Nach Erlass der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung hatten Versicherte unmittelbar, auch schon vor Umsetzung der Vergütungsmodalitäten im Einheitlichen Bewertungsmaßstab, einen Sachleistungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der Klägerin für die Entnahme und Kryokonservierung von Eizellen in Höhe von 2.833,07 € zu erstatten.
3. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Tragung der Kosten für die Entnahme von Eizellen der Klägerin und deren Kryokonservierung.
Bei der Klägerin wurde mit Operation vom 23. Februar 2021 der linke Eierstock aufgrund eines Ovarialtumors entfernt.
Am 8. April 2021 um 15:22 Uhr kontaktierte die Klägerin die Beklagte telefonisch und teilte mit, dass sie Eizellen einfrieren lassen wolle, weil sie einen bösartigen Tumor habe und den Eileiter entfernt bekomme. Mit der Hormontherapie werde bereits am Dienstag begonnen. Ebenfalls am 8. April 2021 unterzeichnete die Klägerin eine Zustimmung zur Eierstockstimulation und Eizellentnahme zur Kryokonservierung Im Universitätsklinikum Frankfurt am Main. Am gleichen Tag unterzeichnete sie eine Vereinbarung über individuelle Gesundheitsleistungen und verpflichtete sich zur Zahlung der vereinbarten Behandlungskosten.
Mit Schreiben vom 9. April 2021, bei der Beklagten eingegangen am 14. April 2021 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kostenerstattung/Kostenübernahme für Kryokonservierung bei der Beklagten. Da bereits auch am noch vorhandenen, rechten Eierstock Auffälligkeiten festgestellt worden seien, sei nach ärztlicher Beurteilung davon auszugehen, dass sie nach Abschluss der Therapiemaßnahmen keine Kinder mehr bekommen könne. Sie habe einen dringenden Kinderwunsch. Da die Kryokonservierung in der Leitlinie der deutschen medizinisch wissenschaftlichen Fachgesellschaft als Methode anerkannt und empfohlen werde und überdies bereits auch als Leistungsanspruch im Sozialgesetzbuch verankert sei, beantrage sie hiermit die Kostenübernahme/Kostenerstattung der Kryokonservierung ihrer Eizellen im Rahmen des anliegenden Behandlungsplans. Der nächste Operationstermin sei am 4. Mai 2021. Die Behandlung zur Kryokonservierung müsse nach ärztlicher Einschätzung daher bereits in der kommenden Woche ab dem 12. April 2021 eingeleitet werden. Der Zeitpunkt der Behandlungsmaßnahmen sei unaufschiebbar, da der anstehende Operationstermin unter keinen Umständen verschoben werden dürfe, da sonst mit einer massiven Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen sei. Dem Antrag fügte die Klägerin verschiedene medizinische Unterlagen bei. Zu Einzelheiten wird auf die Akte der Beklagten verwiesen.
Mit Bescheid vom 11. Mai 2021 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme ab. Der neugefasste § 27a Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – vom 20. Dezember 1988 (SGB V) ermögliche die Fruchtbarkeitserhaltung für Mädchen und Frauen bis zum vollendeten 40. Lebensjahr und für Jungen und Männer bis zum vollendeten 50. Lebensjahr. Bislang seien der Beklagten die Vergütungssätze noch nicht bekannt. Eine Abrechnung über die elektronische Gesundheitskarte könne erst erfolgen, wenn sich die beteiligten Gremien auf eine bundeseinheitlich gültige Vergütungshöhe geeinigt haben.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2021 widersprach die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021. Die Begründung der Beklagten könne sie nicht nachvollziehen, da der Beklagten die Vergütungssätze auch nicht bei Einreichung des Antrags bekannt gewesen sein könnten und sie den Antrag noch vor Beginn der Therapiemaßnahmen hätte ablehnen können. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stelle die Kryokonservierung sogar eine Krankenbehandlung dar. Davon unabhängig bestehe ihrer Auffassung nach mit Aufnahme des § 27a Abs. 4 SGB V ausdrücklich ein gesetzlicher Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung. Dies werde durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestätigt. Die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung sei am 20. Februar 2021 in Kraft getreten. In dieser Richtlinie sei eine Übergangsregelung vorgesehen für Fälle, in denen Versicherte aufgrund ihrer Erkrankung und deren Behandlung ihr Gewebe bereits haben Kryokonservierung lassen oder mit den Maßnahmen zur Kryokonservierung im Sinne dieser Richtlinie bereits begonnen haben. Bei ihr seien Diagnose, medizinische Indikation, Antrag und sämtliche Behandlungsmaßnahmen der Kryokonservierung nach dem Inkrafttreten der Kryokonservierung-Richtlinie erfolgt.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2021 bat die Beklagte die Klägerin um Angaben dazu, wann mit der Behandlung begonnen wurde und ob ihr für die Behandlung Kosten entstanden seien. Sie möge Kopien der Rechnungen an die Beklagte senden. Die Klägerin übersandte der Beklagten daraufhin Rechnungen und Behandlungsunterlagen. Daraus gehen Kosten von insgesamt 2.493,92 € hervor. Zu den Einzelheiten wird auf die Akte der Beklagten (Bl. 36-42) verwiesen.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 nahm die Beklagte Stellung zum Widerspruchsschreiben der Klägerin. Die Behandlung sei am 14. April 2021 begonnen worden. Laut der vorliegenden Erklärung über die Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen sei die Klägerin über die Selbstzahlerleistung informiert gewesen und habe diese auch am 8. April 2021 unterschrieben. Mit Schreiben vom 9. April 2021, welches die Beklagte am 14. April 2021 erhalten habe, sei die Anfrage zur Kostenübernahme der bereits begonnenen Kryokonservierung gestellt worden. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nach § 13 Abs. 3a SGB V müsse keine Kostenübernahme durch die Beklagte erfolgen. Diese Vorschrift komme nur zur Anwendung, wenn die Leistung vor Inanspruchnahme bei der Krankenkasse beantragt werde. Zudem sei die Einführung der Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen und von Keimzellgewebe in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erst zum 1. Juli 2021 erfolgt. Die Therapie könne erst ab der Einführung in den EBM als vertragsärztliche Leistung von Fachärzten mit einer Abrechnungsgenehmigung der kassenärztlichen Vereinigung Hessen erbracht und über die Krankenversichertenkarte bzw. auf Überweisung gemäß den Abrechnungspositionen im EBM abgerechnet werden. Eine Kostenübernahme oder Erstattung der eingereichten Rechnungen sei leider nicht möglich, da die Behandlung bereits vor dem 1. Juli 2021 durchgeführt worden sei. Die Entscheidung vom 10. Mai 2021 müsse die Beklagte das aufrechterhalten. Die Klägerin möge mitteilen, ob sie den Widerspruch aufrechterhalte. Das Schreiben gelte gleichzeitig als Anhörung im Sinne von § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Mit Schreiben vom 28. Juli 2021 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ihren Widerspruch aufrechterhalte. Die Kryokonservierung sei nach ihrem Antrag auf Kostenübernahme erfolgt. Die Entnahme und Konservierung der Eizellen sei am 26. April 2021 vorgenommen worden. Ihre Zustimmung zur Behandlung habe die Klägerin am 19. April 2021 erteilt. Wegen ihres Operationstermins vom 4./5. Mai 2021 sei der Termin zur Kryokonservierung alternativlos gewesen. Die Kryokonservierung habe vorliegend eine Krankenbehandlung dargestellt und die Beklagte sei vorab und durchweg vollständig informiert gewesen. Unmittelbar nach dem Erstgespräch im Kinderwunschzentrum am 8. April 2021 habe sie noch am selben Tag bei der Beklagten angerufen und ihren Fall geschildert und auf die Dringlichkeit ihres Anliegens und die medizinische Notwendigkeit hingewiesen. Sie habe auch noch einen schriftlichen Antrag auf Kostenübernahme vom 9. April 2021 gestellt. Da sie bis zum ersten Ultraschalltermin am 19. April 2021 keine Rückmeldung von der Beklagten erhalten habe, habe sie sich am 19. April 2021 dazu entschieden, die Kryokonservierung durchführen zu lassen und die darauf bezogenen unterschriebenen Unterlagen übergeben. Weshalb die Beklagte ihren Antrag erst am 14. April 2021 erhalten haben wolle, könne sie nicht nachvollziehen, da ihr Erstantrag vom 9. April 2021 eigentlich auch bis zum 12. April 2021 durch einen von ihr beauftragten Dritten zugestellt sein sollte. Nach ihrer Kenntnis sei der Einwurf des Schreibens in den Briefkasten der Beklagten unter Zeugen erfolgt. Im ablehnenden Bescheid habe die Beklagte dann auch nicht die Kostenübernahme abgelehnt, weil die Behandlung bereits begonnen hätte, sondern weil der Beklagten die Vergütungssätze zur Kryokonservierung nicht bekannt gewesen seien. Dem Schreiben fügte die Klägerin ein Schreiben des Universitätsklinikums Frankfurt bei, in welchem bescheinigt wird, dass sie sich erstmals am 8. April 2021 in der dortigen reproduktionsmedizinischen Abteilung vorgestellt habe. Die ärztliche Aufklärung zur Behandlung sei am 8. April 2021 erfolgt. Danach habe die Klägerin Bedenkzeit erhalten und habe ihren Konsens zur Behandlung per Unterschrift im Aufklärungsbogen nach einer mehrtägigen Bedenkzeit erteilt. Der Aufklärungsbogen sei dem Klinikum von der Klägerin ausgefüllt und unterschrieben am 19. April 2021 ausgehändigt worden.
Mit E-Mail vom 20. August 2021 hat die Klägerin eine weitere Rechnung an die Beklagte übersandt und eine Aufstellung der entstandenen Kosten übersandt. Bislang seien durch die Kryokonservierung Kosten für Medikamente i.H.v. 1.949,51 €, Kosten für die Behandlung i.H.v. 544,41 € und Kosten für ambulante Behandlung i.H.v. 339,15 € entstanden.
Mit Bescheid vom 10. September 2021 hat die Beklagte den Widerspruch der Klägerin teilweise abgeholfen. Die Kosten für die Kryokonservierung könnten i.H.v. 86,89 € übernommen werden. Übernommen werden könnten die Kosten vom 1. Juli 2021 bis zum 25. Oktober 2021.
Mit Schreiben vom 17. September 2021 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass der Widerspruch aufrechterhalten werde.
Mit E-Mail vom 21. September 2021 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Schreiben des Universitätsklinikums Frankfurt vom 17. September 2021, in welchem ausgeführt wird, dass bei der Klägerin fertilitätserhaltende Maßnahmen gerechtfertigt seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021 zurück. Dies wurde damit begründet, dass im April und Mai 2021 die Kostenübernahme bzw.-Erstattung für die Entnahme von Keimzellgewebe und die anschließende Kryokonservierung noch keine Sachleistung der gesetzlichen Krankenkassen gewesen sei. Ein Kostenerstattungsanspruch gehe nie weiter, als der originäre Sachleistungsanspruch, welcher im Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin noch nicht gegeben gewesen sei. Aus diesem Grund sei die Leistung als reine Privatleistung erfolgt und die Ablehnung durch die Beklagte sei rechtmäßig gewesen. Unabhängig davon hätte der Antrag auf Kostenerstattung schon formal nicht bewilligt werden können, da vor der erfolgten Kryokonservierung von Keimzellgewebe bei der Beklagten zwar ein Antrag auf eine Kostenübernahme gestellt worden sei, die Leistung aber in Anspruch genommen worden sei, ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten. Insoweit wäre auch der gesetzliche Beschaffungsweg gemäß § 13 Abs. 2 und 3 SGB V nicht eingehalten gewesen, worauf es allerdings vorliegend wegen des ohnehin fehlenden Sachleistungsanspruchs nicht mehr angekommen sei. Auch die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V komme nicht zum Tragen. Es sei zwar richtig, dass die Beklagte nicht innerhalb von 3 Wochen über den Leistungsantrag der Klägerin entschieden habe. Die Klägerin habe die Behandlung jedoch vor Ablauf der Dreiwochenfrist begonnen. Die Beklagte sei somit nicht zur Kostenerstattung verpflichtet. Dem Widerspruch habe daher nicht abgeholfen werden können. Die Klägerin werde aber darauf hingewiesen, dass unter Vorlage einer ärztlichen Bestätigung Anträge auf Übernahme oder Erstattung für seit dem 1. Juli 2021 bzw. noch künftig anfallenden Folgekosten im Rahmen der Kryokonservierung abgerechnet werden könnten.
Die Klägerin hat am 16. Dezember 2021 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Die Klägerin trägt vor, dass sie sich unmittelbar nach dem Erstgespräch in der reproduktionsmedizinischen Abteilung der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Goethe-Universität Frankfurt am Main am 8. April 2021 bei der Beklagten gemeldet habe und ihrem Fall geschildert habe und dabei auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hingewiesen habe und die Kostenübernahme der entsprechenden fertilitätserhaltenden Maßnahmen beantragt habe. Zur Sicherheit habe sie am 9. April 2021, einem Freitag, einen entsprechenden Antrag formuliert und mit den notwendigen medizinischen Unterlagen am 12. April 2021 in den Hausbriefkasten der Beklagten eingeworfen. Dieser Antrag habe erst den Eingangsstempel 14. April 2021 von der Beklagten erhalten. Die Klägerin ist der Auffassung, einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Kryokonservierung gegen die Beklagte zu haben. Durch das TSVG seien im Mai 2019 Leistungen für fertilitätserhaltende Maßnahmen gemäß § 27a Abs. 4 SGB V gesetzlich normiert worden. Da diese Leistungen für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung neu gewesen seien, habe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entsprechende Richtlinien erlassen müssen. Diese Richtlinien seien am 19. Februar 2021 im Bundesanzeiger veröffentlicht worden und seien am 20. Februar 2021 in Kraft getreten. In § 7 der Richtlinien habe der G-BA Übergangsfälle dahingehend geregelt, dass Leistungsansprüche dann bestünden, wenn das Vereinbarungsverfahren abgeschlossen sei, also wenn die entsprechenden Leistungen in den Leistungskatalog des EBM aufgenommen worden seien. Hierauf berufe sich die Beklagte. Gemäß § 27a Abs. 5 SGB V sei der G-BA aufgerufen, in Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Abs. 1 und 4 zu bestimmen. Die Regelung für Übergangsfälle sei keine medizinische Einzelheit zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen, sondern letztendlich eine darüberhinausgehende, rein verwaltungstechnische und finanztechnische Regelung. Der G-BA habe keine rechtliche Kompetenz und keinen gesetzlichen Auftrag gehabt, die von ihm getroffenen Übergangsregelungen zu bestimmen, so dass diese unzulässig und unwirksam seien. Die Klägerin habe aufgrund ihrer schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung, die vorrangig zu behandeln gewesen sei, zeitlich über die Vornahme der entsprechenden fertilitätserhaltenden Maßnahmen nicht disponieren können. Für sie sei die Leistung unaufschiebbar gewesen, so dass sie einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V habe. Der Anspruch bestehe in voller Rechnungshöhe, da vergleichbare gesetzliche Leistungen noch nicht bestimmt gewesen seien.
Der Klageschrift hat die Klägerseite ein Anlagenkonvolut mit den Streitgegenstand betreffenden Bescheiden, Arztbriefen und Rechnungen beigefügt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021 in Form des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 2.833,07 € an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung des Klageabweisungsantrags verweist die Beklagte auf die streitgegenständlichen Bescheide.
Mit Schriftsatz vom 10. März 2022 hat die Klägerseite der Klägerin vorliegende Behandlungsverträge übersandt. Weitere Unterlagen seien im Original an die Beklagte übersandt worden.
Mit Verfügung vom 14. April 2022 hat die Kammer die Beteiligten hinsichtlich der Frage, ob die Kostenübernahme bis zum Erlass von Vergütungsregelungen im EBM ausgeschlossen ist, auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 15. März 2022 (Aktenzeichen S 60 KR 1074/21) hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2022 hat die Beklagte ausgeführt, dass sie die Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 15. März 2022 (Aktenzeichen S 60 KR 1074/21) nicht nachvollziehen könne. In einem vergleichbaren Fall habe das Sozialgericht Frankfurt am Main am 17. Mai 2022 die Rechtsauffassung der Beklagten geteilt. Mit dem Schriftsatz hat die Beklagte eine Kopie des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Mai 2022 zum Az. S 22 KR 1700/20 übersandt.
Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2022 hat der Bevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, dass die Eizellennamen und Kryokonservierung vor Durchführung von keimzellschädigenden Therapien vor dem Hintergrund einer Krebserkrankung nach Ansicht der Klägerin generell unaufschiebbar sei. Vor dem Hintergrund des Urteils des Sozialgerichts Duisburg vom 15. März 2022, Aktenzeichen S 60 KR 1074/21, dessen Wertungen sich die Klägerin anschließe, seien die klagegegenständlichen Kosten von der Beklagten zu erstatten.
Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2022 hat die Klägerseite vorgetragen, dass das von der Beklagten vorgelegte Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main keinen Anlass zu einer Neubewertung des streitgegenständlichen Sachverhalts gebe. Der Sachverhalt in jenem Urteil sei nicht vergleichbar mit dem der Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg vom 15. März 2022 zu Grunde liegenden Sachverhalt. Das Urteil des Sozialrechts Frankfurt am Main betreffe einen Sachverhalt, der zeitlich vor dem 20. Februar 2021 liege, also vor dem Inkrafttreten der G-BA Richtlinie zur Kryokonservierung. Das Urteil des Sozialgerichts Duisburg wie auch der hiesige Fall beträfen hingegen Sachverhalte, die nach dem Inkrafttreten der Richtlinie datierten.
Mit Verfügung vom 23. Januar 2023 hat die Kammer die Beklagte gebeten, einen Vermerk über das Telefonat am 8. April 2021, auf welche sich die Klägerin berufe, vorzulegen, wenn es einen solchen gebe.
Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2023 hat die Beklagte einen Aktenvermerk über ein mit der Klägerin am 8. April 2021 geführtes Telefonat übersandt. Darin ist als Notiz aufgeführt: „Versicherte möchte Eizellen einfrieren lassen, hat bösartigen Tumor, bekommt Eileiter entfernt. Verweist auf TSVG. Reicht Unterlagen ein. Bittet dringend um Rückruf. Mit Hormontherapie wird bereits am Dienstag begonnen.“
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat die Klägerseite vorgetragen, dass die Auskunft der Beklagten den von der Klägerin dargestellten Sachverhalt bestätige. Diese habe nach Inkrafttreten der Richtlinie mit ihrem Anruf einen auslegungsfähigen Antrag auf Übernahme der Kosten gestellt und mitgeteilt, wann die Therapie beginne. Die begehrte Leistung sei unaufschiebbar gewesen, so dass die Beklagte entsprechend zu verurteilen sei. Der G-BA habe keine Kompetenz und keinen gesetzlichen Auftrag, Übergangsregelungen zu schaffen.
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 hat die Beklagte ausgeführt, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen seien. Die Krankenkasse dürfe anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das Sozialgesetzbuch IX. Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) vorsehe. Um die Erbringung der Leistung im geforderten Rahmen sicherzustellen, sei die Bewertung der Leistungen im EBM zwingend notwendig. Der G-BA habe durch § 87 SGB V den gesetzlichen Auftrag, einen einheitlichen Bewertungsmaßstab zu vereinbaren. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16. Juli 2017 sei die Frist hierfür auf sechs Monate begrenzt worden. Der Gesetzgeber nehme billigend in Kauf, dass es eine Übergangszeit gibt, begrenze diese jedoch auf sechs Monate, damit es eben nicht ausschließlich in der Hand des G-BA liege, wie schnell das Verfahren abgeschlossen ist. Allerdings werde den Versicherten damit auch eine Übergangszeit von sechs Monaten bewusst zugemutet. Erst wenn diese Frist überschritten sei, bestehe ein Anspruch auf Kostenerstattung.
Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2023 hat die Klägerseite die Ansicht vertreten, dass sich entgegen den Darstellungen der Beklagten der gesetzliche Leistungsanspruch des § 27a SGB V mit Erlass der Richtlinie zu einem durchsetzbaren Einzelanspruch verdichtete. Hierzu hat die Klägerseite auf das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Oktober 2022, Az. L 16 KR 256/21 verwiesen. Die Frage, in welchem Zeitraum danach die Leistungen nach § 27a Abs. 4 SGB V als Sachleistungsanspruch Eingang in den EBM gefunden hätten, spiele in diesem Zusammenhang dann keine Rolle, da der bestehende Einzelanspruch des Klägers auf Leistungen gegenüber der Beklagten hierdurch nicht hinfällig werde. Der Anspruch auf Kostenerstattung begründe sich aus § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB V, da die Beklagte Leistungen für den bestehenden Anspruch des Klägers nach Inkrafttreten der Richtlinie vom 20. Februar 2021 zu Unrecht abgelehnt habe.
Mit Schriftsatz vom 10. August 2023 hat die Beklagte auf ihre im Schriftsatz vom 31. Mai 2021 ausgeführt Rechtsauffassung verwiesen. Von einer weiteren Stellungnahme werde abgesehen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren, die Akte der Beklagten (eine Datei) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1, Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist in vollem Umfang begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2021 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der durch die von ihr selbst beschaffte Kryokonservierung von Eizellen entstandenen Kosten in der geltend gemachten Höhe.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Variante) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Variante) und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind.
1. Ein Fall von § 13 Abs. 3 S. 1 Var. 2 SGB V liegt nicht vor, da die Ablehnung der Kostenübernahme für die Kryokonservierung durch die Beklagte in ihrem Bescheid vom 11. Mai 2021 nicht kausal für die Selbstbeschaffung der Leistung war. Die Klägerin hat sich die Kryokonservierung bereits im April 2021, also vor Erlass des ablehnenden Bescheides, selbst beschafft, sodass ein Kausalzusammenhang zwischen der ablehnenden Entscheidung und der Selbstbeschaffung schon denklogisch ausscheidet.
2. Allerdings sind die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 S. 1 Var. 2 SGB V erfüllt. Im Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahmen zur Kryokonservierung hatte die Klägerin gegen die Beklagte bereits einen Anspruch auf Verschaffung der Kryokonservierung als Naturalleistung (a.). Die Durchführung der Behandlung war unaufschiebbar (b.) und die rechtswidrige Nichterfüllung des Primäranspruchs durch die Beklagte war für die Selbstbeschaffung kausal (c.).
a. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erbringung der Kryokonservierung ihrer Eizellen folgt aus § 27a Abs. 4 SGB V i.V.m. der Richtlinie des G-BA zur Kryokonservierung. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können. Bei der Klägerin war der linke Eierstock bereits im Februar 2021 entfernt worden. Aufgrund von Auffälligkeiten am rechten Eierstock wurde eine weitere Operation und die Entfernung auch des rechten Eileiters bzw. Eierstocks erforderlich. Infolge der bei der Klägerin diagnostizierten Erkrankung und der durchzuführenden Entfernung von Eileiter und Eierstock war wegen einer keimzellenschädigenden Therapie und des noch jungen Alters der Klägerin eine Kryokonservierung ihrer Eizellen medizinisch notwendig, was von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt wird.
Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch bezieht sich auf die Zeit der Behandlung vom 13. April 2021 bis zum 30. Juni 2021. Ab 1. Juli 2021 hat die Beklagte die ab diesem Zeitpunkt entstehenden Kosten für die Kryokonservierung übernommen. Damit geht es um eine abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Behandlung, für die die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt maßgeblich ist (vgl. BSG, Urt. v. 08.03.1995 - B 1 KR 8/94).
Die Kammer ist der Auffassung, dass es sich bei der Kryokonservierung von Eizellen und den zugehörigen medizinischen Maßnahmen bereits im April 2021 um eine Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung handelte, weshalb diese vom Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs. 3 Variante 1 SGB V umfasst war, der an die Stelle des primären Sachleistungsanspruchs tritt und sich davon ableitet.
Der Gesetzgeber hatte bereits mit Gesetz vom 6. Mai 2019, BGBl. I S. 646 mit Wirkung zum 11. Mai 2019 einen neuen Abs. 4 in die zunächst nur die künstliche Befruchtung regelnde Vorschrift des § 27a SGB V mit dem oben zitierten Regelungsgehalt eingefügt. Allein der Erlass von § 27a Abs. 4 SGB V begründete indes noch keinen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen. Zur Begründung des Anspruchs bedurfte es gemäß § 27a Abs. 5 SGB V einer Richtlinie des G-BA gemäß § 92 SGB V zur Bestimmung der medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs. 1 und 4 SGB V.
Zur Frage, ab welchem Zeitpunkt sich der Sachleistungsanspruch aus § 27a Abs. 4 SGB V zu einem durchsetzbaren Einzelanspruch verdichtet hat, führt das LSG Niedersachsen-Bremen (16. Senat) im Urteil vom 14.10.2022 – L 16 KR 256/21 in Rn. 24 aus: „Ein Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen bestand allerdings nicht bereits mit Erlass des § 27a Abs. 4 SGB V. Denn gemäß § 27a Abs. 5 SGB V bestimmt der GBA in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4. Die Ermächtigungsnorm wurde ursprünglich zur näheren Ausgestaltung des § 27a Abs. 1 SGB V geschaffen, der den Anspruch auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft regelt (seinerzeit § 27a Abs. 4 SGB V). Nach der Gesetzesbegründung sollten hierzu unter Anderem die medizinischen Indikationen für die Behandlung zählen sowie Regelungen, die die vorgeschriebene Erfolgsaussicht konkretisieren (BT-Drucksache 11/6760, Seite 15). Nichts Anderes gilt nunmehr auch nach der Erstreckung auf den neu geschaffenen § 27a Abs. 4 SGB V (BeckOGK/Zieglmeier, 1. März 2020, SGB V § 27a Rn 69). Nach § 92 Abs. 1 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind; er kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Er soll gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V unter anderem Richtlinien beschließen über die medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a Abs. 1 sowie die Kryokonservierung nach § 27a Absatz 4. Der GBA entscheidet damit erst über die weitere Ausgestaltung des Gesetzes als Normgeber, wobei Richtlinien in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt sind (BSG 7. Mai 2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr. 14). Vor Erlass einer solchen Richtlinie fehlen wesentliche Aussagen über die Voraussetzungen einer Kryokonservierung als Sachleistung durch die Krankenkassen. Der gesetzliche Leistungsanspruch des § 27a Abs. 4 SGB V verdichtet sich damit erst mit Erlass der Richtlinie zu einem durchsetzbaren Einzelanspruch (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2022 - L 11 KR 98/22; vorgehend SG Mannheim, Urteil vom 1. Dezember 2021 - S 4 KR 1660/20; Felix in MedR 2020, 728, 732; Uyanik in SGb 2020, 473, 476).“
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nach eigener Überzeugungsbildung an. Der Erlass der Richtlinie des G-BA war zur Begründung eines Sachleistungsanspruchs auf Erbringung der Kryokonservierung erforderlich, aber auch ausreichend. Am 19. Februar 2021 wurde die Richtlinie des G-BA zur Kryokonservierung im Bundesanzeiger veröffentlicht, sie trat am 20. Februar 2021 und damit vor Durchführung der streitgegenständlichen Kryokonservierungsmaßnahmen in Kraft. Damit ist der gesetzliche Anspruch der Versicherten auf Kryokonservierung gemäß § 27a Abs. 4 SGB V entstanden. Auf eine formale Umsetzung in den ärztlichen Vergütungsregelungen des EBM kam es hingegen nicht an. Soweit der G-BA in der Richtlinie zur Kryokonservierung die Geltung des gesetzlichen Anspruchs der Versicherten auf Kryokonservierung in § 7 vom formalen Akt der Umsetzung im EBM abhängig gemacht hat, war er dazu nach Auffassung der Kammer nicht ermächtigt. Der G-BA hat die Aufgabe, vor dem Hintergrund des Qualitätsgebots und damit auch zum Schutz der Versicherten die medizinischen Voraussetzungen der neuen Untersuchung- und Behandlungsmethoden im Sinne von § 135 SGB V im Einzelnen festzulegen. Nicht zu den Aufgaben des G-BA gehört hingegen die Festlegung der abrechnungsfähigen ärztlichen Vergütung im EBM, bei der es sich nicht um eine medizinische Fragestellung handelt. Mit dem Inkrafttreten der Richtlinie zur Kryokonservierung und der Veröffentlichung derselben im Bundesanzeiger stand bereits fest, unter welchen Voraussetzungen, in welcher Art und in welchem Umfang die Leistungen der Kryokonservierung gegenüber Versicherten zu erbringen waren. Der Zweck des Patientenschutzes und des Qualitätsgebot war damit erfüllt. Die formale Umsetzung im EBM diente diesem Zweck nicht, sondern lediglich dem Zweck ordnungsgemäßer Abrechnung. Die Regelung der Abrechnungsmodalitäten gehört allerdings nicht zu den in § 92 SGB V definierten Aufgaben des G-BA, sodass das Fehlen einer entsprechenden Regelung im EBM nicht dazu führt, dass ein Sachleistungsanspruch auf Erbringung von Kryokonservierungsmaßnahmen trotz Umsetzung in einer Richtlinie des G-BA nicht gegeben ist. Sämtliche Voraussetzungen für das Bestehen eines Sachleistungsanspruchs waren mit dem Erlass der Richtlinie zur Kryokonservierung erfüllt (siehe hierzu auch: SG Duisburg (60. Kammer), Urteil vom 15.03.2022 – S 60 KR 1074/21, Rn. 18 ff.). Der im von der Beklagten vorgelegten Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 17. Mai 2022, Az. S 22 KR 1700/20 entschiedene Fall ist mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar, da dort eine Behandlung vor Erlass der Richtlinie des G-BA zur Kryokonservierung streitgegenständlich war.
b. Die Durchführung der Behandlungsmaßnahmen zum Zwecke der Kryokonservierung von Eizellen der Klägerin war auch unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs. 3 Var. 1 SGB V. Eine Leistung ist unaufschiebbar im Sinne der Norm, wenn die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Versicherte müssen sich, soweit möglich, grundsätzlich vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des Sachleistungssystems an die Krankenkasse wenden und diese über die Notwendigkeit der Leistung informieren und sich über die bestehenden Leistungsmöglichkeiten beraten lassen (Schifferdecker in: beck-online.Gross-kommentar (Kasseler Kommentar), Hrsg: Rolfs (geschf.)/Körner/Krasney/ Mutschler, Stand: 15.11.2023, § 13 SGB V, Rn. 87 f.).
Aus medizinischer Sicht war die Durchführung der keimzellenschädigenden Behandlung der Klägerin dringend geboten und konnte nicht hinausgezögert werden, ohne die Gefahr für die Gesundheit der Klägerin zu verstärken. An der Erforderlichkeit der Behandlung hat die Kammer angesichts des medizinischen Akteninhalts keine Zweifel. Auch zwischen den Beteiligten ist die medizinische Dringlichkeit der Behandlung unstreitig. Dies hat die Bevollmächtigte der Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klargestellt. Die Klägerin hat die Beklagte auch rechtzeitig vor Inanspruchnahme der Behandlung über die Notwendigkeit der Behandlung informiert. Die Klägerin wandte sich noch an dem Tag, an dem ihr die Erforderlichkeit der Behandlung und deren keimzellenschädigende Wirkung bekannt wurde, telefonisch an die Beklagte und informierte diese über die Notwendigkeit der Behandlung. Ausweislich des von der Beklagten gefertigten Telefonvermerk ging bereits aus diesem Telefonat hervor, dass die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Kryokonservierung bei der Beklagten begehrte. Deshalb kommt es nicht entscheidend darauf an, wann der schriftliche Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme bei der Beklagten eingegangen ist und ob zu diesem Zeitpunkt schon mit den Behandlungsmaßnahmen zum Zwecke der Kryokonservierung begonnen worden war. Bereits in dem Telefonat vom 8. April 2021 ist ein Antrag auf Kostenübernahme zu sehen, über den die Beklagte zu entscheiden hatte. Mit dem Anruf hat die Klägerin der Beklagten vor Beginn der Behandlungsmaßnahmen die Möglichkeit gegeben, über die Leistungsmöglichkeiten zu informieren und über die Kostenübernahme zu entscheiden.
c. Die Nichterfüllung des Sachleistungsanspruchs auf Durchführung der Kryokonservierung durch die Beklagte war auch kausal dafür, dass sich die Klägerin die Leistung selbst beschafft hat. Trotz des telefonischen Antrags der Klägerin vom 8. April 2021 und dem Hinweis der Klägerin auf die Dringlichkeit der Behandlung und darauf, dass die Behandlung bereits in der Folgewoche beginnen sollte und dass der Behandlungsbeginn unaufschiebbar war und trotz Nachfragen der Klägerin entschied die Beklagte erst mit Bescheid vom 11. Mai 2021, also über einen Monat nach Antragstellung über den Antrag der Klägerin. Angesichts der Untätigkeit der Beklagten blieb der Klägerin zur Vermeidung einer Gefährdung ihrer Gesundheit und zur Gewährleistung der Möglichkeit der Erfüllung ihres künftigen Kinderwunsches keine andere Möglichkeit, als sich die Leistung selbst zu beschaffen. Dass die Zustimmung zur Eierstocksimulation und Eizellentnahme und die Vereinbarung über individuelle Gesundheitsleistungen auf den 8. April 2021 datiert sind, spricht nicht für eine Festlegung der Klägerin auf die beantragten Maßnahmen bereits vor Stellung des Antrags bei der Beklagten. Aus dem Schreiben des Universitätsklinikums Frankfurt das die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 28. Juli 2021 an die Beklagte übersandt hat, geht hervor, dass die Klägerin am 19. April 2021 dem Klinikum den Konsens zur Behandlung übermittelt hat. Erst damit und damit zeitlich nach Antragstellung bei der Beklagten ist die vertragliche Verpflichtung der Klägerin entstanden. Dass die Klägerin die Unterlagen zu einem früheren Zeitpunkt ausgefüllt und datiert hat ist demgegenüber nicht entscheidend, die vertragliche Verpflichtung entstand erst, als die Unterlagen dem Klinikum zugingen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.