L 8 U 3350/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 506/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3350/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei der Bestimmung der Reichweite des Unfallversicherungsschutzes eines Selbständigen ist die Gestaltungsfreiheit des Unternehmers in besonderer Weise zu berücksichtigen.
2. Zum Versicherungsschutz eines selbständigen Motorrad-Trainers, der nach der Winterpause am Vortag eines gebuchten Fahrsicherheitstrainings eine Probefahrt auf der anvisierten Fahrstrecke unternimmt um zu prüfen, ob der Fahrbahnbelag sicher und insbesondere ausreichend frei von Rollsplit ist (hier bejaht).
3. Zur Abgrenzung von einer unversicherten Vorbereitungshandlung in einem solchen Fall.

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.10.2022 und der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2021 in der Form des Bescheides vom 02.12.2021 und des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2022 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 11.04.2019 ein bei der Beklagten versicherter Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.


Tatbestand



Die Beteiligten streiten um das Vorliegen eines bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfalls.

Der Kläger ist 1961 geboren, ausgebildeter Physiotherapeut und arbeitet seit vielen Jahren als selbständiger Motorrad-Fahrtrainer („Bike-Instruktor“). Er bietet verschiedene Fahrsicherheitstrainings in Deutschland und im Ausland an, bei denen er den Fahrstil seiner Fahrschüler mit einer Go-Pro-Kamera filmt, um anschließend das Fahrverhalten seiner Schüler am Bildschirm zu analysieren und hierzu Verbesserungsvorschläge zu geben. Seit 2017 ist er mit dieser Tätigkeit bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Eine private Krankenversicherung besteht bei der Süddeutschen Krankenversicherung.

Der Kläger stellte sich am Donnerstag, dem 11.04.2019 um 20:43 Uhr in der Notaufnahme der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T1 (BGU) vor. Hierbei wurde eine dorsal verhakte Erstluxation der linken Schulter festgestellt, welche reponiert wurde. Der Kläger gab an, um 18:30 Uhr mit dem Motorrad gestürzt und von seiner Ehefrau zur Klinik gefahren worden zu sein. Er habe sich selbstständig in der Notaufnahme vorgestellt und angegeben, bei seiner selbständigen Tätigkeit als Verkehrssicherheitstrainer mit ca. 50 km/h ohne eine Beteiligung von anderen Verkehrsteilnehmern mit dem Motorrad gestürzt zu sein. Er habe hierbei einen Helm und eine Schutzjacke und -hose getragen (Durchgangsarztbericht vom 06.08.2019 des B1). In dem Bericht wurden neben der oben genannten Erstdiagnose Schmerzen im Bereich der rechten und linken Schulter sowie am rechten Knie beschrieben. Der Kläger wurde als arbeitsfähig beurteilt und zunächst zulasten der Beklagten weiterbehandelt.

Die Beklagte forderte den Kläger auf, eine Unfallmeldung einzureichen. In seiner Unfallanzeige vom 10.09.2019 gab der Kläger zum Unfallhergang an, ihm sei während einer Probefahrt ohne Beteiligung eines anderen Fahrzeugs der Vorderreifen in einer Kurve der E1-straße in S1 weggerutscht. Dabei habe er sich – zum ersten Mal – die Schulter ausgerenkt. Der Unfallort befindet sich ca. 50 km Fahrstrecke entfernt vom Wohnsitz/der Firmenanschrift des Klägers in S2 (laut Google Maps, wo für diese Strecke eine Fahrtzeit mit dem Auto von 52 min angegeben wird; Aufruf am 27.11.2023).

Am 14.01.2020 kam es zu einem weiteren Motorradunfall des Klägers in Thailand, bei dem der Kläger erneut mit dem Motorrad stürzte und sich eine Re-Luxation der linken Schulter mit nachfolgend weiter verstärkten Funktionsbeeinträchtigungen zuzog. Auch dieses Ereignis macht der Kläger als Arbeitsunfall geltend (Az. A 7 200 18 164 X 73).

Die Beklagte bat den Kläger um nähere Erläuterungen zu der Angabe, er habe am Unfalltag eine „Probefahrt“ vorgenommen. Der Kläger teilte hierzu am 04.01.2021 mit, er habe am nächsten Tag einen Schüler mit speziellen Problemen bei Serpentinen gehabt und sei deswegen auf der Suche nach der passenden Strecke für die Schulung gewesen.

Mit Schreiben vom 11.01.2021 hörte die Beklagte daraufhin den Kläger zu ihrer Absicht an, mittels Rückforderungsbescheid zu Unrecht übernommene Kosten der Heilbehandlung in Höhe von 3.138,26 € von dem Kläger zurückzufordern. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen handele es sich bei dem Ereignis vom 11.04.2019 nicht um einen Arbeitsunfall. Zum Zeitpunkt des Ereignisses habe der Kläger eine unversicherte Vorbereitungshandlung ohne direkten Zusammenhang mit seiner Tätigkeit ausgeübt. Ein Bescheid hierzu erfolge gesondert.

Der Kläger entgegnete mit Schreiben vom 18.01.2021, dass er sein Fahrtraining nur ordentlich durchführen könne, wenn er perfekte Orts- und Straßenkenntnisse habe. Dazu müsse er zwingend „immer wieder mal alleine fahren“. Umso wichtiger sei dies am Anfang der Saison, da sich über den Winter Straßen oft gravierend verändern würden. Aus diesem Grund habe seine Fahrt am 11.04.2019 einen Zusammenhang mit seiner Arbeit gehabt. Er fahre ca. 70.000 km im Jahr und tue dies sicher nicht, wenn er mal frei habe. Zudem könne er nicht verstehen, dass sich die Beklagte nach zwei Jahren solche Gedanken mache. Schließlich ergänzte der Kläger am 24.03.2021, da es keine Fremdschäden gegeben habe und sein Motorrad nicht mit Vollkasko versichert sei, habe er den Vorfall keiner Versicherung gemeldet.

Auf Nachfrage teilte die BG-Klinik T1 mit, dass der Durchgangsarztbericht vom 06.08.2019 deswegen erst nach ca. 4 Monaten erstellt worden sei, weil der Kläger bei seiner Vorstellung am 11.04.2019 nicht angegeben habe, dass es sich um einen Wege-/Arbeitsunfall gehandelt habe. Der Kläger habe am Unfalltag lediglich angegeben, mit dem Motorrad gestürzt zu sein.

Mit Rückforderungsbescheid vom 28.05.2021 stellt die Beklagte fest, dass es sich bei dem Ereignis vom 11.04.2019 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Bei der Unfallfahrt habe es sich um eine unversicherte Vorbereitungshandlung gehandelt. Es bestünde daher kein Anspruch auf Heilbehandlung und Verletztengeld. Der Kläger sei zur Erstattung von 6.037,22 € Behandlungskosten verpflichtet.

Der Kläger erhob am 18.06.2021 Widerspruch. Seine Bevollmächtigte begründete den Widerspruch damit, dass der Kläger geeignete Strecken erkunden müsse, um Gefahrenstellen in das Sicherheitstraining einzubeziehen. Dabei handele es sich nicht um eine Vorbereitungshandlung, sondern um einen Teil seiner beruflichen Tätigkeit. Am Unfalltag habe die Temperatur ca. 10°C betragen und die Straße sei nass gewesen, so dass keinerlei Veranlassung für eine Privatfahrt bestanden habe. Vielmehr habe er von der E2 die Straße nach G1, die er später für weitere Trainings genutzt habe, prüfen wollen. Im Übrigen habe er auf die zuvor für über zwei Jahre erfolgte Kostenübernahme der Beklagten vertraut.

Mit Bescheid vom 02.12.2021 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab, indem sie auf eine Kostenerstattung für die bis dahin von ihr gewährte Heilbehandlung verzichtete. Die Prüfung des Sachverhalts habe ergeben, dass insoweit der Vertrauensschutz des Klägers Vorrang habe.

Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit dem Widerspruchsbescheid vom 22.02.2022 zurück. Vorbereitende Tätigkeiten wie z.B. eine „Erkundigungsfahrt“ zur Arbeit seien grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Ausnahmsweise seien Vorbereitungshandlungen versichert, wenn sie das Gesetz ausdrücklich nenne, eine Rechtspflicht zu einer solchen Handlung bestehe, oder der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse, die für die versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig sind und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Für die versicherte Tätigkeit müsse der volle Beweis erbracht werden. Die Nichterweislichkeit sei von demjenigen zu tragen, der aus der Tatsache Rechte herleiten möchte. Vorliegend könne das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt nicht festgestellt werden, da der Kläger bei der ersten ärztlichen Vorstellung keinen Arbeitsunfall erwähnt und einen solchen erstmals knapp vier Monate später angezeigt habe. Zudem fehle es an einem engen Zusammenhang zwischen der behaupteten Vorbereitungshandlung und der erst am Folgetag vorgesehenen versicherten Tätigkeit. Der Kläger sei überdies seit geraumer Zeit als Bike-Instruktor tätig und habe daher bereits über ausreichend gute Ortskenntnisse verfügt.

Deswegen hat der Kläger am 16.03.2022 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Mit seiner Klage hat er beantragt, die angegriffenen Bescheide aufzuheben, soweit noch keine Abhilfe erfolgt ist, und festzustellen, dass sein Unfall vom 11.04.2019 ein bei der Beklagten versicherter Arbeitsunfall ist. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass er neben Einzel-Fahrtrainings in der Region auch Ausbildungstouren über mehrere Tage auf Sardinien und in Thailand anbiete. Mit der Tätigkeit als Bike-Instruktor habe er sein Hobby zum Beruf gemacht mit der Folge, dass er nunmehr kein Hobby mehr habe. Ein Teil seiner Arbeit sei das Ausarbeiten und Prüfen von Routen und Strecken, die mit den Teilnehmern entsprechend abgefahren werden können. Dies sei insbesondere zu Beginn einer neuen Saison, wie es in vorliegendem Fall gegeben war, erforderlich, da die Straßen sich über den Winter oft veränderten. Zudem sei es erforderlich zu prüfen, ob möglicherweise Streumaterial wie Kieselsteine etc. auf den Strecken liegen, die für die Teilnehmer gefährlich werden könnten. Für das Training von Kurvenfahrten in Schräglage seien optimale Straßenbedingungen ohne Gefährdungen durch Kies etc. erforderlich. Die am 11.04.2019 befahrene Strecke habe er am Folgetag mit der Zeugin S3, die Probleme mit dem Kurvenfahren gehabt habe, abfahren wollen. Im Übrigen habe er bereits wenige Tage nach dem Unfall eine Rechnung für eine Schienenversorgung der Schulter erhalten und diese an die Beklagte weitergereicht, da er von einem Arbeitsunfall ausgegangen sei. Er habe daraufhin von der Beklagten den Rechnungsbetrag zeitnah erstattet erhalten.

Das SG hat die Zeugin S3 mit dem Einverständnis der Beteiligten schriftlich als Zeugin vernommen. Diese hat angegeben, am 12.04.2019 um 10:00 Uhr einen Einzel-Trainingstermin beim Kläger für 320 € gebucht zu haben. Der Kläger habe diesen - inzwischen nachgeholten - Termin am 12.04.2019 per WhatsApp mit folgender Nachricht abgesagt: „Hallo S3, das Training müssen wir heute leider verschieben da ich verletzt bin und nicht fahren kann. Holen wir so schnell wie möglich nach. Sorry und einen lieben". Sie habe den Kläger am 12.04.2019 angerufen und dieser habe mitgeteilt, er habe es am Vortag nicht mehr geschafft, den Termin abzusagen, da die Behandlung so lange gedauert habe. Wegen der weiteren Angaben der Zeugin wird auf Bl. 48/49 der SG-Akte Bezug genommen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.10.2022 abgewiesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Unfall des Klägers vom 11.04.2019 ein Arbeitsunfall gewesen sei. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass sich der Unfall vom 11.04.2019 infolge der versicherten Tätigkeit des Klägers ereignet habe. Dabei stehe fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Kunden aus Instruktionsgründen begleitet habe, sich der Unfall also nicht bei der unmittelbaren versicherten Tätigkeit als Bike-Instruktor ereignet habe. Daran, ob die Unfallfahrt des Klägers ohne „Schüler“ als versicherte Tätigkeit oder als eine versicherte Vorbereitungshandlung hierzu einzuordnen sei, blieben durchschlagende Zweifel, die zulasten des Klägers gingen. Diese Zweifel könnten nicht wegen einer konkludenten bestandskräftigen Anerkennung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls durch die Erbringung von Hilfsmitteln und Heilbehandlung nach dem Unfall dahingestellt bleiben. Denn die hier für einen erheblichen Zeitraum tatsächlich vorliegende Leistungserbringung der Beklagten sei mit keiner konkludenten Feststellung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls verbunden gewesen. Es sei nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Beklagte über die bloße Leistungserbringung hinaus einen nach außen erkennbaren Willen kundgetan habe, das Tatbestandsmerkmal „Arbeitsunfall“ endgültig außer Streit zu setzen. Die bloße Erbringung von Leistungen, die häufig und so auch hier allein auf einer von den Unfallversicherungsträgern (zunächst) nicht weiter überprüften ärztlichen Einordnung als berufsgenossenschaftlich beruhe, reiche dafür nicht aus (so auch: Sächsisches LSG, Urteil vom 22.09.2003, L 2 U 142/02, in juris Rn. 31; Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.05.2016, L 2 U 121/16 B ER; in juris Rn. 32; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.03.2003, L 3/9/6 U 272/00, in juris Rn. 27; anderer Ansicht SG Frankfurt, Urteil vom 22.04.2021, S 23 U 130/18, in juris Rn. 36). Eine versicherte Verrichtung sei jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv, wenn auch ggf. in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten sei eine innere Tatsache. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaube, diese aber auch nicht ausschließe, könne die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert sei (sog. objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen (BSG, Urteil vom 13.11.2012, B 27 U 27/11 R, in juris Rn. 17). Vor- oder Nachbereitungshandlungen zu einer versicherten Haupttätigkeit seien nur versichert, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung (z.B. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) diese selbst und eigenständig zu einer versicherten Tätigkeit erhebe oder der jeweilige Versicherungstatbestand nach seinem Schutzzweck auch Vor- und Nachbereitungshandlungen erfasse. Aber auch dann würden grundsätzlich nur solche vor- oder nachbereitenden Tätigkeiten tatbestandlich miterfasst, die für die jeweilige tatbestandlich versicherte Hauptverrichtung im Einzelfall notwendig seien und in einem sehr engen sachlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit ihr stünden (BSG a.a.O. Rn. 20). Erfolge eine Verrichtung mit privatwirtschaftlicher und betrieblicher Handlungstendenz (sog. gespaltene Handlungstendenz oder Verrichtung mit gemischter Motivationslage), sei von einer versicherten Tätigkeit auszugehen, wenn die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz finde. Eine solche Verrichtung stehe dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre. Es sei zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lasse (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 14/10 R, in juris Rn. 22 u. 24). Das Vorliegen (u.a.) des Tatbestandsmerkmals "versicherte Tätigkeit“ müsse im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen. Eine Nichterweislichkeit sei nach den Regeln der objektiven Beweislastverteilung zu Lasten des Versicherten zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 20.12.2016, B 2 U 16/15 R, in juris Rn. 23f).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien und Maßstäbe sei nicht nachgewiesen, dass die Unfallfahrt des Klägers eine versicherte Tätigkeit gewesen sei. Hieran verblieben Zweifel. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er entgegen der bis dahin bekannten Aktenlage gegenüber Ärzten oder Mitarbeitern der BGU nicht erst nach Monaten, sondern schon nach wenigen Tagen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls mitgeteilt habe, lägen die Zweifel der Kammer nicht (mehr) in einer verspäteten Unfallmeldung begründet. Die nach außen beobachtbare Verrichtung des Klägers zum Unfallzeitpunkt sei das Motorradfahren ohne einen Kunden bzw. eine Kundin. Soweit der Kläger schriftlich dargelegt habe, am 11.04.2019 schon witterungsbedingt keinen Grund für eine private Motoradausfahrt gehabt zu haben, und in der mündlichen Verhandlung ergänzt habe, er habe sein Hobby zum Beruf gemacht und habe infolgedessen kein Hobby mehr, habe dies die Kammer nicht überzeugt. Es sei für die Kammer nicht glaubhaft, dass der Kläger überhaupt nicht mehr aus persönlichen, sondern nur noch aus beruflichen Gründen Motorrad fahre. Hinsichtlich der Unfallfahrt stehe für die Kammer aufgrund der Angaben des Klägers und der damit im Einklang stehenden Aussage der schriftlich gehörten Zeugin dabei durchaus fest, dass der Kläger bei dieser Fahrt eine für die gebuchte Instruktionsfahrt geeignete Strecke erkundet habe. Die Unfallfahrt könne daher entweder als versicherte Vorbereitungshandlung für die von der Zeugin gebuchte Fahrt am 12.04.2019 oder sogar unmittelbar als Teil der versicherten Tätigkeit des Klägers angesehen werden. Bei näherer Prüfung seien die Voraussetzungen dafür aber nicht erfüllt. Für die Kammer stehe fest, dass Grund für die Unfallfahrt auch die persönliche, private Freude des Klägers am Motorradfahren - als privater Ausgleich – gewesen sei. Das Argument des Klägers, die Unfallfahrt habe zum Beginn der Motorradsaison allein dazu gedient, eine optimale Strecke für das geplante Kurventraining zu finden, habe die Kammer nicht überzeugt. Dagegen spreche, dass der Kläger seit vielen Jahren als Bike-Instruktor tätig sei und deswegen saisonunabhängige Kenntnisse über die für Übungsfahrten mit Kurventraining sich anbietenden Strecken in der Region haben müsse. Hinsichtlich der vom Kläger angeführten Notwendigkeit einer Kontrolle, ob sich die Strecken aktuell in einem optimalen Zustand befinden, insbesondere keine Gefährdungen durch Kies etc. aufweisen, gehe die Kammer davon aus, dass sich die Tätigkeit des Klägers als Bike-Instruktor auch auf Strecken beziehe, die nicht optimal seien. Zudem erlaube das Befahren einer Strecke am Vortag der Übungsstunde keine verlässliche Aussage über den Zustand der Straße am Folgetag (z.B. reiche es für eine Veränderung der Straßenverhältnisse aus, dass nach der Erkundungsfahrt ein Kieslaster die Strecke befahre und etwas von seiner Ladung verliere).

Es fehle daher für die Anerkennung einer versicherten Vorbereitungshandlung an der Notwendigkeit und an einem engen zeitlichen Zusammenhang zur versicherten Übungsfahrt mit einem Kunden. Dementsprechend habe der Kläger nicht behauptet und - man denke nur an die vom Kläger angebotenen mehrtägigen Ausfahrten in Sardinien - es sei auch nicht zu bewältigen, Übungsstrecken regelmäßig wegen potentieller Gefahrenstellen vorab vollständig zu kontrollieren. Soweit der Kläger bei der Unfallfahrt aus privatem Grund Motorrad gefahren sei und sich gleichzeitig Gedanken und eine Orientierung über die Strecke, die er am Folgetag mit der Zeugin fahren würde, gemacht habe, habe eine Verrichtung mit einer gespaltenen Handlungstendenz vorgelegen. Die Unfallfahrt habe freilich die versicherungsbezogene Handlungstendenz objektiv nicht erkennen lassen. An der Behauptung des Klägers, er hätte die Unfallfahrt ohne betrieblichen Anlass - die Übungsfahrt am Folgetag - nicht vorgenommen, blieben aus den dargelegten Gründen Zweifel.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihr am 31.10.2022 zugestellte Urteil am 29.11.2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie behauptet weiterhin, dass der Kläger die Fahrt im Rahmen seiner selbständigen Berufstätigkeit als Bike-Instruktor unternommen habe. Im April 2019 sei die Motorradsaison eröffnet worden. Der Kläger habe sich deshalb am Unfalltag mit seinem Motorrad auf den Weg gemacht, um den Zustand einer Strecke zu prüfen, die er am Folgetag mit einer Kundin zum Üben nutzen wollte. Eine Prüfung der Strecke sei insbesondere nach dem Winter erforderlich, weil sich die Fahrbahn im Laufe einer Wintersaison einerseits durch die Witterung verändere und andererseits gefährliche Situationen durch möglicherweise noch vorhandenes Winterstreumaterial auftreten könnten. Der Kläger wolle Gefahren für die Teilnehmer - so weit möglich - ausschließen. Der Kläger habe am Folgetag einen Kurs mit der Zeugin S3 durchführen wollen. Mit dieser Teilnehmerin habe die am Vorabend erkundete Strecke befahren werden sollen. Er habe diese Strecke ausgewählt, da dort erfahrungsgemäß wenig Verkehr herrsche, so dass einzelne Kurven auch mehrfach gefahren werden könnten. Die Ehefrau des Klägers, G2, die erstinstanzlich dafür benannt worden sei, dass der Kläger am Unfalltag nicht aus privaten Gründen Motorrad gefahren sei, sei vom SG nicht angehört worden, was im Berufungsverfahren nachgeholt werden möge. Das SG habe auch nicht berücksichtigt, dass die Witterungsverhältnisse am Unfalltag (kalt und nass) nicht zu einer Spaßfahrt eingeladen hätten, und dass der Kläger beruflich so viel mit dem Motorrad unterwegs sei (ca. 70.000 km und mehr), dass er keine Veranlassung habe, bei einer solchen Witterung abends zu fahren. Darüber hinaus gehe das SG nicht auf den Einwand ein, dass ein angestellter Bike-Instruktor, der im Auftrag seines Chefs die Strecke erkundet hätte, unter denselben Voraussetzungen unstreitig einen Arbeitsunfall erlitten hätte. Der Kläger könne nicht dadurch schlechter gestellt sein, dass der Unfall im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit geschehen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.10.2022 und den Bescheid der Beklagten vom 28.05.2021 in der Form des Bescheides vom 02.12.2021 und des Widerspruchsbescheids vom 22.02.2022 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 11.04.2019 ein bei der Beklagten versicherter Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig. Neue rechtserhebliche bisher unberücksichtigt gebliebene Gesichtspunkte seien mit der Berufung nicht vorgetragen worden. Das SG habe sich eingehend mit dem Sachverhalt auseinandergesetzt und unter Berücksichtigung der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweisregularien eine zutreffende Entscheidung getroffen.
Besonders zu beachten sei jedenfalls, dass der Kläger zum Ereigniszeitpunkt offenbar selbst nicht davon ausgegangen sei, im Rahmen seiner Motorradausfahrt am 11.04.2019 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden zu haben. Dies zeige sich insbesondere darin, dass er im Rahmen der ersten ärztlichen Vorstellung am 11.04.2019 (und auch zunächst nachfolgend bis zur Erstellung des Durchgangsarztberichtes am 06.08.2019) keine Angaben darüber gemacht habe, den Motorradunfall in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erlitten zu haben. Die Behandlungsmaßnahmen seien offensichtlich zunächst zu seinen eigenen Lasten erfolgt, und er habe erst 5 Monate nach dem Geschehen einen Arbeitsunfall gemeldet. Hiernach lasse sich mangels Nachweis einer versicherten Tätigkeit nicht feststellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 11.04.2019 (Motorradunfall) um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt hat. Ein weiterer Vortrag erscheine entbehrlich, es werde auf die schlüssigen und überzeugenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Am 07.07.2023 hat der Berichterstatter einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Der Kläger hat in dem Termin angegeben, dass er Erkundungsfahrten vor Fahrsicherheitstrainings nicht immer, aber in besonderen Fällen durchführe. Bei der Zeugin S3 habe eine Schräglagenscheu bestanden, weswegen es ihm darum gegangen sei, nach dem Winter eine geeignete Strecke insbesondere ohne Rollsplitt zu finden. Eigentlich habe er seine Strecken im Kopf und kenne diese, aber die Verhältnisse könnten sich ändern, insbesondere im Hinblick auf den bereits genannten Rollsplitt. Die Saison beginne bei ihm Mitte April. Es sei für ihn das erste individuelle Einzeltraining „bei ihm zuhause“ gewesen.

Auf die Frage des Berichterstatters im Erörterungstermin, wie seine Aussage gemeint sei, dass er sein Hobby zum Beruf gemacht habe und seitdem kein Hobby mehr habe, hat der Kläger erklärt, dass dies „natürlich als Spaß“ gemeint gewesen sei, er jedoch tatsächlich privat nicht mehr Motorrad fahre. Wenn er einen Tag frei habe, werde er sich bei beruflich jährlich mit dem Motorrad gefahrenen 70.000 km sicherlich nicht auf das Motorrad setzen. Bei schönem Wetter fahre er mit dem Cabrio aus. Seine Einkäufe erledige er ebenfalls mit seinem Auto. Auch zum Erörterungstermin sei er mit dem Auto gefahren, weil ihm der Komfort mit dem Auto auch besser gefalle. Er sei auch in keinem Verein oder Ähnlichem mit Motorradfahrern aktiv. Ihm reiche die Freude am Fahren. Von Treffen und gemeinsamen Ausfahrten halte er sich fern. Dass die Anfahrtszeit zum Fahrgebiet eines Sicherheitstrainings eine halbe bis eine dreiviertel Stunde betrage, sei üblich.

Der Berichterstatter hat den Beteiligten im Erörterungstermin einen Ausdruck der Fahrstrecke vom T2 über D1 nach G1 aus Google Maps vorgelegt und den Kläger dazu befragt, weshalb er solch eine weite Anfahrt (laut Google Maps für Autos 52 Minuten ohne besonderen Verkehr, für 50 Kilometer Strecke) auf sich genommen habe, um das Fahrsicherheitstraining an einem so weit von seinem Wohnsitz entfernten Ort durchzuführen. Der Kläger hat hierzu erklärt, dass diese Strecke besonders geeignet für das Sicherheitstraining sei. Außerdem werde bei der Anfahrt ebenfalls schon der Fahrstil des Fahrschülers beobachtet. Auf der ausgewählten Strecke nach G1 könne besonders gut der Fahrstil eines Fahrschülers begutachtet werden, weil es dort kaum Verkehr gebe und sich die Kurven und auch die Steigungen dieser Strecke besonders für ein Fahrsicherheitstraining eigneten. Die Strecke von G1 zur E3-straße werde von ihm regelmäßig als „Filmstrecke“ genutzt, wobei der Fahrschüler vor ihm fahre und er hinter ihm mit einer GoPro den Fahrstil analysiere. Diese Strecke sei hierfür besonders geeignet. Außerdem sei der Ausgangspunkt sehr gut für anschließende Fahrten in den Schwarzwald. Seine Frau könne bezeugen, dass er ihr vor seiner Abfahrt am Unfalltag gesagt habe, dass er zu einer Vorbereitungsfahrt wegfahre.

Die Beklagte hat nach dem Erörterungstermin darauf hingewiesen, dass der Kläger am 30.08.2021 in B2/Tschechien auf einer Rennstrecke mit seinem Motorrad auf nasser Fahrbahn weggerutscht sei und sich hierbei eine Rippenverletzung zugezogen habe. Auch dieser (dritte) Motorradunfall sei von dem Kläger der Beklagten als Arbeitsunfall gemeldet worden (Az. A 7 21095403F 87). Mit Bescheid vom 15.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2022 sei entschieden worden, dass es sich bei dem Ereignis vom 30.08.2021 nicht um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt habe. Diese Entscheidung sei inzwischen bestandskräftig. Dies bedeute, dass der Aussage des Klägers im Erörterungstermin, er fahre grundsätzlich niemals privat Motorrad (sondern immer nur beruflich), deutlich zu widersprechen sei. Auch seinen Ausführungen, er würde sich von "Treffen und gemeinsamen Ausfahrten" fernhalten, könne unter diesen Umständen nicht gefolgt werden. Denn zweifelsfrei habe er sich am 30.08.2021 mit anderen motorradbegeisterten Fahrern zu einem Fahrmeeting getroffen.

Der Kläger hat hierauf entgegnet, dass der Unfall in B2/Tschechien ebenfalls im Rahmen der Tätigkeit als Fahrlehrer erfolgt sei. Der ablehnende Widerspruchsbescheid sei nur deshalb nicht angegriffen worden, weil die Verletzung des Klägers „nicht so erheblich“ gewesen sei und der Verdienstausfall der hierzu benannten Zeugen (Fahrschüler) bei einer Aussage vor Gericht unverhältnismäßig gewesen wäre. Im Übrigen sei der Beklagten bekannt, dass der Kläger auf seiner Website auch Rennstreckentraining in B2/Tschechien anbiete. Die Klägerbevollmächtigte hat eine Videoaufnahme einer Übungsfahrt mit einem Kursteilnehmer, die der Kläger auf der Strecke gemacht hat, auf der er gestürzt ist, zu den Akten gereicht.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2024 die Ehefrau des Klägers, G2, als Zeugin vernommen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG und des LSG Bezug genommen.




Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143 f. SGG statthafte Berufung ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Begehrt ein Versicherter die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, hat er ein Wahlrecht zwischen der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage und der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R-, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, SozR 4-2700 § 11 Nr. 1; BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 20; BSG, Urteil vom 26.11.2019 – B 2 U 8/18 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71).

Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, das Unfallereignis vom 11.04.2019 als bei ihr versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen.


Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die Entstehung länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, B 2 U 40/05 R= UV-Recht Aktuell 2006, 419-422, B 2 U 26/04 R= UV-Recht Aktuell 2006, 497-509, alle auch in juris).

Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass durch die zunächst von der Beklagten gewährte Heilbehandlung und die in diesem Rahmen erfolgte Korrespondenz zwischen der Beklagten und dem Kläger keine – auch nicht konkludente – Anerkennung des Ereignisses vom 11.04.2019 als nach dem SGB VII versicherter Arbeitsunfall erfolgt ist. Eine ausdrückliche Anerkennung als Arbeitsunfall liegt nicht vor. Zwar kann grundsätzlich aus bestimmten Gesamtumständen nach einem Unfall eine konkludente Anerkennung angenommen werden, etwa wenn ein Versicherungsträger in einem Bescheid die Ablehnung einer Verletztenrente „wegen der Folgen des Arbeitsunfalls“ oder mit vergleichbarer Formulierung ablehnt (BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 2 U 9/20 R –, juris). Hier ist es nach dem insoweit maßgeblichen objektivierten Empfängerverständnis jedoch nicht zu einer vergleichbaren Erklärung der Beklagten gekommen. Die rein tatsächliche Gewährung von Leistungen der Heilbehandlung stellt keine ausreichend klare Anerkennung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls dar (näher hierzu Bayerisches LSG, Beschluss vom 19.05.2016 – L 2 U 121/16 B ER –, Rn. 32, juris). Auch ein diesbezüglicher Vertrauensschutz kann nicht angenommen werden, da die Beklagte von dem Kläger unmittelbar nach ihrer Kenntnis von dem Vorfall eine Unfallanzeige mit näheren Erläuterungen zum Unfallgeschehen verlangt und anschließend auch mit Schreiben vom 22.12.2020 kritische Fragen zum Unfallhergang gestellt hat, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Zweifel am Vorliegen einer versicherten Tätigkeit erkennen ließen. Ausdrücklich offen gelassen wurde auch die Pflicht zur Leistungsgewährung in dem Schreiben der Beklagten vom 04.01.2021 mit der Frage nach der Bankverbindung des Klägers, wonach „voraussichtlich“ Leistungen zu gewähren seien. Unmittelbar nachdem die Beklagte erfahren hatte, dass es sich bei der Motorradfahrt um eine Probefahrt bzw. Vorbereitungshandlung gehandelt haben soll, hat die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls dann auch explizit mit der Anhörung zu der beabsichtigten Rückforderung vom 11.01.2021 verneint.

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist erforderlich (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005 – B 2 U 5/04 R –, juris Rdnr. 12 ff.), dass das Verhalten des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine bestimmte Handlung in einem solchen rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Kernbereich der versicherten Tätigkeit steht, ist die Gesamtheit aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund. Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten. Die für den Versicherungsschutz notwendige Handlungstendenz kommt in dem von der Rechtsprechung verwendeten Begriff der dem Unternehmen "dienlichen", "dienenden" oder "zu dienen bestimmten" Tätigkeit zum Ausdruck. Die Tätigkeit muss mit einer fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung und nicht zur Verfolgung eigener Angelegenheiten, sogenannter höchstpersönlicher bzw. eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten, erfolgen. Die Annahme einer auf die Belange des Unternehmens gerichteten Handlungstendenz setzt entsprechend voraus, dass anhand objektiver Kriterien ein nachvollziehbarer Zusammenhang mit dem Unternehmen anzunehmen ist. Wie bei allen anderen Zurechnungsentscheidungen sind für die Beurteilung des Unfallversicherungsschutzes alle Umstände des Einzelfalls und das sich daraus ergebende Gesamtbild in Betracht zu ziehen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Organisation des Unternehmens einerseits und die Einordnung der Gesamttätigkeit des in diesem Unternehmen wie ein Beschäftigter Tätigen andererseits. Weiter sind Umfang und Zeitdauer der verrichteten bzw. vorgesehenen Tätigkeit(en) zu berücksichtigen (BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.09.2023 – L 8 U 1620/22 –, juris).

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf selbständig tätige Unternehmer sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Auch bei Selbständigen ist grundsätzlich ebenso wie bei in der gesetzlichen Unfallversicherung abhängig Beschäftigten zwischen betrieblichen, das heißt dem Unternehmen zuzurechnenden, und der privaten Sphäre angehörenden Tätigkeiten zu unterscheiden. Allerdings ist die Abgrenzung hier oft schwieriger, weil es dem Unternehmer freisteht, in welcher Art und Weise er sein Unternehmen betreibt (Urteil des erkennenden Senats vom 13.09.2023 – L 8 U 1620/22 –, juris Rn. 42; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.04.2011 – L 3 U 238/09 –, juris Rdnr. 27). Im Rahmen der Prüfung, wieweit der Unfallversicherungsschutz eines dem versicherten Personenkreis zugehörigen Selbständigen geht, kommt der Gestaltungsfreiheit des Unternehmens eine wesentliche Bedeutung zu, soweit der Versicherte aus verständlichen betrieblichen Gründen zu der Handlungsweise bewegt wurde (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.08.2001 – L 2 U 319/00 –, juris). Ein Arbeitsunfall ist vor allem zu bejahen, wenn der Betroffene Rechtspflichten aus der Unternehmertätigkeit erfüllt oder Unternehmerrechte aus dieser Tätigkeit ausübt (BSG, Urteil vom 18.09.2012 - B 2 U 20/11 R -, NZS 2013, S. 271 ff. Rz 27). Entsprechend der Rechtslage bei Beschäftigten reicht es aber auch aus, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, die dem Unternehmen zu dienen bestimmt ist. Unter Versicherungsschutz steht der Unternehmer bei allen Tätigkeiten, welche die Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der unternehmerischen Tätigkeit bezwecken. Der innere Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit ist jedoch bei Verrichtungen, die ihrer Art nach nicht typisch geschäftlicher Natur sind, nach strengen Maßstäben zu prüfen. Erforderlich ist in solchen Fällen, dass die betriebsbezogene Handlungstendenz hinreichend durch objektive Umstände bestätigt wird (W. Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 8 SGB VII Rn. 164 ff.).

Die Definitionshoheit des Unternehmers, den Umfang seiner wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit selbst zu bestimmen, kann indes nicht dazu führen, dass ein Unternehmer bei jeder Tätigkeit, die auch nur entfernt im Zusammenhang mit seinem Unternehmen steht, versichert ist. Es reicht in der Regel nicht aus, um die Tätigkeit eines Unternehmers als versichert anzusehen, wenn eine Tätigkeit lediglich als Werbung, Kundendienst oder zur Pflege des Ansehens des Unternehmens vorgenommen wird, wie auch reine Freundschafts- und Gefälligkeitshandlungen nicht zur Versicherung des Unternehmers führen, selbst wenn sie in einer dem Betrieb dienenden Tätigkeit bestehen (BSG, Urteil vom 30.07.1981 – 8 /8a RU 58/80 –, juris Rdnr. 20 f.).

Insoweit weist die Klägerbevollmächtigte zutreffend darauf hin, dass ein abhängig beschäftigter Fahrlehrer, welcher die Weisung erhält, zum Start der Motorradsaison eine für die Ausbildung genutzte Strecke auf Rollsplit hin zu untersuchen, eine betrieblich veranlasste Tätigkeit verrichtet und unter dem Schutz des SGB VII stünde. Insoweit kann grundsätzlich nichts Anderes gelten, wenn der Kläger als Selbständiger aus objektiv nachvollziehbaren Erwägungen im Hinblick auf die Sicherheit seiner Fahrschüler den Entschluss fasst, eine solche Erkundungsfahrt durchzuführen. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt in einem solchen Fall keine bloße unversicherte Vorbereitungshandlung vor (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.01.2020 – B 2 U 9/18 R –, BSGE 130, 17-25, SozR 4-2700 § 8 Nr 72, Rn. 15; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.12.2022 – L 6 U 61/20 –, Rn. 29, juris), weil in einem solchen Fall die Erkundungsfahrt bereits eine arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistung (bei einem Arbeitnehmer) bzw. ein Teil der beworbenen Leistung als Fahrlehrer (bei einem Selbständigen) ist, Fahrsicherheitskurse ohne Gefahren für Leib und Leben anzubieten.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der Senat davon überzeugt, dass die Motorradfahrt vom 11.04.2019 ausschließlich von betrieblichen Interessen im oben genannten Sinn geleitet war. Der Senat hält es bei einer umfassenden Abwägung aller für und gegen das klägerische Begehren sprechenden Umstände für erwiesen, dass die Fahrt vom 11.04.2019 eine dem Unternehmen des Klägers als Motorrad-Coach zu dienen bestimmte Fahrt war und dies im Vollbeweis nachgewiesen ist (zu diesem Beweismaßstab BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 2 U 8/20 R –, SozR 4-2700 § 2 Nr. 58, Rn. 13). Die angegriffenen Entscheidungen waren daher aufzuheben und der Versicherungszusammenhang antragsgemäß festzustellen.

Der Senat stellt hierzu fest, dass – was zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist - der Kläger am 11.04.2019 am Nachmittag eine Motorradfahrt von seinem Wohnort nach S1 unternahm, bei der er in einer Kurve mit dem Vorderreifen wegrutschte und stürzte. Anschließend stellte er sich noch am selben Tag zur Erstversorgung in der BG Unfallklinik T1 vor, wohin ihn seine Frau mit dem Auto fuhr. Hier gab er bereits am Unfalltag an, dass er bei seiner selbständigen Tätigkeit als Verkehrssicherheitstrainer mit ca. 50 km/h mit dem Motorrad gestürzt sei (vgl. Bl. 3 der Verwaltungsakte, verspätet verfasster Durchgangsarztbericht des B1 vom 06.08.2019 über die Erstvorstellung vom 11.04.2019).

Außerdem ist erwiesen, dass der Kläger am nächsten Tag die Zeugin S3 als Fahrschülerin zu betreuen hatte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an der Glaubwürdigkeit der durch das SG nach
§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 373 ff. ZPO schriftlich vernommenen Zeugin S3 zu zweifeln; die Beklagte trägt auch keine solchen Zweifel vor. Der Senat konnte daher gemäß § 377 Abs. 3 ZPO auf eine erneute, gegebenenfalls auch persönliche Vernehmung der Zeugin verzichten.

Daraus ergibt sich für den Senat, dass es für den Kläger objektiv nachvollziehbar naheliegend war, sich am Vortrag des geplanten Fahrsicherheitstrainings Gedanken über eine für die Zeugin S3 geeignete Fahrstrecke zu machen. Der Kläger war zwar vertraglich gegenüber der Zeugin S3 nicht verpflichtet, die geplante Strecke vorher abzufahren und zu kontrollieren, ob der Straßenbelag unbeschädigt und – nach der Winterpause – frei von Rollsplit oder dergleichen war. Sinnvoll erschien eine solche Probefahrt aber durchaus.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stellt der Senat darüber hinaus fest, dass der Kläger am 11.04.2019 zu seiner unfallbringenden Motorradfahrt allein aus dem Grund aufgebrochen ist, um für seine am nächsten Tag mit der Fahrschülerin S3 geplante Trainingsfahrt eine geeignete und sichere Strecke zu testen, was objektiv dem Ziel seines bei der Beklagten versicherten Unternehmens diente, und hierzu auch nicht in einem wirtschaftlichen Missverhältnis stand. Dies ergibt sich für den Senat aus den folgenden maßgeblichen Erwägungen:

Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, dass die Zeugin S3 Probleme mit Schräglagen beim Motorradfahren hatte, weswegen eine abgelegene, kurvenreiche Strecke mit möglichst wenig Verkehr als besonders geeignet erschien. Bei einer solchen wenig befahrenen Strecke durfte der Kläger auch davon ausgehen, dass hier die Gefahr von noch nicht behobenen Winterschäden oder von noch nicht weggeräumtem Rollsplit durchaus real war, weswegen es objektiv dem Unternehmen des Klägers zweckdienlich war, am 11.04.2019 eine vorherige Erkundungsfahrt durchzuführen. Der Kläger hat insoweit auch glaubhaft dargelegt, dass zu Beginn der Motorradsaison gehäuft mit Veränderungen des Straßenbelags, insbesondere in der Form von Rollsplit, zu rechnen ist. Es besteht auch eine nachvollziehbare zeitliche Koinzidenz des Unfalls mit dem Beginn der Motorradsaison (vgl.
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110976/4224715, Aufruf am 28.11.2023: „22.03.2019 – 08:00 Polizeipräsidium R1, POL-RT: (…) Die Motorradsaison 2019 beginnt – Die Motorradsaison steht vor der Tür - ab April holen viele wieder ihre Maschinen aus der Garage. Vereinzelt locken aber schon jetzt die ersten Sonnenstrahlen einige Motorradfahrer auf die Straßen.“).

Zwar hat der Kläger erst auf ausdrückliche Aufforderung der Beklagten und mehrere Monate nach dem Unfall eine Unfallanzeige abgegeben. Allerdings hatte der Kläger bereits am Unfalltag in der BG Unfallklinik T1 angegeben, bei seiner selbständigen Tätigkeit als Verkehrssicherheitstrainer mit ca. 50 km/h mit dem Motorrad gestürzt zu sein (vgl. Bl. 3 der Verwaltungsakte, verspätet verfasster Durchgangsarztbericht des B1 vom 06.08.2019 über die Erstvorstellung vom 11.04.2019). Die Angaben des Klägers zur unfallbringenden Tätigkeit sind zudem seit dem Unfall im Hinblick auf das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit durchgängig schlüssig. Insgesamt zeigt sich im Verlauf des Verfahrens keine wesentliche Veränderung des Vortrags des Klägers, der bei seiner Anhörung durch den Senat in der mündlichen Verhandlung einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck auf den Senat gemacht hat. Der Kläger hat seinen Vortrag konsistent aufrechterhalten und ist hierbei nicht durch einen besonderen Eifer, die Situation für ihn günstig darzustellen, aufgefallen. Er hat die Begleitumstände seines Unfalls in der mündlichen Verhandlung wie schon zuvor gegenüber der Beklagten und gegenüber dem Berichterstatter im Erörterungstermin vom 07.07.2023 sachlich, widerspruchsfrei und glaubhaft geschildert.

Kleinere Abweichungen im Vortrag des Klägers sind zwar festzustellen, stellen nach Auffassung des Senats jedoch nicht die Glaubwürdigkeit des Klägers grundsätzlich in Frage. So hatte der Kläger in seinen frühesten Einlassungen von einer Erkundungsfahrt zum Herausfinden einer geeigneten Strecke gesprochen. Dem hat das SG zu Recht entgegengehalten, dass dem Kläger bei einer Fahrleistung von 70.000 km jährlich und seiner jahrelangen Tätigkeit als Motorrad-Coach die geeigneten Strecken in Reichweite seines Wohnorts bereits vor der Erkundungsfahrt bekannt gewesen sein müssten. Die Formulierung „geeignete Fahrstrecke“ ließ sich indes bereits auch schon bei ihrer ersten Verwendung durch den Kläger auch so lesen, dass hierzu die saisonbedingte Beschaffenheit der Fahrbahndecke in die Betrachtung mit einbezogen war, so dass ein Widerspruch im Kern der Aussage nicht nachgewiesen ist. Genau so hat der Kläger im Erörterungstermin auch diese Aussage schlüssig erläutert.

Auch die Formulierung des Klägers, er „habe sein Hobby zum Beruf gemacht und daher jetzt kein Hobby mehr“ fordert zunächst Widerspruch heraus, da sie auf den Eindruck erweckt, der Kläger spreche sich allein pauschal die rechtliche Definitionshoheit zu, jegliche Motorradfahrt von vornherein als bei der Beklagten versichert zu qualifizieren. Der Kläger hat hierzu jedoch glaubhaft und auch menschlich nachvollziehbar dargestellt, dass diese Formulierung pointiert bzw. als „Spaß“ gemeint war. Der Senat versteht diese Äußerung bei lebensnaher Auslegung so, dass der Kläger Freude und Erfüllung in seiner beruflichen Tätigkeit findet und sich ihm bei seiner erheblichen beruflichen Fahrleistung mit dem Motorrad kaum Anlässe finden, noch einen Bedarf nach weiteren privaten Motorradfahrten zu verspüren.

Dabei hält es der Senat nicht für ausgeschlossen, dass der Kläger dennoch vereinzelt eine privat veranlasste Motorradfahrt unternehmen könnte. Konkrete Anhaltspunkte für eine einzige solche Fahrt sind indes weder aus den Akten noch sonst ersichtlich, und dem Kläger eine solche ohne belastbare Indizien zu unterstellen erscheint auch nicht zulässig. Der Kläger ist in keinen Motorradvereinen aktiv, welche private Motorradfahrten organisieren. Seiner Website lassen sich keine Hinweise auf außerberufliche Motorradfahrten entnehmen, allerdings zahlreiche Hinweise für eine umfassende Tätigkeit als Motorradcoach im In- und Ausland. Hiervon erfasst wird auch der Vorgang mit dem Unfall auf der Rennstrecke am 30.08.2021 in B2/Tschechien. Gemäß der Website des Klägers werden Fahrsicherheitstrainings vom Kläger auch auf dieser Rennstrecke angeboten. Der Umstand, dass die Beklagte insoweit einen Arbeitsunfall bestandskräftig abgelehnt hat, ist für den Senat hinsichtlich des von der Beklagten zugrundegelegten Sachverhalts nicht bindend. Der Kläger hat zudem auch nachvollziehbar dargestellt, warum er die Anerkennung dieses Unfalls als Arbeitsunfall nicht vor Gericht erstreiten wollte, da er sich hierbei keine wesentlichen Verletzungen zugezogen habe.

So passt es auch in das Gesamtbild, dass der Kläger und auch seine Ehefrau schlüssig und auch glaubhaft erläutert haben, dass private Fahrten des Klägers mit dem Motorrad nicht vorkommen. Diese Frage ist vorliegend jedoch auch nicht streitgegenständlich, da für die Unternehmensbezogenheit der hier konkret in Frage stehenden Motorradfahrt vom 11.04.2019 jedenfalls eine Vielzahl von objektiven Anhaltspunkten und Indizien bestehen, welche für die entsprechende Überzeugungsbildung des Senats deutlich ausreichen.

Wenig durchgreifend erscheint insoweit zwar der Einwand der Klägerbevollmächtigten, am Unfalltag habe eine Temperatur von lediglich 10° Celsius geherrscht und die Straße sei nass gewesen, weswegen keine Veranlassung zu einer Privatfahrt bestanden habe. Der Senat geht dementgegen davon aus, dass auch unter solchen äußeren Umständen zahlreiche Veranlassungen für eine Privatfahrt mit dem Motorrad bestehen können, etwa um eine wichtige Besorgung zu erledigen, einen Bekannten zu besuchen oder das Funktionieren des Motorrads oder das eigene fahrerische Können unter erschwerten Bedingungen zu testen. Im Übrigen dürfte auch eine gewisse Leidensbereitschaft von Motorradfahrern anzunehmen sein, welche ihr Gefährt auch dann bewegen, wenn sie stattdessen auch in einem bequemen Auto sitzen könnten.

Hier verhält es sich aber so, dass auch nach der glaubhaften Aussage der insgesamt glaubwürdig erscheinenden Zeugin G3 (Ehefrau des Klägers) der Kläger sich vor seiner unfallbringenden Motorradfahrt vom 11.04.2019 von seiner Ehefrau mit dem ausdrücklichen Hinweis verabschiedet hatte, er fahre jetzt die Strecke für die Fahrschülerin vom nächsten Tag probeweise ab. Der Senat verkennt nicht, dass der Zeugin die Bedeutung dieser Aussage für die Ansprüche des Klägers bekannt sein dürfte und die Zeugin auch zahlreiche Gelegenheiten hatte, die Angelegenheit zuvor mit dem Kläger zu besprechen. Zudem dürfte auch davon auszugehen sein, dass die Zeugin mittelbar als Ehefrau des Klägers von wirtschaftlichen Vorteilen einer für den Kläger günstig ausfallenden Gerichtsentscheidung profitieren würde bzw. das eheliche Verhältnis zu ihrem Mann gefährden könnte, wenn sie nicht zu seinen Gunsten aussagt. Der Senat hält die Zeugin G3 dennoch für glaubhaft, weil alle diese Umstände jeder Ehefrau entgegengehalten werden könnten, die zugunsten ihres Ehemannes aussagt. Darüber hinaus kann der Senat keine für die Unwahrheit der Aussagen der Zeugin sprechenden Anhaltspunkte erkennen. Auch die Zeugin G3 hat die erfragten Umstände ohne greifbare Widersprüche und schlüssig, aber auch nüchtern und für den Senat überzeugend, geschildert.

Zwar könnte es unwirtschaftlich erscheinen, für ein Fahrsicherheitstraining von ca. einem halben Tag Dauer eine so weit vom Wohnsitz des Klägers entfernte Strecke (50 km Landstraße, mit dem Auto laut google maps 52 min Fahrzeit) zu wählen, und diese dann auch noch am Vorabend auf eigene Kosten abzufahren. Die Zeugin S3 hat hierzu vor dem SG unter anderem ausgesagt, dass eine Vergütung von ca. 320 € für das geplante mehrstündige Fahrtraining am 12.04.2019 vereinbart und vorab per Überweisung beglichen worden war. Insoweit ist aber wiederum der Hinweis des Klägers nachvollziehbar, dass bereits auf der Hinfahrt zu der Strecke der Fahrschüler professionell beobachtet werde. Zudem ist eine solche Erkundungsfahrt auch nach den Einlassungen des Klägers nicht die Regel und war hier vorrangig dem Beginn der Motorradsaison und den hiermit verbundenen Unwägbarkeiten bezüglich geeigneter Straßenbeläge geschuldet.

Der Senat hat somit in Abwesenheit von privaten Gründen für die Motorradfahrt vom 11.04.2019 auch keine Veranlassung, auf die rechtlichen Probleme von gemischten Tätigkeiten oder Tätigkeiten mit gemischten Motivationslagen (teils beruflich, teils privat) einzugehen (vgl. hierzu W. Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 8 SGB VII Rn. 164; BSG vom 09.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 39 RdNr. 23 und vom 18.06.2013 - B 2 U 7/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 48 RdNr. 14 m.w.N.).

Der Senat stellt daher fest, dass zum Zeitpunkt des Unfalls eine allein unternehmensbezogene Handlungstendenz des Klägers nachgewiesen ist und diese Handlung auch objektiv dem Unternehmenszweck diente und diesen in angemessener Weise förderte. Der Kläger durfte daher darauf vertrauen, dass seine Erkundungsfahrt bei der Beklagten nach dem SGB VII versichert war. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich nicht um eine reine unversicherte Vorbereitungshandlung. Vorbereitungshandlungen oder vorbereitende Tätigkeiten sind Maßnahmen, die einer versicherten Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung für vorbereitende Tätigkeiten ist grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt, die das Gesetz selbst – etwa in § 8 Abs. 2 SGB VII – ausdrücklich nennt. Ausnahmen hiervon gelten allerdings dann, wenn ein besonders enger sachlicher, örtlicher und zeitlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit gegeben ist, der die Vorbereitungshandlung nach den Gesamtumständen selbst bereits als Bestandteil der versicherten Tätigkeit erscheinen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2020 – B 2 U 9/18 R –, BSGE 130, 17-25, SozR 4-2700 § 8 Nr 72).

Hier lag nach der Überzeugung des Senats bereits begrifflich keine Vorbereitungshandlung im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Definition „Maßnahmen, die einer versicherten [sic] Tätigkeit vorangehen und ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen“ zirkelschlüssig und für sich genommen daher wenig aussagekräftig ist. Sofern festzustellen ist, dass eine Tätigkeit selbst als versicherte Tätigkeit anzusehen ist, kann diese nicht mehr als unversicherte Vorbereitungshandlung qualifiziert werden. So liegt es hier. Es gehörte hier zur seriösen Geschäftsausübung des Klägers, dass er Fahrsicherheitstrainings nicht auf Strecken anbot, die nach der Winterpause ein unbekanntes Gefahrenpotential aufwiesen. Das Abfahren der Strecke war daher objektiv sinnvoll und Teil der den Fahrschülern geschuldeten Hauptleistung als vertragliche Nebenpflicht, durch geeignete Maßnahmen eine Gefährdung der Fahrschüler so weit wie möglich und vertretbar zu reduzieren. Hilfsweise weist der Senat darauf hin, dass die bei Vorbereitungstätigkeiten erforderliche wertende Betrachtung (BSG a.a.O. juris Rn. 18. Tank-Fall) zwar ergibt, dass die Tätigkeit einen vorbereitenden Charakter hatte.  Der Vorgang, eine Erkundungsfahrt zur Kontrolle von nach dem Winter verbleibenden Rollsplit durchzuführen, war aber sowohl örtlich als auch zeitlich festgelegt, weil er an der konkreten Fahrstrecke für den Fahrschüler und kurz vor der geplanten Trainingsfahrt stattfinden musste.

Zudem sind die Besonderheiten der Unternehmerversicherung zu berücksichtigen, wonach der Kläger selbst seine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung trägt und der Aspekt des Umfangs des Haftungsrisikos, welches auf den die alleinige Beitragslast tragenden Unternehmer ausgedehnt wird (vgl. BSG a.a.O. juris Rn. 17), hier nicht ohne Einschränkungen einschlägig ist. Der Kläger trägt seine Beiträge selbst und trägt im Umlageverfahren auch eine Erhöhung der Aufwendungen der Beklagten aufgrund eines höheren Unfallaufkommens mit. Er kann zudem (s.o.) in einem nachvollziehbaren Rahmen sein wirtschaftliches unternehmerisches Verhalten selbst definieren. Insoweit sind hier auch die Regeln für einen Arbeitsweg nicht anwendbar, da es sich um einen insgesamt versicherten Betriebsweg im Interesse des klägerischen Unternehmens handelte. Der Kläger kann letztlich, worauf die Klägerbevollmächtigte zutreffend hinweist, nicht schlechter behandelt werden als ein angestellter Fahrlehrer, der von seinem Arbeitgeber die Weisung erhält, am Vortrag eines Fahrsicherheitstrainings eine bestimmte Übungsstrecke aus Sicherheitsgründen vorab nach der Winterpause zu kontrollieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



 

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