L 12 AS 1814/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 90/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1814/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 25.11.2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Auferlegung von Verschuldenskosten gegen den Kläger in Höhe von 400 Euro wird aufgehoben.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; in der bis zum 31.12.2022 gültigen Fassung) im Zeitraum vom 01.01.2022 bis 31.12.2022. Streitig sind insbesondere die Gewährung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung mit einem Pauschalbetrag von 100 € monatlich sowie die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfs und die Gewährung eines pandemiebedingten Mehrbedarfs.

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist alleinstehend und bezieht mit kleineren Unterbrechungen seit Januar 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Beklagten.

 

Der Kläger erzielte im streitigen Zeitraum keine Einnahmen und verfügte auch nicht über seinen Vermögensfreibetrag übersteigendes Vermögen im Sinne des § 12 SGB II.

 

Der Kläger lebt gemeinsam mit seinen Eltern Q. und G. M. in deren Eigenheim. Die Eltern sind am Grundstück, auf dem sich das Haus befindet, erbbauberechtigt.

 

Die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem SGB II – insbesondere die Höhe der diesem zustehenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung – war und ist Gegenstand einer Vielzahl von Antrags-, Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahren (zuletzt vor dem erkennenden Senat, Urteile vom 11.01.2023, L 12 AS 747/22 und L 12 AS 573/22).

 

Im Rahmen eines Erörterungstermins vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) zu den Beschwerdeverfahren L 7 AS 2304/14 B ER und L 7 AS 502/15 B ER am 30.04.2015 gab der Kläger zu Protokoll, etwa 1/3 der anfallenden Hausnebenkosten seien von ihm zu tragen. Einen schriftlichen Mietvertrag habe er mit seinen Eltern nicht geschlossen. Der Kläger macht insgesamt 100 € monatlich als Bedarfe der Unterkunft und Heizung geltend, die er in 60 € für die Nebenkosten und 40 € für die Heizkosten aufgliedert.

 

Die tatsächliche Höhe der von den Eltern des Klägers im streitigen Zeitraum zu tragenden Hausnebenkosten bzw. Heizkosten ist nicht bekannt. Die Beklagte forderte den Kläger mehrfach – seit dem Jahr 2014 – auf, Nachweise und Belege über die (tatsächlich) entstehenden Neben- und Heizkosten vorzulegen. Die Eltern des Klägers hätten erklärt, dass dieser sich zu 1/3 an den entstehenden Kosten beteiligen müsse. Es sei daher eine „Rentabilitätsberechnung“ von den Eltern ausgefüllt und unterschrieben nebst entsprechender Nachweise vorzulegen. Bei Wassergeld und Heizkosten genüge ein Nachweis der Abschlagszahlungen. Sofern die Eltern des Klägers nicht bereit seien, eine entsprechende Erklärung abzugeben, könne die Beklagte die Unterlagen direkt bei diesen anfordern. Sofern die Unterlagen nicht vorgelegt würden, müsste nach Lage der Akten entschieden und müssten die Leistungen insoweit versagt werden. Im Rahmen verschiedener Mitwirkungsaufforderungen hat die Beklagte den Kläger wiederholt aufgefordert, insbesondere folgende Unterlagen einzureichen (vgl. Aufforderung vom 17.06.2021, Streitgegenstand des Verfahrens L 12 AS 747/22): Aktuellen Abschlagsplan des Energieversorgers (für Strom, Gas, Wasser) und die letzte Jahresabrechnung; Darlehensverträge einschließlich der letzten Jahreskontoauszüge (Zins- und Tilgungsleistung); Nachweis über Grundbesitzabgaben (Grundsteuer, Müllabfuhr, Schornsteinfeger, Kanalanschluss); Nachweise über die Kosten der Gebäudeversicherung; Nachweise zu sonstigen Nebenkosten des Hauses; Erklärung der Eltern bezüglich der früheren Zahlung bzw. Stundung der Unterkunftskosten.

 

Unter dem 20.12.2017 erklärte der Kläger, die angeforderten Belege „könnten aus bekannter Problematik … nicht eingereicht werden“. Mit Bescheid vom 25.04.2012 seien bereits Bedarfe für Unterkunft und Heizung von monatlich 135,12 € anerkannt worden. Die geltend gemachte Pauschale von 100 € liege darunter, so dass eine Bewilligung ohne weiteres möglich sei. Die Situation des Klägers sei der Beklagten seit dem Jahr 2005 bekannt. Die Abschlagszahlungen könnten aufgrund der Vielzahl anhängiger Parallelverfahren für andere Leistungszeiträume nicht eingereicht werden, da die streitigen Rechtsfragen sonst dort nicht mehr klärungsbedürftig seien.

 

Anlässlich eines Fortzahlungsantrages vom 07.12.2017 legte der Kläger eine Bestätigung seiner Eltern vom 06.12.2017 vor, wonach die mit dem Kläger vereinbarte Zahlung von 1/3 der Neben- und Heizkosten seit dem 01.01.2017 gestundet sei, nachdem die Beklagte mit dem Bescheid vom 30.12.2016 keine Unterkunftskosten für das Jahr 2017 gewährt habe. Eine „Rentabilitätsberechnung“ hätten sie bereits am 31.08.2011 vorgelegt und mit einem Bescheid vom 25.04.2012 seien Bedarfe der Unterkunft i.H.v. monatlich 135,12 € von der Beklagten auch anerkannt worden. Der Beklagten lägen somit sämtliche Informationen vor und die Leistungen für Unterkunft und Heizung seien zu übernehmen.

 

Am 01.12.2021 (Schreiben vom 29.11.2021) beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.01.2022, unter Beifügung eines Schreibens seiner Eltern vom 29.11.2021, mit welchem diese u.a. bestätigen, dass die anteiligen Kosten seit dem 01.01.2017 gestundet seien. Mit einem weiteren Schreiben vom 28.11.2021 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für die Anschaffung von Masken und Desinfektionsmitteln als pandemiebedingtem Mehrbedarf.

 

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 08.12.2021 Leistungen nach dem SGB II für das Jahr 2022 in Höhe des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 1 SGB II für Alleinstehende i.H.v. 449 € monatlich. Bedarfe für Unterkunft und Heizung gewährte die Beklagte nicht. Mit weiterem Bescheid vom 04.01.2022 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines pandemiebedingten Mehrbedarfes für Masken und Desinfektionsmittel ab. Eine Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Mehrbedarf bestehe nicht.

 

Der Kläger legte gegen die vorgenannten Bescheide mit Schreiben vom 05.01.2022 Widerspruch ein und machte geltend, die Bedarfe für Unterkunft und Heizung seien zu gewähren. Eine Kürzung der Regelleistung, wie sie unweigerlich entstehe, wenn die Unterkunftskosten nicht gezahlt würden, sei rechtswidrig. Die Zahlungsverpflichtung gegenüber seinen Eltern habe er nachgewiesen. Auch sei die Anpassung des Regelbedarfs 2022 zu gering und werde dem notwendigen Inflationsausgleich nicht gerecht. Die Kosten der begehrten Mehrbedarfe seien nicht in der Regelleistung enthalten.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.12.2021 als unbegründet zurück. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II seien die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. In seinem Fortzahlungsantrag habe der Kläger diese Kosten mit 60 € monatlichen Nebenkosten und 40 € monatlichen Heizkosten angegeben. Einen Mietvertrag oder sonstige Nachweise habe der Kläger nicht vorgelegt. Nach den Angaben der Eltern habe sich der Kläger nur an den Neben- und Heizkosten zu beteiligen und zwar zu 1/3 der entstehenden Kosten. Abrechnungen seien jedoch trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden. Ebenso wenig die weiteren Unterlagen, die in mehreren Mitwirkungsaufforderungen konkret benannt worden seien. Angesichts einer Stundung der behaupteten Miete seit dem Jahr 2017 bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Echtheit des Mietverlangens. Unabhängig davon sei jedoch eine Kostenübernahme ohne konkreten Nachweis der Entstehung der Kosten nicht möglich. Eine pauschale Gewährung von Unterkunftskosten komme nicht in Betracht. Grundsätzlich seien die tatsächlichen Kosten kopfanteilig zu übernehmen. Voraussetzung sei jedoch, dass die tatsächlichen Kosten nachgewiesen würden. Die Beweislast liege beim Kläger. Die Regelleistung sei in Höhe der gesetzlichen Grundlage gewährt worden. Eine höhere Zahlung ohne Rechtsgrundlage sei nicht möglich. Auch ein Mehrbedarf für die Beschaffung von FFP2- Masken und weiteren Hygieneartikeln sei nicht zu gewähren. Diese seien mittlerweile zu einem geringen Preis erhältlich. Zudem sei im Mai 2021 ein „Coronabonus“ i.H.v. 150 € ausgezahlt worden und die Masken würden von der Krankenversicherung im Bedarfsfall kostenlos zur Verfügung gestellt.

 

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.01.2022 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2022 zurück. Die Höhe der Regelleistung werde durch den Gesetzgeber festgelegt. Masken könnten zu geringen Kosten erworben werden. Zukünftig entstehende Kosten seien bei der aktuellen Bedarfsermittlung nicht zu berücksichtigen. Zuzuerkennen sei nur der gegenwärtige Bedarf. Die Sonderzahlung i.H.v. 150 € im Mai 2021 decke einen eventuellen Mehrbedarf zunächst ab. Einen Mehrbedarf in Form einer Sachleistung sehe das Gesetz in § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor. Auch die Möglichkeit, Masken wiederzuverwenden, sei in Betracht zu ziehen und der derzeit geringe Kostenaufwand für die Anschaffung der Masken zu berücksichtigen.

 

Der Kläger hat am 24.03.2022 Klage vor dem Sozialgericht Münster (SG) gegen beide Widerspruchsbescheide erhoben. Er hat vorgetragen, die Erhöhung des Regelbedarfs sei mit einem Betrag von nur 3 € monatlich von 2021 auf das Jahr 2022 bei weitem zu gering, um die hohe Inflation von ca. 5,3% bis 10% auszugleichen. Der Regelbedarf sei damit evident zu gering. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe entschieden, dass eine dauerhafte Unterzahlung der Lebensbedarfe verfassungswidrig sei. Allein die Rentenversicherung habe eine Erhöhung der Renten um 4,4 % angekündigt. Der Regelbedarf müsse daher bei ca. 459,38 € liegen. Die von der Beklagten aufgezählten coronabedingten Auszahlungen seien alle für das Jahr 2021 gewährt worden. Ein Ausgleich für das Jahr 2022 habe nicht stattgefunden. Die Unterkunftskosten seien zu bewilligen. Sein Leistungsbezug sei „hinreichend sicher“. Die begehrte Höhe der Kosten der Unterkunft und Heizung von 100 € sei nachvollziehbar und hinreichend belegt. Es gehe nicht um die Übernahme höherer Kosten, sondern die Verweigerung der Kostenübernahme schlechthin. Zum Nachweis der Unterkunftskosten legte der Kläger (erneut) die Erklärung seiner Eltern vom 29.11.2021 vor, wonach der Kläger sich mit 1/3 an den entstehenden Neben- und Heizkosten zu beteiligen habe. Die Abrechnung des Jahres 2022 erfolge erst zum Ende des Jahres, so dass Abrechnungen noch nicht eingereicht werden könnten. Die Miete sei seit 2017 gestundet. Da die Beklagte bereits im Jahr 2012 eine Miete von 135,12 € monatlich bewilligt habe, sei dieser Betrag auch weiterhin zu zahlen.

 

Mit Bescheid vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Einmalzahlung von 200 €. Gegen diese Bescheide hat der Kläger ebenfalls Klage vor dem SG erhoben (S 11 AS 235/22).

 

Hierzu hat der Kläger im vorliegenden Klageverfahren vorgetragen, es sei völlig unklar, für welchen Zweck und welchen Zeitraum die Einmalzahlung erfolgt sei. Er beantrage daher in Erweiterung der bisherigen Anträge, festzustellen, dass der Bescheid vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 missverständlich sei, da dem Bescheid Sinn und Zweck der Zahlung nicht eindeutig zu entnehmen seien und die diesbezüglichen Ausführungen des Bundes und der Beklagten voneinander abweichen würden.

 

Das SG hat das Verfahren gegen den Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 und das Verfahren betreffend den Bescheid vom 04.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2022 (Mehrbedarf für Desinfektionsmittel und Masken) mit Beschluss vom 19.05.2022 abgetrennt. Das letztere Verfahren wird unter dem Az. S 11 AS 163/22 geführt. Der Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 sei Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

 

Das SG ist sodann von folgendem schriftsätzlichen Antrag des Klägers ausgegangen:

 

„Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 zu verurteilen, ihm Kosten der Unterkunft und Heizung für das Jahr 2022 in Höhe von monatlich 100,00 Euro zu gewähren sowie seinen Regelbedarf corona- und inflationsbedingt zu erhöhen.“

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie hielt die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Hinsichtlich ihrer Rechtsauffassung verwies sie im Wesentlichen auf die Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden vom 08.03.2022 und 09.03.2022.

 

Nach Anhörung der Beteiligten mit Verfügung vom 02.11.2022 zu seiner Absicht einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid sowie zu der Absicht, 400 € Verschuldenskosten nach Maßgabe von § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verhängen, hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.11.2022, dem Kläger zugestellt am 02.12.2022, abgewiesen und dem Kläger 400 € als Verschuldenskosten auferlegt. Der Kläger sei durch den angefochtenen Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 nicht beschwert. Die Bescheide seien nicht rechtswidrig. Der Kläger habe gegen die Beklagte in der Zeit vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 keinen höheren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Insbesondere habe er in dieser Zeit keinen Anspruch auf Gewährung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Zwecks Begründung verweise die Kammer – nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage – auf die zutreffenden Ausführungen des Kreises Z. im Widerspruchsbescheid vom 08.03.2022 und mache sich diese zu eigen (§ 136 Abs. 3 SGG). Auch die Kammer könne – weiterhin – keinen Bedarf an Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erkennen. Solange sich der Kläger weigere, der Beklagten (und dem Gericht) belastbare und nachvollziehbare Unterlagen und Belege über die angeblich von seinen Eltern getätigten Aufwendungen vorzulegen, sei von einer anderweitigen Bedarfsdeckung auszugehen. Auch habe der Kläger keinen Anspruch auf eine Erhöhung des Regelbedarfs. Diesbezüglich werde ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen des Kreises Z. im Widerspruchsbescheid vom 08.03.2022 verwiesen. Die Entscheidung über die Verschuldenskosten fuße auf § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Die Kammer habe es für geboten erachtet, den Kläger in Höhe von 400 € an den Gerichtskosten zu beteiligen. Trotz der Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage habe sich der Kläger nicht entschließen können, das Verfahren durch Klagerücknahme zu beenden. Im Hinblick auf dieses Verhalten habe die Kammer es nach entsprechender Belehrung für erforderlich angesehen, dem Kläger Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, wobei die Kammer den festgesetzten Betrag in Höhe von 400 € in Ansehung sämtlicher Kosten, die mit diesem Verfahren in Zusammenhang stehen, als angemessen erachte.

 

Der Kläger hat am 22.12.2022 Berufung eingelegt, mit der er sein Ziel auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für das Jahr 2022 weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Schon das Bundessozialgericht (BSG) und das BVerfG hätten festgestellt, dass die Nichtberücksichtigung der Unterkunftskosten bei einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sich negativ auf alle Mitglieder auswirke. Hinsichtlich der Unterkunftskosten wirtschafte er mit seinen Eltern aus einem Topf, so dass eine Nichtzahlung der Kosten bei ihm eine Unterdeckung der anfallenden Kosten der Eltern bedeuten würde. Die geltend gemachten Kosten seien hinreichend nachgewiesen. Eine Kürzung der Unterkunftskosten sei verfassungswidrig. Die Höhe des Regelsatzes für das Jahr 2022 sei evident zu gering und entsprechend anzuheben. Es sei festzustellen, dass der Bescheid vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 bereits deshalb rechtswidrig sei, weil Sinn und Zweck der Einmalzahlung von 200 € nicht erkennbar seien.

 

Der Kläger beantragt,

  1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 25.11.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 zu verurteilen, ihm die beantragten und von den Vermietern geforderten nachvollziehbaren Abschlagszahlungen in Höhe von monatlich 100 EUR für Unterkunft und Heizung zu zahlen, sowie einen höheren Regelbedarf zu zahlen, der die Inflationsrate berücksichtigt, sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.01.2022 zu verurteilen, einen Mehrbedarf für die pandemiebedingten Mehraufwendungen für Masken und Desinfektionsmittel zu zahlen.

 

  1. es wird festgestellt, dass aus dem Bescheid der Beklagten vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 nicht eindeutig und unmissverständlich zu entnehmen ist, zu welchem Zweck und Zeitraum die Einmalzahlung von 200 EUR gedacht ist, da die diesbezügliche Ausführung des Bundes (§ 73 SGB II) und der Beklagten voneinander abweichen (bestehende Divergenz!). Es wird in diesem Zusammenhang weiterhin festgestellt, dass es damit für den Kläger nicht nachvollziehbar war und ist, ob ihm der gewährte SGB II Regelsatz noch eine Mindestsicherung bzw. Grundsicherung bietet. Entsprechend wird die Höhe des hätte im Jahr 2022 gezahlt werden müssenden SGB II Regelsatzes festgestellt.

 

  1. die vom Sozialgericht verhängten Verschuldenskosten aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die streitgegenständlichen Bescheide weiterhin für rechtmäßig.

 

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sach- und Streitverhältnisses die Eltern des Klägers schriftlich befragt. Die ursprünglich geplante Ladung der Eltern als Zeugen zu einem Erörterungstermin war nicht möglich, da die Eltern mit Schreiben vom 26.04.2023 um eine Aufhebung des persönlichen Erscheinens aus gesundheitlichen Gründen gebeten und angekündigt haben, im Falle ihrer Ladung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Mit Schreiben vom 01.06.2023 haben die Eltern des Klägers Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Schreibens Bezug genommen.

 

In der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023 hat der Kläger Kopien von Schreiben seiner Eltern vom 27.12.2022 und vom 04.12.2023 überreicht. Auf den Inhalt dieser Schreiben wird ebenfalls verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten L 12 AS 747/22 und L 12 AS 573/22 Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

 

A.

Das Berufungsbegehren ist zunächst dahingehend auszulegen, dass der Kläger eine Abänderung des Gerichtsbescheides des SG vom 25.11.2022 und eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.01.2022 bis 31.12.2022 begehrt.

 

Der Streitgegenstand ist nicht auf die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, auch wenn es sich dabei grundsätzlich um einen abgrenzbaren Streitgegenstand handeln kann (BSG Urteile vom 03.09.2020, B 14 AS 34/19 R, Rn. 8, juris; vom 12.12.2017, B 4 AS 33/16 R, Rn. 12, juris; vom 17.09.2020, B 4 AS 22/20 R, Rn. 16, juris; und vom 13.04.2011, B 14 AS 106/10 R, Rn. 11, juris).

 

Zwar hat der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 1) ausdrücklich nur die Gewährung höherer Unterkunftskosten in Abänderung des Bescheides vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 geltend gemacht. Bei der Auslegung einer Klageschrift, die eine Prozesserklärung darstellt, ist jedoch das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln. Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Die Bindung des Gerichts bezieht sich auf den erhobenen Anspruch, also das Antragsbegehren, nicht auf die Fassung der Anträge. Wenn der Antrag nicht hinreichend bestimmt ist, muss das Gericht mit dem Kläger klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2 SGG). In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 14.06.2018, B 9 SB 2/16 R, Rn. 12, juris). Insoweit geht das Gericht von dem aus, was der Kläger mit dem Antrag erreichen möchte (vgl. BSG Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 119/10 R, Rn. 29, juris). Im Zweifel wird dieser den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft (sog. Meistbegünstigungsprinzip, vgl. etwa BSG Urteile vom 14.06.2018, B 9 SB 2/16 R, Rn. 12, juris; und vom 13.12.2018, B 10 ÜG 4/16 R, Rn. 17, juris; BSG Beschluss vom 06.12.2018, B 8 SO 38/18 B, Rn. 6, juris).

 

Der Kläger hat sich mit dem bei Klageerhebung eingereichten Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 sowie dem Bescheid vom 04.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2022 ausdrücklich gegen die Höhe der gewährten Leistungen insgesamt gewendet und sowohl die Gewährung von Unterkunftskosten in Höhe von 100 € monatlich als auch die Gewährung eines höheren (verfassungsgemäßen) Regelsatzes sowie darüber hinaus die Anerkennung eines Mehrbedarfs für die Anschaffung von Desinfektionsmitteln und Masken im Jahr 2022 geltend gemacht. Dieses Begehren hat er in keinem seiner Schriftsätze aufgegeben. In dem Berufungsantrag zu 2) findet sich das Begehren auf Gewährung eines verfassungsgemäßen Regelbedarfs in Form des Feststellungsantrages wieder. Dieser in dieser Form unzulässige Feststellungsantrag ist jedoch bei verständiger Würdigung unter Berücksichtigung des übrigen Klage- und Berufungsvortrages dahingehend auszulegen, dass der Kläger insgesamt höhere Leistungen für das Kalenderjahr 2022 geltend macht und zwar nach Grund und Höhe aller in Betracht kommenden Bedarfe.

 

Streitgegenstand sind damit sowohl der Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022, mit dem die Beklagte die Leistungen in Höhe des Regelbedarfes für den Zeitraum von Januar 2022 bis Dezember 2022 zuerkannt hat, als auch der Bescheid vom 04.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2022, mit dem die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfs für Desinfektionsmittel und die Anschaffung von Masken abgelehnt hat.

 

Als Rechtsgrundlage für die Gewährung dieses Mehrbedarfs kommt ausschließlich § 21 Abs. 6 SGB II in Betracht. Bei Leistungsberechtigten wird hiernach ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch ist somit Teil des Regelbedarfs und es handelt sich nicht um einen abtrennbaren Streitgegenstand, der mittels Trennungsbeschluss des Gerichts zu einem separat zu entscheidenden Verfahren erklärt werden kann. Vielmehr entscheiden sowohl der Bescheid vom 08.12.2021 als auch der Bescheid vom 04.01.2022, der gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 08.12.2021 geworden ist, einheitlich über die Höhe des dem Kläger zustehenden Leistungsanspruchs. Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens (§ 86 1. HS SGG). Der Bescheid vom 04.01.2022 gilt als während des Vorverfahrens ergangen, weil dieser nach § 37 Abs. 2 S. 2 SGB X frühestens als am 07.01.2022, d.h. mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, als bekannt gegeben und damit wirksam i.S.d. § 39 SGB X gilt. Der Umstand, dass dem Kläger dieser offenbar bereits am 05.01.2022 vorlag, ändert hieran nichts. Der tatsächliche Zugang ist nur nach Ablauf der drei Tage von Bedeutung (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 37, Rn. 31). Darüber hinaus ist auch eine Abänderung insoweit gegeben, als der Bescheid vom 04.01.2022 über den Regelbedarf des streitigen Zeitraums eine erneute Entscheidung trifft, in dem mit ihm der von dem Kläger geltend gemachte Mehrbedarf für Desinfektionsmittel und Masken – als zum Streitgegenstand des Regelbedarfs gehörend – mit weiterer Begründung abgelehnt wird. Ausreichend i.S.d. § 86 SGG ist eine Verstärkung in der Belastung (vgl. Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 86 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 18).

 

Die Höhe der dem Kläger im Jahr 2022 zustehenden Leistungen nach dem SGB II sind daher kraft Gesetzes auch einheitlich und nicht getrennt nach Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarfen für Unterkunft und Heizung zu prüfen.

 

B.

Soweit der Kläger über diesen Klagegenstand hinaus klageerweiternd erstinstanzlich die Feststellung begehrt, dass der Bescheid vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 zu unbestimmt sei, und dieses Begehren mit der Berufung weiter verfolgt, ist die damit einhergehende Klageänderung (§§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 1 SGG) – unabhängig von der Unzulässigkeit des Feststellungsantrages an und für sich und der doppelten Rechtshängigkeit aufgrund des bereits bei dem SG anhängigen Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 27.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2022 – unzulässig. Rechtsgrundlage für die Einmalzahlung i.H.v. 200 € ist § 73 SGB II. Es handelt sich um eine für den Monat Juli 2022 ohne zeitliche Anrechnungsbestimmung gewährte zusätzliche Leistung (Wunder in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 73 1. Überarbeitung (Stand: 17.02.2023), Rn. 13), die einen von Regelbedarf und Unterkunftskosten abtrennbaren Streitgegenstand darstellt. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Klageerweiterung ist dabei durch den Senat zu treffen, da das SG sich zu einer Änderung des Klagegenstandes nicht verhalten hat (vgl. § 99 Abs. 4 SGG – hierzu Guttenberger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 99 SGG Rn. 46). Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Eine Einwilligung der Beklagten in die Klageänderungen ist weder ausdrücklich noch durch eine Einlassung in die Klageänderungen durch einen Schriftsatz erfolgt (§ 99 Abs. 2 SGG). Die Klageänderungen erachtet der Senat in Ausübung des ihm dabei zukommenden Ermessens nicht als sachdienlich. Ungeachtet der fehlenden Zulässigkeit des über den ursprünglichen Klagegegenstand hinausgehenden Streitgegenstandes ist eine endgültige und prozessökonomische Bereinigung des Streites zwischen den Beteiligten durch eine Berücksichtigung der Klageänderungen angesichts der fortlaufend von dem Kläger gegen die Beklagte geführten Klageverfahren nicht zu erwarten.

 

C.

Die Berufung ist im Übrigen zulässig, insbesondere bedurfte die gemäß § 143 SGG statthafte Berufung nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG. Hiernach bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geldleistung gerichtet ist, 750 € nicht übersteigt. Der Kläger begehrt mit Klage und Berufung die Zahlung weiterer Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2022 bis Dezember 2022. Hierbei übersteigen bereits die mit monatlich 100 € geltend gemachten Bedarfe für Unterkunft und Heizung den erforderlichen Streitwert von 750 €.

 

D.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

 

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) zulässige Klage des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2022 sowie der Bescheid vom 04.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2022 sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Jahr 2022.

 

Der Kläger erfüllt im streitigen Zeitraum vom 01.01.2022 bis 31.12.2022 dem Grunde nach die Leistungsvoraussetzungen zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II umfassen die Leistungen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II, denn er hatte im streitigen Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, war erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

 

1.

Als Bedarf des Klägers ist der Regelbedarf nach § 20 Abs. 1 SGB II für Alleinstehende anzuerkennen. Dieser belief sich im Jahr 2022 auf 449 € monatlich und ist von der Beklagten auch in dieser Höhe bewilligt worden.

 

Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme eines höheren, als des gesetzlich vorgesehenen Regelbedarfs besteht nicht. Eine evidente Verfassungswidrigkeit der Höhe des Regelbedarfs liegt nicht vor.

 

Die Sätze für den Regelbedarf nach §§ 19 Abs. 1 S. 3, 20 Abs. 1 bis 4 SGB II (hier: § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II) werden gemäß § 20 Abs. 1a S. 1 SGB II i.V.m. § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) i.V.m. der Verordnung nach § 40 S. 1 SGB XII in einem Bundesgesetz neu ermittelt, wenn die Ergebnisse einer durch das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre veröffentlichten bundesweiten neuen Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) vorliegen (§ 28 Abs. 1 SGB XII; vgl. BVerfG Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 27, juris) oder, soweit eine Neuermittlung nicht erfolgt, gemäß § 20 Abs. 1a S. 1 SGB II i.V.m. § 28a SGB XII jährlich angepasst.

 

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen wurde der Regelbedarf für Alleinstehende (Regelbedarfsstufe 1), wie den Kläger, auf einen Betrag von 449 € im Jahr 2022 festgelegt.

 

Zu dem Normenkomplex für die Ermittlung und Fortschreibung des Regelbedarfes auf der Grundlage der vorangegangenen EVS für das Jahr 2008 hat das BVerfG mit Beschluss vom 23.07.2014 (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, juris) entschieden, dass er im Einklang mit dem Verfassungsrecht steht, insbesondere mit dem Recht auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 – Sozialstaatsprinzip – Grundgesetz (GG).

 

Entsprechend folgt die Bemessung des Regelbedarfs für Alleinstehende verfassungsrechtlichen Vorgaben, so dass das Verfahren – dem Begehren des Klägers entgegen – nicht nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen ist. Bei der Auswertung der EVS 2018 hat sich der Gesetzgeber weitestgehend an den seitens des BVerfG in dessen Grundsatzurteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 138, 139, 141, juris) erarbeiteten Vorgaben orientiert und darüberhinausgehende Hinweise und Prüfaufträge aus dem Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 120 ff., juris) berücksichtigt (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 23 f.; LSG NRW Beschluss vom 22.07.2019, L 7 AS 354/19, Rn. 27, juris; vgl. auch: BSG Beschlüsse vom 08.10.2020, B 8 SO 12/20 BH, Rn. 5, juris; und vom 29.12.2017, B 8 SO 40/17 B, Rn. 7, juris). Das BVerfG fordert, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Leistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums die entsprechenden Bedarfe der Hilfebedürftigen zeit- und realitätsgerecht erfasst. Dem Gesetzgeber stehe ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung von Art und Höhe der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Er habe einen Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse, ebenso wie bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfes. Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Festsetzung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruches tragfähig begründet werden (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rn. 76, juris; zuvor: BVerfG Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 138, 139, 141, juris). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Die Verfassung schreibe insbesondere auch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und das Ringen um einen politischen Kompromiss (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691, Rn. 77, juris; Urteil vom 5.11.2019, 1 BvL 7/16, Rn. 118, 119, juris).

 

Zur Überzeugung des Senats entspricht die Bestimmung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf durch den Gesetzgeber im Rahmen des SGB II grundsätzlich den Anforderungen an eine hinreichend transparente, jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe. Der Gesetzgeber hat die relevanten Bedarfsarten berücksichtigt, die für einzelne Bedarfspositionen aufzuwendenden Kosten mit einer von ihm gewählten, im Grundsatz tauglichen und im Einzelfall mit hinreichender sachlicher Begründung angepassten Methode sachgerecht ermittelt und auf dieser Grundlage die Höhe des Gesamtbedarfs bestimmt. Es ist nicht erkennbar, dass er für die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz relevante Bedarfsarten übersehen und die zu ihrer Deckung erforderlichen Leistungen durch gesetzliche Ansprüche nicht gesichert hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, Rn. 89, juris; und vom 27.07.2016, 1 BvR 371/11, Rn. 52, juris).

 

Seit dem 01.01.2021 gelten Regelbedarfe, die aufgrund von Sonderauswertungen der EVS 2018 ermittelt worden sind. Die Regelbedarfsermittlung ist hinsichtlich der Referenzhaushalte und der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben im Einzelnen im Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach dem § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ab dem Jahr 2021 (Regelbedarfsermittlungsgesetz – RBEG – im Folgenden: RBEG 2021) vom 09.12.2020 (BGBl. I 2855) enthalten. Diese Neuberechnung beruht auf methodischen Neubewertungen und einer gesetzlich vorgesehenen veränderten Datengrundlage und stellt keine Fortschreibung der bisherigen Werte dar. Die konkreten Beträge sind durch die Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a SGB XII und des Teilbetrags nach § 34 Abs. 3a S. 1 SGB XII maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlagen zu §§ 28 und 34 SGB XII zum 1. Januar 2022 (Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2022 - RBSFV 2022) angepasst worden. Dafür sieht der in Bezug genommene § 28a SGB XII eine methodisch schlüssige statistische Bezugsgröße vor. Grundlage dafür sind gesetzlich vorgesehene Berechnungen der Veränderungsrate für die Preise aller regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen und der durchschnittlichen Nettolöhne und -gehälter je durchschnittlich beschäftigtem Arbeitnehmer durch das Statistische Bundesamt (§ 28a Abs. 3 SGB XII). Danach sind die Regelbedarfsstufen nach § 8 RBEG zum 01.01.2022 um 0,76 % erhöht und die Ergebnisse nach § 28 Abs. 5 SGB XII auf volle Euro gerundet worden (vgl. § 1 RBSFV 2022). Für Alleinstehende ergibt sich daraus der Wert von 449 € monatlich.

 

Der Senat verkennt hierbei nicht, dass – worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat – die Inflationsrate und damit der Kaufkraftverlust für das zur Verfügung stehende Einkommen auch in Form von staatlichen Transferleistungen derzeit und auch im Jahr 2022 erheblich gewesen ist. Eine Verfassungswidrigkeit des Regelbedarfs ergibt sich daraus jedoch nicht. Die Inflationswerte sind nicht ohne weiteres auf die regelsatzrelevanten Güter, die vom SGB-II-Regelbedarf erfasst werden sollen, zu übertragen. Der Verbraucherpreisindex misst die durchschnittliche Preisveränderung aller Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft werden. Die Teuerungsraten zwischen den einzelnen Warengruppen bzw. bezogen auf die regelsatzrelevanten Abteilungen unterscheiden sich erheblich. Die höchste Teuerungsrate besteht im Bereich Energie, insbesondere Heizungsenergie. Diese Kosten werden jedoch grundsätzlich in tatsächlicher Höhe seitens des SGB-II-Trägers als Heizkosten übernommen. Soweit die Gesamtteuerungsrate auf Erhöhungen in dieser Warengruppe zurückgeht, ist sie für die Bemessung der Regelleistungen nicht relevant. Regelbedarfsrelevant ist hier allein der Bedarf für Haushaltsenergie. Deutlich verteuert haben sich einerseits die Preise für Nahrungsmittel. Deutlich niedrigere Verbraucherpreiserhöhungen gab es demgegenüber in den Bereichen Bekleidung und Schuhe, Beherbergung, Post und Telefonkommunikation oder Gesundheitspflege. In einzelnen Abteilungen wie dem Verkehr kam es sogar zeitweise zu Preissenkungen aufgrund des 9-Euro Tickets in der Zeit von Juni bis August 2022.

 

Welche Schlussfolgerungen aus der so beschriebenen Inflationsrate für eine Anpassung der Regelleistungen aufgrund dieser Teuerungsrate zu ziehen sind, ist zuvörderst Aufgabe des Gesetzgebers. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ermittlung von Regelbedarfen, die ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten, stets nur annäherungsweise möglich ist. Sie muss sich auf Daten zu komplexen Verhältnissen stützen, die für die jeweils aktuell geforderte Deckung eines existenzsichernden Bedarfs nur begrenzt aussagekräftig sind. Zwar muss die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung auf im Ausgangspunkt tragfähigen Grundannahmen, Daten und Berechnungsschritten beruhen, jedoch schlagen Bedenken hinsichtlich einzelner Berechnungspositionen nicht ohne Weiteres auf die verfassungsrechtliche Beurteilung durch. Gleichzeitig darf der Gesetzgeber ernsthafte Bedenken, die auf tatsächliche Gefahren der Unterdeckung verweisen, nicht einfach auf sich beruhen lassen und fortschreiben. Er ist vielmehr gehalten, bei den periodisch anstehenden Neuermittlungen des Regelbedarfs zwischenzeitlich erkennbare Bedenken aufzugreifen und unzureichende Berechnungsschritte zu korrigieren (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, u.a., Rn 141, juris).

 

Eine solche Reaktion des Gesetzgebers ist erfolgt, indem nach § 73 SGB II für den Monat Juli 2022 von Amts wegen eine Einmalzahlung auch zum Inflationsausgleich in Höhe von 200 € gewährt wurde. Der Kläger fällt in den Anwendungsbereich des § 73 SGB II, da er im Juli 2022 leistungsberechtigt nach dem SGB II war und sein Bedarf sich nach der Regelbedarfsstufe 1 richtet. Die Beklagte hat dementsprechend mit Bescheid vom 27.06.2022 die vorgenannte Einmalleistung gewährt. Die Einmalzahlung erfolgte nach dem Wortlaut der Norm zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen, die beispielsweise für den Kauf spezieller Hygieneprodukte und Gesundheitsartikel, aber auch in Folge der pandemiebedingten Inflation entstanden sind (BR-Drs. 125/22, S. 14). Die ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren mit 100 € vorgesehene Leistungshöhe ist vor dem Hintergrund des Beschlusses in der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 07.04.2022 über die Einbeziehung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in den Anwendungsbereich des SGB II auf 200 € verdoppelt worden und soll auch dem unmittelbaren pauschalen Ausgleich für etwaige aktuell bestehende finanzielle Mehrbelastungen in Anbetracht aktueller Preissteigerungen dienen (BT-Drs. 20/1768, S. 27). Mit der Einmalzahlung i.H.v. 200 € hat der Gesetzgeber nicht die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen abgewartet (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, Rn. 144, juris), sondern die durch die Pandemie und die Inflation entstandenen zusätzlichen Kosten bei den SGB-II-Leistungen berücksichtigt (vgl. auch LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.07.2022, L 3 AS 1169/22, Rn. 20 – 28, juris). Auch die deutliche Steigerung des Regelsatzes mit Einführung des Bürgergeldes ab dem 01.01.2023 auf 502 € monatlich für Alleinstehende dokumentiert die angesichts komplexer demokratischer Gesetzgebungsverfahren angemessen schnelle Reaktion des Gesetzgebers auf die Diskrepanz zwischen Preisentwicklung und Regelbedarfsanpassung (vgl. LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 11.10.2022, L 6 AS 87/22 B ER, Rn. 27, juris; LSG Niedersachsen Bremen Beschluss vom 24.08.2022, L 8 SO 56/22 B ER, Rn. 15, juris; LSG NRW Beschluss vom 31.01.2022, L 2 AS 330/22 B ER, Rn. 3, juris; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 18.10.2023, L 18 AS 279/23, Rn. 18 ff., juris; BSG Beschluss vom 05.07.2023, B 4 AS 36/23 B, Rn. 5, juris, in dem das BSG keinen Grund gesehen hat, die Revision in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs u.a. für die Jahre 2020 bis 2021 zuzulassen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Bürgergeldes zum 01.01.2023 einen neuen Anpassungsmechanismus gewählt hat, der die Lohn- und Preisentwicklung deutlich zeitnäher widerspiegelt (vgl. dazu Groth/Güssow, NJW 2023, 184, 187). Dies hat zum 01.01.2023 zu einer Erhöhung des Regelsatzes um 11,8 % geführt (502 € monatlich für Alleinstehende) und zum 01.01.2024 zu einer weiteren Erhöhung um 12,2 % (563 € monatlich für Alleinstehende). Damit hat der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in einem zumutbaren Zeitraum ein inflationsgeschütztes Grundsicherungsniveau geschaffen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 18.10.2023, L 18 AS 279/23, Rn. 25, juris).

 

2.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II für die Anschaffung von Desinfektionsmitteln und Masken. Nach Maßgabe dieser Norm ist bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anzuerkennen, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

 

Ähnlich wie bei der Regelung des § 70 SGB II (Einmalzahlung i.H.v. 150 € für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021) stellt sich auch für § 73 SGB II die Frage, ob dieser als spezielle Regelung die Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II – zumindest für den Monat Juli 2022 – verdrängt (so zu § 70 SGB II: SG Karlsruhe Beschluss vom 24.03.2021, S 12 AS 711/21 ER, Rn. 30, juris; Blüggel in jurisPR-SozR 6/2021 Anm. 1) oder ob § 21 Abs. 6 SGB II subsidiär neben § 73 SGB II zur Anwendung kommen kann (so zu § 70 SGB II: Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 70, 1. Überarbeitung, Stand: 30.05.2022, Rn. 16; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, 10. Ergänzungslieferung 2023, § 70, Rn. 17; Blüggel in Eicher/Luik/Harich, 5. Auflage 2021, SGB II, § 70 Rn. 3, 6). Da die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II vorliegend im gesamten streitigen Zeitraum nicht vorliegen, kommt es darauf jedoch nicht an.

 

Es handelt sich bei § 21 Abs. 6 SGB II um eine Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfslagen, deren Tatbestandsvoraussetzungen nach dem Willen des Gesetzgebers eng und strikt sind (BT-Drs. 17/1465, S. 8). Auch das BVerfG ging in seinem Urteil vom 09.02.2010 von „engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen“ aus (BVerfG Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 208, juris). Diese Maßgabe ist bei der Auslegung des § 21 Abs. 6 SGB II zu beachten. Die Härtefallklausel dient dazu, Bedarfe zu erfassen, die aufgrund ihres individuellen Charakters bei der pauschalierenden Regelbedarfsbemessung der Art oder der Höhe nach nicht erfasst werden können (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 204 ff., juris; BT-Drs. 17/1465, S. 8). Sie hat nicht die Funktion, eine (vermeintlich oder tatsächlich) unzureichende Höhe des Regelbedarfs auszugleichen (LSG NRW Urteil vom 10.02.2022, L 19 AS 1236/21, Rn. 44, juris). Hinzu kommt, dass es sich bei steigenden Lebensmittelpreisen, der Notwendigkeit zur vermehrten Verwendung von Desinfektionsmitteln und Masken oder anderen zusätzlichen Kosten aufgrund einer weltweiten Pandemie nicht um einen Bedarf „im Einzelfall“ i.S.d. § 21 Abs. 6 S. 1 Halbsatz 1 SGB II handelt (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.07.2022, L 3 AS 1169/22, Rn. 32, juris; Beschluss des Senats vom 29.03.2021, L 12 AS 377/21 B ER, Rn. 7, juris).

 

3.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 100 € monatlich gemäß § 22 Abs. 1 SGB II im Jahr 2022. Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Kosten weder dem Grunde noch der Höhe nach nachgewiesen. Mangels Vorlage der in mehrfachen Schreiben sowohl durch die Beklagte als auch durch den Senat angeforderten Unterlagen und Erklärungen ist es weder der Beklagten noch dem Senat möglich, nachprüfbar festzustellen, dass und in welcher Höhe der Kläger zur Zahlung einer Miete bzw. Kostenbeteiligung an seine Eltern verpflichtet gewesen ist.

 

Rechtsgrundlage für die Übernahme der Unterkunftskosten ist § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Hiernach werden Leistungen zur Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft solange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre (§ 22 Abs. 1 S. 4 SGB II).

 

Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Es muss sich um einen gegenwärtigen Bedarf handeln; ein Anspruch auf Übernahme von bereits getätigten oder zukünftig erst anfallenden Aufwendungen besteht grundsätzlich nicht. Ein gegenwärtiger Bedarf kann grundsätzlich auch dann bestehen, wenn der Vermieter aus Kulanz bzw. familiärer Rücksichtnahme vorübergehend auf die Geltendmachung des Mietzinses verzichtet hat (Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 22 (Stand: 06.02.2023), Rn. 59). Der Grundsicherungsträger hat nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur solche Kosten zu übernehmen, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht. „Tatsächliche Aufwendungen" für eine Wohnung liegen allerdings nicht nur dann vor, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reicht es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Denn bei Nichtzahlung der Miete droht regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es aber gerade, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Hilfebedürftigen vorliegt, ist in erster Linie der Mietvertrag mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart wurde (vgl. BSG Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R, Rn. 24, juris).

 

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen lässt sich weder ermitteln, ob der geltend gemachte Betrag von 100 € (als Vorauszahlung) etwa 1/3 der tatsächlich anfallenden Neben- und Heizkosten entspricht, noch ob der Kläger sich seinen Eltern gegenüber einer ernsthaften Mietzinsforderung oder Forderung einer Kostenbeteiligung ausgesetzt sieht.

 

Einen schriftlichen Mietvertrag hat der Kläger mit seinen Eltern nicht abgeschlossen. In den von ihm vorgelegten Schreiben seiner Eltern, verweisen diese regelmäßig auf eine Vereinbarung nach § 550 BGB. Nach dessen Satz 1 gilt der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit getroffen, wenn der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen worden ist. Einen Nachweis für die tatsächliche Zahlung von monatlich 100 € in der Vergangenheit hat der Kläger nicht vorgelegt. Auch die Eltern des Klägers haben keine Erklärung dazu abgegeben, ob eine etwaige Zahlung überhaupt erfolgt ist und wenn ja auf welchem Zahlungsweg.

 

Unklar ist auch, ob der Betrag von 100 € wirtschaftlich und damit angemessen bezogen auf die konkrete Wohnsituation des Klägers ist. Es soll sich bei dem vereinbarten Betrag nach den Angaben des Klägers und seiner Eltern um 1/3 der Neben- und Heizkosten handeln, wobei auf die Nebenkosten – seit Januar 2017 bis zum aktuellen Streitzeitraum unverändert – 60 € und auf die Heizkosten 40 € monatlich entfallen würden. Da der Kläger sich jedoch weigert, die tatsächlich anfallenden Hausneben- bzw. Heizkosten (wie etwa Gebäudeversicherung/Müllgebühren/Schornsteinfeger/Strom/Wasser/Gas) nachzuweisen, kann die Beklagte wie auch der Senat nicht feststellen, ob der Betrag von 100 € den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern des Klägers sich weigern, diesem entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen, liegen nicht vor. Vielmehr hat der Kläger die Vorlage der Unterlagen in der Vergangenheit mit der Begründung verweigert, es seien in den zwischen den Beteiligten streitigen Parallelverfahren auch weitere Zeiträume streitig und die Vorlage der Unterlagen würde auch in diese Zeiträume eingreifen.

 

Eine Befragung der Eltern selbst als Zeugen ist nicht möglich. Unabhängig von der nicht näher nachgewiesenen gesundheitlichen Situation der Eltern haben diese bereits schriftlich angekündigt, sich im Falle ihrer Ladung zu einem gerichtlichen Termin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als leibliche Eltern des Klägers berufen zu wollen (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO)). Sie haben damit ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie in dem Verfahren nicht als Zeugen aussagen möchten. Eine weitere Ladung konnte vor diesem Hintergrund unterbleiben (vgl. § 383 Abs. 6 ZPO). Die schriftliche Einlassung, die ganz offensichtlich von dem Kläger selbst verfasst und von den Eltern nur unterschrieben worden ist, enthält keinen neuen, bisher nicht bereits von dem Kläger erbrachten Sachvortrag. Die von dem Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Schreiben der Eltern vom 27.12.2022 und 04.12.2023 erbringen ebenfalls keine neuen Erkenntnisse, außer dem Umstand, dass die Pauschale nun im Jahr 2023 110 € und im Jahr 2024 120 € betragen soll.

 

Eine pauschale Übernahme von Kosten ohne jeglichen Nachweis, dass diese den wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechen, kommt nicht in Betracht. Soweit der Kläger bzw. seine Eltern sich auf eine im Jahr 2011 eingereichte Bescheinigung berufen, so ist diese im hier streitigen Zeitraum des Jahres 2022 nicht mehr ansatzweise aktuell und ihr wohnt auch keine Indizwirkung für die im streitigen Zeitraum bestehenden Verhältnisse inne. Begründbare Anhaltspunkte dafür, dass etwaige Versicherungen und Abschlagszahlungen über mehrere Jahre konstant bleiben, liegen nicht vor und würden auch den allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechen.

 

Auch aus der von dem Kläger angeführten Übernahme von Unterkunftskosten i.H.v. rund 135 € monatlich mit einem Bescheid vom 25.04.2012 kann der Kläger keinen Anspruch ableiten. Ebenso wenig aus dem Umstand, dass die Beklagte – nach eigenen Angaben versehentlich – bei der Leistungsbewilligung des Jahres 2023 die Unterkunftskosten übernommen hat. Der Leistungsanspruch ist nach Grund und Höhe in jedem Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen und die Voraussetzungen sind von dem Leistungsberechtigten nachzuweisen. Dies folgt aus dem Antragserfordernis nach § 37 SGB II. Ein einmal gestellter Antrag wirkt nach Bewilligung von Leistungen und Ablauf des Bewilligungszeitraums nicht fort. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Antrag mit Erlass des Bewilligungsbescheides verbraucht. Das durch den Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren wird durch den Erlass des Bewilligungsbescheides abgeschlossen; der Bewilligungsbescheid verliert mit Ablauf des Bewilligungszeitraums seine Wirksamkeit (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 37 (Stand: 15.03.2022), Rn. 36).

 

E.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

F.

Soweit das SG dem Kläger in dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 25.11.2022 Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG auferlegt hat, ist diese Entscheidung aufzuheben.

 

Nach § 192 Abs. 1 S. 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist (Nr. 1) oder der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist (Nr. 2). Die Möglichkeit zur Auferlegung von Missbrauchskosten ist das notwendige Korrektiv zur Gebührenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens für die in § 183 SGG genannten Personen. Denn ebenso wie bei der grundsätzlich kostenfreien Verfassungsbeschwerde besteht auch bei den gerichtskostenfreien Sozialgerichtsverfahren die Gefahr, dass aufgrund des nicht vorhandenen Kostenrisikos völlig aussichtslose Verfahren durchgeführt werden. Um dem entgegenzuwirken, besteht bei beiden Verfahrensarten die Möglichkeit, bei missbräuchlicher Prozessfortführung die dadurch entstehenden Kosten aufzuerlegen (vgl. Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 192 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 36). Maßstab für die Missbräuchlichkeit ist danach, dass die weitere Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen bzw. von einem verständigen Beteiligten als völlig aussichtslos angesehen werden muss (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 07.02.2019, L 25 AS 835/18 , Rn. 25, juris; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 27.02.2018, L 6 SB 2931/17, Rn. 13, juris).

 

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist dem SG darin zuzustimmen, dass die seit vielen Jahren geführten Rechtsstreite des Klägers betreffend die Gewährung der Unterkunftskosten, ohne dass der Kläger hierbei neue Tatsachen oder Beweismittel vorlegt, grundsätzlich geeignet sind, den Missbrauchstatbestand des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu begründen. Das vorliegende Verfahren ist jedoch nicht auf die Gewährung höherer Unterkunftskosten beschränkt, sondern betrifft auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfs 2022, die angesichts der geringen Zahl hierzu bisher ergangener rechtskräftiger Hauptsacheentscheidungen jedenfalls nicht offensichtlich und eindeutig als missbräuchlich angesehen werden kann.

 

G.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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