1. Die Zeit einer im Rahmen des richterlichen Ermessens nicht willkürlich beschlossenen Aussetzung des Verfahrens ist keine Zeit der Inaktivität des Gerichts (vergleiche BSG,Beschluss vom 30. März 2023 – B 10 ÜG 2/22 B –, juris).
2. Zur Mitverantwortung der Klägerseite für die Verfahrensdauer.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen unangemessener Dauer von sechs Monaten des beim Sozialgericht Ulm (zuletzt) unter dem Az. S 12 KR 4194/19 geführten Klageverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 600,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu fünf Sechsteln und der Beklagte zu einem Sechstel zu tragen.
Der Streitwert wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht einen Entschädigungsanspruch nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) geltend. Er stützt sein Begehren auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 3.750,00 Euro auf das vor dem Sozialgericht (SG) Ulm anhängig gewesene Verfahren, zuletzt geführt unter dem Aktenzeichen (Az.) S 12 KR 4194/19. Gegenstand dieses Verfahrens waren öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche, vertragliche Ansprüche sowie deliktische Schadensersatzansprüche einer gesetzlichen Krankenkasse gegen den Kläger.
Am 29.12.2015 erhob die KKH Kaufmännische Krankenkasse (im Folgenden KV) beim SG Würzburg Leistungsklage gegen acht Pflegekräfte, darunter den Kläger, (dortiges Az. S 11 KR 648/15) und stützte ihre Forderung in Höhe von insgesamt 252.196,77 Euro, gegen den Kläger in Höhe von 44.631,00 Euro, auf einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, vertragliche Ansprüche und deliktische Schadensersatzansprüche und legte den dortigen Beklagten die gemeinschaftlich begangene betrügerische Abrechnung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege als Sachleistung nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bzw. die betrügerische Angabe von tatsächlich nicht erbrachten Pflegestunden im Rahmen eines Persönlichen Budgets (PB) nach § 17 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX ) zur Last.
Das SG Würzburg setzte zunächst mit Beschluss vom 31.03.2016 das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens aus. Später setze es das Verfahren zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit fort, trennte das Klageverfahren (Beschluss vom 26.04.2016) und verwies schließlich mit Beschluss vom 03.05.2016 das gegen den Kläger anhängige Klageverfahren an das SG Ulm. Dort ist die Klage am 01.06.2016 eingegangen.
Dem war vorausgegangen, dass der 1991 geborene E1 (im Folgenden Versicherter), der bei der KV krankenversichert (Familienversicherung) und aufgrund einer vorliegenden Muskeldystrophie vom Typ Duchenne pflegebedürftig war, im streitigen Zeitraum aufgrund seiner Erkrankung einen Anspruch gegen die KV auf Leistungen zur häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) hatte. Er erhielt ein PB, mit dem die Behandlungspflege der häuslichen Krankenpflege durch den Versicherten eigenverantwortlich „mit entsprechenden Pflegekräften“ sichergestellt werden sollte. Der Kläger wurde von den Eltern des Versicherten neben anderen Pflegekräften mit der Pflege des Versicherten beauftragt. Die vom Kläger ausgestellten Rechnungen dienten als Nachweis für die zweckentsprechende Verwendung der als PB ausgezahlten Geldbeträge. Am 20.01.2012 ging bei der KV ein Hinweis ein, wonach die häusliche Krankenpflege für den Versicherten zum Großteil durch dessen Eltern und nicht durch Pflegekräfte durchgeführt werde und die Pflegekräfte zum Schein mehr Stunden in Rechnung stellten als sie tatsächlich erbracht hätten. Die KV erstattete am 10.02.2012 Strafanzeige gegen die Eltern des Versicherten und die Pflegekräfte, darunter auch der Kläger, bei der Staatsanwaltschaft A1. Die Staatsanwaltschaft A1 erhob mit Anklageschrift vom 11.05.2018 gegen den Vater des Versicherten und die Inhaberin eines Pflegedienstes wegen gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrugs Anklage zur Strafkammer des Landgerichts A1. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss vom 07.10.2020 nach § 153a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO; Bl. 96 SG-Akte S 12 KR 4194/19) eingestellt. Hinsichtlich der Pflegekräfte war das Ermittlungsverfahren abgetrennt worden. Das Amtsgericht O1 erlies gegen den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits am 12.11.2018 einen Strafbefehl wegen Beihilfe zum Betrug. In dem Strafbefehl wurde dem Kläger vorgeworfen, vor Beginn der beim Versicherten erbrachten Pflegeleistungen mit dessen Eltern vereinbart zu haben, dass diese ihren Sohn zu nicht unerheblichen Zeiten selbst pflegen, der Kläger jedoch die von den Eltern geleisteten Pflegestunden abrechnet und in Rechnungen, die an den Versicherten adressiert waren, als eigene Pflegeleistungen geltend macht. Gegen den Strafbefehl erhob der Kläger Einspruch. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom Amtsgericht O1 mit Beschluss vom 10.12.2020 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt (vgl. Anlagenband zu S 12 KR 4194/19).
Beim SG Ulm wurde die Klage zunächst unter dem Az. S 15 KR 1715/16 geführt. Mit Schreiben vom 03.06.2016 wurden die Beteiligten über den Eingang des Verfahrens beim SG informiert worden (Bl. 122 SG-Akte S 15 KR 1715/16), mit Schreiben vom 24.06.2016 forderte das SG weitere Unterlagen vom SG Würzburg an und bat mit Schreiben vom 29.07.2016 die KV um eine ergänzende Klagebegründung und Mitteilung zum Ermittlungsstand bei der Staatsanwaltschaft (Bl. 124). Diese übermittelte mit Schreiben vom 10.08.2016 das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft, teilte die Kontaktdaten des ermittelnden Staatsanwaltes mit und erklärte, dass man ein Aktendoppel der polizeilichen Ermittlungen habe, was aber derzeit nicht herausgegeben werden dürfe. Man rege daher an, das Verfahren bis zur Anklageerhebung ruhend zu stellen (Bl. 126). Mit Schreiben vom 17.08.2016 erwiderte der Kläger hierauf, widersprach einem Ruhen und der Beiziehung der Ermittlungsakten ausdrücklich und mahnte eine ausführliche Klagebegründung der KV an (Bl. 130). Dieses Schreiben wurde der KV mit Schreiben vom 30.08.2016 mit der Bitte um Stellungnahme übersandt. Am 19.09.2016 bat der Klägervertreter um Mitteilung, ob die Klagebegründung eingegangen sei (Bl. 133). Das SG erklärte mit Schreiben vom 26.09.2016, dass es beabsichtige das Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens auszusetzen und gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 134 R). Daraufhin beantragte der Klägerbevollmächtigte Akteneinsicht in die Gerichts- sowie alle beigezogenen Akten (Bl. 135). Das SG übersandte sodann die Gerichtsakte mit Schreiben vom 04.10.2016 an den Bevollmächtigten. Eine Verwaltungsakte liege bislang nicht vor (Bl. 136). Am 05.10.2016 wurde die polizeiliche Ermittlungsakte auf CD von der KV vorgelegt. Diese sei „nur für das Gericht“ (Bl. 137). Diese CD schickte das SG mit Schreiben vom 07.10.2016 mit der Bitte um Vorlage eines Aktendoppels in Papier, sobald auch der Kläger Akteneinsicht nehmen dürfe, an die KV zurück (Bl. 138). Am 12.10.2016 gingen die Gerichtsakten wieder beim SG Ulm ein (Bl. 140). Mit Schreiben vom 27.10.2016 teilte die KV mit, dass sie die Ermittlungsakten nicht kopieren werde. Der Kläger habe als Beschuldigter ein eigenes Akteneinsichtsrecht im Strafverfahren. Man könne zudem weiterhin die CD übermitteln, die Staatsanwaltschaft habe dem auch inzwischen zugestimmt (Bl. 141). Mit Schreiben vom 01.11.2016 (Bl. 148-153) wehrte der Klägerbevollmächtigte sich nochmals gegen die Aussetzung und führte aus, dass das Gericht mangels ausreichenden Sachvortrages durch die KV die Ermittlungsakten nicht beiziehen dürfe, da nicht feststehe, dass das Strafverfahren für das vorliegende Verfahren von Bedeutung sei. Dieses Schreiben wurde der KV am 08.11.2016 mit der Bitte um Stellungnahme übersandt (Bl. 153 R). Mit Schreiben vom 14.11.2016 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers, er sei nicht auch der Strafverteidiger und habe daher kein Einsichtsrecht in die Akten im Ermittlungsverfahren. Mit Schreiben vom 06.12.2016 legte die KV die erbetene Stellungnahme vor und machte Ausführungen zur Akteneinsicht (Bl. 156-160). Hierauf erwiderte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 15.12.2016 (Bl. 166-170) und führte erneut aus, dass die KV nicht substantiiert vorgetragen habe. Dieses Schreiben wurde der KV vom SG am 20.12.2016 zur Stellungnahme übersandt (Bl. 170 R). Nach Sachstandanfragen durch den Bevollmächtigten stellte das SG am 23.02.2017 eine Anfrage zum Stand der Ermittlungen bei der zuständigen Staatsanwaltschaft (Bl. 172 R). Mit Schreiben vom 22.02.2017 (Bl. 173) und 01.03.2017 (Bl. 177) legten der Klägerbevollmächtige und die KV nochmals ihre Standpunkte zur Akteneinsicht dar und mit Schreiben vom 08.03.2017 erklärte der Bevollmächtigte auch gegenüber dem SG nochmals, mit einer Übermittlungen von Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft nicht einverstanden zu sein (Bl. 181). Auf Sachstandsanfragen des Bevollmächtigten teilte das SG am 21.04.2017 mit, dass die Strafakte bislang nicht vorliege. Mit Schreiben vom 18.04.2017 (Bl. 186) übersandte die KV erneut ein Doppel der Ermittlungsakten auf CD. Die Akten könnten auch an den Kläger herausgegeben werden. Dieser habe aber bereits auch Akteneinsicht gehabt. Der Bevollmächtigte des Klägers erwiderte hierauf, dass das Gericht diese Akte ungesehen zurücksenden möge. Es liege nach wie vor kein Sachvortrag der KV vor (Schreiben vom 28.04.2017, Bl. 189). Das SG bat daraufhin die KV um Übersendung der Akten in Papierform, da eine digitale Aktenführung bei Gericht derzeit nicht zulässig sei (Schreiben vom 05.05.2017, Bl. 190 R). Am 12.07.2017 wurden daraufhin fünf Band Leitzordner mit der ausgedruckten Ermittlungsakte von der KV vorgelegt (Schreiben vom 07.07.2017 Bl. 191). Das SG fragte daraufhin beim Klägervertreter an, ob Akteneinsicht beantragt werde (Bl. 192). Dieser forderte daraufhin zunächst mit Schreiben vom 25.07.2017 und 31.07.2017 (Bl. 193,195) seiner Ansicht nach fehlende Anlagen zum Schreiben der KV vom 07.07.2017 an und bat um Übersendung eines Doppels, woraufhin die KV mitteilte, dass es sich bei den in diesem Schreiben genannten Anlagen um die fünf Band Leitzordner Ermittlungsakten handle. Das SG erklärte daraufhin mit Schreiben vom 18.08.2017 (Bl. 197), dass es sich bei der vorgelegten Kopie der Ermittlungsakten, auch wenn sie von der KV vorgelegt worden seien, um beigezogene Akten der Staatsanwaltschaft handle und daher die KV nicht verpflichtet sei, diese doppelt vorzulegen. Der Bevollmächtigte des Klägers trat dieser Rechtsauffassung mit Schreiben vom 22.08.2017 entgegen (Bl. 200) und begehrte erneut die Übersendung der Unterlagen als Doppel. Das SG teilte daraufhin mit Schreiben vom 29.08.2017 mit, dass es bei seiner Rechtsauffassung bleibe und bat letztmals um Mitteilung, ob Akteneinsicht begehrt werde. Mit Schreiben vom 05.09.2017 (Bl. 206) bat der Bevollmächtigte daraufhin um Mitteilung, wann Akteneinsicht beim SG genommen werden könne. Mit Schreiben vom 10.10.2017 machte die KV weitere Ausführungen zur Akteneinsicht, auf die der Klägervertreter mit Schreiben vom 23.10.2017 erwiderte (Bl. 216) und nun die Übernahme der Kosten für Ablichtungen aus den Ermittlungsakten durch die KV beantragte. Auf dieses der KV mit Schreiben vom 30.10.2017 zur Stellungnahme übersandte Gesuch (Bl. 217 R) erwiderte diese nach Erinnerung durch das SG (Schreiben vom 12.12.2017; Bl. 219 R) mit Schreiben vom 28.12.2017, dass man zu einer Kostenübernahme nicht bereit sei (Bl. 220). Das SG fragte nach Eingang eines weiteren Schreibens des Klägerbevollmächtigten zu dieser Frage zunächst mit Schreiben vom 12.01.2018 (Bl. 223) bei der Staatsanwaltschaft nach, ob inzwischen ein Termin für die Abschlussverfügung bekannt sei und lehnte mit Beschluss vom 23.02.2018 den Kostenantrag des Klägerbevollmächtigten ab (Bl. 224). Nachdem der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 27.02.2018 (Bl. 231), 06.03.2018 (Bl. 234) und 13.03.2018 (Bl. 237) um richterlichen Hinweis zur Schlüssigkeit der Klage der KV bat, erteilte das SG mit Schreiben vom 15.03.2018 (Bl. 239) einen solchen Hinweis und setzte mit Beschluss vom 28.03.2018 das Verfahren bis zur Erledigung des Strafverfahrens, das zu dieser Zeit als Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft A1 anhängig war aus.
Im Anschluss tat der Bevollmächtigte zwar seine Unzufriedenheit mit dem Aussetzungsbeschluss kund und bat um Akteneinsicht in die Ermittlungsakten (vgl. Schreiben vom 04.04.2018 und 18.04.2018; Bl. 247, 252), eine Beschwerde gegen den Beschluss wurde aber nicht erhoben. Nach Mitteilung der KV, dass inzwischen Anklage erhoben worden sei, teilte das SG mit Schreiben vom 31.07.2018 auf Nachfrage des Klägerbevollmächtigtem mit, dass diese nicht angefordert werde, da das Verfahren ausgesetzt sei (Bl. 260 R). Nach Ablauf von sechs Monaten wurde das unter dem Az. S 15 KR 1715/16 geführte Verfahren entsprechend den Vorgaben der Aktenordnung ausgetragen (Bl. 261).
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 25.10.2018 die Wiederaufnahme des Klageverfahrens und das Verfahren wurde nun unter dem neuen Az. S 12 KR 3227/18 geführt. Mit Beschluss vom 30.11.2018 lehnte das SG den Antrag auf Wiederaufnahme ab, da - trotz des Ausscheidens des Klägers aus dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft A1 - unter Hinweis auf die Ausführungen des Aussetzungsbeschlusses vom 29.03.2018 die dort genannten Gründe für die Aussetzung weiterhin vorlägen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob trotz weiterer Schreiben vom 04.12.2018 und 11.12.2018, in denen er aufforderte, das Verfahren zu beschleunigen, wiederum keine Beschwerde gegen diese Entscheidung. Das Verfahren S 12 KR 3227/18 wurde daraufhin als „sonstige Erledigung“ wieder ausgetragen, da eine Wiederaufnahme des Klageverfahrens durch den Beschluss abgelehnt worden sei.
Am 12.12.2018 beantragte der Kläger erneut die Fortführung des ausgesetzten Verfahrens. Wegen dieses Antrags wurde dann das neue Az. S 12 KR 239/19 vergeben, worüber die Beteiligten mit Schreiben vom 18.12.2018 bzw. 15.09.2019, verbunden mit dem Hinweis, dass das Verfahren ausgesetzt sei, informiert wurden.
Bereits mit Schreiben vom 27.12.2018 erhob der Kläger erstmals Verzögerungsrüge und führte aus, dass das Verfahren bereits seit über zwei Jahren und sechs Monaten beim SG Ulm anhängig sei und eine Förderung des Klageverfahrens durch das SG nicht erkennbar sei, so dass von einer deutlichen Verzögerung auszugehen sei.
Auch der Antrag vom 12.12.2018 auf Fortführung des Verfahrens wurde - nach Abarbeitung weiterer zusätzlicher vom Bevollmächtigten formulierter umfangreicher Anfragen zur Aktenordnung sowie zum Stand und der Bedeutung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zum hiesigen Verfahren und Aufforderungen zur Stellungnahme bzw. Übersendung von Geschäftsverteilungsplänen der Jahre 2018 und 2019 - schließlich vom SG mit Beschluss vom 01.08.2019 abgelehnt. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mittels Empfangsbekenntnis am 07.08.2019 zugestellt. Zur Begründung führte das SG u.a. aus, nach § 114 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergebe, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss sei, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Die Vorschrift sei entsprechend anzuwenden, wenn ein Ermittlungsverfahren bereits vor Klageerhebung anhängig sei. Die Entscheidung nach § 114 Abs. 3 SGG und damit auch die Entscheidung über die Aufhebung stehe im Ermessen des Gerichts, das u.a. die zu erwartende Arbeitserleichterung, die besondere Fachkunde des anderen Gerichts, die Vermeidung von Doppelarbeit oder von sich widersprechenden Entscheidungen einerseits und Verzögerungen im sozialgerichtlichen Verfahren andererseits gegeneinander abzuwägen habe. Dabei sei auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen. Zudem hätten sich die Gerichte bei zunehmender Verfahrensdauer um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreits sei ebenfalls ein Gesichtspunkt, der in die Ermessenserwägung einzustellen sei.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sei nach billigem Ermessen eine Aussetzung des Verfahrens vorliegend weiterhin gerechtfertigt. Das Gericht berücksichtige hierbei, dass das vorliegende Verfahren im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung seit vier Jahren anhängig sei. Auch habe die Kammer hierbei berücksichtigt, dass das Ermittlungsverfahren bereits seit 2012 andauere und dies erst am 11.05.2018 in einer Anklage gegen den Vater des Versicherten bzw. in einem Strafbefehl gegen den Kläger gemündet habe. Demgegenüber sei der Anklageschrift vom 11.05.2018 im Verfahren zu entnehmen, dass in dem Strafverfahren - entgegen dem Vortrag des Klägers - auch eine Beweiserhebung im Hinblick auf die Vereinbarungen bezüglich der Abrechnung von Pflegestunden, die durch den Kläger mutmaßlich erbracht worden seien, erfolgen werde. Die dort gewonnenen Ergebnisse könnten im vorliegenden Verfahren eingeführt und berücksichtigt werden, ohne dass eine erneute aufwändige Beweiserhebung erforderlich wäre, so dass die weitere Aussetzung auch der Vermeidung von Doppelarbeit diene. Zudem würden hierdurch die besondere Sachkunde und die weitergehenden Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft für das SG nutzbar gemacht. Dieses Verfahren sei ab dem 12.09.2019 beim Landgericht A1 terminiert, so dass nicht mit einer weiteren erheblichen Verzögerung zu rechnen sei. Zudem habe die Kammer berücksichtigt, dass die Weiterführung des vorliegenden Verfahrens die Gefahr widersprechender Entscheidungen im hiesigen Verfahren einerseits und dem Strafverfahren bzw. dem ausgesetzten Verfahren beim SG Würzburg andererseits in sich bergen würde.
Auch das Verfahren S 12 KR 239/19 wurde sodann als „sonstige Erledigung“ ausgetragen, da eine Wiederaufnahme des Klageverfahrens erneut nicht erfolgt sei.
Bereits mit Schreiben vom 28.06.2019 (Bl. 65 SG-Akte S 12 KR 239/19) erhob der Klägervertreter erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen mehr als 25 Monate beim SG anhängig.
Gegen den Beschluss des SG vom 01.08.2019 erhob der Kläger fristgerecht Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Das LSG wies die Beschwerde mit Beschluss vom 07.11.2019 (- L 11 KR 2795/19 B -) zurück und führte zur Begründung aus, dass, wenn wie im vorliegenden Fall, die Voraussetzungen für eine (weitere) Aussetzung des Klageverfahrens vorlägen, die Aussetzung ebenso wie die Ablehnung einer Fortführung des Klageverfahrens im Ermessen des SG stehe. Das SG habe von dem ihm zustehenden Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt sei auch zu berücksichtigen, dass, wenn wie hier einem geltend gemachten Schadensersatzanspruch und einem Strafverfahren derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liege, eine Aussetzung regelmäßig geboten sei (vgl. BGH Beschluss vom 24.04.2018 - VI ZB 52/16 -). Die umfangreichen Prozessakten befanden sich sodann bis Mitte November 2019 beim LSG Baden- Württemberg.
Bereits mit Schreiben vom 07.08.2019 lehnte der Kläger die Kammervorsitzende des SG wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieses Ablehnungsgesuch verwarf der Vorsitzende der 6. Kammer des SG Ulm nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme, Einwänden hiergegen und Fragen zur Zuständigkeit für Ablehnungsentscheidungen durch den Bevollmächtigten des Klägers sowie nach Rücklauf der Akten durch das LSG Baden-Württemberg mit Beschluss vom 03.01.2020 als unzulässig (- S 6 SF 2869/19 AB -).
Bereits während des laufenden Beschwerdeverfahrens beim LSG beantragte der Kläger zudem mit Schreiben vom 20.11.2019 erneut die Fortführung des Verfahrens. Hierzu wurde vom SG das Aktenzeichen S 12 KR 4194/19 vergeben.
Mit Schreiben vom 30.12.2019 erhob der Klägervertreter erneut Verzögerungsrüge (Bl. 8 SG-Akte S 12 KR 4194/19). Das Verfahren sei inzwischen mehr als 31 Monate beim SG anhängig.
Auf seinen Antrag vom 09.01.2020 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers u.a. Akteneinsicht in die gesamte Verfahrensakte beim SG gewährt.
Mit Schreiben vom 16.04.2020 (Bl. 51 R) teilte das SG Ulm den Beteiligten mit, dass beabsichtigt sei, das Verfahren fortzusetzen, weil das Strafverfahren beim Landgericht A1 nach einem Verteidigerwechsel beim Vater des Versicherten zunächst ausgesetzt worden sei und die für die Hauptverhandlung angesetzten Termine in der Zeit von April bis Juli 2020 aufgrund der Coronapandemie aufgehoben worden seien und somit eine erneute Terminierung im Strafverfahren nicht mehr absehbar sei. Es sei zudem nicht mehr auszuschließen, dass eine zusätzliche Zeugenvernehmung durch das SG trotz des Strafverfahrens erforderlich sein könnte. Die Beteiligten erhielten hierzu zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 07.05.2020 teilte das SG weiter mit, dass es keiner Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses durch erneuten Beschluss bedürfe. Die konkludente Fortführung des Verfahrens reiche aus. Es forderte zudem die Verwaltungsakte bei der KV an (Bl. 56 R). Auf mehrfache Nachfrage des Klägerbevollmächtigten teilte das SG am 05.06.2020 mit, dass die Akten der KV noch nicht eingegangen seien und daher auch keine Akteneinsicht gewährt werden könne. Nachdem der Klägerbevollmächtigte darauf hingewiesen hatte, dass wohl keine Verwaltungsakte existiere (Bl. 61), forderte das SG bei der KV ein möglicherweise vorhandenes Aktendoppel der polizeilichen Ermittlungen an (vgl. Schreiben vom 22.06.2020, Bl. 62 R). Dieser beabsichtigten Beiziehung des Aktendoppels der im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen angefallenen Akten widersetzte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers (vgl. Schreiben vom 25.06.2020, Bl. 63 R).
Mit Schreiben vom 01.07.2020 erhob der Klägervertreter zudem erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen mehr als 37 Monate beim SG anhängig. Es stehe weiterhin eine Entschädigungsklage im Raum. Bei zunehmender Verfahrensdauer müsse sich das Gericht um die Förderung des Verfahrens bemühen.
Am 08.07.2020 ging die ausführliche, 16-seitige Klagebegründung der KV vom 03.07.2020 (Bl. 67 ff.) beim SG ein. Diese wurde am 14.07.2020 an den Klägervertreter übersandt. Zudem forderte das SG am selben Tag die Strafakte bzgl. des Klägers beim Amtsgericht O1 an. Hierauf wurde der Klägervertreter, der mit Schreiben vom 14.07.2020 und 17.07.2020 nochmals nach dem Sachstand gefragt hatte, mit Schreiben vom 22.07.2020 hingewiesen (Bl. 82 R). Mit Schreiben vom 23.07.2020 erfolgte eine erneute Sachstandanfrage und ein Antrag auf Akteneinsicht in die Strafakte durch den Klägerbevollmächtigten. Mit Schreiben vom 28.07.2020 teilte das Amtsgericht O1 mit, dass die Akte derzeit wegen einer möglicherweise bevorstehenden Einstellung des Strafverfahrens nicht übersandt werden könne (Bl. 91). Mit Schreiben vom 06.08.2020 bat das SG um kurzfristige Übersendung der Strafakten für wenige Tage und mit Schreiben vom 10.09.2020 bat es das Amtsgericht, die Akten wegen des bevorstehenden Jahresurlaubs der Kammervorsitzenden erst ab dem 28.09.2020 zu übersenden, um die zeitnahe Rücksendung sicherstellen zu können. Nach Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger und den Vater des Versicherten erinnerte das SG erneut an die Übersendung der Strafakte (Schreiben vom 14.12.2020, Bl. 98) und übersandte ein Schreiben des SG Würzburg an den Kläger zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 22.01.2021 (Bl. 102) teilte die KV mit, dass das SG Würzburg in einem Parallelverfahren wohl eine umfangreiche Beweisaufnahme mit der Vernehmung mehrerer Zeugen im März 2021 plane. Mit Schreiben vom 14.04.2021 bot die KV dann einen Vergleich zur Erledigung des Rechtsstreits dahingehend an, dass die Schadensersatzsumme auf 8.900,00 Euro reduziert werde und diese bis 30.06.2021 zu zahlen sei. Die Kosten sollten gegeneinander aufgehoben werden (Bl. 104). Diesen Vergleichsvorschlag nahm der Kläger nicht an (vgl. Schreiben vom 22.04.2021, Bl. 105 R). Nach einer weiteren Erinnerung durch das SG mit Schreiben vom 23.04.2021 (Bl. 107) teilte die Staatsanwaltschaft A1 mit Schreiben vom 05.05.2021 mit, dass die angeforderte Strafakte bereits am 09.03.2021 zur Einsicht an das SG Düsseldorf versandt worden sei (Bl. 108). Diese Tatsache gab das Gericht dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt (Schreiben vom 10.05.2021, Bl. 108 RS.).
Mit Schreiben vom 27.09.2021 erhob der Klägervertreter zudem erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen nahezu 69 Monate beim SG anhängig.
Mit Schreiben vom 29.09.2021 wies das SG Ulm auf die aktuell in der mit dem Verfahren befassten Kammer bestehende Vakanz und Vertretungssituation hin und übersandte dem Klägerbevollmächtigten auf seinen Antrag hin die Gerichtsakte erneut zur Akteneinsicht (Schreiben vom 11.10.2021, Bl. 115), welche dieser am 14.10.2021 zurücksandte (Bl. 119).
Nach erneuter Erinnerung mit Schreiben vom 16.11.2021 (Bl. 120) übersandte die Staatsanwaltschaft A1 die einschlägige Strafakte am 24.11.2021; das SG Ulm fertigte Kopien und nahm - aufgrund des Aktenumfangs - wesentliche Aktenteile in Ablichtung zu einem Sonderband (vgl. Vfg. vom 26.11.2021; Bl. 122). Zudem wies das SG die Beteiligten darauf hin, dass mit Blick auf die aktuelle pandemische Lage umfangreiche Zeugenvernehmungen derzeit nicht darstellbar seien. Nachdem der Bevollmächtigte des Klägers mit zwei weiteren Schreiben (Bl. 124, 131) den Fortgang des Verfahrens anmahnte, wies das SG mit Schreiben vom 09.02.2022 (Bl. 136 R) nochmals auf die pandemische Lage hin und regte erneut eine vergleichsweise Einigung an. Mit Schreiben vom 14.02.2022 (Bl. 139 R) wies das SG darauf hin, dass das Verfahren zwar nach wie vor zur Terminierung vorgemerkt sei, allerdings die Kammer derzeit nur vertretungsweise geführt werde und daher ein genauer Termin nicht genannt werden könne. Der Klägervertreter forderte daraufhin die Benennung der Vertreter (Bl. 140), was ihm das SG mit Schreiben vom 22.02.2022 beantwortete (Bl. 143).
Mit Schreiben vom 22.02.2022 erhob der Klägervertreter erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen mehr als sechs Jahre beim SG anhängig. Eine Verfahrensförderung sei nicht erkennbar (Bl. 144 ff.).
Mit Schreiben vom 24.02.2022 mahnte der Klägervertreter erneut die Fortführung des Verfahrens an und kündigte Dienstaufsichtsbeschwerde an (Bl. 150). Mit Schreiben vom 21.03.2022 und 05.04.2022 forderte der Bevollmächtigte erneut zur Fortführung des Verfahrens auf, woraufhin mit Schreiben vom 11.04.2022 (Bl. 160) vom SG darauf hingewiesen wurde, dass die Kammer nicht vor Mai wieder besetzt und eine vorherige Terminierung nicht möglich sei. Das Verfahren sei entscheidungsreif, weitere Ermittlungen derzeit nicht nötig. Nachdem der Bevollmächtigte Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben hatte, wurden die Akten vom 02.05.2022 bis 09.05.2022 an den Präsidenten des LSG versandt. Am 13.05.2022 fragte das SG telefonisch um Übersendung der Akten bei der Staatsanwaltschaft A1 an (Bl. 165 R). Eine Übersendung war von dort nicht möglich, da die Akten beim SG München waren. Dieses teilte dem SG telefonisch mit, dass das dortige Parallelverfahren am 23.06.2022 terminiert sei und die Akten danach übersandt werden könnten. Hierüber informierte das SG die Beteiligten mit Schreiben vom 16.05.2022 und teilte mit, dass die mündliche Verhandlung am 27.10.2022, 28.10.2022 und 11.11.2022 stattfinden solle. In diesem Schreiben wurden zudem erneut Fragen des Bevollmächtigten zur Geschäftsverteilung beantwortet (Bl. 176). Der Bevollmächtigte des Klägers äußerte mit Schreiben vom 18.05.2022 zunächst erneut Zweifel an der Zuständigkeit der 12. Kammer des SG und zeigte Unverständnis für die erneute Anforderung der Strafakten (Bl. 181).
Mit Schreiben vom 23.05.2022 erhob der Klägervertreter erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen sechs Jahre und einen Monat beim SG anhängig. Eine Verfahrensförderung sei nicht erkennbar (Bl. 144 ff.).
Das Präsidium des SG Ulm beschloss am 30.05.2022 auf Antrag der Kammervorsitzenden, dass das Verfahren in der Zuständigkeit der 12. Kammer bleibe (Bl. 192), worüber die Beteiligten mit Schreiben vom 13.06.2022 informiert wurden. Mit Schreiben vom 20.06.2022 äußerte der Bevollmächtigte des Klägers dennoch erneut Zweifel an der Zuständigkeit der 12. Kammer des SG (Bl. 194). Dieses Schreiben wurde dann erneut an das Präsidium weitergeleitet (Bl. 197 R). Der Bevollmächtigte des Klägers teilte mit Schreiben vom 30.06.2022 daraufhin mit, dass er die Weiterleitung an das Präsidium nicht nachvollziehen könne, er habe keinen Antrag auf eine förmliche Anfrage an das Präsidium gestellt (Bl.198). Zudem bat er im selben Schreiben um Akteneinsicht am 01.07.2022 in den Räumen des SG. Auf ein Scheiben des Präsidenten des SG Ulm vom 11.07.2022 (Bl. 202) erklärte der Bevollmächtigte des Klägers ausdrücklich, dass er seine Rüge eines Verstoßes gegen den gesetzlichen Richter (Bl. 204) aufrecht erhalte. Bereits am 01.07.2022 gingen dann die Akten der Staatsanwaltschaft A1 (Bl. 203) beim SG ein, woraufhin dieses am 25.07.2022 mitteilte, welche Personen im vorliegenden Verfahren als Zeugen geladen werden sollen (Bl. 205 R). Auf die Nachfrage des Bevollmächtigten zum Beweisthema der Zeugenvernehmungen (Bl. 206) antwortete das SG mit Schreiben vom 03.08.2022 (Bl. 209). Auf ein weiteres siebenseitiges Schreiben des Bevollmächtigten zur geplanten Zeugenvernehmung (Bl. 211) antwortete das SG mit Schreiben vom 09.08.2022 (Bl. 219) und übersandte dieses Schreiben der KV zur Stellungnahme. Im Anschluss verlangte der Bevollmächtigte erneut Ausführungen des SG zum Beweisthema (Bl. 220, 223), woraufhin das SG mit Schreiben vom 16.08.2022 (Bl. 222 R) mitteilte, dass es bei der bisherigen Auffassung verbleibe.
Mit Schreiben vom 23.08.2022 erhob der Klägervertreter erneut Verzögerungsrüge. Das Verfahren sei inzwischen mehr als sechs Jahre und sieben Monate beim SG anhängig. Eine Verfahrensförderung sei nicht erkennbar (Bl. 237 ff.).
Mit Terminverfügung vom 01.09.2022 bestimmte das SG Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.10.2022, 28.10.2022 und 11.11.2022. Insgesamt wurden für die drei Verhandlungstage 15 Zeugen geladen. In der Folge ermittelte das SG verschiedene Adressen der Zeugen neu (EMA-Anfragen, Anfragen bei örtlichen Polizeidienststellen) und musste Verlegungsanträge einiger Zeugen bearbeiten bzw. Videovernehmungen organisieren (Bl. 238 - 365).
Ein vom Bevollmächtigten des Klägers gestellter Verlegungsantrag dahingehend, dass die Termine jeweils nicht bereits um 8:30 Uhr, sondern um 10:30 Uhr beginnen sollten (vgl. Schreiben vom 03.09.2022, Bl. 247) lehnte das SG nach zunächst erfolgten Hinweisen, dass eine Verlegung nicht beabsichtigt sei (Bl. 268) und Erwiderungsschreiben des Bevollmächtigten vom 14.09.2022 (Bl. 270) und 15.09.2022 (Bl. 277) mit Beschluss vom 05.10.2022 (Bl. 322) ab. Soweit der Bevollmächtigte die Vernehmung weiterer Zeugen begehrte, lies das SG mitteilen, dass diese derzeit nicht beabsichtigt sei.
Am 27.10.2022 (08:35 Uhr bis 16:00 Uhr), 28.10.2022 (9:40 Uhr bis 12:09 Uhr) und 11.11.2022 (8:33 bis 15:37 Uhr) fand dann die mündliche Verhandlung, in deren Rahmen neben der Erörterung des Sachverhalts und der ausführlichen Anhörung des Klägers insgesamt zwölf Zeugen vor Ort und zwei Zeugen per Videokonferenz vernommen wurden, statt. Am 11.11.2022 schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich dahingehend, dass der Kläger an die KV 7.500,00 Euro bis 30.06.2023 zur Erledigung des Rechtsstreites zahlt. Hinsichtlich der Kosten einigte man sich dahingehend, dass die KV die Gerichtskosten übernimmt, der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Am 11.05.2023 hat der Kläger Entschädigungsklage bezogen auf dieses Verfahren beim SG Ulm erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass das sich ab Klageerhebung am 29.12.2015 bis zur Erledigung durch Vergleich am 11.11.2022 über mehr als sechs Jahre und zehn Monate hinziehende Verfahren eine unangemessene Dauer aufweise. Die Bedeutung des Ausgangsverfahrens sei als leicht überdurchschnittlich anzusehen. Gegen den Kläger sei eine Forderung von 44.631,00 Euro geltend gemacht worden, also eine nicht unerhebliche Forderung. Dem Kläger sei auch ein strafbares Verhalten vorgeworfen worden, was seine Reputation betroffen habe. Die Schwierigkeiten und Komplexität des Verfahrens seien schließlich als allenfalls durchschnittlich anzusehen. Eine über die von dem Kläger als unzureichend angesehene und gerügte Klagebegründung hinaus sei während des ganzen Verfahrensverlaufs kein weiterer inhaltlich erheblicher Sachvortrag der anspruchsstellenden KV erfolgt. Das SG Ulm habe das bei ihm am 01.06.2016 eingegangene Verfahren zunächst kurzzeitig sachgerecht bearbeitet. Im März 2017 und April 2017 sei das SG Ulm dann allerdings erstmals untätig gewesen. Es habe keinerlei Anfragen des Unterzeichneten beantwortet und keine verfahrensfördernde Maßnahmen ergriffen. Auch die Zeit von August 2017 bis Januar 2018 sei als Untätigkeit zu werten. Zwar sei in dieser Zeit reger Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem SG Ulm erfolgt. Hierbei sei es aber nur um die Vorlage von Unterlagen gegangen, eine irgendwie geartete inhaltliche Förderung des Verfahrens sei damit nicht verbunden gewesen. Von März 2018 an bis Mai 2020 sei das Verfahren dann aufgrund des Beschlusses vom 28.03.2018 ausgesetzt gewesen. Dies führe allerdings nicht dazu, dass diese Zeitspanne nicht als Untätigkeit zu werten wäre. Als sich das SG Ulm im Mai 2020 zu einer Wiederaufnahme durchgerungen habe, sei das Verfahren bereits vier Jahre und vier Monate gerichtlich anhängig gewesen, ohne dass in dieser Zeit überhaupt eine besondere inhaltliche Förderung erfolgt wäre. Die Wiederaufnahme des Verfahrens hätte bereits deutlich vor Mai 2020 stattfinden müssen. Denn der Kläger sei an dem Strafverfahren beim Landgericht A1, dessentwegen die Aussetzung erfolgte sei, gar nicht beteiligt, und das gegen ihn beim Amtsgericht O1 anhängige Strafverfahren sei faktisch ebenfalls ausgesetzt gewesen. Jedenfalls ab dem November 2018 bis zum April 2020 müsse die Zeit der Aussetzung daher als Verzögerungszeit gewertet werden.
Als weitere Phase der Untätigkeit sei der Zeitraum von September 2021 bis April 2022 zu werten. In dieser Zeit sei die Kammer vertretungsweise geführt worden, wobei die jeweiligen Vertreter keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen ergriffen hätten. Schließlich sei auch die Zeit von Juni 2022 bis August 2022 als Untätigkeitszeit zu werten. Das SG Ulm habe im Mai 2022 mitgeteilt, dass eine Terminierung für Ende Oktober 2022 bzw. Anfang November 2022 vorgesehen sei. Weitere verfahrensfördernde Maßnahmen seien nicht mehr erfolgt, obgleich im Mai 2022 das Verfahren bereits sechs Jahre und vier Monate anhängig gewesen sei. Die nächste verfahrensfördernde Maßnahme habe dann in den Terminsladungen vom 01.09.2022 bestanden. Insgesamt lägen hier also Verzögerungszeiten im Umfang von 37 Monaten vor. Dem Gericht sei eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten zuzubilligen, so dass eine entschädigungsrelevante Verzögerung von noch 25 Monaten verbleibe. Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf seine Reputation erscheine eine Wiedergutmachung durch eine bloße Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer als nicht ausreichend. Es sei vielmehr auf eine Entschädigung in Geld zu erkennen, wobei die Bedeutung der Angelegenheit ein Abweichen von dem Regelbetrag dahingehend gebiete, dass für jeden Monat der Verzögerung 150,00 Euro in Ansatz zu bringen seien.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger wegen der überlangen Verfahrensdauer des beim Sozialgericht Ulm zuletzt unter dem Aktenzeichen S 12 KR 4194/19 geführten Klageverfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.750,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer nicht vorliegt. Es sei darauf hinzuweisen, dass es sich nach der Art der Verfahrensführung, dem Umfang des Sachverhalts und der zu klärenden Vorwürfe um ein atypisch schwieriges und umfangreiches Verfahren gehandelt habe, das für ein Sozialgericht nur mit erheblichem zeitlichem Vorlauf zu prüfen, zu strukturieren und zu terminieren gewesen sei. Auch während der vorübergehenden Vakanz sei das Verfahren sachgerecht gefördert und vorangetrieben worden. Eine abschließende Erledigung sei schon auf Grund der korrespondierenden strafrechtlichen Ermittlungen und der pandemiebedingten Einschränkungen nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen.
Bei realistischer Bewertung insbesondere mit Blick auf Schwierigkeit, Umfang, Zuschnitt und Komplexität sowie den der erkennenden Kammer zuzubilligenden Gestaltungsspielräumen könne eine unangemessene Dauer des Verfahrens schon bei isolierter Betrachtung nicht bejaht werden; in diesem Zusammenhang sei insbesondere in den Blick zu nehmen, dass die Aussetzung des Verfahrens unter den hier gegebenen Umständen veranlasst und geboten erscheine, jedenfalls aber nicht zu beanstanden gewesen, sei. Als die Ermittlungsakte dem SG übersandt worden sei und zur Verfügung gestanden habe, sei es auch auf Grund der Einschränkungen der Coronapandemie nicht möglich gewesen, das Verfahren zeitnah zur Entscheidungsreife voranzutreiben. Die Terminierung einer mehrtägigen Verhandlung mit einer umfangreichen Beweisaufnahme in der Ausnahmesituation einer pandemischen Lage sei schlicht nicht vertretbar und mit Blick auf die Gefährdung von Verfahrensbeteiligten und Zeugen auch nicht zu verantworten gewesen. Festzustellen sei jedoch, dass unmittelbar nach der Beruhigung der pandemischen Lage, im Frühjahr 2022 die Vorbereitungen zur Terminierung begonnen hätten. Aufgrund der Vielzahl von Zeugen, von Anträgen des Klägervertreters und weiteren Maßnahmen im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sei eine schnellere Anberaumung der mündlichen Verhandlung auch nicht möglich gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen SG-Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
I.
Die Entschädigungsklage des Klägers ist zulässig.
1.
Das LSG ist für die erhobene Klage zuständig (§ 51 Abs. 1 Nr. 10, § 202 Satz 2 SGG i.V.m. den §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]), da es sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Verfahren aus dem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit handelt.
2.
Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage auch statthaft (§ 54 Abs. 5 SGG; st. Rspr.; z.B. BSG Urteil vom 09.03.2023 - B 10 ÜG 2/21 R -, juris Rn. 15 mit Hinweis auf Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - juris Rn. 22).
3.
Die Wartefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG, wonach eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann, ist gewahrt. Denn der Kläger rügte erstmals (wirksam, s.u.) am 27.12.2018 eine überlange Verfahrensdauer. Die Entschädigungsklage ist am 11.05.2023 beim LSG eingegangen.
a.
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs. 3 Satz 2 GVG).
b.
Welche konkreten Anforderungen an eine Verzögerungsrüge zu stellen sind, hat der ÜGG-Gesetzgeber nicht normiert. Vielmehr stellt der Wortlaut des insoweit maßgeblichen § 198 Abs. 3 GVG keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge (BSG Urteil vom 27.03.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - juris Rn. 25 mit Hinweis auf: Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Kammerbeschluss vom 17.12.2015 - 1 BvR 3164/13 - juris Rn. 30; Bundesfinanzhof [BFH] Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris Rn. 27). Der Norm ist lediglich zu entnehmen, dass ein Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG) nur dann eine Entschädigung erhält, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Satz 1). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (Satz 2). Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (Satz 3). Anderenfalls werden sie vom Entschädigungsgericht bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (Satz 4). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (Satz 5).
An den Inhalt einer Verzögerungsrüge sind nach dem Willen des ÜGG-Gesetzgebers nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. BSG Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 32). Ausweislich der Gesetzesmaterialien muss der Beteiligte lediglich zum Ausdruck bringen, dass er mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt (BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3). Ist dies dem Inhalt einer Erklärung in Verbindung mit den Umständen, die für das Gericht offensichtlich sind, zu entnehmen, so wäre es eine bloße Förmelei, diese Erklärung allein deshalb nicht als Verzögerungsrüge anzusehen, weil sie nicht als solche ausdrücklich bezeichnet oder - insbesondere von nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten - unzulänglich formuliert ist (vgl. BVerfG Kammerbeschluss vom 17.12.2015 - 1 BvR 3164/13 - juris Rn. 31 f; BFH Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris Rn. 27; Wenner, SozSich 2014, 118, 120; Heine, MDR 2013, 1147, 1148).
Der die Verfahrensdauer rügende Beteiligte muss nicht begründen, woraus sich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer ergibt und welche Alternativen zur Verfahrensgestaltung in Betracht kommen (anders im verfassungsgerichtlichen Verfahren, wonach nach § 97b Abs. 1 Satz 3
BVerfGG die Umstände, die die Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen, darzulegen sind). Vorbild für diese Gestaltung ist nach den Gesetzesmaterialien der Widerspruch im Verwaltungsverfahren, an dessen Inhalt keine hohen Anforderungen gestellt werden (BSG Urteil vom 27.03.2020 - B 10 ÜG 4/19 R - juris Rn. 29 mit Hinweis auf BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3; Guckelberger, DÖV 2012, 291, 293; vgl. zum Widerspruch im Sozialverwaltungsverfahren B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 83 Rn. 2, wonach bei der Auslegung eine "großzügige Handhabung ratsam" sei). Unterlässt es der Rügende Umstände zu benennen, die für das Maß der gebotenen Zügigkeit wichtig, aber noch nicht in das Verfahren eingeführt sind, ordnet § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG an, dass diese Aspekte bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht zu berücksichtigen sind. Aus der benannten Regelung kann indes nicht abgeleitet werden, dass eine Pflicht zur Begründung besteht, bei deren Fehlen der Verzögerungsrüge eben diese Rechtsnatur abgesprochen werden kann (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags <6. Ausschuss> vom 28.09.2011, BT-Drucks 17/7217 S. 27). Eine Verletzung der Hinweispflicht des Rügenden nach § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG kann gemäß § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG somit lediglich zu einer Verkürzung der entschädigungsrelevanten Überlänge führen (vgl. BSG Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 32, 34).
Die Verzögerungsrüge ist eine materielle Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch (BSG Beschluss vom 13.07.2017 - B 10 ÜG 2/17 B - juris Rn. 11; Beschluss vom 27.06.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - juris Rn. 27; ebenso BFH Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris Rn. 24). Sie stellt als solche eine haftungsbegründende Obliegenheit des (späteren) Entschädigungsklägers dar (BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks 17/3802 S. 43 zu Nr. 18; BGH Urteil vom 17.07.2014 - III ZR 228/13 - juris Rn. 14; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl. 2016, § 4 Rn. 142; Söhngen in Hennig, SGG, § 202 Rn. 83, Stand der Einzelkommentierung: Februar 2016).
Die Verzögerungsrüge ist aber kein eigenständiger (präventiver) Rechtsbehelf (BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3 und S. 43 zu Nr. 18). Bei ihr handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten und dem Gericht im Ausgangsverfahren nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt (BFH Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris Rn. 28; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl. 2016, § 4 Rn. 143). Das BSG lies es in seinem Urteil vom 27. 03.2020 (- B 10 ÜG 4/19 R - juris Rn. 31) dahinstehen, ob deshalb die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen für die Verzögerungsrüge nicht gelten (so aber BFH Zwischenurteil vom 07.11.2013 - X K 13/12 - juris Rn. 28). Jedenfalls weist die Verzögerungsrüge Elemente einer Prozesshandlung auf. So gelten für sie bestimmte Fristen (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG, Art 23 Satz 2 ÜGG). Vor allem aber soll sie dazu dienen, das Ausgangsverfahren zu beschleunigen, weshalb sie in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich auch als "Beschleunigungsrüge" bezeichnet wird (BT-Drucks 17/3802 S. 21 zu Abs. 3 Satz 3). Sie soll im jeweiligen Einzelfall eine "konkret-präventive Beschleunigungswirkung" (so BT-Drucks 17/3802 S. 16 zu Nr. 4) auf das Ausgangsverfahren entfalten und nach der gesetzlichen Konzeption so dazu beitragen, dass es nicht zu einer (weiteren) entschädigungspflichtigen Verzögerung kommt (BT-Drucks 17/3802 S. 20 zu Abs. 3 Satz 1). Insbesondere diese prozessuale Beschleunigungsfunktion der Verzögerungsrüge rechtfertigt es, sie als "Prozesshandlung eigener Art" (so Loytved, jurisPR-SozR 19/2019 Anm. 4 C; Bader in GK-ArbGG, § 9 Rn. 63h, Stand der Einzelkommentierung: Juni 2016; Natter in Natter/Gross, ArbGG, 2. Aufl. 2013, Anhang zu § 9 Rn. 15) oder als "prozesshandlungsähnliches Rechtsinstitut" (so Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit - Wenn Prozesse Pause machen, 2017, S. 1044) anzusehen.
c.
Davon ausgehend handelt es sich bei dem Schreiben des Klägers vom 27.12.2018 um eine diesen Kriterien entsprechende Verzögerungsrüge. Sie ist ausdrücklich als solche bezeichnet und bringt eindeutig zum Ausdruck, dass der Kläger mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist und eine Beschleunigung des Verfahrens verlangt. Zu diesem Zeitpunkt war das Ausgangsverfahren bereits über zwei Jahre und sechs Monate beim SG Ulm anhängig und ausgesetzt. Auch wenn die Zeiten der Aussetzung vorliegend nicht als inaktive Zeiten des Gerichts zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu unten unter Punkt III 2. B. bb.), so bestand aus Sicht des Klägers zumindest bereits zum damaligen Zeitpunkt die konkrete Möglichkeit, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang findet und der Verfahrensabschluss sich deshalb verzögern kann (vgl. hierzu auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 198 GVG [Stand: 05.01.2024], Rn. 107). Der Kläger erhob weiter mit Schreiben vom 28.06.2019, 30.12.2019, 27.09.2021, 22.02.2022 und 23.08.2022 erneut Verzögerungsrügen. Da bereits die erste Rüge wirksam war, kann der Senat es dahinstehen letztlich lassen, ob die erneuten Rügen tatsächlich notwendig waren (z.B. aufgrund des zwischenzeitlichen Richterwechsels).
4.
Der Kläger hat des Weiteren auch die Klagefrist des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG eingehalten. Danach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Das Verfahren ist vorliegend durch Prozessvergleich am 11.11.2022 rechtkräftig abgeschlossen worden. Die von vom Kläger am 11.05.2023 erhobene Klage war damit innerhalb der Frist von sechs Monaten erfolgt. Für die Wahrung der Frist von sechs Monaten für die Erhebung der Klage ist nur auf den Eingang der Klage beim Entschädigungsgericht abzustellen (BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R - juris Rn. 16). Der Lauf einer Frist beginnt nach § 64 Abs. 1 SGG, soweit - wie hier - nichts Anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Nach § 64 Abs. 2 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Daraus folgt, dass bei einer rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits am 11.11.2022 die Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG mit Ablauf des 11.05.2023 (einem Donnerstag) geendet hat und die an diesem Tag beim SG eingegangene Entschädigungsklage rechtzeitig erhoben worden ist.
Unerheblich für die Einhaltung der Klagefrist ist dagegen der Eintritt der Rechtshängigkeit (BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/17 R - juris Rn. 20; BFH Urteil vom 12.07.2017 - X K 3-7/16 u.a. - juris Rn. 25), die gemäß § 94 Satz 2 SGG erst mit der Zustellung der Klage beim Beklagten beginnt. Nach Einzahlung des Kostenvorschusses durch den Kläger am 19.05.2023, gebucht bei der Landesoberkasse Baden-Württemberg am 03.07.2023, war die Klage im Übrigen am 12.07.2023 an den Beklagten zugestellt und damit rechtshängig worden.
II.
Die Entschädigungsklage ist auch teilweise begründet.
1.
Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200,00 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (Satz 3). Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (Satz 4).
Gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält Entschädigung ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann gemäß Satz 2 erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (Satz 3). Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (Satz 4). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (Satz 5).
Wiedergutmachung ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus (Satz 2). Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind (Satz 3).
2.
Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Darüber hinaus ist auch die Verfahrensführung oder Prozessleitung durch das Ausgangsgericht in die Betrachtung mit einzubeziehen. Denn eine Verletzung des Rechts auf Rechtsschutz in angemessener Zeit hängt wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Ausgangsgerichts zur unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen (vgl. § 200 GVG), also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (st. Rspr; BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 18 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris Rn. 38; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 34).
Die Angemessenheit der Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 19 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - juris Rn. 31 ff; BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 24 f; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 25 ff) in drei Schritten zu prüfen.
Den Ausgangspunkt und ersten Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs. 6 Nr.1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat (dazu unter a). In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs.1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen, bei denen es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt und die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerfG sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auszulegen und zu vervollständigen sind (dazu unter b). Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (dazu unter c). Dabei ist davon auszugehen, dass vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Kalendermonate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (st. Rspr; BSG Urteil vom 24.03.2020 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 20; BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R - juris Rn. 45; BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 25; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 27, 46).
a.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im ersten Schritt der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer festzustellen, dass das Ausgangsverfahren von Eingang der Klage beim SG Ulm am 01.06.2016 bis zur Erledigung durch den Vergleichsabschluss am 11.11.2022 gedauert hat. Das Ausgangsverfahren umfasste somit insgesamt 78 Kalendermonate (= sechs Jahre und sechs Monate). Der Senat kann bei der Dauer des Verfahrens nur die Monate, die das Verfahren beim SG Ulm anhängig war berücksichtigen. Die Zeit, die das Verfahren vor der Verweisung an das SG Ulm beim SG Würzburg geführt wurde, ist indes nicht hinzuzuzählen. Das ergibt sich schon daraus, dass in einem Entschädigungsverfahren gegen das Land Baden-Württemberg nur ein Ausgangsverfahren aus dem Bereich der Sozialgerichte des Landes Baden-Württemberg Gegenstand sein kann. Denn das Land Baden-Württemberg kann nur dafür verantwortlich sein, dass die Verfahren seiner Gerichte in angemessener Dauer geführt werden, da es nur auf diese z.B. durch ausreichende Personalausstattung Einfluss nehmen kann. Nicht zuletzt ist auch das LSG Baden-Württemberg nur für Ausgangsverfahren bei den Sozialgerichten des Landes zuständig (vgl. hierzu Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 198 GVG [Stand: 05.01.2024], Rn. 162). Auch kann eine Verzögerungsrüge nur so lange erhoben werden, wie es bei dem Gericht anhängig ist, dessen Verfahrensdauer vom Rügenden als unangemessen angesehen wird und dessen Beschleunigung es verlangt. Dies ergibt sich aus der präventiven Funktion einer Verzögerungsrüge (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R -, BSGE 131, 153-169, SozR 4-1720 § 198 Nr. 20, SozR 4-1500 § 75 Nr. 34, Rn. 24; vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 191). Auch hieraus ergibt sich daher mittelbar, dass Zeiten, die an einem anderen Gericht entstanden sind, nicht im Rahmen der Bestimmung der Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen sind.
b.
Im zweiten Prüfungsschritt ist nunmehr die Bedeutung und Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens sowie das Verhalten der Beteiligten (aa.) und die Prozessleitung des Ausgangsgerichts (bb.) zu berücksichtigen.
aa.
Die von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten, zum anderen maßgeblich aus dem Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung. Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu (BSG Urteil vom 24. 03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 23; BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 25; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 31).
Das Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens ist nach Überzeugung des Senates allenfalls als durchschnittlich einzustufen. Das Ausgangsverfahren betraf nicht die Gewährung existenzsichernder Leistungen (siehe dazu BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 24; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 32), vielmehr machte die klagende KV im wesentlichen Schadensersatz- bzw. Erstattungsansprüche gegen den Kläger geltend. Es ist dem Klägerbevollmächtigten zwar dahingehend recht zu geben, dass dem Kläger auch strafbares Verhalten vorgeworfen worden war. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass allein die Geltendmachung von Erstattungs- und Schadensersatzforderungen noch nicht die Reputation des Klägers betraf. Vielmehr dürfte diese weit überwiegend durch das zeitweise parallellaufende Strafverfahren tangiert worden sein.
Zur rechtlichen Bedeutung ist zunächst festzustellen, dass Gegenstand des Ausgangsverfahrens ein von der KV geltend gemachter öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, vertragliche Ansprüche und deliktische Schadensersatzansprüche waren, da die KV dem Kläger falsche Abrechnung von Leistungen zur häuslichen Krankenpflege als Sachleistung nach § 37 SGB V bzw. die Angabe von tatsächlich nicht erbrachten Pflegestunden im Rahmen eines Persönlichen Budgets (PB) nach § 17 SGB IX vorwarf. Auch wenn es sich hierbei um rechtliche Fragen von durchschnittlicher Bedeutung handelte, so ist doch zu beachten, dass die Probleme des Verfahrens hier im tatsächlichen Bereich lagen. Zum einen wurden hier neben dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Eltern des Versicherten und auch den Kläger, Schadenersatzverfahren gegen weitere Pflegkräfte im ganzen Bundesgebiet geführt. Dies führte zu erheblichem Koordinierungsaufwand zwischen den beteiligten Gerichten und erforderte vom Ausgangsgericht die Anforderung von Unterlagen/ Akten von anderen Gerichten, auch verbunden damit, dass Akten nicht immer auf die erste Anforderung des SG Ulm von diesem beigezogen werden konnten. Nicht zuletzt die umfangreiche Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung zeigt weiter, dass vorliegend weit über das in sozialgerichtlichen Verfahren übliche Maß hinausgehende Ermittlungen durch das Ausgangsgericht notwendig waren. Hierbei ist nicht nur zu berücksichtigen, dass das SG Ulm hierbei an drei Tagen über viele Stunden (27.10.2022 [08:35 Uhr bis 16:00 Uhr], 28.10.2022 [9:40 bis 12:09 Uhr] und 11.11.2022 [8:33 bis 15:37 Uhr]) letztlich vierzehn Zeugen vernahm, sondern dass diesen Terminen erhebliche organisatorische Vorarbeiten, wie Ermittlung von Anschriften der Zeugen, Verlegung von Terminen oder Organisation von Videokonferenzen, inklusive Zuschaltung einer Zeugin von einem anderen Gericht aus, vorangegangen waren.
Rechtlich erheblich verkompliziert wurde das Verfahren und die Bearbeitung für die Kammervorsitzende(n) zudem erheblich durch das Verhalten des Klägers(bevollmächtigten) während des gesamten Verfahrens, mit dem er das Verfahren erheblich verzögerte und eine zügigere Bearbeitung durch das Gericht weiter erheblich erschwerte. Diese Umstände sind im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu berücksichtigen, weil dem Verhalten des Entschädigungsklägers im Ausgangsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung einer Verzögerung ganz wesentliches Gewicht zukommt (vgl. BT-Drucks 17/3802 S. 18). Auch im Rahmen zulässigen Prozessverhaltens vom Kläger selbst herbeigeführte Verfahrensverzögerungen fallen in seinen Verantwortungsbereich (z.B häufige umfangreiche Stellungnahmen und Anträge, Fristverlängerungsanträge, Ruhensanträge; vgl. hierzu BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, juris Rn. 39 mit Verweis auf BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - juris Rn. 43). Vorliegend musste das Ausgangsgericht in mehreren rechtlichen Hinweisen aufgrund verschiedener Anträge und Einwendungen des Klägerbevollmächtigten Fragen zur Akteneinsicht/ Beiziehung von Akten klären, Fragen zur Zuständigkeit, dem Geschäftsverteilungsplan und umfangreiche Nachfragen zur beabsichtigten Zeugenvernehmung beantworten und hierbei z.T. Dritte (z.B. die Gerichtsverwaltung, das Präsidium) mit einbeziehen. Darüber hinaus wurden zum Teil innerhalb kürzester Abstände wiederholte Sachstandanfragen gestellt, die Kammervorsitzende durch den Kläger abgelehnt und Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Auch wenn es sich hierbei um ein grundsätzlich zulässiges Prozessverhalten des Klägervertreters handelte, führte dies dazu, dass aufgrund dieser vorrangig zu bearbeitenden Anträge bzw. aufgrund der Weiterleitung der Akten, eine normale Förderung des Verfahrens zeitweise erheblich eingeschränkt bzw. bei Abgabe der Akten an Dritte (z.B. Gerichtsverwaltung) schlichtweg nicht möglich war.
Insofern ist festzustellen, dass zwar bei dem Verfahren von einer durchschnittlichen Bedeutung, aber aufgrund der oben dargestellten Umstände von einer erheblich mehr als durchschnittlichen Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens auszugehen ist.
bb.
Im nächsten Schritt ist nunmehr die Prozessführung des Ausgangsgerichts, wobei hier ein weiter Überprüfungsmaßstab für das Handeln des Ausgangsgerichts zugrunde zu legen ist, zu berücksichtigen.
Dazu ist nun festzustellen, dass bezogen auf die Gesamtverfahrensdauer von 78 Monaten zunächst in den Monaten Januar 2017, März 2017, Juni 2017, November 2017, Oktober bis Dezember 2020, Februar und März 2021, Juni, Juli und August 2021 keinerlei Aktivität auf Seiten des Gerichtes vorlagen bzw. Schriftsätze lediglich zur Kenntnis an die Beteiligten weitergeleitet wurden.
Weiter informierte das Ausgangsgericht im Monat April 2017 zwar die Beteiligten darüber, dass eine Antwort auf die gerichtliche Anfrage vom 23.02.2017 noch ausstehe. Dies allein stellt noch keine aktive Verfahrensförderung dar. Vielmehr hätte hierfür verlangt werden müssen, dass die Staatsanwaltschaft an die Erledigung dieser Anfrage erinnert wird, zumal das Ausgangsgericht bei seiner Verfügung vom 23.02.2017 selbst von einer Antwort bis zum 01.04.2017 ausging (vgl. gesetzte Wiedervorlage Bl. 172 R¸ SG-Akte S 15 KR 1715/16).
Ebenfalls kann der Monat September 2021 nicht als ein mit gerichtlicher Aktivität belegter Monat berücksichtigt werden. Hier erteilte das Ausgangsgericht lediglich den Hinweis (Bl. 110 R SG-Akte S 12 KR 4149/19), dass die Kammer derzeit nicht besetzt sei. Eine Verfahrensförderung erfolgte durch diesen Hinweis nicht. Darüber hinaus sind Zeiten in denen die Kammer des Ausgangsgerichts z.B. wegen Erkrankung des zuständigen Richters, Mutterschutz etc. nicht besetzt bzw. nur vertretungsweise geführt wird, nicht bei der Feststellung der inaktiven Zeiten herauszurechnen. Denn organisationsbedingte Verzögerungen wirken nicht rechtfertigend (vgl. Rolfs/ Machitadze, Überlange sozialgerichtliche Verfahrensdauer, SGb 2022, 641, 644). Es obliegt nämlich dem Gericht und damit dem Staat, die erforderliche Vertretung des erkrankten oder aus sonstigen Gründen ausgefallenen Richters sicherzustellen oder andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen durch den krankheitsbedingten Ausfall auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit Rechnung trägt (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.01.2023 - 1 BvR 1346/22 -, juris, Rn. 15). Solche Ausfallzeiten haben die Justizbehörden und Gerichte zu verantworten, denn diese Umstände sind grundlegender Bestandteil der ihnen obliegenden Personal- und Ressourcenplanung (vgl. BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 43). Der Staat muss dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren (vgl. BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 13.08.2012 - 1 BvR 1098/11 - juris, Rn 19). Er hat die dafür erforderlichen - personellen wie sächlichen - Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen. Diese Aufgabe folgt aus der staatlichen Pflicht zur Justizgewährung, die Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerten Rechtsstaatsprinzips ist (vgl. (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 10.01.2023 - 1 BvR 1346/22 - juris Rn. 15).
Gleiches gilt für die Monate Dezember 2021, Januar 2022 sowie März und April 2022, in denen wiederum keine verfahrensfördernden Aktivitäten auf Seiten des Ausgangsgerichts vorlagen. Diese Monate müssen, wie soeben dargelegt, auch wenn die Kammer in dieser Zeit lediglich vertretungsweise besetzt war und dem jeweils einzelnen Richter in der konkreten Vertretungssituation eine wie hier umfangreiche Beweisaufnahme nur schwer hat abverlangt werden können, als inaktive Zeiten mitberücksichtigt werden.
Nicht als Monate der Inaktivität sind dagegen zunächst entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten die Monate März 2018 bis April 2020 festzustellen. In dieser Zeit war das Verfahren nach § 114 Abs. 3 SGG ausgesetzt. Das Verfahren war vom SG mit Beschluss vom 28.03.2018 ausgesetzt worden, der vom Klägerbevollmächtigten am 12.12.2018 gestellte Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens wurde vom SG mit Beschluss vom 01.08.2019 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Im April 2020 nahm das SG das Verfahren wieder auf, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht mehr gegeben seien.
Während der Dauer der Aussetzung besteht gerade keine Verpflichtung das Verfahren weiter zu betreiben. Dies ergibt sich schon aus dem Sinn und Zweck der Aussetzung, die gerade unnütze Arbeit durch das Gericht (z.B. durch parallele Ermittlungen) oder divergierende Entscheidungen von Gerichten auch verschiedener Verfahrensordnungen vermeiden soll. Die Aussetzung bewirkt vielmehr den Stillstand des Verfahrens (vgl. hierzu Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 114 SGG [Stand: 15.06.2022], Rn. 25 und 57).
Nach der Rechtsprechung des BSG kommt ein Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem Parallelverfahren deshalb auch dann als sogenannte aktive Bearbeitungszeit des Ausgangsgerichts in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind (vgl. BSG Beschluss vom 30.03.2023 - B 10 ÜG 2/22 B - juris Rn. 13 mit Verweis auf BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 Rn. 47 und auch BVerfG Kammerbeschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - juris Rn. 31).
Des Weiteren haben sowohl das BSG als auch das BVerfG entschieden, dass das Gericht bei einer Entscheidung über die Aussetzung eines Verfahrens die mögliche Verfahrensverlängerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und gegebenenfalls der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abzuwägen hat. Dabei hat es auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Eine Verzögerung des vorgreiflichen Rechtsstreits ist ebenfalls ein Gesichtspunkt, dem bei der Ausübung des Ermessens Rechnung zu tragen ist (BSG, Beschluss vom 30.03.2023 - B 10 ÜG 2/22 B -, Rn. 13, juris)
Entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten hat der Senat aber nicht im Rahmen des Entschädigungsverfahrens darüber zu entscheiden, ob die materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des SGs hinsichtlich der Frage, ob die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des SGs Einfluss haben können, richtig war. Denn das Entschädigungsverfahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Vielmehr hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Die Prozessordnung räumt dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts Art. 19 Abs. 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (vgl. BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 43 m.w.N.).
Nach alledem kann der Senat gerade in keinster Weise eine fehlerhafte Entscheidung des Ausgangsgerichts bei der Aussetzung erkennen. Das SG begründete die Aussetzung mit der Vorgreiflichkeit der strafrechtlichen Ermittlungen und hat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens die Verfahrensdauer sowie die Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abgewogen. Darüber hinaus wurde der erste Aussetzungsbeschluss von den Beteiligten nicht angegriffen, den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens lehnte das SG ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Damit lagen die Voraussetzungen für eine wirksame Unterbrechung des Verfahrens vor und diese Zeiten sind nicht als inaktive Zeiten des Ausgangsgerichts festzustellen.
Nicht zu beanstanden ist ferner der Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Ausgangsgericht. Dieser ist entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung auch nicht willkürlich gewählt worden, im Gegenteil: Das Ausgangsgericht hat nämlich die Aufgabe zu überprüfen, ob und wie lange die Voraussetzungen für die Aussetzung vorliegen, um das Verfahren ggf. von Amts wegen wiederaufzunehmen. Genau dies hat das SG hier getan. Denn auch dieser Zeitpunkt liegt grds. im Ermessen des Ausgangsgerichts, zumal eine Wiederaufnahme hier zeitnah zur Kenntnis des Ausgangsgerichts von der abgesagten strafrechtlichen Hauptverhandlung (vgl. Schreiben des Klägervertreters vom 08.04.2020 unter Hinweis auf die Verfügung des Landgerichts vom 01.04.2020, Bl. 49 ff. SG-Akte S 12 KR 4149/19) erfolgte. Das SG hat zu diesem Zeitpunkt erneut die Verfahrensdauer sowie die Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie und die Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen gegeneinander abgewogen und nachvollziehbar dargelegt, warum aufgrund der weiteren Verzögerung im strafrechtlichen Verfahren die Voraussetzungen für eine Aussetzung nun gerade nicht mehr vorliegen.
Ebenfalls nicht als Monate der Inaktivität sind die Monate August 2017, September 2017, Oktober 2017, Dezember 2017, Januar 2018, Oktober 2021 bis November 2021 sowie Juni, Juli und August 2022 festzustellen.
Im August 2017 erteilte das SG Ulm einen richterlichen Hinweis zur Rechtsnatur der vorgelegten Leitzordner (Anlagen zum Schriftsatz oder beigezogene Akten) und fragte an, ob der Klägerbevollmächtigte hierein Akteneinsicht begehre (Bl. 201 R SG-Akte S 15 KR 1715/16). Im September 2017 wurde ein Schreiben des Klägerbevollmächtigten zu diesem Streitpunkt an die KV zur Stellungnahme übersandt. Auch wenn es hierbei nur um Scheiben zur Akteneinsicht in Gerichts- bzw. beigezogene Akten handelte, sind nach Überzeugung des Senats aber solche Zeiten ebenfalls als aktive, verfahrensfördernde Zeiten zu berücksichtigen. Es ist Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Amtsermittlung alle notwendigen Unterlagen beizuziehen und es gehört zu den Verfahrensrechten eines Bevollmächtigten, Akteneinsicht in alle relevanten Unterlagen zu bekommen, so dass die (rechtliche) Beurteilung von Fragen zur Akteneinsicht und die Gewährung dieser sehr wohl der Verfahrensförderung dient. Nicht zuletzt war es der Klägerbevollmächtigte selbst, der diese Stellungnahmen und Hinweise durch seine vielen Einwände gegen die Beiziehung der Strafakten sowie die Form des zur Verfügung Stellens, notwendig machte.
Gleiches gilt für den Monat Oktober 2017, in dem das Gericht den vom Klägerbevollmächtigten gestellten Antrag auf Kostenübernahme für anzufertigende Kopien aus den Ermittlungsakten durch die KV dieser mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandte (Bl. 217 R SG-Akte S 15 KR 1715/16).
Im Januar 2018 war das SG ebenfalls entgegen den Ausführungen der Klägerseite nicht inaktiv, denn das SG bat mit Schreiben vom 12.01.2018 (Bl. 223 R SG-Akte S 15 KR 1715/16) die KV um Mitteilung zum Stand des Ermittlungsverfahrens.
Auch für den Monat Oktober 2021 kann der Senat keine Inaktivität des Ausgangsgerichts feststellen, denn mit Schreiben vom 11.10.2021 (Bl. 115 SG-Akte S 12 KR 4191/19) gewährte das Gericht dem Kläger auf seinen Antrag hin Akteneinsicht in die Gerichtsakte. Wie bereits oben ausgeführt, ist auch die Gewährung von Akteneinsicht an Beteiligte Teil der Verfahrensförderung, zumal, wenn wie hier, Gerichtsakten noch in Papier geführt wurden und ein paralleles Arbeiten des Gerichts nicht möglich war.
Im November 2021 sind gleich zwei Aktivitäten des SG festzustellen, denn es erinnerte die Staatsanwaltschaft an die Vorlage der Strafakten (Schreiben vom 16.11.2021, Bl. 120 SG-Akte S 12 KR 4191/19) und sichtete sie nach deren Eingang, kopierte Teile hieraus und legte hierzu einen Sonderband an (siehe Vfg. vom 26.11.2021, Bl. 122).
Die Monate Juni und Juli 2022 sind ebenfalls mit einer aktiven Zeit belegt. Nachdem der Bevollmächtigte auch nach dem Präsidiumsbeschluss vom 30.05.2022 erneut Zweifel an der Zuständigkeit des 12. Kammer des SG für das Ausgangsverfahren geäußert hatte, wandte sich die Kammervorsitzende erneut an das Präsidium und konnte in der Zeit, in der ihre Zuständigkeit nicht geklärt war, das Verfahren nicht weiter betreiben. Außerdem informierte das SG die Beteiligten mit Schreiben vom 25.07.2022 darüber, welche Zeugen geladen werden sollen (Bl. 205 R), was ebenfalls als aktive Verfahrensförderung zu betrachten ist, denn diesen Hinweisen gingen offensichtlich rechtliche Prüfungen zum Umfang der zu führenden Amtsermittlung voraus. In diesem Zusammenhang erfolgte im Anschluss im August 2022 erneuter Schriftverkehr zwischen den Beteiligten und dem SG, nachdem der Klägerbevollmächtigte weitere Ausführungen zur geplanten Zeugenvernehmung und dem genannten Beweisthema machte, woraufhin das SG Hinweisschreiben vom 03.08.2022 und 16.08.2022 verfasste.
Damit ist alles in allem eine Inaktivität des Gerichtes für insgesamt 18 Monate festzustellen.
c.
Bei der Gesamtabwägung aller für die Entscheidung erheblichen Umstände (dritter Schritt der Angemessenheitsprüfung der Verfahrensdauer) waren nunmehr von den festgestellten 18 Monaten der Inaktivität zwölf Monate als Vorbereitungs- und Bedenkzeit für den Berufungssenat abzusetzen (dazu unter aa), nicht jedoch weitere Monate im Hinblick die zeitweise nur vertretungsweise besetzte Kammer und aufgrund der bestehenden Coronapandemie der aktiven Zeit hinzuzurechnen bzw. die Zwölf-Monatsfrist entsprechend zu verlängern (dazu unter bb).
aa.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist den Ausgangsgerichten - vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls - eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz zuzubilligen, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt und nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss (BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 33; BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R - juris Rn. 45; BSG Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 25; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 27, 46). Dies hat das BSG aus der Struktur und Gestaltung des sozialgerichtlichen Verfahrens abgeleitet (grundlegend BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 45 ff). Das BSG trägt damit dem Umstand Rechnung, dass grundsätzlich jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit zur Verfügung stehen muss. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Sie wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. auch BGH Urteil vom 12.02.2015 - III ZR 141/14 - juris Rn. 33 mwN). Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Vielmehr sind Rechtsschutzsuchenden je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie von ihrem Verhalten gewisse Wartezeiten zuzumuten. Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 33; BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 44 mwN).
An dieser Rechtsprechung hält das BSG nach wie vor fest (siehe BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 34). Die Zwölfmonatsregel sorgt - wie vom 10. Senat des BSG bezweckt (BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 45) - in der sozialgerichtlichen Praxis für Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Sie gibt nicht nur den Entschädigungsgerichten, sondern schon den Ausgangsgerichten eine einfache und praktikable Beurteilungsgrundlage an die Hand. Sie ermöglicht einerseits einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure des Sozialgerichtsprozesses bezogen auf die Verfahrensdauer für den Regelfall, schließt aber andererseits auch eine abweichende Beurteilung bei Besonderheiten im Einzelfall nicht aus (Söhngen in Hennig, SGG, § 202 Rn. 79, Stand der Einzelkommentierung Februar 2016). Die Rechtsprechung des BSG ist nicht zuletzt deshalb in der sozialgerichtlichen Praxis einhellig auf Zustimmung gestoßen. Die Landessozialgerichte als Entschädigungsgerichte (so auch der erkennende Senat) legen sie ihren Entscheidungen bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer regelmäßig zugrunde (z.B. Hessisches LSG Urteil vom 12.05.2021 - L 6 SF 23/18 EK SF - juris Rn. 44 f; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 12.02.2020 - L 12 SF 8/19 EK EG - juris Rn. 31 ff; Sächsisches LSG Urteil vom 29.03.2017 - L 11 SF 70/16 EK - juris Rn. 31).
bb.
Besondere Umstände des Einzelfalles, vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG können es gebieten, von der Regel einer zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit abzuweichen und ausnahmsweise einen kürzeren Zeitraum anzusetzen (siehe BSG Urteil vom 09.03.2023 - B 10 ÜG 2/21 R - juris Rn. 29 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 38).
Besonderheiten, die eine Abweichung nach unten rechtfertigen würden, können hier nicht festgestellt werden. Es ist zwar richtig, dass von den genannten Orientierungswerten insbesondere dann abgewichen werden kann, wenn die Gesamtverfahrensdauer (auch) auf Verhalten des Klägers oder Dritter beruht (s.o.). Wie bereits oben festgestellt, wurde die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens nicht unerheblich durch das Verhalten des Klägers(bevollmächtigten) verkompliziert. Diesen Mehraufwand hat der Senat aber bereits umfassend bei der Berücksichtigung der als Monate der aktiven Bearbeitung zu berücksichtigenden Zeiten anerkannt, so dass hier kein weiterer Raum mehr für eine Abweichung der zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit besteht.
Soweit der Beklagte weiter die Auffassung vertritt, dass im Hinblick auf die pandemiebedingten Einschränkungen im vorliegenden Verfahren weitere inaktive Zeiten unberücksichtigt bleiben können, kann dem der Senat dem nicht folgen. Es ist zwar richtig, dass vorliegend bei einem Termin über drei Verhandlungstage mit vielen Beteiligten im Rahmen der Coronapandemie besondere Anforderungen an das Gericht gestellt waren, allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei Entscheidungsreife des Verfahrens (wohl nach Vorlage der strafrechtlichen Akten im Herbst/ Winter 2021) die Pandemie bereits ein Stadium erreicht hatte, in der unter Beachtung entsprechender Hygiene- und Schutzkonzepte ein regulärer Gerichtsbetrieb wieder möglich war.
Es ist zwar in der Rechtsprechung anerkannt worden (vgl. hierzu z.B. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.01.2023 - L 37 SF 83/22 EK R - juris Rn. 50 mit Verweis auf BFH Urteil vom 27.10.2021 - X K 5/20 - juris Rn. 44 ff.), dass etwaige in der Zeit zu Beginn der Coronapandemie, namentlich die Zeit zwischen März und Mai 2020, aufgetretene Phasen der gerichtlichen Inaktivität keine dem Staat zurechenbaren Verzögerungszeiten darstellen. Denn es handelte sich hierbei nicht um eine dem staatlichen Verantwortungs- und Einflussbereich zuzuordnende Verzögerung. Es handelte sich insoweit um ein außergewöhnliches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispielloses Ereignis. Angesichts der Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 10.04.2020 - 1 BvQ 31/20 - juris Rn. 13) haben der Bund und die Länder ab März 2020 durch Verordnungen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus und zum Schutz der Bevölkerung ergriffen. In den Gerichten kam es in diesem Zusammenhang zur Einrichtung eines Notbetriebs und - jedenfalls auf entsprechende dringende Empfehlungen der Gerichtsleitungen hin - vorübergehend zur (weitgehenden) Einstellung des Sitzungsbetriebs, bis Hygiene- und Schutzkonzepte erstellt und die zur möglichst weitgehenden Vermeidung von Infektionen erforderlichen Maßnahmen umgesetzt waren (vgl. auch hierzu LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.01.2023 - L 37 SF 83/22 EK R - juris Rn. 50, juris). Ab Mai 2020 waren die Voraussetzungen für eine schrittweise Rückkehr zu einem geordneten Dienstbetrieb wieder erfüllt. Verzögerungen außerhalb des Sitzungsbetriebes lagen ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich wieder im staatlichen Verantwortungsbereich. Die Entscheidung über Ob und Wie der Durchführung von Sitzungen hatte ab diesem Zeitpunkt - wie schon zuvor - allein im Verantwortungsbereich der Richterinnen und Richter gelegen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 02.08.2023 - L 11 SF 262/22 EK AS - juris, Rn. 54).
Es obliegt nämlich den Gerichten und damit dem Staat, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit ausreichend Rechnung trägt (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2022 - B 10 ÜG 2/20 R - juris Rn. 43). Daher konnte (und hat letztlich auch) der Notbetrieb an den Gerichten nur für eine Übergangszeit gegolten, so dass den Gerichten für die Dauer der ersten Corona-Welle eine dreimonatige Frist einzuräumen war, um die im Interesse des Gesundheitsschutzes der Gerichtsangehörigen, aller übrigen Verfahrensbeteiligten und auch Besucherinnen und Besuchern gebotenen Maßnahmen umzusetzen. Etwaige zwischen März und Mai 2020 aufgetretene Verzögerungen, sei es im Sitzungsbetrieb, sei es im allgemeinen Geschäftsablauf, waren daher der Corona-Pandemie geschuldet und sind selbst wenn sich dies nicht unmittelbar den Akten entnehmen lässt, dem Staat nicht anzulasten (so für den Sitzungsbetrieb auch BFH Urteil vom 27.10.2021 - X K 5/20 - juris Rn. 53 f.; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.01.2023 - L 37 SF 298/21 EK AS - sowie - L 37 SF 71/22 EK SO - und - L 37 SF 83/22 EK R -, jeweils juris)
Im Zeitraum März bis Mai 2020 lag hier aber, insbesondere deshalb, weil das Verfahren ausgesetzt war, keine inaktive Zeit des Ausgangsgerichts vor (s.o.). Ab April 2020 wurde das Verfahren dann auch wieder betrieben.
Eine darüber hinausgehende pauschale Rechtfertigung für inaktive Zeiten, kommt nach Überzeugung des Senats nicht in Betracht. Auch wenn im Rahmen einer mehrtätigen Verhandlung mit vielen Beteiligten besondere Vorsichtsmaßnahmen während der weiter andauernden Coronapandemie zu treffen waren, so war doch in der Folgezeit aufgrund der durch die Gerichtsverwaltungen erarbeiteten Hygiene- und Schutzkonzepte, wie durch die Gewährleistung erforderlicher Mindestabstände und ausreichender Belüftung sowie im Interesse der Vermeidung des zu nahen Zusammentreffens vieler Personen - räumliche und teils bauliche Anpassungen (z.B. Ausstattung mit Trennwänden) -, die Anordnung einer Maskenpflicht sowie die Möglichkeit der Testung, ein relativ normaler Gerichtsbetrieb möglich. Nicht zuletzt war hier zu beachten, dass die Entscheidungsreife des Verfahrens erst im Herbst/ Winter 2021 eingetreten war, also zu einem Zeitpunkt als bereits allen Bundesbürgern die Möglichkeit zur Impfung gegen COVID 19 gegeben war und darüber hinaus die Möglichkeit bestand - wovon das SG sogar Gebrauch machte - insbesondere vulnerable Verfahrensbeteiligte per Videotechnik zur mündlichen Verhandlung zuzuschalten, um Kontakte und die Gefahr einer Infektion zu minimieren.
Ebenfalls nicht zu einer weiteren Rechtfertigung von inaktiven Zeiten kann führen, dass die Kammer zeitweise nur vertretungsweise besetzt war. Wie bereits oben ausgeführt (vgl. unter Punkt II. 2. b. bb.) obliegt es hier dem Staat, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen durch den krankheitsbedingten Ausfall auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren.
Damit ist im Ergebnis eine überlange Verfahrensdauer in einem Umfang von sechs Monaten festzustellen, die weit überwiegend nicht auf einer unzureichenden Bearbeitung durch die Kammervorsitzende, sondern im Wesentlichen darauf beruhen, dass die Kammer über einen längeren Zeitraum lediglich vertretungsweise besetzt war.
d.
Der Kläger hat infolge der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens einen Nachteil erlitten, der im tenorierten Umfang zu entschädigen ist.
Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lang gedauert hat. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO, vgl. BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 20, Rn. 52 m.w.N.). Umstände, die diese Vermutung widerlegen, sind nicht erkennbar. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch die bloße Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist im vorliegenden Fall nicht im Sinne von § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ausreichend. Es ist zwar richtig, dass auch an dieser Stelle das Verhalten der Beteiligten im Verfahren mit berücksichtigt werden kann und ggf. dann von einer Festsetzung einer Entschädigung in Geld abgesehen werden kann. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn Beteiligte das Gericht in so sehr ungewöhnlichen Maß in Anspruch nehmen, das ein zügiges Abarbeiten durch dieses fast nicht mehr möglich ist. Insbesondere dürfen Entschädigungsverfahren nicht zu einer Bevorzugung von Vielklägern oder solchen Prozessbevollmächtigten führen, die ungewöhnlich viele Verfahren vor Gericht führen und hier durch ihr aus dem Rahmen fallendes Prozessverhalten (z.B. Klagen mit sich überschneidendem Streitgegenstand, Abarbeiten einer Vielzahl von Klageanträgen, reflexartige Einlegung von der Rechtsordnung nicht vorgesehener benannter und unbenannter Rechtsbehelfe nach für die Mandaten ungünstigen Entscheidungen des Gerichts, reflexartige Stellung von Befangenheitsanträgen nach für die Mandaten ungünstigen Entscheidungen des Gerichts, Stellung von Anträgen, die außerhalb des Streitgegenstandes liegen, Zusatzarbeit durch Erinnerungen an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses) besonders viel Arbeit in der richterlichen Abarbeitung der Verfahren und auch in der Administrierung der Verfahren verursachen. In solchen Fällen kann von einer Festsetzung einer Entschädigung in Geld abgesehen werden (vgl. Hessisches LSG Urteil vom 24.08.2022 - L 6 SF 11/21 EK AS -, juris Rn. 83).
Vorliegend hat der Kläger durch sein Verhalten, wie bereits ausführlich dargelegt, das Verfahren zwar erheblich verkompliziert und dieses Verhalten ist auch im Rahmen der Prüfung von aktiven Zeiten durch den Senat bereits berücksichtigt worden (s.o.). Alles in allem handelte es sich aber hierbei um noch zulässiges prozessuales Verhalten, dass das soeben geschilderte Maß noch nicht erreichte, so dass ein Absehen von der Festsetzung einer Entschädigung in Geld noch nicht gerechtfertigt erscheint.
Der Nachteil, den der Kläger infolge der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens erlitten hat, ist gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für jeden Monat der unangemessenen Verzögerung mit 100,00 Euro, im vorliegenden Fall mithin mit 600,00 Euro zu entschädigen. Eine Abweichung von diesem Betrag wegen Unbilligkeit gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kommt hier entgegen den Ausführungen des Klägerbevollmächtigten nicht in Betracht. Anders als bei der Ermittlung der angemessenen Dauer des Verfahrens auf der Tatbestandsseite soll die Pauschalierung eine zusätzliche Belastung der Gerichte bei der Bemessung der Entschädigung in Geld vermeiden und eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen ermöglichen. Wortlaut und Gesetzessystematik lassen deshalb nur ausnahmsweise Korrekturen in atypisch gelagerten Sonderfällen zu; aus Billigkeitsgründen ist dann eine Abweichung nach oben oder nach unten möglich. Dafür muss sich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abheben (vgl. BSG Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 37 ff.; Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris Rn. 51; jeweils m.w.N.). Darüber entscheidet das Entschädigungsgericht nach richterlichem Ermessen. Dabei kann es dieselben Umstände berücksichtigen, die bereits in die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer einfließen, wie insbesondere das Verhalten des Entschädigungsklägers und die Bedeutung der Sache für ihn (vgl. Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 198 GVG [Stand: 05.01.2024], Rn. 148). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Senat vorliegend keinen atypischen Fall erkennen. Es ist zwar richtig, dass das Verfahren hier mit einer Dauer von 78 Monaten erheblich länger als ein durchschnittliches sozialgerichtliches Verfahren gedauert hat. Auf der anderen Seite ist aber auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren wie oben dargestellt lediglich von durchschnittlicher Bedeutung für den Kläger war, aber - und das nicht zuletzt durch das Verhalten des Klägerbevollmächtigten - von einer erheblichen Schwierigkeit und Komplexität geprägt war. Nicht zuletzt war das Verfahren insgesamt von März 2018 bis einschließlich April 2020 (d.h. zwei Jahre) in nicht zu beanstandender Weise ausgesetzt.
e.
Der für den immateriellen Nachteil zuerkannte Entschädigungsbetrag ist in entsprechender Anwendung der § 288 Abs. 1, § 291 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab Eintritt der Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (BSG Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 - juris Rn. 61; BVerwG Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris Rn. 46). Der Lauf des Zinsanspruchs beginnt in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem der Zustellung an den Beklagten (hier am12.07.2023) folgenden Tag (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 16.02.2022 - L 11 SF 114/20 EK U - juris, Rn. 60 mit Verweis auf BSG Urteil vom 09.04.2019 - B 1 KR 5/19 R -, BSGE 128, 65 ff. juris Rn. 39, m.w.N.), hier also ab dem 13.07.2023.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 201 Abs. 4 GVG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Kläger gemessen an seinem Begehren, nämlich einer Entschädigungszahlung in Höhe von 3.750,00 Euro, nur zu einem geringen Teil erfolgreich war, weshalb hier aus Sicht des Senates eine Quotelung hinsichtlich der Kostentragung von fünf Sechsteln zulasten des Klägers und einem Sechstel zulasten des Beklagten vorzunehmen war.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.