Ein offensichtlich absurdes Begehren - Berechnung des Farbbedarfs nach Kubikmetern und nicht nach zu streichenden Quadratmetern einer Wohnung - kann zur Bestimmung des Werts des Berufungsbegehrens nach einem abweisenden Grundurteil bei unbezifferter Klageforderung nicht herangezogen werden.
I. Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. April 2022 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beteiligten haben einander auch Kosten des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme von (unbezifferten) Kosten einer Wohnungsrenovierung als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1994 geborene Klägerin zu 1 und ihr 2020 geborener Sohn, der Kläger zu 2, stehen im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Nach genehmigtem Umzug in eine 60 qm große Wohnung (A-Straße, A-Stadt) beantragte die Klägerin zu 1 am 15. Dezember 2020 bei dem Beklagten „Mobilien“ für ihre neue Wohnung. Sie bat außerdem um einen Hausbesuch durch den Außendienst des Beklagten. Die Wohnung sei ganz leer (Verwaltungsakte [VA] Bl. 80).
Am 21. Dezember 2020 beauftragte der Beklagte den Außendienst mit der Überprüfung der Wohnsituation. Am 14. Januar 2021 teilten die Außendienstmitarbeiter mit, dass niemand angetroffen worden sei. Am 28. Januar 2021 konnte ein Hausbesuch durchgeführt werden. Während des Hausbesuchs beantragte die Klägerin zu 1 eine Renovierungspauschale. Für die Küche und den Flur werde Wandfarbe benötigt, für das Wohn- und Schlafzimmer eine Tapete. Im Übrigen würden einige Möbel beantragt. Der Außendienst fertigte eine Liste der benötigten Materialien und Möbel als Anlage zum Hausbesuchsprotokoll (VA Bl. 154 ff.). Am 12. März 2021 fand ein erneuter Hausbesuch statt. Die Wohnung war nach den Feststellungen des Außendienstes zu diesem Zeitpunkt noch nicht renoviert worden. Einige neue Möbel seien vorhanden gewesen. Diese sind Gegenstand einer separaten Bewilligung.
Mit Bescheid vom 16. März 2021 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für die Monate März bis August 2021 unter Berücksichtigung der Regelbedarfe der beiden Kläger sowie des Mehrbedarfs für Alleinerziehende sowie der vollen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 575,00 Euro.
Unter dem 16. März 2021 bewilligte der Beklagte in Abänderung seines Bescheids vom selben Tag den Klägern für den Monat März 2021 zusätzlich auch die Übernahme von Renovierungskosten in Höhe von 88,40 Euro nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und damit Gesamtleistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 663,40 Euro (VA Bl. 166). Insoweit wurde der vorherige Bescheid aufgehoben. Es sei für die Renovierungskosten ein Bedarf in folgender Höhe gegeben:
Anzahl | Gegenstand | Pauschale des KJC in € |
Gesamtwert (errechnet anhand der Einzelpauschale) |
42 qm | Decken-/Wandfarbe | 0,20 € | 8,40 € |
2 x | Tapetenkleister 200 g | 5,00 € | 10,00 € |
4 x | Raufasertapete 25 m | 7,00 € | 32,00 € |
1 x | Rührstab | 2,00 € | 2,00 € |
1 x | Kreppband | 3,00 € | 3,00 € |
1 x | Flachpinsel Set | 5,00 € | 5,00 € |
1 x | Abstreifgitter | 3,00 € | 3,00 € |
1 x | Tapezierbürste | 4,00 € | 4,00 € |
1 x | Farbrolle mit Bügel | 7,00 € | 7,00 € |
1 x | Malerfolie 20 m² | 7,00 € | 7,00 € |
1 x | Kleisterbürste | 6,00 € | 6,00 € |
Gesamtbetrag | 88,40 € |
Hiergegen legten die Kläger anwaltlich vertreten am 31. März 2021 Widerspruch ein (VA Bl. 175). Die Bevollmächtigte führte aus, mit 88,40 Euro ließe „sich bekanntlich nicht renovieren“. Im Wohnzimmer müssten Tapeten angebracht werden. Für die anderen Zimmer sei weiße Farbe erforderlich. Ein Zimmer habe vier Wände und eine Decke, also sei ein „cbm Raum“ zugrunde zu legen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Der bewilligte Pauschalbetrag in Höhe von 88,40 Euro sei für die Renovierung ausreichend. Eigene Ermittlungen des Beklagten hätten ergeben, dass die notwendigen Materialien bereits für 79,94 Euro zu beziehen seien. Die Beträge führte der Beklagte im Widerspruchsbescheid einzeln auf. Hierauf wird verwiesen (VA Bl. 190). Der Materialbedarf ergebe sich nicht aus dem Rauminhalt, wie von der Klägervertreterin beantragt, sondern aus der Addition der Flächen der Wände und der Decke. Andernfalls würde der „Raum mit Farbe befüllt“, was „den Raum auch in seiner Nutzung stark eingeschränkt hätte“.
Dagegen haben die Kläger am 18. Mai 2021 – wiederum anwaltlich vertreten – Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Sie meinen, ein Zimmer habe „bekanntlich zwei Wände, eine Decke, einen Boden“, die zu renovierenden Flächen seien „also nicht zweidimensional“. Es sei unrealistisch mit einem Eimer Farbe für 60 m² eine Wohnung zu streichen, denn insoweit komme es auf „cbm“ an. Jeder, der selbst gestrichen habe, wisse dies. Auch der Kleister genüge nicht. Ferner könne Abdeckfolie nicht für mehrere Räume verwendet werden. Die behauptete Recherche des Beklagten sei ferner nicht nachvollziehbar. Die Tatsachengrundlage sei nicht zu erkennen.
Das Sozialgericht hat die Prozessbevollmächtigte mit Verfügung vom 7. Juni 2021 zur Bezifferung des Klageantrags aufgefordert und hieran am 13. August 2021 erinnert. Mit Schriftsatz vom 20. September 2021 hat die Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, es würden „sowieso Pauschalen gezahlt“. Ferner könne „auch dem Grunde nach verurteilt werden“.
Mit Schriftsätzen vom 18. Juni 2022 und vom 22. Juni 2022 hat die Prozessbevollmächtigte unmittelbar bei dem Beklagten eine Kassenquittung vom 22. Mai 2021 über eine Gesamtsumme von 460,76 Euro eingereicht, die in Höhe von 146,73 Euro Renovierungsmaterialien betrifft. Im Übrigen werden Gegenstände zur Wohnungsausstattung aufgelistet in Höhe eines Gesamtbetrages von 45,15 Euro. In der Quittung nur als „Kaufvertrag“ ausgewiesene Rechnungsposten in Höhe von 58,81 Euro und 210,07 Euro betreffen eine Wohnwand und einen Glascouchtisch (VA Bl. 247-249 und nochmals Bl. 261-264):
Am 2. Februar 2022 hat das Gericht die Prozessbevollmächtigte nochmals auf die Gelegenheit zur Bezifferung des Klageantrags hingewiesen. Hierauf hat diese nicht mehr reagiert.
Die Kläger haben schriftlich wörtlich beantragt, „den Bescheid der Beklagten vom 16.03.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.04.2021 aufzuheben, den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für Wohnungsrenovierung, hilfsweise als Darlehen, zu zahlen“.
Der Beklagte hat schriftlich beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat sich zur Klageerwiderung auf die Gründe seiner Verwaltungsentscheidungen bezogen.
Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat das Gericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. April 2022 abgewiesen.
Die Klage sei bereits unzulässig. Der Klageantrag sei nicht hinreichend bestimmt. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren sei ein bestimmter – in Bezug auf Geldleistungen als bezifferter – Klageantrag eine Zulässigkeitsvoraussetzung (BSG Urteil v. 30. April 1986 – 2 RU 15/85 Rn. 20; BeckOGK/Jaritz, 1.2.2022, SGG § 92 Rn. 49). Hieraus folge zwar nicht in jedem Fall, dass eine Geldleistung genau beziffert werden müsse. Jedoch müsse dennoch das Bestimmtheitsgebot beachtet werden. Eingehalten sei das Bestimmtheitsgebot nur, wenn ein der Tenorierung zugänglicher Gegenstand beantragt werde, denn die Anträge seien das Spiegelbild des Tenors (jurisPK-ERV/Hofmann Band 3, 1. Aufl., § 92 SGG (Stand: 15.12.2021), Rn. 18; BeckOGK/Jaritz, 1.2.2022, SGG § 92 Rn. 39). Hierzu könne es grundsätzlich ausreichend sein, dass – wie hier – eine Verurteilung dem Grunde nach beantragt werde oder dass – dies sei hier nicht geschehen – jedenfalls eine ungefähre Höhe angegeben werde, weil dann ein sachdienlicher Inhalt durch Auslegung ermittelbar sei (Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 92 SGG (Stand: 07.12.2021), Rn. 36; BeckOGK/Jaritz, 1.2.2022, SGG § 92 Rn. 41).
Vorliegend sei dem Bestimmtheitsgebot durch Beantragung einer Verurteilung dem Grunde nach nicht genügt. Der Anspruch der Kläger dem Grunde nach stehe nicht im Streit. Lediglich die Höhe der zu übernehmenden Leistungen sei zwischen den Beteiligten umstritten. Für ein Grundurteil bestehe deshalb bereits kein Rechtsschutzbedürfnis.
Eine ungefähre Größenordnung für den gerichtlich über den bewilligten Betrag hinaus geltend gemachten Anspruch hätten die Kläger nicht benannt. Der Vortrag der Klägervertreterin, es komme für die Renovierung auf das Volumen der Räume („cbm“) an, widerspreche bereits einfachsten mathematischen Grundsätzen, weil selbstverständlich nur die Wände und die Decke eines Raumes – und damit Flächen – zu renovieren seien, keine Rauminhalte – diese bestünden selbstredend aus Luft und seien damit einer Renovierung nicht zugänglich. Aus diesem Vortrag könne deshalb eine Größenordnung nicht hergeleitet werden.
Welcher Betrag über die bereits bewilligten 88,40 Euro hinaus beantragt werde, sei daher trotz der mehrfachen Nachfragen des Gerichts nicht ermittelbar und auch durch Auslegung nicht feststellbar. Da die Kläger offenkundig die Wohnung bereits renoviert hätten, wäre der Betrag bezifferbar gewesen.
Die Kammer gehe davon aus, dass die Berufung das zulässige Rechtsmittel sei, weil die Klägervertreterin auch auf Nachfrage der Kammer explizit daran festhalte, keinen bezifferten Geldbetrag, sondern insbesondere ein Grundurteil zu beantragen (vgl. Breitkreuz/Fichte/Schreiber, SGG, § 144 Rn. 10). Für eine Schätzung des Werts des Beschwerdegegenstands (§ 3 Zivilprozessordnung – ZPO; vgl. BeckOK SozR/Jungeblut, 64. Ed. 1.3.2022, SGG § 144 Rn. 22) in Form einer „Pauschale“ fehlten der Kammer Anhaltspunkte für das Klägerbegehren. Mit der bewilligten Pauschale des Beklagten bestehe offenkundig kein Einverständnis. Anhaltspunkte, wie eine Pauschale anderweitig berechnet werden könnte, habe die Kammer von Seiten der Kläger auch auf Nachfrage nicht erhalten. Hier könne aufgrund des Festhaltens der Klägervertreterin an der Berechnung nach dem Volumen allerdings von einer vervielfachten Größenordnung des von dem Beklagten zugrunde gelegten Flächenmaßes ausgegangen werden. Bei einer Wohnfläche von 60 m² und einer Standardraumhöhe von 2,40 m hätte die Wohnung ein Volumen von 144 m³. Entsprechend höher als die bewilligte Pauschale dürfte daher auch die Größenordnung der wohl verfolgten, nicht bezifferten Klageforderung sein.
Die Kläger haben gegen den ihnen laut Empfangsbekenntnis der Prozessbevollmächtigten am 9. Mai 2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 1. Juni 2022 wiederum anwaltlich vertreten Berufung beim Sozialgericht Darmstadt eingelegt und wie folgt vorgetragen:
„Das Gericht hat zu Unrecht die Klage vollumfänglich abgewiesen, so dass die Anträge weiter verfolgt werden.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen bereits nicht vor.
Das Gericht hat seine Untersuchungspflicht verletzt.
Soweit das Gericht der Ansicht ist, dass nicht klar sei wie hoch die Renovierungskosten seien verletzt es damit objektiv seine Untersuchungspflichten nach SGG und verkennt auch willkürlich, dass der Beklagte von Amts wegen ermitteln muss, sollte das Gericht der Ansicht sein, dass der Beklagte hiergegen verstoßen hat, dann hat das Gericht üblicherweise dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen oder was sagt die Rechtsprechung hierzu konkret ?
Entgegen der Behauptung des Gerichts auf S.6ff. des Urteils stehen den Klägern höhere Leistungen zu und dies ist dem Gericht und dem Beklagte leicht berechenbar, da hierzu alles vorliegt durch Hausbesuch. Das Gericht trägt selbst vor dass Quittungen von EUR 146,73 bereits eingereicht sind, also dem Gericht bekannt ist und den Beklagten, da dies dennoch übergangen wird, zeigt dass Willkür vorliegt.
Beweis: Akteninhalt.
Das Gericht verkennt wesentliches, anderenfalls hätte er höhere Leistungen und eine Nachzahlung an die Kläger zuerkannt. Denn mit EUR 88,40 lässt sich die Wohnung nicht renovieren wie jedem nach allgemeiner Lebenserfahrung bekannt ist.
Beweis: Akteninhalt.
Soweit das Gericht die Klage vollumfänglich abweist, da es meint, dass es für ein Grundurteil kein Rechtsschutzbedürfnis gäbe, ist dies überraschend und objektiv willkürlich und objektiv unsachlich da es selbst die Raumgröße und was in welchem Raum benötigt wird selbst angibt auf S. 2 des Gerichtsbescheides und dass Quittungen über EUR 146,73 eingereicht wurden.
Bereits die Begründung des Gerichts zu cbm Raum auf S. 7 des Gerichtsbescheides lässt darauf schließen, dass das Gericht kurzen Prozess machen will und bereits negativ voreingenommen ist.
Denn Wände und Decken sind für benötigtes Material leicht berechenbar und bekannt und dies hat der Odw. nicht gemacht. Hätte das Gericht gemäß SGG die angefochtenen Bescheide auf Rechtmäßigkeit untersucht, hätte es dies erkannt, denn EUR 8,40 für Wandfarbe, EUR 32,- für Tapete ist denklogisch allgemein bekannt nicht ausreichend für eine Wohnung nach allgemeiner Lebenserfahrung.
Beweis: angefochtene Bescheide.
Das Gericht hat trotz Kenntnis nicht einmal EUR 146,73 dem Beklagten zur Zahlung auferlegt, obwohl das Gericht nach SGG nicht an Anträge etc. gebunden ist, so dass objektive Willkür des Gerichts vorliegt in dem es die Klage vollumfänglich abweist.
Nach alledem ist die Berufung begründet.“
Die Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 8. September 2023 ergänzt: „Die genaue Bezifferung ist leicht cbm Raum und wie viel Farbe, Tapeten hierfür benötigt werden. Das Gericht wird nicht bestreiten wollen, dass der Odw. für 41 qm Wand-/Deckenfarbe von EUR 8,40 bewilligt hat, also sowieso wie jedem bekannt zu wenig ist und unrichtig nach qm berechnet ist, da Wand, Decke zu berechnen ist denklogisch.“ „Auch Tapetenkleister von 200 gr. für lediglich EUR 5,- ist unrealistisch wenig. Tapeziertisch fehlt. Was hat das Gericht hierzu aufgeklärt wie viel zusteht? Weiteres folgt sodann. Das Gericht kann hilfsweise bekanntlich auch dem Grunde nach bewilligen.“
Die Kläger beantragen schriftsätzlich wörtlich,
„den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 21.04.2022 Az.: S 9 AS 349/21 aufzuheben,
den Bescheid des Beklagten vom 16.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2021 aufzuheben,
den Beklagten zu verurteilen den Klägern Leistungen nach SGB II in gesetzlicher Höhe für Wohnungsrenovierung, hilfsweise als Darlehen, zu zahlen,
den Beklagten zu verurteilen die Kosten des Vorverfahrens zu tragen.
Die Kosten der I. und der II. Instanz trägt der Beklagte.“
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich auf die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheids.
Das Gericht hat bereits mit der Eingangsverfügung vom 21. Juni 2022 darum gebeten, das mit der Berufung verfolgte Begehren zu konkretisieren. Gehe es um die Erstattung der 146,73 Euro (diesen Betrag nennt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf die eingereichten Quittungen), für die Rechnungen vorgelegt worden seien? Oder gehe es um diesen Betrag abzüglich der bereits gewährten 88,40 Euro? Oder gehe es ggf. um andere Leistungen, wenn ja, welche? Diese Anfrage ist auch nach mehrfacher Nachfrage des Gerichts unbeantwortet geblieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der in elektronischer Form vorliegenden Verwaltungsakte (Scan der Papierakte) verwiesen.
Das Urteil ist nach Verwerfung der Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende sowie die beiden ehrenamtlichen Richter (Beschluss vom 21. März 2024 in den Verfahren L 6 SF 33/24 AB, L 6 SF, 35/24 AB, L 6 SF 36/24 AB) am 10. April 2024 in öffentlicher Sitzung verkündet worden.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet in der Besetzung mit der Berichterstatterin sowie zwei ehrenamtlichen Richtern, nachdem der Senat nach Hinweisschreiben an die Beteiligten vom 12. September 2023 die Berufung durch Beschluss vom 23. Oktober 2023 auf die Berichterstatterin übertragen hat.
Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 16. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2021, mit dem der Beklagte die für März 2021 bewilligten Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung der Kläger für zuvor nicht berücksichtigte Renovierungskosten um 88,40 Euro erhöht und auf 663,40 Euro neu festgesetzt hat.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unstatthaft.
Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt.
Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Vorliegend wird um einen Betrag von deutlich unter 750,- Euro gestritten.
Auch bei der Berufung gegen ein Urteil, das das auf ein Grundurteil gerichtete Klagebegehren abweist, hängt die Zulässigkeit der Berufung letztlich davon ab, was mit der Klage erreicht werden soll. Aus dem prozesstaktischen Vorgehen, die auf eine Geldleistung gerichtete Klage nicht zu beziffern und nur ein Grundurteil erstreiten zu wollen (obwohl die grundsätzliche Leistungspflicht des Beklagten für Renovierungskosten überhaupt nicht in Streit ist), folgt nicht die Zulässigkeit der Berufung. Denn auch bei einem Grundurteil hängt die Zulassungsfreiheit im Wesentlichen von dem Endziel des Grundurteils ab (vgl. Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 144 SGG (Stand: 21.11.2023) Rn. 19, 33; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 9c; BSG vom 6. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B, Rn. 10 f. (zur Untätigkeitsklage); Schreiber in: Fichte/Jüttner, SGG,3. Aufl., § 144 SGG Rn. 10 zur Untätigkeitsklage). Betrifft der Rechtsstreit auf der Grundlage des zu erlassenden Verwaltungsaktes Geld-, Dienst- oder Sachleistungen, die einen Wert von 750,- Euro nicht übersteigen, unterliegt auch die auf ein Grundurteil gerichtete Klage der Berufungsbeschränkung des § 144 SGG.
Die anwaltliche Prozessbevollmächtigte der Kläger hat einen bezifferten Geldbetrag als Klageziel nicht genannt. Allerdings kann ein Anspruch auf Renovierungskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II (vgl. zur Anspruchsgrundlage BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 49/07 R) jedenfalls nicht höher sein als die Aufwendungen tatsächlich waren. Vorliegend hat die Prozessbevollmächtigte einen Kassenbeleg über 460,76 Euro zur Verwaltungsakte eingereicht, der in Höhe von 146,73 Euro Einzelposten ausweist, die Renovierungsmaterialien betreffen. Im Übrigen betrifft der Kassenbeleg Wohnungseinrichtungsgegenstände und einen Soft-Drink. Es ist auch nicht vorgetragen, dass darüber hinausgehende Renovierungsaufwendungen tatsächlich entstanden sind. Da nach erfolgter Renovierung – die Wohnung wurde vor über drei Jahren bezogen – jedenfalls keine höheren als die tatsächlich angefallenen Kosten erstattungsfähig sind, kann die Klage auf der Grundlage des vorgelegten Rechnungsbelegs maximal auf einen Betrag von 146,73 Euro gerichtet sein; dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die bewilligten Leistungen in Höhe von 88,40 Euro abzuziehen wären, wollten die Kläger kein Teilunterliegen in dieser Höhe von Vornherein in Kauf nehmen.
Damit die Berufung zulässig sein sollte, müsste über den bewilligten Betrag von 88,40 Euro hinaus, ein weiterer Betrag von über 750,- Euro streitgegenständlich sein. Selbst wenn man annehmen wollte, dass auch nach über drei Jahren mit dem Betrag von 146,73 Euro für Farben, Tapeten, Kleister und Arbeitsgeräte erst eine Teilrenovierung erfolgt wäre, gibt es keinen Anhalt, dass die Renovierung (Tapezieren von zwei Räumen, im Übrigen Streichen von Decken und Wänden in Küche und Flur) einer 60 qm großen Wohnung einen Materialaufwand von über 838,40 Euro verursachen könnte. Ein Tapeziertisch etwa, der in der Berechnung des Beklagten als Leistungsposten nicht enthalten ist, ist im Versandhandel für unter 40,- Euro zu haben.
Lediglich wenn man den zuletzt am Tag der mündlichen Verhandlung am 6. März 2024 noch einmal wiederholten Vortrag der anwaltlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger beim Wort nähme, dass die Aufwendungen „anhand des cbm Raumes“ (Gerichtsakte Bl. 19, 85) und nicht nach den zu streichenden „qm“ zu berechnen seien („qm ist nicht cbm-Raum“, Gerichtsakte Bl. 2), würde der Berufungswert erreicht. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten vom 8. September 2023 lautet: „Die Renovierungskosten sind in voller Höhe zu gewähren und richtig zu berechnen anhand cbm-Raum etc. und nicht so wie der Odw. es getan hat, dies wird das Gericht nicht anders sehen wollen oder?“ (Gerichtsakte Bl. 63). Nimmt man (großzügig gerechnet) an, dass mit Küche und Flur die Hälfte der Wohnung zu streichen wäre (also 30 Quadratmeter, 30 qm, 30 m2), dann errechnet sich bei einer angenommenen Raumhöhe von 2,40 m ein Volumen von 72 Kubikmetern (72 cbm, 72 m3). Das entspräche 72.000 Liter Farbe. Selbst bei einem sehr günstigen Preis von 3,00 Euro pro Liter Farbe, käme man damit auf ein Klageziel in Höhe von 216.000,- Euro. Die Absurdität eines solchen Begehrens, Räume mit Farbe auszufüllen, liegt auf der Hand und kann es nicht rechtfertigen, ein die Klage als unzulässig abweisendes Urteil, das auf dieses absurde Begehren erlassen wurde, für berufungsfähig zu halten.
Die streitige Summe erreicht damit unter keiner möglichen vernünftigen Betrachtungsweise den nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Wert der Beschwer.
Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr in Streit (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
Das Sozialgericht hat die Berufung auch weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen zugelassen. Es hat die Berufung auch nicht dadurch zugelassen, dass es in der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung die Berufung als gegebenes Rechtsmittel bezeichnet hat. Dies stellt keine Entscheidung über die Zulassung dar, sondern ist eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung. Diese ist für das Landessozialgericht nicht bindend (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2004, B 11 AL 53/03 R, juris Rn. 12). Gerade weil das Sozialgericht mitgeteilt hat, dass es davon ausgehe, dass die Berufung das zulässige Rechtsmittel sei, hat es die Berufung nicht zugelassen, denn bei Zulässigkeit der Berufung kraft Gesetzes scheidet eine Zulassung aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.