Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 6. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge des dem Grunde nach anerkannten Arbeitsunfalls vom 7. August 2015, bei dem ein Flüchtling an ihrem Arbeitsplatz in der Flüchtlingsunterkunft übergriffig geworden ist.
Sie ist 1962 geboren und hat nach der mittleren Reife den Beruf der Staatlichen Hauswirtschafterin mit Abschluss erlernt. Zuletzt war sie als Sachbearbeiterin (Schwerbehindertenvertreterin) im Landratsamt mit einer 50 %-Prozent-Stelle tätig. Nach Krankschreibung ab Januar 2020 und Aussteuerung bezieht sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Das Erwerbsminderungsrentenverfahren (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg – L 13 R 2638/22) ist noch nicht abgeschlossen.
Die Klägerin war zweimal verheiratet, aus der ersten Ehe ist eine Ende 2021 verstorbene Tochter hervorgegangen, aus der zweiten Ehe drei weitere Kinder, die alle volljährig sind. Seit 2006 ist die Klägerin geschieden und bewohnt alleine ein Haus mit Garten, das noch mit Schulden belastet ist (vgl. Anamnese E1).
In der Unfallanzeige vom 23. September 2015 wurde angegeben, dass ein Flüchtling am 7. August 2015 versucht habe, sich gewaltsam Zutritt zu den Büroräumen des Verwaltungsgebäudes der Gemeinschaftsunterkunft zu verschaffen. Dabei sei er tätlich gegen S1 geworden. Sie – die Klägerin – habe sich seitlich neben S1 befunden und sei mitbetroffen gewesen. S2 habe versucht, die Person draußen zu halten. Der Flüchtling habe Gewalt angewendet, um die Tür einzuschlagen. Aufgrund dessen sei die Polizei gerufen worden, die den Täter aber nicht mitgenommen habe.
Das Landratsamt O1 leitete den von der Klägerin gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) zunächst zur Prüfung an die Beklagte weiter, da sich der Vorfall in Ausübung der Berufstätigkeit der Klägerin ereignet habe.
Vorgelegt wurde neben dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse (AOK) der Befundbericht des S3. Dieser legte dar, die Klägerin in den letzten drei Jahren nur selten behandelt zu haben. Die wesentlichen Informationen ergäben sich aus dem Befundbericht zum Rehabilitationsantrag und dem Rehabilitationsentlassungsbericht.
In dem benannten Befundbericht wurden eine bereits in den Vorjahren bestehende rezidivierende Erschöpfungsdepression, eine chronische Erschöpfung, fehlende Belastbarkeit und Schlafstörungen beschrieben. Am 7. August 2015 sei es zu einem Zwischenfall mit einem aggressiv-impulsiven, offenbar psychisch kranken Flüchtling gekommen. Anfang 2014 seien einige Termine wegen Belastungen am Arbeitsplatz und Erschöpfung wahrgenommen worden.
Der Entlassungsbericht der L1 über die stationäre Rehabilitation vom 4. November bis 9. Dezember 2015 beschrieb als Diagnosen eine PTBS ohne langfristige Funktionseinschränkungen, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert ohne langfristige Funktionseinschränkung, und eine arterielle Hypertonie.
Während des Aufenthalts seien keine langfristigen quantitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit deutlich geworden. Die Klägerin habe in vollem Umfang am therapeutischen Programm teilnehmen können. Sie sei vollschichtig arbeits- und leistungsfähig für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Zuweisungsdiagnosen seien Belastungsreaktion sowie rezidivierende Depressionen gewesen.
Die Klägerin berichte über einen Zwischenfall an ihrem Arbeitsplatz, dieses Ereignis habe bei ihr ein Gefühl von Hilflosigkeit ausgelöst. Schon seit längerem fühle sie sich erschöpft und minderbelastbar. Körperlich leide sie unter einer raschen Erschöpfbarkeit und ausgeprägten Müdigkeit. Sie habe kürzlich eine Diagnostik im Schlaflabor gehabt, wobei eine nicht behandlungsbedürftige leichte Schlafapnoe festgestellt worden sei.
Vor dem Hintergrund vor allem privater Belastungen wie zwei Scheidungen, hoher Verantwortung als Alleinerziehende, Hausbau und massiven gesundheitlichen Problemen eines Kindes sei es in der Vergangenheit immer wieder zu ausgeprägten Erschöpfungszuständen und rezidivierenden depressiven Episoden gekommen. Der bedrohliche Zwischenfall am Arbeitsplatz habe dann zu einer psychischen Dekompensation geführt. Aus Angst vor existenzgefährdenden beruflichen Konsequenzen sei sie nach circa drei Wochen im Sommer 2015 trotz zunehmenden Überforderungserlebens weiter zur Arbeit gegangen.
Die Klägerin beschreibe, mit der gegenwärtigen Wohnsituation unzufrieden zu sein, um ihre finanziellen Umstände mache sie sich Sorgen. Eine feste Partnerschaft bestehe aktuell nicht. Mit ihren gegenwärtigen Beziehungen zu anderen Menschen sei sie zu zufrieden. Sie habe enge Freunde, zu denen regelmäßiger Kontakt bestehe. Sie sei vielseitig interessiert und habe viele Hobbys. Die Teilhabe sei in der Gesamtschau als nicht wesentlich beeinträchtigt anzusehen.
Zum Erstgespräch sei die Klägerin pünktlich und gepflegt gekleidet erschienen. Sie sei angespannt, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert. Die Kontaktaufnahme sei freundlich und offen erfolgt, in der Problemschilderung habe sich eine Neigung zu Ausschweifungen gezeigt. Die Stimmung sei angespannt und nicht merklich gedrückt, bei erhaltener affektiver Schwingungsfähigkeit. Der Antrieb sei gesteigert, Auffassung, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Gedächtnis seien unauffällig. Es gebe keine Anhaltspunkte für formale Denkstörungen.
Die aktuellen Beschwerden seien im Kontext mit besonderen psychischen Belastungen durch ein erlittenes Trauma zu sehen. Aufgrund der wahrgenommenen Nicht-Kontrollierbarkeit des Ereignisses sowie im Verlauf überfordernder Anstrengungen, die seelische Verletzung zu kompensieren, komme es zu einer Zunahme der selbstkritischen Betrachtung der eigenen Person.
Schwierigkeiten bei der Integration in das stationäre Setting hätten nicht bestanden, an den Maßnahmen habe die Klägerin regelmäßig und motiviert teilgenommen. Diagnostisch sei die Problematik im Rahmen einer PTBS und einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert, ohne langfristige Funktionseinschränkungen zu sehen. Die im Vordergrund der Behandlung stehende Belastungsstörung habe sich im Zusammenhang mit einem traumatisierenden Zwischenfall am Arbeitsplatz entwickelt. Die bereits bei Aufnahme bestehende Arbeitsfähigkeit sei weiter gegeben. Die Aufnahme einer traumaspezifischen ambulanten Psychotherapie werde empfohlen.
Die Beklagte leitete das Psychotherapeutenverfahren ein und gewährte fünf probatorische Sitzungen. S4 gab den Behandlungsauftrag zurück, teilte aber mit, regelmäßige Gespräche wegen der Diagnosen PTBS und leichte depressive Episode mit der Klägerin durchzuführen.
Der B1 beschrieb eine PTBS und eine depressive Störung ausgelöst durch einen Übergriff am Arbeitsplatz.
Auf die Anfrage der Beklagte teilte S4 mit, dass die diagnostizierten Störungsbilder durch den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt würden. Eine Kostenzusage der AOK liege vor. Wegen eines körperlichen Übergriffs durch einen Flüchtling an ihrem Arbeitsplatz in der Gemeinschaftsunterkunft habe sich die Klägerin mit einem Kollegen im Zimmer verbarrikadieren müssen. Dadurch sei es zu einem Erlebnis mit einem Gefühl von Kontrollverlust, Handlungsunfähigkeit und Ausgeliefertsein gekommen. Während eines Rehabilitationsaufenthaltes seien bei der Klägerin nachts durch die von innen versperrte Zimmertür Traumainhalte reaktiviert worden. Fluchtimpulse und Panikgefühle seien aufgekommen.
Es seien Symptome einer PTBS aufgetreten. Die Klägerin habe an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr arbeiten können. Eine Fluchtmöglichkeit müsse vorhanden sein, geschlossene Räume seien gemieden worden. Es sei zu sozialem Rückzug, einer vegetativen Übererregung mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Flashbacks gekommen. Ein Leistungsabfall sei festzustellen, weshalb die Tätigkeit auf halbtags reduziert worden sei.
Die Besserung der Depression habe eine psychische Stabilisierung bewirkt. Die Symptomatik der PTBS bestehe weiter. Eine Traumaexposition sei bei ausreichender Stabilisierung vorgesehen. Auf Nachfrage wurde mitgeteilt, dass sich der Vorfall in der Rehabilitationsklinik M1 am 20. August 2019 ereignet habe. Im Zeitraum von 2015 bis 2019 habe keine Beschwerdefreiheit bestanden, stationäre oder ambulante Krankenbehandlung sei keine in Anspruch genommen worden. Die Belastbarkeit sei stark beeinträchtigt. Sämtliche Symptome stünden im Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis.
Im Abschlussbericht der Frauen- und Mutterkurklinik W1 über die stationäre Behandlung vom 14. August bis 4. September 2019 wurde dargelegt, dass die angesichts der bestehenden Symptomatik möglichen Anwendungen gut vertragen wurden. Von den Angeboten zur Entspannung und im psychosozialen Bereich habe die Klägerin profitieren können. Bei Entlassung habe eine positiv motivierte Stimmungslage bestanden.
Vom 7. bis 29. Oktober 2020 wurde in der Klinik A1 eine weitere stationäre Rehabilitation durchgeführt. Die Entlassung sei arbeitsunfähig erfolgt aufgrund der weiterbestehenden ausgeprägten Symptomatik der PTBS, die trotz ambulanter psychotherapeutischer Maßnahmen während des letztes Jahres nicht ausreichend habe gebessert werden können.
Die Klägerin habe angegeben, dass ihre Beschwerden durch einen körperlichen Angriff eines Flüchtlings ausgelöst worden seien. Sie sei von September 2019 bis dato in ambulanter Psychotherapie aufgrund einer PTBS mit darauffolgender Depression. Seit Januar 2020 bestehe Arbeitsunfähigkeit, ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente sei gestellt. Bis 2017 habe sie Vollzeit gearbeitet, dann auf 50 % reduziert.
Psychisch sei die Klägerin bei Aufnahme im Kontakt offen und interessiert gewesen. Der Blickkontakt sei gehalten worden, Mimik und Gestik seien wenig ausgeprägt. Sie sei bewusstseinsklar und in allen Qualitäten sicher orientiert. Gedächtnis und Konzentration würden subjektiv als beeinträchtigt erlebt, wesentliche Einschränkungen hätten sich nicht gezeigt. Das formale Denken sei geordnet, es bestehe eine Neigung zum Grübeln bezogen auf die traumatische Thematik. Im Affekt wirke sie vom Vitalgefühl stark beeinträchtigt, deprimiert. Die Stimmung sei zum depressiven Pol verschoben, die Schwingungsfähigkeit nicht beeinträchtigt.
Bei Entlassung sei die Symptomatik im Wesentlich unverändert gewesen. Als ein positives Ergebnis seien die erlangten Kenntnisse über die Entstehung und den Verlauf der PTBS-Symptomatik sowie eine angedeutet verstärkte Selbstwirksamkeit zu sehen.
Der H1 führte beratungsärztlich aus, dass sich die Klägerin schon 2008 stationär im Ostalbklinikum A2 wegen einer schweren depressiven Episode und im selben Jahr wegen einer depressiven Episode in der Klinik K1 befunden habe. 2010 sei eine Behandlung wegen depressiver Störung erfolgt, ebenso 2012.
Aus den Schilderungen zu dem belastenden Ereignis vom 7. August 2015 ergebe sich, dass der Arbeitskollege –S2 – eine Auseinandersetzung mit dem Flüchtling gehabt habe. Die Klägerin selbst sei offensichtlich nicht unmittelbar betroffen gewesen. Die L1 habe keine langfristigen Funktionseinschränkungen gesehen. Die Vorstellung beim S4 sei erst 2019, und damit vier Jahre später, erfolgt. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis ergäben sich keine Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen einer seelischen Störung. Die Ausführungen des Psychologen, die sich auf eine PTBS bezögen, seien daher unzutreffend. Psychotherapie erfolge erst seit 24. September 2019. Für die Zeit von 2015 bis 2019 lägen keine ärztlichen oder psychologischen Befundberichte vor.
Von einer relevanten PTBS könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, da es an Brückensymptomen zwischen 2015 und 2019 fehle. Außerdem stelle sich die Frage nach dem A-Kriterium. Eine präzise Beschreibung des Vorfalls vom 7. August 2015 fehle. Nach der Unfallanzeige solle der Flüchtling gegenüber dem Kollegen tätlich geworden sein. Die Klägerin habe sich nur seitlich neben diesem befunden. Sie sei also nicht unmittelbar betroffen gewesen. Im Leistungsverzeichnis der Krankenkasse würden eine Fülle von seelischen Störungen ab 2008 beschrieben, die bereits zur Arbeitsunfähigkeit und zu stationären Aufenthalten geführt hätten, und zwar vor dem strittigen Ereignis.
Es könne nach einem ganz offensichtlich, jedenfalls objektiv symptomfreien Intervall von vier Jahren keine relevante PTBS geltend gemacht werden, zumal das A-Kriterium als nicht ausreichend erfüllt anzusehen sei. Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet lägen keine vor, eine PTBS sei nicht überzeugend belegt. Unfallunabhängig bestünden seit Jahren rezidivierende depressive Störungen, mittelgradiger und auch schwerer Ausprägung mit Erschöpfungszuständen, fehlender Belastbarkeit und Schlafstörungen. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergäbe sich nicht.
Die Arbeitsunfähigkeit vom 25. August bis 28. August 2015 könne mit einer unfallbedingten Anpassungsstörung begründet werden. B1 habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen Sehstörungen ausgestellt, die nicht unfallbedingt seien. Die L1 habe Arbeitsfähigkeit festgestellt und die Klägerin sei in diesem Berufsbereich weiter tätig gewesen. Die empfohlene Psychotherapie sei eindeutig wegen der lange zurückliegenden psychischen Vorerkrankungen erforderlich, jedoch nicht wegen des Vorfalls vom 7. August 2015.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2021 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 7. August 2015 als Arbeitsunfall an. Wesentliche Folge des Arbeitsunfalls sei eine vorübergehende Anpassungsstörung. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt würden vorbestehende rezidivierende depressive Störungen, mittelgradiger und auch schwerer Ausprägung mit Erschöpfungszuständen, fehlender Belastbarkeit und Schlafstörungen. Die Behandlung der anerkannten Unfallfolgen werde bis einschließlich 28. August 2015 bezahlt.
Im Widerspruchsverfahren wurde der Befundbericht des S4 vorgelegt. Die Klägerin stehe seit 24. September 2019 in seiner Behandlung. Die erste Therapiephase sei hauptsächlich durch die depressive Symptomatik der Klägerin gekennzeichnet, die Bewältigung der aktuellen Lebenssituation sei wesentlicher Therapieinhalt gewesen. Nach einer anfänglichen Verbesserung der Symptomatik habe sich die Depression zwischenzeitlich wieder stärker manifestiert. Die Zuspitzung der depressiven Symptomatik habe eine Traumakonfrontation bisher verhindert. Durch die weiterbestehende Depression sei das Funktionsniveau noch schwer beeinträchtigt. Die täglichen Besorgungen gelängen nur unter hoher Anstrengung.
Der B1 legte dar, dass im Vordergrund die Beschwerden von Seiten der PTBS sowie der depressiven Erkrankung stünden. Die Klägerin sei weiterhin arbeitsunfähig, im Rahmen der letzten Rehabilitation sei ein unter dreistündiges Leistungsvermögen festgestellt worden. Er habe der Klägerin zum Widerspruch hinsichtlich der Ablehnung des Rentenantrags geraten.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2021 zurück. Aus den vorgelegten Berichten ergäben sich keine neuen Informationen oder Aspekte, die geeignet wären, die Ausführungen des H1 in Frage zu stellen. Eine PTBS liege schon deshalb nicht vor, da das A-Kriterium nicht erfüllt sei. S4 habe mitgeteilt, dass die Behandlung vom Leistungskatalog der Krankenversicherung umfasst werde. Die Befundberichte bestätigten im Übrigen seit 2008 bestehende Vorerkrankungen. Für die Zeit zwischen 2015 und 2019 lägen keine ärztlichen oder psychologischen Befundberichte vor. Geeignete Brückensymptome seien damit nicht belegt. Durch das Ereignis könnten sich die vorbestehenden Erkrankungen kurzzeitig verschlimmert haben, sodass eine vorübergehende Anpassungsstörung als Unfallfolge anerkannt worden sei.
Am 16. Juli 2021 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht U1 (SG) erhoben und geltend gemacht, dass ihr Kollege an dem Tag den Flüchtling vor die Tür gesetzt habe. Der Flüchtling habe von außen gegen die Tür gehauen und an der Klinke gerissen. Plötzlich sei die Tür aus dem Schloss gerissen gewesen. Sie und ihr Kollege hätten versucht, die Tür an der Klinke zu halten und zu schließen. Der Flüchtling sei stärker gewesen, habe sich wie ein wildes Tier benommen und mit den Fäusten auf den Kollegen und sie eingeprügelt. Die Schläge hätten sie auf den Kopf, ins Gesicht, auf die Oberarme und im Brustbereich getroffen. Als die Polizei endlich da gewesen sei, sei der Flüchtling in Gewahrsam genommen worden. Ihr Kollege sei nach dem Vorfall sofort heimgegangen. Sie habe noch weitergearbeitet und sei, wie immer freitags, gegen 14.30 Uhr nach Hause gegangen. Sie sei von ihrer Hausärztin drei Wochen krankgeschrieben worden. Im September und Oktober 2015 habe sie regulär gearbeitet. Zum 1. Juli 2017 habe sie die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung mit einer 50 % Stelle übernommen. Am 27. Januar 2020 habe sie wohl eine zerebrale transistorische Ischämie (TIA) erlitten, sie habe zuerst nicht aufstehen, dann nicht laufen und sich mehrere Tage nicht selbst versorgen können. Die danach erfolgte Krankschreibung habe bis zur Aussteuerung auf den 15. Juli 2021 angedauert. Seitdem beziehe sie Arbeitslosengeld wegen Beendigung der Arbeitsstelle. Nach dem letzten Rehabilitationsentlassungsbericht sei sie nur noch unter drei Stunden leistungsfähig.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass nicht das Fehlen der Beschreibung des Hergangs moniert worden sei, sondern, dass die Schilderungen nicht geeignet seien, das A-Kriterium zu erfüllen. Der jetzige Bericht, wonach es zu Schlägen gegen die Klägerin gekommen sei, könne nicht nachvollzogen werden, nachdem bislang andere Angaben gemacht worden seien. Aber auch ausgehend hiervon liege keine PTBS vor.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG das im Verfahren S 14 R 1123/21 – betreffend die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung – erhobene Sachverständigengutachten des E1 beigezogen und darauf hingewiesen, dass auch dieser keine PTBS diagnostiziert habe.
Gegenüber E1 hat die Klägerin in der gutachterlichen Untersuchung vom 17. Dezember 2021 angegeben, dass sie vor zwei Jahren eine TIA erlitten habe. Auf die Frage nach den Ausfallerscheinungen habe sie erklärt, die linke Körperseite sei wenige Minuten kraftlos und taub gewesen, gleichzeitig habe sie nicht mehr richtig reden können. Genau dies habe sie auch anderntags bei Aufnahme in der Rehabilitationsklinik berichtet. Dort habe man einen erhöhten Blutdruck festgestellt und sie einem Kardiologen vorgestellt. Eine bildgebende Untersuchung des Gehirns oder eine neurologische Untersuchung seien seinerzeit nicht erfolgt.
Seit dem Angriff 2015 sei sie in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei S3 gewesen, der letztes Jahr seine Praxis aufgegeben habe. Bei diesem sei sie einmal monatlich gewesen, er habe ihr Antidepressiva verordnet, die geholfen hätten. Nach etwa einem Jahr seien diese aber wieder abgesetzt worden. Seit September 2019 gehe sie einmal die Woche zur Psychotherapie.
2015 sei sie von einem Migranten tätlich attackiert worden. Er habe sie geschlagen und sie habe multiple Prellungen erlitten. Nach drei Wochen sei sie wieder an ihrem Arbeitsplatz erschienen. Nach einem Aufenthalt im Müttergenesungswerk habe sie noch bis 20. Januar 2020 gearbeitet. Seitdem sei sie krankgeschrieben, seit 15. Juli 2021 ausgesteuert und beziehe jetzt Leistungen vom Jobcenter.
Mit der Klägerin habe ein tragfähiger interpersonaler Kontakt hergestellt werden können. Sie habe auf die Fragen in flüssigem Sprachduktus ohne Probleme in der Wortwahl, jedoch nicht immer auf die jeweilige Frage bezogen, geantwortet. Der Blickkontakt sei gehalten worden, eine Reduktion des Stimmvolumens nicht eingetreten. Sie sei bewusstseinsklar wie allseits orientiert gewesen. Aufmerksamkeit und Konzentration hätten nicht nachgelassen. Die Stimmung sei zum Untersuchungszeitpunkt gedrückt, jedoch nicht tiefgehend depressiv verstimmt. Der Affekt sei auslenkbar. Zu heiteren Gemütsregungen sei es nicht gekommen, was normalpsychologisch aufgrund der aktuell bestehenden Trauer um die Tochter nachvollziehbar sei.
Ob die Diagnosekriterien einer PTBS seinerzeit erfüllt gewesen seien, müsse dahingestellt bleiben. In funktioneller Hinsicht sei dies lediglich insoweit bedeutsam, als die Diagnose in der Regel wesentliche Auswirkungen auf die Krankheitsverarbeitung habe, häufig in Gestalt einer Symptomfixierung. Die Klägerin habe spontan angegeben, bis zum Jahr 2015 gesund gewesen zu sein, wobei ihr Leben bis zu diesem Zeitpunkt der Anamnese zufolge keinesfalls ohne Belastungen gewesen sei.
Im psychopathologischen Befund habe zwar eine gedrückte Stimmung imponiert, die aber im Zusammenhang mit dem kürzlichen Tod der Tochter zu sehen sei. Die Klägerin habe sich im Gespräch durchaus entschieden und affektiv auslenkbar gezeigt. Anders als die Rehabilitationsklinik I1 beschreibe, hätten keine Beeinträchtigungen kommunikativer Kompetenzen bestanden und keine solchen der Selbstbehauptungsfähigkeit. Derzeit werde nur ein Lavendel-Präparat eingenommen, die Wiederaufnahme einer antidepressiven Behandlung lasse eine Besserung des Befindens erwarten.
Die Gegenüberstellung des evidenten psychopathologischen Befundes und des Ergebnisses des Selbstbeurteilungsfragebogens zeige eine Inkonsistenz. Wenn wirklich schwerste Angst- und Depressionssymptome bestünden, wie nach dem Ergebnis des Fragebogens, sei eine stationär-psychiatrische Behandlung indiziert und der Einsatz eines pflanzlichen Lavendelpräparates in keiner Weise ausreichend. Bei der Untersuchung hätten sich zudem Anhaltspunkte für eine nur begrenzte Bereitschaft zur Mitarbeit gezeigt. Diagnostisch sei von einer Angst und Depression, gemischt, auszugehen. Sortier- und Kontrolltätigkeiten, eventuell auch eine leichte Verkaufstätigkeit seien mindestens sechs Stunden täglich möglich.
Am 6. März 2023 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Verletztenrente. Hierzu teilte die Beklagte mit, dass eine Entscheidung wegen des laufenden Klageverfahrens nicht ergehen könne.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2023 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit Fahrt- und Parkkosten beansprucht würden, da die Beklagte nur über Unfallfolgen und die Gewährung von Heilbehandlung entschieden habe. Eine Entscheidung über Reisekosten liegt nicht vor. Die Feststellung einer PTBS als weitere Unfallfolge könne nicht beansprucht werden, da eine solche weder zeitnah noch aktuell nachgewiesen sei. Dies ergebe sich sowohl aus der beratungsärztlichen Stellungnahme des H1 wie auch aus dem Sachverständigengutachten des E1.
Am 8. November 2023 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie sei am 7. August 2015 von einem Migranten tätlich angegriffen worden und leide seitdem an erheblichen psychischen Gesundheitsstörungen. Kurz nach dem Ereignis sei eine stationäre Rehabilitation erfolgt, die Krankenkasse habe ebenfalls eine Akutbehandlung genehmigt. S4 habe bestätigt, dass im Zeitraum von 2015 bis 2019 keine Beschwerdefreiheit bestanden habe.
Weiter hat sie Kopien der im Parallelverfahren S 8 VG 2247/22 gegen das Land Baden-Württemberg wegen der Gewährung von Leistungen nach dem OEG erhobenen sachverständigen Zeugenauskünften des S4 und des B1 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 6. Oktober 2023 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr unter Abänderung des Bescheides vom 13. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2021 als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 7. August 2015 eine Posttraumatische Belastungsstörung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass sich im Verfahren nach dem Schwerbehindertenrecht (L 6 SB 3938/21) nach Beiziehung der Rentenakte S 14 R 1123/21 eine PBTS gerade nicht habe bestätigen lassen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der genannten Entscheidung des Senats ist nicht erfolgt, sondern das Verfahren als solches von der Klägerin in Abrede gestellt worden.
Aus der Verfahrensakte S 14 R 1123/21 nebst Verwaltungsakte hat sich unter anderem das neurologisch-psychiatrische Gutachten für die gesetzliche Unfallversicherung des H2 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 15. Februar 2021 ergeben.
H2 hat ausgeführt, dass im Entlassungsbericht über die stationäre Rehabilitation zum allgemeinen psychischen Befund eine nicht beeinträchtigte affektive Schwingungsfähigkeit vermerkt worden sei. Die Entlassmedikation benenne bei Bedarf das Schmerzmittel Ibuprofen sowie das gegen Ängstlichkeit und Unruhe wirksame Lavendel-Präparat Lasea. Ein Antidepressivum werde nicht aufgeführt. Neurologisch habe sich das Gangbild leicht humpelnd, aber nicht typisch neurologisch verändert gezeigt. Psychisch habe eine anhaltend lebhafte Mimik bestanden, Fragen seien prompt und mit kräftiger Stimme beantwortet worden. Es habe ein schneller Redefluss und ein hohes Mitteilungsbedürfnis bestanden, phasenweise habe die Klägerin beidseits lebhaft gestikuliert. Das Kommunikationsverhalten sei vital. Sie sei bewusstseinsklar, örtlich, zeitlich und zur Person voll orientiert, bei formal geordnetem Gedankengang. Anhaltspunkte für ein höhergradiges hirnorganisches Psychosyndrom bestünden nicht, sie sei klagsam und mache sich Zukunftssorgen. Die Grundstimmung sei nicht mittelschwer und nicht schwer depressiv, affektive Schwingungsfähigkeit, Antrieb und Psychomotorik hätten sich unauffällig dargestellt, es habe eine Aggravation bei der körperlichen Untersuchung hinsichtlich der Angabe von Merkfähigkeitsstörungen bestanden. Die früher auswärts diagnostizierte PTBS sei ohne Relevanz für das Leistungsvermögen, es habe sich der Hinweis auf eine Anpassungsstörung ergeben. Die Klägerin gehe nicht in neurologische oder psychiatrische Behandlung, Antidepressiva nähme sie nicht ein, solche seien auch nicht notwendig. Nach dem berichteten Übergriff durch einen geldfordernden Flüchtling 2015 sei die Klägerin in stationärer Rehabilitation gewesen und aus dieser mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen entlassen worden. Im weiteren Verlauf habe sie weitergearbeitet, ihre Tätigkeit hin zu einer freigestellten Personalrätin gewechselt und ihre Arbeitszeit reduziert. Der Verlauf weise darauf hin, dass die früher beschriebene PTBS ohne Relevanz für das Leistungsvermögen sei. Im Übrigen seien die Angaben der Klägerin zu dem Vorfall selbst mit dem Eingangskriterium einer PTBS nicht in Einklang zu bringen. Bei der Schilderung des Sachverhaltes habe sie nicht beeinträchtigt gewirkt, sodass sich die Diagnose als nicht gerechtfertigt erweise. Bei angegebenem Schlaganfall 2020 sei keine Bildgebung veranlasst, sondern lediglich eine Blutdruckbehandlung begonnen worden. Die Klägerin habe berichtet, selbst mit dem Auto der Tochter in die Kur gefahren zu sein, was sich mit einem Schlaganfall nicht vereinbaren lasse, da ein solcher zu einer Fahruntauglichkeit von mindestens drei Monaten führe.
Es bestünden ausgeprägte, nicht authentische Beschwerdeschilderungen und Verhaltensweisen. Dies werde an der Anamneseerhebung deutlich und habe sich durch den strukturierten Fragebogen simulierter Symptome bestätigt. Die Erwerbsfähigkeit sei nicht erheblich gemindert oder gefährdet, das Leistungsvermögen auf sechs Stunden und mehr einzuschätzen. Der Entlassungsbericht der Klinik A1 sei weder nachvollziehbar noch schlüssig, die therapeutischen Möglichkeiten seien nicht ausreichend genutzt.
Die Klage im Verfahren S 8 VG 2247/22 ist abgewiesen worden (Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2023), das Berufungsverfahren beim Senat anhängig (L 6 VG 219/24).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 6. Oktober 2023, soweit damit die kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) auf Feststellung einer PTBS als Unfallfolge unter Abänderung des Bescheides vom 13. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheides (§ 95 SGG) vom 23. Juni 2021 abgewiesen worden ist. Soweit die Klägerin beim SG noch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Gewährung von Fahrt- und Parkkosten erhoben hat, hat sie hieran im Berufungsverfahren nicht festgehalten, sodass der Gerichtsbescheid insoweit rechtskräftig geworden ist. Es kann daher dahinstehen, dass das SG zu Recht ausgeführt hat, dass die Klage in Ermangelung einer Verwaltungsentscheidung insoweit unzulässig gewesen ist.
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 13. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz SGG). Auch zur Überzeugung des Senats hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, eine PBTS als weitere Unfallfolge festzustellen. Der Senat nimmt nach eigener Prüfung auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug und schließt sich diesen an (§ 153 Abs. 2 SGG).
Anspruchsgrundlage für den Feststellungsanspruch des Versicherten und Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des feststellenden Verwaltungsaktes für den Unfallversicherungsträger ist § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach wird in den Fällen des § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV die Entscheidung über einen Anspruch auf Leistung schriftlich erlassen. Sie stellt nicht nur das Schriftformerfordernis auf, sondern enthält zudem die Erklärung, dass der Unfallversicherungsträger über einen Anspruch auf Leistungen selbst entscheiden darf. Die Ermächtigungsnorm ist zugleich Anspruchsgrundlage für den Versicherten, da die Vorschrift nicht nur dem öffentlichen Interesse dienen soll, sondern auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater. Ermächtigung und Anspruchsgrundlage erfassen nicht nur die abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch, sondern ausnahmsweise auch die einzelner Anspruchselemente. Hierzu gehört zuerst der Versicherungsfall. Durch ihn wird ein Gesundheitserstschaden (eine Gesundheitsbeeinträchtigung) einer bestimmten versicherten Tätigkeit und dadurch zum einen dem Versicherten zugerechnet, der (nur) unfallversichert ist, wenn und solange er eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Zum anderen wird der Gesundheitserstschaden einem bestimmten Unfallversicherungsträger zugerechnet, dessen Verbandszuständigkeit für diesen Versicherungsfall und alle gegenwärtig und zukünftig aus ihm entstehenden Rechte dadurch begründet wird. Es entsteht also mit der Erfüllung des Tatbestandes eines Versicherungsfalls ein als Rechtsverhältnis feststellbares Leistungsrechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Träger als Inbegriff aller aus dem Versicherungsfall entstandenen und möglicherweise noch entstehenden Ansprüche. Zweitens gehören zu den abstrakt feststellbaren Anspruchselementen die (sog. unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die wesentlich (und deshalb zurechenbar) spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden. Drittens zählen hierzu auch die (sog. mittelbaren) Unfallfolgen im weiteren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die nicht wesentlich durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden, aber diesem oder einem (behaupteten) Unfallereignis aufgrund einer besonderen gesetzlichen Zurechnungsnorm zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 – B 2 U 17/10 R –, juris, Rz. 15 ff.).
Auf der ersten Stufe setzt die Zurechnung voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit)verursacht wurde. Für Einbußen der Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine (Wirk-)Ursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht einzustehen. (Wirk-)Ursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt der Zurechnung die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolgs gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele („conditio-sine-qua-non“). In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne dieser "Conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolgs war, darüber hinaus zunächst in einer besonderen tatsächlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss (Wirk-)Ursache des Erfolgs gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 - B 2 U 19/11 R -, BSGE 112, 177 <183 f.>). Ob die versicherte Verrichtung eine (Wirk-)Ursache für die festgestellte Einwirkung und dadurch für den Gesundheitserstschaden – oder den Tod – war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen, gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten, beantwortet werden (BSGE 177 <184>). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der (Wirk-)Ursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Wirkung, also vorliegend die Einwirkung, rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der Wesentlichkeit der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Verrichtung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Einwirkung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der (Wirk-)Ursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzweckes der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (BSG, a. a. O.).
Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geht es nicht um die Zurechnung eines Erfolgs zu einer verursachenden Person, sondern um die Begründung einer versicherungsrechtlichen Einstandspflicht einer Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für einen tatbestandlichen Schaden, den ein anderes Rechtssubjekt, die oder der Verletzte, unter eigener Mitwirkung erlitten hat. Diese Einstandspflicht setzt voraus, dass die Rechtsgutsverletzung in persönlicher und sachlicher Hinsicht in den jeweiligen Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Der persönliche Schutzbereich ist eröffnet, wenn, solange und soweit die Verletzten vor dem Unfall durch eine eigene Verrichtung den Tatbestand einer aufgrund der §§ 2, 3, 6 oder auch 8 Abs. 2 SGB VII versicherten Tätigkeit erfüllt und dadurch den Versicherungsschutz bei der für diesen Tatbestand zuständigen Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung begründet im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Der sachliche Schutzbereich greift ein, wenn sich mit dem durch die versicherte Verrichtung mitverursachten tatbestandlichen Schaden eine Gefahr verwirklicht hat, gegen die der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Für Schäden, die außerhalb des Schutzzweckes der Norm liegen, muss die jeweils zuständige Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung nicht einstehen. In der Sache läuft diese Voraussetzung der Einstandspflicht darauf hinaus, dass entschieden werden muss, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen. Deshalb wirkt der Schutzzweck der Norm in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht haftungslimitierend, sondern pflichtbegründend (BSGE 177 <185>). Der Schutzzweck der jeweils begründeten Versicherung ist nach den anerkannten juristischen Methoden unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber festgelegten Sinnes und Zweckes des Gesetzes zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 -, BVerfGE 128, 193 <206, 210 f.> m. w. N.). Dabei kann der historischen Auslegung besonderes Gewicht zukommen. Im Wege der Subsumtion eines konkreten Lebenssachverhaltes unter den durch Auslegung nach den juristisch anerkannten Methoden bestimmten Schutzbereich der jeweils begründeten Versicherung ist daher festzustellen, ob die versicherte Verrichtung ein Risiko verwirklicht hat, das unter diesen Schutzbereich fällt (vgl. BSGE 177 <185 f.>).
Die Einstandspflicht einer Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung wird nur begründet, wenn der durch die versicherte Verrichtung objektiv mitverursachte Unfall, vorliegend die Einwirkung auf den Kläger, eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen welche die begründete Versicherung schützen soll. Diese Voraussetzung wird zumeist erfüllt sein, bedarf aber stets der Entscheidung. Denn nur wenn der Schutzzweck der Norm den durch die versicherte Handlung mitbewirkten Schaden überhaupt umgreift, kommt es rechtlich darauf an, ob neben der versicherten (Wirk-)Ursache auch andere unversicherte Mitursachen bestehen. Diese können die Einstandspflicht nie begründen, aber gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten (Wirk-)Ursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte (Wirk-)Ursache verdrängen, so dass der Schaden im Wesentlichen rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt (vgl. BSGE 177 <186>). Bei dieser Subsumtion sind die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten (Wirk-)Ursachen und ihre Mitwirkungsanteile in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzweckes des Versicherungstatbestandes zu bewerten. Unter Berücksichtigung der Auffassung des praktischen Lebens ist abzuwägen, ob der Schaden den versicherten oder den unversicherten (Wirk-)Ursachen zuzurechnen ist (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.).
Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid – für den Senat bindend (§ 77 SGG) – das Vorliegen eines Arbeitsunfalls am 7. August 2015 durch das aggressive Verhalten des Heimbewohners sowie eine Anpassungsstörung als Unfallfolge anerkannt.
Eine PTBS hat die Beklagte hingegen zutreffend nicht als Unfallfolge festgestellt, da eine solche auch zur Überzeugung des Senats nicht vorliegt.
Die Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, hat sich nach der Rechtsprechung des BSG und dem folgend des Senats (vgl. Senatsurteile vom 27. August 2015 – L 6 VS 4569/14 –, juris, Rz. 34 und vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 58 ff.) an den gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der ICD-10 und des DSM-5 zu orientieren. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG SozR 4-2700 § 200 Nr. 3).
Beide Diagnosesysteme setzen ein sogenanntes Eingangskriterium voraus, also ob das vorgegebene Ereignis nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand geeignet ist, eine PTBS hervorzurufen, ferner syndromale Kriterien wie Vermeidungsverhalten (vgl. dazu Widder, Die neuen Diagnosekriterien nach DSM-5 und ICD-11 bei der Begutachtung psychischer Schädigungsfolgen, MedSach 2020, S. 102, 103 f.).
Nach ICD-10 F43.1 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis zu sechs Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Das neue ab 1. Januar 2022 in Kraft getretene, aber in Deutschland noch nicht zur vertragsärztlichen Behandlung freigegebene Diagnosesystem ICD-11 hat die PTBS bei inhaltlich unveränderter Beschreibung insofern konkreter gefasst, als das Traumakriterium nun extrem bedrohlicher oder entsetzlicher Art sein muss. Das Symptommuster umfasst das Wiedererleben in der Gegenwart (Ereignisse werden sinnlich als noch einmal im Hier und Jetzt geschehend erfahren) durch Albträume, die Vermeidung (Erinnerungsanlässe, die wahrscheinlich zu einem Wiedererleben der traumatischen Ereignisse führen) und die Überregung (erhöhte Wachsamkeit oder gesteigerte Schreckreaktion durch die subjektive Wahrnehmung einer anhaltenden Bedrohung). Somit sind unspezifische Symptome wie Schlafstörungen etc. nicht mehr typische Symptome einer PTBS. Die Verursachung erheblicher Beeinträchtigungen wird in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen gefordert (ICD-11 6B40).
Nach DSM-5 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der PTBS ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis besteht in erster Linie in dem direkten persönlichen Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit auch sexueller Art zu tun hat (Kriterium A1). Daneben wird aber auch der Augenzeuge, weiter das indirekte erfahren, dass ein naher Verwandter oder ein Freund einem traumatischen Ereignis ausgesetzt war oder die Konfrontation mit Details von traumatischen Ereignissen (z. B. als Ersthelfer, Polizist), eventuell auch als Konfrontation durch elektronische Medien für ausreichend erachtet (Kriterium A2 bis 4). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss ein Wiedererleben sein (Kriterium B1), dass sich entweder/und in wiederkehrenden Erinnerungen, traumatischen Albträumen, dissoziativen Reaktionen (z. B. Flashbacks), intensivem oder langanhaltendem Stress wie markante physiologischen Reaktionen äußert. Charakteristische Symptome (Kriterium C1) sind die andauernde Vermeidung von traumaassoziierten Reizen, Gedanken oder Gefühle, aber auch externer Art (z. B. Menschen, Orte, Unterhaltungen, Tätigkeiten, Objekte oder Situationen). Daneben besteht eine negative Veränderung von Gedanken und Stimmung (Kriterium D1 bis 7). Der Betroffene ist entweder/und unfähig, sich an wichtige Merkmale des traumatischen Erlebnisses zu erinnern (dissoziative Amnesie) leidet an Schuld-, Scham-, Angst-und Wutgefühlen, vermindertem Interesse an wichtigen Tätigkeiten, dem Gefühl, anderen fremd zu sein, wie der Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden. Weiter muss eine Veränderung des Erregungsniveaus und der Reaktivität (Hyperarousal) vorliegen (Kriterium E1 bis 6). Das Störungsbild, das nicht Folge von Medikamenten, Substanzeinnahme oder anderen Krankheiten sein darf (Ausschlusskriterium G), muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium F) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium G).
Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten PTBS (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen PTBS (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der PTBS mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer PTBS beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.
Die nach den beiden Klassifikationssystemen notwendigen Kriterien bzw. dafür erforderlichen Unterkriterien müssen im Vollbeweis feststehen, um die Diagnose einer PTBS stellen zu können. Hinsichtlich der medizinischen Voraussetzungen (Kriterien B bis D, ggfs. E und F) bezieht sich diese Anforderung auf den aktuellen Gesundheitszustand des Geschädigten.
Insbesondere, wenn die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht bereits unmittelbar nach dem Ende der Traumatisierung auftreten oder seitdem ununterbrochen bestehen, es also an Brückensymptomen fehlt, muss die Zusammenhangfrage besonders sorgfältig geprüft werden und ist nur anhand eindeutiger objektiver Befunde zu bejahen, was sich auch aus Anforderungen der früheren Anhaltspunkte (AHP) ergibt. Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang ist erst dann zu stellen, wenn die Diagnose positiv feststeht (vgl. BSG, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – B 9 VH 3/09 B –, Rz. 14, juris; Beschluss vom 16. Februar 2012 – B 9 V 17/11 B –, Rz. 16, juris).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wie der Senat bereits im Parallelverfahren der Klägerin (L 6 SB 3938/21) entschieden hat. In der dortigen Entscheidung ist ausgeführt:
„Soweit die behandelnden Ärzte eine PTBS diskutieren und hieraus relevante Funktionseinschränkungen ableiten wollen, hat H2 überzeugend herausgearbeitet, dass die Klägerin nach dem Übergriff durch den Asylbewerber sich in einer stationären Rehabilitation befunden hat und aus dieser mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen entlassen worden ist. Danach hat sie ihr berufliches Tätigkeitsfeld gewechselt und war als freigestellte Personalrätin tätig, wobei sie sich wohl auch mit der Beratung hinsichtlich Schwerbehinderung beschäftigt hat, wie H2 anamnestisch erhoben hat. Weiter hat er eine hinreichende Schwere des Ereignisses zur Auslösung einer PTBS verneint und in medizinischer Hinsicht beschrieben, dass sich während der Untersuchung keine psychopathologische Beeinträchtigung der Klägerin zeigte, sodass er das für die Diagnose einer PTBS erforderliche Vermeidungsverhalten schlüssig verneint hat. Korrespondierend hierzu haben der S4 und die Heilpraktikerin H3 bei ihren erst deutlich nach dem Ereignis aufgenommenen Behandlungen jeweils keine PTBS im Vollbild bestätigt, wobei es sich ohnehin nicht um ärztliche Befunde handelt. S3, der die Klägerin jedenfalls 2016 und damit nach dem Ereignis aus 2015 behandelt, sie danach aber nur noch einmal 2019 gesehen hat, hat eine PTBS hingegen gar nicht beschrieben, sondern nur eine länger dauernde depressive Belastungsreaktion und eine rezidivierende Depression angegeben.“
An diesen Ausführungen hält der Senat fest. Diese decken sich mit den beratungsärztlichen Darlegungen des M2, der ebenfalls ein hinreichend schweres Ereignis, das geeignet wäre, das A-Kriterium einer PBTS zu erfüllen, verneint. Dies wird dadurch untermauert, dass er auf das beschwerdefreie Intervall von gut vier Jahren verweist, in denen es an einer hinreichenden Dokumentation von fachärztlichen Befunden fehlt. Wenn S4 meint, bescheinigen zu können, dass ein solches nicht bestanden habe, ist dies schon deshalb unschlüssig, da sich die Klägerin in diesem Zeitraum nicht in seiner Behandlung befunden hat, abgesehen davon, dass er sowieso keine ärztlichen Diagnosen stellen kann.
Zu keiner anderen Beurteilung führt es, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung Zeitungsausschnitte über Vorfälle in ihrer Arbeitsplatzumgebung vor dem streitigen Ereignis vorgelegt hat, da der Senat nur die Unfallfolgen aufgrund des von der Beklagten anerkannten konkreten Ereignisses zu beurteilen hat.
Nicht unberücksichtigt bleiben kann dabei auch, dass bereits die erste Rehabilitation nach dem Vorfall nicht unter der Einweisungsdiagnose einer PTBS erfolgt ist, sondern erst die Rehabilitationsklinik eine entsprechende Diagnose in den Entlassungsbericht aufgenommen hat, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den Diagnosekriterien und ein kritisches Hinterfragen des Ereignisses im Hinblick auf das A-Kriterium erkennbar ist. Dementsprechend ist H2 diesen Ausführungen durch seine Verlaufsbetrachtung schlüssig entgegengetreten und M2 hat beratungsärztlich ebenfalls überzeugend dargelegt, weshalb die Diagnosestellung nicht gerechtfertigt gewesen ist.
H2 hat weiter herausgearbeitet, weshalb die Leistungseinschätzung der letzten stationären Rehabilitation nicht zu überzeugen vermag und weiterhin die Diagnosekriterien einer PTBS nicht erfüllt sind, obgleich die Klägerin von einer zwischenzeitlichen Retraumatisierung während eines stationären Aufenthaltes berichtet hat. Korrespondierend hierzu hat E1 bei seiner ambulanten Untersuchung eine PTBS nicht bestätigen können, wie vom SG bereits im Einzelnen dargelegt.
Soweit die Klägerin im SG-Verfahren den Angriff nunmehr deutlich schwerer darstellt und insbesondere auch selbst Schläge abbekommen haben will, hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um ersichtlich angepasstes Vorbringen handelt, das mit den Erstangaben nicht vereinbar ist und für dass es insbesondere an einer ärztlichen Dokumentation von Gesundheitserstschäden mangelt. Dies ändert im Übrigen nichts daran, dass die Verlaufsbetrachtung des H2, der neben dem A-Kriterium aus medizinscher Sicht überzeugend auch das Vermeidungsverhalten verneint hat, die Voraussetzungen einer PTBS nicht belegt und E1 eine PTBS weiterhin nicht hat bestätigen können. Selbst wenn das nunmehrige Vorbringen der Klägerin zutreffend wäre, änderte dies am medizinischen Befund nichts.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1659/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3111/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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