S 39 KR 876/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KR 876/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

Für die Entleiherhaftung nach § 28e SGB IV gilt die Verjährungsfrist des § 25 SGB IV.


I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens, welche die Beklagte zu tragen hat.
III. Der Streitwert wird auf 3.442,03 Euro festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für nicht bezahlte Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den von ihr entliehenen Arbeitnehmer  E.in Höhe von 3.442,03 zu haften hat.
Die Klägerin hatte in der Zeit 01.01.2012 bis 30.04.2014 regelmäßig Arbeitnehmer der T. Dienstleistungs GmbH, die über eine entsprechende Verleiherlaubnis verfügte, entliehen. Die Arbeitnehmer waren bei der Klägerin im Bereich des Luftfrachtumschlags tätig.
Die Deutsche Rentenversicherung stellte aufgrund einer Betriebsprüfung mit Bescheid vom 17.10.2017 gegenüber der T. Dienstleistungs GmbH fest, dass für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.07.2017 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von 3.350,53 € (Beiträge und Säumniszuschläge) bestünden, da der Arbeitnehmer E.im Jahr 2013 (01.01.2013 bis 31.03.2013) unberücksichtigtes Arbeitsentgelt in Höhe von 5.088,93 Euro erhalten habe.
Das Amtsgericht Darmstadt verurteilte den ehemaligen Geschäftsführer- und weitere Angestellte wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt.
Das Amtsgericht Darmstadt eröffnete am 17.03.2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der der T. Dienstleistungs GmbH.
Die Beklagte nahm die Klägerin mit Bescheid vom 01.11.2017 für nicht bezahlte Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den entliehenen Arbeitnehmer der insolventen T. Dienstleistungs GmbH in Höhe von 3.350,53 € in Anspruch. Beigefügt war die "Anlage Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 2 SchwarzArbG" der Deutschen Rentenversicherung.
Die Klägerin forderte den gesamten Betriebsprüfungsbericht an, welchen sie mit Schreiben der Beklagten vom 30.11.2017 erhielt und erhob am 06.12.2017 die Einrede der Verjährung und legte gegen den Bescheid vom 01.11.2017 am 17.01.2018 Widerspruch ein.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2018 zurück. Die Klägerin hafte gemäß § 28e Abs. 2 S. 1 SGB IV als Entleiherin für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Die T. Dienstleistungs GmbH sei ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen, daher seien die Beiträge bei der Klägerin einzufordern. Die Forderung sei nicht verjährt, da nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV die vierjährige Verjährungsfrist gelte.
Die Klägerin hat am 04.06.2018 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Widerspruchsbescheid sei am 02.05.2018 zugegangen. Sie ist der Auffassung, dass der Bescheid rechtswidrig sei. Die Berechnungsgrundlage bezüglich Arbeitszeiten und Stundenlohn sei nicht bekannt gemacht worden und werde daher bestritten. Gegen den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung könne die Klägerin nicht vorgehen. Die Forderungshöhe sei daher im vorliegenden Verfahren zu prüfen. Die Entscheidung der anderen Behörden sei nicht bindend. Die Forderung sei zudem bereits verjährt. Es gelte die dreijährige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB, da es sich um eine Bürgschaftsforderung handele. § 25 SGB IV gelte nur für die Hauptforderung. Schließlich hafte die Klägerin gemäß § 24 Abs. 2 SGB IV nicht für Säumniszuschläge, da Beiträge für die Vergangenheit geltend gemacht würden und die Klägerin unverschuldet keine Kenntnis von der Beitragsschuld gehabt habe. Die Forderung sei zwischenzeitlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung beglichen worden.


Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid vom 01.11.2017 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 26.04.2018 wird aufgehoben.
2. Für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.442,03 Euro zu zahlen.


Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.


Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. Bezüglich der Beitragshöhe sei die Beklagte an die Feststellungen der Deutschen Rentenversicherung gebunden. Es handele sich bei der Entleiherhaftung um einen Beitragsanspruch und nicht einen solchen aus selbstschuldnerischer Bürgschaft, daher sei § 25 SGB IV maßgeblich für die Verjährung. Die Beklagte habe zudem erst mit der Betriebsprüfung von der Beitragsforderung Kenntnis erhalten, so dass die Verjährung nach § 195 BGB auch erst 2017 begonnen habe. Die Beklagte habe sich gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 SGB X auf die Ermittlungsergebnisse der anderen Behörden verlassen dürfen.
Mit Schreiben vom sind die Beteiligten zu einer möglichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akten der Beklagten sowie die Akten des Sozialgerichts verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.04.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der fristgemäß (§ 87 SGG) eingelegten Klage liegen allesamt vor. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.04.2018 bestehen nicht. Die Beklagte hat die unterlassene Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X).
Es bestehen auch keine Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) des Bescheids vom 01.11.2017. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für einen Haftungsbescheid nur das Bestehen einer Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber und die Haftung des Adressaten hierfür rechtsbegründend. Nur insofern gilt demnach auch das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 SGB X (BSG, Urteil vom 8.12.1999, Az. B 12 KR 18/99 R, Rn. 19). Die dem Bescheid vom 01.11.2017 beigefügte "Anlage Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 2 SchwarzArbG" enthält eine Auflistung aller offener Beiträge hinsichtlich dem von der Klägerin entliehenen Arbeitnehmer und den dazugehörigen Zeitraum; aus dieser ergibt sich der streitgegenständliche Haftungsbetrag.
Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist der Bescheid vom 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.04.2018 rechtmäßig.
Rechtsgrundlage des Haftungsbescheids ist § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Danach haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist (§ 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV).
Die Klägerin ist als Entleiherin richtige Adressatin des streitgegenständlichen Haftungsbescheids. Unstreitig handelt es sich vorliegend auch um einen Fall der legalen Arbeitnehmerüberlassung, da die T. Dienstleistungs GmbH über eine entsprechende Verleiherlaubnis verfügte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verleihers kann sich die Klägerin als Entleiherin von Arbeitnehmern nicht mehr auf eine ggfs. fehlende Mahnung berufen (BSG, Urteil vom 7.3.2007, Az. B 12 KR 11/06 R, LS 1).
Weder die Forderung gegen die T. Dienstleistungs GmbH als Hauptschuldnerin noch die Forderung gegen die als Entleiherin haftende Klägerin ist verjährt. Die Verjährung sowohl der Hauptforderung wie auch der Bürgschaftsforderung richtet sich nach § 25 SGB IV. Gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Der streitgegenständliche Bürgschaftsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin verjährt nicht nach der dreijährigen Verjährungsfrist gem. § 195 BGB. Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass für Bürgschaftsforderungen grundsätzlich die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) gilt (Zetzsche in: Erman, BGB, 16. Auflage, 2020, § 765 Rn. 38). Der hier streitgegenständlichen Entleiherhaftung liegt allerdings kein zivilrechtlicher Bürgschaftsvertrag im Sinne des § 765 BGB zu Grunde, sondern es handelt sich um eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft auf Grund der Regelung des § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV, wonach der Entleiher für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers bei einem wirksamen Vertrag wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Bei der Haftung "für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers" geht es um Gesamtsozialversicherungsbeiträge, also um "Ansprüche auf Beiträge". Die Haftung der Klägerin für offene Gesamtsozialversicherungsbeiträge resultiert aus dem SGB IV und ist somit öffentlich-rechtlicher Natur. § 25 Abs. 1 SGB IV normiert bezüglich Beitragsansprüchen eine spezielle Verjährungsregelung, die insoweit den Vorschriften des BGB vorgeht (so auch nach summarischer Prüfung BayLSG, Beschluss vom 8.8.2018, Az. L 4 KR 216/18 B ER, S. 10, SG München, Urteil vom 05. Oktober 2021 - S 28 KR 271/18). Aus der Formulierung gem. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV, dass der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet, ergibt sich nicht, dass die Verjährungsregeln des BGB anzuwenden sind. Der Verweis erschöpft sich darin, dass die Einrede der Vorausklage (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB) ausgeschlossen ist (Wehrhahn in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: Mai 2021, § 28e SGB IV Rn. 19, SG München, Urteil vom 05. Oktober 2021 - S 28 KR 271/18).
Letztlich kann die Frage, welches Verjährungsregime anwendbar ist dahinstehen. Denn auch bei Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist gem. § 195 BGB, ist der Bürgschaftsanspruch vorliegend nicht verjährt. Denn gem. § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2). Nach der glaubhaften Stellungnahme der Beklagten hat diese erst infolge der Übermittlung des Prüfberichts der Deutschen Rentenversicherung im Oktober 2017 von der Person des Entleihers sowie der die Entleiherhaftung begründenden Umstände Kenntnis erlangt. Die Verjährungsfrist hätte somit erst kurz vor Bekanntgabe des Bescheids zum 31.12.2017 begonnen; auch bei Anwendung der Verjährungsregeln der §§ 195ff. BGB wäre der Bürgschaftsanspruch damit nicht verjährt.
Die Säuminszuschläge sind ebenfalls in formell- und materiellrechmäßiger Weise festgesetzt worden und von der Klägerin zu entrichten. Die Klägerin beruft sich auf § 24 Abs. 2 SGB IV. Danach ist ein Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Diese Regelung ist vorliegend jedoch nicht anwendbar, denn die festgesetzten Säumniszuschläge sind solche für die Beitragsforderung gegen die T. Dienstleitungs GmbH auf Grund der von dieser nicht bezahlten Beiträge. Die Klägerin haftet für diese Beitragsschuld samt Säumniszuschlägen gemäß § 28e Abs. 2 SGB IV. Die Verantwortlichen der T. Dienstleitungs GmbH wurden auf Grund der nicht abgeführten Beiträge strafrechtlich verurteilt, sie können sich daher nicht auf eine unverschuldete Unkenntnis der Zahlungspflicht berufen. Die Klägerin haftet für diese Säumniszuschläge wie für die Hauptforderung gemäß § 28e Abs. 2 SGB IV.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Höhe der Beitragsforderung sei von der Beklagten nicht zutreffend ermittelt worden, kann die Klägerin auch mit diesem Einwand nicht durchdringen. Sie darf sich auf die Ermittlungen der Deutschen Rentenversicherung und des Hauptzollamts stützen, § 21 Abs. 1 SGB X. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermittlung der Beitragshöhe sind nicht vorhanden. Die Einzugsstelle muss in dem Haftungsbescheid an den Entleiher nur darlegen, für welche Arbeitnehmer und Beschäftigungszeiträume die Gesamtsozialversicherungsbeiträge gefordert werden (vgl. Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28e SGB IV (Stand: 01.08.2021), Rn. 68; siehe auch oben). Dies hat sie durch Beifügen der "Anlage Berechnung der Beiträge nach § 28p Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 2 Schwarz-ArbG" getan.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gem. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind der Beklagten die der Klägerin im Widerspruchsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Nach der genannten Vorschrift hat der Rechtsträger der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstandenen Kosten auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg gehabt hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Das war hier aufgrund der Heilung des der Beklagten unterlaufenen Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren der Fall. Die Kostentragungsregel des § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist zwingendes Recht und auch von den Gerichten bei ihrer Kostenentscheidung zu beachten (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az. B 6 KA 34/17 R, Rn. 37).
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG und entspricht der Klageforderung.

 

Rechtskraft
Aus
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