Elterngeldbewilligung durch den Bescheid vom 01.11.2022 seine Erledigung gefunden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ersetzt die endgültige Festsetzung des Elterngeldes die vorläufige Festsetzung und führt zu deren Erledigung i. S. d. § 26 Abs. 1 BEEG i. V. m. § 39 Abs. 2 SGB X (BSG, Urt. v. 25.06.2020 – B 10 EG 3/19 R, BSGE 130, 237, Juris Rn. 48; Urt. v. 13.12.2018 – B 10 EG 9/17 R, Juris Rn. 14 m. w. N.).
Der angefochtene Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 24.10.2022 in der Fassung des Änderungsbescheid- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2022 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Beklagte hat mit ihnen zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf alleinigen Bezug des Elterngeldes hat (A.) und damit unzutreffend den Elterngeldanspruch der Klägerin für das am 30.11.2020 geborene Kind E. auf den ersten bis 20. Lebensmonat (30.11.2020 bis 29.07.2022) begrenzt (B.). Im Übrigen hat der Beklagte die Höhe des Elterngeldes für den ersten bis 20. Lebensmonat zutreffend festgesetzt (C.).
Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld richtet sich nach den am 01.01.2007 in Kraft getretenen Vorschriften des BEEG vom 05.12.2006 (BGBl. I 2006, S. 2748) in der Fassung aufgrund von Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts vom 23.05.2017 (BGBl. I 2017, S. 1228 ff.) mit Wirkung zum 01.01.2018 bis 31.08.2021.
Zunächst steht fest, dass die Klägerin die Grundvoraussetzungen für die Entstehung eines Anspruchs auf Elterngeld gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 BEEG für das am 30.11.2020 geborenen Kind E. erfüllt. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld,
1. wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
All diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin. Sie hatte während des gesamten Bezugszeitraums ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, lebte mit dem Kind E. in einem Haushalt, betreute und erzog ihn selbst und übte entsprechend ihrer Ankündigung im Elterngeldantrag während des Bezugszeitraums keine volle Erwerbstätigkeit aus. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor. Dies alles ist hier ausweislich der Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren und im Übrigen unstreitig der Fall.
Der Beklagte hat allerdings zu Unrecht den Alleinbezug von Elterngeld durch die Klägerin abgelehnt und in der Folge die Bezugsdauer des Elterngelds unzutreffend festgesetzt. Die Bezugsmöglichkeiten und die Bezugsdauer des Elterngeldanspruchs richten sich nach § 4 BEEG in der Fassung vom 23.05.2017. Soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung, lauten diese Regelungen wie folgt:
Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 BEEG kann Elterngeld in der Zeit vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 BEEG kann abweichend von § 4 Abs. 1 S. 1 BEEG Elterngeld Plus nach § 4 Abs. 3 BEEG auch nach dem 14. Lebensmonat bezogen werden, solange es ab dem 15. Lebensmonat in aufeinander folgenden Lebensmonaten von zumindest einem Elternteil in Anspruch genommen wird
Nach § 4 Abs. 2 S. 1 BEGG wird Elterngeld in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes gezahlt. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG wird es allein nach den Vorgaben der §§ 2 bis 3 BEEG ermittelt (Basiselterngeld), soweit nicht Elterngeld nach § 4 Abs. 3 BEEG in Anspruch genommen wird. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 BEEG endet der Anspruch mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist. Nach § 4 Abs. 2 S. 4 BEEG können die Eltern die jeweiligen Monatsbeträge abwechselnd oder gleichzeitig beziehen.
Nach § 4 Abs. 3 S. 1 BEEG kann statt für einen Monat Elterngeld im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG zu beanspruchen, die berechtigte Person jeweils zwei Monate lang ein Elterngeld beziehen, das nach den §§ 2 bis 3 BEEG und den zusätzlichen Vorgaben der Sätze 2 und 3 des § 4 Abs. 3 BEEG ermittelt wird (Elterngeld Plus). Nach § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG beträgt das Elterngeld Plus monatlich höchstens die Hälfte des Elterngeldes nach § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG, das der berechtigten Person zustünde, wenn sie während des Elterngeldbezugs keine Einnahmen im Sinne des § 2 BEEG oder des § 3 BEEG hätte oder hat. Gemäß § 4 Abs. 3 S. 3 BEEG halbieren sich für die Berechnung des Elterngeld Plus:
1. der Mindestbetrag für das Elterngeld nach § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG,
2. der Mindestgeschwisterbonus nach § 2a Abs. 1 S. 1 BEEG,
3. der Mehrlingszuschlag nach § 2a Abs. 4 BEEG sowie
4. die von der Anrechnung freigestellten Elterngeldbeträge nach § 3 Abs. 2 BEEG.
Gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 BEEG haben die Eltern haben gemeinsam Anspruch auf zwölf Monatsbeträge Elterngeld im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG. Erfolgt für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit, können sie für zwei weitere Monate Elterngeld (Partnermonate) im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG beanspruchen (§ 4 Abs. 4 S. 2 BEEG). Wenn beide Elternteile in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten gleichzeitig
1. nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sind und
2. die Voraussetzungen des § 1 BEEG erfüllen,
hat jeder Elternteil für diese Monate Anspruch auf vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus (Partnerschaftsbonus), § 4 Abs. 4 S. 3 BEEG.
Gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG kann ein Elternteil höchstens zwölf Monatsbeträge Elterngeld im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG (Basiselterngeld) zuzüglich der vier nach § 4 Abs. 4 S. 3 BEEG zustehenden Monatsbeträge Elterngeld Plus (Partnerschaftsbonus) beziehen. Nach § 4 Abs. 5 S. 2 BEEG kann er Elterngeld nur beziehen, wenn er es mindestens für zwei Monate in Anspruch nimmt. Gemäß § 4 Abs. 3 S. 3 BEEG Lebensmonate des Kindes, in denen einem Elternteil nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 BEEG anzurechnende Leistungen oder nach § 192 Abs. 5 S. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) Versicherungsleistungen zustehen, gelten als Monate, für die dieser Elternteil Elterngeld im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 BEEG bezieht.
Nach § 4 Abs. 6 S. 1 BEEG kann ein Elternteil abweichend von § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG zusätzlich auch die weiteren Monatsbeträge Elterngeld nach § 4 Abs. 4 S. 2 BEEG beziehen, wenn für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit erfolgt und wenn
1. bei ihm die Voraussetzungen für den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b Abs. 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegen und der andere Elternteil weder mit ihm noch mit dem Kind in einer Wohnung lebt,
2. mit der Betreuung durch den anderen Elternteil eine Gefährdung des Kindeswohls im Sinne von § 1666 Abs. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verbunden wäre oder
3. die Betreuung durch den anderen Elternteil unmöglich ist, insbesondere, weil er wegen einer schweren Krankheit oder Schwerbehinderung sein Kind nicht betreuen kann; für die Feststellung der Unmöglichkeit der Betreuung bleiben wirtschaftliche Gründe und Gründe einer Verhinderung wegen anderweitiger Tätigkeiten außer Betracht.
Ist ein Elternteil im Sinne des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 bis 3 BEEG in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig, kann er für diese Monate abweichend von § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG vier weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus beziehen (§ 4 Abs. 6 S. 2 BEEG).
Die Regelung des § 4 Abs. 6 S. 1 BEEG zum alleinigen Bezug von Elterngeld durch einen Elternteil wurde hinsichtlich den Tatbestandsvoraussetzungen inhaltsgleich durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetztes vom 15.02.2021 (BGBl. I 2021, S. 239 ff.) mit Wirkung zum 01.09.2021 nunmehr in § 4c Abs. 1 BEEG normiert.
A. Damit ist zunächst festzuhalten, dass ein Elternteil allein stets zwölf Lebensmonate Anspruch auf Elterngeld in Form von Basiselterngeld oder 24 Lebensmonate in Form des – betragsmäßig hälftigen und damit doppelt so langem – Elterngeld Plus hat. So erlaubt § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG einem Elternteil den alleinigen Bezug des gemeinsamen Elterngeldanspruches nach § 4 Abs. 4 S. 1 BEEG von zwölf Lebensmonaten an Basiselterngeld (§ 4 Abs. 2 S. 2 BEEG). Anstatt des gemeinsamen Grundanspruchs auf zwölf Monatsbeträge Basiselterngeld nach § 4 Abs. 4 S. 1 BEEG kann aufgrund § 4 Abs. 3 S. 1 BEEG auch Elterngeld Plus für 24 Lebensmonate bezogen werden; wobei dies nach § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG auch im Alleinbezug durch einen Elternteil erfolgen kann. Entsprechend hat der Beklagte der Klägerin mit der endgültigen Festsetzung des Elterngeldes durch den Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2022 vier Lebensmonate Basiselterngeld (erste, zweiter, zehnter und elfter Lebensmonat) und 16 Lebensmonate (dritter bis neunter und zwölfter bis 20. Lebensmonat) Elterngeld Plus und damit umgerechnet insgesamt zwölf Monatsbeträge Basiselterngeld gewährt.
Die Klägerin hat allerdings abweichend zu § 4 Abs. 5 S. 1 BEEG darüber hinaus einen Elterngeldanspruch von zwei weiteren Lebensmonaten Basiselterngeld (entspricht Partnermonaten) nach § 4 Abs. 6 S. 1 BEEG und grundsätzlich vier weitere Lebensmonaten Elterngeld Plus (entspricht Partnerschaftsbonus) nach § 4 Abs. 6 S. 2 BEEG. Denn vorliegend hat der Beklagte zu Unrecht entschieden, dass der Klägerin über den Grundanspruch auf Elterngeld in Form von zwölf Monatsbeträgen Basiselterngeld kein weitergehendes Elterngeld aufgrund der Vorschrift zum Alleinbezug nach § 4 Abs. 6 BEEG beanspruchen kann.
I. Die Kammer ist nach Würdigung des Gesamtergebnisses des vorliegenden Verfahrens zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für einen alleinbetreuenden Elternteil im Sinne von § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG erfüllt.
Ein Alleinbezug von zwei weiteren Monatsbeträgen Basiselterngeld ist nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 HS. 1 BEEG möglich, wenn der elterngeldbegehrende Elternteil für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit hat und die Betreuung durch den anderen Elternteil unmöglich ist. Gründe für die Unmöglichkeit der Betretung des Kindes durch den anderen Elternteil können insbesondere eine schwere Erkrankung oder die Schwerbehinderung sein. Für die Feststellung der Unmöglichkeit der Betreuung bleiben wirtschaftliche Gründe und Gründe einer Verhinderung wegen anderweitiger Tätigkeiten außer Betracht (§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 HS. 2 BEEG).
1. Zwar stellt § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG allein auf die Unmöglichkeit der Betreuung ab, allerdings ist eine trennscharfe begriffliche und tatsächliche Unterscheidung zwischen Betreuung und Erziehung nach Auffassung der Kammer nicht möglich, sodass von einem Versehen des Gesetzgebers auszugehen ist. Die Begriffe Betreuung und Erziehung werden vom Gesetzgeber weder im BEEG noch in den Gesetzesmaterialien definiert (Brose, in: Brose/Weth/Volk, MuSchG/BEEG, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 BEEG Rn. 73). Die Kinderbetreuung als zusammenfassender Begriff für die pflegende, beaufsichtigende Zuwendung Erwachsener zu Kindern überschneidet sich mit demjenigen der Erziehung als der Sorge für die sittliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes (Röhl, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching (Hrsg.), BeckOK ArbR, Kommentar, 71. Ed. (Stand: 01.03.2024), § 1 BEEG Rn. 16). Das Elterngeld betrifft in aller Regel Säuglinge und Kleinkinder. Demnach sind Betreuung und Erziehung bei einem in der Regel ein- bis zweijährigen Kind vor allem als Pflege und Versorgung, Stillen, Füttern, Trockenlegen, Baden, medizinische Versorgung, erste pädagogische Maßnahmen, zu verstehen, auf deren Qualität es im Regelfall nicht ankommt (Grüner/Jung/Wiegand, in: Wiegand (Hrsg.), BEEG, Kommentar, 24. EL (Stand: 05/2023), § 1 BEEG Rn. 20). Der Begriff der Betreuung umfasst hierbei die allgemeine Beaufsichtigung, Pflege und Versorgung, während der Begriff der Erziehung die Bereiche Bildung, Ausbildung entsprechend den Fähigkeiten des Kindes sowie das Vermitteln eines Wertegerüstes und für angemessen angesehene Verhaltensweisen umfasst (Grüner/Jung/Wiegand, in: Wiegand (Hrsg.), BEEG, Kommentar, 24. EL (Stand: 05/2023), § 1 BEEG Rn. 20a).
2. Weiter muss nach dem Gesetzeswortlaut gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 HS. 2 BEEG die Unmöglichkeit der Betreuung objektiv vorliegen, d. h. positiv anhand den tatsächlichen Umständen gegeben sein (vgl. BSG, Urt. v. 26.03.2014 B 10 EG 6/13 R, Juris Rn. 13). Hierbei ist zu beachten, dass das BEEG weder für die Inanspruchnahme von Elterngeld (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BEEG) noch für die Unmöglichkeit (§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG) festlegt, in welchem zeitlichen Umfang eine eigene Betreuung und Erziehung des Kindes erfolgen muss oder entsprechend nicht gegeben sein darf (vgl. Graue, in: Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023 (Stand: 06.06.2023), § 1 BEEG Rn. 47). Die Anforderung, dass der Elterngeldberechtigte die Betreuung und Erziehung persönlich übernehmen muss, bedeutet nicht, dass der Elterngeldberechtigte die alleinige oder im Verhältnis zwischen beiden Elternteilen die überwiegende Betreuungs- und Erziehungsleistung übernehmen muss (Brose, in: Brose/Weth/Volk, MuSchG/BEEG, Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 BEEG Rn. 75). Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Elterngeldberechtigten eine Erwerbstätigkeit von durchschnittlich bis zu 30 Wochenstunden im Monat erlaubt (§ 1 Abs. 6 BEEG a. F.) und für den Partnerschaftsbonus (§ 4 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 BEEG) eine Erwerbstätigkeit von nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt fordert. Letzteres gilt auch für Alleinerziehende bzw. Alleinbetreuende nach § 4 Abs. 6 S. 2 BEEG. Daher ist von einer Unmöglichkeit auszugehen, wenn der Elternteil aufgrund objektiven Hinderungsgründen keine umfassenden, d. h. keinen wesentlichen Anteil von Betreuungs- und Erziehungsleistungen eigenständig erbringen kann (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 19.06.2015 – L 5 EG 9/14, Juris Rn. 25). Hierbei ist „Unmöglichkeit“ aufgrund der Gesetzeskonzeption nicht als Ausschluss jeglicher, noch so kleinen und unbedeutenden Betreuungs- und Erziehungstätigkeiten zu verstehen. Dementsprechend stehen untergeordnete, d. h. nur unwesentliche Betreuungs- und Erziehungsleistungen der Annahme der Unmöglichkeit der Betreuung i. S. d. § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG nicht entgegen.
3. Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass eine Betreuung und Erziehung dem Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Schwerbehinderung unmöglich gewesen ist. Nach unbestrittenen Vortrag der Klägerin war ihrem Ehemann aufgrund seiner Blindheit die eigenständige Erbringung von Betreuung- und Erziehungstätigkeiten nicht möglich. Sie hat nachvollziehbar diesbezüglich vorgetragen, dass ihrem Ehemann ohne Hilfe Dritter Tätigkeiten wie Wickeln, Körperpflege, Ankleiden, Nahrungszubereitung und Verabreichung von Nahrung eigenständig auf Dauer unmöglich sind. Weiter ist es für die Kammer verständlich, dass damit die Betreuung und Erziehung im Wesentlichen von der Klägerin erbracht werden musste.
Zudem ist die Schwerbehinderung des Ehemanns der Klägerin hier – von der Beklagten – mit dem höchstmöglichen Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Daneben wurde ihm auch das Merkzeichen „H“ für Hilflosigkeit zu erkannt. Hilflos sind Personen, die infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen (Teil A, Nr. 4 Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung). Für die Kammer steht es daher bereits aufgrund der Schwere der Körperbehinderung des Ehemanns der Klägerin fest, dass dieser zu einer eigenständigen Betreuung und Erziehung des Kindes im erforderlichen Umfang nicht in der Lage gewesen ist.
Hierbei stützt die Kammer ihre Überzeugung auch auf die protokollierte Vernehmung des Ehemanns der Klägerin als Zeugen im Erörterungstermin vom 23.10.2023. Dieser hat glaubhaft und nachvollziehbar erklärt, dass er alleine die Betreuung seines Sohnes nicht habe stemmen können und daher auch Unterstützung von seiner Ehefrau sowie seiner Mutter und zeitweise von der gemeinsamen Nachbarin erhalten habe. Insbesondere Windeln wechseln, Körperpflege und das Verabreichen von warmer, flüssiger oder breiförmiger Nahrung habe er aufgrund seiner Blindheit nicht übernehmen können. Einzig feste Nahrung wie Bananenstücke habe er seinen Sohn reichen können. Ferner hat der Zeuge berichtet, dass ihm eine Aufsicht über seinen Sohn allein im speziell kindergerecht gesicherten Wohnzimmer möglich gewesen sei. Hier habe er mit seinem Sohn entsprechend seinen Seheinschränkungen mit Bauklötzen oder einem Tierbilderbuch gespielt.
In der Gesamtschau hat der Ehemann der Klägerin nach Überzeugung der Kammer keinen wesentlichen Anteil an Betreuungs- und Erziehungsleistungen aufgrund seiner Schwerbehinderung leisten können. Insbesondere war er bei seinen Betreuungs- und Erziehungstätigkeiten auf fremde Unterstützung angewiesen, sodass auch keine eigenständige Betreuung und Erziehung vorliegt. Im Übrigen sind die Betreuungs- und Erziehungsleistungen, die der Ehemann der Klägerin übernommen hat, von untergeordneter Bedeutung.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Inanspruchnahme der Elternzeit durch den Ehemann der Klägerin einen Widerspruch an sich darstellt. Allerdings hat die Gewährung der Elternzeit durch den Arbeitgeber für die Beurteilung der Unmöglichkeit der Betreuung nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG keine Tatbestands- oder Feststellungswirkung. Soweit der Beklagte in der Beantragung und Inanspruchnahme der Elternzeit eine konkludent erklärte positive Selbsteinschätzung der Betreuungs- und Erziehungsfähigkeit des Ehemannes sieht, ist dies nach Auffassung der Kammer ohne Bedeutung. Denn aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG ist Unmöglichkeit der Betreuung für den anderen Elternteil – wie bereits ausgeführt – objektiv festzustellen.
4. Zuletzt war das Einkommen der Klägerin aus Erwerbstätigkeit unstreitig auch für die Dauer von zwei Monaten gemindert.
Mithin erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG und hat somit einen Anspruch auf zwei weitere Basiselterngeld.
II. Daneben erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 S. 2 BEEG hinsichtlich der Unmöglichkeit der Betreuung durch den anderen Elternteil, ihrem Ehemann.
Ein Alleinbezug von vier weiteren Monatsbeträgen Elterngeld Plus ist nach § 4 Abs. 6 S. 2 BEEG möglich, wenn der elterngeldbegehrende Elternteil zunächst die Voraussetzungen für den Alleinbezug nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 BEEG erfüllt und in vier aufeinander folgenden Lebensmonaten nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig ist.
Wie ausgeführt erfüllt die Klägerin nach Überzeugung der Kammer die Voraussetzungen für einen Alleinbezug nach § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 BEEG. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Erwerbstätigkeit hat der Beklagte allerdings keine Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen hat der Beklagte noch zu treffen und entsprechend über den konkreten Anspruch zu entscheiden.
B. Daraus folgt, dass die Klägerin einen Anspruch auf insgesamt 14 Lebensmonate Basiselterngeld und grundsätzlich vier weitere Lebensmonate Elterngeld Plus hat. Da ein Bezug von Basiselterngeld nach § 4 Abs. 1 S. 1 BEEG auf die ersten 14. Lebensmonate nach der Geburt des Kindes begrenzt ist, kann aufgrund des bereits gewährten Grundanspruches von zwölf Monatsbeträge Basiselterngeld die Klägerin entsprechend ihres Antrags maximal nur noch acht weitere Monatsbeträge Elterngeld Plus beanspruchen. Der Bezug dieser maximal acht Monatsbeträge Elterngeld Plus muss sich aufgrund § 4 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BEEG auf den Zeitraum vom 21. Lebensmonat bis zum 28. Lebensmonat erstrecken, damit über die bisher gewährten Lebensmonate bis einschließlich des 20. Lebensmonats ein ununterbrochen aufeinander folgender Bezug von Elterngeld Plus ab dem 15. Lebensmonat vorliegt.
Hierbei ist zu beachten, dass die Klägerin für die vier Lebensmonate Elterngeld Plus, die ihr als Alleinbetreuende aufgrund der Regelung des Alleinbezugs nach § 4 Abs. 6 S. 2 BEEG grundsätzlich zustehen, zudem in diesen vier Lebensmonaten aufeinander folgend nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig gewesen sein darf. Hierüber fehlt es – wie bereits ausgeführt – an ausreichenden Feststellungen durch den Beklagten. Selbiges gilt für die konkrete Höhe des noch zu gewährenden Elterngeld Plus über den 20. Lebensmonat hinaus. Auch hierüber hat der Beklagte noch zu entscheiden.
C. Zuletzt ist die Berechnung der Höhe des Elterngeldes in Form von Basiselterngeld und Elterngeld Plus für den ersten bis 20. Lebensmonat vom 30.11.2020 bis 29.07.2022 rechnerisch nicht zu beanstanden. Denn die Kammer vermag auch im Übrigen in den von dem Beklagten vorgenommenen Berechnungen hinsichtlich der besagten Elterngeldhöhe keine sachlichen oder rechtlichen Fehler, die sich zu Ungunsten der Klägerin auswirken könnten, zu erkennen – solche sind im Übrigen auch insoweit von der Klägerin nicht geltend gemacht worden –, sodass sich die Berechnung der Höhe des Elterngeldes für den ersten bis 20. Lebensmonat als rechtmäßig erweist, ohne dass die Klägerin hierdurch in ihren beschwert ist (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
Nach alledem haben sich die angefochtenen Bescheide des Beklagten als teilweise rechtswidrig erwiesen, wie sie einen Alleinbezug des Elterngeldes durch die Klägerin über den 20. Lebensmonat hinaus abgelehnt haben. Der Klage war demgemäß antragsgemäß stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.