S 6 R 1668/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1668/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine teleologische Reduktion des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI dahin, dass eine Inanspruchnahme des Empfängers einer unbaren Geldleistung, die zu Lasten eines Kontos mit postmortalen Renteneingängen erbracht worden ist, nur dann in Betracht kommt, wenn über die tatsächliche Weiterleitung eines entsprechenden Geldbetrags hinaus ein sachlicher Grund für die Abwälzung des Schadens auf den Zahlungsempfänger festzustellen ist, scheidet aus.

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin wendet sich gegen eine Forderung der Beklagten, mit der diese von ihr die Erstattung von 33.937,34 Euro als Empfängerin von nach dem Tod zu Unrecht erbrachter Rentenleistungen verlangt.

 

Die Beklagte bewilligte dem 1944 geborenen Rentenberechtigten, M. S., eine Altersrente ab dem 01.02.2009 und überwies diese auf ein von ihm geführtes Konto bei der Sparkasse L. über seinen Tod am 21.09.2015 hinaus bis zum 31.03.2020. Der Rentenberechtigte war in einer Wohnung in R. gemeldet, die er zusammen mit seiner Ehefrau von der Klägerin gemietet hatte. Bei dieser handelt es sich um ein Wohnungsunternehmen, dessen Gesellschafter die Stadt R. und die Sparkasse L. sind. Die Miete wurde vom Konto des Rentenberechtigten mittels Lastschrifteinzug abgebucht. Als der Rentenberechtigte bei einem Verkehrsunfall in der Türkei verstarb, zeigte seinen Tod niemand in Deutschland an. Die Beklagte zahlte die Altersrente weiter und die Miete wurde weiterhin von dem Konto abgebucht, auf das auch die Ehefrau des Rentenberechtigten Zugriff hatte. Nachdem die Stadt R. ihre Vermutung über den Tod des Rentenberechtigten im Dezember 2019 der Beklagten mitteilte, stellte diese die Rentenzahlung zum Ablauf des März 2020 ein.

 

Im Juli 2020 übersandte die Stadt R. die Sterbeurkunde an die Beklagte. Diese forderte die Sparkasse L. zur Rücküberweisung der nach dem Tod überwiesenen Rente auf und erhielt am 08.09.2020 von ihr die Auskunft, dass der Kontostand zum Zeitpunkt des Eingangs der Rückforderung am 04.09.2020 im Soll bei ‑575,21 Euro lag. Sie selbst habe am 14.08.2020 Kenntnis vom Tod des Rentenberechtigten erlangt. Gleichzeitig teilte sie der Beklagten Empfänger und Verfügende von Zahlungen des Rentenkontos nach dem Todeszeitpunkt mit.

 

Mit Bescheid vom 27.11.2020 forderte die Beklagte nach Anhörung der Klägerin von ihr eine Rentenrückzahlung, wobei sie den Überzahlungsbetrag mit 42.224,95 Euro bezifferte und ohne nähere Erläuterung eine Überweisung von 36.910,14 Euro verlangte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2022 zurück und forderte die Klägerin zur Zahlung von 33.937,34 Euro auf. Hierzu führte sie aus, dass sich die nach dem Tod bis zur Einstellung weiter gezahlte Rente insgesamt auf 42.224,95 Euro belaufe. Durch von Dritten zurückgeforderte Beträge in Höhe von 1.754,75 Euro sei die Überzahlung auf 40.470,20 Euro verringert. Die im Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.03.2020 vom Konto des Rentenberechtigten an die Klägerin überwiesene Miete betrage 33.937,34 Euro und dieser überzahlte Betrag sei zu erstatten.

 

Am 08.06.2022 hat die Klägerin zum Sozialgericht Freiburg Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage zur Rückforderung bestehen würden. So habe das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 18.12.2019 – L 2 R 116/19 (juris) entschieden, dass gutgläubige Empfänger, die im Rahmen des herkömmlichen Geschäftsverkehrs bei der Abwicklung gegenseitiger Verträge unbare Zahlungen entgegennehmen, nicht zu deren Auskehrung an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtet seien. Die Ehefrau des Rentenberechtigten sei beizuladen, denn sollte eine Erstattungspflicht der Klägerin bestehen, würde dies zu entsprechenden Mietrückständen zulasten der Ehefrau als Mitmieterin führen, was die fristlose Kündigung des Mietvertrags zur Folge hätte.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Bescheid vom 27.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2022 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist der Ansicht, dass ihre Entscheidung rechtmäßig sei und verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Zum Rechtsstreit war die Ehefrau des Rentenberechtigten nicht nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig beizuladen, weil keine dafür erforderliche Identität der Streitgegenstände (öffentlich-rechtliches Erstattungsverhältnis der Rente vom Empfänger an die Rentenversicherung einerseits und privatrechtliche Erfüllung im Mietrechtsverhältnis andererseits) vorliegt. Eine Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG hat die Kammer nicht für erforderlich gehalten.

 

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 27.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2022 ist rechtmäßig.

 

Die Verwaltungsentscheidung ist jedenfalls in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (vgl. § 95 SGG), hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). So lässt die Formulierung im Bescheid vom 27.11.2020 zwar zweifeln, ob der gesamte Überzahlungsbetrag in Höhe von 42.224,95 Euro oder lediglich ein rechnerisch nicht näher erklärter Restbetrag in Höhe von 36.910,14 Euro erstattet verlangt wird. Ein darauf zu stützender Bestimmtheitsmangel besteht jedoch nicht mehr, weil der Widerspruchsbescheid vom 10.05.2022 eindeutig klarstellt, dass eine Erstattung in Höhe von 33.937,34 Euro gefordert wird. Dieser Betrag wird zudem hinreichend erläutert als Summe der im Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.03.2020 tatsächlich vom Konto des Rentenberechtigten zugunsten der Klägerin abgebuchten Miete, wobei dieser Betrag auch nach Abzug anderweitig zurückerlangter Rentenzahlungen in Höhe von 1.754,75 Euro unterhalb der Gesamtsumme der überzahlten Rente liegt und damit insgesamt vom Erstattungsanspruch umfasst ist.

 

Nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sind, soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sowohl die Personen, die die Geldleistungen unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger) – Alt. 1 –, als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende) – Alt. 2 –, dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet.

 

Der Erstattungsanspruch gegen Empfänger nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI ist anwendbar, weil ein vorrangiger Anspruch auf Rücküberweisung gegen das Geldinstitut in seiner Funktion als Zahlungsmittler nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI ausscheidet. Gegenüber den in § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI genannten Empfängern und Verfügenden besteht ein prozessuales und materielles Vorrangverhältnis des Rücküberweisungsanspruchs. Der Rentenversicherungsträger kann und darf gegen Dritte nach § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI erst und nur dann vorgehen, wenn die Geldleistung – berechtigt – nicht nach Abs. 3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG, Urteil vom 10.07.2012 – B 13 R 105/11 R, juris, Rn. 21 m.w.N.).

 

Das ist hier der Fall. Denn dem Rücküberweisungsanspruch gegen das Geldinstitut steht der Einwand der anderweitigen Verfügung gemäß § 118 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 SGB VI entgegen. Nach § 118 Abs. 3 SGB VI gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut, für das die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.03.2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. L 94 vom 30.03.2012, S. 22) gilt, überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht (Satz 1). Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurückzuüberweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern (Satz 2). Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann (Satz 3). Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden (Satz 4).

 

Über den „entsprechenden Betrag“ war bei Eingang der Rückforderung beim Kreditinstitut am 04.09.2020 bereits anderweitig verfügt worden, denn das Konto, das seinerzeit vom Rentenberechtigen für den Renteneingang bestimmt worden war, war zu diesem Zeitpunkt bei ‑575,21 Euro im Soll. Eine Rücküberweisung aus einem Guthaben war somit nicht möglich, sodass der Einwand der anderweitigen Verfügung nicht durch § 118 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 SGB VI ausgeschlossen ist. Inwieweit über das Konto zuvor Buchungen abgewickelt wurden, kann dabei dahinstehen, weil in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt ist, dass Saldierungen durch Gutschriften einer Befreiung des Geldinstituts von der Rückzahlungspflicht nicht entgegenstehen, solange die Gutschriften nicht bis zum Zeitpunkt der Rückforderung zu einem Habensaldo geführt haben. Soweit dies nicht der Fall ist, kann das Geldinstitut im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI stets geltend machen, dass „sämtliche“ Verfügungen die eingegangene Gutschrift der Sozialleistung wieder aufgezehrt haben (BSG, Urteil vom 24.10.2013 – B 13 R 35/12 R, juris, Rn. 40; BSG, Urteil vom 03.06.2009 – B 5 R 120/07 R, juris, Rn. 22 ff.; dem folgend für beamtenrechtliche Versorgungsbezüge: BVerwG, Urteil vom 24.06.2010 – 2 C 14/09, juris, Rn. 11 ff.).

 

Die Berechtigung des Geldinstituts zur Verweigerung der Rücküberweisung scheitert hinsichtlich des streitbefangenen Betrags, den die Klägerin erstatten soll, auch nicht am Verbot der Befriedigung eigener Forderungen des Geldinstituts nach § 118 Abs. 3 Satz 4 SGB VI. Denn das gegen die Klägerin gerichtete Erstattungsbegehren bezieht sich allein auf die Summe der im Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.03.2020 an die Klägerin überwiesenen Mieten, beinhaltet also gerade nicht Beträge, die vom Geldinstitut zur Befriedigung eigener Forderungen entsprechend der monatlichen Entgeltabrechnungen verwandt worden sind.

 

Der Einwand der anderweitigen Verfügung ist darüber hinaus nicht durch eine Kenntnis des Geldinstituts vom Tod des Rentenberechtigten bei Ausführung einer Verfügung zu Lasten von dessen Konto ausgeschlossen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 26.09.2019 – B 5 R 4/19 R, juris, Rn. 17 ff. m.w.N.). Denn das Geldinstitut erlangte selbst erst Kenntnis vom Tod des Rentenberechtigten am 14.08.2020, nachdem die Rentenzahlungen bereits wegen des Todes ab dem 31.03.2020 eingestellt waren. Eine dem Einwand anderweitiger Verfügung entgegenstehende vorherige Bösgläubigkeit des Geldinstituts aufgrund Kenntnis vom Tod der Rentenberechtigten liegt von daher nicht vor.

 

Da ein Rücküberweisungsanspruch in der geltend gemachten Höhe gegen das Geldinstitut wegen des berechtigten Einwands der anderweitigen Verfügung nach § 118 Abs. 3 SGB VI somit ausscheidet, ist der Erstattungsanspruch gegen Empfänger nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI anwendbar. Dessen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Klägerin sind erfüllt.

 

Im von der Beklagten geltend gemachten Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 31.03.2020 ist für die Zeit nach dem Tod des Rentenberechtigten am 21.09.2015 Altersrente als Geldleistung zu Unrecht durch Überweisung auf das von ihm hierfür bestimmte Konto erbracht worden. Die Überweisung der Altersrente widerspricht dem Gesetz und geschah mithin zu Unrecht, weil nach § 102 Abs. 5 SGB VI ein Anspruch auf Zahlung der Rente nur bis zum Ende des Kalendermonats besteht, in dem der Berechtigte gestorben ist, hier also bis zum 30.09.2015. Die Bindungswirkung der Rentenbewilligung vermag die Zahlungen nicht zu rechtfertigen, weil sich der diesbezügliche Verwaltungsakt mit dem Tod des Rentenberechtigten ohne Aufhebungsbescheid erledigt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. BSG, Urteil vom 26.09.2019 – B 5 R 4/19 R, juris, Rn. 14 m.w.N.).

 

Die Klägerin ist (mittelbare) Empfängerin der zu Unrecht erbrachten Geldleistungen, da der streitige Betrag in Höhe von 33.937,34 Euro durch Lastschrifteinzug auf ihr Konto weitergeleitet wurde, wobei es sich um ein abgeschlossenes bankübliches Zahlungsgeschäft handelte (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2020 – B 5 R 21/19 R, juris, Rn. 21 ff.; BSG, Urteil vom 09.12.1998 – B 9 V 48/97 R, juris, Rn. 27). Hierfür gilt der in § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI gesetzlich fingierte Vorbehalt, der die Wirkungen des § 814 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und dessen Rechtsgedankens (keine Rückforderung einer Leistung bei Kenntnis der Nichtschuld) ausschließt. Es handelt sich dabei um privatrechtsverdrängendes öffentliches Sonderrecht des Staates, das insoweit dem Zivilrecht „vorgelagert“ ist (BSG, Urteil vom 13.11.2008 – B 13 R 48/07 R, juris, Rn. 57 m.w.N.). Dieser öffentlich-rechtliche Vorbehalt wirkt nicht nur gegenüber dem Geldinstitut, sondern auch gegenüber den Erben als neuen Kontoinhabern und sogar gegenüber Dritten unabhängig davon, ob diese Kenntnis von ihm haben. Er ist rechtstechnisch als auflösende Bedingung ausgestaltet und bewirkt kraft Gesetzes, dass eine ggf. noch vor dem Todeszeitpunkt des Rentenberechtigten für den Folgemonat vorgenommene Rentengutschrift ihre materiell-rechtliche Wirksamkeit wieder verliert bzw. eine erst nach dem Tod erfolgte Gutschrift von vornherein nicht wirksam wird. Sie ist somit rechtsgrundlos und fehlgeschlagen (BSG, Urteil vom 24.02.2016 – B 13 R 22/15 R, juris, Rn. 19 m.w.N.).

 

Auf eine Bösgläubigkeit des Empfängers – d.h. seine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis sowohl vom Tod des Rentenberechtigten als auch vom Entsprechen des empfangenen Betrags mit der überzahlten Rente – kommt es demgegenüber für seine Inanspruchnahme nicht an. Das Gesetz schützt umgekehrt auch nicht seinen guten Glauben bei Empfang der Zahlung. Denn § 118 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VI stellen mit dem Begriff „Geldleistungen“ allein auf den Wert des Betrags ab, der gerade deshalb zugeflossen ist, weil der Erfüllungszweck der Rentenüberweisung wegen des Todes des Empfängers nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2001 – B 4 RA 53/01 R, juris, Rn. 26 m.w.N.). Mit der Gutschrift auf dem Konto des Rentenberechtigten verliert die Rentenzahlung ihren ursprünglichen Charakter als Sozialleistung (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2002 – B 5 RJ 42/01 R, juris, Rn. 26; BSG, Urteil vom 09.12.1998 – B 9 V 48/97 R, juris, Rn. 25). Deshalb nimmt § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI zum Schutz der Beitragszahler vor einer Belastung durch rechtsgrundlos erbrachte Leistungen auch einen Personenkreis in Anspruch, der weder am Sozialrechtsverhältnis des Versicherten noch an seiner bankvertraglichen Beziehung zum kontoführenden Geldinstitut Anteil hat, noch zu erkennen vermag, dass der ihm zugewandte Geldwert ganz oder teilweise gerade dem Betrag der Geldleistung entspricht (BSG, Urteil vom 24.10.2013 – B 13 R 35/12 R, juris, Rn. 34 m.w.N.).

 

Eine teleologische Reduktion des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI dahin, dass eine Inanspruchnahme des Empfängers einer unbaren Geldleistung, die zu Lasten eines Kontos mit postmortalen Renteneingängen erbracht worden ist, nur dann in Betracht kommt, wenn über die tatsächliche Weiterleitung eines entsprechenden Geldbetrags hinaus ein sachlicher Grund für die Abwälzung des Schadens auf den Zahlungsempfänger festzustellen ist (so LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2019 – L 2 R 116/19, juris, Rn. 44), lehnt die Kammer ab. Damit soll ein Vertrauensschutz zugunsten gutgläubiger Empfänger erreicht werden, der allerdings zulasten der Versichertengemeinschaft geht.

 

Eine solche teleologische Reduktion scheidet aus, weil der Zweck der Vorschrift gerade ist, dem Rentenversicherungsträger die schnelle, einfache und vollständige Rückabwicklung fehlgeschlagener Zahlungen aus zweckbezogenen Beiträgen zu ermöglichen. Der Rentenversicherungsträger ist treuhänderischer Sachwalter der Mittel, die ihm seine Mitglieder durch ihre Beiträge zur Finanzierung (auch) der rentenversicherungsrechtlichen Geldleistungen zur Verfügung gestellt haben. Er muss deshalb fehlgeschlagene – unter gesetzlich fingiertem Vorbehalt des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI geleistete – Zahlungen rückabwickeln, um die zweckentsprechende Verwendung der Beiträge sicherzustellen und die Solidargemeinschaft der Versicherten vor finanziellen Verlusten zu bewahren (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.2009 – B 5 R 120/07 R, juris, Rn. 34; BSG, Urteil vom 11.12.2002 – B 5 RJ 42/01 R, juris, Rn. 30; BSG, Urteil vom 20.12.2001 – B 4 RA 53/01 R, juris, Rn. 30). Dadurch werden letztlich die Finanzen der Rentenversicherung stabilisiert und ihre Finanzierbarkeit gesichert, was ein im öffentlichen Interesse liegendes Regelungsziel darstellt, das dazu dient, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten (BVerfG, Urteil vom 05.02.2009 – 1 BvR 1631/04, juris, Rn. 15 m.w.N.).

 

Die vorgeschlagene „teleologische Reduktion“ würde somit den eigentlichen Zweck der Vorschrift gerade in sein Gegenteil verkehren und den gesetzlich fingierten Vorbehalt des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI weitestgehend leerlaufen lassen. Die Regelung des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI belässt vielmehr das wirtschaftliche Risiko eines Zahlungsausfalls beim Vertragspartner eines Rentenberechtigten für den Fall, dass der Rentenberechtigte bereits verstorben ist und auf die gegen ihn bestehende Forderung aus überzahlter Rente gezahlt wurde. Die Vorschrift verhindert mithin eine Verschiebung des Risikos auf die gesetzliche Rentenversicherung zulasten der Solidargemeinschaft der Beitragszahler. Das ist sachgerecht, weil das Risiko des Zahlungsausfalls bereits ursprünglich beim Vertragspartner des Rentenberechtigten lag. An diesem Risiko wird er lediglich verlängert festgehalten, um die Rückführung von Zahlungen in die Rentenkasse zu ermöglichen, die er ohnehin nicht erhalten hätte, wenn der Wegfall der Rentenberechtigung rechtzeitig bekannt gewesen wäre (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.01.2008 – L 22 R 142/06, juris, Rn. 53).

 

Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB VI (offengelassen in BVerfG, Beschluss vom 21.02.2018 – 1 BvR 606/14, juris; BSG, Urteil vom 17.06.2020 – B 5 R 21/19 R, juris, Rn. 15) hat die Kammer vor diesem Hintergrund nicht (ebenso BSG, Urteil vom 11.12.2002 – B 5 RJ 42/01 R, juris, Rn. 30; auch nicht bei der Inanspruchnahme von Verfügenden: BSG, Urteil vom 20.05.2020 – B 13 R 4/18 R, juris, Rn. 31 ff.; so auch Schoen, WM 2014, 2070 ff.). Hier kommen die auf grundrechtliche Erwägungen zu Art. 3 und 14 Grundgesetz (GG) gestützten Bedenken (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2019 – L 2 R 116/19, juris, Rn. 70 ff.; Escher-Weingart, WM 2014, 293 ff.; Escher-Weingart/Scheel, WM 2016, 857 ff.) zudem ohnehin nicht zum Tragen, weil Gesellschafter der Klägerin ausschließlich juristische Personen öffentlichen Rechts sind, nämlich eine Stadt und eine Sparkasse. Diese sind keine Grundrechtsträger.

 

Nach § 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI hat der Träger der Rentenversicherung Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Als Adressat kommen Empfänger und Verfügende (§ 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI) gleichrangig in Betracht, ebenso Erben unbeschadet eines Anspruches nach § 50 SGB X (§ 118 Abs. 4 Satz 4 SGB VI). Eine Rang- und Reihenfolge zwischen den möglichen Adressaten ergibt sich nicht (vgl. BSG, Urteil vom 20.05.2020 – B 13 R 4/18 R, juris, Rn. 30; BSG, Urteil vom 10.07.2012 – B 13 R 105/11 R, juris, Rn. 31 ff.). Die Inanspruchnahme der Klägerin ist auch von daher nicht zu beanstanden. Fehler in der Berechnung sind nicht ersichtlich. Die Klage war abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Rechtskraft
Aus
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