L 4 KR 2825/23 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 4251/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2825/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Noch nicht festgesetzte Säumniszuschläge wirken nicht streitwerterhöhend. Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV entstehen zwar kraft Gesetzes, ihre Geltendmachung für die Vergangenheit setzt aber eine Einzelfallprüfung und einen diesbezüglichen Verwaltungsakt voraus.
2. Ist ein beschwerdeführender Beteiligter kostenerstattungsberechtigt und begehrt er eine Streitwerterhöhung, besteht nur ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn er mit seinem Prozessbevollmächtigten eine Honorarvereinbarung getroffen hat, nach der ein höheres Honorar als die gesetzliche Vergütung nach Maßgabe des bislang festgesetzten Streitwerts geschuldet ist.

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. August 2023 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



Gründe

1. Der Senat entscheidet über die Streitwertbeschwerde der Klägerin gemäß § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) durch die Berichterstatterin allein, da die angefochtene Streitwertfestsetzung durch den Kammervorsitzenden des Sozialgerichts Stuttgart (SG) als Einzelrichterentscheidung im Sinne des § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG anzusehen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Dezember 2020 - L 4 KR 3710/19 B - n.v.; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2018 - L 7 BA 1871/18 B - juris Rn. 13; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Februar 2011 - L 11 R 5686/10 B - juris Rn. 1).

2. Die am 14. September 2023 beim SG form- und fristgerecht erhobene Beschwerde (§ 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 68 Abs. 1 Satz 3 und 5, 66 Abs. 5 Satz 5 und § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) der Klägerin gegen den Beschluss des SG vom 23. August 2023 ist statthaft und zulässig.


a) Einer Entscheidung des Senats steht nicht entgegen, dass das SG keine ausdrückliche (negative) Abhilfeentscheidung getroffen hat. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG hat das Gericht, das den Streitwert festgesetzt hat, der Beschwerde abzuhelfen, soweit es sie für zulässig und begründet hält; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Letzteres ist hier geschehen. Einer gesonderten, ausdrücklichen Nichtabhilfeentscheidung des SG bedurfte es nicht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 3028 - L 7 BA 1871/18 B - juris, Rn. 20).

b) Nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG findet gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs. 2 GKG), die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt. Vorliegend begehrt die Klägerin die Festsetzung des Streitwerts auf 384.191,31 € anstelle der vom SG festgesetzten 119.542,63 €. Nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Anlage 1, § 34 GKG i.V.m. mit Anlage 2 ergibt sich eine Differenz der Gerichtskosten in Höhe von mehr als 200,00 €.

c) Die Klägerin ist auch beschwerdeberechtigt, obwohl sie nach dem Anerkenntnis der Beklagten vom 15. Februar 2023 und vom 9. März 2023, das auch die Tragung der Kosten des Verfahrens und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin umfasst, nicht kostenpflichtig, sondern kostenerstattungsberechtigt ist.
Ist ein beschwerdeführender Beteiligter kostenerstattungsberechtigt und begehrt er eine Streitwerterhöhung, besteht nur ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn er mit seinem Prozessbevollmächtigten eine Honorarvereinbarung getroffen hat, nach der ein höheres Honorar als die gesetzliche Vergütung nach Maßgabe des bislang festgesetzten Streitwerts geschuldet ist. In solchen Fällen kann der kostenerstattungsberechtigte Beteiligte nach einer höheren Streitwertfestsetzung vom Prozessgegner die Erstattung eines höheren Betrags erwirken und so zugleich seine eigene Zahlungsverpflichtung aus der Honorarvereinbarung mindern oder sogar die daraus resultierenden Kosten gänzlich abwenden. Dies bedeutet nicht, dass sich die Höhe der außergerichtlichen Kosten eines Beteiligten als Teil der Kosten des Rechtsstreits (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) nach einer Honorarvereinbarung richtet. Vielmehr kann der kostenerstattungsberechtigte Beteiligte lediglich geltend machen, dass der Streitwert in rechtswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden sei und er deshalb einen Teil der ihm entstandenen Kosten nicht erstattet verlangen könne. Bei Streitwertbeschwerden besteht demnach ein Rechtsschutzbedürfnis des kostenerstattungsberechtigten Beteiligten immer dann, wenn das nach einer Honorarvereinbarung geschuldete Honorar des Prozessbevollmächtigten dieses Beteiligten das nach der bisherigen Streitwertfestsetzung und den Vorgaben des RVG vom kostenpflichtigen Teil zu erstattende Honorar übersteigen würde (Sächsisches LSG, Beschluss vom 30. Mai 2016 - L 1 KA 3/15 B - juris, Rn.
 20). Diese Voraussetzungen sind vorliegend aufgrund der zwischen der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten getroffenen Honorarvereinbarung gegeben.

3. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das SG hat den Streitwert zu Recht auf 119.542,63 € und nicht – wie von der Klägerin begehrt – auf 384.191,31 € festgesetzt.

a) Mit der am
22. Oktober 2020 beim SG erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 21. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. September 2020, mit dem die Beklagte festgestellt hatte, dass die Sozialversicherungsbeiträge von Herrn B1 im Zeitraum 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2008 nicht verjährt seien und die Klägerin daher für B1 vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2008 Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte übermitteln müsse. Darüber hinaus beantragte die Klägerin, festzustellen, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag für B1 für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2008 verjährt sei.

b)
In Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 € anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Die Höhe der für den streitigen Zeitraum 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2008 durch die Klägerin für B1 zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge beliefen sich auf 119.542,63 €; dies entnimmt der Senat der Aufstellung der Beklagten vom 15. Januar 2021 (Bl. 88 der SG-Akte). Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung bestehen nicht und werden durch die Klägerin auch nicht geltend gemacht. Dieser Betrag entspricht ausgehend von ihrem Antrag im Hauptsacheverfahren der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für die Klägerin.

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin waren bei der Streitwertfestsetzung mögliche Säumniszuschläge nicht erhöhend zu berücksichtigen und der Streitwert daher nicht auf insgesamt 384.191,31 € festzusetzen.

Zwar sind, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, Säumniszuschläge bei der Berechnung des Streitwerts grundsätzlich werterhöhend zu berücksichtigen (st. Rspr., u.a. BSG; Beschluss vom 10. Juni 2010 - B 2 U 4/10 B - juris, Rn. 16). Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren waren Säumniszuschläge aber zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Verfahrens. Streitig war vielmehr allein, ob die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. März 2000 bis 31. Dezember 2008 verjährt sind.

Gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist der Streitwert abweichend von der Höhe der bezifferten Geldleistung festzusetzen, wenn der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auch noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat. Die Höhe des sich aus § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ergebenden Streitwerts ist dann um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. Ob eine solche Zukunftsbedeutung vorliegt, muss das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen klären (Hartmann, in: Hartmann, Kostengesetze online, 4. Lieferung, 11/2022, § 52 GKG 2004, Rn. 24b). Die Festsetzung von Säumniszuschlägen war im vorliegenden Verfahren entgegen der Auffassung der Klägerin nicht im Sinne des § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG offensichtlich absehbar. Der Säumniszuschlag nach § 24 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) entsteht zwar ohne weiteres kraft Gesetzes; er muss, um zu entstehen, insbesondere auch nicht eigens angefordert oder durch Verwaltungsakt konstitutiv festgestellt werden (Segebrecht, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., Stand Januar 2019, § 24 Rn. 33). Anderes gilt aber bei der Erhebung von Säumniszuschlägen für die Vergangenheit nach § 24 Abs. 2 SGB IV (BSG, Urteil vom 22. März 2021 – B 13 R 20/19 R – juris, Rn. 20). Bei der Feststellung von Beitragsforderungen durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ist gemäß § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Danach sind zur Vermeidung unbilliger Härten Säumniszuschläge dann nicht zu erheben, wenn eine Beitragsforderung (durch Bescheid) mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird und der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Dies bedarf einer behördlichen Beurteilung und Regelung im Einzelfall (BSG, a.a.O., m.w.N.). Die im Zusammenhang mit der Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erörterten Verschuldensfragen stellen sich zwar auch im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB IV. Die konkrete Geltendmachung und Festsetzung von Säumniszuschlägen, die einer gesonderten Prüfung und Entscheidung bedarf, war aber seitens der Beklagten im laufenden Verfahren zu keinem Zeitpunkt angekündigt worden.

4. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


 

Rechtskraft
Aus
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