S 27 SO 159/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 SO 159/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 120/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid


1.    Der Bescheid vom 26.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2017 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten der Behandlung des Patienten D. H. im Zeitraum 04. - 20.04.2013 i.H.v. 34.589,96 € zu übernehmen.

2.    Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme von entstandenen Behandlungskosten für den deutschen Staatsangehörigen D. H., geb. 1948 (nachfolgend Patient genannt) nach dem SGB XII.

Die Kl. betreibt ein Krankenhaus und stellte am 08.04.2013 einen Kostenerstattungsantrag im Rahmen einer Notfallbehandlung gemäß § 25 SGB XII beim Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt am Main, nachdem d. Kl. am 04.04.2016 den Erstattungsanspruch vorsorglich dort angemeldet hatte. Der Patient gab während der Aufnahme im Krankenhaus an, er habe zuvor in Spanien gelebt und dort keine Sozialhilfe bezogen. Der Grenzübertritt aus dem Ausland habe am 04.04.2013 ca. um 1.00 Uhr nachts stattgefunden. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse und des zuletzt ausgeübten Berufs wurden keine Angaben gemacht. Die Aufnahme im Krankenhaus erfolgte um 4.20 Uhr als Notfall und der voraussichtliche Entlassungstermin wurde mit 17.04.2013 angegeben.

Am 22.04.2013 sprach der Sohn des Patienten beim Jugend- und Sozialamt vor und gab an, sein Vater sei gelernter Buchbinder gewesen. Zuletzt habe er ihn im Jahr 2011 während eines Urlaubs in Mallorca getroffen. Er sei dann nach Spanien ausgewandert und habe dort mit seiner Lebensgefährtin gelebt. Diese habe Anfang April 2013 angerufen und dem Sohn mitgeteilt, dass es dem Patienten schlecht ginge. Deshalb sei der Sohn Anfang April 2013 mit dem Flugzeug nach Spanien geflogen, um ihm zu helfen. Dort habe er den Vater in eine Klinik einweisen wollen. Dies sei ihm aber verweigert worden mangels Krankenversicherung. Daraufhin habe ein Bekannter des Vaters ihm geholfen, diesen nach Deutschland zu bringen. Nach dem Grenzübertritt am 04.04.2013 sei er in der A-klinik als Notfall eingeliefert und dort operiert worden. Verstorben sei er dann am XX.XX.2013. Weiter gab er an, dass sein Vater bis zum Jahre 2006 bei der Beigeladenen krankenversichert gewesen sei. Dort habe er am 12.04.2013 einen Wiederaufnahmeantrag abgegeben. Die Bearbeitung sei von dort verweigert worden, da keine Meldeadresse in Deutschland vorliege.

Mit Bescheid vorn 26.03.2014 lehnte das Jugend- und Sozialamt Frankfurt am Main den Antrag auf Kostenübernahme der stationären Behandlungskosten ab. Zur Begründung führte es aus, der Anspruch des Hilfebedürftigen auf Krankenschutz durch einen Träger der Krankenversicherung gehe einem Anspruch auf Krankenhilfe aus Sozialmitteln gemäß § 25 SGB XII vor. Maßgeblich für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V sei, dass die letzte Krankenversicherung vor dem fehlenden anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall eine gesetzliche Krankenversicherung gewesen sei. Laut Angaben der AOK Hessen sei der Patient bis zum 31.01.2007 bei der AOK Hessen versichert gewesen. Dabei sei unbeachtlich, dass die Krankenversicherung nicht bis unmittelbar vor dem Behandlungszeitraum bestanden habe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10.08.2017 wies die Bekl. den dagegen erhobenen Widerspruch zurück und führte aus:

„Gemäß § 25 Abs. 1 SGB XII sind Leistungen, die jemand einem anderen in einem Eilfall erbracht hat und die bei rechtzeitigem Einsetzen von Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, in gebotenem Umfang zu erstatten, wenn er sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird.

lm vorliegenden Widerspruchsfall waren nicht alle Voraussetzungen des § 25 SGB XII gegeben. Das A-klinikum A-Stadt gehörte zum antragsberechtigten Personenkreis. Als „jemand" im Sinne des § 25 SGB XII gilt jede Person, die einem anderen Leistungen erbracht hat. Anspruchsberechtigt sind deshalb nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts, wie beispielsweise eine private oder karitative Krankenanstalt (siehe OVG Münster, NVwZ 1990, 1097). Das war im vorliegenden Fall zu bejahen. Das Krankenhaus war auch als Nothelfer in einem Eilfall tätig. Ein Eilfall im Sinne des § 25 SGB XII ist gegeben, wenn in einer plötzlich auftretenden Notlage sofort gehandelt und durch die Nothilfe sofort geholfen werden muss (OVG Münster, DVBl 2001, 577). Dies ging aus der Aufnahmemitteilung eindeutig hervor. Der Patient war am 04.04.2013 als Notfall dort aufgenommen worden. Es lag eine akute Erkrankung vor, die Hilfemaßnahme musste sofort erbracht werden, weshalb hier ein Eiffel! im Sinne des § 25 SGB XII gegeben war.

Als weiteres Tatbestandsmerkmal des § 25 Abs. 1 SGB XII ist jedoch zu fordern, dass der sachlich und örtlich zuständige Sozialhilfeträger bei rechtzeitiger Kenntnis der Sachlage nach den Vorschriften des SGB XII die Hilfeleistung zu erbringen gehabt hätte. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Notlage als dem Zeitpunkt der hypothetischen Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger (VGH Mannheim, Urteil vorn 27.09.1995, Aktenzeichen: 6 S 2522/94). Da bei der in Not geratenen Person alle Voraussetzungen für eine Leistungserbringung vorgelegen haben müssen, sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII), eventuelle Ausschlusstatbestände, sowie die Einkommens- und Vermögenssituation der in Not befindlichen Person zu prüfen (siehe Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 25 Randnummer 18; VGH Kassel, NJW 1992, 1583).

Gemäß § 2 Abs. I SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (Nachranggrundsatz).

Vorliegend war das Jugend- und Sozialamt Frankfurt am Main aufgrund des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe nicht zur Erstattung der entstandenen Behandlungskosten verpflichtet, da hier ein vorrangiger Leistungsträger vorhanden war. Der Patient war laut Angaben der AOK Hessen bis zum 31.01.2007 bei dieser Kasse gesetzlich versichert. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, den Patienten wiederaufzunehmen. Der Hinweis auf den Leistungsausschluss gemäß § 52a SGB V, wonach kein Anspruch auf Leistungen besteht, wenn sich Personen in den Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs begeben, um missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen, geht hier fehl, da es sich dabei lediglich um unbewiesene Behauptungen handelt. Dem Antragsformular der Widerspruchsführerin lässt sich kein Hinweis entnehmen, dass der Patient sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs begeben hat, um missbräuchlich Leistungen in Anspruch zu nehmen. Gemäß § 52a Satz 2 SGB V regelt das Nähere zur Durchführung die Krankenkasse in ihrer Satzung. Die AOK hat jedoch hinsichtlich der näheren Ausführungen in der Krankenkassensatzung nichts vorgetragen. Fest steht nur, dass der Patient in D-Stadt/Deutschland geboren war und den größten Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat. Von 2011-2013 lebte er für 2 Jahre im europäischen Ausland. Diese Tatsache schließt ihn jedoch nicht von der Pflicht der gesetzlichen Krankenkasse aus, ihn auf Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V wiederaufzunehmen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hat eine zentrale Schnittstelle für Internationale Partner und Träger der sozialen Sicherheit eingerichtet, nämlich die deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland (DVKA). Diese Verbindungsstelle hat sich mit grenzüberschreitenden Sachverhalten hinsichtlich der Wiederaufnahrne in die Krankenversicherung befasst. In der Anlage zum DVKA Rundschreiben Nr. 35/2007 vom 02.07.2007 hat es darauf hingewiesen, dass in EU-Staaten bzw. der Schweiz eingetretene Sachverhalte aufgrund gefestigter Rechtsprechung des EuGHs mit solchen, die in Deutschland aufgetreten sind, gleichzustellen sind. Dabei stellt es in seiner Auslegung fest: „Ein gleichzustellender Tatbestand ist auch der Wohnort im EU-Ausland bzw. der Schweiz, wenn aufgrund der Bestimmungen der Verordnung EWG Nr. 1408/71 für eine Person die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden sind. Dies gilt z.B. für Arbeitnehmer, Selbständige und Rentner". Ein solcher Fall war vorliegend gegeben. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 war anzuwenden. Der Titel der Verordnung Nr. 1408/71/EWG lautet: „Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern". Die Verordnung wirkt wie ein großes Sozialversicherungsabkommen zwischen allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Schweiz. Kerngedanke ist, dass man auch beim Wechsel in einen anderen Mitgliedsstaat seinen Krankenversicherungsschutz und die Rentenansprüche nicht verliert.

In der Anlage zum DVKA-Rundschreiben wird unter Ziffer 1.3 „Auslandsrückkehrer" ausgeführt, dass bei einem Auslandsaufenthalt in einem EWR-Staat (hier: Spanien) für die Prüfung der Voraussetzung „zuletzt krankenversichert" auf den Versicherungsstatus während des Auslandsaufenthalts abzustellen sei (siehe beigefügte Anlage). „Wurde im Ausland ausschließlich eine private Krankenversicherung begründet, ...ist die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgeschlossen". Da vorliegend der Patient D. H. zunächst in Deutschland, D-Stadt geboren war und hier auch gelebt hatte und zwischenzeitlich lediglich für kurze Zeit nach Spanien ausgewandert war, war die Verordnung (EWG Nr. 1408/71) auf ihn anzuwenden. Die Behauptung der Widerspruchsführerin, er müsse einen Wohnsitz in Deutschland nachweisen, geht ins dadurch Leere, dass Herr H. seinen Wohnort im EU-Ausland hatte, weshalb ein gleichzustellender Tatbestand gegeben war. Laut Aufnahmeanzeige des Krankenhauses und Aussage des Sohnes hat Herr H. in Spanien keine Sozialleistungen bezogen. Es muss daher von der Ausübung einer Tätigkeit ausgegangen werden. Über die Einkommensverhältnisse ist nicht bekannt. Weiter war Herr H. „zuletzt krankenversichert" bis 31.01.2007 bei der AOK Hessen, also bei einer gesetzlichen Kasse. In Spanien war er gar nicht, jedoch keinesfalls privat krankenversichert. Daher gab es kein Ausschlusskriterium für eine Wiederaufnahme in die gesetzliche Versicherung. Somit bestand unbeschadet seines Auslandsaufenthalts weiterhin die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. Nr. 13 SGB V und damit die Pflicht der AOK Hessen, ihn wieder in das Versicherungssystem aufzunehmen.

Damit war der Ablehnungsbescheid der AOK Hessen vom 16.04.2014 rechtswidrig. Die AOK Hessen hätte Herrn H. im Rahmen der Durchführung einer Pflichtmitgliedschaft gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und der Anlage zum DVKA-Rundschreiben Nr. 35/2007 aufnehmen müssen. Ob gegen die rechtswidrige Entscheidung aufgrund der Empfehlung des Jugend-und Sozialamts Frankfurt vom 19.11.2014 Widerspruch eingelegt worden ist, ist der Widerspruchsbehörde nicht bekannt. Unabhängig davon war jedoch ein vorrangiger Leistungsträger vorhanden. Zusätzlich war dem Jugend- und Sozialamt die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung hinsichtlich des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes nicht möglich. Die Ablehnung der Kostenübernahme durch das Jugend- und Sozialamt Frankfurt war somit zu Recht erfolgt.“

Dagegen hat die Kl. am 14.09.2017 Klage erhoben. 

Die Kl. beantragt sinngemäß,

wie aus dem Tenor ersichtlich, hilfsweise die Beigeladene zur Kostenübernahme zu verurteilen.

Die Bekl. beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Die Bekl. stützt sich in erster Linie auf den Umstand, dass die Beige. kraft Gesetzes zur Zahlung verpflichtet sei, denn der Patient sei bei der Beige. krankenversichert gewesen.

Die Beigel. stellt keinen Antrag.

Die Beigel. trägt vor, der Patient sei nicht bei ihr krankenversichert gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen Verwaltungsakten, der Gegenstand der Entscheidungsfindung ist.


Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da der vorliegende Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Ein Rechtsstreit weist nach dem Willen des Gesetzgebers besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, wenn er deutlich über dem Durchschnitt sonstiger Verfahren liegende Anforderungen an das Gericht stellt, die sich aus den besonderen Schwierigkeiten entweder bei der Tatsachenfeststellung, Beweiserhebung und Beweiswürdigung oder bei der Rechtsanwendung ergeben. Allein der Umfang der Sache, insbesondere der mit ihrer Bearbeitung und Entscheidung verbundene Zeitaufwand, oder die wirtschaftliche Bedeutung eines Rechtsstreits rechtfertigen nicht die Annahme eines besonders schwierigen Rechtsstreits (vgl. Bundestags-Drucksache 14/4722, S. 89).

Die Auslegung und Anwendung neuer Rechtsnormen weist vor der höchstrichterlichen Klärung besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, NZS 2002, 377).

Der vorliegende Rechtsstreit ist weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besonders schwierig. Streitigkeiten über Bewilligung von Sozialleistungen nach dem SGB 12 und damit zusammenhängende Verfahrenshandlungen der Behörden gehören zum alltäglichen Geschäft eines Sozialgerichts. Das Gericht hält den Erlass eines Gerichtsbescheides für angemessen, zumal dies zu einer Abkürzung des Verfahrens führt angesichts der am hiesigen Gericht oftmals lange andauernden Verfahren. 

Die zulässige Klage ist begründet, da der im Tenor genannte Bescheid rechtswidrig ist und die Kl. in ihren Rechten verletzt.

Die von der Bekl. erhobenen Einwendungen gegen den Zahlungsanspruch der Kl. greifen nicht durch.

Die Beigeladene ist nicht leistungspflichtig, weil der Patient nicht bei ihr versichert war.

Es kann unentschieden bleiben, ob der Patient vor seinem Aufenthalt in Spanien bei der Beigeladenen oder der damaligen Barmer Ersatzkasse tatsächlich krankenversichert war.  Die Barmer hat am 06.06.2019 mitgeteilt, keine sachdienlichen Unterlagen über den Patienten zu haben

Jedenfalls scheidet eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus, denn die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 52a SGB V waren erfüllt.

Der Patient reiste am 04.04.2013 um ca. 1:00 Uhr nach Deutschland ein und begab sich bereits um 4:20 Uhr ins Krankenhaus. Damit ist zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass H. nur deshalb nach Deutschland kam, um sich in deutsche stationäre Krankenbehandlung zu begeben, ohne in Spanien oder Deutschland krankenversichert zu sein.

Eine Missbrauchsabsicht ist gegeben, wenn der Wille des Versicherten auf den Leistungsbezug gerichtet ist und es ihm darauf ankommt. Ein (nur) bedingter Vorsatz ist hier nicht ausreichend (BayLSG, Beschl. v. 9.4.2018 – L 20 KR 72/18 B ER, Rn. 37). Ein Missbrauchsvorsatz muss auch das Wissen umfassen, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zu werden (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.7.2015 − L 1 KR 246/12, NZS 2015, 946). Liegen jedoch andere Hauptziele vor (z.B. Freizügigkeit, Familienzusammenführung, Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen, Aufenthalt zum Zweck der Arbeitssuche oder aus humanitären Gründen) scheidet die Annahme einer Missbrauchsabsicht aus (vgl. Schifferdecker in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 106. EL September 2019, SGB V, § 52a Rn. 6). 

Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Patient im streitigen Zeitraum dem Grunde nach sozialhilfebedürftig war. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass der Patient bereits im Jahre 1980 drogensüchtig war und ihm eine Drogen-Langzeittherapie vom Landeswohlfahrtsverband Hessen bewilligt worden war. Zwar war er gelernter Buchbinder, aber die Kammer hält es für ausgeschlossen, dass der Patient Vermögen in Spanien erworben hatte. Es dürfte eher so gewesen sein, dass er wohl seit Jahren in Spanien nicht mehr gearbeitet hatte und noch nicht einmal dort krankenversichert war. Ob sein Sohn dem Patienten gegenüber unterhaltspflichtig war, ist für den vorliegenden Rechtsstreit unerheblich.

Einwendungen gegen die Berechnung der Behandlungskosten hat die Bekl. nicht erhoben und sind auch nicht erkennbar.

Die Höhe der Zinsen sind von der Bekl. nach § 44 SGB I bei Erfüllung zu berechnen.

Die Nebenentscheidungen (Kostengrundentscheidung, Zulassung von Rechtsmitteln) beruhen auf §§ 144, 160, 161, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
 

Rechtskraft
Aus
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