L 4 KR 3206/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 4017/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3206/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Von dem Grundsatz der Bestimmung des Regelentgelts nach der letzten Beitragsfestsetzung ist bei freiwillig Versicherten unter Berücksichtigung des Zwecks des Krankengelds abzuweichen, wenn im Kalenderjahr zuvor nur Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage gezahlt wurden und es keinen „Vorzeitraum“ mit Krankengeldanspruch gab. Bei der Ermittlung des Regelentgelts sind in einem solchen Fall die tatsächlichen Einkommensverhältnisse ab Beginn des konkreten (einen Krankengeldanspruch erstmals mitumfassten) Versicherungsverhältnisses maßgeblich (hier: Krankengeld in Höhe von Null).

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. September 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligte ist die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum 21. April bis 22. Dezember 2020 streitig.

Der 1968 geborene Kläger ist als Unternehmensberater und Coach hauptberuflich selbständig tätig. Er war bis zur Beendigung der Mitgliedschaft zum 31. Dezember 2020 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert, zunächst ohne Anspruch auf Krankengeld. Die Beiträge wurden zuletzt aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2016, aus dem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 137.153,00 € hervorgingen, aus der Beitragsbemessungsgrenze erhoben.
 
Am 7. Januar 2020 bescheinigte K1 dem Kläger Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines zerebralen Aneurysmas sowie einer zerebralen arteriovenösen Fistel bis 17. Januar 2020. Am 15. Januar 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, er wolle sich ab dem nächsten Monat mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 43. Tag einer Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung versichern. Er sei seit dem 17. Januar 2020 arbeitsunfähig. Mit Bescheid vom 11. Februar 2020 lehnte die Beklagte die Umstellung der Versicherung in eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab. Auf dessen erneute Wahlerklärung vom 12. Februar 2020, mit der er angab, arbeitsfähig zu sein, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 2020 die freiwillige Krankenversicherung mit Anspruch auf Krankengeld fest. Unter Zugrundelegung der Beitragsbemessungsgrenze von 4.687,50 € monatlich (156,25 € täglich) setzte sie die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für Februar 2020 auf 843,75 € und ab März 2020 auf monatlich 871,88 € fest. Am 18. März 2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Ermäßigung seiner Mitgliedsbeiträge. Zur Begründung gab er an, er habe inzwischen eine langfristigere Prognose für das Jahr 2020. Große Teile seiner Branche seien zum völligen Stillstand gekommen; außer den Einkünften im Januar (aus der Arbeit in 2019) könne er für 2020 kein Einkommen absehen. Er bitte deshalb um Reduzierung seiner Beiträge gemäß beigefügtem Antrag. Auf dem Antragsformular bezifferte er die voraussichtlichen durchschnittlichen monatlichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in den kommenden zwölf Monaten mit 1.500,00 €. Er legte außerdem ein Schreiben seiner Steuerberaterin H1 vom 24. März 2020 vor, wonach der Einkommensteuerbescheid für 2018 noch nicht vorliege, aufgrund der eingereichten Steuererklärung 2018 aber mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 163.431,00 € zu rechnen sei. Der Kläger wies ergänzend hierzu darauf hin, dass sein Einkommen im Jahr 2020 aufgrund der Coronakrise in keinem Zusammenhang mit dem Einkommen aus dem Jahr 2018 stehe. Mit Bescheid vom 25. März 2020 reduzierte die Beklagte die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung rückwirkend ab dem 1. März 2020 auf vorläufig monatlich 197,47 € (155,00 € Kranken- und 7,43 € Pflegeversicherung). Der Beitragsberechnung legte sie die Mindestbeitragsbemessungsgrenze von 1.061,67 € und ein zu berücksichtigendes Einkommen von „0,00 €“ zugrunde.

Am 22. April 2020 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des B1 vom 10. März 2020 Krankengeld. B1 schrieb den Kläger ab dem 10. März 2020 zunächst bis zum 30. März 2020 wegen der Diagnose F48.0 (Neurasthenie) arbeitsunfähig. In der Folge bescheinigte B1 wegen dieser Diagnose Arbeitsunfähigkeit bis 22. Dezember 2020 (am 27. März 2020 voraussichtlich bis 27. April 2020, am 27. April 2020 voraussichtlich bis 27. Mai 2020, am 25. Mai 2020 voraussichtlich bis 24. Juni 2020, am 24. Juni 2020 voraussichtlich bis 6. Juli 2020, am 6. Juli 2020 bis voraussichtlich 5. August 2020, am 5. August 2020 bis voraussichtlich 4. September 2020, am 4. September 2020 bis voraussichtlich 2. Oktober 2020, am 28. September 2020 bis voraussichtlich 26. Oktober 2020, am 26. Oktober 2020 bis voraussichtlich 22. November 2020, am 23. November 2020 bis voraussichtlich 22. Dezember 2020). Am 30. Juni 2020 wurde der Kläger durch das Universitätsklinikum F1 stationär wegen der angeborenen arteriovenösen Fistel der zerebralen Gefäße aufgenommen. Auf Anforderung der Beklagten gab B1 im Bericht für die Krankenkasse bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom 4. Mai 2020 an, der Kläger sei wegen der Diagnosen F48.0, I67.11 (Zerebrale arteriovenöse Fistel, erworben) und H93.1 (Ohrgeräusche, Tinnitus) arbeitsunfähig; der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit sei nicht absehbar.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2020 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld für die seit 10. März 2020 bestehende Arbeitsunfähigkeit mit der Begründung ab, Krankengeld als Entgeltersatzleistung könne nicht gewährt werden, da dem Kläger während der Arbeitsunfähigkeit kein Einkommen entfalle. Als letzten Einkommensnachweis habe der Kläger ab dem 1. März 2020 einen Gewinneinbruch gemeldet und es seien Negativeinkünfte aus der selbständigen Tätigkeit bescheinigt worden. Bei keinen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit werde die Umstellung des Versicherungsverhältnisses auf eine Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld empfohlen.

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, bei freiwillig versicherten selbständig Erwerbstätigen sei im Regelfall auf das Einkommen aus dem letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossenen Kalenderjahr abzustellen, da das für die Ermittlung des Regelentgeltes maßgebliche Arbeitseinkommen nach dem Einkommensteuerrecht ermittelt werde. Eine Änderung der Verhältnisse nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei ohne Bedeutung für die Berechnung des Krankengeldes. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen sei im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zugrunde zu legen, das dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien. Ein Abweichen von dieser Vermutung komme nicht in Betracht, da die Einnahmen des Klägers seit dem 1. März 2020 und damit bereits vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unterhalb der Mindestbeitragsbemessungsgrenze gelegen hätten. Das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit sei nicht aufgrund der Arbeitsunfähigkeit entfallen; der Kläger habe vielmehr bereits zuvor keine Einnahmen mehr erzielt.

Am 17. November 2020 erhob der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Ergänzend zu seinem Vortrag im Widerspruchsverfahren trug er vor, nicht durchgehend seit dem 7. Januar 2020 arbeitsunfähig gewesen zu sein. Eine Mitarbeiterin der Beklagten habe das Antragsformular seiner ersten Wahlerklärung vom 15. Januar 2020 von ihm unbemerkt falsch ausgefüllt, tatsächlich sei er bis zum 17. Januar 2020 arbeitsunfähig gewesen. Er legte eine E-Mail seiner Steuerberaterin H2 vom 21. Juli 2021 vor, in der diese bestätigte, dass der Kläger im März 2020 laut betriebswirtschaftlicher Auswertung aus der Buchhaltung Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit von -4.148,13 € (Verlust) erzielt habe. Aus dem im Klageverfahren vorgelegten Einkommenssteuerbescheid vom 10. Februar 2021 für das Jahr 2019 (Bl. 38 der SG-Akte) ergaben sich Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 104.931,00 €. Der Kläger legte außerdem eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des B1 bis 22. Dezember 2020 vor und machte zuletzt einen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum 21. April bis 22. Dezember 2020 geltend.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und trug vor, es sei bereits fraglich, ob der Kläger nicht seit dem 7. Januar 2020 durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei mit der Folge, dass die Versicherung mit Krankengeldanspruch unrechtmäßig zustande gekommen und rückwirkend zu annullieren sei. Das im Jahr 2019 erzielte Einkommen sei unerheblich, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei.

Mit Urteil vom 29. September 2022 verurteilte das SG die Beklagte, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2020 Krankengeld in gesetzlicher Höhe in der Zeit vom 21. April 2020 bis zum 22. Dezember 2020 zu gewähren. Der Beklagten wurde die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach auferlegt. Die Krankenversicherung des Klägers mit Anspruch auf Krankengeld sei wirksam zustande gekommen. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Wahlerklärung am 12. Februar 2020 arbeitsfähig gewesen. Dem Krankengeldanspruch des Klägers gegen die Beklagte stehe auch nicht entgegen, dass er in seiner hauptberuflich selbständigen Tätigkeit ab dem Jahr 2020 erhebliche Gewinneinbußen bis hin zu Negativeinkünften im Februar und März 2020 gehabt habe. Der Kläger habe seine hauptberufliche selbständige Tätigkeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht aufgegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe auch die Erzielung von Negativeinkünften durch den Kläger im Februar und März 2020 seinem Krankengeldanspruch nicht entgegen. Für die Berechnung des Krankengeldes sei bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im Sinne einer widerlegbaren Vermutung ein Regelentgelt zu Grunde zu legen, das dem Betrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit freiwillige Beiträge entrichtet worden seien. Es lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die zunächst nach der Beitragsbemessungsgrenze erhobenen Beiträge der wirtschaftlichen Situation des Klägers zum Zeitpunkt des Eintritts seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr entsprochen hätten. Auch die nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage erhobenen Beiträge hätten die die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers nicht genau zu erfassen vermocht. Für die Ermittlung des tatsächlichen Arbeitseinkommens zur Bestimmung des Regelentgelts sei auf das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr abzustellen (unter Verweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 8/08 R – und Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Oktober 2009 – L 4 KR 4766/08 –). Für die Bestimmung, ob und in welcher Höhe der Kläger vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit über Arbeitseinkommen verfügt habe, seien seine Einnahmen in dem letzten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossenen Kalenderjahr maßgeblich. Auf sein Arbeitseinkommen im Jahr 2020 komme es dagegen nicht an, sodass offenbleiben könne, ob er aufgrund der Corona Pandemie oder aufgrund von Arbeitsunfähigkeit einen Gewinneinbruch erlitten habe. Im Jahr 2019 habe der Kläger nach dem im Laufe des Klageverfahrens erstellten Einkommenssteuerbescheid einen Gewinn vor Steuern in Höhe von etwa 105.000 € aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt. Zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit ab dem 10. März 2020 habe es allerdings noch an einer Feststellung des Gewinns für das dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangene Kalenderjahr 2019 gefehlt. In diesem Fall sei das Arbeitseinkommen dieses Veranlagungszeitraumes auf Grund der steuerrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Amts wegen zu ermitteln (Verweis auf BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R –); insoweit könne auch auf den Einkommenssteuerbescheid des vorvergangenen Jahres zurückgegriffen werden (Verweis auf Thüringer LSG, Urteil vom 26. Februar 2013 – L 6 KR 202/10 –). Im Kalenderjahr 2018 habe der Kläger aus seiner selbständigen Tätigkeit einen Gewinn vor Steuern in Höhe von etwa 163.400 € erzielt. Damit sei für die Berechnung der Höhe seines Krankengeldanspruchs sowohl bei der Heranziehung seiner Einnahmen aus dem Jahr 2018 als auch aus dem Jahr 2019 die Beitragsbemessungsgrenze als Regelentgelt anzusetzen. Die Beklagte könne auch nicht mit dem Einwand durchdringen, es könne lediglich das vom Kläger erzielte Einkommen ab dem 1. März 2020 für die Berechnung seines Krankengeldanspruchs herangezogen werden, da er erst ab diesem Zeitpunkt mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Dieses Vorgehen widerspräche zum einen den gesetzlichen Vorgaben in §§ 47 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 SGB V i.V.m. 15 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Zum anderen wäre es auch nicht praktikabel, da das tatsächlich erzielte Einkommen eines selbständig Tätigen oft erst Jahre später feststellbar sei. Dem Kläger stehe damit gegen die Beklagte ein Anspruch auf Krankengeld vom 21. April bis 22. Dezember 2020 ausgehend von der Beitragsbemessungsgrenze zur Berechnung des Regelentgelts zu.

Gegen das ihr am 20. Oktober 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. November 2022 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 21. April bis zum 22. Dezember 2020 zu gewähren. Dies mit der Maßgabe, bei der Berechnung des Krankengeldes die Beitragsbemessungsgrenze als Regelentgelt anzusetzen. Das Urteil sei bereits nicht hinreichend bestimmt. Entgegen der Auffassung des SG könne es nicht dahinstehen, ob die Einnahmen des Klägers aus dem Jahr 2018 oder 2019 heranzuziehen seien, da das Einkommen in beiden Jahren oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze gelegen habe. Die Beitragsbemessungsgrenze werde jährlich angepasst; ausgehend von der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2018 (4.425,00 €) errechnete sich ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 103,24 € brutto, ausgehend von der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2019 (4.537,50 €) von 105,88 € brutto. Es sei unstreitig, dass der Kläger seine selbständige Tätigkeit nicht vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit aufgegeben habe. Durch die Wahlerklärung für das gesetzliche Krankengeld werde aber lediglich der durch Arbeitsunfähigkeit bedingte Einkommensverlust abgesichert. Vorliegend sei die gesetzliche Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V widerlegt. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass das Arbeitseinkommen des Klägers bereits vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entfallen sei und ihm deshalb nur ein entsprechend reduzierter Anspruch auf Krankengeld zustehe. Hierfür spreche neben dem Umstand, dass für den Kläger wegen des Gewinneinbruchs auf der Grundlage des Bescheides vom 25. März 2020 rückwirkend für die Zeit ab dem 1. März 2020 nur noch Beiträge aus der Mindestbeitragsbemessungsgrenze erhoben und hierbei von einem Wegfall des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ausgegangen worden sei, und das im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Schreiben der Steuerberaterin vom 21. Juli 2021, in welchem diese für den Kläger für den Monat März 2020 Negativeinkünfte in Höhe von -4.148,13 € angegeben habe. Würde zur Berechnung des Krankengeldes das Arbeitseinkommen im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit herangezogen, so führte dies dazu, dass im Falle des Klägers die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes nicht mehr gewahrt wäre und der widerlegbaren Vermutung damit im Ergebnis keine Bedeutung zukäme. Die durch das SG herangezogenen Entscheidungen des BSG zur Krankengeldberechnung bei Selbständigen seien noch vor Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen im Beitragsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2018 ergangen. Die Neuregelung des § 240 Abs. 4a SGB V führe dazu, dass die Beiträge auf der Grundlage des zuletzt vorliegenden Einkommenssteuerbescheides für die Zukunft zunächst vorläufig festgesetzt würden und die endgültige Festsetzung der Beiträge erst nach Eingang des für das jeweilige Kalenderjahr maßgeblichen Steuerbescheides erfolge. Vor der gesetzlichen Neuregelung seien die Beiträge stets nur zukunftsbezogen, d.h. frühestens ab dem auf die Ausstellung des Einkommenssteuerbescheides folgenden Monat, angepasst worden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/11205, Seite 72) werde ebenfalls darauf hingewiesen, dass bei der Krankengeldberechnung als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage abgestellt werde. Vorliegend sei der Kläger aber für die Zeit ab dem 1. März 2020, also noch vor Attestierung der Arbeitsunfähigkeit, nur noch aus der Mindestbeitragsbemessungsgrenze verbeitragt worden, wobei von einem vollständigen Wegfall des Arbeitseinkommens ausgegangen worden sei, welcher nicht kausal durch die Arbeitsunfähigkeit bedingt gewesen sei. Dagegen habe sich der Kläger nicht gewandt. Das Krankengeld bei dieser Sachlage aus der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2018 oder 2019 zu berechnen, widerspräche der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes. Von den in den Kalenderjahren 2018 und 2019 erzielten über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Einkünften habe der Kläger außerdem nur Beiträge unter Berücksichtigung des ermäßigten Beitragssatzes gezahlt, da zu dieser Zeit noch keine Wahlerklärung abgegeben worden sei. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellten Grundsätze zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Krankengeldbestimmung (Äquivalenz zwischen Beitragszahlung und Leistungsanspruch) erscheine es daher nicht sachgerecht, wenn das zu gewährende Krankengeld auf Grundlage eines Arbeitseinkommens zu bestimmen sein sollte, aus welchem keine Beiträge für die beanspruchte Leistung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung entrichtet worden seien. Für die Bestimmung eines Krankengeldanspruchs sei daher frühestens auf das Arbeitskommen abzustellen, welches in dem Monat des Beginns der Versicherung mit Krankengeldanspruch erwirtschaftet worden sei. Unter Berücksichtigung der vom Kläger selbst getätigten Aussagen sei das Krankengeld auf 0,00 € kalendertäglich festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. September 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der gesetzlichen Regelung zur Berechnung des Krankengeldes seien nicht erwartete, erhoffte oder prognostizierte Einkünfte, sondern in der Vergangenheit tatsächlich erzielte Einkünfte maßgeblich und zwar gleich, ob dies zum Vorteil oder zum Nachteil gereiche. Die Einlassung der Beklagten, er, der Kläger, habe selbst Gewinneinbrüche befürchtet und daher beantragt, seine Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung herabzusetzen, sei daher ohne Relevanz. Prognosen zum Gewinn seien zu unzuverlässig, um hieran sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen oder Beitragspflichten zu knüpfen. Die auf Antrag vorläufige Verbeitragung anhand der Mindestbeitragsbemessungsgrenze ab dem 1. März 2020 ändere hieran nichts. Einkommensschwankungen seien für eine selbständige Tätigkeit typisch, weshalb bei freiwillig Versicherten auch auf das Jahreseinkommen abgestellt werde. Die Neufassung des § 240 Abs. 4a SGB V könne nicht zu dem von der Beklagten gewünschten Ergebnis führen. Andernfalls wäre auch Krankengeld lediglich vorläufig zu bewilligen und zu einem späteren Zeitpunkt würde der Streit darüber entbrennen, ob die im Einkommensteuerbescheid des Folgejahres dokumentierten Einkommenseinbußen krankheitsbedingt oder konjunkturbedingt gewesen seien. Auch das Argument der Äquivalenz von Beitragszahlung und Leistungsansprüchen verfange nicht. Denn in § 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sei keine Vorversicherungszeit normiert. Auch für abhängig Beschäftigte gelte - abgesehen von der Einschränkung in § 44 Abs. 2 Nr. 3 SGB V - kein Erfordernis, dass der Gegenwert der Krankengeldleistung durch vorangegangene Beiträge „erwirtschaftet worden sein“ müsste. Die Beklagte hat den Bescheid vom 23. September 2022 über die endgültige Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1.
 März 2020 bis zum 31. Dezember 2020 (Bl. 85 der Senatsakte) sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 vom 28. Juli 2022 (Bl. 90 der Senatsakte) vorgelegt.

Die Berichterstatterin hat am 2. August 2023 einen Erörterungstermin durchgeführt; insoweit wird auf das Protokoll (Bl. 47 der Senatsakte) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die streitgegenständliche Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum vom 21. April bis 22. Dezember 2020 den Betrag von 750,00 € übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den vom Kläger verfolgten Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für die ab 10. März 2020 bestehende Arbeitsunfähigkeit abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die auf Aufhebung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG). Der Kläger hat den Zeitraum, für den er Krankengeld begehrt, bereits im Klageverfahren wirksam auf den Zeitraum bis zum 22. Dezember 2020 beschränkt (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) und damit seine Klage hinsichtlich des darüber hinausgehenden Zeitraums zurückgenommen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGG; Guttenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand Juni 2022, § 99 SGG Rn. 33 m.w.N.), was bis zur – hier noch nicht eingetretenen – Rechtskraft möglich ist. Im Umfang der Klagerücknahme ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG). Streitig ist im Berufungsverfahren noch die Gewährung von Krankengeld im Zeitraum vom 21. April bis 22. Dezember 2020.

3. Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Beklagte hat zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2020 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 21. April 2020 bis zum 22. Dezember 2020 Krankengeld „in gesetzlicher Höhe“ zu gewähren. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld.

a) Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum vom 10. März bis 22. Dezember 2020 dem Grunde nach ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit (hier: 21. April 2020) Anspruch auf Krankengeld hatte.


Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld sind § 44 Abs. 1 SGB V (in der Normfassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 <BGBl. I S. 378, 438>) und § 46 Satz 1 SGB V (in der Normfassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes [GKV-VSG] vom 16. Juli 2015 <BGBl. I S. 1211, 1214>). Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – juris, Rn. 14 m.w.N.). Nach § 46 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Nach § 46 Satz 2 SGB V (in der Normfassung des GKV-VSG vom 16. Juli 2015) bleibt der Anspruch auf Krankengeld jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, wobei Samstage insoweit nicht als Werktage gelten. Nach § 46 Satz 3 SGB V (in der Normfassung des GKV-VSG vom 16. Juli 2015) entsteht für Versicherte, die eine Wahlerklärung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegeben haben, der Anspruch von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 <BGBl. I S. 1990, 2014>) haben hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige keinen Anspruch auf Krankengeld, es sei denn, das Mitglied erklärt gegenüber der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft einen Anspruch auf Krankengeld umfassen soll (Wahlerklärung). Für hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige, die eine Wahlerklärung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 abgegeben haben, beginnt der Krankengeldanspruch gemäß § 46 Satz 3 SGB V (i.V.m. § 17m Abs. 13 Satz 4 der Satzung der Beklagten, wonach die Regelung des § 46 SGB V entsprechend gilt) ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit und damit im selben Zeitpunkt wie bei gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmern.

aa) Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum (und bis zum 31. Dezember 2020) bei der Beklagten als hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger freiwillig krankenversichert. Aufgrund der von ihm am 12. Februar 2020 abgegebenen Wahlerklärung hatte er grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an.

Der Kläger zählt zu dem Personenkreis, der gemäß §§ 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 53 Abs. 6 Satz 1 SGB V berechtigt war, die bereits bestehende Mitgliedschaft um einen Anspruch auf Krankengeld zu erweitern. Die Wahlerklärung ist eine empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die hinsichtlich ihrer Gültigkeit den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über Willenserklärungen (§§ 104 ff. BGB) unterliegt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Mai 2005 – L 1 KR 54/04 – juris, Rn. 25). Sie wird grundsätzlich mit ihrem Zugang bei der Krankenkasse ohne ein Ablehnungsrecht derselben wirksam und wirkt daher konstitutiv für das ab diesem Zeitpunkt um einen Anspruch auf Krankengeld erweiterte Versicherungsverhältnis. Geht der Krankenkasse die Wahlerklärung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V allerdings zum Zeitpunkt einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu, wirkt die Wahlerklärung erst zu dem Tag, der auf das Ende dieser Arbeitsunfähigkeit folgt. Dies hat der Gesetzgeber durch Einführung des § 44 Abs. 2 Satz 4 SGB V mit dem Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG) vom 6. Mai 2019 (BGBl. I 646) mit Wirkung zum 11. Mai 2019 klargestellt, entsprach aber der von den Krankenkassen schon zuvor geltenden Praxis. So wurde im Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes und der Verbände der Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene vom 25. August 2009 zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 Folgendes vereinbart: „Ist das Mitglied zum Zeitpunkt der Abgabe der Wahlerklärung arbeitsunfähig oder tritt die Arbeitsunfähigkeit zwischen dem Tag der Abgabe und des Wirksamwerdens der Wahlerklärung ein, wirkt die Wahlerklärung erst zu dem Tag, der auf das Ende dieser Arbeitsunfähigkeit folgt, frühestens jedoch zum Beginn des auf den Eingang der Wahlerklärung folgenden Monats. Tritt am Tag des Wirksamwerdens der Wahlerklärung Arbeitsunfähigkeit ein, besteht ein Anspruch auf Krankengeld.“ Mit der gesetzlichen Regelung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass eine Wahlerklärung nach § 44 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB V nicht wirksam für einen Zeitraum abgegeben werden kann, in dem bereits eine Arbeitsunfähigkeit besteht und damit die Möglichkeit einer missbräuchlichen Gestaltung des Krankengeldanspruchs je nach voraussichtlicher Leistungsinanspruchnahme ausschließen. Die vielfach von Krankenkassen in der Praxis entsprechend angewandte Verfahrensweise sollte nach der Gesetzesbegründung auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden. Durch diese Regelung wird eine ungerechtfertigte finanzielle Benachteiligung der Beiträge zahlenden Solidargemeinschaft ausgeschlossen. Bei wirksamer Abgabe der Wahlerklärung sind die beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten anstatt mit dem ermäßigten Beitragssatz nach § 243 SGB V mit dem allgemeinen Beitragssatz nach § 241 SGB V zu verbeitragen, so dass diese Versicherten für die Absicherung des Krankengeldanspruchs entsprechend höhere Beiträge entrichten. Wäre eine wirksame Abgabe einer Wahlerklärung im Fall einer bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit möglich, würde das der gesetzlichen Krankenversicherung zugrundeliegende Solidaritätsprinzip unterlaufen, da sich Versicherte dann regelmäßig erst mit oder nach Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit für die Abgabe der Wahlerklärung entscheiden würden, um vorherige höhere Beitragsbelastungen zu vermeiden. Das Krankengeld wäre dann nahezu ausschließlich von der Solidargemeinschaft und gerade nicht auch von den das Krankengeld in Anspruch nehmenden Versicherten finanziert. Das hätte zu einer ungerechtfertigten finanziellen Benachteiligung der Beiträge zahlenden Solidargemeinschaft geführt, die der Gesetzgeber ausschließen wollte (Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/6337, Seite 91). Der Regelung des § 44 Abs. 2 Satz 4 SGB V in der ab dem 11. Mai 2019 geltenden Fassung kommt daher allein klarstellende Bedeutung zu (so auch Rieke, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 119. EL Februar 2023, § 44 SGB V Rn. 7; Tischler, in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, 69. Ed., 1. Juni 2023, SGB V, § 44 Rn. 9a). Die Regelung entspricht dem (bereits zuvor geltenden) allgemeinen Grundsatz, dass Versicherungen grundsätzlich nicht mehr bei Eintritt des Versicherungsfalles abgeschlossen werden können (Sonnhoff/Pfeiffer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, Stand Juli 2022, § 44 SGB V Rn. 55).

Zum Zeitpunkt der Wahlerklärung am 12. Februar 2020 war der Kläger nicht arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeit wurde durch K1 am 7. Januar 2020 bis zum 17. Januar 2020 wegen eines zerebralen Aneurysmas und einer zerebralen arteriovenösen Fistel bescheinigt. Erst ab dem 10. März 2020 bescheinigte B1 aufgrund einer Neurasthenie erneut Arbeitsunfähigkeit. Eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 7. Januar 2020 ist nach den vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht festgestellt worden. Zwar erforscht das Gericht den Sachverhalt gemäß § 103 Satz 1 SGG von Amts wegen und ist in seiner Prüfung nicht auf die Erkrankungen beschränkt, deren Diagnosen in die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgenommen worden sind. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme und damit eines Beweismittels zu (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2012  B 1 KR 20/11 R  juris, Rn. 14; Urteil vom 8. November 2005  B 1 KR 18/04 R  juris, Rn. 20), das der Verwertung anderer Beweismittel nicht entgegensteht (u.a. Senatsurteil vom 23. April 2021 L 4 KR 2847/18  n.v.). Allein aus dem Umstand, dass sich der Kläger durchgehend von Januar bis März 2020 wegen des im Januar 2020 diagnostizierten zerebralen Aneurysmas und der zerebralen arteriovenösen Fistel in Behandlung der Hochschulambulanz F1 befunden hat, lässt aber keinen Rückschluss auf eine durchgehend bestehende Arbeitsunfähigkeit zu. Anhaltspunkte dafür, dass die Diagnose für sich genommen zwingend zu einer Arbeitsunfähigkeit führen würde, liegen nicht vor. Auch die Beklagte sah sich zu einer Überprüfung der Arbeitsfähigkeit des Klägers durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MD) anlässlich der vom Kläger am 12. Februar 2020 abgegebenen Wahlerklärung nicht veranlasst. Sie hat, ohne eine Prüfung durch den MD zu veranlassen, die Wahlerklärung des Klägers vom 12. Februar 2020 akzeptiert und mit Bescheid vom 5. März 2020 die freiwillige Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld festgestellt und entsprechende Beiträge festgesetzt.

bb) Für den Senat steht des Weiteren fest, dass der Kläger ab dem 10. März 2020 und anschließend im gesamten streitbefangenen Zeitraum bis 22. Dezember 2020 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Dies entnimmt der Senat den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des B1 und seinem Bericht für die Krankenkasse bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom 4. Mai 2020, in dem er angab, der Kläger sei wegen der Diagnosen Neurasthenie, zerebrale arteriovenöse Fistel, erworben, und Ohrgeräusche, Tinnitus, arbeitsunfähig; der Zeitpunkt des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit sei nicht absehbar. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig.

b) Die Beklagte hat jedoch mangels ausgefallenen Arbeitseinkommens zu Recht im streitbefangenen Zeitraum kein Krankengeld gezahlt.

aa) Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V wird dieses Regelentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet und gemäß Satz 6 für Kalendertage gezahlt. Für Versicherte, die – wie der Kläger – nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war.

Vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 10. März 2020 erfolgte die Beitragsbemessung beim Kläger nicht nach dem tatsächlichen Arbeitseinkommen, sondern nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V (in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. Januar 2018). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. März 2020 wurden die Beiträge, die mit Bescheid vom 5. März 2020 ab dem 1. März 2020 nach der Beitragsbemessungsgrenze unter Berücksichtigung des Anspruchs auf Krankengeld neu festgesetzt worden waren, auf Antrag des Klägers vom 18. März 2020 rückwirkend ab 1. März 2020 ermäßigt. Die Festsetzung erfolgte ab dem 1. März 2020 nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage.

bb) Von dem Grundsatz der Bestimmung des Regelentgelts nach der letzten Beitragsfestsetzung ist vorliegend unter Berücksichtigung des Zwecks des Krankengelds abzuweichen.

Die Regelung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V muss im systematischen Zusammenhang mit der Grundnorm des § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V gesehen werden, die auf das „erzielte“ und durch die Krankheit entfallende Arbeitseinkommen abstellt. Hierin und in weiteren Normen (vgl. z.B. § 44 Abs. 2 und § 47 Abs. 3 SGB V) bringt der Gesetzgeber die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes zum Ausdruck. Dies gilt auch für Versicherte, die – wie der Kläger – keine Arbeitnehmer sind (BSG, Urteile vom 6. November 2008 – B 1 KR 8/08 R – juris, Rn. 12 und vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R – juris, Rn. 13 ff. sowie Beschlüsse vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. 12, vom 10. Mai 2010 – B 1 KR 144/09 B – juris, Rn. 8 und vom 24. Juli 2009 – B 1 KR 85/08 B – juris, Rn. 12). Um die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes zu wahren, muss andererseits eine rasche Bewilligung möglich sein, da der Versicherte typischerweise zur Sicherung des Lebensunterhalts auf diese Leistung angewiesen ist. Diesen Gesichtspunkten wird durch § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V Rechnung getragen, der mit der letzten Beitragsbemessungsgrundlage an einfach festzustellende Tatsachen anknüpft (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 11/06 R – juris, Rn. 12). Weil die Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes nicht in jedem Fall der Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V gewahrt wird, ist bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbständigen das Krankengeld nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Hiervon kann ausnahmsweise dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war (BSG, Urteile vom 14. Dezember 2006 und 6. November 2008, jeweils a.a.O.; Senatsurteil vom 30. Oktober 2009 – L 4 KR 4766/08 – juris, Rn. 25). Ob die Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V auch zugunsten des Versicherten widerlegbar ist, mithin der Nachweis höherer Einnahmen grundsätzlich möglich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden (str.; ablehnend BSG, Beschluss vom 28. Juli 2008 – B 1 KR 44/08 B – juris, Rn. 8; befürwortend, allerdings ohne sich mit der Rechtsprechung des BSG auseinanderzusetzen, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 – juris, Rn. 26). Eine Krankengeldbemessung anhand des fiktiv der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Mindestbeitragsbemessungsentgelt scheidet jedoch generell aus (st. Rspr., BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. 12 m.w.N.). Gerade bei der Zahlung von Mindestbeiträgen – wie vorliegend bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit – besteht mithin Anlass, vom tatsächlichen Arbeitseinkommen und nicht von dem der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Mindestbeitragsbemessungsentgelt auszugehen (BSG, Urteil vom 6. November 2008, a.a.O., Rn. 14).

cc) Liegen – wie hier aufgrund der Beitragsfestsetzung nach dem Mindestbeitragsbemessungsentgelt – konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betrag, der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der Beitragsbemessung zu Grunde lag, hinsichtlich des Arbeitseinkommens erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war, ist eine möglichst zeitnahe Ermittlung des maßgeblichen Arbeitseinkommens anzustreben. Für die Ermittlung des Regelentgelts ist regelmäßig auf das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr abzustellen. Denn das für die Ermittlung des Regelentgelts maßgebliche Arbeitseinkommen wird in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV definiert als „der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit“. Angeknüpft wird demnach an das Einkommensteuerrecht, nach dem das Kalenderjahr der maßgebliche Veranlagungszeitraum ist (vgl. § 25 Abs. 1 EStG). Dies hat zur Folge, dass der nach diesen Vorschriften ermittelte Gewinn aus selbständiger Tätigkeit vor Schluss eines Kalenderjahres nicht feststeht. Fehlt es bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit an einer Feststellung des Gewinns für das dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangene Kalenderjahr, weil das zuständige Finanzamt den Steuerbescheid hierfür noch nicht erlassen hat, ist das Arbeitseinkommen dieses Veranlagungszeitraumes aufgrund der steuerrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen (vgl. z.B. § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) von der zuständigen Krankenkasse von Amts wegen zu ermitteln (BSG, Urteile vom 14. Dezember 2006, a.a.O., Rn. 14, 15, und vom 6. November 2008, a.a.O., Rn. 17, sowie Beschluss vom 24. Juli 2009, a.a.O., Rn. 12).

dd) Entgegen dieser Vorgehensweise im Regelfall ist im vorliegenden Fall für die Ermittlung des Regelentgelts nicht auf das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr abzustellen, sondern auf die tatsächlichen (Einkommens-)Verhältnisse ab Abschluss des neuen - einen Krankengeldanspruch erstmals miteinschließenden - Versicherungsschutz ab dem 1. März 2020. Das danach maßgebliche Regelentgelt, das der Berechnung der Höhe des Krankengeldanspruchs zugrunde zu legen ist, ist danach - wie von der Beklagten unter Beachtung der eigenen Angaben des Klägers angenommen - mit Null anzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 4/12 R – juris, Rn. 12).

Wie bereits festgestellt, entrichtete der Kläger ab dem 1. März 2020 nur Beiträge nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Erst ab diesem Zeitpunkt war er auch mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert. Einen „Vorzeitraum“ mit Krankengeldanspruch gab es mithin nicht. Bei der Ermittlung des Regelentgelts sind damit die tatsächlichen Einkommensverhältnisse ab Beginn des konkreten Versicherungsverhältnisses, hier aufgrund der Wahlerklärung vom 12.
 Februar 2020 ab dem 1. März 2020, maßgeblich. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger aber nach seinen eigenen Angaben keine Einnahmen mehr.

Der Kläger hatte zwar bis Februar 2020 Beiträge nach der Beitragsbemessungsgrenze entrichtet, unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und nach der Wahlerklärung lagen die hohen Einnahmen der Vorjahre der Beitragsberechnung aber aufgrund der auf Antrag des Klägers erfolgten rückwirkenden Herabsetzung der Beiträge durch Bescheid vom 25. März 2020 zum 1. März 2020 nicht zugrunde.
Eine (fiktive) Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze als Regelentgelt kommt damit nicht in Betracht, entsprechende Beiträge lagen nicht nur nicht der Beitragsbemessung im Sinne des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zugrunde, sondern zu keinem Zeitpunkt der Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld.

Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass in
§ 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V keine Vorversicherungszeit normiert ist und auch für abhängig Beschäftigte - abgesehen von der Einschränkung in § 44 Abs. 2 Nr. 3 SGB V - kein Erfordernis besteht, dass der Gegenwert der Krankengeldleistung durch vorangegangene Beiträge „erwirtschaftet worden sein“ muss. Gleichwohl kann Krankengeld, wie bereits dargelegt, grundsätzlich nur als Ersatz für diejenigen Einkünfte beansprucht werden, die der Versicherte vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat und die wegen der Erkrankung entfallen (st. Rspr., u.a. BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. .26). Dementsprechend ist Krankengeld nur zu gewähren, wenn vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor Beginn der stationären Behandlung Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen tatsächlich erzielt wurde und diese Einkünfte wegen der Erkrankung entfallen. Daran kann es insbesondere fehlen, wenn bereits vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit die selbstständige Tätigkeit aufgegeben wurde (BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 4/12 R –, juris, Rn. 26, Senatsurteil vom 30. Oktober 2009 – L 4 KR 4766/08 – juris, Rn. 23). Der Kläger hat seine hauptberufliche selbstständige Tätigkeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht aufgegeben, vielmehr auch im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Herabsetzung der Beiträge vom 18. März 2020 lediglich vorgetragen, dass eine Prognose hinsichtlich der Einkünfte aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich sei.

Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keine durch Krankengeld zu ersetzenden Einkünfte erzielt hat. Der Kläger gab in seinem Antrag vom 18. März 2020 selbst an, über die bereits im Jahr 2019 erwirtschafteten und ihm im Januar 2020 zugeflossenen Einnahmen hinaus im Februar und März 2020 keinerlei Einnahmen erzielt zu haben; seine Branche sei „vollkommen zum Erliegen“ gekommen. Dies wird bestätigt durch die Angaben der Steuerberaterin vom 21. Juli 2021, wonach der Kläger im März 2020 laut betriebswirtschaftlicher Auswertung aus selbständiger Tätigkeit einen Verlust von 4.148,13 € erzielt hat. Der Senat verkennt nicht, dass bei selbstständig Erwerbstätigen aufgrund von Einkommensschwankungen im laufenden Jahr auf einen längeren Zeitraum, in der Regel ein Kalenderjahr abzustellen ist. Im Fall des Klägers ist aber zu berücksichtigen, dass er zum einen im Kalenderjahr zuvor gerade nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert war, und er zum anderen aufgrund der Besonderheit der Corona-Pandemie auch nicht mit der üblichen Einkommensentwicklung gerechnet hatte. Der Kläger gab gegenüber der Beklagten selbst an, keinerlei Angaben zur weiteren Entwicklung der Einkünfte machen zu können. Die Einkünfte aus dem Jahr 2019 spiegelten daher nicht die dem Kläger aufgrund der Erkrankung entfallenden Einkünfte unmittelbar vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wider.

Bei der Ermittlung des Einkommens, das wegen der Arbeitsunfähigkeit ersetzt werden soll, kann nicht auf den Einkommensteuerbescheid vom 10. Februar 2021 für das Jahr 2019 abgestellt werden, da er zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit im März 2020 noch nicht vorlag. Es kann auch nicht der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016, der zuletzt mit Bescheid vom 5. März 2020 der Beitragsbemessung bis Februar 2020 zugrunde gelegt worden war, herangezogen werden. Zwar kann grundsätzlich auch auf den der Beitragsfestsetzung zugrundeliegenden Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen werden, auch wenn dieser nicht das Kalenderjahr betrifft, das dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit eintritt, unmittelbar vorausgeht (Thüringer LSG, Urteil vom 1. November 2016 – L 6 KR 178/15 – juris, Rn. 20 m.w.N.). Vorliegend lag der – letzten – Beitragsfestsetzung ab dem 1. März 2020 aber gerade nicht mehr der konkrete Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 zugrunde, sondern die fiktive Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Auch die Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit aus dem Jahr 2018 können nicht als Regelentgelt herangezogen werden. Zwar ist dem Schreiben der Steuerberaterin des Klägers vom 24. März 2020 und der von ihr eingereichten Einkommensteuererklärung ein Gesamtbetrag der Einkünfte für das Jahr 2018 in Höhe von 163.431,00 € zu entnehmen. Der Kläger wies im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Ermäßigung der Beiträge vom 18. März 2020 aber selbst darauf hin, dass sein Einkommen im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Krise in keinerlei Zusammenhang mit dem Einkommen im Jahr 2018 stehe.

Der durch den Kläger im Zusammenhang mit dem Antrag auf Herabsetzung der Beiträge angegebene Betrag von 1.500,00 €, auf den er seine voraussichtlichen durchschnittlichen monatlichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in den kommenden zwölf Monate schätzte, kann als Grundlage für die Festsetzung des für die Berechnung des Krankengeldes maßgeblichen Regelentgelts ebenfalls nicht herangezogen werden. Wie bei der erstmaligen vorläufigen Festsetzung der Beiträge nach § 240 Abs. 4a Satz 2 SGB V hat auch die Ermittlung des der Krankengeldberechnung zugrunde zu legenden Regelentgelts grundsätzlich auf Grundlage der nachgewiesenen voraussichtlichen Einnahmen zu erfolgen. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass der Betrag von 1.500,00 € vollkommen gegriffen gewesen sei, auch um die Situation mit Blick auf die begehrte Beitragsermäßigung möglichst dramatisch darzustellen. Nachdem der Kläger selbst das voraussichtliche Einkommen nicht anhand bereits abgeschlossener Verträge oder konkret anstehender Projekte ermittelt, sondern lediglich grob geschätzt hatte, kann der Betrag nicht Grundlage für die Ermittlung des tatsächlich zu ersetzenden Einkommens sein.

Dies gilt auch für das der letzten Beitragsbemessung vor der Arbeitsunfähigkeit zugrunde gelegte Mindestbeitragsbemessungsentgelt, das ebenfalls ein rein gegriffener Betrag ist, der die konkrete Einkommenssituation, wie bereits dargelegt, nicht widerspiegeln kann.

ee) Die gesetzliche Neuregelung über die Beitragsfestsetzung bedingt keine Rückwirkungen auf die Bemessung des Krankengeldes.

Nach dem mit Wirkung vom 1. Januar 2018 neu eingeführten § 240 Abs. 4a SGB V (i.d.F. des Art. 1 Nr. 16b Buchst. b Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung [Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG] vom 4. April 2017, BGBl. I, S. 778) sind Beiträge zunächst vorläufig nach dem letzten Einkommensteuerbescheid festzusetzen und werden später auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt. Eine entsprechende rückwirkende Bemessung des Krankengeldes ist hingegen nicht vorgesehen. § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V, der auf das Arbeitseinkommen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abstellt, ist keiner Änderung unterzogen worden. Dies entspricht ausdrücklich dem gesetzgeberischen Willen (vgl. BT-Drucks. 18/11205, S. 72, zu Nummer 16b): „Im Hinblick auf das im Zusammenhang mit einer nach § 44 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 abgegebenen Wahlerklärung bei Arbeitsunfähigkeit zu berechnende Krankengeld ergeben sich durch die Neuregelungen keine Änderungen. Für die Berechnung des Krankengeldes für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Absatz 4 Satz 2 als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Damit ist das Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich war, unabhängig von Beitragsnachberechnungen nach dem neuen § 240 Absatz 4a Satz 3 endgültig festzustellen. Dabei wird berücksichtigt, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krankengeld angewiesen ist und die Bewilligung zeitnah zum Ausfall des zu ersetzenden Einkommens erfolgen muss. Dem wird Rechnung getragen, wenn als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit auf diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt wird, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden können. Dies trägt der Funktion des Krankengeldes Rechnung, den Entgeltersatz bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsfähigkeit sicherzustellen.“ (so auch Senatsurteil vom 24. Juni 2022 – L 4 KR 1289/21 – n.v., LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 – juris, Rn. 30).

ff) Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG im Vergleich zu pflichtversicherten Beschäftigten mit regelmäßigem Arbeitsentgelt liegt nicht vor. Die Pflichtversicherung erfasst nach ihrer gesetzlichen Typisierung die Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenvorsorge erreicht werden soll. Von der Versicherungspflicht nicht erfasste Personen können kraft eigener Willensentschließung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden oder sich privat gegen das Risiko der Krankheit versichern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dementsprechend in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen eine im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig bewährte Unterscheidung erkannt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris, Rn. 79 ff.). Des Weiteren rechtfertigen die Unterschiede zwischen Arbeitsentgelt und -einkommen als Anknüpfungspunkte für die Ersatzleistung die unterschiedliche Berechnung der Ersatzleistung (BSG Beschlüsse vom 19. Oktober 2017 – B 3 KR 4/17 B – juris, Rn. 8; 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. 12; 10. Mai 2010 – B 1 KR 144/09 B – juris, Rn. 10 sowie Urteil vom 30. März 2004 – B 1 KR 32/02 R – juris, Rn. 23 jeweils m.w.N.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

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