1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung und Bewertung von Beiträgen aus einer neben dem Bezug der Altersvollrente ausgeübten Beschäftigung und damit eine höhere monatliche Rentenleistung.
Der Kläger bezieht seit 1.8.2011 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Vollrente. Ab Juni 2014 bis 31.1.2020 arbeitete der Kläger für die Firma M. AG auf Teilzeitbasis. Dabei entrichtete die Arbeitgeberin des Klägers einen Betrag von 99,23 Euro monatlich zur Rentenversicherung. Diese Beiträge wurden bei der Rentenfestsetzung des Klägers nicht berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 24.6.2019 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beantragte, die von seinem Arbeitgeber gezahlten Beiträge rentenhöhend bei seiner Rente zu berücksichtigen, hilfsweise beantragte er Beitragserstattung.
Mit Bescheid der Beklagten vom 8.7.2019 lehnte diese es ab, die gezahlten Beiträge des Arbeitgebers dem Rentenkonto des Klägers gut zu schreiben und der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Bezieher einer Altersvollrente seien nach der damals geltenden Regelung des § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei gewesen. Beitragszeiten konnten neben der Vollrente aufgrund der Versicherungsfreiheit nicht mehr erworben werden. Ab dem 1.1.2017 habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Davon habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Nach § 172 Abs. 1 SGB VI habe der Arbeitgeber die Arbeitgeberanteile für eine versicherungsfreie Beschäftigung zu zahlen. Diese Beiträge flössen aber nicht in das Rentenkonto des einzelnen Versicherten ein. Die Regelung solle verhindern, dass Arbeitgeber, die versicherungsfreie Mitarbeiter beschäftigen, einen Wettbewerbsvorteil erlangen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Der Kläger ist der Meinung, dass Rentenansprüche auch durch seine Erwerbstätigkeit nach Rentenbeginn ab 1.7.2011 entstanden seien. Dies resultiere aus Art. 3 GG. Er sei sonst als behinderter Mensch durch den Bezug der Altersrente gegenüber Nichtbehinderten benachteiligt. Auch habe das BVerfG in der Entscheidung vom 16.7.1985, 1 BvL5/80 entschieden, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung Beiträge des Arbeitnehmers sind.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.5.2020 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger beziehe seit 1.8.2011 eine Altersrente als Vollrente. Personen, die eine Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, seien nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung versicherungsfrei gewesen. Beitragszeiten konnten aus diesem Grund neben dem Altersrentenbezug aufgrund der Versicherungsfreiheit nicht mehr erworben werden. Ab dem 1.1.2017 habe die Möglichkeit bestanden auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Hiervon habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Es werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 8.7.2019 verwiesen. Das Vorbringen im Widerspruchsverfahren rechtfertige keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Der Kläger habe vorgetragen, es werde Recht angewendet, das verfassungswidrig und deshalb nicht bindend sei. Die Rentenversicherung sei bei ihrem Handeln jedoch an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Rentenversicherungsträger dürfe nicht prüfen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß sei. Dies sei nur durch das Bundesverfassungsgericht zu prüfen.
Am 15.6.2020 hat der Kläger vor dem SG Darmstadt Klage erhoben. Ziel des Arbeitgeberbeitrags sei die Fürsorge für den Arbeitnehmer. Auch die Beitragsleistung des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer sei verfassungsrechtlich geschützt. Mit der Nichtberücksichtigung des Arbeitgeberbeitrags zur Rentenversicherung diskriminiere die Beklagte den Kläger gem. Art. 14 GG, was auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG bedeute. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für die Beklagte, die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung bei der Rentenfestsetzung nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auf seine Rente auf der Basis eines monatlichen Beitrags in Höhe von 99,23 Euro ab dem 1.6.2014 bis zum 31.1.2020 einen höheren Wert seines Rechts auf Rente festzusetzen sowie die Beklagte zu verurteilen, entsprechend höhere monatliche Rentenzahlungen ab dem 1.6.2014 zu leisten, hilfsweise,
die Bescheide der Beklagten vom 8.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6747,64 Euro netto nebst angemessener Verzinsung über dem Basiszinssatz auf je einen Betrag in Höhe von 99,23 Euro monatlich fortlaufend ab dem 1.6.2014 sowie dem jeweiligen 1. des Folgemonats zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Der Kläger hat mitgeteilt, eine mündliche Verhandlung zu wünschen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört wurden, § 105 Abs. 1 S. 1, 2 SGG. Eine Anhörung des Klägers zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist erfolgt. Eine Zustimmung des Klägers zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist nach § 105 Abs. 1 SGG nicht Voraussetzung für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid.
Die Klage ist aus Sicht des Gerichts bereits unzulässig, denn hinsichtlich der aus Sicht des Klägers bei seiner Rente zu berücksichtigenden Arbeitgeberbeiträge ist nicht möglicherweise ein eigenes Recht des Klägers verletzt. Die streitgegenständlichen Beiträge des Arbeitgebers werden abweichend zur sonstigen Rechtslage nicht dem eigenen Rentenkonto des Klägers zugeordnet, sondern werden aus arbeitsmarktpolitischen Gründen allgemein an die Rentenversicherung gezahlt (vgl. dazu Entscheidungsgründe zur Begründetheit ausführlicher). Vor diesem Hintergrund liegt aus Sicht des Gerichts hinsichtlich Haupt- und Hilfsantrag keine Klagebefugnis vor.
Jedenfalls ist die Klage aber unbegründet. Der Bescheid vom 8.7.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2020 ist rechtmäßig.
Nach § 172 Abs. 1 SGB VI tragen für Beschäftigte, die versicherungsfrei sind wegen
1. des Bezugs einer Vollrente wegen Alters nach Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde (…) die Arbeitgeber die Hälfte des Beitrags, der zu zahlen wäre, wenn die Beschäftigten versicherungspflichtig wären. Bezieher einer Vollrente wegen Alters waren vor dem 31.12.2016 bei Ausübung einer Beschäftigung nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei in der Rentenversicherung, wenn die Regelaltersgrenze erreicht wurde. Beschäftigte, die am 31.12.2016 aufgrund des Bezugs einer Altersvollrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze rentenversicherungsfrei beschäftigt waren, blieben in dieser unverändert fortbestehenden Beschäftigung weiterhin rentenversicherungsfrei (§ 230 Abs. 9 Satz 1 SGB VI). Dass auch für diese Beschäftigten ein fiktiver Arbeitgeberbeitragsanteil zu zahlen ist, regelt der zum 01.01.2017 ebenfalls neu eingefügte § 276a Abs. 1a SGB VI. Die Betroffenen haben die Möglichkeit, auf die übergangsweise angeordnete Versicherungsfreiheit zu verzichten (§ 230 Abs. 9 Sätze 2 ff. SGB VI). § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI führt bei Beschäftigung dieses Personenkreises durch Arbeitgeber dazu, dass trotz einer fortbestehenden Versicherungsfreiheit vom Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen sind, die er auch alleine zu tragen hat (Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 172 SGB VI (Stand: 01.04.2021), Rn. 45). Die Vorschrift dient vorwiegend arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen: Absatz 1 soll – wie schon seine Vorgängerregelungen – Wettbewerbsvorteilen bei Arbeitgebern entgegenwirken, die anderenfalls bei der Beschäftigung versicherungsfreier Rentner (und der weiteren in Absatz 1 genannten Personengruppen) einträten. Die fiktiven Beitragsanteile nach Absatz 1 haben keine individuellen Auswirkungen für die Personen, für deren Beschäftigung sie vom Arbeitgeber gezahlt und getragen werden müssen. Der Beitragsanteil, den der Arbeitgeber nach § 172 Abs. 1 SGB VI zu zahlen hat, ist insofern kein echter, dem Versicherten zuzuordnender Rentenversicherungsbeitrag, es handelt sich um Beiträge mit Sondercharakter, die der Versichertengemeinschaft zufließen. Dieser Umstand wurde auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisiert, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch für zulässig erachtet (Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 172 SGB VI (Stand: 01.04.2021), Rn. 22). Der Umstand, dass trotz nicht bestehender Versicherungspflicht vom Arbeitgeber Beiträge zu zahlen und zu tragen sind, denen im Fall des § 172 Abs. 1 SGB VI für den Arbeitnehmer keine Leistungen gegenüberstehen, war mehrfach und auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen (siehe das folgende Zitat aus Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 172 SGB VI (Stand: 01.04.2021), Rn. 27). Schon 1962 hat das BVerfG zu der Verfassungsmäßigkeit der Vorgängerregelung zu § 172 Abs. 1 SGB VI entschieden, dass die Regelung des Arbeitgeberanteils von der Ermächtigung des Art. 74 Nr. 12 GG gedeckt ist und auch nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (BVerfG v. 16.10.1962 - 2 BvL 27/60 - BVerfGE 14, 312 ff.). Das BSG hat sich dem in seiner Entscheidung vom 09.03.1965 angeschlossen (BSG v. 09.03.1965 - 3 RK 49/61 – BSGE 22, 288 ff ). Erneut im Jahr 1980 hat das BVerfG diese Entscheidung bestätigt (BVerfG v. 21.07.1980 - 1 BvR 469/79 - SozR 2200 § 381 Nr. 38, das BSG hat sich wiederum angeschlossen (BSG v. 26.10.1982 - 3 RK 55/81 - USK 82132). Im Jahr 2003 hat sich das LSG Nordrhein-Westfalen mit der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung von Beiträgen für versicherungsfreie Arbeitnehmer gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI befasst und weder einen Verstoß gegen das Grundgesetz noch gegen europäisches Recht feststellen können (LSG Nordrhein-Westfalen v. 22.05.2003 - L 5 KR 147/02).
Die wesentliche Begründung der zitierten Entscheidung des BVerfG von 1962 ist, die Vorgängervorschrift von § 172 Abs. 1 S. 1 SGB VI sei eine Sondervorschrift dazu, dass für rentenversicherungsfreie Personen keine Beitragspflicht bestehe, auch für Arbeitgeber normalerweise nicht. Die Vorgängervorschrift von §172 Abs. 1 S. 1 SGV VI knüpft an die Beschäftigung der versicherungsfreien Altersruhegeldempfänger die Pflicht der Arbeitgeber, den Beitragsanteil zu zahlen, den sie zahlen müssten, wenn diese Personen versicherungspflichtig wären (BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1962 – 2 BvL 27/60 –, BVerfGE 14, 312-320, Rn. 24). Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus:
„Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu prüfen, ob eine solche Vorschrift notwendig und zweckmäßig ist. Entscheidend ist, dass sie nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich. Es liegt auf der Hand, dass der Vorschrift arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Überlegungen zugrunde liegen. Sie will - wie bereits dargelegt - verhindern, dass Arbeitgeber Altersrentner um des mit der Beitragsfreiheit verbundenen Kostenvorteils wegen beschäftigen. Dieses Ziel erscheint unter zwei Gesichtspunkten als sachlich gerechtfertigt. Einmal wird dadurch erreicht, dass Arbeitgeber, die Altersrentner beschäftigen, ihren Konkurrenten gegenüber keinen ungerechtfertigten Kostenvorteil genießen. Zum anderen darf der Gesetzgeber die bevorzugte Beschäftigung von Altersrentnern auch aus sozialpolitischen Gründen für unerwünscht halten; denn sie kann - insbesondere bei entspannter Arbeitsmarktlage - dazu führen, dass versicherungsfreie Altersrentner Arbeitsplätze blockieren, während versicherungspflichtige Arbeitnehmer, besonders ältere Angestellte, nur schwer in den Arbeitsprozess eingegliedert werden können“.
Dem hat das entscheidende Gericht nichts hinzuzufügen.
Schon da es sich bei den nach § 172 Abs. 1 SGB VI gezahlten Arbeitgeberbeiträgen nicht um Beiträge handelt, die eigene Rechte des Klägers begründen, scheidet hilfsweise auch eine Beitragsrückerstattung aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Zulässigkeit der Berufung auf §§ 143, 144 SGG.