L 7 SO 1331/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 265/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1331/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2023 abgeändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 in Höhe von monatlich 1.021,82 Euro (unter Berücksichtigung eines monatlichen Einkommens von lediglich 33,27 Euro) zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.



Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. Juni 2021 an den Kläger streitig.

Der 1990 geborene Kläger leidet an frühkindlichem Autismus, Epilepsie sowie Kleinwuchs bei Dysmorphie-Syndrom unklarer Zuordnung. Daneben besteht ein operativ versorgter Zustand nach Skoliose, eine leichte nichtsprachliche Intelligenzminderung sowie eine schwere sprachliche Intelligenzminderung. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100, ihm sind die Merkzeichen G, H und B zuerkannt. Er ist pflegebedürftig und in Pflegegrad 5 eingestuft. Weiter bestehen Unverträglichkeiten gegen Kuhmilch, Hühnerei und Banane (ärztliches Attest vom 12. März 2020).

Der Kläger wohnte zunächst am Wohnort seiner Eltern in H1 in einer eigenen Wohnung. Zum 2. Juni 2020 zog er in den Wohnverbund K3 der Diakonie in K1. Er wohnt dort in einer besonderen Wohnform nach § 42a Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Hierfür waren im streitigen Zeitraum monatlich 714,92 Euro zu bezahlen (Wohnentgelt [Netto-Kaltmiete] 388,83 Euro, Betriebskostenpauschale/Nebenkosten 326,09 Euro, worin Haushaltsstrom in Höhe von 30,04 Euro enthalten ist. Ausweislich der Bescheinigung des Vermieters beträgt die 125%-Grenze nach § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII 525,00 Euro.

Mit Bescheid vom 22. Juli 2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021. Mit Bescheid vom 24. Juli 2020 hob die Beklagte den Bescheid vom 22. Juli 2020 insgesamt auf und bewilligte dem Kläger Leistungen für den Monat Juli 2020 in Höhe von 589,60 Euro sowie für die Zeit vom 1. August 2020 bis zum 31. Dezember 2020 in Höhe von monatlich 1.044,73 Euro. Hierbei berücksichtigte sie Wohn- und Zusatzkosten in Höhe von 525,00 Euro, einen Regelbedarf von 389,00 Euro, einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 66,13 Euro sowie einen Mehrbedarf Mittagsverpflegung nach § 42b Abs. 2 SGB XII von 64,60 Euro. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Bescheid vom 11. August 2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Eingliederungshilfe für die Versorgung in der besonderen Wohnform Diakonie K3 und für die Versorgung in einer Förder- und Betreuungsgruppe. Hierbei berücksichtigte sie u.a. Aufwendungen für Wohnraum oberhalb der Angemessenheitsgrenze nach § 42a Abs. 6 SGB XII i.V.m. § 113 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) von 6,24 Euro pro Tag, monatlich durchschnittlich 189,80 Euro sowie abzüglich des im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gewährten Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 64,94 Euro pro Monat.

Der Vater des Klägers bezog im streitigen Zeitraum Kindergeld für den Kläger in Höhe von 204,00 Euro monatlich. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2020 lehnte die Deutsche Post AG/Familienkasse den Antrag der Beklagten auf Abzweigung des für den Kläger an dessen Vater gezahlten Kindergeldes ab mit der Begründung, nach den Feststellungen der Familienkasse leiste der Kindergeldberechtigte monatlich durchschnittlich für die Lebensführung seines Kindes erforderliche Aufwendungen von 544,00 Euro (für Fahrten anlässlich von Besuchen, für Urlaubsfahrten, Medikamentenzuzahlungen, Kleidung, Gegenstände des täglichen Bedarfes, Lebensmittel). Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Deutsche Post AG/Familienkasse mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 mit, der Kindergeldberechtigte habe glaubhaft dargestellt, dass der erbrachte Naturalunterhalt und die im Umgang mit dem Kind tatsächlich anfallenden Aufwendungen der Höhe des gezahlten monatlichen Kindergeldes mindestens entsprächen. Auf Anfrage der Beklagten teilten die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 mit, sie hätten monatlich Kosten von 544,00 Euro für den Kläger zu tragen, die weit über das Kindergeld von 204,00 Euro pro Monat hinausgingen. Aufgrund der Epilepsie und dadurch bedingter Enuresis und Enkopresis benötige der Kläger erheblich mehr Kleidung, außerdem müssten Zahlungen für Sehhilfen und Medikamentenzuzahlungen geleistet werden. Zudem entstünden Fahrtkosten für sie zum Besuch des Klägers in der Wohngruppe, Kosten für Urlaubsbegleitung sowie für spezielle Lebensmittel wegen Unverträglichkeiten.

Nach Anhörung des Klägers hob der Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 „die bisherigen Bescheide für den gleichen Zeitraum“ auf und bewilligte dem Kläger für den Monat Dezember 2020 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 794,73 Euro. Hierbei rechnete sie als Einkommen des Klägers Unterhaltszahlungen in Höhe von 250,00 Euro an. Dagegen erhob der Kläger am 9. Dezember 2020 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 in Höhe von monatlich 805,10 Euro unter Anrechnung von Unterhaltszahlungen der Eltern als Einkommen in Höhe von 250,00 Euro. Hiergegen erhob der Kläger am 11. Dezember 2020 Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2021 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 2. Dezember 2020 und 8. Dezember 2020 zurück. Zur Begründung führte sie aus, das Kindergeld stelle einen vorrangigen Anspruch nach § 2 SGB XII dar, welcher grundsätzlich bei der Gewährung von existenzsichernden Leistungen als Einkommen anzurechnen sei. Nach Feststellung der Familienkasse leiste der Kindergeldberechtigte monatlich durchschnittlich für die Lebensführung des Klägers erforderliche Aufwendungen von 544,00 Euro, insbesondere für Fahrten anlässlich von Besuchen, Urlaubsfahrten, Medikamentenzuzahlungen, Kleidung, Gegenständen des täglichen Bedarfs und Lebensmittel. Die vom Kindergeldberechtigten geltend gemachten Aufwendungen würden zum Teil bereits im Rahmen der Hilfegewährung nach dem Vierten Kapitel SGB XII gedeckt. Die vom Kindergeldberechtigten gezahlten Leistungen stellten Einkommen dar, und zwar für Kleidung monatlich 166,67 Euro (jährlich 2.000,00 Euro) und für Lebensmittel monatlich 83,33 Euro (jährlich 1.000,00 Euro). Somit sei ein Einkommen von 250,00 Euro monatlich anzurechnen.

Hiergegen hat der Kläger am 26. Januar 2021 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, der angegriffene Bescheid sei bereits deswegen ermessensfehlerhaft, weil die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB XII nicht einmal in Erwägung gezogen worden sei. Die Zuwendungen seiner Eltern seien erfolgt, weil sein Lebensunterhalt nicht gedeckt gewesen sei.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Zuwendungen an den Kläger seien ihr erst im Rahmen des Abzweigungsantrages bekannt geworden, sodass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorliege.

Mit Urteil vom 25. April 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Monats Dezember 2020 habe die Beklagte mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 die zuvor ergangenen Bewilligungsbescheide vom 22. Juli 2020 und 24. Juli 2020 zum Nachteil des Klägers abgeändert und Einkommen von 250,00 Euro berücksichtigt. Rechtsgrundlage hierfür sei § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Vorliegend hätten die Eltern des Klägers angegeben, an diesen laufende Zuwendungen u.a. für Kleidung und Lebensmittel in Höhe von jährlich 3.000,00 Euro erbracht zu haben, was einem monatlichen Betrag von 250,00 Euro entspreche. Bezüglich des Monats Dezember 2020 seien die Zuwendungen nach Erlass der ursprünglichen Bewilligungsbescheide vom 22. und 24. Juli 2020 und damit nachträglich erbracht worden. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme hätten auch vorgelegen, da die Zuwendungen der Eltern für Kleidung und Lebensmittel ganz oder teilweise aus dem für den Kläger gezahlten Kindergeld erfolgt seien. Entgegen der Auffassung des Klägers habe es sich hierbei auch nicht um fiktive Einnahmen, die ihm tatsächlich nicht zugeflossen wären, gehandelt. Vielmehr habe er Lebensmittel und Kleidung mit einem Gegenwert von monatlich 250,00 Euro erhalten, sodass er geldwerte Zuwendungen in dieser Höhe erhalten habe. Diese seien auch nicht gemäß § 84 Abs. 2 SGB XII außer Acht zu lassen. Die Anrechnung der Zuwendungen stelle insbesondere keine besondere Härte dar, da die Beklagte dem Kläger für diese Bedarfe bereits Leistungen in Form des Regelsatzes erbracht habe. Bei einer Nichtberücksichtigung der Zuwendungen der Eltern an den Kläger würde er im Ergebnis doppelte Leistungen für dieselben Bedarfe beziehen. Auch bestehe kein weiterer Anspruch auf Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung; insbesondere eine Unverträglichkeit gegen Kuhmilch, Hühnerei und Banane begründe für sich genommen keinen Mehrbedarf für eine Ernährung, die kostenaufwändiger als die durchschnittliche Ernährung sei. Hiergegen spreche bereits, dass der Kläger an der gemeinsamen Mittagsverpflegung teilnehme und ihm hierfür ein Mehrbedarf bewilligt worden sei. Auch habe er keinen Anspruch auf Gewährung eines weiteren notwendigen Lebensunterhalts in Form einer Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 1 und 2 SGB XII, da diese Vorschrift auf den Kläger nicht mehr anwendbar sei, da er nicht in einer stationären Einrichtung wohne. Auch bestehe kein Anspruch auf eine abweichende höhere Festsetzung des Regelbedarfs gemäß § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, da ein erhöhter Kleidungsbedarf nicht nachgewiesen sei. Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen sei auch die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2021 rechtmäßig erfolgt.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 3. Mai 2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Mai 2023 beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, einen seit dem Jahr 2020 bestehenden geldwerten Vorteil in Höhe von 250,00 Euro monatlich durch angebliche Zuwendungen seiner Eltern für Kleidung und Ernährung gebe es nicht. Diese Annahme beruhe ausschließlich auf den inhaltlich nicht näher spezifizierten Äußerungen seiner Eltern im Zusammenhang mit dem Abzweigungsantrag der Beklagten bei der Kindergeldkasse. Er halte sich trotz Bezugs der Wohngruppe in K2 für vier bis sechs Wochen im Jahr zu Hause bei seinen Eltern auf. Hierfür hielten die Eltern ein eigenes Zimmer für ihn vor, da er aufgrund seines Autismus die gewohnte Umgebung benötige. Von Juli 2020 bis Dezember 2021 habe er sich vom 23. bis 25. Oktober 2020, 23. Dezember bis 26. Dezember 2020, 30. September 2021 bis 4. Oktober 2021 und 28. Dezember 2021 bis 1. Januar 2022 im Haushalt seiner Eltern aufgehalten. Während der Familienheimfahrten bestehe auch ein weiterer Unterkunftsbedarf, der im Rahmen des § 42a Abs. 3 Nr. 1 SGB XII im Rahmen der temporären Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen sei. Während eines Krankenhausaufenthaltes vom 1. Juli 2021 bis 3. Juli 2021 sei er von seiner Mutter begleitet worden. Zudem werde er regelmäßig in zweiwöchigem Rhythmus von seinen Eltern in K1 besucht bei einfacher Entfernung von 130 km, wobei sie wegen ihrer eigenen Behinderungen immer auf die Hilfe einer Assistenzkraft angewiesen seien. Im Dezember 2020 hätten zwei Besuche, in der Zeit von Januar bis Juni 2021 neun Besuche stattgefunden. Hierbei seien den Eltern erhebliche Kosten entstanden.
Die Ausgaben der Eltern für Fahrten von H1 nach K2 und zurück hätten keinerlei Einfluss auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Nachdem von Anfang an geplant gewesen sei, dass er sich auch weiterhin regelmäßig im Haushalt der Eltern in H1 aufhalte, sei der Wohnsitz in der besonderen Wohnform mit Bekleidung ausgestattet worden. Zudem sei es bei ihm wegen einer Medikamentenumstellung im Jahr 2020 zu einer erheblichen Gewichtszunahme mit Änderung der Kleidergröße gekommen, weshalb Mitte 2020 die Anschaffung einer komplett neuen Bekleidungsausstattung erforderlich gewesen sei. Aufgrund der Waschzyklen in der besonderen Wohnform sei zudem eine umfängliche Bekleidungsausstattung erforderlich geworden. Auch wegen Enuresis und Enkopresis müsse die Kleidung häufiger gewechselt und gewaschen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 2. Dezember 2020 und vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. Juni 2021 Leistungen nach dem SGB XII ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie trägt vor, die geltend gemachten Fahrtkosten für Heimfahrten des Klägers bzw. Besuchsfahrten der Eltern zum Kläger stellten keinen Bedarf für eine Regelsatzerhöhung nach § 27a Abs. 4 SGB XII dar. Die Fahrtkosten könnten grundsätzlich über Leistungen der Eingliederungshilfe ausgeglichen und somit anderweitig gedeckt werden. Gemäß § 115 SGB IX sei die Gewährung einer Besuchsbeihilfe über Leistungen der Eingliederungshilfe möglich, die jedoch kein Bestandteil der Leistungen nach dem SGB XII sei und bei Bewilligung keinerlei Auswirkungen auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII hätten. Bisher seien keine Besuchsbeihilfen beantragt oder Kosten für Familienheimfahrten geltend gemacht worden. Bezüglich der Bekleidungsausstattung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt und seinen Wohnsitz in der Diakonie K3 habe. Nicht ausschlaggebend sei, dass er auch eine volle Ausstattung an Kleidung im Haushalt seiner Eltern vorhalten wolle. Darüber hinaus sei der Kauf von Bekleidung über einen längeren Zeitraum erfolgt. Auch ein Bedarf für Kosten der Unterkunft während der Familienheimfahrten bestehe nicht, da dieser nach § 42a Abs. 3 Nr. 1 SGB XII ein Zusammenleben (mit mindestens einem Elternteil) voraussetze. Von einem Zusammenleben sei dann auszugehen, wenn der Leistungsberechtigte an den Haushalt der nahen Angehörigen angebunden sei und ein Familienleben in weitem Sinne geführt werde. Entscheidend sei ferner, dass keine eigenständige Haushaltsführung neben oder unabhängig vom Haushalt der Verwandten stattfinde. Vorliegend habe der Kläger aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der besonderen Wohnform begründet. Überdies spreche gegen das Vorliegen einer zeitweisen (oder temporären) Bedarfsgemeinschaft, dass sich der Kläger nicht mit gewisser Regelmäßigkeit bei seinen Eltern aufhalte.

Im Erörterungstermin vom 9. November 2023 hat die Bevollmächtigte des Klägers vorgetragen, dem Kläger seien von seinen Eltern nur Sachleistungen zugewendet worden, im Wesentlichen Leistungen für die Bekleidung.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat weiter vorgetragen, die Eltern des Klägers besuchten diesen durchschnittlich an zwei Tagen im Monat für einen halben Tag. Selbst wenn hier jedes Mal Lebensmittel mitgebracht würden, würde dies lediglich den Bedarf von 2/30 der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Nahrungsmittel und Getränke decken. Der Kläger selbst bereite sich keine Mahlzeiten, sondern nehme an der gemeinschaftlichen Verpflegung in der besonderen Wohnform teil. Zudem seien die Ausgaben für die Bekleidung in zeitlichem Zusammenhang mit dem Einzug in die Diakonie K1 aufgrund der Gewichtszunahme erfolgt. Wegen der Dauer des Wäschekreislaufs in der besonderen Wohnform sei auch eine größere Anzahl von Wäschestücken benötigt worden. Letztlich habe es sich um eine zeitlich auf wenige Monate beschränkte Bedarfsspitze gehandelt. Die Angaben der Eltern gegenüber der Familienkasse stellten deshalb eine Momentaufnahme im Sommer und Herbst 2020 dar.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch teilweise begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 2. Dezember 2020, mit dem die Beklagte den Bescheid vom 24. Juli 2020 für den Monat Dezember 2020 aufgehoben und Leistungen in Höhe von lediglich 794,73 Euro bewilligt hat, sowie der Bescheid vom 8. Dezember 2020, mit dem die Beklagte Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 in Höhe von monatlich 805,10 Euro bewilligt hat, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG). Bezüglich des Bescheids vom 2. Dezember 2020 hat der Kläger nicht lediglich eine Anfechtungsklage erhoben, da er höhere als mit dem Bescheid vom 24. Juli 2020 bewilligte Leistungen geltend macht.

1. Die Klage gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021 ist begründet, soweit Leistungen in der bisher bewilligten Höhe geltend gemacht werden.

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 24. Juli 2020 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) haben nicht vorgelegen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Der Bescheid vom 24. Juli 2020 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, da er ein auf die Dauer des Bewilligungszeitraums angelegtes Rechtsverhältnis begründet und eine laufende Leistung betrifft, die wiederholt gezahlt wird, gleichartig ist und auf demselben Rechtsgrund beruht.

Es ist jedoch nach dem Erlass des Bescheides am 24. Juli 2020 keine wesentliche Änderung eingetreten. Zwar stellt die Erzielung von Einkommen bei bedürftigkeitsabhängigen Leistungen eine wesentliche Änderung dar. Allerdings hat der Kläger die von der Beklagten als Einkommen zugrunde gelegten Leistungen nicht erst nach Erlass des Bescheides, sondern laufend auch schon zuvor erhalten. Hinsichtlich der Bekleidung folgt dies aus den vorgelegten Rechnungen, die bereits seit Juni 2020 Bekleidungskäufe umfasst haben. Hinsichtlich der Lebensmittel folgt dies daraus, dass die Versorgung des Klägers mit Nahrungsmitteln durch die Eltern nicht erst mit dessen Umzug nach K1 aufgenommen wurde, sondern - in eher noch größerem Umfang - bereits in der Zeit erfolgte, als er noch in H1 wohnte. Soweit das SG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, die Zuwendungen im Monat Dezember 2020 seien nach Erlass des Bewilligungsbescheids und damit nachträglich erbracht worden, folgt daraus nur, dass - unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beklagten - die Bewilligung weiterhin rechtswidrig gewesen wäre. Maßgeblich für die Aufhebung nach § 48 SGB X sind jedoch nicht die Verhältnisse während des Bewilligungszeitraums, sondern bei Erlass des Verwaltungsakts. Ist ein Verwaltungsakt bereits bei Erlass rechtswidrig, kann er nicht nach § 48 SGB X, sondern nur nach § 45 SGB X aufgehoben werden.

Die Aufhebung kann auch nicht auf § 45 SGB X gestützt werden. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Einer Rücknahme nach § 45 SGB X steht bereits entgegen, dass die Beklagte die dafür erforderliche Ermessensentscheidung nicht getroffen hat, diese auch nicht mehr nachgeholt werden kann und keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 20. Januar 2021 - B 13 R 13/19 R - juris Rdnr. 34; vgl.
zur auch innerhalb des § 45 SGB X gegenüber der Vertrauensschutzprüfung eigenständigen Funktion der Ermessensausübung Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rdnr.102 m.w.N.; Steinwedel in Kasseler Komm, § 45 SGB X Rdnr. 53, Stand September 2020).

Damit stehen dem Kläger Leistungen in der mit Bescheid vom 24. Juli 2020 bewilligten Höhe zu.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, soweit der Kläger für Dezember 2020 höhere als mit Bescheid vom 24. Juli 2020 bewilligte Leistungen in Form einer Regelsatzerhöhung nach § 27a Abs. 4 SGB XII geltend macht. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen Bezug genommen, die auch für den Zeitraum Dezember 2020 gelten.

2. Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet, soweit sie sich gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2021 richtet.

Die Beklagte hatte den Bescheid vom 22. Juli 2020, mit dem Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 bewilligt worden waren, mit Bescheid vom 24. Juli 2020 aufgehoben und nur noch Leistungen für die Zeit bis zum 31. Dezember 2020 bewilligt. Nachdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist, lag für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 lediglich die mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2020 erfolgte Leistungsbewilligung vor.

3. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 SGB XII. Er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, hat das 18. Lebensjahr vollendet und ist unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage aufgrund seiner Erkrankung an Epilepsie und Autismus voll erwerbsgemindert (§ 41 Abs. 3 SGB XII).

4. Die Bedarfe nach dem Vierten Kapitel SGB XII - soweit sie vorliegend in Betracht kommen - umfassen gem. § 42 SGB XII
die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28,
die zusätzlichen Bedarfe nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels sowie Bedarfe nach § 42b,
die Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach dem Dritten Abschnitt des Dritten Kapitels sowie
Bedarfe für Unterkunft und Heizung
a) für Leistungsberechtigte außerhalb von Einrichtungen nach § 42a.

a) Zutreffend berücksichtigt ist der Regelbedarf des in einer besonderen Wohnform wohnenden Klägers nach Regelbedarfsstufe 2 von Januar 2021 bis Juni 2021 in Höhe von monatlich 401,00 Euro.

aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine - höhere - abweichende Festsetzung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 SGB XII. Danach wird im Einzelfall der Regelsatz abweichend von der maßgeblichen Regelbedarfsstufe festgesetzt (abweichende Regelsatzfestsetzung), wenn ein durch die Regelbedarfe abgedeckter Bedarf nicht nur einmalig, sondern für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat 1. nachweisbar vollständig oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder 2. unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt, wie sie sich nach den bei der Ermittlung der Regelbedarfe zugrundeliegenden durchschnittlichen Verbrauchsausgaben ergeben, und die dadurch bedingten Mehraufwendungen begründbar nicht anderweitig ausgeglichen werden können. Ein zusätzlicher Bedarf ist danach ausgeschlossen, wenn es sich um einmalige oder um absehbar kurzfristige Bedarfe handelt (Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 27a Rdnr. 46).

Insbesondere besteht kein dauerhaft erhöhter Bedarf für die Beschaffung von Kleidung. Soweit der Kläger hierzu vorgetragen hat, wegen der Enuresis und Enkopresis sei ein häufigerer Kleidungswechsel erforderlich, bedingt dies lediglich häufigere Waschzyklen. Da die Wäsche des Klägers jedoch in der Diakonie K3 gewaschen wird, entstehen ihm selbst hierdurch keine zusätzlichen Aufwendungen. Erforderlich ist auch keine laufende Anschaffung von weiterer Bekleidung, ausreichend ist vielmehr eine einmalige Anschaffung für den erhöhten Bedarf. Gleiches gilt, soweit der Kläger vorgetragen hat, aufgrund einer Medikamentenumstellung und einer dadurch bedingten Gewichtszunahme habe er seine gesamte Bekleidung ersetzen müssen, zumal dies nach seinen Angaben bereits im Sommer 2020 und damit nicht im streitigen Zeitraum der Fall war.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf höhere Festsetzung des Regelbedarfs wegen höherer Mobilitätskosten. Soweit Fahrtkosten der Eltern zum Besuch des Klägers geltend gemacht werden, handelt es sich schon nicht um einen Anspruch des Klägers, sondern der Eltern. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, steht einer Berücksichtigung bei einer abweichenden Regelsatzfestsetzung zudem entgegen, dass diese Aufwendungen anderweitig gedeckt werden können, da Fahrtkosten grundsätzlich als Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Besuchsbeihilfen nach § 115 SGB IX gewährt werden können.

bb) Es kommt auch keine abweichende - niedrigere - Festsetzung des Regelbedarfs aufgrund der Zuwendungen der Eltern in Betracht. Der Anwendungsbereich von § 27a Abs. 4 SGB XII ist nach der Rechtsprechung des BSG nur eröffnet, wenn die anderweitige Bedarfsdeckung ebenfalls durch Leistungen nach dem SGB XII erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R - juris Rdnr. 36). Eine Berücksichtigung als Einkommen scheidet dann nämlich schon deshalb aus, weil nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen nach dem SGB XII von dem Einkommensbegriff ausdrücklich ausgenommen sind. Dies ist der maßgebende Gesichtspunkt für die Abgrenzung beider Vorschriften. Der Anwendungsbereich von § 27a Abs. 4 SGB XII (bzw. der vorherigen Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F.) ist deshalb zur Vermeidung von Doppelleistungen nur dann eröffnet, wenn es bei der Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt - etwa als Teil der Eingliederungshilfeleistung - zu Überschneidungen mit den durch den Regelsatz nach § 27a SGB XII pauschal abgegoltenen tatsächlichen Bedarfen kommt. Denn einer solchen Überschneidung kann nicht im Rahmen der Einkommensberücksichtigung, sondern allein durch eine Minderung des Bedarfs nach § 27a Abs. 4 SGB XII begegnet werden, soweit die Voraussetzungen dieser Vorschrift für eine Absenkung des Regelsatzes vorliegen. In anderen Fällen, in denen die Leistung nicht (institutionell) als Sozialhilfe erbracht wird, ist im Rahmen der normativen Abgrenzung eine Berücksichtigung als Einkommen im Sinne von § 82 SGB XII zu prüfen; Einkommen mindert also im Sinne der gesetzlichen Regelung nicht bereits den Bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R - juris Rdnr. 36; Gutzler in jurisPK-SGB XII, Stand 19. Februar 2021, § 27a Rdnr. 92; a.A. Falterbaum in Hauck/Noftz, § 27a SGB XII Rdnr. 64). Damit kommt im vorliegenden Verfahren eine abweichende Bedarfsfestsetzung wegen der Zuwendungen der Eltern nicht in Betracht.

b) Materiell-rechtliche Rechtsgrundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs des Klägers bezüglich der Unterkunftskosten ist § 35 Abs. 1 SGB XII. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

aa) Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zutreffend als Bedarf des Klägers für Unterkunft und Heizung die Wohn- und Zusatzkosten unter Berücksichtigung der Angemessenheitsgrenze für die besondere Wohnform nach § 42a Abs. 5 Satz 4 SGB XII in Höhe von monatlich 525,00 Euro berücksichtigt. Das Gesamtentgelt für die Wohnung beträgt zwar monatlich 714,92 Euro (vgl. Mietbescheinigung vom 21. Juli 2020), der Differenzbetrag von monatlich 189,80 Euro wird jedoch im Rahmen der Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 113 Abs. 5 SGB IX übernommen und direkt an die Diakonie K3 überwiesen.

bb) Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Kosten der Unterkunft während seiner Aufenthalte bei seinen Eltern in H1. Bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen werden diese Aufwendungen grundsätzlich nach Kopfteilen auf die Nutzer aufgeteilt (sogenanntes Kopfteilprinzip). Das Kopfteilprinzip zielt auf die generalisierende und typisierende Zuweisung individueller Bedarfe für alle wohnungsnutzenden Personen aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, unabhängig von ihren schuldrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten und davon, ob alle Personen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind sowie unabhängig von Alter und Nutzungsintensität (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 - B 14 AS 35/19 R - juris Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - juris; BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 - B 4 AS 67/12 R - juris Rdnr. 18 m.w.N.).

Wann von einer gemeinsamen Wohnungsnutzung durch mehrere Personen auszugehen ist, ist aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse im Rahmen einer die tatsächliche Lebenssituation nachvollziehenden Betrachtung in jedem Einzelfall zu beurteilen. Gegen eine temporäre Bedarfsgemeinschaft spricht vorliegend die Dauer und Häufigkeit der Besuche des Klägers bei seinen Eltern. So hielt er sich im streitigen Zeitraum nicht bei seinen Eltern auf. Weiter zu berücksichtigen ist, dass der Kläger in der Diakonie K3 über ein eigenes Zimmer verfügt und dort keine Schließzeiten bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 - B 14 AS 35/19 R - juris Rdnr. 18). Bei den Aufenthalten des Klägers bei seinen Eltern handelt es sich deshalb um reine Besuchszeiten, die keinen grundsicherungsrechtlichen Unterkunftsbedarf begründen.

c) Beim Bedarf des Klägers ist weiter zu berücksichtigen der Mehrbedarf wegen der Feststellung des Merkzeichens G nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 17 vom Hundert der maßgeblichen Regelbedarfsstufe, somit von Januar 2021 bis Juni 2021 monatlich 68,17 Euro, den die Beklagte in die Bedarfsberechnung eingestellt hat. Anhaltspunkte für einen hiervon abweichenden Bedarf sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

d) Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Danach wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn der Ernährungsbedarf des Leistungsberechtigten aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (§ 30 Abs. 5 Satz 1 SGB XII). Die beim Kläger vorliegenden Allergien gegen Kuhmilch, Hühnerei und Banane bedingen keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Wie D1, Gesundheitsamt des R1, im Schreiben vom 24. April 2020 vielmehr zutreffend ausgeführt hat, können die Unverträglichkeiten durch das Weglassen der nicht vertragenen Lebensmittel behoben werden. Zudem nimmt der Kläger ausweislich der Bescheinigung der H2 Werkstätten vom 1. Juli 2020 an fünf Tagen in der Woche am gemeinschaftlichen Mittagessen im Förder- und Betreuungsbereich der H2 Werkstätten teil, wofür ihm ein Mehrbedarf Mittagsverpflegung nach § 42b Abs. 2 SGB XII bewilligt ist, so dass ihm insoweit auch keine weiteren Kosten entstehen.

e) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Bekleidungspauschale nach § 27b Abs. 2 und 4 SGB XII. Ein Anspruch hierauf setzt nämlich den Aufenthalt in einer stationären Einrichtung voraus. Der Wohnverbund Diakonie K3, wo der Kläger wohnt, ist keine stationäre Einrichtung in diesem Sinne, vielmehr handelt es sich um eine besondere Wohnform im Sinne von § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Der Bedarf des Klägers ist deshalb nach § 27a SGB XII zu bemessen, § 27b SGB XII findet keine Anwendung.

5. Der Anspruch des Klägers ist gem. § 43 Abs. 1 SGB XII um das nach den §§ 82 bis 84 SGB XII zu berücksichtigende Einkommen und nach §§ 90, 91 SGB XII zu berücksichtigende Vermögen zu mindern. Der Kläger verfügt nicht über zu berücksichtigendes Vermögen.

Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert.

a) Das für den Kläger gezahlte Kindergeld ist kein Einkommen des Klägers, sondern Einkommen des Vaters. Grundsätzlich ist Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen desjenigen, an den es als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigten ausgezahlt wird (BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 6/06 R - juris Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 8/06 R - juris Rdnr. 22; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 28/04 - NJW 2005, 2873 f.). Davon gehen nicht zuletzt auch inzident die von diesem Grundsatz abweichenden ausdrücklichen Zuordnungsregelungen des § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII - jetzt § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII - (vgl. BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 8/06 R - juris Rdnr. 22) und des § 11 Abs. 1 Satz 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) aus (vgl. dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 3 Rdnr. 25 und SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 Rdnr. 33 f.). Auszahlungsempfänger ist vorliegend der Vater des Klägers.

Das Kindergeld ist auch nicht gem. § 82 Abs. 1 Satz 4 SGB XII in der ab dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung dem Kläger als Einkommen zuzurechnen. Danach ist bei Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird. Die Zurechnungsregel gilt bereits nach dem Wortlaut nicht für volljährige oder außerhalb der Haushaltsgemeinschaft lebende Kinder; es bleibt damit Einkommen des Berechtigten (Geiger in LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 82 Rdnr. 72; vgl. auch Bundesfinanzhof <BFH>, Beschluss vom 5. Juni 2014 - VI R 14/12 - juris Rdnr. 35 zu einem Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers auf nachträglich festgesetztes Kindergeld bei vorheriger Leistung von HLU an das Kind). § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist damit im Wege der teleologischen Reduktion als Zurechnungsregel zu verstehen, die nur dann Anwendung findet, wenn das minderjährige Kind und der Kindergeldberechtigte eine Einstandsgemeinschaft bilden, vergleichbar § 11 Abs.1 Satz 3 SGB II, wo die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft allerdings ausdrücklich erwähnt ist. Dies ergibt auch insofern Sinn, als § 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII lediglich die Zurechnung und damit die normative Verteilung erzielten Einkommens betrifft, ohne die Einkommensqualität oder den Zufluss des Kindergeldes selbst regeln zu wollen. Dabei ging es dem Gesetzgeber nicht um eine dem grundsicherungsrechtlichen Faktizitätsgedanken zuwiderlaufende fiktive Berücksichtigung tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens. Hintergrund ist vielmehr die Vermutung, dass das den Eltern zufließende Kindergeld in einer familiären Gemeinschaft, die ihren Gesamtbedarf aus Einkommen und Vermögen nicht vollständig decken kann und deshalb - im familiären Sinne - eine Notgemeinschaft bildet, tatsächlich auch den Kindern zur Deckung ihres Bedarfs zu Gute kommt (BSG, Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R - juris Rn. 20 zu § 11 SGB II; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Dezember 2016 - L 2 SO 5358/15 - juris Rdnr. 36 f.). Da der Kläger in einer besonderen Wohnform und nicht bei seinen Eltern lebt, verbleibt es damit beim Kindergeld als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils.

Als eigenes Einkommen wird dem Kind das Kindergeld in dem Fall nur angerechnet, soweit es ihm vom bezugsberechtigten Elternteil durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt tatsächlich und zeitnah weitergegeben wird (Senatsurteil vom 23. November 2006 - L 7 SO 2073/06 - juris) und ohne die Weiterleitung die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes durch Verwaltungsakt zugunsten des Kindes unter den Voraussetzungen des § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG) vorliegen würden (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 23/06 R - juris Rdnr. 14; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 82 Rdnr. 45).

Für eine Weiterleitung des Kindergelds oder zumindest eines Teils davon an den Kläger liegen keine Anhaltspunkte vor, so dass dieses auch nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist.

b) Darüber hinaus ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger von seinen Eltern auch Naturalleistungen erhält. Der weite Einkommensbegriff legt es zwar nahe, Leistungen, die zur Befriedigung des Unterhaltsbedarfs eines Leistungsberechtigten erbracht werden, grundsätzlich zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 5/06 R - juris Rdnr. 28). Naturalleistungen der Eltern können als Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen sein, wenn sie Geldwert haben und zum Zweck des Unterhalts gewährt werden (Schlette, a.a.O., § 82 Rdnr. 19). Eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt durch die Eltern des Klägers besteht zwar nicht, da ihr jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) jeweils nicht mehr als 100 000 Euro (Jahreseinkommensgrenze) beträgt (§ 94 Abs. 1a Satz 1 SGB XII). Die von den Eltern des Klägers erbrachten Naturalleistungen sind jedoch als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie nicht aus eigenem Einkommen des Klägers bestritten werden und darüber hinaus eindeutig abgrenzbar in Geld oder Geldeswert erfolgen (BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b SO 5/06 R - juris Rdnr. 30).

Hierbei ist vorliegend nicht auf die Werte der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) zurückzugreifen. Nach § 2 Abs. 1 VO zu § 82 SGB XII werden Sachbezüge aufgrund der für die Sozialversicherung zuletzt festgesetzten Werte der Sachbezüge bewertet, die sich seit dem 1. Januar 2007 in der SvEV finden (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV); soweit der Wert der Sachbezüge nicht festgesetzt ist, sind der Bewertung die üblichen Mittelpreise des Verbrauchsortes zu Grunde zu legen (Schlette, a.a.O., § 82 Rdnr. 20). Denn § 2 VO zu § 82 SGB XII und die in Bezug genommene SvEV sind erkennbar auf die Bewertung von Sachbezügen aus nichtselbständiger Tätigkeit ausgerichtet. Folglich ist § 2 VO nur anwendbar, wenn es sich um Sachbezüge handelt, die im Zusammenhang mit einer derartigen nichtselbständigen Tätigkeit stehen (BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R - juris; Schlette, a.a.O., § 82 Rdnr. 60a).

Als Einkommen zu berücksichtigen sind Naturalleistungen deshalb nur insoweit, als sie den Bedarf des Klägers in der jeweiligen Abteilung decken. Denn durch die Naturalleistung kann nur dieser konkrete Bedarf gedeckt werden, eine Übertragung auf den Bedarf in anderen Abteilungen ist - anders als bei Geldleistungen - nicht möglich.

Insoweit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Bedarf des Klägers für Leistungen der Abteilung 3 - Bekleidung und Schuhe - durch Zuwendungen der Eltern vollständig gedeckt ist. Im Schreiben vom 29. Oktober 2020 haben die Eltern einen Betrag von 2.000,00 Euro genannt, den sie im Jahr 2020 für die Kleidung des Klägers aufgewandt haben. Auch wenn hierbei zu berücksichtigen ist, dass im Rahmen des Umzugs in die Diakonie K3 und wegen der Gewichtszunahme aufgrund einer Medikamentenumstellung ein nur zeitweiliger höherer Bekleidungsbedarf bestand und deshalb im streitigen Zeitraum ein geringerer Bekleidungsbedarf gegeben war, kann dem Schreiben entnommen werden, dass die Eltern des Klägers die Kosten für dessen Bekleidung vollständig tragen. Hierfür sind im Jahr 2021 für die Regelbedarfsstufe 2 monatlich 33,27 Euro anzusetzen (vgl. Schwabe, Einzelbeträge aus den Regelbedarfsstufen ab 1.1.2021: Leistungsfälle nach dem SGB II, dem SGB XII und nach § 2 AsylbLG, ZfF 2021, S. 9).

Eine Deckung des Bedarfs des Klägers durch Leistungen der Eltern in anderen Abteilungen ist zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Im Schreiben vom 24. Juli 2020 hat die Mutter des Klägers zwar mitgeteilt, während ihrer Besuche und der Ausflüge würden die Kosten für Assistenz und Verpflegung von den Eltern übernommen. Zudem werde der Kläger an Freizeitangeboten und Reisen teilnehmen, die von ihnen - den Eltern - finanziert würden, da der Kläger ja über kein Einkommen verfüge. Hierfür sind im Jahr 2021 in der Abteilung 7 - Verkehr -  Aufwendungen für Verkehrsdienstleistungen in der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 35,96 Euro (vgl. Schwabe, a.a.O. S. 17) und in der Abteilung 11 - Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen - für auswärtige Verpflegung in Regelbedarfsstufe 2 ein Betrag von monatlich 10,47 Euro angesetzt (vgl. Schwabe, a.a.O., S. 23). Unzutreffend ist zwar die Angabe der Mutter, der Kläger verfüge nicht über eigenes Einkommen. Denn ihm ist - auch im streitigen Zeitraum - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wenn auch in gekürzter Höhe, erbracht worden, die nicht insgesamt an die Diakonie K3 zu zahlen war. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger neben den Ausflügen mit seinen Eltern auch noch weitere - von der Diakonie K3 oder sonstigen Anbietern angebotene - Freizeitangebote in Anspruch nehmen kann und ihm hierfür Kosten entstehen bzw. diese von den Zahlungen des Klägers an die Einrichtung finanziert werden, so dass ein entsprechend geringerer Bedarf des Klägers bzw. eine Deckung dieser Bedarfe durch die von den Eltern erbrachten Leistungen nicht nachgewiesen ist.

Auch eine Ersparnis des Klägers für die in Abteilung 1 - Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren - aufgeführten Aufwendungen ist nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger von seinen Eltern auch Zuwendungen für Ernährung erhalten. Allerdings hat er dadurch - während seines Aufenthalts in der Diakonie K3 - keine Aufwendungen erspart, da er die Kosten für Verpflegung weiterhin tragen musste. Eine Ersparnis während des Aufenthalts im Haushalt der Eltern kann gleichfalls nicht angenommen werden. Im streitigen Zeitraum hat sich der Kläger nicht im Haushalt der Eltern aufgehalten, so dass in dieser Zeit auch keine Ersparnisse gegenüber der Diakonie K3 eingetreten sind.

Als Einkommen des Klägers sind deshalb lediglich die Zuwendungen der Eltern in Höhe von monatlich 33,27 Euro zu berücksichtigen.

Unbeachtlich hierbei ist, dass zu den Unterhaltsleistungen für ein in einer Einrichtung untergebrachtes Kind auch die Zurverfügungstellung eines Zimmers in der Wohnung des Kindergeldberechtigten gehört und die Kosten hierfür bei der Abzweigung des Kindergeldes zu berücksichtigen sind (BFH, Urteil vom 27. Mai 2020 - III R 58/18 - juris Rdnr. 14). Denn vorliegend ist nicht darüber zu entscheiden, in welcher Höhe das an den Vater des Klägers gezahlte Kindergeld an die Beklagte abgezweigt werden kann. Maßgeblich ist vielmehr, in welcher Höhe der Kläger Zuwendungen von seinen Eltern erhält, die seinen grundsicherungsrechtlichen Bedarf decken. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob diese Zuwendungen durch das Kindergeld finanziert werden oder durch sonstiges Einkommen oder Vermögen der Eltern. Maßgeblich sind vielmehr allein die tatsächlich erbrachten Zuwendungen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

7. Gründe für die Zulassung der Berufung (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG) liegen nicht vor. 



 

Rechtskraft
Aus
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