1. Die Sozialwidrigkeit eines Verhaltens im Sinne des § 34 SGB II kann zulässig mit einem Grundlagenbescheid inhaltlich bindend festgestellt werden (vgl. Bundessozialgericht Urteil vom 29. August 2019 - B 14 AS 49/18 R - juris Rn 17).
2. Im Rahmen der rechtlichen Überprüfung der anknüpfend an einen solchen Grundlagenbescheid ergehenden Folgebescheide ist nur zu prüfen, ob die nach § 34 SGB II erforderliche Kausalität zwischen dem konkret geltend gemachten Erstattungsanspruch und dem sozialwidrigen Verhalten vorlag und ob die Ersatzansprüche zutreffend beziffert sind (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen- Bremen, Urteil vom 26. Januar 2023 - L 11 AS 346/22 - juris Rn 32).
3. Die gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB II erfolgende Erklärung der Aufrechnung mit einer Erstattungsforderung gemäß § 34 Abs. 1 SGB II kann grundsätzlich bereits zusammen in einem Bescheid mit der Erstattungsfestsetzung erfolgen.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 11. August 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin zu 1. 35% der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Weitere außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum August 2017 bis Mai 2018.
Die K. geborene Klägerin zu 1. war ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 15. August 2017 und des unbefristeten Arbeitsvertrags vom 11. April 2017 ab dem 19. April 2017 erwerbstätig bei der Firma L. als „Helfer/in Kunststoff und Kauts“ in M. mit 35 Wochenstunden, einem Bruttoentgelt in Höhe vom EUR 9,23 je Stunde (§ 4 Arbeitsvertrag) und hieraus erzielten und jeweils zum 15. des Folgemonats fälligen monatlichen Bruttoentgelten in Höhe von EUR 516,88 für April 2017, EUR 1.162,98 für Mai 2017, EUR 1.198,51 für Juni 2017 und 267,13 für Juli 2017.
Am 7. August 2017 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen, u.a. unter Angabe des Auszugs aus der Wohnung des Vaters und des zwischenzeitlichen Wohnens bei Freunden sowie unter Vorlage einer fristlosen Kündigung der Firma L. vom 13. Juli 2017, die mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. August 2017 damit begründet wurde, dass die Klägerin zu 1. ab dem 27. Juni bis zum 13. Juli 2017 nicht mehr zur Arbeit erschienen sowie nicht erreichbar gewesen sei und sich auch nicht gemeldet habe.
Mit Schreiben vom 7. August 2017 und Erinnerungsschreiben vom 1. und 8. September 2017 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1. zur Prüfung eines Leistungsanspruchs nach dem SGB II u.a. auf, Arbeits- und Einkommensbescheinigungen bzgl. der Tätigkeit bei der Firma L. einzureichen sowie eine Stellungnahme zur Kündigung und Kontoauszüge ab dem 26. April 2017.
Die Klägerin zu 1. erklärte dazu mit Schreiben vom 14. September 2017, zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie bei ihrem leiblichen Vater in M. gewohnt, der sie nach einem Konflikt vor die Tür gesetzt habe mit der Folge einer Obdachlosigkeit. Sie habe weder die finanziellen Mittel noch eine Möglichkeit gehabt, dies dem Arbeitgeber mitzuteilen. Sie habe daher die Kündigung erhalten, was sie bedaure, da ihr die Tätigkeit gefallen habe.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 14. September 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. unter durchgehender Berücksichtigung einer monatlichen Regelleistung in Höhe von EUR 409,00 Leistungen für den Zeitraum August 2017 bis Juli 2018, für August 2017 in Höhe von EUR 315,04 nach Abzug des bereinigten Restgehalts in Höhe von EUR 93,96 und im Folgezeitraum unter Berücksichtigung der für die ab dem 16. September 2017 gemietete Wohnung anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von monatlich EUR 405,50 (EUR 241,50 Grundmiete zzgl. EUR 95,00 Nebenkosten zzgl. EUR 69,00 Heizkosten) sowie nach Abzug von Kindergeld in Höhe von monatlich EUR 192,00 für September 2017 EUR 449,75, für die Monate Oktober bis Dezember 2017 jeweils EUR 652,50 und für die Monate Januar bis Juli 2018 jeweils EUR 650,50.
Zum 1. Oktober 2017 zog der 1997 geborene Kläger zu 2. mit in die Wohnung der Klägerin zu 1. Mit einem beim Beklagten am 6. November 2017 eingegangenen ausgefüllten Formularvordruck vom „23. Okt. 2017“ erklärte die Klägerin zu 1., dass der Kläger zu 2. über kein Einkommen verfüge.
Bereits mit bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheiden vom 17. und 20. Oktober 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. unter Verweis auf den Einzug des Klägers zu 2. und auf nicht bezogenes Kindergeld Leistungen für den Zeitraum September 2017 bis Juli 2018 unter Berücksichtigung einer monatlichen Regelleistung in Höhe von EUR 409,00 für September und Oktober 2017 bzw. EUR 368,00 für die Folgemonate sowie unter durchgehender unveränderter Ansetzung der vollständigen KdUH in Höhe von EUR 405,50, für September 2017 in Höhe von EUR 611,75, für Oktober 2017 in Höhe von EUR 814,50, für die Monate November und Dezember 2017 sowie Januar 2018 aufgrund von Sanktionierungen im Umfang von jeweils EUR 36,80 in Höhe von jeweils EUR 736,70 und für die Monate Februar bis Juli 2018 in Höhe von jeweils EUR 773,50.
Mit Bescheid vom 8. November 2017 setzte der Beklagte unter Bezugnahme auf § 34 Absatz 1 Satz 1 SGB II fest, dass die Klägerin zu 1. zum Ersatz der aufgrund des Arbeitsplatzverlustes erbrachten Geldleistungen verpflichtet sei. Sie habe durch eine besonders schwere Verletzung der im Rahmen der beruflichen Tätigkeit obliegenden Sorgfaltspflichten den Arbeitsplatz und damit das existenzsichernde Einkommen verloren. Im mit Anfrage vom 7. August 2017 eingeleiteten Anhörungsverfahren seien keine Gründe vorgetragen worden, die gegen eine Ersatzpflicht sprächen. Anhaltspunkte dafür ergäben sich auch nicht nach Aktenlage. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II seien zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Die erforderliche Sorgfalt sei in besonders schwerem Maße verletzt worden, weil die Klägerin zu 1. für den Arbeitgeber nicht mehr erreichbar gewesen sei und sich dort auch nicht gemeldet habe. Die Klägerin zu 1. habe erkennen können, dass dadurch Leistungen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes hätten erbracht werden müssen. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistungen würden in einem gesonderten Bescheid mitgeteilt. Ein hiergegen gerichteter Widerspruch der Klägerin zu 1. ist weder aus der Leistungsakte ersichtlich noch vorgetragen.
Parallel bewilligte der Beklagte mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 16. und 25. November 2017 beiden Klägern Leistungen für den Zeitraum Dezember 2017 bis Juli 2018, nunmehr gemäß § 20 SGB II unter Ansetzung der für Partner einer Bedarfsgemeinschaft geltenden Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von jeweils EUR 368,00 bzw. EUR 374,00 ab Januar 2018 sowie unter durchgehender Berücksichtigung jeweils hälftiger monatlicher KdUH in Höhe von EUR 202,75, für den Kläger in Höhe von EUR 570,75 für Dezember 2017 sowie nachfolgend durchgehend in Höhe von monatlich EUR 576,75 und für die Klägerin zu 1. für Dezember 2017 und Januar 2018 aufgrund einer Sanktionierung im Umfang von jeweils EUR 73,60 in Höhe von EUR 497,15 bzw. EUR 503,15, für Februar 2018 aufgrund einer Sanktionierung im Umfang von EUR 36,80 in Höhe von EUR 539,95 und nachfolgend in Höhe von jeweils EUR 576,75 für die Monate März bis Juli 2018.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 5. Dezember 2017 hob der Beklagte zudem den Bescheid vom 20. Oktober 2017 hinsichtlich der für Oktober 2017 bewilligten Regelleistung von EUR 409,00 im Umfang von EUR 41,00 auf unter Verweis auf die Anpassung nach Zuzugs des Klägers zu 2. sowie unter Festsetzung einer Aufrechnung in Höhe von monatlich EUR 37,40 ab Januar 2018.
Mit weiterem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 2. Januar 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. unter Berücksichtigung eines monatlichen Mehrbedarfs für Schwangerschaft in Höhe von EUR 63,58 höhere Leistungen für den Zeitraum Januar bis Juli 2018, EUR 543,42 für Januar 2018, EUR 603,53 für Februar 2018 und jeweils EUR 640,33 für die Monate März bis Juli 2018. Die monatlichen Regelleistungen von jeweils EUR 374,00 sowie die monatlichen KdUH in Höhe von jeweils EUR 202,75 und die Gesamtleistungsbewilligungen für den Kläger zu 2. blieben unverändert.
Mit einem auf den 14. März 2018 datierten und am 4. April 2018 beim Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger zu 2., seinen Leistungsanteil ab sofort auf seine angegebene Kontoverbindung zu überweisen.
Mit nachfolgenden bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheiden vom 3. Mai 2017 und vom 6. Juni 2017 berücksichtigte der Beklagte ein Einkommen des Klägers aus Erwerbstätigkeit sowie die anteilige Leistungsauszahlung an den Kläger zu 2.
Mit an die Klägerin zu 1. adressiertem so bezeichnetem „Bescheid über die Feststellung und Geltendmachung eines Ersatzanspruchs“ vom 25. Januar 2019 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin zu 1. zum Ersatz der für die Kläger im Zeitraum August 2017 bis Mai 2018 erbrachten Geldleistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt EUR 5.599,12 verpflichtet sei. Die Klägerin zu 1. habe die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, indem sie durch eine besonders schwere Verletzung der ihr im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit obliegenden Sorgfaltspflichten ihren Arbeitsplatz und damit das existenzsichernde Einkommen verloren habe. Die Klägerin zu 1. habe dabei vorsätzlich gehandelt, weil keine Bemühungen vorgelegt worden seien, um das Beschäftigungsverhältnis aufrecht zu erhalten. Für das Verhalten habe die Klägerin zu 1. keinen wichtigen Grund gehabt, weil unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein anderes Verhalten habe zugemutet werden können. Die auf die Anhörung erfolgte Antwort einer durch einen Konflikt mit dem Vater eingetretenen Obdachlosigkeit sei nicht geeignet, den Eintritt der Ersatzpflicht abzuwenden, weil dies nicht erkläre, warum nicht das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht worden sei. Aufgrund des sozialwidrigen Verhaltens seien Zahlungen geleistet worden für den Zeitraum 1. August 2017 bis 31. Mai 2018. Gemäß tabellarischer Aufschlüsselung entfielen auf die Klägerin zu 1. für die Monate August 2017 bis Mai 2018 insgesamt EUR 3.972,52, für August 2017 EUR 315,04, für September 2017 EUR 611,75, für Oktober und November 2017 jeweils EUR 488,87, für Dezember 2017 EUR 331,27, für Januar 2018 EUR 342,44 und für die Monate Februar bis Mai 2017 jeweils EUR 348,57. Auf den Kläger zu 2. entfielen für die Monate Oktober 2017 bis März 2018 insgesamt EUR 1.626,60, für Oktober und November 2017 jeweils EUR 173,66, für Dezember 2017 EUR 331,27, für Januar 2018 EUR 320,09 und für die Monate Februar und März 2017 jeweils EUR 313,96. Wegen ihres sozialwidrigen Verhaltens sei die Klägerin zu 1. gemäß § 34 Absatz 1 SGB II zum Ersatz der gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Erstattungsbetrag werde von ihren Leistungen ab dem 1. April 2019 in Höhe von monatlich 30% der Regelleistung bzw. EUR 114,60 aufgerechnet gemäß § 43 Absatz 1 SGB II. Bei dieser Entscheidung sei Ermessen ausgeübt worden. Es seien weder im Leistungsverfahren entscheidungsrelevante Gründe vorgetragen worden noch ergäben sich nach Aktenlage Anhaltspunkte, die gegen eine Aufrechnung sprechen würden. Das Jobcenter sei verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln, wozu insbesondere die Geltendmachung bestehender Forderungen gehöre. Die Höhe der Aufrechnung betrage gemäß § 43 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Satz 1 SGB II 30 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, da es sich um einen Ersatzanspruch handele, der durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt worden sei. Die Aufrechnung, die zusammen mit bereits laufenden Aufrechnungen nach § 43 Absatz 1 und nach § 42a Absatz 2 SGB II insgesamt 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteige, sei unzulässig (§ 43 Absatz 2 Satz 2 SGB II).
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 11. Februar 2019 unter Anzeige der anwaltlichen Vertretung für beide Kläger Widerspruch ein. Eine Widerspruchsbegründung wurde auch auf ausdrückliche Aufforderung vom 11. Februar 2019 nicht eingereicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Mit Bescheid vom 8. November 2017 sei die Ersatzpflicht der Leistungen festgestellt sowie mit Bescheid vom 25. Januar 2019 der Ersatz von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt EUR 5.599,12 festgesetzt worden. Die Klägerin zu 1. habe durch mehrmaliges unentschuldigtes Fehlen unmittelbar ihre berufliche Existenzgrundlage gefährdet und deren Wegfall herbeigeführt. Es sei vorhersehbar gewesen, dass nach einer bereits erfolgten Abmahnung eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses bevorgestanden habe bei erneut unentschuldigtem Fernbleiben. Dennoch sei die Klägerin zu 1. ab dem 27. Juni 2017 unentschuldigt nicht mehr auf der Arbeitsstätte erschienen und habe den Arbeitgeber nicht über die Gründe und die voraussichtliche Dauer des Fernbleibens informiert. Dieses Verhalten sei sozialwidrig gewesen. Der Klägerin zu 1. habe klar sein müssen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der bereits erfolgten Abmahnung und des wiederholten Nichterscheinens ohne wichtigen Grund gekündigt werde. Dieser Kausalverlauf sei auch subjektiv im Sinne grober Fahrlässigkeit vorhersehbar gewesen. Es sei unerheblich, dass die Klägerin zu 1. zum Zeitpunkt der Kündigung obdachlos gewesen sei. Sie habe sich bei ihrem Arbeitgeber melden können und müssen, um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Ein nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilender Härtefall gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II sei nicht geltend gemacht worden und nicht ersichtlich. Die Höhe des Ersatzanspruches entspreche den bewilligten Leistungen und sei nicht zu beanstanden. Bei der Berechnung sei für den Zeitraum August 2017 bis Mai 2018 ein prognostiziertes Einkommen zugrunde gelegt worden auf der Grundlage der Verdienstbescheinigungen für Mai und Juni 2017. Die Klägerin zu 1. habe im Mai 2017 ein Einkommen in Höhe von EUR 1.198,51 brutto bzw. EUR 925,37 netto erzielt und im Juni 2017 in Höhe von EUR 1.260,00 brutto bzw. EUR 999,69 netto. Hieraus ergebe sich ein prognostiziertes monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von EUR 1.229,26 brutto bzw. EUR 962,53 netto. Hätte die Klägerin zu 1. ihren Arbeitsplatz nicht aufgrund vertragswidrigen Verhaltens verloren, hätten für den Zeitraum August 2017 bis Mai 2018 Leistungen in Höhe von insgesamt EUR 3.972,52 nicht an sie ausgezahlt werden müssen. Ab Juni 2018 habe sich die Klägerin zu 1. im Mutterschutz befunden. Hinsichtlich der Aufrechnung gemäß § 43 SGB II bestehe ein Ermessen, ob aufgerechnet werde. Dies sei rechtmäßig ausgeübt worden unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift und der gesetzlichen Grenzen des Ermessens sowie auch der einander gegenüberstehenden Interessen. Nach Aktenlage lägen keine Gründe vor, die gegen eine Aufrechnung sprächen. Der maßgebliche monatliche Regelbedarf betrage im Jahr 2019 EUR 382,00, woraus sich gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 2. Alternative SGB II ein Aufrechnungsbetrag in Höhe von EUR 114,60 errechne. Die Aufrechnungsentscheidung sei daher ab dem 1. April 2019 rechtmäßig. Ein Ermessen hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung bestehe nicht.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Mai 2019 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger hiergegen für beide Kläger beim Sozialgericht (SG) Braunschweig Klage erhoben und auf gerichtliche Erinnerung mit am 11. Oktober 2019 eingegangenem Schriftsatz vorgetragen, es gehe um einen Ersatzanspruch, bei dem der vom Landes- und Bundessozialgericht geforderte Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit nicht erkennbar sei. Auf ausführliche gerichtliche Hinweise zur Sach- und Rechtslage hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger ergänzend u.a. vorgetragen, dass der Kläger zu 2.rechtswidrig im Bescheid vom 25. Januar 2019 erfasst worden sei, weshalb auch für diesen Klage zu erheben gewesen sei. Es sei zudem unklar, welchen angeblich bestandskräftigen Bescheid vom 8. November 2017 das SG meine. Zudem wirkten die Kläger nicht mehr mit, weshalb Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.
Der Beklagte hat auf gerichtliche Hinweise erläutert, bei der Erstattungsberechnung ein prognostiziertes Durchschnittseinkommen je Monat in Höhe von EUR 1.229,26 brutto bzw. EUR 962,53 angesetzt und nach Bereinigung gemäß § 11b SGB II in Höhe von monatlich EUR 662,53 angerechnet zu haben. Für die Monate August und September 2017 sei entsprechend eine vollständige Erstattung der für die Klägerin zu 1. bewilligten EUR 315,04 bzw. EUR 611,75 festgesetzt worden. Für Oktober und November 2017 sei das angerechnete Einkommen mit entsprechenden Erstattungsfestsetzungen in Höhe von EUR 488,87 bzw. EUR 173,66 auf die beiden Kläger verteilt worden, für Dezember 2017 in Höhe von jeweils EUR 331,27, für Januar 2018 in Höhe von EUR 342,44 bzw. EUR 320,09 und für die Monate Februar und März 2018 in Höhe von jeweils EUR 348,57 bzw. EUR 312,96. Die vom Kläger zu 2. beantragte anteilige Auszahlung auf sein Konto sei ab April 2018 berücksichtigt worden. Die Zahlungen für April und Mai 2018 seien gesondert erfolgt.
Mit Urteil vom 11. August 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage des Klägers zu 2. sei bereits unzulässig, weil sich die angefochtenen Bescheide ausschließlich gegen die Klägerin zu 1. richteten und nur von dieser die Erstattung der auch an den Kläger zu 2. erbrachten Leistungen verlangt werde. Die zulässige Klage der Klägerin zu 1. sei unbegründet, weil der Bescheid vom 25. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2019 rechtmäßig sei. Der Ersatzanspruch sei nach § 34 SGB II bereits dem Grunde nach mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. November 2017 festgestellt worden, weshalb dies einer erneuten Prüfung des Zusammenhangs zwischen pflichtwidrigen bzw. sozialwidrigen Verhaltens und der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit entgegenstehe. Im vorliegenden Klageverfahren sei daher nur der Umfang der Ersatzpflicht streitgegenständlich. Insofern seien Berechnungsfehler des Beklagten nicht feststellbar. Ein relevanter Vortrag der Klägerseite sei nicht erfolgt. Die Erstattungspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II beziehe sich auch auf Angehörige der Bedarfsgemeinschaft. Der geltend gemachte Erstattungsbetrag gehe auch nicht über das prognostizierte anrechenbare monatliche Durchschnittseinkommen hinaus.
Gegen das am 22. August 2022 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. September 2022 eingelegte Berufung der Kläger. Es gehe um die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs, der sich nach Ansicht des SG nur an die Klägerin zu 1. richte. Dies werde anders gesehen. Der Ersatzanspruch erfordere einen spezifischen Kausalzusammenhang, der hier nicht erkennbar sei. Auf gerichtlichen Hinweis zur Sach- und Rechtslage vom 21. November 2023, insbesondere hinsichtlich der Wirkung des Grundlagenbescheids vom 8. November 2017, hinsichtlich der Kausalität zwischen dem konkret geltend gemachten Erstattungsanspruch und dem sozialwidrigen Verhalten und hinsichtlich der Bezifferung des Erstattungsanspruchs, haben die Kläger ergänzend vorgetragen, dass es für deren Prozessbevollmächtigten sehr fragwürdig sei, „ob der Bescheid vom 13.07.2017 ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde.“ Ob die Höhe der Erstattungsforderung korrekt sei, falle in die Darlegungs- und Nachweispflicht des Beklagten.
Auf gerichtliche Hinweise vom 6. und 28. Februar 2024 sowie vom 1. März 2024, u.a. hinsichtlich der Verteilung des bereinigten prognostizierten monatlichen Einkommens der Klägerin zu 1. ab Einzug des Klägers zu 2. und hinsichtlich des für einen Ersatzanspruch bzgl. der für eine andere Person erbrachten Leistungen erforderlichen Bestands einer Bedarfsgemeinschaft zum Zeitpunkt des Eintritts der herbeigeführten Hilfebedürftigkeit, hat der Beklagte mit Schriftsätzen vom 19. und 28. Februar 2024 sowie vom 1. März 2024 erklärt, die auf den Kläger zu 2. bezogene Erstattungsfestsetzung vollständig in Höhe von insgesamt EUR 1.626,60 sowie die auf die Klägerin zu 1. bezogene Erstattungsfestsetzung für die Monate Oktober und November 2017 in Höhe von insgesamt EUR 315,20 aufzuheben und insoweit ein Teilanerkenntnis abzugeben.
Einen konkreten Antrag haben die Kläger schriftsätzlich nicht gestellt.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die Klage des Klägers zu 2. als unzulässig verworfen. Die Klage der Klägerin zu 1. ist jedenfalls nach den im Berufungsverfahren erfolgten Teilabhilfen unbegründet.
a)
Die Klage des Klägers zu 2. ist nach den zutreffenden Ausführungen des SG im Urteil vom 11. August 2022 bereits unzulässig, weil die Klägerin zu 1. alleinige Adressatin des angefochtenen Bescheids vom 25. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2019 und damit der Erstattungsforderung gemäß § 34 SGB II ist. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug. Im Berufungsverfahren sind keine Gesichtspunkte zu Tage getreten, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Der insoweit alleinige Vortrag, die Ansicht des SG, der Ersatzanspruch richte sich nur an die Klägerin zu 1., werde anders gesehen, ist weder mit dem ausdrücklichen und unmissverständlichen Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide vereinbar noch in irgendeiner Art und Weise erläutert.
b)
Die Klage der Klägerin zu 1. ist nach den im Umfang von insgesamt EUR 1.941,80 erfolgten Teilabhilfen des Beklagten unbegründet, weil der angefochtene Bescheid vom 25. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2019 hinsichtlich der damit verbleibenden Erstattungsfestsetzung in Höhe von EUR 3.657,32 rechtmäßig ist.
aa)
Die angefochtenen Bescheide sind zunächst formell rechtmäßig. Es kann insoweit dahinstehen, ob – wie der Beklagte meint – mit der Anfrage vom 7. August 2017 ein hinreichendes Anhörungsverfahren im Sinne des § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingeleitet worden ist, weil die Anhörung jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wirksam nachgeholt worden ist. Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während eines Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 29. November 2017 – B 6 KA 33/16 R –, SozR 4-2500 § 106a Nr. 17 und Urteil vom 28. August 2013 – B 6 KA 50/12 R –, SozR 4-2500 § 106a Nr. 12). Der Bescheid vom 25. Januar 2019 beinhaltete ausführlich alle entscheidungserheblichen Tatsachen, weshalb die Klägerin zu 1. hinreichend Gelegenheit hatte, sich vor der abschließenden Widerspruchsentscheidung sachgerecht zu äußern.
bb)
Weiterhin liegen auch die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB II in der im Streitzeitraum geltenden Fassung seit dem 1. August 2016 vor, weil die Klägerin zu 1. ohne wichtigen Grund wenigstens grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II herbeigeführt hat, in dem sie durch ihr arbeitsvertragswidriges Fernbleiben vom Arbeitsplatz die fristlose Kündigung ihres unbefristeten Arbeitsverhältnisses verursacht und damit ihre Hilfebedürftigkeit herbeigeführt und die Grundsicherungsleistungen finanzierende Solidargemeinschaft belastet hat.
Die Sozialwidrigkeit des zur Kündigung des Arbeitgebers vom 13. Juli 2017 führenden Verhaltens der Klägerin zu 1. gemäß § 34 SGB II ist mit dem nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 29. August 2019 – B 14 AS 49/18 R) zulässigen bestandskräftig gewordenen Grundlagenbescheid vom 8. November 2017 bereits inhaltlich bindend festgestellt worden. Im Rahmen der rechtlichen Überprüfung der anknüpfend an einen solchen Grundlagenbescheid ergehenden Folgebescheide ist nur zu prüfen, ob die nach § 34 SGB II erforderliche Kausalität zwischen dem konkret geltend gemachten Erstattungsanspruch und dem sozialwidrigen Verhalten vorlag, sowie darauf, ob die Ersatzansprüche zutreffend beziffert wurden (vgl. Landessozialgericht <LSG> Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Januar 2023 – L 11 AS 346/22 –, juris). Der auf den entsprechenden gerichtlichen Hinweis vom 21. November 2023 erfolgte alleinige Vortrag, es sei für den Prozessbevollmächtigten der Kläger sehr fragwürdig, „ob der Bescheid vom 13.07.2017 ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde“, ist insoweit weder erläutert noch den Umständen nach nachvollziehbar.
Das sozialwidrige Verhalten der Klägerin zu 1. war auch kausal für die nach Wegfall des Arbeitsentgeltanspruchs ab August 2017 eingetretene Hilfebedürftigkeit gemäß § 9 SGB II. Der notwendige Ursachenzusammenhang liegt nach der maßgeblichen sozialrechtlichen Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. Silbermann in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 34 Rn 36) regelmäßig bereits dann vor, wenn der Eintritt der Hilfebedürftigkeit als die wahrscheinliche Folge des an den Tag gelegten Verhaltens anzusehen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Januar 2017 – L 31 AS 1858/16 ), was insbesondere auch anzunehmen ist bei einem arbeitsvertragswidrigen Verhalten, welches Anlass für die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses gibt (vgl. Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 34, Stand: 18. Januar 2022, Rn 24. So liegt der Fall hier, weil es ohne das unentschuldigte Fernbleiben der Klägerin zu 1. von ihrer Arbeitsstelle jedenfalls nicht zur fristlosen Kündigung gekommen wäre, mit welcher der Arbeitgeber der Klägerin zu 1. auf deren nach dem 26. Juni 2017 dauernde, unberechtigte und schuldhafte Nichterbringung der geschuldeten Arbeitsleistung reagiert hat.
Die vom Beklagten nach den erfolgten Teilabhilfen hinsichtlich der zunächst erfolgten Erstattungsfestsetzung für dem Kläger zu 2. bewilligte Leistungen noch berechneten Erstattungssummen berücksichtigen das auf der Grundlage der arbeitsvertraglich vereinbarten 35 Stunden Wochenstunden zu EUR 9,23 brutto mit monatlich EUR 1.229,26 brutto bzw. EUR 962,53 netto berechnete sowie gemäß § 11b SGB II im Umfang von monatlich EUR 300,00 bereinigte prognostizierte monatliche Einkommen der Klägerin zu 1. in Höhe von EUR 662,53. Sie berücksichtigen weiterhin die ab dem Einzug des Klägers zu 2. zum 1. Oktober 2017 gemäß § 9 Abs. 2 SGB II durchgehend im Verhältnis der Bedarfe gebotene Einkommensverteilung, für Dezember 2017 im Verhältnis 50% zu 50% (jeweils EUR 331,27) bzw. wegen des Mehrbedarfs für Schwangerschaft für Januar 2018 im Verhältnis 51,69% zu 48,31% (= EUR 342,44 zu EUR 320,09) und ab Februar 2018 jeweils im Verhältnis 52,61% zu 47,39% (= EUR 348,57 zu EUR 313,96). Substantiierte Einwendungen gegen diese Berechnungen haben auch die Kläger nicht vorgetragen. Die Erstattungssummen entsprechen für die Monate August und September 2017 sowie Dezember 2017 bis Mai 2018 den monatlichen Differenzen zwischen den für die Klägerin zu 1. jeweils erfolgten Leistungsbewilligungen und den verringerten Leistungsansprüchen. Für die Monate Oktober und November 2017 gehen die Berechnungen des Beklagten zudem zugunsten der Klägerin zu 1. von lediglich hälftig bewilligten und ausgezahlten KdUH anstatt von den tatsächlich noch bis einschließlich November 2017 vollständig in Höhe von EUR 405,50 bewilligten KdUH aus mit der Folge sogar zu niedrig berechneter Erstattungssummen.
Aufgrund der vollständig erfolgten Teilabhilfe des Beklagten hinsichtlich der zunächst erfolgten Erstattungsfestsetzung für dem Kläger zu 2. bewilligte Leistungen kann auch dahinstehen, dass die Begründung eines Ersatzanspruchs gemäß § 34 Abs. 1 SGB II hinsichtlich der für eine andere Person erbrachten Leistungen voraussetzt, dass der Ersatzpflichtige mit dieser Person zum Zeitpunkt der Herbeiführung der Voraussetzungen für die rechtmäßige Gewährung von Grundsicherungsleistungen, also zum Zeitpunkt des Eintritts der herbeigeführten Hilfebedürftigkeit, in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hat (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS
39/12 R –, BSGE 112, 135-141, SozR 4-4200 § 34 Nr. 1, juris Rn 14; Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 34 (Stand: 18. Januar 2022) Rn 22; Silbermann in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 34 Rn 13), was bei einer erst zum Oktober 2017 begründeten Bedarfsgemeinschaft der Kläger nicht gegeben war.
Auch hinsichtlich des Zeitraums der festgesetzten Erstattung bis Ende Mai 2018 sind bei einer vom Beklagten insoweit angenommenen Zäsurwirkung mit Beginn des ab Juni 2018 greifenden Mutterschutzes jedenfalls keine Bedenken einer zulasten der Klägerin zu 1. gehenden Überdehnung des Erstattungszeitraums ersichtlich. § 34 SGB II beinhaltet gerade keine zeitliche Begrenzung, weshalb der Ersatzanspruch grundsätzlich für die gesamte Dauer eines pflichtwidrig verursachten Leistungsbezugs besteht (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 43/19 R – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. März 2021 – L 13 AS 161/20). Anhaltspunkte für das daher mit besonderem Augenmaß zu prüfende und insbesondere bei erheblichen Zeitabständen etwaige Fehlen eines spezifischen Bezugs bzw. eines inneren Zusammenhangs zwischen dem Fehlverhalten und der im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Beschäftigungslosigkeit (vgl. dazu: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26. Januar 2023 – L 11 AS 346/22 –, juris) sind unter Berücksichtigung des zum Kündigungszeitpunkt unbefristeten Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu 1. bei einem unmittelbar an die Beendigung anschließenden Zeitraum von 10 Monaten nicht ersichtlich und auch von den Klägern nicht substantiiert vorgebracht worden. Gleiches gilt für einen nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilenden besonderen Härtefall gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB II, weil auch ein über die allgemeine Härte der Erstattungsverpflichtung hinausgehender atypischer Sonderfall (vgl.: Silbermann in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 34 Rn 53) weder aus den Umständen ersichtlich noch substantiiert vorgebracht worden ist.
cc)
Schließlich ist auch die im angefochtenen Bescheid vom 25. Januar 2019 enthaltene Aufrechnungserklärung mit entsprechender Ermessensausübung gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 SGB II im Umfang von 30 % des für die Klägerin zu 1. maßgebenden Regelbedarfs aufgrund des aus § 34 SGB II resultierenden Erstattungsanspruchs rechtmäßig.
Die auch für eine Aufrechnung im Rahmen des öffentlichen Rechts erforderliche Aufrechnungslage lag vor, weil den Hauptforderungen der Klägerin zu 1. auf Grundsicherungsleistungen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die wirksame und fällige Gegenforderung aus der festgesetzten Erstattung gegenüberstand. Die Erklärung der Aufrechnung kann auch grundsätzlich bereits zusammen in einem Bescheid mit der Erstattungsentscheidung erfolgen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. Juni 2022 – L 9 AS 521/20 B –, Urteil vom 3. März 2022 – L 9 AS 625/20 - und Urteil vom 13. März 2013 – L 13 AS 109/11 –; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., Stand: 5. Februar 2024, § 43 Rn 26.3; Kallert in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: September 2017, § 43 SGB II Rn 28; Loose in: Hohm, SGB II, Stand: Dezember 2019, § 43 Rn 37; Schütze, SGB X, 9. Auflage 2021, § 50 Rn 32, 34). Soweit demgegenüber teilweise abweichend eine gemeinsame Verfügung der Erstattung und der Aufrechnung in einem Bescheid ohne Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Erstattungsbescheids nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG für unzulässig gehalten wird (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. Mai 2021 – L 13 AS 159/20 – und Urteil vom 16. März 2021 - L 15 AS 139/20), berücksichtigt diese Bewertung nicht, dass für die Aufrechnungslage nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das Entstehen und die Fälligkeit der Gegenforderung ausreicht, die bei Erstattungsforderungen bereits mit Bekanntgabe und Wirksamkeit des Erstattungsbescheids nach §§ 37, 39 SGB X eintritt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. März 2022 – L 9 AS 625/20 -; Pflüger/R. Klein in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., Stand: 7. November 2023, § 51 SGB I Rn 41 ff.). Die Argumentation der einer Aufrechnung entgegenstehenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Erstattungsbescheid (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. Mai 2021 – L 13 AS 159/20 – und Urteil vom 16. März 2021 - L 15 AS 139/20) greift entsprechend erst für die Verfahrenskonstellation ab Eingang von Widerspruch bzw. Klage. Erst ab diesem Zeitpunkt werden durch die eintretende aufschiebende Wirkung die bereits mit Wirksamkeit des Verwaltungsakts gemäß § 39 SGB X für den Adressaten zum Tragen kommenden ungünstigen Regelungen, einschließlich der etwaig im Verfügungssatz getroffenen und zunächst zu befolgenden Anordnungen, z.B. bzgl. der Erstattung erhaltener Leistungen, bis zur Bestandskraft suspendiert (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. März 2022 – L 9 AS 625/20 -; vgl. zur Wirkung eines wirksamen Verwaltungsakts: Luik in: Hennig, SGG, 53. Lfg. Juni 2023, § 77 Rn 8; Giesbert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 15. Juni 2022, § 77 SGG Rn 9 ff.). Erst ab diesem Zeitpunkt kann folglich auch eine Aufrechnung aufgrund der aufschiebenden Wirkung des § 86 a Abs. 1 SGG bis zum Eintritt der Bestandskraft des Erstattungsbescheids zunächst nicht mehr erfolgen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. März 2022 – L 9 AS 625/20 – und Urteil vom 17. Dezember 2019 – L 9 AS 238/19 -; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., Stand: 5. Februar 2024, § 43 Rn 26; Loose in: Hohm, SGB II, Stand: Dezember 2019, § 43 Rn 37; Kallert in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: September 2017, § 43 SGB II Rn 28; Keller in: Mayer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023; § 86a Rn 5). Bei Ausdehnung dieser Wirkung auch bereits auf den vorherigen Zeitraum eines noch möglichen, aber gerade noch nicht eingelegten Rechtsbehelfs, würde im Ergebnis die (theoretische) Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs und dessen tatsächliche Einlegung gleichgesetzt und letztere liefe dann ggf. ins Leere (so zutreffend: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. März 2022 – L 9 AS 625/20). Für eine solche Ausdehnung ist weder ein dogmatischer Anknüpfungspunkt ersichtlich noch erscheint dies zum Schutz des Aufrechnungsadressaten erforderlich. Auch gegen die als Verwaltungsakt zu erfolgende Aufrechnungserklärung besteht Rechtsschutz durch Widerspruch und Klage mit jeweils aufschiebender Wirkung (vgl. Loose in: Hohm, SGB II, Stand: Dezember 2019, § 43 Rn 78; Hengelhaupt in: HauckNoftz, SGB II, Stand: 3/2003, Erg.-Lfg. 5/20, § 43 Rn 291; Kemper in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 43 Rn 49). Bei einem im Fall eines einheitlichen Erstattungs- und Aufrechnungsbescheids auch regelmäßig einheitlichen Widerspruchs- und Klageverfahrens wird die Aufrechnung daher ohnehin erst mit der Bestandskraft auch der festgesetzten Erstattung vollzogen werden können mit dem dann alleinigen verfahrenspraktischen und zeitlichen Unterschied eines nicht erforderlichen nochmaligen (gesonderten) Aufrechnungsbescheids mit ggf. nachfolgenden erneuten Widerspruchs- und Klageverfahren.
Ein im Aufrechnungszeitraum ab April 2019 in der Gesamtschau mit weiteren Aufrechnungserklärungen die monatliche Aufrechnungsgesamtobergrenze von 30% des für die Klägerin zu 1. maßgebenden Regelbedarfs überschreitender und gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II rechtswidriger und anfechtbarer Aufrechnungsbetrag ist weder vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich.
Der Endzeitpunkt der Aufrechnung muss nach der Regelungssystematik des § 43 Abs. 4 SGB II nicht zwingend im Verwaltungsakt angegeben werden und die nach den gesetzlichen Vorschriften gemäß § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II längstmögliche Aufrechnungsdauer von drei Jahren muss nicht ausgeschöpft, sondern lediglich vom Leistungsträger unter Kontrolle gehalten werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 20/15 R – SozR 4-4200 § 43 Nr. 1).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Klägers zu 2. im Klageverfahren sowie die hinsichtlich der Klägerin zu 1. erfolgte Teilabhilfe im Umfang von rund 35%.
3. Die Revision wird aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtmäßigkeit eines einheitlichen Erstattungs- und Aufrechnungsbescheids zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG