L 7 SO 1581/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SO 2328/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1581/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Steht im Zeitpunkt des Verlassens einer Einrichtung nicht fest, ob, wann und wo die (stationäre) Hilfegewährung fortgesetzt werden soll, kann eine rechtserhebliche Unterbrechung der Einrichtungskette vorliegen.
2. Zu den Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 102 SGB X bzw. § 104 SGB X.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 8. April 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch des Klägers in Höhe von 148.719,97 EUR für an den Leistungsempfänger M1 L1 (M.L.) für die Zeit vom 1. August 2016 bis 31. Dezember 2019 erbrachte Eingliederungshilfeleistungen streitig.

Bei dem 1992 in Ü1 (B1) geborenen M.L. bestehen eine mittelgradige Intelligenzminderung, eine deutliche Verhaltensstörung sowie eine Persönlichkeitsstörung. Er lebte bis 20. Februar 2013 in der C1 Dorfgemeinschaft H1 e.V., H2 im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Die Kosten der stationären Eingliederungshilfe trug der Kläger seit 1. Januar 2005.

Nach einem Vorkommnis in der Einrichtung (Vorwurf eines schweren sexuellen Übergriffs des M.L. gegenüber einer Mitbewohnerin) wurde M.L. wenige Tage später, am 20. Februar 2013, stationär in die akutpsychiatrische Abteilung des Z1 S1 in F1 aufgenommen. Nachdem sich keine weitere Notwendigkeit für eine stationäre psychiatrische Behandlung ergeben und keine Haftgründe vorgelegen hatten, wurde M.L. am 19. März 2013 entlassen (vgl. zu alledem: Entlassbericht Z1 S1 vom 19. März 2013). Da die C1 Dorfgemeinschaft eine Rückkehr des M.L. ausgeschlossen hatte, hielt sich M.L. im Anschluss bei seiner Tante L2 L3 (L.L.) in S2 (Landkreis K1) im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf, um einen neuen Heimplatz für ihn zu finden. Den Heimvertrag mit der C1 Dorfgemeinschaft hatte seine Betreuerin zwischenzeitlich mit Schreiben vom 2. April 2013 gekündigt.

Mit E-Mail vom 13. Mai 2013 beantragte die Betreuerin des M.L. bei dem Kläger die Aufnahme des M.L. in das stationäre Wohnen der Einrichtung der G1-Hilfe für behinderte Menschen gGmbH, M2 (B1). Nach einem Probewohnen teilte die G1-Hilfe dem Kläger mit, dass M.L. dort am 23. Mai 2013 aufgenommen werde und bat um die in Aussicht gestellte Kostenzusage vorab per E-Mail zunächst für ein Jahr. Diese erteilte der Kläger mit E‑Mail vom 21. Mai 2013.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2013 bewilligte der Kläger dem M.L. Eingliederungshilfe in vollstationärer Form gemäß § 54 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Übernahme der Kosten des stationären Wohnens ab dem 23. Mai 2013 vorerst bis zum 31. Mai 2014.

Mit Bescheid vom 22. Januar 2014 übernahm der Kläger für M.L. ab 21. Januar 2014 bis auf Weiteres die Kosten der Eingliederungshilfe nach §§ 54 SGB XII, 41 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Beschäftigung in der Werkstatt für behinderte Menschen der Stiftung L4 in M2.

Die Eingliederungshilfeleistungen an M.L. wurden vom Kläger regelmäßig weiterbewilligt (vgl. Bescheide vom 18. März 2015, 9. Juni 2016). Ab dem 16. Februar 2018 wechselte M.L. in ein Betreutes Wohnen in Familien in T1 (B1), das von einer Fachkraft der L4 Teilhabe gGmbH betreut wurde, wofür der Kläger unter dem 30. April 2018 eine Kostenzusage erteilte und weiterhin Eingliederungshilfe bewilligte (Bescheide vom 6. November 2018, 18. April 2019, 23. September 2019).

Mit Schreiben vom 25. Februar 2014 machte der Kläger bei dem Beklagten Kostenerstattung nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend und beantragte die Übernahme des Falles durch den Beklagten in die eigene Zuständigkeit. Zur Begründung führte er aus, bei einer Fallüberprüfung sei die Akte nochmals durchgesehen worden. Nach dem Klinikaufenthalt habe M.L. bei seiner Tante L.L. im Bereich des Beklagten einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung und eine Fallübernahme ab, denn der Hilfeempfänger habe im Bereich des Beklagten keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

Nachdem sich die Beteiligten in der Folge nicht einigen konnten, rief der Kläger am 16. September 2016 die Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten Baden-Württemberg des Landkreis- und Städtetages mit dem Antrag an, dass der Beklagte dem Kläger die für M.L. entstandenen Aufwendungen für die Zeit vom 23. Mai 2013 bis 31. Juli 2016 in Höhe von insgesamt 149.384,90 EUR zu erstatten habe. Am 31. Oktober 2018 erließ die Schiedsstelle (Az. St. 14/16) einen Schiedsspruch, worin der Beklagte verpflichtet wurde, dem Kläger die seit 23. Mai 2013 entstandenen Kosten der Eingliederungshilfe zu erstatten. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Beklagte seit 23. Mai 2013 örtlich zuständiger Sozialhilfeträger für M.L. sei. Nachdem der Beklagte den Schiedsspruch nicht als wirksam anerkannt hatte (vgl. Schreiben vom 19. Dezember 2018), berichtigte die Schiedsstelle mit weiterem Schiedsspruch vom 5. August 2019 ihren Schiedsspruch vom 31. Oktober 2018 im Tenor dahingehend, dass der Beklagte dem Kläger die für den Hilfeempfänger entstandenen Aufwendungen für die Eingliederungshilfeleistungen in der Zeit vom 23. Mai 2013 bis 31. Juli 2016 in Höhe von insgesamt 149.384,90 EUR zu erstatten habe. In der Folge hat der Beklagte beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart beantragt, den Schiedsspruch aufzuheben. Das OLG verwies den Rechtsstreit mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 (Az. 1 Sch 2/19) an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, welches wiederum den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Mai 2020 (Az. L 7 SO 667/20 KL) an das Sozialgericht Konstanz (SG) weiterverwies. Der Rechtsstreit wird dort unter dem Az. S 6 SO 989/20 geführt und ist weiterhin anhängig.

Für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Juli 2019 hatte der Kläger nach vergeblicher Geltendmachung von Erstattungsansprüchen gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 31. Juni 2019 zunächst ebenfalls bei der Spruchstelle Baden-Württemberg einen Antrag auf Erstattung der Eingliederungshilfeleistungen für M.L. gestellt, der dort unter dem Az. St. 5/19 geführt wurde. Das Spruchstellenverfahren ruht. Die Spruchstelle befindet sich in Auflösung.

Am 21. Dezember 2020 hat der Kläger Klage zum SG erhoben und für die Zeit vom 1. August 2016 bis 31. Dezember 2019 die Erstattung der Aufwendungen für die an M.L. erbrachten Eingliederungshilfeleistungen durch den Beklagten sowie die Feststellung, dass der Beklagte zur Erbringung der Eingliederungshilfeleistungen für M.L. in diesem Zeitraum sachlich und örtlich zuständig war, geltend gemacht. Er habe als nachrangig zuständiger Leistungsträger gegen den Beklagten als vorrangigen Leistungsträger aus § 104 SGB X einen Erstattungsanspruch. Die Heimkette sei durch das Verlassen der C1 Dorfgemeinschaft am H1 unterbrochen worden, nachdem es länger als zwei Monate gedauert habe, bis M.L. wieder in eine Einrichtung stationär aufgenommen worden sei. Ein nahtloser Übertritt von einer Einrichtung in die nächste liege nicht vor. Zum Zeitpunkt des Eintritts des M.L. in die Einrichtung der G1-Hilfe am 23. Mai 2013 bzw. in den zwei Monaten vor der Aufnahme sei sein gewöhnlicher Aufenthalt im Landkreis K1 gewesen. Nicht erforderlich für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts sei die Absicht, sich auf Dauer niederzulassen, vielmehr genüge auch ein Aufenthalt bis auf Weiteres. Da vorliegend zunächst unklar gewesen sei, wie es weitergehen würde und in welche Einrichtung M.L. aufgenommen werden könnte, sei dieser bis auf Weiteres im Zuständigkeitsbereich des Beklagten geblieben. Dass sich der Kläger weiterhin um einen neuen Einrichtungsplatz für M.L. bemüht habe, habe am Wechsel der Zuständigkeit nichts geändert. Bei der Berechnung des Erstattungsbetrages seien die Einnahmen des M.L., etwa das Kindergeld, der Unterhaltsbeitrag sowie ein Kostenbeitrag zur WfbM und später auch noch das Pflegegeld berücksichtigt worden.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass er mangels Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des M.L. in S2 örtlich nicht zuständig sei, den Erstattungsanspruch der Höhe nach bestritten sowie sich auf die Verjährung der Erstattungsansprüche aus dem Jahr 2016 berufen. Ihm sei die Klageschrift erst am 14. Januar 2021 zugestellt worden.

Mit Urteil vom 8. April 2022 hat das SG den Beklagten verurteilt, an den Kläger 148.719,97 EUR zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Klage stehe nicht entgegen, dass der Kläger mit Schreiben vom 31. Juli 2019 bereits bei der Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten S3 den Antrag gestellt hat, den Beklagten zu verpflichten, ihm die im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen Kosten für geleistete Eingliederungshilfe zu erstatten, weil der Beklagte die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit nicht erhoben habe und auch nicht anzunehmen sei, dass der Beklagte die Einrede in Zukunft erheben werde. Dem Kläger stehe gegen den Beklagten der geltend gemachte Erstattungsanspruch zu. Der Beklagte sei für die Erbringung der Leistungen, deren Erstattung der Kläger begehre, zuständig. Der Erstattungsanspruch folge aus § 105 Abs. 1 SGB X. § 104 SGB X regele einen Erstattungsanspruch in einer Situation, in der ein zuständiger Sozialleistungsträger Leistungen erbracht habe und sich später die Leistungspflicht eines anderen, vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers für kongruente Leistungen herausstelle. Habe hingegen – wie hier – ein unzuständiger Träger gehandelt, richte sich der Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X für einen Erstattungsanspruch des Klägers hinsichtlich der Eingliederungshilfe lägen vor, da nicht der Kläger, sondern der Beklagte für die Leistungserbringung – im Innen- und Außenverhältnis –zuständig gewesen sei. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als örtlicher Träger der Sozialhilfe ergebe sich aus § 97 Abs. 1 SGB XII. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten folge aus § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Ein Übertritt des M.L. von der Einrichtung der C1 Dorfgemeinschaft H1 e. V. in die G1-Hilfe L4 im Sinne von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII liege nicht vor. Eine nahtlose Einrichtungskette sei nicht gegeben, da die Unterbrechungen des Aufenthalts in Einrichtungen durch den zwischenzeitlichen Aufenthalt im Haus seiner Tante in S2 mit über zwei Monaten (deutlich) länger gewesen, als für den Wechsel zwischen den Einrichtungen erforderlich gewesen wäre. Ein solcher wäre bei einer Entfernung der Einrichtungen von ca. 43 km ohne weiteres an einem Tag möglich gewesen. Zudem sei beim Verlassen der Einrichtung der C1 Dorfgemeinschaft nach Abschluss der stationären Behandlung in der Akutpsychiatrie des Z1 S1 in F1 am 19. März 2013 ein Wechsel in die S4-Hilfe keineswegs schon fest vereinbart oder sicher beabsichtigt gewesen. Entscheidend sei daher, ob und ggf. wo M.L. bei Aufnahme in die S5-Hilfe seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt bzw. in den letzten zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt habe. M.L. habe nach dem Verlassen der Einrichtung der C1 Dorfgemeinschaft einen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Tante in S2 und damit im Bereich des Beklagten begründet und diesen auch nachfolgend bis zur Aufnahme in die G1-Hilfe nicht wieder aufgegeben. M.L habe nach dem Verlassen der Einrichtung der C1 Dorfgemeinschaft zunächst nur einen besuchsweisen Aufenthalt bei seiner Tante beabsichtigt und nicht geplant, einen dauerhaften Aufenthalt dort zu begründen – wobei unerheblich sei, ob auf die Absicht des M.L. oder derjenigen seiner Betreuerin abzustellen sei, da sich Unterschiede in der Willensrichtung nicht feststellen ließen. Der Aufenthalt bei der Tante habe zwar nur der Überbrückung bis zu einer möglichen Aufnahme in eine neue stationäre Einrichtung gedient. Dennoch sei der Aufenthalt in S2 nicht nur vorübergehend, sondern ein zukunftsoffener Aufenthalt bis auf Weiteres gewesen. Bei Aufnahme in das Haus der Tante sei nämlich noch völlig offen gewesen, ob und wann eine Aufnahme in eine neue stationäre Einrichtung habe erfolgen können. Der Auszug aus der Einrichtung der C1 Dorfgemeinschaft sei aufgrund des Vorkommnisses mit dem Vorwurf eines schweren sexuellen Übergriffs plötzlich erfolgt. Zwar sei dann zeitnah eine neue Einrichtung für M.L gesucht worden. Jedoch sei er erst am 23. Mai 2013 nach einem Probewohnen bei der G1-Hilfe aufgenommen worden. Bis dahin habe es sowohl M.L. als auch der G1-Hilfe freigestanden, sich für oder gegen eine Aufnahme in die Einrichtung zu entscheiden. Damit sei aber auch die Dauer des Aufenthalts im Haus der Tante offen gewesen. Ein solch zukunftsoffener Aufenthalt „bis auf Weiteres“ führe zu einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 98 Abs. 1 SGB XII im Bereich des Beklagten und begründe damit dessen örtliche Zuständigkeit für die Sozialhilfeleistungen. Auch habe der Kläger, abgesehen von seiner Unzuständigkeit, Eingliederungshilfeleistungen an M.L. rechtmäßig erbracht. M.L. habe einen Anspruch auf die Hilfeleistungen aus §§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII a.F. gehabt. M.L. habe insbesondere die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII a.F. erfüllt. Soweit der Beklagte (alleine) die Einkommensanrechnung in Frage stelle, werde auf die Aufstellung des Klägers in den Anlagen zum Schriftsatz vom 21. Juni 2021 Bezug genommen. Daraus ergebe sich, dass die Einnahmen des M.L. (u.a. Kindergeld, Unterhalt) anspruchsmindernd berücksichtigt worden seien. Nachdem Fehler in der Berechnung des Erstattungsanspruches ansonsten weder ersichtlich noch substantiiert vorgebracht worden seien, bestehe ein Erstattungsanspruch in der verlangten Höhe gegen den Beklagten. Der Erstattungsanspruch sei auch nicht verjährt. Diese Hilfeleistungen (auch aus dem Jahr 2016) seien nicht verjährt, da die Verjährung noch vor Ablauf der Vierjahresfrist durch Erhebung der Klage am 21. Dezember 2020 gehemmt worden sei. Die Klage sei bereits mit Eingang bei Gericht „erhoben“ worden. Zu diesem Zeitpunkt trete nämlich Rechtshängigkeit ein (§ 94 Satz 1 SGG). Auf den Zeitpunkt, an dem die Klage dem Gegner bekanntgegeben oder zugestellt worden sei, komme es im Sozialgerichtsverfahren nicht an. Die außerdem erhobene Feststellungsklage sei bereits unzulässig. Der gerichtlichen Feststellung stehe schon die grundsätzliche Subsidiarität einer Feststellungsklage entgegen. Der Kläger könne unmittelbar Erstattungsansprüche geltend machen und habe dies auch getan, wodurch seine Interessen ausreichend gewahrt seien und er nicht auf eine (zusätzliche) Feststellungsklage zurückgreifen müsse. Für eine zusätzliche ausdrückliche Feststellung der Zuständigkeit im allein streitgegenständlichen Zeitraum bestehe danach kein Rechtsschutzbedürfnis.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 3. Mai 2022 zugestellte Urteil am 30. Mai 2022 Berufung beim LSG eingelegt. Mit der Annahme, der geltend gemachte Erstattungsanspruch folge aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X, verletze das SG § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bzw. § 16 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung. Danach sei § 105 SGB X für unzuständige Rehabilitationsträger nicht anzuwenden, wenn diese eine Leistung erbracht hätten, ohne den Antrag an den zuständigen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX weitergeleitet zu haben. Eine unter das Regelungsgefüge der §§ 14 ff. SGB IX fallende Sachlage sei gegeben, weil der M.L. bei dem Kläger am 13. Mai 2013 einen Antrag auf Aufnahme in die G1-Hilfe L4 gestellt habe, also einen Antrag auf Teilhabeleistungen im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, auf den mit Bewilligungsbescheid vom 13. Juni 2013 die Kosten des stationären Wohnens ab 23. Mai 2013 vorerst bewilligt worden seien. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger dem M.L. bereits seit 1. Januar 2005 Eingliederungshilfeleistungen gewährt habe. Diese seien nämlich mit Bescheid vom 14. Juni 2013 mit Wirkung zum 21. Februar 2013 beendet worden. M.L. habe somit in der Zeit vom 22. Februar 2013 bis 22. Mai 2013 und damit auch bei Antragstellung am 13. Mai 2013 keine Eingliederungshilfeleistungen erhalten, sodass eine zeitliche und faktische Zäsur von drei Monaten Dauer eingetreten sei. Es handele sich damit bei der mit Bescheid des Klägers vom 13. Juni 2013 erteilten Bewilligung von Eingliederungshilfeleistungen nicht um eine bloße Verlängerung bzw. Weiterbewilligung einer bestimmten Maßnahme, sondern, nach einer Zäsur von knapp zwei Monaten, in denen keine Eingliederungshilfeleistungen bewilligt waren, um einen neuen, von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in beiden Fassungen erfassten Leistungsfall, für welchen eine neue Antragstellung erforderlich gewesen sei, um eine neue Leistungspflicht eines Sozialhilfeträgers begründen zu können. Nicht umsonst habe auch der Kläger den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 24. August 2011 mit Bescheid vom 14. Juni 2013 aufgehoben und mit Bescheid vom 13. Juni 2013 Eingliederungshilfeleistungen neu bewilligt. Damit handele es sich beim Antrag vom 13. Mai 2013 um einen Neuantrag auf Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung mit der Folge, dass die zweiwöchige Frist dieser Regelung neu in Gang gesetzt worden sei. Der Kläger habe diese Zwei-Wochen-Frist ungenutzt verstreichen lassen, indem er keine Weiterleitung an den Beklagten unternommen und vielmehr erstmals mit Schreiben vom 25. Februar 2014 bei ihm vorsorglich Kostenerstattung nach § 105 SGB X geltend gemacht habe.
Damit sei der Kläger als erstangegangener Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet gewesen, den Rehabilitationsbedarf des M.L. unverzüglich festzustellen. Zudem habe das SG übersehen, dass der Erstattungsanspruch nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Unzuständigkeit entfalle. Indem der Kläger übersehen habe, dass sich M.L. vor seiner Aufnahme in die G1-Hilfe gGmbH im Kreisgebiet des Beklagten aufgehalten habe und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben könnte, obwohl dies von Anfang an aus der Verwaltungsakte des Klägers hervorgegangen sei und ihn schon bei Antragseingang im Mai 2013 dazu hätte veranlassen müssen, seine Zuständigkeit zu verneinen, habe beim Kläger eine grob fahrlässige Unkenntnis der Unzuständigkeit vorgelegen. Im Übrigen sei nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII die örtliche Zuständigkeit des Klägers gegeben. M.L. habe in S2 keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Vielmehr habe von Anfang an sowohl für seine Betreuerinnen als auch für den Kläger festgestanden, dass der Aufenthalt des M.L. bei seiner Tante in S2 nur vorübergehend sein sollte und ein dauerhafter oder sonst wie gearteter längerer Aufenthalt bei dieser gar nicht möglich sei. Die Option „nicht nur vorübergehend Verweilen in der Gemeinde S2“ wie sie § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes fordere, habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Es habe diese auch nicht geben können, weil es von Anfang an notwendig gewesen sei, den leistungsberechtigten M.L. stationär unterzubringen, was damals auch allen Beteiligten bewusst und bekannt gewesen sei.
 
Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 8. April 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Durch das Verlassen der C1 Dorfgemeinschaft am H1/H2 sei die Heimkette unterbrochen worden. Es habe länger als zwei Monate gedauert, bis M.L. wieder stationär in eine Einrichtung habe aufgenommen werden können. M.L. habe nach dem Verlassen des Z1 noch keinen neuen Einrichtungsplatz gefunden gehabt. Erst während der Zeit bei seiner Tante seien in Abstimmung mit dem Fallmanagement des Klägers verschiedene in Frage kommende Einrichtungen sondiert worden. Schließlich habe M.L. per Schreiben vom 17. Mai 2013 eine Aufnahmezusage seitens der G1-Hilfe erhalten. Somit sei gerade kein nahtloser Übertritt von einer Einrichtung in die nächste gegeben. Die örtliche Zuständigkeit habe sich somit wieder nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII gerichtet. In der Zeit vom 19. März 2013 bis zur Aufnahme in der Einrichtung H3 der G1-Hilfe am 23. Mai 2013 habe sich M.L. bei seiner Tante in S2 aufgehalten. Es sei von vornherein klar gewesen, dass M.L. nicht mehr in die Ausgangseinrichtung habe zurückkehren können. Die Aufnahme des M.L. in eine andere Einrichtung habe zum Zeitpunkt seiner Ankunft im Landkreis K1 weder festgestanden noch habe es eine konkrete Aussicht auf einen neuen Einrichtungsplatz gegeben. Die Aufenthaltsdauer im Landkreis K1 sei länger als zwei Monate gewesen. Der Aufenthalt des M.L. sei auch zukunftsoffen gewesen, da über ein paar Wochen hinweg nicht festgestanden habe, in welche Einrichtung M.L. aufgenommen werde und in welchem Landkreis sich diese befinden würde. Zum Zeitpunkt des Eintritts des M.L. in die Einrichtung der G1-Hilfe am 23. Mai 2013 bzw. in den zwei Monaten vor der Aufnahme sei sein gewöhnlicher Aufenthalt im Landkreis K1 gewesen. Für den Erstattungsanspruch seien sowohl die Voraussetzungen des § 14 SGB X, die des § 105 SGB X als auch die des § 104 SGB X erfüllt. Der Vortrag des Beklagten, der Kläger habe grob fahrlässig seine örtliche Unzuständigkeit nicht erkannt, sei aus der Luft gegriffen. Bei dem Bescheid vom 9. Juni 2016 habe es sich um einen Bescheid aufgrund des Weiterbewilligungsantrags des M.L. gehandelt. Für ihn sei es nicht erheblich, wer bzw. welcher Sozialhilfeträger für seinen eingliederungshilferechtlichen Bedarf aufkomme. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides habe der Beklagte bereits längst und wiederholt klargestellt, dass er seine Zuständigkeit nicht anerkenne und nicht zur Kostenerstattung bereit sei. Der Beklagte sei erstmals mit Schreiben vom 25. Februar 2014 gebeten worden, seine örtliche Zuständigkeit und die Kostenerstattungspflicht anzuerkennen. Über sieben Monate später habe der Beklagte erstmals reagiert und im Schreiben vom 7. Oktober 2014 mitgeteilt, dass er seine Zuständigkeit und seine Kostenerstattungspflicht nicht anerkenne. Der Zuständigkeitsstreit habe nicht auf dem Rücken des M.L. ausgetragen werden können. Aus diesem Grund seien ihm die Leistungen zur Sicherung seines Bedarfs gewährt worden. Der Erstattungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass der Kläger den bei ihm eingegangenen Leistungsantrag nicht unverzüglich nach Ablauf der zweiwöchigen Prüfungsfrist an den Beklagten weitergeleitet habe. Unter Berücksichtigung der Ziele des § 14 SGB IX schließe § 14 Abs. 4 SGB IX die Anwendbarkeit der §§ 102ff. SGB X gerade nicht umfassend aus. Gemäß § 104 SGB X könne sich ein erstangegangener Rehabilitationsträger im Rahmen eines Erstattungsstreits die Kosten der Rehabilitationsmaßnahme vom vorrangig zuständigen Rehabilitationsträger erstatten lassen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Klägers Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Berufung bedurfte auch nicht der Zulassung, da der gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG maßgebliche Beschwerdewert bei Erstattungsstreitigkeiten in Höhe von 10.000,00 EUR überschritten ist.

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, an den Kläger
die von ihm an M.L. erbrachten Eingliederungshilfeleistungen im Zeitraum vom 1. August 2016 bis zum 31. Dezember 2019 von insgesamt 148.719,97 EUR zu erstatten.

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG. Die beteiligten Sozialhilfeträger stehen zueinander in einem Gleichordnungsverhältnis. Deshalb scheidet eine Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt aus (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. Februar 2012 – B 9 VG 1/10 R – SozR 4-1300 § 112 Nr. 1 Rdnr. 14). Der Kläger hat sein Zahlungsbegehren konkret beziffert (hierzu BSG, Urteil vom 20. November 2008 – B 3 KR 25/07 R – SozR 4-2500 § 133 Nr. 3 Rdnr. 14).

Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren des Klägers ist entgegen der Auffassung des SG allerdings nicht § 105 SGB X, sondern für die Zeit vom 1. August 2016 bis 15. Februar 2018 § 104 SGB X, für die Zeit vom 16. Februar 2018 bis 31. Dezember 2019 § 102 SGB X.

Diese allgemeinen Erstattungsregelungen werden im vorliegenden Fall durch § 14 Abs. 4 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung vom 23. April 2004 (BGBl. I 606; a.F.) bzw. § 16 Abs. 1 und 4 SGB IX in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I 3234) nicht verdrängt.

§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. bzw. ab 1. Januar 2018 § 16 Abs. 1 und 4 SGB IX ist nicht anwendbar. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. bestimmt: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Eine Bewilligung der Leistung nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 erfolgt durch den zweitangegangenen Rehabilitationsträger, an den der Antrag von dem sich selbst für unzuständig haltenden erstangegangenen Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist; er ist im Verhältnis zum Versicherten endgültig und umfassend leistungspflichtig, auch wenn er nach den geltenden Normen außerhalb des SGB IX nicht für die beanspruchte Rehabilitationsleistung des Versicherten zuständig ist. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX trägt dieser Situation des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers Rechnung, indem er für ihn einen speziellen Erstattungsanspruch begründet, der die allgemeinen Erstattungsansprüche verdrängt und sicherstellt, dass der zweitangegangene im Nachhinein seine Aufwendungen vom „eigentlich“ zuständigen Rehabilitationsträger zurückerhält (vgl. hierzu im BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R – SozR 4-1300 § 104 Nr. 2). Eine entsprechende Regelung trifft § 16 Abs. 1 SGB X ab 1. Januar 2018 für die Gesamtzuständigkeit eines anderen als des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers.

Der Kläger ist nicht der zweitangegangene Rehabilitationsträger im Sinne der genannten Normen. M.L. hat vielmehr die begehrte Eingliederungshilfe bereits im Mai 2013 bei dem Kläger beantragt, sodass dieser der erstangegangene Rehabilitationsträger ist. Da der Kläger den Antrag nicht weitergeleitet hat, ist er gegenüber M.L. gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F. allein zuständig und somit leistungspflichtig geworden. Die nur abschnittsweisen Bewilligungen bzw. Weitergewährungen der Eingliederungshilfeleistungen haben den Kläger nicht berechtigt, seine nach § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit für die Entscheidung über die Weiterbewilligung zu prüfen und gegebenenfalls abzulehnen. Eine bloße Verlängerung einer bestimmten Maßnahme stellt keinen neuen, sondern einen einheitlichen, damit von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht erfassten Leistungsfall dar, für welchen eine neue Antragstellung nicht erforderlich ist und der unter Beachtung des Rechtsgedankens von § 4 Abs. 2 Satz 2 SGB IX sowie dem Grundsatz der Leistungserbringung „aus einer Hand“ vom ursprünglich leistenden Träger abzuschließen ist (vgl. Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 14 Rdnr. 58; Senatsurteil vom 20. Januar 2022 – L 7 SO 3290/20 – juris Rdnr. 30). Auf den Weiterbewilligungsantrag des M.L. vom 16. Februar 2016, auf den der Kläger mit Bescheid vom 9. Juni 2016 die Eingliederungshilfe für die Zeit ab 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2017 weitergewährt hat, war er daher nicht berechtigt, seine bereits im Mai 2013 begründete Zuständigkeit (erneut) zu prüfen und den Antrag gegebenenfalls weiterzuleiten.

Etwas anderes gilt allerdings für die ab 16. Februar 2018 erbrachten Eingliederungshilfeleistungen. Ab diesem Zeitpunkt hat M.L. nicht nur die weitere Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen der Eingliederungshilfe begehrt, sondern auch die (erstmalige) Aufnahme in das ambulant betreute Wohnen in Familien statt der Hilfe für das vollstationäre Wohnen. Diese Ansprüche sind jedoch nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern stellen einen einzigen und damit neuen Antrag im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dar. Dies wird zum einen dadurch verdeutlicht, dass § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX dem erstangegangenen Träger eine Prüfungspflicht dahingehend auferlegt, ob er für die beantragten Leistungen „insgesamt“ zuständig ist, und zum anderen dadurch, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab 1. Januar 2108 geltenden Fassung dem leistenden Rehabilitationsträger die Weiterleitung „insoweit“ eröffnet, als er feststellt, „dass der Antrag neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, für die er nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 [SGB IX] sein kann“. Nachdem der Kläger als Träger der Leistungen der Eingliederungshilfe den Antrag des M.L. jedoch nicht (an den nach seiner Auffassung zuständigen Beklagten) weitergeleitet hat, ist er erneut als erstangegangener Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zuständig geworden.

Zugunsten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers, der die Leistung erbringt, begründen § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. keinen Erstattungsanspruch. Die Vorschriften schließen allerdings einen Erstattungsanspruch des leistenden erstangegangenen Trägers nach allgemeinen Vorschriften auch nicht vollständig aus. § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 4 SGB IX n.F. schließen für den Fall der Leistungserbringung durch den unzuständigen Rehabilitationsträger nur die Anwendbarkeit von § 105 SGB X grundsätzlich aus. Hat der Träger seine Zuständigkeit geprüft und bejaht, muss er im Nachhinein zu einer Korrektur im Rahmen der Erstattung befugt sein. Sonst wäre er gehalten, schon bei geringstem Verdacht einen Rehabilitationsantrag weiterzuleiten, um die Zuständigkeitsproblematik ggf. im Erstattungsstreit austragen zu können und andererseits nicht automatisch von jeglicher Erstattungsmöglichkeit ausgeschlossen zu sein. Das widerspräche sowohl dem Regelungszweck des § 14 SGB IX, zu einer schnellen Zuständigkeitsklärung gegenüber dem behinderten Menschen zu kommen, als auch dem zugleich verfolgten Ziel, das gegliederte Sozialsystem zu erhalten (BSG, Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 6/18 R – SozR 4-1300 § 104 Nr. 7 Rdnr. 13 m.w.N.).

Daher kommt zur „nachträglichen Korrektur“ der irrtümlichen Bejahung seiner Zuständigkeit durch den erstangegangenen Träger im Erstattungswege ein Anspruch wegen nachrangiger Verpflichtung des Leistungsträgers aus § 104 SGB X in Betracht. Das beruht darauf, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX einerseits die Zuständigkeit gegenüber dem Menschen mit Behinderung schnell, klar und endgültig regelt, andererseits die „eigentliche“ Zuständigkeitsordnung (außerhalb des § 14 SGB IX) im Verhältnis der Rehabilitationsträger untereinander nicht antasten will. Deshalb schafft § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX nur eine nachrangige Zuständigkeit, die es zulässt, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger im Rahmen eines Erstattungsstreits sich die Kosten der Rehabilitationsmaßnahmen nach § 104 SGB X vom „eigentlich“ zuständigen, in diesem Sinne vorrangigen Rehabilitationsträger erstatten lässt. Der Träger, der irrtümlich seine Zuständigkeit bejaht, wird damit nicht – im dargelegten Sinne dem Primärziel des § 14 SGB IX zuwiderlaufend – dauerhaft mit den Kosten der Rehabilitationsmaßnahme belastet. Er wird aber auch nicht wie ein vorleistungspflichtiger oder zweitangegangener Träger in der Rechtsfolge privilegiert, sondern erhält Erstattung nur im Umfang des § 104 Abs. 3 SGB X nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R – SozR 4-1300 § 104 Nr. 2 Rdnr. 27f.).

Soweit die Prüfung des erstangegangenen Rehabilitationsträgers innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nicht zu einem greifbaren Ergebnis, sondern etwa wegen einer komplizierten Rechtsproblematik zu ernstlichen Argumenten für und gegen die eigene Zuständigkeit und für und gegen die Zuständigkeit eines anderen Rehabilitationsträgers geführt hat und deshalb der angegangene Träger im Interesse der Beschleunigung eine Weitergabe des Rehabilitationsantrags unterlassen hat oder er sich trotz des ihm eingeräumten Prüfungs- und Ablehnungsrechts einem Leistungszwang ausgesetzt sieht, ist auch eine Kostenerstattung nach den Grundsätzen des vorläufig leistenden Leistungsträgers zu erwägen, wie sie entsprechend § 102 SGB X in § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. vorgesehen ist (BSG, Urteil vom 11. September 2018 – B 1 KR 6/18 R – § 104 Nr. 7 Rdnr. 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 44/08 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 9 Rdnr. 16). Dies kommt vorliegend für die von dem Kläger ab 16. Februar 2018 erbrachten Leistungen in Betracht.

Für die Zeit vom 1. August 2016 bis 15. Februar 2018 ist der Beklagte gemäß § 104 SGB X zur Erstattung der von dem Kläger erbrachten Eingliederungshilfeleistungen verpflichtet. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

In Fällen, in denen ein (erstangegangener) Leistungsträger insbesondere infolge unterlassener oder fehlerhafter Zuständigkeitsprüfung Leistungen erbringt, ohne dass ein Fall des § 103 SGB X oder eine zielgerichtete Zuständigkeitsanmaßung, die eine Erstattung nach § 104 SGB X ausschließen würde, vorliegt, begründet § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers, wenn er außerhalb der durch § 14 SGB IX geschaffenen Zuständigkeitsordnung unzuständig, ein anderer Träger aber eigentlich zuständig gewesen wäre (BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 Rdnr. 13f.). Darauf, dass Kläger und Beklagter außerhalb des § 14 SGB IX nicht in einem Verhältnis des Vor- oder Nachrangs zueinander stehen, kommt es nicht an; denn § 14 SGB IX schafft gerade das von § 104 SGB X vorausgesetzte Verhältnis des Vor- und Nachrangs und lässt das von sonstigen Vorschriften bestimmte Verhältnis der Rehabilitationsträger zueinander, auch solcher, die unabhängig von § 14 SGB IX in einem Vorrang-/Nachrangverhältnis stehen können, unberührt (BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 Rdnr. 14).

Im streitigen Zeitraum ab 1. August 2016 bis zum 15. Februar 2018 hat der Kläger dem M.L. Leistungen für das stationäre Wohnen nach §§ 53 ff. SGB XII a.F. sowie zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen nach §§ 53, 54 SGB XII a.F., 41 SGB IX a.F. erbracht. Das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen und die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung gegenüber M.L. insgesamt wurden vom Beklagten im Berufungsverfahren zuletzt nicht in Abrede gestellt und stehen auch sonst nicht in Zweifel.

Für die von dem Kläger erbrachten Leistungen wäre außerhalb der Zuständigkeitsbestimmung des § 14 SGB IX eigentlich der Beklagte sachlich und örtlich zuständig gewesen.

Die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nach §§ 3 Abs. 1 und 2, 97 Abs. 1 SGB XII, §§ 1 Abs. 1, 2 Gesetz zur Ausführung des SGB XII in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 122 des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes vom 1. Juli 2004 (AGSGB XII). Danach ist für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nach Landesrecht bestimmt. Soweit Landesrecht keine Bestimmung nach Absatz 2 Satz 1 enthält, ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe insbesondere für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 bis 60 sachlich zuständig (§ 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). In Baden-Württemberg ist – abweichend von der grundsätzlichen Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers nach § 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII – nach § 2 Satz 1 AGSGB XII der örtliche Sozialhilfeträger zuständig für die in § 8 SGB XII genannten Hilfen, somit für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 bis 60a SGB XII a.F. (§ 8 Nr. 4 SGB XII in der bis 31. Dezember 2019 gültigen Fassung).

Die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers ist nach § 98 SGB XII zu bestimmen. Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27. Dezember 2003 [BGBl. I S. 3022]) ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Sonderregelungen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bestehen u.a. für stationäre Leistungen (vgl. § 98 Abs. 2 SGB XII in der seit 1. Januar 2005 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 a.a.O.) und für Leistungen des ambulanten betreuten Wohnens (vgl. § 98 Abs. 5 SGB XII in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006, BGBl. I S. 2670 [a.F.]).

Für die zunächst von M.L. bezogene Eingliederungshilfe für das stationäre Wohnen ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Beklagte aus § 98 Abs. 2 SGB XII. Danach ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Ein Einrichtungswechsel im Sinne § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII (sog. „Einrichtungskette“) von der Einrichtung des C1 Dorfgemeinschaft H1 e.V. (über das Z1 S1) in die Einrichtung der G1-Hilfe gGmbH M2 liegt nicht vor. Ein solcher wäre gegeben, wenn der Wechsel der stationären Einrichtungen unmittelbar, d.h. ohne weitere Zwischenaufenthalte, stattfindet (vgl. BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 8 SO 8/14 R – juris Rdnr. 13; Urteil vom 13. Februar 2014 – B 8 SO 11/12 R – juris Rdnr. 17; Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 14/12 R – juris Rdnrn. 13, 15, 20; Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 RBSGE 109, 56 Rdnr. 17; vgl. ferner Senatsurteil vom 13. September 2018 – L 7 SO 3470/15 – juris Rdnr. 44). Eine rechtserhebliche Unterbrechung, die den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang ausschließt, ist gegeben, wenn im Zeitpunkt des Verlassens der bisherigen Einrichtung nicht feststeht, ob, wann oder wo die Hilfegewährung fortgesetzt werden soll, selbst wenn nur ein kurzer Zeitraum zwischen dem Verlassen der einen und der Aufnahme in eine andere Einrichtung liegt, dieses Verlassen jedoch nicht zielstrebig auf den Wechsel ausgerichtet ist und somit kein gewollter Wechsel, sondern lediglich eine sich zufällig anschließende Aufnahme in eine neue Einrichtung vorliegt (vgl. Senatsurteile vom 13. September 2018 – L 7 SO 3470/15 – juris Rdnr. 44 und vom 15. Mai 2019 – L 7 SO 2081/16 – juris Rdnr. 35 ff.; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11. Mai 2016 – L 9 SO 78/12 – juris Rdnr. 34; LSG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 4 SO 29/13 – juris Rdnrn. 35 ff.; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20. Auflage 2020, § 98 Rdnrn. 90 ff.). Eine rechtserhebliche Unterbrechung ist ferner gegeben, wenn der Leistungsberechtigte aus der bisherigen Einrichtung mit der festen Absicht, nicht mehr zurückzukehren, entwichen ist (Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, a.a.O., § 98 Rdnrn. 87, 88), oder wenn er zwischen dem Wechsel aus der einen in die andere Einrichtung einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb beider Einrichtungen begründet hat (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 3. Juli 2003 – 5 B 211/02 – juris Rdnr. 9). Demgegenüber liegt eine Unterbrechung nicht vor, wenn das Verlassen der ersten und die Aufnahme in die nächste Einrichtung in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und die Aufnahme in die neue Einrichtung schon sicher feststeht (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 – 5 C 27/99BVerwGE 111, 213 – juris Rdnrn. 15, 16). In Anwendung dieser Maßstäbe liegt kein Übertritt im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII vor. M.L. hat die Einrichtung des C1 Dorfgemeinschaft e.V. am 20. Februar 2013 endgültig verlassen. Er befand sich zwar im Anschluss noch bis 19. März 2013 im Z1 S1. In die zuvor bewohnte Einrichtung konnte er bei Entlassung jedoch nicht wieder aufgenommen werden. Der Heimvertrag wurde mit Schreiben vom 2. April 2013 gekündigt. Selbst bei Kündigung des Heimvertrages war noch nicht absehbar, in welcher Einrichtung M.L. zukünftig aufgenommen würde. Ein Wechsel der stationären Einrichtungen war weder zwischen den Einrichtungen noch mit dem seinerzeit zuständigen Sozialhilfeträger, dem Kläger, abgesprochen. Eine erneute stationäre Aufnahme, nunmehr in die Einrichtung der G1-Hilfe erfolgte erst am 23. Mai 2013 nach einem Probewohnen. Somit stand im Zeitpunkt des Verlassens der bisherigen Einrichtung des C1 Dorfgemeinschaft e.V. und auch bei Verlassen des Z1 S1 nicht fest, ob, wann oder wo die Hilfegewährung an M.L. fortgesetzt werden soll. Demnach knüpft die Zuständigkeit des Beklagten an den gewöhnlichen Aufenthalt des M.L vor Aufnahme in die Einrichtung der G1-Hilfe gGmbH an.

M.L. hat bis unmittelbar vor der Aufnahme in die Einrichtung der G1-Hilfe gGmbH bei seiner Tante in S2 im Landkreis K1 – dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten – gewohnt und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) sind unter Berücksichtigung aller für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen, und zwar auch dann, wenn – wie hier – der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 Rdnr. 20 m.w.N.). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche – auch wirtschaftliche – wie rechtliche sein (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 13 R 36/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981 – 10 RKg 12/81BSGE 53, 49-54, SozR 5870 § 2 Nr. 25, juris Rdnr. 23). Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen; dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Nach diesen Kriterien hat M.L. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten in S2, wo er sich nach Entlassung aus dem Z1 S1 bis zur Aufnahme in die Einrichtung der G1 Hilfe gGmbH aufgehalten hat, einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Darauf, ob er in S2 oder noch in H2 einwohnerrechtlich gemeldet war, kommt es für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht an (BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4‑3250 § 14 Nr. 28 Rdnr. 21 m.w.N.). Eine Rückkehr in die Einrichtung in H2 war dem M.L. nicht möglich, insbesondere nachdem der Heimvertrag beendet war. Bis zur Aufnahme in eine andere Einrichtung, die jedoch erst noch gefunden werden musste, ist M.L. in die Wohnung seiner Tante in S2 gezogen, um dort „bis auf Weiteres“ zu wohnen. Zwar mag es sich dabei von vornherein nicht um eine Dauerlösung gehandelt haben. Jedoch war der Aufenthalt in S2 „zukunftsoffen“, weil eine Beendigung des dortigen Aufenthalts angesichts des Fehlens einer konkreten Aussicht auf Aufnahme in eine andere stationäre Einrichtung nicht absehbar war.

Der Beklagte war damit bis zum 15. Februar 2018 der vorrangig verpflichtete Leistungsträger im Sinne des § 104 SGB X. Nachdem sich die Leistungspflicht des Beklagten als Sozialhilfeträger nach denselben Rechtsvorschriften richtet wie für den Kläger, hat der Beklagte nach § 104 Abs. 3 SGB XII die von dem Kläger rechtmäßig an M.L. erbrachten Eingliederungshilfeleistungen vom 1. August 2016 bis 15. Februar 2018 in voller Höhe zu erstatten.

Dabei sind auch die im Jahr 2016 entstandenen Erstattungsansprüche des Klägers nicht verjährt, wie das SG zutreffend dargestellt hat (§ 153 Abs. 2 SGG).

Für die Zeit ab 16. Februar 2018 besteht ein Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten nach § 102 SGB X.

Hat ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger gemäß § 102 Abs. 1 SGB X erstattungspflichtig. Eine vorläufige Leistungsgewährung setzt begrifflich voraus, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers und damit von der eigenen Unzuständigkeit leistet oder sich noch im ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist. Eine Vorleistung erfordert somit das Bestehen entweder eines Kompetenzkonfliktes oder einer sonstigen Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung. Dabei muss der Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, entweder für einen anderen oder im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein (BSG, Urteil vom 22. Mai 1985 – 1 RA 33/84 – SozR 1300 § 104 Nr. 7 Rdnr. 16).

Mangels Weiterleitung des Antrags auf die Leistungen des Betreuten Wohnens in Familien war der Kläger wie bereits ausgeführt gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zuständig geworden. Zur Zeit des Wechsels des M.L. aus dem stationären in das ambulant betreute Wohnen befand sich der Kläger bereits seit Jahren in einem Kompetenzkonflikt mit dem Beklagten, der eine Kostenerstattung und eine Fallübernahme bereits mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 abgelehnt hatte. Seit 16. September 2016 war ein Schiedsverfahren anhängig, in dem zu dem Zeitpunkt, zu dem über die Gewährung des Betreuten Wohnens in Familien zu entscheiden war, noch kein Schiedsspruch ergangen war. In Anbetracht dieser Situation war eine Klärung des Kompetenzkonflikts innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht möglich. Der Kläger war daher einem Leistungszwang vergleichbar dem des zweitangegangenen Trägers ausgesetzt. Wenn der Kläger auf dieser offenen Grundlage im Interesse des betroffenen Hilfeempfängers von Beginn an unter Ablehnung einer Rechtspflicht Leistungen erbracht hat, dann kann die Regelung des § 16 Abs. 4 SGB IX nach Überzeugung des Senats die Anwendung von § 102 SGB X nicht versperren.

Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X sind auch insoweit erfüllt, als der Wille des Klägers, lediglich im Hinblick auf die unklare Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar war. Der Kläger hat bei der Weitergewährung der Eingliederungshilfe an M.L. bereits seit 2016 auf den bestehenden Zuständigkeitsstreit und die Weigerung des Beklagten, die Leistungsgewährung zu übernehmen, hingewiesen.

Auch für die Eingliederungshilfeleistungen ab 16. Februar 2018 ist der Beklagte der „eigentlich“ bzw. „endgültig“ zuständige Leistungsträger.

Für die ab 16. Februar 2018 an M.L. erbrachte Eingliederungshilfe für das Betreute Wohnen in Familien ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Beklagten aus § 98 Abs. 5 SGB XII a.F. Nach dieser Vorschrift ist für die Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Die Wohnung, in der die ambulanten Leistungen erbracht werden, muss nicht vom Anbieter der ambulanten Dienstleistungen organisiert sein. Es bedarf keiner Koppelung von Wohnungsgewährung und Betreuung. Der Wortlaut selbst gibt eine solche eingrenzende Auslegung nicht her. Vielmehr ist es das Ziel des Gesetzgebers, durch die offene, der Auslegung fähige Begrifflichkeit „ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten“, die vielfältigen und unterschiedlichen Betreuungsleistungen entweder in der eigenen Wohnung, in Wohngruppen oder Wohngemeinschaften zu erfassen. Daher kann es im Einzelfall ausreichen, dass der Hilfeempfänger die Wohnung selbst anmietet, aber fachlich geschulte Personen Betreuungsleistungen erbringen, die darauf gerichtet sind, die Selbständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich zu fördern (BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 16/11 R – juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 R – SozR 4-3500 § 98 Nr. 1 Rdnr. 14). Dass M.L. in einer Familie in deren Unterkunft wohnt, die Betreuungsleistungen jedoch durch die
L4 Teilhabe gGmbH erbracht werden, führt daher nicht zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit des § 98 Abs. 5 SGB XII. Auch Qualität und Quantität der gewährten Betreuungsleistungen begründen das Vorliegen einer ambulant betreuten Wohnform. Dabei darf es sich zwar nicht um sporadische, situativ bedingte Betreuungsleistungen handeln, sondern diese müssen in einer regelmäßigen Form erbracht werden und in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, die auf die Verwirklichung einer möglichst selbstständigen und selbstbestimmten Lebensführung ausgerichtet ist (LSG NRW, Urteil vom 25. Juni 2015 – L 9 SO 24/13 – juris Rdnr. 69). Denn der durch § 98 Abs. 5 SGB XII gegebene Schutz des Einrichtungsortes bedarf hinsichtlich der Intensität der Betreuung einer Abgrenzung zu lediglich niederschwelligen oder unregelmäßigen Hilfeleistungen (LSG Bayern, Urteil vom 20. Dezember 2016 – L 8 SO 119/15 – juris Rdnr. 64). Nach dem Gesamtplan vom 16. Februar 2018 benötigt M.L. Motivation und teilweise Anleitung zur regelmäßigen Körperpflege, Unterstützung bei der Planung von Einkauf und bei der Nahrungszubereitung, bei der Strukturierung und Umsetzung von Tätigkeiten im Bereich der alltäglichen Lebensführung und bei der Einhaltung von Regeln und Normen, enge Begleitung in Konflikten sowie Begleitung bei Arztbesuchen. Insgesamt handelte es sich danach um regelmäßige, fachlich qualifiziert erbrachte Leistungen, denen eine Gesamtkonzeption zugrunde lag. Es handelte sich somit bei der Betreuung des M.L. um Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII, die M.L. in der Form einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit erhalten hat. Unmittelbar vor dem Eintritt in das ambulant betreute Wohnen befand sich M.L. in der stationären Einrichtung der G1 Hilfe gGmbH. Für dieser wäre nach obigen Ausführungen der Beklagte örtlich zuständig gewesen. Damit ist auch für die an M.L. ab 16. Februar 2018 erbrachte Eingliederungshilfe der Beklagte der (eigentlich) örtlich zuständige Sozialhilfeträger.

Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich weiterhin aus § 2 Satz 1 AGSGB XII.

Danach ist auch für die ab 16. Februar 2018 gewährten Eingliederungshilfeleistungen im Rahmen einer ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit der Beklagte sachlich und örtlich zuständig.

Im Übrigen lagen auch die Voraussetzungen für die Erbringung von Eingliederungshilfeleistungen in der geltend gemachten Höhe vor. Bei M.L. besteht eine wesentliche Behinderung i.S. von § 2 SGB IX aufgrund einer mittelgradigen Intelligenzminderung, einer deutlichen Verhaltensstörung und einer Persönlichkeitsstörung. Der Beklagte wäre dem M.L. in Höhe der von dem Kläger erbrachten Leistungen leistungspflichtig gewesen.

Der Beklagte hat damit auch ab 16. Februar 2018 bis 31. Dezember 2019 die von dem Kläger erbrachten Eingliederungshilfeleistungen gemäß § 102 Abs. 2 SGB X im geltend gemachten Umfang zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Fall, da der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nur hinsichtlich des im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgten Feststellungsantrags, der mit einem Streitwert von 5.000,00 EUR zu beziffern ist, unterlegen ist. Die Beteiligten sind im vorliegenden Erstattungsstreit nicht von den Gerichtskosten freigestellt (§ 197a Abs. 3 SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 28. Januar 2016 – B 13 SF 3/16 S – juris Rdnr. 8).

Die Revision war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).





 

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