L 2 R 36/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 201/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 36/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Januar 2023 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger begehrt die Berücksichtigung und Bewertung von Beiträgen aus einer neben dem Bezug der Altersvollrente ausgeübten Beschäftigung und damit eine höhere monatliche Rentenleistung.

Der 1949 geborene Kläger bezieht seit 1. August 2011 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Vollrente. Im Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis 31. Januar 2020 arbeitete der Kläger für die M. AG auf Teilzeitbasis. Dabei entrichtete die Arbeitgeberin des Klägers monatlich Beiträge zur Rentenversicherung. Diese Beiträge wurden bei der Rentenberechnung des Klägers nicht berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2019 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beantragte, die von seinem Arbeitgeber gezahlten Beiträge rentenerhöhend bei seiner Rente zu berücksichtigen, hilfsweise beantragte er Beitragserstattung.

Mit Bescheid vom 8. Juli 2019 lehnte die Beklagte es ab, die gezahlten Beiträge des Arbeitgebers dem Rentenkonto des Klägers zuzuschreiben und der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Bezieher einer Altersvollrente seien nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) versicherungsfrei gewesen. Beitragszeiten hätten neben der Vollrente aufgrund der Versicherungsfreiheit nicht mehr erworben werden können. Ab dem 1. Januar 2017 habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Davon habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Nach § 172 Abs. 1 SGB VI habe der Arbeitgeber die Arbeitgeberanteile für eine versicherungsfreie Beschäftigung zu zahlen. Diese Beiträge flössen aber nicht in das Rentenkonto des einzelnen Versicherten ein.

Hiergegen erhob der Kläger am 14. August 2019 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass durch seine Erwerbstätigkeit nach Rentenbeginn höhere Rentenansprüche entstanden seien. Dies resultiere aus Art. 3 Grundgesetz (GG). Er sei sonst als behinderter Mensch durch den Bezug der Altersrente gegenüber Nichtbehinderten benachteiligt. Auch habe das BVerfG in einer Entscheidung vom 16. Juli 1985, 1 BvL5/80 entschieden, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung Beiträge des Arbeitnehmers seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2020 wurde der Widerspruch des Klägers unter Verweis auf die Versicherungsfreiheit zurückgewiesen. Ab dem 1. Januar 2017 habe die Möglichkeit bestanden, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Hiervon habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Am 15. Juni 2020 hat der Kläger hiergegen zum Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Er hat vorgebracht, dass Ziel des Arbeitgeberbeitrags die Fürsorge für den Arbeitnehmer sei. Auch die Beitragsleistung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer sei verfassungsrechtlich geschützt. Mit der Nichtberücksichtigung des Arbeitgeberbeitrags zur Rentenversicherung diskriminiere die Beklagte den Kläger gern. Art. 14 GG, was auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG bedeute. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für die Beklagte, die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung bei der Rentenfestsetzung nicht zu berücksichtigen. 

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 6. Januar 2023 die Klage abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, denn hinsichtlich der bei der Rente des Klägers zu berücksichtigenden Arbeitgeberbeiträge sei nicht möglicherweise ein eigenes Recht des Klägers verletzt. Die streitgegenständlichen Beiträge des Arbeitgebers würden abweichend zur sonstigen Rechtslage nicht dem eigenen Rentenkonto des Klägers zugeordnet, sondern würden aus arbeitsmarktpolitischen Gründen allgemein an die Rentenversicherung gezahlt. Vor diesem Hintergrund liege aus Sicht des Gerichts hinsichtlich Haupt- und Hilfsantrag keine Klagebefugnis vor. Jedenfalls sei die Klage aber unbegründet. Der Bescheid vom 8. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2020 sei rechtmäßig. Nach § 172 Abs. 1 SGB VI trügen für Beschäftigte, die versicherungsfrei seien wegen des Bezugs einer Vollrente wegen Alters nach Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht worden sei (...) die Arbeitgeber die Hälfte des Beitrags, der zu zahlen wäre, wenn die Beschäftigten versicherungspflichtig wären. Bezieher einer Vollrente wegen Alters seien vor dem 31. Dezember 2016 bei Ausübung einer Beschäftigung nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei in der Rentenversicherung gewesen. Beschäftigte, die am 31. Dezember 2016 aufgrund des Bezugs einer Altersvollrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze rentenversicherungsfrei beschäftigt gewesen seien, blieben in dieser unverändert fortbestehenden Beschäftigung weiterhin rentenversicherungsfrei (§ 230 Abs. 9 Satz 1 SGB VI). Dass auch für diese Beschäftigten ein fiktiver Arbeitgeberbeitragsanteil zu zahlen sei, regele der zum 1. Januar 2017 ebenfalls neu eingefügte § 276a Abs. 1a SGB VI. Die Betroffenen hätten die Möglichkeit, auf die übergangsweise angeordnete Versicherungsfreiheit zu verzichten (§ 230 Abs. 9 Sätze 2 ff. SGB VI). § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI führe bei Beschäftigung dieses Personenkreises durch Arbeitgeber dazu, dass trotz einer fortbestehenden Versicherungsfreiheit vom Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen seien, die er auch alleine zu tragen habe (Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 172 SGB VI Rn. 45). Die Vorschrift diene vorwiegend arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen. Die fiktiven Beitragsanteile nach Absatz 1 hätten keine individuellen Auswirkungen für die Personen, für deren Beschäftigung sie vom Arbeitgeber gezahlt und getragen werden müssten. Der Beitragsanteil, den der Arbeitgeber nach § 172 Abs. 1 SGB VI zu zahlen habe, sei insofern kein echter, dem Versicherten zuzuordnender Rentenversicherungsbeitrag, es handele sich um Beiträge mit Sondercharakter, die der Versichertengemeinschaft zuflössen. Der Umstand, dass trotz nicht bestehender Versicherungspflicht vom Arbeitgeber Beiträge zu zahlen und zu tragen seien, denen im Fall des § 172 Abs. 1 SGB VI für den Arbeitnehmer keine Leistungen gegenüberstünden, sei mehrfach und auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen. Schon 1962 habe das BVerfG zu der Verfassungsmäßigkeit der Vorgängerregelung zu § 172 Abs. 1 SGB VI entschieden, dass die Regelung des Arbeitgeberanteils von der Ermächtigung des Art. 74 Nr. 12 GG gedeckt sei und auch nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße (Beschluss vom 16. Oktober 1962, 2 BvL 27/60). Das BSG habe sich dem in seiner Entscheidung vom 9. März 1965 angeschlossen (3 RK 49/61). Erneut im Jahr 1980 habe das BVerfG diese Entscheidung bestätigt (Dreierausschussbeschluss vom 21. Juli 1980, 1 BvR 469/79), das BSG habe sich wiederum angeschlossen (Urteil vom 26. Oktober 1982, 3 RK 55). Da es sich bei den nach § 172 Abs. 1 SGB VI gezahlten Arbeitgeberbeiträgen nicht um Beiträge handele, die eigene Rechte des Klägers begründeten, scheide auch eine Beitragsrückerstattung an den Kläger aus.

Der Kläger hat gegen den ihm am 12. Januar 2023 zugestellten Gerichtsbescheid am 13. Februar 2023 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das Sozialgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, da es fehlerhafterweise durch Gerichtsbescheid entschieden habe. Zudem habe er mit dem spezifischen Arbeitsvertrag seines Arbeitgebers keinerlei Wettbewerbsvorteile im Sinne des Gesetzes für die M. AG ausgelöst. Somit hätte es sich schon der Beklagten aufdrängen müssen, dass hier nicht die arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen des § 172 SGB VI vorlägen. Damit seien schon die Bescheide der Beklagten zu unbestimmt gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Das BVerfG habe bereits im Jahr 1985 festgestellt (1 BvL 5/80, 1 BvR 1023, 1052/83 und 1227/84), dass die Beiträge des Versicherten, wie die Beiträge des Arbeitgebers, als Arbeitnehmerbeiträge bei der Rentenfestsetzung zu berücksichtigen seien. Die von ihm geltend gemachten Arbeitgeberbeiträge in die Sozialversicherung seien wie seine Leistungen zu bewerten und die Rente entsprechend anzupassen. Rein hilfsweise werde die Erstattung der genannten Beiträge geltend gemacht.

Der Kläger beantragt, 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Januar 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2020 aufzuheben 
und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten wegen Beschäftigung auf der Basis eines monatlichen Beitrags in Höhe von 99,23 Euro
im Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2020 ab dem 1. Juni 2014 gewähren, 
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.747,64 Euro nebst angemessenen Zinsen über dem Basiszinssatz auf je einen Betrag in Höhe von 99,23 Euro monatlich fortlaufend ab dem 1. Juni 2014
sowie dem jeweiligen 1. des Folgemonats zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, 
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung ihres Antrags auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg, denn der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Januar 2023 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2020 war nicht aufzuheben, da er rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung einer höheren Altersrente ab dem 1. Juni 2014 unter Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten wegen Beschäftigung im Zeitraum vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Januar 2020. 

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8. Dezember 2016, BGBl. I S. 2838) sind versicherungsfrei Personen, die nach Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde, eine Vollrente wegen Alters beziehen. Dies trifft auf den Kläger seit dem Inkrafttreten der Regelung zum 1. Januar 2017 zu. Durch das Flexirentengesetz wurde § 5 Abs. 4 SGB VI um die Sätze 2 bis 4 ergänzt. Mit dieser Ergänzung wird § 5 Abs. 4 Satz 1 SGB VI insoweit eingeschränkt, als dass dieser „nicht für Beschäftigte in einer Beschäftigung, in der sie durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die Versicherungsfreiheit verzichten“, gilt. Der Verzicht auf die Versicherungsfreiheit kann nur mit Wirkung für die Zukunft abgegeben werden. Adressat dieser Verzichtserklärung ist der entsprechende Arbeitgeber. Er gilt für die Dauer dieser Beschäftigung. Wird auf die Versicherungsfreiheit verzichtet, haben beide Seiten, also Arbeitgeber und Beschäftigte, ihren Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten. Im Gegenzug sind diese Beiträge bei der Berechnung der Rente zu berücksichtigen. Der Verzicht auf die Versicherungsfreiheit gilt nur für die Beschäftigung, für welche der Verzicht erklärt wurde (Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 5 SGB VI (Stand: 30.11.2023), Rn. 166).

Zuvor waren nach § 5 Abs. 4 SGB VI aF (in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989, BGBl I S. 2261) Personen versicherungsfrei, wenn sie eine Vollrente wegen Alters bezogen. Dies traf auf den Kläger im Zeitraum von 2011 bis zur Rechtsänderung ab 1. Januar 2017 zu. Nach § 230 Abs. 9 SGB VI bleiben außerdem Personen, die am 31. Dezember 2016 wegen des Bezugs einer Vollrente wegen Alters vor Erreichen der Regelaltersgrenze in einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit versicherungsfrei waren, in dieser Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit versicherungsfrei. Beschäftigte können durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die Versicherungsfreiheit verzichten. Der Verzicht kann nur mit Wirkung für die Zukunft erklärt werden und ist für die Dauer der Beschäftigung bindend. 

Der Kläger war somit unter allen denkbaren Gesichtspunkten in der streitgegenständlichen Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei. Er hat keine Verzichtserklärung für den streitgegenständlichen Zeitraum abgegeben.
Für die Beschäftigung solcher versicherungsfreien Rentenbezieher haben und hatten die Arbeitgeber nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen. Gleiches gilt nach § 276a Abs. 1a SGB VI für Beschäftigte, die nach § 230 Abs. 9 SGB VI wegen des Bezugs einer Vollrente wegen Alters vor Erreichen der Regelaltersgrenze versicherungsfrei sind. Die Arbeitgeberin hat die entsprechenden Beiträge gezahlt.

Hieraus kann der Kläger jedoch keinen höheren Rentenanspruch ableiten. Die vom Arbeitgeber gezahlten Versicherungsbeiträge werden keinem Versicherungskonto zugeordnet und können die Rente des Klägers nicht erhöhen. Sie sind weder anspruchs- oder anwartschaftsbegründend noch -erhöhend. 

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die nur den Arbeitgeber treffende Beitragstragungspflicht verfassungswidrig ist. Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG iVm § 13 Nr. 11 und §§ 80 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz bedurfte es daher nicht (siehe hierzu auch BSG, Urteil vom 13. Dezember 2022, B 12 R 3/21 R, juris; BeckOGK/ Wehrhahn, 1.3.2017, SGB VI § 172 Rn. 3). Die Zahlungen des Arbeitgebers in diesen Fällen kommen ausschließlich der Versichertengemeinschaft, nicht jedoch dem einzelnen Versicherten zugute. Hierdurch sollen ansonsten eintretende Wettbewerbsvorteile für diese Arbeitgeber verhindert werden (Kreikebohm/ Roßbach SGB VI/Segebrecht, 6. Aufl. 2021, SGB VI § 172 Rn. 3). Mit der Pflicht zur Tragung des Arbeitgeberanteils verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, Arbeitgebern den Anreiz zu nehmen, Altersrentner wegen ihrer Versicherungs- und Beitragsfreiheit zu beschäftigen (Finke in Hauck/Noftz, SGB VI, § 172 Rn. 3, Stand Oktober 2006; Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 172 Rn. 36). Zugleich soll einer Blockierung freier Arbeitsplätze durch versicherungsfreie Altersrentner entgegenwirkt werden (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 113 AVG BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1962, 2 BvL 27/60, BVerfGE 14, 312). 

In der Pflicht zur Tragung des Arbeitgeberanteils liegt kein verfassungswidriger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG oder die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Es kann offenbleiben, ob und inwieweit überhaupt der jeweilige Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG berührt ist. Die den Arbeitgebern auferlegte Pflicht ist jedenfalls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Systeme von Verfassungs wegen nicht gehalten, Geldleistungen der Höhe nach in voller Äquivalenz zu den Beiträgen festzusetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 1979, 1 BvL 30/76, BVerfGE 51, 115; BVerfG, Beschluss vom 11. März 1980, 1 BvL 20/76 ua, BVerfGE 53, 313; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Oktober 2008, 1 BvR 2995/06 ua, BVerfGK 14, 287; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. März 2006, 1 BvR 1311/96, BVerfGK 7, 410). Ein uneingeschränktes Äquivalenzprinzip existiert im Sozialversicherungsrecht nicht. Ebenso besteht im Sozialversicherungsrecht kein Grundsatz, dass eine Beitragspflicht (eines Arbeitgebers) nur dann verfassungsgemäß ist, wenn sie individuell zu (höheren) Versicherungsleistungen (beim Versicherten) führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. September 1999, 1 BvR 1750/95, SozR 3-5850 § 4 Nr. 1 S. 4 f mwN). Trotz fehlendem individuellen Versichertenbezug handelt es sich bei den Arbeitgeberanteilen um Beiträge (mit Sondercharakter; vgl. Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 172 Rn. 22) der Sozialversicherung. Dass sie „nur“ der Versichertengemeinschaft zufließen, steht ihrer Zuordnung zu den Beiträgen im Sinn des Sozialversicherungsrechts nicht entgegen (BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1962, 2 BvL 27/60, BVerfGE 14, 312; vgl. auch BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 21. Juli 1980, 1 BvR 469/79, SozR 2200 § 381 Nr. 38). Aus Sicht des Senats bestehen bei der Verfolgung arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen in Übereinstimmung mit der benannten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG (Urteil vom 9. März 1965, 3 RK 49/61, BSGE 22, 288) keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch aus einer später eingetretenen veränderten Arbeitsmarktsituation ergibt sich nichts Anderes. Der Gesetzgeber hat zum 1. Januar 2017 auf geänderte Verhältnisse in Folge der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels mit dem Flexirentengesetz reagiert. Der Gesetzgeber wollte dadurch angesichts der demographischen Entwicklung eine Steigerung der Attraktivität der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen erreichen (BT-Drucks 18/9787 S. 26 und S. 51). Der Gesetzgeber hat zum 1. Januar 2017 in § 5 Abs. 4 Satz 2 SGB VI für Bezieher einer Vollrente wegen Alters die Möglichkeit geschaffen, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. In diesem Fall führen die Arbeitgeberanteile nach § 172 Abs. 1 SGB VI zu einer Erhöhung der Rente (BT-Drucks 18/9787 S. 30). Dass der Gesetzgeber diese Maßnahmen bereits vor dem 1. Januar 2017 hätte ergreifen müssen, ist weder dargetan noch erkennbar. Auch liegt zur Überzeugung des Senats keine nach Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrige (Un-)Gleichbehandlung vor. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Hieraus folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. stRspr.; BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung untersagt. Ebenso wenig ist er gehalten, Ungleiches unter allen Umständen ungleich zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 7. April 2022, 1 BvL 3/18 ua mwN). Die angegriffenen Vorschriften führen zu einer Beitragstragungspflicht der Arbeitgeber unabhängig davon, ob sich die Arbeitgeberanteile auf das sozialversicherungsrechtliche Konto der betroffenen Arbeitnehmer auswirken. Die hierdurch bewirkte Gleichbehandlung trägt der dargelegten verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzgeberischen Intention Rechnung. Die Argumentation des Klägers läuft jedoch darauf hinaus, eine Besserstellung gegenüber der Situation der Beschäftigung eines nicht-versicherungsfreien Arbeitnehmers zu erreichen. Denn er möchte eine Rentenerhöhung allein aus der durch den Arbeitgeber getragenen Beiträge zur Rentenversicherung bewirken. Von der Möglichkeit des Verzichts auf die Versicherungsfreiheit und der Erlangung von Zuschlägen nach § 76d SGB VI hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Ein aus der Verfassung ableitbarer zwingender Anspruch zur Einräumung eines solchen Vorteils für den Kläger ist insoweit weder dargelegt noch ersichtlich. Schließlich liegt zur Überzeugung des Senats auch in der konkreten Rechtsanwendung kein verfassungswidriger Eingriff. Soweit der Kläger vorträgt, dass durch seinen individuellen Arbeitsvertrag ein Wettbewerbsvorteil für den Arbeitgeber nicht eingetreten sei, begründet dies keine sachwidrige Ungleichbehandlung. Denn es kommt für die Anwendung der verfassungsgemäßen Norm nicht auf die konkreten Einzelumstände des jeweiligen Arbeitsvertrags an. 

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erstattung der durch den Arbeitgeber getragenen Beiträge. 

Nach § 26 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen zu erstatten. Der Erstattungsanspruch steht nach § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV dem zu, der die Beiträge getragen hat. Da der Kläger die Arbeitgeberbeiträge nach § 172 Abs. 1 SGB VI nicht getragen hat, sondern sein Arbeitgeber, kann ihm – unabhängig von dem Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs – ein solcher nicht zustehen. Eine Erstattung der streitgegenständlichen Beiträge an den Kläger kommt nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
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