L 34 AS 921/23 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 45 AS 12/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 921/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Kostenfreiheit nach § 183 Satz 1 SGG besteht nicht, wenn sich eine Leistungsempfängerin mit ihrer Klage gegen einen vom Jobcenter festgesetzten Ersatzanspruch nach § 34a SGB II wegen rechtswidrig erbrachter Leistungen an einen Dritten (hier: den mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn) wendet.

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 6. Juli 2023 aufgehoben. Der Streitwert wird auf 13.025,70 € festgesetzt.

 

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Ablehnung der Festsetzung eines Streitwerts in dem von ihr vor dem Sozialgericht Potsdam geführten Klageverfahren.

 

Die Klägerin und ihr 1997 geborener Sohn bezogen vom Beklagten seit November 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 4. Juni 2020 machte der Beklagte gegen die Klägerin einen Ersatzanspruch nach § 34a SGB II in Höhe von insgesamt 17.337,50 € geltend, den er im Rahmen des Widerspruchsverfahrens auf 13.025,70 € reduzierte (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2020). Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte aus, dass die Klägerin durch zumindest grob fahrlässiges Verhalten die rechtswidrige Erbringung von SGB II-Leistungen an ihren Sohn in der Zeit von Mai 2012 bis März 2018 herbeigeführt habe. Die Klägerin habe verschwiegen, dass neben ihr und ihrem Sohn noch eine weitere Person zur Bedarfsgemeinschaft gehört habe. Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

 

Hiergegen erhob die Klägerin im Januar 2021 Klage zum Sozialgericht Potsdam. In der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2023 schlossen die Beteiligten zur Beendigung des Rechtsstreits einen Vergleich, mit welchem der von der Klägerin zu zahlende Betrag auf 3.500,- € reduziert wurde. Außerdem verpflichtete sich der Beklagte in dem Vergleich, der (anwaltlich vertretenen) Klägerin 75 % der notwendigen Kosten zu erstatten.

 

Die Klägerin hat nach Abschluss des Vergleichs die Festsetzung des Streitwerts beantragt. Sie hat geltend gemacht, dass es sich um ein kostenpflichtiges Verfahren nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehandelt habe.

 

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Festsetzung eines Streitwerts mit Beschluss vom 6. Juli 2023 abgelehnt. Es hat ausgeführt, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls zu dem Personenkreis gehöre, für den gemäß § 183 SGG Gerichtskostenfreiheit gelte. Zwar werde in der Kommentarliteratur ohne weitere inhaltliche Begründung angegeben, dass Ersatzpflichtige nach § 34a SGB II nicht zum privilegierten Personenkreis nach § 183 SGG zählten. Eine solche pauschale Betrachtung sei jedoch nicht gerechtfertigt. Im vorliegenden besonderen Einzelfall sei der Ersatzanspruch nach § 34a SGB II auf ein pflichtwidriges Verhalten der Klägerin als Leistungsbezieherin nach dem SGB II und Vertreterin einer Bedarfsgemeinschaft (§ 38 SGB II) gestützt worden. Durch diese enge Verknüpfung der Pflichtverletzung, auf welche der Beklagte den Ersatzanspruch gestützt habe, mit dem eigenen Leistungsbezug der Klägerin und den daraus erwachsenden Mitwirkungspflichten (§§ 60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I) auch hinsichtlich des weiteren Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (hier der Sohn der Klägerin), bleibe im vorliegenden Fall der für die Kostenprivilegierung notwendige Bezug zur Eigenschaft der Klägerin als Leistungsempfängerin im Sinne von § 183 SGG gewahrt.

 

Gegen den ihr am 14. Juli 2023 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 28. August 2023 Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, dass sie vom Beklagten nicht als Empfängerin von Leistungen nach dem SGB II in Anspruch genommen worden sei, sondern als Ersatzpflichtige nach § 34a SGB II wegen vorsätzlicher bzw. grob fahrlässiger Herbeiführung einer unrechtmäßigen Leistungserbringung an ihren Sohn. Als solche gehöre sie nicht zum privilegierten Personenkreis des § 183 SGG. Dass sie selbst auch Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, ändere hieran nichts, da es in dem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht eben nicht um die von ihr bezogenen Leistungen nach dem SGB II gegangen sei, sondern um die Leistungen, die ihr Sohn bezogen habe.

 

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 6. Juli 2023 aufzuheben sowie den Streitwert auf 13.025,70 € festzusetzen.

 

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Er hält den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.

II.

 

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 6. Juli 2023 ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, im dortigen Klageverfahren einen Streitwert festzusetzten.

 

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

 

Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG), findet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- € übersteigt. Mit dem hier angefochtenen Beschluss hat es das Sozialgericht zwar gerade abgelehnt, einen Streitwert festzusetzen; auch bei einem solchen ablehnenden Beschluss handelt es sich jedoch um eine Entscheidung im Sinne von § 63 Abs. 2 GKG, die mit der Beschwerde angreifbar ist (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. März 2021 – L 20 AL 184/20 B –, juris Rn. 14). Wenn das Gesetz Rechtsschutz gegen die (aus Sicht des jeweiligen Beschwerdeführers) zu niedrige bzw. zu hohe Festsetzung des Streitwerts einräumt, so muss dies erst recht für Fälle gelten, in denen das Gericht die Festsetzung eines Streitwerts gänzlich ablehnt. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt vorliegend auch (deutlich) den Betrag von 200,- €.

 

Gleichfalls ist die sechsmonatige Beschwerdefrist (§§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG) gewahrt.

 

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Für das vor dem Sozialgericht geführte Klageverfahren war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG ein Streitwert nach den Vorschriften des GKG festzusetzen, weil es sich um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren handelte. Anders als das Sozialgericht meint, zählte die Klägerin nicht zu dem nach § 183 SGG kostenprivilegierten Personenkreis.

 

Nach § 183 Satz 1 SGG sind Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unter anderem für Leistungsempfänger – die übrigen in der Vorschrift genannten Personengruppen sind hier ersichtlich nicht einschlägig – kostenfrei, soweit sie „in … dieser Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind.“

 

Die Klägerin bezog vom Beklagten – ebenso wie ihr Sohn – Leistungen nach dem SGB II. Sie war also Leistungsempfängerin. Gleichwohl gehörte sie nicht zu dem in § 183 Satz 1 SGG genannten Personenkreis, denn sie hat das Klageverfahren nicht in ihrer Eigenschaft als Leistungsempfängerin geführt.

 

Die jeweilige Eigenschaft, in welcher Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit beteiligt sind, ist anhand des konkreten Streitgegenstands zu bestimmen (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 183 Rn. 10 m. w. N.). Dieser muss das jeweilige Rechtsverhältnis betreffen, aus dem die Befreiung resultiert. Vorliegend wandte sich die Klägerin gegen einen vom Beklagten festgesetzten Ersatzanspruch nach § 34a SGB II. Diese Vorschrift regelt in ihrer seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung die Ersatzpflicht von Personen, die durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Gewährung von rechtswidrigen Leistungen nach dem SGB II an Dritte herbeigeführt haben. Sie erlaubt es, Personen in Anspruch zu nehmen, die außerhalb eines sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses stehen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 66/20 R –, SozR 4-4200 § 34a Nr. 2, juris Rn. 18). Es handelt sich um einen deliktsähnlichen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch (BSG, Urteil vom 12. Mai 2021, a. a. O., Rn. 21). Wird um die Ersatzpflicht nach § 34a SGB II gestritten, ist das gerichtliche Verfahren kostenpflichtig (§ 197a SGG), da der nach § 34a SGB II Verpflichtete als solcher nicht zum privilegierten Personenkreis des § 183 SGG zählt (Böttiger, in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 34a Rn. 66; Stotz, in: BeckOGK, SGB II, Stand: 1. Dezember 2021, § 34a Rn. 62; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Mai 2021, a. a. O., Rn. 33).

 

Die Tatsache, dass die Klägerin selbst im Leistungsbezug beim Beklagten stand und zudem das die Ersatzpflicht nach § 34a SGB II begründende Verhalten einen engen Zusammenhang mit den sie als Leistungsempfängerin treffenden Mitwirkungsobliegenheiten aufwies, rechtfertigt nicht die Annahme von Kostenfreiheit nach § 183 SGG. Hierdurch ändert sich nämlich nichts an der Rechtsnatur des Anspruchs aus § 34a SGB II. Die Klägerin war diesem Anspruch nicht in ihrer Eigenschaft als Leistungsempfängerin ausgesetzt. Vielmehr wurde sie als (vermeintliche) Verursacherin eines Schadens im Rahmen einer deliktsähnlichen Haftung in Anspruch genommen.

 

Soweit das Bundessozialgericht in Fällen, in welchen ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II wegen sozialwidrigen Verhaltens im Streit stand, von einem gerichtskostenfreien Verfahren nach §§ 183, 193 SGG ausgegangen ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29. August 2019 – B 14 AS 49/18 R –, juris Rn. 31), steht dies dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Zum ersatzpflichtigen Personenkreis nach § 34 SGB II zählen Personen, die die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB II-Leistungen entweder an sich selbst oder an Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft herbeigeführt haben (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Ein Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit führen diese Personen in ihrer Eigenschaft als Leistungsempfänger, weshalb sie dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG unterfallen. Außenstehende Dritte, die beispielsweise durch falsche Angaben die Zahlung von Leistungen an andere bewirkt haben, die nicht Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft sind, werden durch § 34 SGB II gerade nicht erfasst (Silbermann, in: Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 34 Rn. 11). Demgegenüber begründet § 34a SGB II eine Ersatzpflicht schuldhaft handelnder Dritter, die – wie oben gezeigt – nicht dem privilegierten Personenkreis des § 183 SGG zuzurechnen sind.

 

Der Streitwert war gemäß § 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 GKG i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG auf 13.025,70 € festzusetzen, weil die Klägerin sich mit ihrer Klage gegen einen Ersatzanspruch in eben dieser Höhe gewehrt hat.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. zur Anwendbarkeit des § 68 Abs. 3 GKG im sozialgerichtlichen Verfahren B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 197 Rn. 7i am Ende sowie § 197a Rn. 5).

 

4. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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