1. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist, dass der in Anspruch genommene Sozialleistungsträger die Leistung durch Verwaltungsakt abgelehnt hat.
2. Aus der Regelung in § 95 SGG, wonach Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist zu folgern, dass erst der Widerspruchsbescheid einem etwaigen Verwaltungsakt die für die gerichtliche Kontrolle maßgebende Form gibt.
3. Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage auch im Rahmen der unechten Leistungsklage eröffnet, liegt vor, wenn zwar der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht. Nicht anders ist zu entscheiden, wenn die Behörde im Widerspruchsbescheid zu erkennen gibt, dass eine hoheitliche Regelung mit Bindungswirkung nicht getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 1997 - 11 RAr 85/96 - NZS 1998, 191).
4. Von einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides ist nur auszugehen, wenn dies in der Klage(-schrift) oder im sonstigen Vorbringen des Klägers eindeutig zum Ausdruck gebracht wird.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Oktober 2023 aufgehoben, soweit der Beklagte dazu verurteilt worden ist, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeiträume vom 1. April 2019 bis 30. September 2019, vom 1. Dezember 2019 bis 31. Mai 2021 und vom 1. Juli 2021 bis 31. August 2021 zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zur Hälfte zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1964 geborene Kläger – im erstinstanzlichen Klageverfahren der Kläger zu 2. – wohnt zusammen mit der 1958 geborenen M G (G) – im erstinstanzlichen Klageverfahren die Klägerin zu 1. G verfügte über eine private Rentenversicherung mit aufgeschobener Ratenzahlung ab dem 1. Juli 2019 und einem vereinbarten Rentenbeginn am 1. Juli 2021. Über deren Verwertbarkeit als Vermögen und darüber, ob G und der Kläger eine Bedarfsgemeinschaft bilden, haben die Beteiligten im Klageverfahren im Wesentlichen gestritten.
Beide beantragten getrennt voneinander bei dem Beklagten Arbeitslosengeld II (Alg II). Den Antrag von G für die Zeit ab Februar 2019 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019 ab, weil G über anspruchsausschließendes Vermögen verfüge. Den Antrag des Klägers vom 11. Februar 2019 – nochmals gestellt am 6. März 2019 - für die Zeit ab April 2019 lehnte der Beklagte mit „Ablehnungsbescheid“ vom 27. Juni 2019 ab, da der Kläger als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit G keinen Anspruch auf Leistungen habe.
Am 23. Juli 2019 hat G gegen den an sie gerichteten Bescheid Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 13. August 2019 hat der anwaltlich vertretene Kläger „höchst vorsorglich“ Klage gegen den Bescheid vom 11. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019 erhoben. Er hat auf den gegen ihn gerichteten Bescheid vom 27. Juni 2019 hingewiesen, aber zugleich erklärt, da der Beklagte mit dem Bescheid vom 11. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019 G und den Kläger gemeinsam veranlage und derer beider Vermögen berücksichtige, verletzte auch dieser Bescheid die Rechte des Klägers, der also als Ablehnungsbescheid sowohl gegenüber G als auch den Kläger auszulegen sei.
In einem das Klageverfahren und das Eilverfahren S 25 AS 1122/19 ER betreffenden Erörterungstermin am 26. September 2019 hat sich der Beklagte nur im Eilverfahren dazu verpflichtet, G („darlehensweise“) und dem Kläger („vorläufig“ und „unter Vorbehalt der Rückforderung“) Alg II für Oktober und November 2019 zu gewähren. Der Beklagte hat dies mit Bescheiden vom 24. Oktober 2019 – einer für G, einer für den Kläger - über die vorläufige Gewährung von Leistungen umgesetzt.
In einem weiteren nur das vorliegende Klageverfahren betreffenden Erörterungstermin am 4. November 2019 haben G und der Kläger erklärt, sie würden an ihrem Vortrag, keine Bedarfsgemeinschaft zu sein, für die Zeit ab dem 21. Februar 2019 (Vor-Ort-Besuch des Prüfdienstes des Beklagten) nicht mehr festhalten. Der Beklagte hat sich im selben Termin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dazu verpflichtet, „den Klägern“ zur Überbrückung des Zeitraums der Ermittlungen von Amts wegen für die Zeit von Dezember 2019 bis Februar 2020 vorläufig Regelleistungen unter Vorbehalt einer Rückforderung und unter Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft sowie die Kosten der Unterkunft zu bewilligen.
Zwischenzeitlich hat der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27. Juni 2019 durch Widerspruchsbescheid vom 13. November 2019 zurückgewiesen mit der Begründung, es sei nicht separat über den Leistungsantrag des Klägers zu entscheiden gewesen. Denn er und G hätten eingeräumt, eine Bedarfsgemeinschaft zu sein. G habe Klage gegen den an sie gerichteten Bescheid erhoben, und der Kläger habe sich dem angeschlossen. Der Kläger hat dagegen am 13. Dezember 2019 „vorsorglich fristwahrend“ Klage erhoben (Az. S 25 AS 1716/19). Das Sozialgericht hat den Kläger auf dessen Erklärungen im Erörterungstermin am 4. November 2019 im hiesigen Klageverfahren hingewiesen, woraufhin dieser mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 die Klage im Verfahren S 25 AS 1716/19 zurückgenommen hat.
Seit dem 1. Juni 2021 bezieht G von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg eine Altersrente für langjährig Versicherte. Am 9. September 2021 hat der Kläger bei dem Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag gestellt, der ihm mit Bescheid vom 11. Oktober 2021 für den Zeitraum von September 2021 bis Februar 2022 vorläufig Leistungen bewilligt hat.
Mit Bescheiden vom 18. Juli 2023 hat der Beklagte G Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis 30. September 2019 und G und dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2019 bis 30. November 2019 bewilligt. Mit Schriftsatz vom 17. August 2023 hat G das darin zum Ausdruck kommende Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Nur der Kläger hat erklärt, das Verfahren fortzusetzen.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 5. Oktober 2023 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 dazu verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeiträume vom 1. April 2019 bis 30. September 2019, vom 1. Dezember 2019 bis 31. Mai 2021 und vom 1. Juli 2021 bis 31. August 2021 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen bei einer hälftigen Kostenquote. G und der Kläger hätten eingeräumt, eine Bedarfsgemeinschaft zu sein. Der Beklagte habe anerkannt, dass es sich bei der privaten Rentenversicherung von G bis zur Auszahlung der Versicherungsleistung am 30. Juni 2021 um nicht verwertbares Vermögen handele. Streitig sei daher zwischen den Beteiligten allein die Zulässigkeit der Klageerweiterung auf den Kläger und die Geltungsdauer des Ablehnungsbescheides vom 27. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019. Die Klageänderung sei nach § 99 Abs. 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Eine Klageänderung sei mit Schriftsatz vom 14. August 2019 durch die Erweiterung der Klage auf den Kläger erfolgt. Der Beklagte habe sich hierauf insbesondere auch in den Erörterungsterminen rügelos eingelassen. Die geänderte Klage sei mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 zulässig geworden. Streitig sei der Zeitraum vom 1. April 2019 bis 30. September 2019 und der vom 1. Dezember 2019 bis 31. August 2021. Der Ablehnungsbescheid vom 27. Juni 2019 sei zeitlich nicht befristet, so dass sich der Leistungszeitraum grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor der Tatsacheninstanz erstrecke, wenn nicht zuvor auf einen weiteren Leistungsantrag eine weitere Verwaltungsentscheidung getroffen werde. Hier habe der Beklagte auf einen Folgeantrag des Klägers vom 14. September 2021 mit Bescheid vom 11. Oktober 2021 Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. September 2021 bewilligt, so dass der Kläger zutreffend den streitigen Zeitraum bis auf den 31. August 2021 beschränkt habe. Bei dem an den Kläger für die Monate Oktober und November 2019 gerichteten Bescheid handele es sich um keine weitere Verwaltungsentscheidung auf einen erneuten Leistungsantrag, sondern um die Umsetzung des Anerkenntnisses im Eilverfahren S 25 AS 1122/19 ER. Der Anspruch für die tenorierten Zeiträume bestehe, insoweit habe auch ein Grundurteil gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG ergehen dürfen. Kein Anspruch bestehe nur für den Monat Juni 2021, weil in diesem Monat an G die Leistung aus der privaten Rentenversicherung in Höhe von rund 25.000,- Euro ausgezahlt worden sei.
Gegen das ihm am 19. Oktober 2023 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 7. November 2023 Berufung eingelegt. Es sei unzulässig gewesen, dem Kläger Leistungen zuzusprechen. Die Kläger müssten sich der Klageschrift entnehmen lassen. Mit dem Bescheid vom 11. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019 sei keine Entscheidung in Bezug auf den Kläger getroffen worden, der zudem die Klage gegen den an ihn gerichteten Bescheid vom 27. Juni 2019 zurückgenommen habe. Vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass der zulässige Streitzeitraum wegen des Bescheides vom 18. Juli 2023 auf den 30. September 2019 beschränkt sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 5. Oktober 2023 aufzuheben, soweit mit ihm die Klage nicht abgewiesen worden ist und die Klage ganz abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er habe seine Klage im Verfahren S 25 AS 1716/19 zurückgenommen, um eine doppelte Rechtshängigkeit zu beseitigen. Im Übrigen hält er das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte S 25 AS 1716/19 und die den Kläger sowie betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 SGG.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nur teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zum Teil unzutreffend. Eine Verurteilung zur Leistungsgewährung an den Kläger war aufgrund der verworrenen Bescheidlage nicht möglich. Die Klage ist unzulässig, soweit mit ihr Leistungen geltend gemacht werden. Allerdings war der ausdrücklich so bezeichnete „Ablehnungsbescheid“ vom 27. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 mindestens zur Herstellung der Rechtssicherheit aufzuheben und das angefochtene Urteil daher insoweit zu bestätigen, als das Sozialgericht den genannten Bescheid aufgehoben hat. Konsequenz ist, dass der Beklagte über den offenen Leistungsantrag des Klägers vom 11. Februar 2019 für alle Zeiträume, über die das Sozialgericht entschieden hat – mit Ausnahme des Juni 2021, weil insoweit eine rechtskräftige Klageabweisung vorliegt (§ 141 Abs. 1 SGG) – neu wird entscheiden müssen.
Die Klage ist als unechte Leistungsklage unzulässig. Allerdings ist das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen, dass durch die Erweiterung der Klage auf den Kläger einerseits eine Klageänderung vorliegt (§ 99 Abs. 1 SGG), die aufgrund rügeloser Einlassung des Beklagten andererseits zulässig geworden ist (§ 99 Abs. 2 SGG). Auch hat das Sozialgericht im Grundsatz zu Recht angenommen, dass auch die geänderte Klage ihrerseits zulässig sein muss. Der Senat teilt aber nicht die Einschätzung des Sozialgerichts, dass dies der Fall ist.
Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, die geänderte Klage sei mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 zulässig geworden. Dies ist nicht der Fall. Denn Voraussetzung für die Zulässigkeit der hier allein in Frage kommenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage ist, dass der in Anspruch genommene Sozialleistungsträger die Leistung durch Verwaltungsakt abgelehnt hat (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 54, Rn. 38). Daran fehlt es hier. Das gilt ohne weiteres für den an G gerichteten Bescheid vom 11. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019, gegen den sich der Kläger folgerichtig im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht nicht mehr gewandt hat. Denn dieser Bescheid betrifft nach seinem Verfügungssatz ausschließlich G. Dass in dem Widerspruchsbescheid vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen und insoweit auch Vermögen des Klägers berücksichtigt wird, betrifft allein die Bescheidbegründung, ändert aber nichts daran, dass nur von „der Widerspruchsführerin“ die Rede ist. Die Erklärungen des Klägers und der G im Erörterungstermin am 4. November 2019 über das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft vermögen dem Bescheid keinen weiteren Regelungsgehalt zu verleihen. Dass das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 (B 7b AS 8/06 R – NZS 2007, 328 mit Anm. Lauterbach), nach dem für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2007 Anträge im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie Urteile, die eine Bedarfsgemeinschaft betreffen, großzügig auszulegen sind, schon wegen Ablaufs der genannten Übergangszeit nicht einschlägig ist, hat der Beklagte zutreffend ausgeführt. Daher kommt es nicht darauf an, dass dieses Urteil wohl ohnehin keinen Einfluss auf die vorliegende Fallkonstellation hätte, in der ein Bescheid eindeutig nur die Ansprüche eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft regelt.
Die unechte Leistungsklage ist auch nicht gegen den „Ablehnungsbescheid“ vom 27. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 zulässig. Denn bei dem als „Ablehnungsbescheid“ bezeichneten Schriftstück vom 27. Juni 2019 handelt es sich in der „Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat“ entsprechend § 95 SGG um keinen Verwaltungsakt (mehr). Wollte man dies anders sehen, wäre er entweder gemäß § 40 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nichtig oder jedenfalls rechtswidrig und aufzuheben.
Bei dem Schreiben vom 27. Juni 2019 handelt es sich allerdings für sich betrachtet zweifellos um einen Ablehnungsbescheid an den Kläger, was bereits seine Überschrift erhellt. Die eigenwillige Begründung aus dem Widerspruchsbescheid vom 13. November 2019 nimmt ihm indes diese Eigenschaft. Denn ausweislich der Begründung am Ende des Widerspruchsbescheides ist dem Kläger ausdrücklich das Recht abgesprochen worden, eine Entscheidung über seinen Leistungsantrag vom 11. Februar 2019 (und vom 6. März 2019) zu erhalten. Zu Beginn unter II. heißt es demgemäß, es bestehe kein Anspruch des Klägers auf eine gesonderte Entscheidung („Ablehnung oder Bewilligung“). Aus der Regelung in § 95 SGG, wonach Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist zu folgern, dass erst der Widerspruchsbescheid einem etwaigen Verwaltungsakt die für die gerichtliche Kontrolle maßgebende Form gibt. Ein Verwaltungsakt, der die Anfechtungsklage auch im Rahmen der unechten Leistungsklage eröffnet, liegt daher vor, wenn zwar der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war, jedoch der Widerspruchsbescheid aus der schlichten Willenserklärung der Behörde einen Verwaltungsakt macht. Nicht anders ist zu entscheiden, wenn die Behörde im Widerspruchsbescheid zu erkennen gibt, dass eine hoheitliche Regelung mit Bindungswirkung nicht getroffen werden sollte (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 1997 - 11 RAr 85/96 - NZS 1998, 191). Der Beklagte hat mit seinem Widerspruchsbescheid und dadurch, dass er darin dem Kläger jeglichen Bescheidungsanspruch abgesprochen hat, dem „Ablehnungsbescheid“ vom 27. Juni 2019 jede auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtete abschließende Regelung genommen. In entsprechender Anwendung des § 95 SGG folgt daraus, dass eine Verwaltungsentscheidung über den Antrag des Klägers vom 11. Februar 2019 nicht vorliegt.
Soweit man trotz der vorstehenden Ausführungen von einem Verwaltungsakt ausgehen wollte, bestünde seine Regelung darin, dem Kläger einen Bescheidungsanspruch auf seinen Antrag vom 11. Februar 2019 und vom 6. März 2019 abzusprechen, was ein wenig an ein Oxymoron erinnert. Ein solcher Verwaltungsakt wäre entweder gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 40 Abs. 1 SGB X (§ 40 Abs. 2 und 3 SGB X sind nicht einschlägig) nichtig oder mangels Ermächtigungsgrundlage mindestens rechtswidrig.
Geht man vom Nichtvorliegen eines Verwaltungsaktes aus, war gleichwohl eine Beseitigung des Rechtsscheins einer ablehnenden Entscheidung durch Aufhebung geboten (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, Anhang § 54, Rn. 26), zumal sich der Beklagte in seiner Berufungsschrift auf die Bestandskraft der (vermeintlichen) Ablehnung gestützt hat. Geht man vom Vorliegen eines nichtigen Verwaltungsaktes aus, gilt dasselbe (vgl. Keller, a. a. O., Rn. 27), und erst Recht gilt dies bei Annahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Das Urteil des Sozialgerichts ist mithin zu bestätigen, als es den „Ablehnungsbescheid“ vom 27. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 – wenn auch aus anderen Gründen – aufgehoben hat.
Eine Aufhebung nur des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2019 scheidet aus. Zwar erscheint es durchaus vertretbar, in der vorliegenden Fallkonstellation anzunehmen, der Widerspruchsbescheid enthalte gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche Beschwer, weil er dem Kläger – anders als der „Ablehnungsbescheid“ – sogar das Recht auf eine auch ablehnende Entscheidung nimmt (vgl. BeckOGK/Diehm, SGG, § 95, Rn. 34). Von einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides ist aber nur auszugehen, wenn dies in der Klage(-schrift) oder im sonstigen Vorbringen des Klägers eindeutig zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Diehm, a. a. O., Rn. 35), woran es hier fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.