L 16 KR 311/20 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16.
1. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 KR 311/20 KL
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage gegen den Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Juli 2020 wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1), die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 2.500.000,- € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten über die Festlegung eines Betrags für ein erstattungsfähiges Arzneimittel mit neuem Wirkstoff sowie den ihm zugrundeliegenden Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamem Bundesausschusses (GBA), des Beigeladenen zu 2).

Bei der Klägerin handelt es sich um ein Tochterunternehmen des dänischen Unternehmens NN . Sie brachte als pharmazeutische Unternehmerin erstmalig am 1. August 2019 das Arzneimittel Esperoct® (Wirkstoff: Turoctocog alfa pegol, zur Herstellung einer Injektionslösung zwischen 500 und 3.000 I.E.) in Deutschland in den Verkehr. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency – EMA) erteilte am 20. Juni 2019 die Zulassung für das Inverkehrbringen von Esperoct®. Zulassungsinhaberin war und ist ausweislich der Fachinformation und des Europäischen öffentlichen Beurteilungsberichts (European Public Assessment Report – EPAR) gemäß Art. 38 Abs. 3 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABI L 136/1) im Anhang I die N N . Inhaberin der alleinigen Vertriebsrechte für Deutschland ist die NN PGmbH.

Die arzneimittelrechtliche Zulassung vom 1. August 2019 definiert in Übereinstimmung mit den Fachinformationen nach § 11a Arzneimittelgesetz (AMG) vom Stand Januar 2020 als Anwendungsgebiet von Esperoct®: „Esperoct® ist ein Arzneimittel zur Behandlung und Vorbeugung von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie A, einer durch den Mangel an einem Gerinnungsprotein, dem sogenannten Faktor VIII, bedingten, angeborenen Blutgerinnungsstörung.“

Die vom Beigeladenen zu 2) beauftragte Dossierbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 30. Oktober 2019 leitete das Verfahren ein. Das IQWiG führte unter anderem aus, dass ein Zusatznutzen nicht belegt sei. Nach Durchführung eines Stellungnahme- und Anhörungsverfahrens und auf der Grundlage der Dossierbewertung durch das IQWiG bewertete der Beigeladene zu 2) im Verfahren nach § 35a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – (SGB V) den Nutzen des Wirkstoffs Turoctocog alfa pegol durch Beschluss zur Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) vom 6. Februar 2020 und ergänzte die Anlage XII der AM-RL um die Feststellung, dass ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt sei. Als zweckmäßige Vergleichstherapie für Patienten ab einem Alter von 12 Jahren mit Hämophilie A (angeborener Faktor-VIII-Mangel) legte der Beigeladene zu 2) rekombinante oder aus humanem Plasma gewonnene Blutgerinnungsfaktor-VIII-Präparate zugrunde. Dies gelte auch für Faktor VIII-Präparate mit verlängerter Halbwertszeit (Pegylierung).

Die Jahrestherapiekosten bezifferte der Beigeladene zu 2) nach dem Stand der Lauer-Taxe vom 15. Januar 2020 wie folgt:

Bezeichnung der Therapie

Jahrestherapiekosten/Patient

Zu bewertendes Arzneimittel:

Turoctocog alfa pegol

Erwachsene

584.766,00 € - 844.662,00 €

12 - <18 Jahre

454.818,00 € - 649.740,00 €

Zweckmäßige Vergleichstherapie:

Rekombinanter Blutgerinnungsfaktor VIII

Damactocog alfa pegol

Erwachsene

484.056,30 € - 679.540,58 €

 

12 - <18 Jahre

345.754,50 € - 485.386,13 €

Ruricoctocog alfa pegol

Erwachsene

390.710,32 € - 474.433,96 €

 

12 - <18 Jahre

279.078,80 € - 362.802,44 €

Efmoroctocog alfa pegol

Erwachsene

184.120,97 € - 786.367,47 €

12 - <18 Jahre

143.205,20 € - 581.228,13 €

Lonoctocog alfa

Erwachsene

200.986,24 € - 732.164,16 €

12 - <18 Jahre

143.561,60 € - 559.890,24 €

Moroctocog alfa

Erwachsene

246.443,05 € - 739.329,15 €

12 - <18 Jahre

176.030,75 € - 528.092,25 €

Ocotocog alfa

Erwachsene

237.718,21 € - 713.154,62 €

12 - <18 Jahre

169.798,72 € - 509.396,16 €

Simoctocog alfa

Erwachsene

222.306,88 € - 666.920,63 €

12 - <18 Jahre

158.790,63 € - 476.371,88 €

Turoctocog alfa

NovoEight®

Erwachsene

269.642,10 € - 654.845,10 €

12 - <18 Jahre

192.601,50 € - 500.763,90 €

Aus humanem Plasma gewonnener Blutgerinnungsfaktor VIII

Humanplasmatische Präparate

Fahndi®

Erwachsene

210.873,95 € - 632.621,85 €

12 - <18 Jahre

150.624,25 € - 451.872,75 €

Hinsichtlich der Dosierungsempfehlungen hatte der Beigeladene zu 2) die Angaben in der Fachinformation zu Esperoct® unter Punkt 4.2 (Stand: Januar 2020) zu Grunde gelegt:

„Prophylaxe Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 50 I.E. Esperoct® pro kg Körpergewicht alle 4 Tage.

Die maximale Einzeldosis beträgt 75 I.E./kg.

Basierend auf den erzielten Faktor-VIII-Spiegeln und individueller Blutungsneigungen können Anpassungen der Dosis und des Verabreichungsintervalls in Betracht gezogen werden.“

Nach gescheiterten Verhandlungen zwischen der Klägerin und dem zu 1) beigeladenen GKV-Spitzenverband über eine Erstattungsbetragsvereinbarung rief die Klägerin die beklagte Schiedsstelle an und beantragte die Festsetzung des Vertragsinhalts nach § 130b SGB V zu Esperoct®. Maßstab für die Preisbildung sei ein dem von der Klägerin hergestellten, auf dem gleichen Preisniveau liegenden Präparat NovoEight® mit demselben Wirkstoff in nicht-pegylierter Form, dh ohne verlängerte Halbwertszeit, vergleichbarer Erstattungsbetrag. Im Übrigen habe der Beklagte in der Vergangenheit auch für andere Wirkstoffe, zB Opicapon, einen „Versorgungsmix“ zugrunde gelegt, der hier aus den verschiedenen plasmatischen wie auch rekombinanten Faktor-VIII-Präparaten herzuleiten sei. Es sei mindestens vom Erstattungsbetrag aufgrund der Jahrestherapiekosten für NovoEight® (Erstattungsbetrag 0,83 €/Bezugsgröße) auszugehen, woraus sich ein Erstattungsbetrag von 1,0375 €/Bezugsgröße errechne, hilfsweise von einem „Versorgungsmix“ (0,9772 €/Bezugsgröße) Zudem sei die Berechnung der Jahrestherapiekosten durch den Beigeladenen zu 2) fehlerhaft, weil dieser neben der regelhaften Gabe von 50 Internationalen Einheiten (I.E.)/kg (= Bezugsgröße) alle vier Tage (91 Tage pro Jahr) die Gabe von 75 I.E./kg unzutreffend ebenfalls alle vier Tage statt alle sieben Tage zugrunde lege, woraus ein wesentlich überhöhter Jahresverbrauch resultiere. Zulassungskonform sei eine Dosierung von Esperoct® in Gestalt einer Untergrenze von 75 I.E./kg alle sieben Tage und einer Obergrenze von 50 I.E./kg alle vier Tage.

Die Beklagte setzte auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses des Beigeladenen zu 2) den Erstattungsbetrag für Esperoct® auf 0,82 € je Bezugsgröße (I.E.) und weitere Vertragsinhalte fest (Schiedsspruch vom 2. Juli 2020). Ein „Versorgungsmix“ als Preisanker komme nicht in Betracht. Nach § 130b Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V sei auf die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten Alternative unter den zweckmäßigen Vergleichstherapien abzustellen. Dies sei das humanplasmatische Präparat Fanhdi® mit Jahrestherapiekosten von 340.841,16 €. Diese seien auf den durchschnittlichen Jahresverbrauch von Esperoct® umzulegen, der durchschnittlich 414.896,3 I.E. betrage. Daraus ergebe sich ein Erstattungsbetrag von 0,8215 € je Bezugsgröße, festzusetzen angesichts der Unsicherheiten der zugrunde gelegten Annahmen auf 0,82 €/Bezugsgröße.

Mit ihrer Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs und Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Schiedsantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt die Klägerin zugleich die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses des Beigeladenen zu 2). Sie weist erneut auf die aus ihrer Sicht unzutreffende Ermittlung des Jahresverbrauchs durch den Beigeladenen zu 2) hin. Dieser interpretiere in unzutreffender Weise die einschlägige Fachinformation zu Esperoct®, die nach Maßgabe des pathfinder™-Studienprogramms, auf das in Abschnitt 5.1. der Fachinformation Bezug genommen werde, auf eine durch dieses Studienprogramm untersuchte Umstellung auf das Dosierschema 75 I.E./kg „alle 7 Tage“ für gut eingestellte Patienten verweise. Die Dosierung von 75 I.E./kg spiele daher bei der Prophylaxe nur dann eine Rolle, wenn Verlängerungen des Verabreichungsintervalls erfolgten. Regelhafte Dosierung sei daher für Esperoct® 50 I.E./kg alle vier Tage. Die geänderte Fachinformation habe dies nunmehr klargestellt. Die Umstellung auf die 75 I.E.-Dosierung wöchentlich führe auch nicht zu einer Verbrauchs- bzw Kostensteigerung, wie sich dem Nutzendossier der Klägerin (Modul 3.3.) entnehmen lasse. Der Jahresverbrauch belaufe sich daher richtigerweise (vgl Tabelle S 49 des Schriftsatzes vom 25. Februar 2021) bei Erwachsenen durchschnittlich auf minimal 331.500 I.E. (Beigeladener zu 2 = 386.750 I.E.) bzw maximal 386.750 I.E. (580.125 I.E.), bei Jugendlichen auf minimal 241.020 I.E. (282.190 I.E.) bzw maximal auf 281.190 I.E. (421.785 I.E.). Hieraus errechne sich ein gewichteter Mittelwert von 367.835 I.E. Der Beigeladene zu 2) hätte daher die von ihm ermittelten Therapiekosten nach Kap 5 § 20 Abs. 4 seiner Verfahrensordnung (VerfO) richtigstellen müssen. Nach zutreffender Berücksichtigung des Jahresverbrauchs ergäben sich ein Erstattungsbetrag für Esperoct® bei Vornahme eines Therapie-Mixes (S 51 aaO) von 0,9772 €/I.E. (359.468 € <gewichtete Jahrestherapiekosten netto bei Versorgungs-Mix> ./. 367.835 I.E. <tatsächlicher gewichteter Verbrauch Esperoct®>). Zwischen den bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapien bestehe kein schlichtes Alternativverhältnis. Der Beklagte habe sich daher nicht an der billigsten plasmatischen Alternative Fahndi® orientieren dürfen, die im Übrigen weitaus überwiegend gerade nicht in der Prophylaxe eingesetzt werde und einen GKV-Marktanteil von nur 1% habe. Beide Vergleichstherapien seien gleichermaßen wirtschaftlich, so dass ein „Versorgungsmix“ aus rekombinanten und plasmatischen Präparaten mit Gewichtung der Marktanteile hätte zugrunde gelegt werden müssen, wie dies auch in anderen Fällen so gehandhabt worden sei. Dies folge bereits daraus, dass die Vergleichstherapien bereits vor der Neufassung des § 6 Abs. 2a Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) zum 13. August 2013 festgelegt worden seien und daher alle als wirtschaftlich iS der Vorgängervorschrift angesehen werden müssten. Insoweit könne auch § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB VI als reine Folgeregelung mangels Flexibilisierung nicht greifen. Es sei zudem die Versorgungsrealität bei der Ermittlung des Erstattungsbetrags zu berücksichtigen. Die Entscheidung der Beklagten verstoße gegen Art. 3 und Art. 12 Grundgesetz (GG). Für die Produkte Esperoct® und NovoEight® sei eine sachlich nicht zu rechtfertigende ungleiche Preisfestsetzung erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die mit Beschluss des Beigeladenen zu 2) vom 6. Februar 2020 vorgenommene Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) unwirksam ist,

sowie

den Schiedsspruch der Beklagten vom 2. Juli 2020 (schriftliche Fassung vom 3. Juli 2020) zur Festsetzung des Vertragsinhalts für das Arzneimittel Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage gegen ihren Schiedsspruch vom 2. Juli 2020 abzuweisen.

Der Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.

Sie verweisen darauf, dass der GBA im Nutzenbewertungsbeschluss die zweckmäßigen Vergleichstherapien als gleichwertig und gleichermaßen zweckmäßig erachtet habe. Wirtschaftlichste Alternative sei diejenige, die die geringsten Kosten verursache. Die Versorgungsrealität sei im Rahmen der hier einschlägigen spezialgesetzlichen Regelung des § 130b Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V in der maßgebenden Fassung kein entscheidendes Kriterium (Verweis auf Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. April 2021 – L 14 KR 218/18 KL – juris – und Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 5). Esperoct® habe keinen Zusatznutzen. Die Berechnungen des Beigeladenen zu 2) zum Jahresverbrauch seien für die Beklagte und den Beigeladenen zu 1) verbindlich und orientierten sich an der Fachinformation Stand Januar 2020. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht liege nicht vor.

Der Beigeladene zu 2) beantragt,

die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags abzuweisen.

Im Nutzenbewertungsbeschluss und dessen tragenden Gründen sei er von den Dosierungsangaben und Therapieschemata sowie den insoweit möglichen Spannen der Fachinformation Stand Januar 2020 ausgegangen. Es sei zudem berücksichtigt worden, dass bei den jüngeren Patienten individuell kürzere Dosierungsintervalle oder höhere Dosen erforderlich sein könnten. Ausschlaggebend für die Beurteilung sei nur die bei Beschlussfassung geltende Fachinformation. Die geänderte Fachinformation zu Esperoct® vom August 2020 (empfohlene Prophylaxedosis 50 I.E./kg alle vier Tage) könne daher zu keiner Anpassung des Nutzenbewertungsbeschlusses vom 6. Februar 2020 führen. Aus der Fachinformation Januar 2020 – Abschnitt 4.2 – ergebe sich nicht, dass eine Erhöhung der Dosis auf 75 I.E./kg mit einer Veränderung der genannten Dosisintervalle von vier auf sieben Tage einhergehe. Die Dosierung sei in der Fachinformation klar und unmissverständlich anzugeben. Hier sei ungeachtet des von der Klägerin herangezogenen pathfinder™-Studienprogramms eine Aufnahme des Therapieintervalls von sieben Tagen in die Fachinformation nicht erfolgt. In dieser sei nur ein Therapieintervall von vier Tagen benannt. Auch die „Anfangsdosis“ sei nichts anderes als eine einmalig zu verabreichende „Einzeldosis“. Hiervon sei auch das IQWiG bei Würdigung in seinem Dossier vom 30. Oktober 2019 (A19-58 – Turoctocog alfa pegol – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V – Version 1.0 – 3.2.1. S 18) unter Zugrundelegung der inhaltlich insoweit zur Version Januar 2020 unveränderten Fachinformation vom Juni 2019 ausgegangen. Schließlich zeige die geänderte Fachinformation vom August 2020, dass nunmehr erstmals unmissverständlich ein Dosierungsregime von 50 I.E./kg alle vier Tage klargestellt worden sei. Es sei daher auch keine Richtigstellung des Beschlusses nach Kap 5 § 20 Abs. 4 VerfO erforderlich. Bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie sei nicht von einem „Versorgungsmix“ auszugehen.

Der Verwaltungsvorgang der Beklagten (2 Ordner) und die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Das LSG Berlin-Brandenburg ist erstinstanzlich zuständig (vgl § 29 Abs. 4 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, § 35a Abs. 3 Satz 6 Halbs 1 SGB V).

Der Antrag der Klägerin, die Unwirksamkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses des Beigeladenen zu 2) vom 6. Februar 2020 als Teil der AM-RL, Anlage XII, feststellen zu lassen, ist zulässig nach § 55 Nr. 1 SGG (vgl bereits BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 KR 11/19 R = SozR 4-2500 § 35a Nr 6 – Rn 17, 41).

Es handelt sich nicht um eine unzulässige "gesonderte Klage" iSv § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V gegen den Nutzenbewertungsbeschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V (hier und folgend idF des 14. SGB V-Änderungsgesetzes <ÄndG> vom 27. März 2014, BGBl I 261). Der Schiedsspruch, der den Erstattungsbetrag festgelegt hat, ist zugleich mit der Klage angefochten (nach § 130b Abs. 4 Satz 5 SGB V hier und folgend idF des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes <AMVSG> vom 4. Mai 2017, BGBl I 1050). Dieses prozessual einstufige Vorgehen bei der zweistufigen Preisregulierung des Arzneimittels entspricht dem Grundmodell des einheitlichen Rechtsschutzkonzepts zur Vermeidung zweier separater Klagen (vgl Gesetzentwurf zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz <AMNOG>, BT-Drucks 17/2413 zu § 35a Abs. 8 S 23, zu § 130b Abs. 4 S 32). Es ist mit Blick auf einen effektiven Rechtsschutz im Lichte von Art 19 Abs. 4 GG deswegen geboten, weil die in den Gesetzesmaterialien (aaO) vorgesehene formlos erfolgende "Mitüberprüfung" des Nutzenbewertungsbeschlusses den Anforderungen eines fairen Verfahrens in solchen Fällen nicht mehr gerecht wird, in denen die Rechtsverbindlichkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses durch die vom Pharmaunternehmen gegen ihn erhobenen Einwendungen letztlich ganz oder teilweise verneint bzw infrage gestellt wird (vgl BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 3 – Rn 32 mwN; zur ausnahmsweisen Zulässigkeit einer isolierten Feststellungsklage gegen den GBA-Beschluss aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vgl BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 KR 11/19 R = SozR 4-2500 § 35a Nr 6).

Wird – wie vorliegend – die Anfechtung eines Schiedsspruchs zur Festsetzung des Erstattungsbetrags (auch) mit substantiierten Einwendungen gegen den vorangegangenen Nutzenbewertungsbeschluss zum Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff begründet, ist es daher angezeigt, im gerichtlichen Verfahren auch auf einen Feststellungsantrag über die Rechtmäßigkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses hinzuwirken (vgl BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R – Rn 34 ff).

Das Feststellungsinteresse der Klägerin folgt aus dem Recht der Pharmaunternehmen auf gleiche Teilhabe am Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG; vgl BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 KR 11/19 R – Rn 29 mwN auch zur Festbetragsgruppenbildung oder -festsetzung nach § 35 SGB V). Die Berufsfreiheit aus Art 12 Abs. 1 GG schützt auch davor, dass die Wettbewerbsstellung des Einzelnen durch staatliche Interventionen beeinträchtigt wird (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 27. April 2021 – 2 BvR 206/14 – juris – Rn 51). Das kann nach dem Vortrag der Klägerin hier jedenfalls nicht von vornherein völlig ausgeschlossen werden.

Der GBA war zum Rechtsstreit nach § 75 Abs. 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen. Der GBA hätte ansonsten keine Rechtsschutzmöglichkeit, sich gegen vorgebrachte Einwände der Unwirksamkeit seines Nutzenbewertungsbeschlusses angemessen rechtlich zur Wehr zu setzen (vgl bereits BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R – Rn 31). Den Gesetzesmaterialien (vgl Gesetzentwurf AMNOG, BT-Drucks 17/2413 zu § 35a Abs. 8 S 23, zu § 130b Abs. 4 S 32) ist nicht zu entnehmen, dass dem GBA in der Konstellation der Anfechtung der Erstattungsbetragsfestsetzung eine prozessuale Beteiligung als Beklagter zukommen soll; eine isolierte Klage gegen den GBA wäre in dieser Konstellation vielmehr unzulässig. Aus der Stellung als notwendig Beigeladener drohen keine prozessualen Nachteile (vgl § 75 Abs. 4 SGG). Die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde, trifft Beigeladene in gleicher Weise wie die Hauptbeteiligten (vgl BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 20; BSG, Urteil vom 8. August 2019 – B 3 KR 16/18 R - BSGE 129, 30 = SozR 4-2500 § 130b Nr 4 – Rn 17 mwN; vgl auch § 141 Abs. 1 Nr 1 SGG).

Der Antrag, den Schiedsspruch im Hinblick auf die Festsetzung des Erstattungsbetrags zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats insoweit neu zu entscheiden, ist ebenfalls zulässig nach § 54 Abs. 1 SGG.

Der Erstattungsbetrag gilt für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die – wie hier – keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden. Besteht Streit darüber und kommt deshalb eine Vereinbarung nicht zustande, wird der Erstattungsbetrag als Teil des Vertragsinhalts von der Schiedsstelle festgesetzt (§ 130b Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 bis 3 SGB V). Eine Änderung des Schiedsspruchs als ein Verwaltungsakt iSv § 31 Satz 1 SGB X (vgl insoweit BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 1 – Rn 17) würde - ohne zwischenzeitliche Einigung der Vertragspartner - zwingend eine erneute Entscheidung der beklagten Schiedsstelle erforderlich machen, wenn das Arzneimittel in Deutschland weiter zulasten der GKV abgegeben werden soll (vgl BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R – Rn 24).

Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 130b Abs. 4 Satz 6 SGB V). Die Klägerin ist durch den festgesetzten Erstattungsbetrag als einheitlicher Abgabepreis ihres Fertigarzneimittels in eigenen Rechten betroffen.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die beklagte Schiedsstelle hat auf der Grundlage des wirksamen Nutzenbewertungsbeschlusses des Beigeladenen zu 2) den Erstattungsbetrag beanstandungsfrei festgelegt. Im Rahmen des zweistufigen Preisregulierungsverfahrens ist der Erstattungsbetrag für das Arzneimittel von der Schieds-stelle zutreffend auf Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses festgesetzt worden.

Durch das AMNOG (vom 22. Dezember 2010, BGBl I 2262) wurde ein zweistufiges System der Preisregulierung für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zum 1. Januar 2011 eingeführt. Der GBA bewertet auf der ersten Stufe des Verfahrens nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V den medizinischen Nutzen von in der GKV erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Auf der zweiten Stufe erfolgt die wirtschaftliche Preisregulierung des Arzneimittels in der GKV: Für Arzneimittel, die – wie hier – nach dem Nutzenbewertungsbeschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V keiner Festbetragsgruppe (vgl § 35 Abs. 1 SGB V) zugeordnet wurden, vereinbart der GKV-Spitzenverband mit pharmazeutischen Unternehmern - im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung - auf der Grundlage des GBA-Beschlusses mit Wirkung für alle Krankenkassen Erstattungsbeträge für diese Arzneimittel (§ 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Erstattungsbetrag für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, der ab dem 13. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen des Arzneimittels gilt (§ 130b Abs. 3a Satz2 SGB V), bildet damit den einheitlichen Abgabepreis für pharmazeutische Unternehmer (§ 78 Abs. 3 Satz 1 Halbs 1 AMG idF des 14. SGB V-ÄndG vom 27. März 2014, BGBl I 261; vgl BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 26 mwN auch aus der Rspr des BSG).

Die gemeinsam vom GKV-Spitzenverband und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen nach § 130b Abs. 5 Satz 1 SGB V gebildete Schiedsstelle setzt, wenn eine Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b Abs. 1 oder 3 SGB V nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses des GBA nach § 35a Abs. 3 SGB V zustande kommt, den Vertragsinhalt nach § 130b Abs. 4 SGB V innerhalb von drei Monaten fest. Der Nutzenbewertungsbeschluss bildet damit sowohl die Grundlage für Vereinbarungen über den Erstattungsbetrag (vgl § 130b Abs. 1 Satz 1 Halbs 1 iVm Abs. 4 Satz 1 SGB V und Kap 5 § 20 Abs. 2 Satz 1 VerfO G-BA idF vom 19. November 2014, BAnz AT 18  November 2014 B1 iVm § 91 Abs. 4 Nr 1 und § 35a Abs. 1 Satz 9 SGB V) als auch für die Festsetzung des Erstattungsbetrags durch die Schiedsstelle (vgl BSG aaO Rn 27 mwN aus der Rspr des BSG).

Der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2) vom 6. Februar 2020 ist rechtmäßig.

Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V in der durch das AMNOG eingeführten Fassung bewertet der GBA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, wozu insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung gehört (vgl zB BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R – juris – Rn 47 bis 49). Die Nutzenbewertung erfolgt „auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers“, in denen insbesondere die zugelassenen Anwendungsgebiete, der medizinische Nutzen und der medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie anzugeben sind (§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V). Nach § 2 Abs. 4 AM-NutzenV ist der Zusatznutzen ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als derjenige, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AM-NutzenV ist dieser Zusatznutzen vom pharmazeutischen Unternehmer in einem näher in § 4 AM-NutzenV geregelten Dossier nachzuweisen. Zu den Darlegungspflichten bestimmt § 4 Abs. 8 AM-NutzenV weitere Einzelheiten. Zweckmäßige Vergleichstherapie ist bei alledem diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird (§ 2 Abs. 5 AM-NutzenV). Sie ist nach § 6 Abs. 1, 2 und 2a AM-NutzenV in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 27. März 2014 (BGBl I 261 mWv 1. Januar 2014) regelhaft nach Maßstäben zu bestimmen, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben und muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein (§ 12 SGB V), vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien vorliegen und die sich in der praktischen Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V oder das Wirtschaftlichkeitsgebot dagegen sprechen. Sind mehrere Alternativen für die Vergleichstherapie gleichermaßen zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden.

Der Beigeladene zu 2) durfte den Zusatznutzen von Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) bei der Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten im Alter von 12 Jahren und älter mit Hämophilie A (angeborener Faktor-VIII-Mangel) verneinen, weil die Klägerin den von ihr zu erbringenden Nachweis des Zusatznutzens am Maßstab von evidenzbasierten Studien nicht belegt hat. Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums hat der Beigeladene zu 2) neun gleichwertig einsetzbare Wirkstoffe (rekombinante oder aus humanem Plasma gewonnene Blutgerinnungsfaktor-VIII-Präparate) als Alternativen der zweckmäßigen Vergleichstherapie festgelegt, ohne dass daraus ein "Versorgungsmix" abzuleiten wäre. Mangels entsprechender Angaben im Dossier musste die Nutzenbewertung nicht an einer Patienten-Subgruppe gesondert ausgerichtet werden. Die Ermittlung der Therapiekosten von Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) auf der Grundlage des ermittelten Jahresdurchschnittsverbrauchs durch den Beigeladenen zu 2) begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Dieses Ergebnis, insbesondere zu den Therapiekosten, steht weder im Widerspruch zur arzneimittelrechtlichen Zulassung noch zu den Fachinformationen zu Esperoct® nach dem maßgeblichen Stand Januar 2020. Es musste auch keine "sachlich-rechnerische" Richtigstellung der Jahresverbrauchs- bzw Therapiekosten nach Kap 5 § 20 Abs. 4 VerfO durch den Unterausschuss erfolgen, weil keine Angaben auf Grundlage der Daten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 6. Februar 2020 zu korrigieren waren.

Die Nutzenbewertung des Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen erfolgt allein aufgrund von Nachweisen des Unternehmers, die dieser durch die im Dossier übermittelten Angaben beizubringen hat. Den Beigeladenen zu 2) trifft hierbei keine Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 AM-NutzenV in der hier anwendbaren Fassung ab 1. Januar 2014, BGBl I 261 iVm § 35a Abs. 1 Satz 7 und 8 SGB V; vgl BSG aaO Rn 30 mwN).

Der Zusatznutzen eines Arzneimittels ist ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als der Nutzen, den die zweckmäßige Vergleichstherapie im Hinblick auf patientenrelevante therapeutische Effekte aufweist, wie etwa die Verbesserung des Gesundheitszustands oder der Lebensqualität (vgl § 2 Abs. 2 und 4 AM-NutzenV). Zu dessen Bewertung muss der pharmazeutische Unternehmer einschließlich aller von ihm durchgeführten oder in Auftrag gegebenen klinischen Prüfungen dem GBA fristgemäß die in § 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V im Einzelnen genannten Angaben übermitteln (Nr 1 zugelassene Anwendungsgebiete, Nr 2 medizinischer Nutzen, Nr 3 medizinischer Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, Nr 4 Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht, Nr 5 Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung, Nr 6 Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung). Dementsprechend obliegt es allein der Entscheidung des pharmazeutischen Unternehmers und nicht der Einschätzung des GBA, ob ein Zusatznutzen eines neuen Wirkstoffs für alle zugelassenen Anwendungsgebiete oder beschränkt für einzelne Patientengruppen festgestellt werden soll. Maßgebend ist dafür hier die Erklärung der Klägerin in ihrem Dossier. Einen solchen Zusatznutzen gegenüber der beanstandungsfrei bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie (rekombinante oder aus humanem Plasma gewonnene Blutgerinnungsfaktor-VIII-Präparate) durfte der Beigeladene zu 2) für die Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten im Alter von 12 Jahren und älter mit Hämophilie A (angeborener Faktor-VIII-Mangel) als nicht belegt ansehen. Er ist dabei von einer Alternativität der genannten Präparate der zweckmäßigen Vergleichstherapie ausgegangen und hat diese gerade nicht an einem "Therapie- oder Versorgungsmix" ausgerichtet und musste dies auch nicht tun als Basis für einen höheren Erstattungsbetrag. Weder aus der Ausgestaltung des Nutzenbewertungsverfahrens von Anbeginn der Beratung, aus den Angaben im IQWiG-Dossier noch aus der Argumentation in den Tragenden Gründen des Beschlusses ergeben sich objektive Anknüpfungspunkte, die für die Sichtweise der Klägerin sprechen könnten.

Der Beigeladene zu 2) hat seine Entscheidung zum Zusatznutzen rechtmäßig getroffen nach Bewertung der Angaben im Dossier durch das IQWiG und nach den im schriftlichen und mündlichen Anhörungsverfahren vorgetragenen Stellungnahmen und ergänzend vorgelegten Auswertungen. Den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse hat er durch eine Evidenz- und Leitlinienrecherche berücksichtigt. Die von der Klägerin beigebrachten, gegenüber den vom Beigeladenen zu 2) beanstandungsfrei bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapien nicht direkt vergleichenden, nicht kontrollierten  Studien des pathfinder™-Studienprogramms (Vorher-Nachher-Vergleich) hat er gestützt auf das IQWiG-Dossier aufgrund starker methodischer Limitationen als nicht berücksichtigungsfähig eingeschätzt. Die Klägerin habe keine geeigneten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens bzw hierfür maßgebender patientenrelevanter Effekte von Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) vorgelegt; ein entsprechender Hinweis ergibt sich bereits aus dem Beratungsprotokoll der mündlichen Anhörung vom 2. Dezember 2019 beim Beigeladenen zu 2) (vgl S 8 Frau B: „Meiner Interpretation nach ist es eigentlich klar zu dem Schluss gekommen, dass es vergleichende Studien braucht. Das sagt nicht nur das IQWiG, sondern das haben auch verschiedene Kliniker gesagt. Sie hatten jetzt mehrere Jahre Zeit, Sie legen wieder die gleiche Vorgehensweise vor und haben nicht einmal eine systematische Recherche nach Studien mit der zVT gemacht, so dass man zumindest da vielleicht gucken könnte, ob es ausreichend große Effekte gibt, wenn Sie schon keine vergleichenden Studien durchführen.“). Auf der Basis der übermittelten Daten hat der Beigeladene zu 2) keine validen Aussagen für möglich gehalten, um einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie festzustellen. Das IQWiG hatte schon in seinem Dossier vom 30. Oktober 2019 darauf hingewiesen, dass sich allein auf Basis nicht vergleichender, nicht kontrollierter Studien ohne Vorlage vergleichender Daten zur zweckmäßigen Vergleichstherapie kein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ableiten lasse (vgl 2.3 des Dossiers: „Der pU identifiziert keine randomisierten oder nicht randomisierten Studien zum direkten Vergleich von Turoctocog alfa pegol mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie, weder zur Dossierbewertung A19-58 Version 1.0 Turoctocog alfa pegol (Hämophilie A) 30.10.2019 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – 4 - Prophylaxe noch zur Bedarfsbehandlung. Auch die Vollständigkeitsprüfung ergab keine direkt vergleichende Studie…. Der pU schließt in seinen Studienpool die nicht vergleichenden Studien Pathfinder 2 und Pathfinder 3 ein. Eine Suche nach Studien mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie führt er nicht durch. Die Studie Pathfinder 2 ist eine offene, nicht kontrollierte Studie, in die bereits vorbehandelte Patienten mit schwerer Hämophilie A im Alter von 12 Jahren und älter eingeschlossen wurden. In der Studie wurden insgesamt 186 männliche Patienten entweder prophylaktisch oder nach Bedarf mit Turoctogog alfa pegol behandelt. Der pU berücksichtigt in seinem Dossier ausschließlich die prophylaktisch behandelten Patienten. Die Studie Pathfinder 3 ist eine 1-armige, nicht vergleichende Studie, in der Turoctocog alfa pegol beim Blutungsmanagement während operativer Eingriffe untersucht wurde. Hierzu wurden 34 Teilnehmer der Studie Pathfinder 2 eingeschlossen, die sich einer schweren Operation unterziehen mussten. Beide vom pU vorgelegten Studien sind zur Ableitung eines Zusatznutzens nicht geeignet, da sie als nicht kontrollierte Studien keinen Vergleich gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ermöglichen. Dass der pU keine Studien zur zweckmäßigen Vergleichstherapie gesucht hat, führt zu einem inhaltlich unvollständigen Studienpool und dazu, dass sich die Fragestellung der vorliegenden Nutzenbewertung nicht beantworten lässt. Der pU stellt die Daten der Studie Pathfinder 3 in seinem Dossier lediglich deskriptiv dar. Einen Vergleich mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie strebt er nicht an. Auf Basis der Studie Pathfinder 2 führt der pU einen Vergleich der prophylaktischen Studienbehandlung mit Turoctocog alfa pegol gegenüber einer vor Studienbeginn erhaltenen individuellen prophylaktischen Behandlung mit anderen rekombinanten oder aus humanem Plasma gewonnenen Faktor-VIII-Präparaten durch. Diese vor Studienbeginn erhaltene Prophylaxe ist damit nicht unter Studienbedingungen durchgeführt worden. Der Umstand, dass der pU nicht nach Studien mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie gesucht hat, kann nicht durch einen Vorher-nachher-Vergleich, wie mit der Studie Pathfinder 2 durchgeführt, behoben werden. Die unter Studienbedingungen durchgeführte Therapie lässt sich nicht mit einer prophylaktischen Behandlung außerhalb der Studiensituation vergleichen. Dessen ungeachtet führt der pU seine Vorher-nachher-Vergleiche nur für Nutzenendpunkte durch, nicht aber für Endpunkte zu Nebenwirkungen…. Der pU legt in seinem Dossier keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Turoctocog alfa pegol vor. Daraus ergibt sich kein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen von Turoctocog alfa pegol gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie“.)

Einen Zusatznutzen hat der Beigeladene zu 2) damit nachvollziehbar und widerspruchsfrei für das gesamte Anwendungsgebiet verneint, ohne Einschränkungen für bestimmte Teilpopulationen vorzunehmen. Dies gilt auch in Bezug darauf, dass Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) ein rekombinantes Faktor-VIII-Präparat mit verlängerter Halbwertszeit (Pegylierung) darstellt. Dem ist die Klägerin nicht mit durchgreifenden Einwendungen entgegen getreten. Sie hat vielmehr in ihrem Dossier zur Nutzenbewertung – Modul 1– vom 30. Juli 2019 selbst ausdrücklich darauf verwiesen, dass alle Faktor VIII-Präparate im hier einschlägigen Anwendungsgebiet den gleichen – allgemein bekannten und hinreichend belegten – Wirkmechanismus haben. „Dementsprechend kann im Prinzip jedes zugelassene Faktor VIII-Präparat zuverlässig bei Hämophilie-A-Patienten eingesetzt werden, um Blutungen zu behandeln und zu verhüten“ (S 20).

Die Bewertung des (fehlenden) Zusatznutzens des Beigeladenen zu 2) steht weder im Widerspruch zur arzneimittelrechtlichen Zulassung noch zu den Fachinformationen (§ 11a AMG). Es ist nicht ersichtlich, dass der Beigeladene zu 2) von der arzneimittelrechtlichen Zulassung des Arzneimittels abgewichen wäre. Insofern steht der Nutzenbewertungsbeschluss auch im Einklang mit den Vorgaben, dass die Nutzenbewertung den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen darf (vgl § 7 Abs. 2 Satz 6 iVm § 5 Abs. 3 Satz 2 AM-NutzenV). Der Beigeladene zu 2) hat auch zutreffend die Fassung von § 6 AM-NutzenV idF des Gesetzes vom 27. März 2014 (BGBl I 261 mWv 1. Januar 2014) seinem Beschluss zugrunde gelegt. Danach wurde das Wirtschaftlichkeitskriterium bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie fortan nicht mehr herangezogen. Denn nach § 6 Abs. 2a AM-NutzenV gilt, wenn mehrere Alternativen für die Vergleichstherapie gleichermaßen zweckmäßig sind, dass der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden kann. Diese Vorgabe hat der Beigeladene zu 2) in seinem Beschluss rechtsfehlerfrei berücksichtigt. Der Senat hat bei dieser Bewertung die Funktion des Beigeladenen zu 2) als Normgeber zu beachten. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der des GBA setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen (stRspr; vgl zB BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 24/10 R = SozR 4-2500 § 34 Nr 9 – Rn 25; BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 10/10 R = SozR 4-2500 § 35 Nr 4 – Rn 38).

Der Beigeladene zu 2) hat in seinem Beschluss auch beanstandungsfrei den theoretischen Jahresverbrauch von Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) als Grundlage der ermittelten Jahrestherapiekosten dargestellt. Er ist entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere nicht von unzutreffenden Dosisangaben, bezogen auf die Höhe der Einzeldosis und Therapieintervalle, ausgegangen, wobei maßgebend hier nur die Fachinformation von Esperoct® zum Zeitpunkt der Beschlussfassung, dh vom Januar 2020, sein kann. Diese sieht eine empfohlene Anfangsdosis von 50 I.E./kg alle vier Tage vor, daneben ist eine maximale Einzeldosis von 70 I.E./kg benannt. Anpassungen können patientenindividuell in Bezug auf Dosis und Verabreichungsintervall erfolgen. Der Beigeladene zu 2) hat in seinem Beschluss eine Spanne der laut Fachinformation möglichen Dosierungen gebildet. Es ist nicht zu beanstanden, dass er dabei von den beiden Dosierungsschemata 50 I.E/kg alle vier Tage und maximal 75 I.E./kg ebenfalls alle vier Tage ausgegangen ist. Ein anderes Dosierungsschema lässt sich der Fachinformation zweifelsfrei nicht entnehmen und wurde demgemäß auch vom IQWiG nicht zugrunde gelegt (vgl S 18 des Dossiers vom 30. Oktober 2019). Der Hinweis auf die maximale Einzeldosis ist ohne weiteres auf das zur empfohlenen Anfangsdosis, dh der Einzeldosis, mit der die Behandlung eingeleitet wird, in der insoweit einschlägigen und als maßgeblich heranzuziehenden Dosierungsempfehlung für die Prophylaxe (4.2 der Fachinformation) genannte Behandungsintervall von vier Tagen zu beziehen. In der Dosierungsempfehlung ist von einem höheren Behandlungsintervall nicht die Rede. Soweit unter Abschnitt 5.1 der Fachinformation auf Dosierungsschemata im pathfinder™-Studienprogramm abgehoben wird, haben diese ersichtlich keinen Eingang in die Dosierungsangaben nach § 11a Abs. 1 Satz 2 Nr  4b AMG gefunden.

Diese haben nach Maßgabe von Art. 11 Nr. 5.7. der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung Angaben zur Dosierung und Art der Anwendung bei Erwachsenen und – soweit erforderlich – bei Kindern zu enthalten. Diese Angaben müssen sachlich richtig und präzise sein. Nur so kann die mit der Fachinformation bezweckte schnelle und präzise Information ermöglicht werden (vgl die Hinweise in der von der Europäischen Kommission im September 2009 herausgegebenen Guideline on Summary of Product Characteristics - SmPC-Guideline - unter Nr 4.2: "The dosage should be clearly specified for each method/route of administration and for each indication, as appropriate…..Dose recommendations should be specified per dose interval for each category where appropriate….Frequency of dosing should be expressed using time units…..and, to avoid confusion, abbreviations….should not be used"; vgl zu Angaben zu pharmakologischen Eigenschaften Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 23. April 2020 – 3 C 22/18 – juris – Rn 12 ff). Mit dieser klaren Darstellung der Dosierungsangaben soll verhindert werden, dass die Verwender von den Pflichtinformationen abgelenkt werden; insoweit gilt nichts anderes als für die Gebrauchsinformation nach § 11 AMG (vgl dazu BVerwG, Beschluss vom 8. November 2018 – 3 C 2.17 – juris – Rn 22; Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 161/11 = PharmR 2013, 491 <492 f.>). Zwar ist die Fachinformation nicht für die Patienten gedacht, sondern an das heilberuflich tätige Fachpublikum adressiert (vgl § 11a Abs. 1 Satz 1 AMG). Sie enthält daher andere Angaben - nämlich die für Fachanwender notwendigen wissenschaftlichen Informationen - und muss auch nicht in einer für medizinische Laien verständlichen Art und Sprache abgefasst sein (vgl BT-Drs. 10/5112 S 16). Auch der Fachanwender soll aber nicht von den Pflichtangaben abgelenkt werden. Weitere Angaben müssen von dieser Pflichtinformation deutlich abgesetzt sein; sie sind nur zulässig, wenn sie mit der Anwendung des Arzneimittels in Zusammenhang stehen und den Pflichtangaben nicht widersprechen (§ 11a Abs. 1 Satz 6 AMG). Es trifft daher zu, dass die weitergehenden Hinweise für den Behandler auf klinische Studien in Abschnitt 5.1. der Fachinformation sinnvoll sein können und in der Guideline der EMA „Assessment of SMPC section 5.1.“ vom 15. Dezember 2023 (dort Abschnitt 3.2.) aufgeführt ist, dass die Daten in Abschnitt 5.1 der Fachinformation ergänzende und konkretisierende Informationen zu den Angaben in Abschnitt 4.1 enthalten können. Dies bezieht sich, was dort auch klargestellt ist, indes auf die Indikation („aiming to provide further details on the scientific basis of the indication“), nicht auf die Dosierungsangaben in Abschnitt 4.2 der Fachinformation. Diese können durch die Angaben in Abschnitt 5.1 nicht geändert werden.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass auch aus dem Assessment Report der EMA für Esperoct® (EMA/CHMP/352302/2019) das von der Klägerin für die hier maßgebliche Fachinformation Januar 2020 gesehene zwingende Dosierungsintervall von sieben Tagen für die maximale Dosis von 75 I.E./kg gerade nicht zweifelsfrei hergeleitet werden kann. Dort heißt es ua (S 108/109): „In the extension phase 1, patients fulfilling the criterion: “maximum 2 bleeding episodes during the last 6 months” were offered to be randomized to once weekly regimen (75 IU/kg). Given the potential for Esperoct to eventually target less frequent prophylactic dosing on the individual patient level, it is in principle not evident why the sole alternative to the Q4D regimen is a strict Q7D regimen. Moreover, the applied switching criteria (low bleeding risk and willingness to be randomized) result in a selected patient set exposed to Q7D prophylaxis. In light of this selection issue, it is considered questionable that the estimated Q7D ABRs can serve as reliable basis to inform regulatory decision making concerning interval extensions above 3 days. Patients on Q7D prophylaxis with 2 spontaneous BEs or one severe BE requiring hospitalization within 8 weeks had to switch back to Q4D prophylaxis. During the extension phase 2, patients could switch between the two dosing regimens according to the described switching criteria. Concerning the question of whether the recommendations/rules tested in trial 3859 to switch to/from Q7D based on bleeding phenotype can be considered an informative starting point to eventually guide regimen prolongation decisions, no further insight was enabled by the answers provided. Prophylactic effect of Esperoct was to be concluded if the bleeding rate is significantly below 50% of the historical on-demand bleeding rate (i.e. significantly lower than 12) as well as within 25% of the historical prophylaxis bleeding rates (i.e. significantly lower than 6.8*1.25 = 8.5). The general assumption that any prophylactic treatment regimen achieving an ABR below 8.5 can be considered equally satisfactory is seen critical. In this context, a direct comparison of Q4D vs Q7D seems informative for decision making, and this was obviously also realised by the applicant, when foreseeing an estimation of the ABR-ratio (Q4D/Q7D) in the analysis plan. However, there was no further plan/discussion from the applicant’s side of whether any estimated increase of ABR after switch from Q4D to Q7D would be relevant, or a possibly acceptable trade-off from a patient perspective, having the advantage of less frequent dosing. Moreover, based on the applicant´s responses there remains the question whether a patient’s decision to prolong the dosing interval beyond 3 days could eventually impact actual lifestyle (e.g. amount of actual physical activity). Considering all these aspects, Section 4.2 of the SmPC provides recommendation of a 50IU/kg dose every 4 days as starting regimen“.

Danach steht fest, dass der Beigeladene zu 2) zutreffend nicht von einem strikten Wochenregime bei der Dosierung von 75 I.E./kg ausgehen musste und eine entsprechende Erhöhung des Dosierungsintervalls als fraglich angesehen wurde, um als verlässliche Grundlage der Regulierungsbehörden in Bezug auf Intervallverlängerungen zu dienen. Im Ergebnis wurde daher eine Anfangsdosis von 50 I.E./kg alle vier Tage empfohlen.

Aus der Änderung der Fachinformation im August 2020 lässt sich nicht entnehmen, dass damit lediglich eine Klarstellung der schon in der Fachinformation Januar 2020 enthaltenen „regelhaften“ Dosierungsangaben von 50 I.E./kg erfolgen sollte. Dies ist bereits mit dem Wortlaut der Fachinformation von Januar 2020 nicht in Einklang zu bringen, der von einer empfohlenen „Anfangsdosis“ und gerade nicht von einer „Regeldosis“ spricht. Vielmehr enthält die Fachinformation August 2020 keine Angaben mehr zur Anfangsdosis und zur maximalen Einzeldosis, sondern lediglich eine einheitliche Dosisangabe von 50 I.E./kg alle vier Tage. Damit ist – erstmals - von einem einheitlichen Dosierungsregime auszugehen. Der Beigeladene zu 2) hatte hingegen die aus sich heraus klar verständlichen Angaben der Fachinformation Januar 2020 zugrunde zu legen, ohne dass sich daraus weiterer Ermittlungsbedarf ergeben hätte. Es musste auch keine "sachlich-rechnerische" Richtigstellung der Jahresverbrauchs- bzw Therapiekosten nach Kap 5 § 20 Abs. 4 VerfOrd (idF vom 14. Januar 2020, BAnz AT 13.01.2020 B5) durch den Unterausschuss des Beigeladenen zu 2) erfolgen, weil keine Angaben auf Grundlage der Daten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 6. Februar 2020 zu korrigieren waren.

Auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses hat die beklagte Schiedsstelle den Erstattungsbetrag für Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) beanstandungsfrei festgelegt.

Der von der Beklagten getroffene Schiedsspruch ist durch seinen Kompromisscharakter geprägt und nicht immer die einzig sachlich vertretbare Entscheidung. Deshalb ist der Schiedsstelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (stRspr; vgl nur BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 1 – Rn 22 mwN). Die Vertragsgestaltungsfreiheit, die der gerichtlichen Überprüfung Grenzen setzt, ist für die Schiedsstelle nicht geringer als diejenige der Vertragspartner einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung (vgl BSG, Urteil vom 10. Mai 2017 – B 6 KA 14/16 R = SozR 4-2500 § 87a Nr 3 – Rn 51 mwN). Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V unterliegen daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle darauf hin, ob die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht beachtet, den bestehenden Beurteilungsspielraum eingehalten und den zugrunde gelegten Sachverhalt in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs hinreichend ermittelt hat (vgl BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R – Rn 19; BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 39).

Das anzuwendende Recht für die gerichtliche Überprüfung des Schiedsspruchs richtet sich nach dem Zeitpunkt seines Erlasses (vgl BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R = SozR 4-2500 § 130b Nr 2 – Rn 28). Das ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Festlegung des Vertragsinhalts durch die Entscheidung der Schiedsstelle (vgl BSG, Urteil vom 25. März 2015 – B 6 KA 9/14 R = SozR 4-2500 § 73b Nr 1 – Rn 24). Es verbleibt auch kein Raum für die Anwendung der Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten (mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X), obwohl dem Schiedsspruch eine Regelungswirkung als vertragsgestaltender Verwaltungsakt iSv § 31 Satz 1 SGB X beizumessen ist, der streitige Punkte aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag oder einer solchen Vereinbarung ersetzt oder festsetzt (vgl BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 41 mwN). Denn nach dem Regelungskonzept von § 130b Abs. 7 SGB V bestehen sowohl für den Schiedsspruch als auch für Erstattungsbetragsvereinbarungen Kündigungsmöglichkeiten, mit denen die Schiedsstelle bzw die Vertragsparteien die Laufzeit ihrer Vereinbarungen selbst bestimmen. Eine Kündigung kann demnach nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von mindestens einem Jahr verlangt werden (vgl § 130b Abs. 7 Satz 1 SGB V). Ergänzend kann in besonderen, hier nicht einschlägigen Fällen das Anpassungs- oder Kündigungsrecht nach § 59 SGB X ausgeübt werden (vgl BSG aaO mwN).

Die Beklagte hat den Erstattungsbetrag zu Recht an der Preisobergrenze der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie ausgerichtet, die dem kostengünstigsten humanplasmatischen Arzneimittel Fahndi® entsprach. Einen gewichteten „Versorgungsmix“ hatte die Beklagte nicht zugrunde zu legen. Auch die Versorgungsrealität steht dem festgesetzten Erstattungsbetrag nicht entgegen.

Für ein Arzneimittel, das – wie hier Esperoct® – nach dem Nutzenbewertungsbeschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, soll ein Erstattungsbetrag vereinbart werden, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie (§ 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V in der hier anwendbaren, zum Zeitpunkt der Entscheidung der Schiedsstelle geltenden Fassung des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes <AMVSG> vom 4. Mai 2017 – BGBl I 1050 – mWv 13. Mai 2017 – im Folgenden: alter Fassung – aF –; geändert mWv vom 12. November 2022 durch Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der GKV (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) vom 7. November 2022 (BGBl I 1990). Sind nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V – wie vorliegend – mehrere Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt, soll der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative (§ 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF, sog Preisobergrenze; vgl BSG aaO Rn 43, BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 – B 3 KR 6/21 R – Rn 16,17).

Für Arzneimittel ohne Zusatznutzen und ohne Festbetragsgruppe existieren keine weiteren gesetzlichen Vorgaben zur Kalkulation bzw Preisfestlegung des Erstattungsbetrags (vgl ausdrücklich BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 44)

Die Gesetzesmaterialien erläutern, dass Versicherte nur dann Anspruch auf ein solches Arzneimittel haben, wenn der GKV keine Mehrkosten gegenüber "gleichwertigen Arzneimitteln" entstehen. Für den Kostenvergleich sind die Jahrestherapiekosten bei Anwendung des Arzneimittels heranzuziehen (vgl Gesetzentwurf AMNOG, BT-Drucks 17/2413, zu § 130b Abs. 3 S31). Durch diese Preisgestaltung wird letztlich das der GKV innewohnende Wirtschaftlichkeitsgebot von § 12 Abs. 1 SGB V als zentrales Strukturprinzip berücksichtigt (vgl BSG aaO Rn 45), worauf auch die Klägerin zutreffend abhebt.

Die Beklagte hat den Erstattungsbetrag für Turoctocog alfa pegol (Esperoct®) in Höhe der unstreitigen Jahrestherapiekosten des humanplasmatischen Präparats Fahndi® als Preisanker festgelegt. Dies entsprach dem kostengünstigsten und damit wirtschaftlichsten (vgl hierzu BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 – B 3 KR 6/21 R – Rn 19) Arzneimittel der Vergleichstherapie. Anhaltspunkte für eine (insoweit als gleichwertig anzusehende) Wirtschaftlichkeit einer teureren Alternative als der kostengünstigsten Alternative Fahndi® iSv § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF liegen nicht vor. Der auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses ermittelte durchschnittliche Jahresverbrauch iHv 414.896,3 I.E. ist aufgrund der zugrunde gelegten Gewichtung der angewendeten Dosierungen für Jugendliche bzw Erwachsene nachvollziehbar. Die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten des kostengünstigsten Vergleichspräparats Fahndi® hat die Beklagte beanstandungsfrei dem Nutzenbewertungsbeschluss entnommen (vgl zu den Jahrestherapiekosten für die GKV als Bestandteil der frühen Nutzenbewertung § 35a Abs. 1 Satz 3 Nr 5 SGB V, Kap 5 § 20 Abs. 3 Nr 4 VerfO), der sich auf die seinerzeit maßgebende Lauer-Taxe stützte. Die Geltung der in der sog Lauer-Taxe veröffentlichten Informationen für Arzneimittelpreise beruht auf der Sicherstellung eines einheitlichen Abgabepreises für alle Arzneimittel in Apotheken mit verbindlichen Preisen und Preisspannen (vgl, BSG, Urteil vom 2. Juli 2013 = SozR 4-2500 § 130a Nr 9 . Rn 21 f). Weitere Beobachtungspflichten des Beigeladenen zu 2), die einen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Festlegung des Erstattungsbetrags begründen, bestehen grundsätzlich nicht. Die Notwendigkeit einer Aktualisierung bzw eines Nachbesserungsbedarfs von Richtlinien durch den Beigeladenen zu 2) ist zwar bejaht worden, wenn die tatsächliche (Daten-)Grundlage von Bewertungen dem Stand der medizinischen Erkenntnisse offensichtlich nicht mehr gerecht wird (vgl BSG, Urteil vom 13. Mai 2015 – B 6 KA 14/14 R = SozR 4-2500 § 34 Nr 17). Eine solche Sachlage liegt hier indes nicht vor.

Die Beklagte war auch nicht gehalten, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens die zu prüfende Wirtschaftlichkeit nicht auf die kostengünstigste Alternative zu beschränken, sondern in Gestalt eines „Versorgungsmixes“ eine Mischpreisbildung unter Berücksichtigung aller Präparate der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorzunehmen. Der klägerseitige Einwand, § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF binde den Erstattungsbetrag an die wirtschaftlichste, nicht aber – wie von der Beklagten vorgenommen – an die billigste Alternative, mag auf der Ebene des Wortlauts zutreffen, geht in der Sache indes fehl. Hierbei kann der Senat offenlassen, unter welchen Bedingungen im Allgemeinen sich die wirtschaftlichste von der billigsten bzw kostengünstigsten Lösung unterscheidet. Denn die Klägerin legt auch anhand ihres Rechenwerks nicht dar, warum die von ihr favorisierte Lösung, den Erstattungsbetrag auf der Grundlage des von ihr geschilderten Versorgungsmixes zu bilden, trotz – unstreitig – höherer Kosten für die Krankenkassen wirtschaftlicher als der angegriffene Erstattungsbetrag sein soll. Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, im vorliegenden Fall sei § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF nicht anzuwenden. Ihr Hinweis darauf, die Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie durch den Beigeladenen zu 2) habe noch unter Geltung von § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV in der bis 12. August 2013 geltenden Fassung vom 28. Dezember 2010 stattgefunden, die seinerzeit bei mehreren Alternativen die Wahl der wirtschaftlicheren Therapie vorschrieb, und daher seien alle Präparate der zweckmäßigen Vergleichstherapie als wirtschaftlich gleichwertig anzusehen, führt ebenso wenig zu einer anderen Betrachtung wie der Einwand, der Beklagte habe von der durch das 3. AMG-ÄndG eröffneten Flexibilisierungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht und daher sei die in diesem Zusammenhang eingeführte Regelung des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF nicht einschlägig.

Das 3. AMG-ÄndG brachte einerseits für die pharmazeutischen Unternehmer eine Flexibilisierung (BT-Drucks 17/13770, S 18, 24, 26) bei der Auswahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie mit sich, indem durch die Einfügung von Abs. 2a in § 6 AM-NutzenV bei mehreren zweckmäßigen Vergleichstherapien der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden konnte. Zugleich fand bei der Auswahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie eine Entkoppelung vom „Aspekt der Wirtschaftlichkeit“ (BT-Drucks 17/13770, S 18) statt, weil durch die Streichung von § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV die Verpflichtung, bei mehreren zweckmäßigen Vergleichstherapien die wirtschaftlichste zu wählen, aufgehoben wurde. Um jedoch zu vermeiden, dass pharmazeutische Unternehmer bei fehlendem Zusatznutzen eine möglichst hochpreisige zweckmäßige Vergleichstherapie mit dem Ziel eines entsprechend hohen Erstattungsbetrags wählen, durfte nach dem neu eingefügten § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF bei mehreren zweckmäßigen Vergleichstherapien der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative (BT-Drucks 17/13770, S 24). Durch das mW zum 13. August 2017 in Kraft getretene AMVSG wurden die Vorgaben für die Vereinbarung des Erstattungsbetrags bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen flexibilisiert: Die bis dahin zwingende Begrenzung des Erstattungsbetrags auf die Jahrestherapiekosten der (wirtschaftlichsten) zweckmäßigen Vergleichstherapie wurde zugunsten einer entsprechenden „Soll“-Regelung gemildert. Damit sollte der Verhandlungsspielraum erweitert werden, um „zu sachgerechten Vereinbarungen zu kommen, die einen fairen Ausgleich zwischen Innovation und Bezahlbarkeit ermöglichen“. Die „Soll“-Regelung will klarstellen, dass „diese Flexibilisierung nur im begründeten Einzelfall zum Tragen kommt und im Regelfall die Bindung an den Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie weiterbesteht“. Ein solcher Einzelfall kommt in Betracht, wenn „für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedliche, im Preis stark divergierende Vergleichstherapien bestimmt sind“ (BT-Drucks 18/10208, S 4, 19 f, 35). Die gesetzliche Regelung ermöglichte damit „in begründeten Einzelfällen“ eine flexiblere Gestaltung des Erstattungsbetrags (so BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 52 mwN).

Vorliegend ist die Nutzenbewertung für Esperoct® unter Geltung der – maßgeblichen und insoweit vom Beigeladenen zu 2) auch zugrunde gelegten – geänderten AM-Nutzen-VO erfolgt. Ein Rückgriff auf frühere Nutzenbewertungen fand insoweit nicht statt. Die Anwendung von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF setzt nicht voraus, dass von den durch das 3. AMG-ÄndG bezweckten Flexibilisierungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht wurde. Weder dem Wortlaut von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V noch den Gesetzesmaterialien sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass – quasi im Wege teleologischer Reduktion – diese Vorschrift die Wahrnehmung der durch das 3. AMG-ÄndG eröffneten Flexibilisierung voraussetzt. Der Gesetzgeber hat lediglich die erweiterten Handlungsoptionen zugunsten der pharmazeutischen Unternehmer durch § 6 Abs. 2a AM-NutzenV mit „strafferen Zügeln“ bei der Vereinbarung des Erstattungsbetrags verbunden. Dies geschah im Hinblick auf das das gesamte Recht der GKV prägende Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V), somit aus sachgerechten – und von der Klägerin selbst benannten – Gründen (vgl zum Ganzen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. April 2021 – L 14 KR 218/18 KL <Aubagio®>– juris – Rn 96ff).

Es liegt auch kein – atypischer – Ausnahmefall vor, der ein Abweichen von der in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF (in der seit dem AMVSG bis 11. November 2022 geltenden Fassung) geltenden Grundregel gestatten würde. Die Klägerin hat keine Tatsachen benannt, die einen Ausnahmefall im Sinne der o.g. Gesetzesmaterialien begründen könnten. Insbesondere die vom Gesetzgeber beispielhaft genannte Konstellation, dass für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedliche, im Preis stark divergierende Vergleichstherapien bestimmt seien, liegt hier gerade nicht vor. Das Recht und die Pflicht der Schiedsstelle, insoweit „unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls“ zu entscheiden und „dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebiets“ zu berücksichtigen (§ 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V in der seit dem 3. AMG-ÄndG geltenden Fassung), können von vornherein nur im gesetzlich gesteckten Rahmen bestehen. Hierbei liegt es auf der Hand, dass der oben beschriebene weite Gestaltungsspielraum in Abhängigkeit vom festgestellten Zusatznutzen unterschiedlich ausfällt und von vornherein nicht oder nur sehr eingeschränkt bestehen kann, wenn bereits das Gesetz ihm Grenzen setzt. Eine solche „Soll“-Grenze zieht § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF für Arzneimittel ohne Zusatznutzen, indem es den Erstattungsbetrag auf die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie limitiert. Bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen ist dem Beklagten daher vom Gesetzgeber von vornherein nur ein geringer Entscheidungsspielraum eröffnet. § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF erweist sich insofern als lex specialis gegenüber § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V (vgl LSG Berlin-Brandenburg aaO Rn 108; in diesem Sinne auch BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 – B 3 KR 6/21 R – Rn 18). Von den Vorgaben des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF kann daher nur in atypischen Fällen abgewichen werden, wozu die Beklagte hier keinen Anlass sehen musste. Einer eingehenden Begründung hierzu bedarf es im Schiedsstellenspruch nicht (vgl BSG, Urteil vom 22. Februar 2023 – B 3 KR 6/21 R – Rn 18 mwN). Auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses, der sämtlich für alle Patientengruppen in Betracht kommende gleichwertige Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie benennt, kam auch eine Mischpreisbildung („Versorgungsmix“) nicht in Betracht (vgl BSG aaO Rn 19; BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 33f, 43). Ebenso wenig kommt es auf die Versorgungsrealität an (BSG aaO Rn 51).

Die Entscheidung der beklagten Schiedsstelle verstößt in Bezug auf Verfahrens- und Formvorschriften nicht gegen einschlägige Rechtsnormen (zu den Anforderungen vgl BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R – Rn 40 ff).

Der Verweis auf die sonstige bzw frühere Spruchpraxis der Beklagten liegt neben der Sache. Erweist sich der hier angegriffene Schiedsspruch als rechtmäßig, ändert sich daran durch eine davon abweichende Spruchpraxis der Beklagten für andere Arzneimittel nichts. Wären die abweichenden Schiedssprüche rechtswidrig, könnte die Klägerin hieraus nichts für sich ableiten. Eine Gleichheit im Unrecht gibt es nicht (BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 1627/95 –, Rn. 52; BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 – B 6 KA 32/02 R – jeweils juris und mwN). Ein Verstoß gegen Art. 3 GG ist daher nicht erkennbar.

Gleiches gilt für Art. 12 GG. Der pharmazeutische Unternehmer wird durch die Preisfestlegung der Schiedsstelle in seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit von Art. 12 Abs. 1 GG berührt (vgl BVerfG vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 - BVerfGE 106, 275, 298 ff = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 17 ff <zu Festbeträgen, bei denen das BVerfG die Einschränkung der Berufsfreiheit allerdings insgesamt verneint>; die Berufsausübung als betroffen ansehend: zB BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R = SozR 4-2500 § 72 Nr 2 – Rn 146 ff). Eine solche Regelung der Berufsausübung ist regelmäßig durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls - wie die Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV - gerechtfertigt (stRspr; vgl nur BVerfG vom 10. Juni 2009 – 1 BvR 706/08 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 – Rn 233 mwN). Die nach § 130b SGB V vorgesehene nutzenorientierte Preisregulierung stellt sowohl ein geeignetes als auch das mildeste Mittel zur Erreichung des Ziels der Sicherung der finanziellen Stabilität der GKV dar (vgl BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R – Rn 37 zur Mischpreisbildung).

Die Klägerin ist nicht in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit beeinträchtigt. Der festgelegte Erstattungsbetrag stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Preisbildungsfreiheit der Klägerin nach Art. 12 Abs. 1 GG dar. Er ist weder unangemessen und steht auch nicht außerhalb des gesetzlich verfolgten Zwecks. Denn das mit dem Abgabepreis nach Maßgabe der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie verfolgte Ziel ist es gerade, bei fehlendem Zusatznutzen dem Unternehmer nicht die Wahl einer möglichst hochpreisigen Vergleichstherapie - mit den höchsten Jahrestherapiekosten - zu ermöglichen, um ohne Nachweis eines Zusatznutzens einen entsprechend hohen Erstattungsbetrag vereinbaren zu können (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drucks 17/13770, zu Nr 5a S 24). Anderes wäre schwerlich mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot von § 12 Abs. 1 SGB V in Einklang zu bringen. Das Festhalten an der regelhaften Preisobergrenze von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF führt nicht zu unzumutbaren Belastungen. Sogar die Unterschreitung dieser Preislinie ist gesetzlich nicht ausgeschlossen. Die Vereinbarung eines wirtschaftlichen Preises sichert den Zugang zu dem großen Absatzmarkt in der GKV, den der pharmazeutische Unternehmer maßgeblich durch das Verhandlungsverfahren aktiv mitgestalten kann. Die an ihn gestellten Anforderungen im Dossier sind nicht überzogen, sondern der notwendigen medizinisch-wissenschaftlichen Bewertung des Arzneimittels geschuldet. Es bleibt letztlich aber ihm überantwortet, anhand von vollständigen und geeigneten Unterlagen und Studien darzulegen und nachzuweisen, dass der Einsatz seines Arzneimittels zu relevanten Vorteilen in der Therapie im Bereich der GKV führt (BSG, Urteil vom 12. August 2021 – B 3 KR 3/20 R – Rn 55, 56 mwN). Das Regelungssystem sieht zudem eine ausreichende Absicherung gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle einschließlich außerordentlicher Kündigungsmöglichkeiten bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Bildung einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 SGB V sowie bei Veröffentlichung eines neuen Beschlusses zur Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V oder zur Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V (§ 130b Abs. 7 Satz 3 SGB V) vor. Daraus ergeben sich zeitnahe Anpassungsmöglichkeiten an eine verbesserte Datenlage (BSG aaO Rn 57).

Der Schiedsspruch ist daher rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die vorliegend entscheidungserheblichen Rechtsfragen zur Festsetzung des Erstattungsbetrags nach § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF sind durch das BSG (vgl die zitierte Rspr) grundsätzlich geklärt. Im Übrigen handelt es sich bei dem vorliegend einschlägigen § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V aF, dh in der bis 11. November 2022 geltenden Fassung, um ausgelaufenes Recht (vgl die Neufassung ab 12. November 2022 GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vom 7. November 2022 – BGBl I 1990).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Die Entscheidung über den Streitwert ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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