L 2 AS 1041/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 2336/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1041/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Zur Frage, ob einem Rechtsanwalt eine Vollmacht wirksam erteilt worden ist und damit die Berufung wirksam erhoben wurde.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 20. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Beteiligten streiten in der Sache um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Klägerin zu 1) beantragte im März 2021 für sich und die Kläger Ziff. 2 bis 5 als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft - alle bulgarische Staatsangehörige - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zu dieser Zeit bewohnten sie eine Wohnung in D1 (vgl. Meldebescheinigung Gemeinde D2 vom 09.03.2021, Bl. 78 eVA).
Die Kläger zu 1) und zu 2) sind seit Dezember 2015 verheiratet und Eltern der minderjährigen Kläger zu 3) bis 5).

Mit Versagungsbescheid nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vom 19.05.2021 (Bl. 14 f. eVA) versagte der Beklagte den Klägern die beantragten Leistungen ab 01.03.2021 ganz, da die zuvor mit Mitwirkungsschreiben vom 29.04.2021 angeforderten Unterlagen nicht bzw. nicht vollständig vorgelegt worden seien.

Hiergegen erhob Rechtsanwalt S1, dessen wirksame Bevollmächtigung streitig ist, per Faxschreiben vom 25.05.2021 und dem Hinweis, dass er die Klägerin zu 1) anwaltlich vertrete, im Namen der Klägerin zu 1) Widerspruch (Bl. 18 eVA). Eine schriftliche Vollmacht war dem Widerspruchsschreiben nicht beigefügt.

Aufgrund eines vor dem Sozialgericht (SG) Ulm geführten Eilverfahrens (S 14 AS 1377/21 ER, Bl. 174 eVA) forderte der Beklagte weitere Unterlagen von den Klägern mit Schreiben vom 22.07.2021 an, die diese nicht vorlegten.

Daraufhin erließ der Beklagte den an die Klägerin zu 1) adressierten Versagungsbescheid vom 18.08.2021 (Bl. 198 eVA), mit dem er den Klägern die beantragten Leistungen ganz ab 01.03.2021 versagte und gegen den Rechtsanwalt S1 ebenfalls per Faxschreiben vom 30.08.2021 unter Hinweis darauf, dass er die Klägerin zu 1) vertrete, in deren Namen Widerspruch erhob (Bl. 202 eVA). Auch diesem Widerspruch fügte er keine schriftliche Vollmacht bei.

Mit dem an Rechtsanwalt S1 adressierten Widerspruchsbescheid vom 21.09.2021 (Bl. 205 ff. eVA) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.05.2021 als unzulässig, da sich für die Widerspruchsführerin aus dem angegriffenen Versagungsbescheid aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen weiteren Versagungsbescheides vom 18.08.2021 keine Beschwer mehr ergebe.

Mit dem weiteren an Rechtsanwalt S1 adressierten Widerspruchsbescheid vom 21.09.2021 (Bl. 208 ff. eVA) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.08.2021 als unbegründet zurück.

Am 07.10.2021 teilte die Klägerin zu 1) dem Beklagten telefonisch mit (vgl. Aktenvermerk, Bl. 217 eVA), dass sie und die übrigen Kläger am 08.10.2021 nach N1 umziehen würden. Mit Schreiben vom 07.10.2021 (Bl. 219 eVA), beim Beklagten am 12.10.2021 eingegangen, teilten die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) mit, dass die ganze Familie nach N1 umziehe, da die Klägerin zu 1) zum 02.10.2021 eine neue Arbeit gefunden habe. Zugleich legten sie eine Wohnungsgeberbestätigung der U1-Finanzvermittlung N1 zur Vorlage bei der Meldebehörde vom 05.10.2021 vor, wonach sie ab 05.10.2021 in einer Wohnung in der E1-straße in N1 wohnen würden (Bl. 229 eVA).

Am 18.10.2021 hat Rechtsanwalt S1 per Faxschreiben gegen den Bescheid vom 18.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2021 im Namen aller Kläger Klage zum SG Ulm erhoben mit dem Begehren, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlichen Umfang zu gewähren. Als Wohnortgemeinde der Kläger hat Rechtsanwalt S1 in „D2“ genannt.

Mit an die Klägerin zu 1) unter der E1-straße in N1 adressiertem Bescheid vom 20.10.2021 (Bl. 236 ff. eVA) lehnte der Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld II für alle Kläger für die Zeit vom 01.03.2021 bis 31.08.2021 ab, da die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sei.

Mit Terminbestimmung vom 21.10.2022 hat das SG die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 20.01.2023, 10:45 Uhr und eine Dolmetscherin für die bulgarische Sprache geladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind die Kläger trotz Zuwartens von 25 Minuten nicht erschienen. Der anwesende Rechtsanwalt S1 hat im Termin auf Anfrage der Kammervorsitzenden, ob die Kläger noch erscheinen würden, geantwortet, „diese wohnen wohl in England“ (vgl. Protokoll, Bl. 41 ff. SG-Akte). Im Übrigen hat er auf die Frage, was mit der Klage begehrt werde, seine Tasche gepackt und den Sitzungssaal vor Ende der mündlichen Verhandlung mit den Worten verlassen „Ich komme um 11:30 Uhr wieder“ (vgl. Protokoll, Bl. 41 ff. SG-Akte). Die Kammervorsitzende hat die mündliche Verhandlung um 11:10 Uhr beendet.

Mit Urteil vom 20.01.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der angefochtene Versagungsbescheid vom 18.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2021 mit Erlass des Ablehnungsbescheides vom 20.10.2021 nach § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB X) auf andere Art und Weise und damit auch die Anfechtungsklage erledigt habe. Im Übrigen sei, soweit neben der Anfechtung des Versagungsbescheides auch Leistungen begehrt worden seien, die Leistungsklage bereits von Anfang an unzulässig gewesen, da gegen einen Versagungsbescheid nur eine isolierte Anfechtungsklage zulässig sei.
Die Ablehnung eines Leistungsantrags wegen fehlender Mitwirkung führe nur zur Überprüfung der Versagungsvoraussetzungen der §§ 66 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), mangels einer Sachentscheidung der Behörde über das Leistungsbegehren aber nicht zu einer Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen durch das Gericht. Zudem sei der Ablehnungsbescheid vom 20.10.2021 nicht gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er den angefochtenen Versagungsbescheid vom 18.08.2021 nicht abändere oder ersetze. Denn die Versagungsentscheidung enthalte anders als die Ablehnungsentscheidung schon keine Entscheidung über den Leistungsanspruch selbst (unter Verweis auf Bundessozialgericht [BSG] Urteil vom 24.11.1987 - 3 RK 11/87 -, juris). Somit seien weder die Regelungsgegenstände der Verwaltungsakte - auch nicht teilweise - identisch noch sei der Streitstoff der gleiche.

Gegen das Rechtsanwalt S1 am 06.04.2023 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat dieser am selben Tag beim SG Ulm Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass der Bescheid vom 20.10.2021 Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei.

Rechtsanwalt S1 beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom „20. Oktober 2023“ (gemeint wohl: 20. Januar 2023) und den Bescheid des Beklagten vom 18. August 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2021 sowie den Bescheid vom 20. Oktober 2021 aufzuheben und die Beklagte „zu verpflichten“ (sachdienlich: zu verurteilen), den Klägern „SGB II-Leistungen für den beantragten Zeitraum“ in gesetzlichem Umfang „zu bewilligen“.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die Vorlage einer Vollmacht für das Verfahren gewünscht (Schriftsatz vom 23.08.2023, Bl. 28 f. Senats-Akte), nach Vorlage der Vollmacht auf Bl. 37 der Senats-Akte ausdrücklich das Vorliegen einer wirksamen Vollmacht für das Berufungsverfahren gerügt (Schriftsatz vom 13.12.2023, Bl. 38 Senats-Akte) und ausgeführt, dass die Berufung mangels Vollmacht unzulässig und im Übrigen auch unbegründet sei.

Auf schriftliche Anforderung der Berichterstatterin vom 17.10.2023 und Fristsetzung bis 17.11.2023 (Bl. 35 Senats-Akte) hat Rechtsanwalt S1 mit Schriftsatz vom 15.11.2023 (Bl. 36 Senats-Akte) die Vollmacht auf Bl. 37 der Senats-Akte übersandt mit dem Zusatz, die Vollmacht sei ohne Datum, in der Akte aber in dem Jahr 2021 einsortiert. Die Vollmacht stellt sich wie folgt dar:


Bild entfernt.



Bild entfernt.

Mit an die Klägerin zu 1) an die zuletzt gemeldete (vgl. Auskunft Einwohnermeldeamt vom 26.09.2023, Bl. 31 ff. Senats-Akte) Wohnanschrift in der E1-straße in N1 adressierter Verfügung vom 05.02.2024 hat die Berichterstatterin die Kläger darauf hingewiesen, dass Rechtsanwalt S1 in deren Namen das hiesige Berufungsverfahren führt, dass Zweifel an der Bevollmächtigung zumindest für das Berufungsverfahren bestehen und um Mitteilung gebeten, ob sie Vollmacht erteilt haben. Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung im Falle wirksamer Bevollmächtigung keine Aussicht auf Erfolg habe, da sie unbegründet sei. Ebenfalls mit gerichtlichem Schreiben vom 05.02.2024 ist Rechtsanwalt S1 auf die Zweifel an der wirksamen Bevollmächtigung und die Unbegründetheit der Berufung hingewiesen worden.

Da die Klägerin zu 1) unter der Wohnanschrift in der E1-straße in N1 ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 55 Senats-Akte) nicht zu ermitteln war, sind die Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 15.02.2024 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil der als ihr Prozessvertreter auftretende Rechtsanwalt S1 die Berufung ohne Vollmacht eingelegt habe, trotz Aufforderung des Gerichts eine wirksame Vollmacht für das Berufungsverfahren nicht nachgewiesen worden sei, von einem vollmachtlosen Vertreter vorgenommene Prozesshandlungen unwirksam seien und insbesondere ein ohne Vollmacht eingelegtes Rechtsmittel unzulässig sei. Mit gleichem Schreiben, ebenfalls vom 15.02.2024, ist auch Rechtsanwalt S1 auf die Unzulässigkeit der Berufung und die beabsichtigte Verfahrensweise hingewiesen worden. Das gerichtlichen Schreiben vom 15.02.2024 ist den Klägern mangels Kenntnis vom derzeitigen Aufenthaltsort (vgl. erneute Auskunft Einwohnermeldeamt vom 12.02.2024, Bl. 51 f. Senats-Akte) mit Beschluss vom 15.02.2024 (Bl. 64 f. Senats-Akte) öffentlich und Rechtsanwalt S1 mittels Postzustellungsurkunde am 17.02.2024 (Bl. 68 f. Senats-Akte) zugestellt worden. Rechtsanwalt S1 hat hierauf mitgeteilt (Bl. 70 Senats-Akte), der Senat habe eine Vollmacht erhalten, „lesen Sie insbesondere den letzten Absatz Zeile 3“.

Der Beklagte ist ebenfalls mit gerichtlichem Schreiben vom 15.02.2024 zur beabsichtigen Verfahrensweise angehört worden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


II.

Der Senat verwirft die Berufung gem. § 158 SGG durch Beschluss als unzulässig.

Die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung kann nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Die Verfahrensweise steht im Ermessen des Gerichts (BSG Beschluss vom 30.10.2019 - B 14 AS 7/19 B -, juris Rn. 2). Der Senat übt das eingeräumte Ermessen vorliegend dahingehend aus, dass er über den Streitfall durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Die Kläger und Rechtsanwalt S1 sind mit Schreiben des Senats vom 15.02.2024 hierzu angehört worden. Dabei sind sie darauf hingewiesen worden, dass die Berufung - wegen einer nicht nachgewiesenen Vollmacht für das Berufungsverfahren - unzulässig ist und dass eine Entscheidung durch Beschluss beabsichtigt ist. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, von der die Kläger keinen und Rechtsanwalt S1 Gebrauch gemacht haben. Rechtliches Gehör ist damit gewährt worden (§ 62 SGG; vgl. zu den Anforderungen: BSG Urteil vom 26.11.2020 - B14 AS 56/19 R -, juris Rn. 10; BSG Beschluss vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 8/14 B -, juris Rn. 17 m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 158 Rn. 8 m.w.N.).

Die Berufung ist unzulässig, weil es an der wirksamen Einlegung der Berufung mangelt. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor (§ 151 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kläger selbst haben keine Berufung eingelegt (§ 73 Abs. 1 SGG). Sie konnten sich zwar durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 73 Abs. 2 Satz 1 SGG). Eine wirksame Bevollmächtigung des hier auftretenden Rechtsanwalts liegt jedoch nicht vor, so dass die Berufung unzulässig ist.

Eine zur Vertretung in dem zu betreibenden Verfahren ermächtigende Vollmacht ist nach § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen, wobei sie auch nachgereicht werden kann. Zwar hat das Gericht einen Mangel der Vollmacht von Amts wegen zwingend nur zu berücksichtigen, wenn - anders als hier - als Bevollmächtigter nicht ein Rechtsanwalt auftritt (§ 73 Abs. 6 Satz 5 SGG). Hier hat indes der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.12.2023 den Mangel der Vollmacht gemäß § 73 Abs. 6 Satz 4 SGG ausdrücklich geltend gemacht. Der Senat war daher verpflichtet, den Mangel der Vollmacht zu berücksichtigen (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73 Rn. 67 f.). Überdies bestehen auch für den Senat ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung des Rechtsanwalts (zu einer Überprüfungsmöglichkeit der Vollmacht von Amts wegen in einem solchen Fall: BSG Beschluss vom 18.05.2022 - B 7/14 AS 225/21 B -, Beschluss vom 11.11.2021 - B 14 AS 273/21 B -, Beschluss vom 12.05.2021 - B 4 AS 76/21 B -, Beschluss vom 12.02.2020 - B 4 AS 8/20 B -, alle juris).

Ein Mangel der Vollmacht liegt hier vor. Denn die von Rechtsanwalt S1 übersandte Vollmacht, die entgegen seinem Vortrag ausweislich der Verwaltungsakte gerade nicht im Verwaltungsverfahren mit dem Beklagten vorgelegt wurde und sich auch sonst an keiner Stelle in der Verwaltungsakte befindet, genügt den Anforderungen einer wirksamen Bevollmächtigung nicht. Sie enthält weder ein Datum noch den Verfahrensgegner und auch nicht den Verfahrensgegenstand mit der Folge, dass vollkommen unklar ist, wann die Kläger zu 1) und ggf. zu 2) dem Rechtsanwalt für welches Verfahren gegenüber welcher Behörde Vollmacht erteilt haben.

Soweit der Beklagte zumindest im Widerspruchsverfahren auch ohne Vorlage einer schriftlichen und wirksamen Vollmacht noch vom Vorliegen einer Bevollmächtigung des Rechtsanwalts ausging, reicht diese Tatsache für sich allein betrachtet und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht aus, von einer wirksamen Bevollmächtigung des Rechtsanwalts (auch noch) für das Berufungsverfahren auszugehen.

Eines Belegs, dass eine ggf. einmal erteilte Vollmacht ausdrücklich widerrufen worden ist, bedarf es nicht (vgl. BSG Beschluss vom 12.05.2021 - B 4 AS 76/21 B -, juris Rn. 6). Ausreichend sind Zweifel, ob die Vollmacht mittlerweile im Innenverhältnis erloschen ist (BSG Beschluss vom 12.05.2021 - B 4 AS 76/21 B -, a.a.O.). Solche - hier ernsthaften - Zweifel am wirksamen Fortbestand einer etwaig früher erteilten Vollmacht zumindest für das Berufungsverfahren hat Rechtsanwalt S1 selbst geweckt und ergeben sich für den Senat aufgrund folgender Umstände des vorliegenden Einzelfalles: Die Kläger sind zum 05.10.2021 nach N1 verzogen. Rechtsanwalt S1 hat am 18.10.2021 Klage zum SG unter Nennung der noch alten Anschrift der Kläger in D2 erhoben und er hat(te) offensichtlich weder zuvor noch im weiteren Verlauf - so legt es zumindest der Inhalt des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 20.01.2023 nahe - Kenntnis von diesem wie auch weiteren Umzügen und dem tatsächlichen Aufenthalt der Kläger. Mithin bestand schon in der Vergangenheit und besteht auch aktuell offensichtlich kein Kontakt mehr zwischen den Klägern und dem Rechtsanwalt und damit auch kein Interesse der Kläger an der (Fort-)Führung des Rechtsmittelverfahrens. Nur so lässt sich für den Senat erklären, dass der Rechtsanwalt trotz Anforderung des Senats keine - auch aus Sicht des Rechtsanwalts - aktuell unterzeichnete und mit Datum und Verfahrensgegner und -gegenstand versehene Vollmacht vorgelegt hat. Offensichtlich hat er eine solche mangels Kontakt zu den Klägern nicht vorlegen können. Andernfalls - also im Falle des Kontakts und Fortbestands einer etwaig früher erteilten Vollmacht - wäre es für den Rechtsanwalt ein Leichtes gewesen, bis zum Ablauf der Frist, zumindest aber bis zur gerichtlichen Entscheidung eine von den Klägern zu 1) und ggf. zu 2) unterzeichnete und mit aktuellem Datum, Verfahrensgegner und -gegenstand versehene Vollmacht zu erteilen und dem Senat vorzulegen. Letzteres ist indes nicht erfolgt. Soweit der Rechtsanwalt auf die Zeile drei im letzten Absatz des Vollmachtsvordrucks verwiesen hat, ergibt sich daraus lediglich, dass sich die erteilte Vollmacht auch auf die Einlegung von Rechtsmitteln erstreckt. Voraussetzung für diese Reichweite ist aber auch in diesem Fall, dass überhaupt eine wirksame Vollmacht erteilt wurde bzw. zumindest fortbesteht. An letzterem fehlt es zur Überzeugung des Senats.

Nach alledem ist mit der von Rechtsanwalt S1 innerhalb der ihm nach § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG gesetzten Frist vorgelegten Vollmacht und auch sonst keine wirksame Vollmachtserteilung für das Berufungsverfahren nachgewiesen worden. Aufgrund dessen und in Zusammenschau mit den dargelegten Einzelfallumständen geht der Senat davon aus, dass Rechtsanwalt S1 im vorliegenden Verfahren als vollmachtloser Vertreter auftritt und als solcher die Berufung eingelegt hat. Von einem vollmachtlosen Vertreter vorgenommene Prozesshandlungen sind unwirksam. Insbesondere ist ein ohne Vollmacht eingelegtes Rechtsmittel unzulässig (vgl. BSG Beschluss 12.05.2021 - B 4 AS 76/21 B -, juris Rn. 9; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73 Rn. 66). Da auch eine nachträgliche Genehmigung durch die Kläger zu 1) und ggf. zu 2) bis zur Entscheidung des Senats und damit eine rückwirkende Heilung der fehlerhaften Prozesshandlung (zu dieser grundsätzlichen Möglichkeit: BSG Urteil vom 21.06.2001 - B 13 RJ 5/01 R, juris Rn. 21) nicht erfolgt ist, war die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Im Übrigen ist die Berufung auch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht mit Urteil vom 20.01.2023 abgewiesen. Das SG hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt, dass sich der Versagungsbescheid des Beklagten vom 18.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2021 durch Erlass des Ablehnungsbescheides vom 20.10.2021 nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat und überdies der Ablehnungsbescheid vom 20.10.2021 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Der Senat schließt sich daher der Begründung des SG nach eigener Prüfung insoweit uneingeschränkt an, sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung auch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, denn die Kläger gehören zum Kreis der nach § 183 SGG Kostenprivilegierten. Auch wenn sie von Rechtsanwalt S1 nicht wirksam vertreten worden sind, ergeht die Entscheidung gegen sie und ist auch ihnen zuzustellen (vgl. Bundesfinanzhof [BFH] Urteil vom 12.08.1981 - I B 72/80 -, juris Leitsatz Nr. 3 u. Rn. 14; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73 Rn. 76 m.w.N.). Damit ist für eine Anwendung von § 197a SGG kein Raum (so auch: LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 19.04.2022 - L 2 AS 419/21 - juris Rn. 16, LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 21.03.2019 - L 31 AS 2727/15 -, juris Rn. 26 ff.; zur Möglichkeit der Verhängung von Verschuldenskosten gegen den Prozessvertreter gem. § 192 SGG: B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 192 Rn. 2 a. E.).

Soweit zum Teil die Auffassung vertreten wird, dass in entsprechender Anwendung von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bzw. gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) die Kosten dem vollmachtlosen Vertreter aufzuerlegen und da dieser nicht zum Kreis der Kostenprivilegierten gehöre, entsprechend § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG Gerichtskosten zu erheben seien (so: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 09.03.2016 - L 25 AS 2637/15 NZB -, juris Rn. 7; LSG Bayern Beschluss vom 23.02.2017 - L 15 AS 44/17 B ER -, juris Rn. 24; Beschluss vom 15.04.2014 - L 5 R 1201/13 B ER -, juris Rn. 18; LSG Sachsen Beschluss vom 26.06.2014 - L
 3 AS 318/12 B ER -, juris Rn. 21 f.; vgl. zum Meinungsstand Arndt in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 73 Rn. 63) überzeugt dies den Senat jedenfalls in kostenprivilegierten und daher gerichtskostenfreien Verfahren nicht. Denn diese Auffassung wird der Struktur der sozialprozessualen Kostenregelungen nicht gerecht. Nach der Konzeption der §§ 193, 197a SGG ist in einem ersten Schritt zu klären, welches der beiden Kostenregime zur Anwendung kommt, bevor in einem zweiten Schritt anhand der sich daraus ergebenden (unterschiedlichen) Kriterien über die Kostenerstattung bzw. -tragung zu entscheiden ist. Daran ändert sich nichts dadurch, dass in beiden Kostenregimen bei der Entscheidung über die Kostentragung das Veranlasserprinzip zu berücksichtigen ist (vgl. zur Kostenauferlegung gegenüber dem vollmachtlosen Vertreter als Veranlasser: Bundesgerichtshof [BGH] Beschluss vom 23.02.2017 - III ZB 60/16 -, juris Rn. 10; Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 23.07.2007 - 3 AZB 29/05 -, juris Rn. 10). Denn auch dabei handelt es sich um eine - zumindest entsprechende - Anwendung der jeweils einschlägigen kostenrechtlichen Bestimmungen, die also zunächst feststehen müssen.

Hier kann dahinstehen, ob dem Prozessgegner des vollmachtlos Vertretenen im gerichtskostenfreien Verfahren nach § 183 SGG ggf. trotz der Regelung in § 193 Abs. 4 SGG ein Kostenerstattungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO zustehen kann (zur Anwendung von § 173 VwGO i.V.m. § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO und § 179 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] im Verwaltungsprozess siehe Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Urteil vom 15.08.2019 - 1 A 2/19 -, juris Rn. 17 m.w.N.; zur Unterscheidung einer Kostenregelung nach § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO von der eigentlichen Kostengrundentscheidung: Althammer in: Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024). Denn beim Beklagten sind vorliegend keine von dieser Regelung möglicherweise erfassten Kosten angefallen. Er hat aufgrund seiner Kostenbefreiung nach § 64 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) keine Pauschgebühr nach § 184 SGG zu entrichten.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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