L 1 U 350/22

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Meiningen (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 4 U 1125/20
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 350/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 9 Abs 1 SGB 7, Nr 2102 BKV

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem. BKV Anl. 1 Nr.2102, Voraussetzungen der Anerkennung eines Meniskusschadens, makroskopischer Befund

1. Eine Erkrankung der Menisken im Sinne der BK 2102 ist nur dann anzunehmen, wenn die bestehende Schädigung der Menisken als dem Lebensalter vorauseilend einzuschätzen ist.

2. Der für die Sicherung einer Meniskopathie im Sinne der BK 2102 erforderliche Nachweis einer dem Alter vorauseilenden Texturstörung kann nur makroskopisch geführt werden. Auch sonstige anzustellende Kausalitätserwägungen machen die Auswertung eines makroskopischen Befundes erforderlich. 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 23. März 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 (Meniskopathie) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) hinsichtlich des rechten Kniegelenks.

Der 1960 geborene Kläger arbeitete seit 1976 als Baufacharbeiter (vornehmlich als Fliesen-, Pflaster- und Plattenleger). Seit 2001 unterzog er sich wiederholt ärztlichen Behandlungen wegen Kniebeschwerden. Der behandelnde Arzt zeigte am 4. September 2017 gegenüber der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit Gonarthrose (BK 2112) an. Daraufhin zog die Beklagte diverse ärztliche Befundunterlagen der behandelnden Ärzte bei. Sie erweiterte das Prüfverfahren auf die Voraussetzungen einer BK 2102. Die Beratungsärztin der Beklagten H verneinte in einer Stellungnahme vom 9. Januar 2018 das Vorliegen einer signifikant altersvorauseilenden Gonarthrose. Bereits durch MRT vom 13. Oktober 2015 sei am linken Kniegelenk eine Innenmeniskushinterhorndegeneration festgestellt worden. An diesem Kniegelenk sei 2006 eine Meniskusteilresektion durchgeführt worden und nochmals im Januar 2013 eine Arthroskopie bei Korbhenkelriss medial. Eine Begutachtung zum Vorliegen der Voraussetzungen der BK 2102 werde empfohlen. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. März 2018 die Anerkennung einer BK 2112 ab. Das Prüfverfahren bezüglich der BK 2102 wurde weitergeführt. Am 1. November 2018 führte eine Mitarbeiterin des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten (TAD) ein Gespräch mit dem Kläger. Bezüglich des Gesprächsinhalts wurde ein Protokoll gefertigt und vom Kläger unterschrieben. In einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 7. November 2018 führte der TAD aus, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit zusammenfassend ca. 40 Jahre mit Unterbrechungen einer Meniskusbelastung von 5 bis 65 % Zeitanteil pro Arbeitsschicht teilweise ausgesetzt gewesen sei. Daraufhin beauftragte die Beklagte nach Anhörung des Klägers den Chefarzt der S1 Klinik S2 M mit der Erstellung eines orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens. Das Gutachten vom 29. Mai 2019 wurde sowohl von M als auch dessen leitendem Oberarzt J unterzeichnet. Ausweislich des Gutachtens sind im Bereich des linken Kniegelenks die Voraussetzungen einer Meniskuserkrankung teilweise erfüllt. Eine Meniskusanomalie sowie eine Osteochondrosis dissecans seien zu verneinen, ebenso wie eine primäre Arthropathie oder eine Einklemmung von Synovialfalten. Für das rechte Kniegelenk könne nicht abschließend beurteilt werden, ob eine Meniskuserkrankung vorliege. Dies könne mangels bildgebender Befunde nur aufgrund des klinischen Untersuchungsbefunds gemutmaßt werden. Hier sei die Durchführung einer Kernspintomografie erforderlich. Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine Meniskuserkrankung daher nur für das linke Kniegelenk vollbewiesen und für das rechte hingegen nicht.

Daraufhin erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Juli 2019 eine BK 2102 mit Eintritt des Versicherungsfalls am 2. Mai 2006 an. Als Folge der Berufskrankheit wurden anerkannt:

„Vorderhornlappenriss lateraler Meniskus mit beginnendem Korbhenkelriss, beginnendem Sandwichriss medialer Meniskus Pars intermedia links, Z. n. Arthroskopie vom 7. Januar 2013 mit geringgradigem Streckdefizit links, sowie mediale Gonarthrose Grad I - II und retropatellare Chondromalazie“.

Ausdrücklich nicht als Folge der Berufskrankheit wurden Kniegelenkbeschwerden rechts anerkannt. Ein Anspruch auf Rente wurde abgelehnt, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht im rentenberechtigenden Umfang nachgewiesen sei. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 12. August 2020 wies die Beklagte den eingelegten Widerspruch zurück. Hinsichtlich des rechten Kniegelenks habe ein primärer Meniskusschaden nicht im geforderten Vollbeweis gesichert werden können. Der durch den Gutachter geäußerte Verdacht auf eine rechtsseitige Innenmeniskusschädigung reiche hierfür nicht aus. Die empfohlene Kernspintomografie des rechten Kniegelenks sei allein nicht zielführend, da nach der unfallmedizinischen Literatur die bildtechnische Darstellung mittels Kernspintomografie nicht ausreiche, um die erforderliche primäre Meniskuserkrankung nachzuweisen. Hierfür wäre ein aussagekräftiger Arthroskopiebefund mit feingeweblicher Untersuchung der entfernten Meniskusanteile erforderlich.

Hiergegen hat der Kläger am 20. August 2020 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Im Klageverfahren wurde am 26. Februar 2021 ein MRT-Befund des rechten Kniegelenks erstellt. Das Sozialgericht hat die Beklagte aufgefordert, den Sachverständigen M um Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme unter Einbeziehung des MRT vom 26. Februar 2021 zu ersuchen. M hat in dieser ergänzenden Stellungnahme vom 24. November 2021 ausgeführt, dass auch die nunmehr vorliegenden MRT-Aufnahmen des rechten Kniegelenkes vom 3. April 2018 und 26. Februar 2021 es nicht ermöglichten, den geforderten Nachweis des Vorliegens einer primären Meniskopathie, insbesondere dessen, dass der Meniskusschaden zeitlich vor dem Knorpelschaden eingetreten sei, zu erbringen. Ob ein primärer Innenmeniskusschaden im Sinne einer BK 2102 vorliege, könne somit weiterhin nicht abschließend geklärt werden. Die Entfernung einer Bakerzyste auf der rechten Seite im Jahr 2001 helfe für das Beweisthema nicht weiter. Daher finde sich nach wie vor kein Vollbeweis für eine primäre Meniskuserkrankung des rechten Kniegelenks. Die Stellungnahme war wiederum sowohl vom Sachverständigen M als auch dem leitenden Oberarzt J unterzeichnet.

Durch Urteil vom 23. März 2022 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der Beschwerden am rechten Kniegelenk als weitere Folge der anerkannten BK 2102. Es fehle an einem vollbeweislich gesicherten Vorliegen einer primären Meniskuserkrankung am rechten Kniegelenk. Bei der primären Meniskopathie werde der Meniskusschaden durch Überlastung und dadurch bewirkte Degeneration des Meniskus hervorgerufen. Bei der sekundären Meniskopathie träten zuerst Knorpelschäden und arthrotische Veränderungen auf, die dann wiederum Meniskusschäden verursachten. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand verursachten die von der BK 2102 vorausgesetzten beruflichen Belastungen Schäden im Bereich des Meniskushinterhorns. Erst mit dem Voranschreiten der Erkrankung breite sich dieser Meniskusschaden bis hin zum Vorderhorn aus. Die Nachweisführung für das Vorliegen einer primären Meniskopathie könne nicht allein durch einen kernspintomografischen Befund erfolgen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK 2102 werde ein chronischer Meniskusschaden aus der Vorgeschichte und klinischem Befund bei meist typischem Beschwerdebild diagnostiziert. Im Merkblatt finde sich gerade nicht der ausdrückliche Hinweis, dass chronische Meniskopathien ausschließlich durch eine Arthroskopie nachgewiesen werden könnten. Im Falle des Klägers dränge sich ein chronischer Meniskusschaden im Sinne einer primären Meniskopathie förmlich auf. Dafür spreche auch die Entfernung einer schmerzhaften Bakerzyste im Jahr 2001. Soweit in der unfallmedizinischen Literatur ausgeführt werde, dass die bildtechnische Darstellung mittels Kernspintomografie zu einem falsch positiven Befund führen könne, könne dies keineswegs dahingehend verstanden werden, dass ein MRT allein keine sichere Aussage treffen könne. Es seien vielmehr die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Klägers werde die Durchführung einer Arthroskopie zum jetzigen Zeitpunkt durch die behandelnde Orthopädin vehement abgelehnt. Soweit sich das Gericht auf das Verwaltungsgutachten von M stütze, werde nicht ausreichend berücksichtigt, dass dieses Gutachten nicht maßgeblich durch M, sondern durch dessen Oberarzt J erstellt worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 23. März 2022 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, als weitere Folge der festgestellten Berufskrankheit nach Nr. 2102 (Meniskopathie) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung die Beschwerden des rechten Kniegelenks festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Bakerzyste könne sehr unterschiedliche Ursachen haben und sei keinesfalls für eine primäre Meniskopathie beweisend. Da im Fall des Klägers weder ein arthroskopischer Befund noch eine feingewebliche Untersuchung für das rechte Kniegelenk vorlägen, könne der Nachweis eines altersvorauseilenden primären Meniskusschadens im Vollbeweis nicht geführt werden.

Der Senat hat nach Durchführung eines Erörterungstermins den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie N mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 13. September 2023 aus, nach der gültigen medizinischen Lehrmeinung sei der Vollbeweis einer primären Meniskopathie durch den positiven klinischen, bildtechnischen, makroskopischen und mikroskopischen Befund zu führen. Beim Kläger lägen hinsichtlich des rechten Kniegelenks ein makroskopisch-visueller und auch ein mikroskopischer Befund nicht vor. Ein derartiger Eingriff sei keinesfalls duldungspflichtig. Zu beachten sei allerdings, dass im Jahre 2020 eine Arbeitsgruppe über den ärztlichen Sachverständigenbeirat für Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingesetzt worden sei. Dort verträten die Autoren, dass Kniespiegelungen risikogeneigte operative Eingriffe seien und aus diagnostischen Gründen allgemein und auch bei einer Gonarthrose im Speziellen nicht mehr abrechnungsfähig seien, die Beschreibung der Meniskusschäden im Kontext einer möglichen Berufserkrankung sei an den MRT-Befund gebunden. Daher begründeten Klinik und pathologischer MRT-Befund den Vollbeweis einer primären Meniskopathie. Dies widerspreche der bisher herrschenden Lehrmeinung, welche insbesondere makroskopische Zeichen verlange. Bezogen auf den Kläger sei festzustellen, dass, wenn man der Auffassung der Arbeitsgruppe aus dem Jahre 2020 folge, eine Meniskusschädigung am Innenmeniskushinterhorn (Stoller III) bis in die Pars intermedia reichend, dann auch weniger ausgeprägt am Außenmeniskusvorderhorn, zweifelsfrei nachgewiesen sei. Danach wäre dann der Vollbeweis des geforderten Meniskusschadens erbracht. Da beim Kläger eine Meniskusschädigung am Innenmeniskushinterhorn dominiere, wäre ein belastungskonformes Schadensbild zumindest kernspintomografisch zu bejahen. Die Auffassung dieser Arbeitsgruppe sei dann aber einer vielfältigen Kritik ausgesetzt gewesen. Nach einer Untersuchung von Spahn hätten sich bei intakten Knorpelflächen auch okkulte degenerative Knorpelschäden nachweisen lassen. Kernspintomografische Veränderungen würden häufig nicht oder nur kaum mit dem klinischen Befund korrelieren. Auffälligkeiten allein in der Kernspintomografie stellten eben keine Krankheit dar. Sie könnten allenfalls eine Schadensanlage belegen. Allein dadurch, dass zwei unsichere Methoden kombiniert würden, steige die diagnostische Aussagekraft nicht zwangsläufig an. Hingegen sei es vorstellbar, bei einem eindeutigen makroskopischen Befund auf eine mikroskopische Untersuchung zu verzichten, damit so viel Meniskusrestgewebe wie möglich belassen werden könne. Anschließend führt der Sachverständige N aus, dass eine Kernspintomografie nicht selten zu falsch positiven Befundergebnissen führen könne. Altersvorauseilende Meniskusschäden ließen sich in der Regel nur arthroskopisch erheben. Die alleinige Verwendung kernspintomografischer Kriterien werde dem Vollbeweis nicht gerecht, da auch klinisch stumme Schadensanlagen miterfasst würden. Individuell sei auszuführen, dass der Kläger nachweislich am 6. Februar 1995 eine Schädigung des Innenbandes am rechten Kniegelenk mit einer fraglichen Meniskusbeteiligung erlitten habe. Bei einer Traumatisierung des Innenbandes sei es nicht ungewöhnlich, dass auch eine unfallbedingte Schädigung des Innenmeniskus daraus resultiere. Ob das damals der Fall gewesen sei, könne in Ermangelung eines damals nicht erfolgten Kernspintomogramms nicht gesagt werden. Ein derartiges Unfallereignis stelle jedoch einen entscheidenden konkurrierenden Faktor gegenüber einer eventuell beruflich bedingten Meniskopathie dar. Abschließend kommt N zu der Schlussfolgerung, dass aufgrund des fehlenden Vollbeweises einer primären Meniskopathie am rechten Kniegelenk nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine BK 2102 an diesem begründet werden könne.

Die Beklagte hat sich der Auffassung des Sachverständigen N angeschlossen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt und gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG Meiningen hat in seinem angefochtenen Urteil vom 22. März 2022 zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass die bei ihm bestehenden Beschwerden am rechten Kniegelenk als Folge der anerkannten BK 2102 anzuerkennen sind.

Die beim Kläger bestehenden Erkrankungen am rechten Kniegelenk können nicht als Berufskrankheit im Sinne der BK 2102 der Anlage 1 zur BKV anerkannt werden. Nach dem vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) veröffentlichten Merkblatt zur BK 2102 (BArbBl. 2/1990, S. 135), dem zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, welches aber als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen ist (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R -, juris, Rn. 16), sowie der aktuellen wissenschaftlichen Lehrmeinung erfasst die BK 2102 die berufsbedingte, chronische Erkrankung der Menisken bzw. primäre Meniskopathie (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 661). Dabei handelt es sich um durch besondere berufliche Umstände verursachte Aufbruch- und Degenerationserscheinungen mit einer Einbuße an Elastizität und Gleitfähigkeit des gesamten Meniskussystems, die zu einer erhöhten Rissbereitschaft führen (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand: 2. Februar 2023, M 2102 Anmerkung 2.1). Da nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen jeder Mensch im Laufe seines Lebens besonders im Hinterhornbereich der Menisken Texturstörungen der Meniskusmatrix aufweist, wird als Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit der Beleg deutlich dem Lebensalter vorauseilender Texturstörungen gefordert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeits- und Berufsunfall, 9. Auflage 2017, S. 663). Demnach ist eine Erkrankung der Menisken im Sinne der BK 2102 nur dann anzunehmen, wenn die bestehende Schädigung der Menisken als dem Lebensalter vorauseilend einzuschätzen ist. Bei einem Befund, der nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufes bei Menschen gleichen Alters oder Geschlechts zu erwarten ist, fehlt es demgegenüber an einem von der Norm abweichenden bzw. regelwidrigen Zustand und damit bereits an einer Krankheit im Sinne der BK 2102. Folglich setzt die Anerkennung einer BK 2102 voraus, dass altersvorauseilende Meniskusschäden vollbeweislich gesichert sind. Darüber hinaus verursachen nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 662) die von der BK 2102 vorausgesetzten beruflichen Belastungen Schäden im Bereich des Meniskushinterhorns. Erst mit dem Voranschreiten der Erkrankung breitet sich der Meniskusschaden in den mittleren Abschnitt bis hin zum Vorderhorn aus. Grund hierfür ist, dass der Innenmeniskus über seine gesamte Konvexität mit der Gelenkkapsel verbunden ist, der Außenmeniskus aber nur im Vorder- und im Hinterhornbereich. Dies hat zur Folge, dass es dem Außenmeniskus - nicht aber dem Innenmeniskus - möglich ist, unphysiologischen Belastungen auszuweichen. Daher ist ein belastungskonformes Schadensbild bevorzugt am Innenmeniskushinterhorn zu erwarten (vgl. zum Ganzen auch Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung, M 2102 Anm. 2.3).

Nach diesen Grundsätzen ist es nicht im Sinne des erforderlichen Vollbeweises nachgewiesen, dass die im rechten Kniegelenk bestehenden Meniskusschäden des Innenmeniskus im Hinterhorn und der Pars intermedia sowie des Außenmeniskus im Vorderhorn als Folge einer BK 2102 anzuerkennen sind. Aus dem Gutachten des Sachverständigen N vom 13. September 2023 ergibt sich zwar, dass kernspintomografisch beim Kläger bezüglich des rechten Kniegelenks eine Meniskusschädigung am Innenmeniskushinterhorn (Stoller III) bis in die Pars intermedia reichend und dann auch weniger ausgeprägt am Innenmeniskusvorderhorn bis in die Pars intermedia reichend nachgewiesen ist. Dieser kernspintomografische Nachweis reicht jedoch nicht aus, um den geforderten Vollbeweis einer primären Meniskopathie am rechten Kniegelenk zu erbringen. Eine geltend gemachte Gesundheitsstörung ist vollbeweislich gesichert, d. h. sie liegt mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt. Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus, wie eine möglicherweise hohe Wahrscheinlichkeit (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2022 - L 1 U 159/20, zitiert nach juris). Nach Auffassung des Senats reichen nur ein klinischer und bildgebender Befund für den Nachweis einer primären Meniskopathie im Sinne der BK 2102 nicht aus.

Der Senat geht dabei von folgendem medizinischen Erkenntnisstand aus:

Nach Meyer-Clement, Kausalitätsbeurteilung Berufskrankheit Nr. 2102, Trauma und Berufskrankheit 2018, S. 102 bis 107) ist für den Nachweis einer primären Meniskopathie zusätzlich ein feingeweblicher Untersuchungsbefund erforderlich, da dieser z. B. eine Aussage darüber erlaube, ob die Veränderungen verschleiß- oder stoffwechselbedingt entstanden sind. Auch die Ergänzung der klinischen Untersuchung durch bildgebende Verfahren insbesondere Kernspintomografie bringe zwar die Strukturen aussagekräftig zur Darstellung. Die Diskrepanz zwischen bildtechnisch zur Vorstellung kommenden Veränderungen und ihrer klinischen Relevanz sei jedoch so groß, dass diese Erkenntnismöglichkeit häufig nicht ausreiche. Daher setze der Vollbeweis in der Regel den positiven klinischen, bildtechnischen, makroskopischen und mikroskopischen Befund voraus. Ausnahmen vom Erfordernis eines mikroskopischen Befundes würden nur dann anerkannt, wenn der makroskopische Befund ausreichend aussagekräftig dokumentiert sei und in Übereinstimmung mit den klinischen und bildtechnischen Informationen stehe. Dies setze voraus, dass makroskopisch und bildtechnisch Texturstörungen des Meniskus bereits erkennbar seien (Ludolph/Meyer-Clement, Begutachtung chirurgisch-orthopädischer Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen, 1. Auflage 2019, Die Berufskrankheit Nr. 2102 Ziffer 5.6 Beweis des versicherten Schadens). Soweit demgegenüber Bolm-Audorff u. a., in: Das Krankheitsbild im Sinne der Berufskrankheit 2102 Meniskopathie, Ergebnisse einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, Der Orthopäde 2020, S. 916 bis 919 den Nachweis einer primären Meniskopathie durch kernspintomografische Befunde und hier insbesondere durch den Nachweis einer mindestens drittgradigen Meniskopathie nach Stoller für ausreichend halten, führt dies zur Überzeugung des Senats nicht dazu, dass auf eine makroskopische Befundauswertung verzichtet werden kann. Bolm-Audorff u. a. begründen ihre Auffassung damit, dass nach der Leitlinie Meniskuserkrankung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (2015) die Meniskopathie klinisch und nach Durchführung einer MRT diagnostiziert werde. Eine makroskopische Sicherung des Befundes im Rahmen einer Kniespiegelung halten sie deshalb für entbehrlich, da es sich hierbei um einen risikogeneigten operativen Eingriff handele, der im Allgemeinen aus diagnostischen Gründen und auch im Speziellen bei der Gonarthrose nicht mehr abrechnungsfähig sei und weil die Resektion von Meniskusanteilen wegen der nachfolgenden Beschleunigung von Gelenkknorpelaufbrauch Vorbehalten ausgesetzt sei. Daher halten sie die Beschreibung der Meniskusschäden im Kontext einer möglichen Berufskrankheit als an die Auswertung einer MRT für gebunden. Nach ihrer Auffassung soll es möglich sein, durch Klinik und pathologischen MRT-Befund den Vollbeweis der primären Meniskopathie zu begründen. Daran haben sie auch nach einer Erwiderung und der dort vorgebrachten Kritik festgehalten (Bolm-Audorff u. a., Zur Diskussion über das Krankheitsbild im Sinne der Berufskrankheit 2102 Meniskopathie, Der Orthopäde S. 925 bis 928). Dort betonen sie erneut, dass die Auffassung, wonach eine primäre Meniskopathie in der Regel einen makroskopischen und mikroskopischen Befund voraussetze, mit der Leitlinie Meniskuserkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie nicht im Einklang stehe. Sie räumen dabei ein, dass ihnen bewusst sei, dass die klinischen Meniskuszeichen unsicher seien. Dieses Problem besteht nach ihrer Meinung jedoch auch, wenn die Meniskopathie im Rahmen einer Arthroskopie diagnostiziert worden sei. Die Kritiker (vgl. Spahn u. a., Kritischer Kommentar zur Definition des Krankheitsbildes im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2102 Meniskopathie, Der Orthopäde 2020, S. 920 bis 924) führen gegen die Auffassung aus, dass die in der MRT nachgewiesenen Veränderungen am Meniskus häufig nicht oder nur kaum mit dem klinischen Befund korrelierten. Insbesondere verweisen sie darauf, dass einer Auffälligkeit im MRT-Befund kein Krankheitswert zukomme. Sie beziehen sich dabei auf eine Untersuchung von Jerosch aus dem Jahre 1996 (Kernspintomografische Meniskusbefunde bei asymptomatischen Probanden, Der Unfallchirurg 1993, S. 457 bis 461), dass bei MRT-Untersuchungen in einer erheblichen Zahl von Fällen Signalauffälligkeiten am Meniskus nachweisbar sind, ohne dass diesen Krankheitswert zukomme oder die Probanden Einschränkungen verspürten. Bei diesen handele es sich nicht um eine Krankheit im medizinischen Sinne mit Behandlungsbedürftigkeit, sondern allenfalls um eine Schadensanlage. Insoweit sei zu beachten, dass die sogenannten Meniskustests nicht zuverlässig seien. Wenn gleichzeitig aber die Diskrepanz zwischen im MRT zur Darstellung kommenden Veränderungen und ihrer klinischen Relevanz so groß sei, sei es nicht hinnehmbar, aus der Kombination eines positiven klinischen Befundes und eines positiven MRT-Befunds auf den Vollbeweis einer Erkrankung zu schließen. Damit würden im Ergebnis zwei in ihrer Aussagekraft unsichere Methoden kombiniert, was aber deren Aussagekraft nicht zwangsläufig steigere. Nur wenn der makroskopische Befund eindeutig sei, könne auf den mikroskopischen Befund, dem aus Gründen der Operationstechnik Grenzen gesetzt seien, verzichtet werden.

Angesichts dessen hält der Senat weiterhin eine arthroskopische Sicherung einer primären Meniskopathie für notwendig. Soweit Bolm-Audorff u. a. auf die Leitlinie Meniskuserkrankung  S2k (033-006) der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie verweisen, ist zu beachten, dass die Leitlinie die Behandlung der Meniskopathie betrifft. Es geht also darum, dem Behandler eine Richtlinie an die Hand zu geben, bei welcher Befundlage welche Eingriffe geboten sind. Wenn ein Behandler jedoch vor der Frage steht, ob eine Arthroskopie durchgeführt werden soll oder nicht, verhält es sich zwangsläufig so, dass ihm eine makroskopische Sicherung der Diagnose Meniskopathie nicht zur Verfügung steht. Die Leitlinie hat keine Begutachtungs- oder Kausalitätsfragen zum Gegenstand. Dem entspricht es, wenn N in seinem Gutachten vom 13. September 2023 ausführt, dass Arthroskopien in der Regel durchgeführt werden, um nach diagnostischer Sicherung eines Meniskusschadens durch klinische Symptome und durch eine zusätzliche kernspintomografische Absicherung der Diagnose entsprechende krankhafte Veränderungen im Gelenk operativ anzugehen. Des Weiteren ist auch aus anderen Berufskrankheiten bekannt, dass allein kernspintomografische Befunde nicht für ihre Anerkennung ausreichen (vgl. Konsensempfehlung zur BK 2108). N verweist in seinem Gutachten darüber hinaus nachvollziehbar darauf, dass der für die Sicherung einer Meniskopathie im Sinne der BK 2102 erforderliche Nachweis einer dem Alter vorauseilenden Texturstörung nur makroskopisch geführt werden kann und auch sonstige anzustellende Kausalitätserwägungen die Auswertung eines makroskopischen Befundes erforderlich machen.  Von daher ist zur Überzeugung des Senats im Fall des Klägers bezüglich des rechten Kniegelenks zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Nachweis einer primären Meniskopathie im Sinne des Vollbeweises nicht geführt. Insoweit ist es auch unerheblich, dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Arthroskopie des rechten Kniegelenkes - unabhängig von einer Duldungspflicht - medizinisch nicht indiziert war. Dies ändert nichts daran, dass der erforderliche Vollbeweis gerade nicht geführt werden kann.

Soweit N in seinem Gutachten vom 13. September 2023 noch darüber hinaus darauf hinweist, dass der Kläger am 6. Februar 1995 eine Schädigung des Innenbandes am rechten Kniegelenk mit einer fraglichen Meniskusbeteiligung erlitten hat und es nach seiner Auffassung nicht ungewöhnlich ist, dass hierbei auch eine unfallbedingte Schädigung des Innenmeniskus resultiert, kann dies nicht als Konkurrenzursache im Rechtssinne angenommen werden. Dies scheitert daran, dass auch N einräumt, dass in Ermangelung eines damals nicht erfolgten Kernspintomogramms verständlicherweise nicht gesagt werden könne, ob auch eine unfallbedingte Schädigung des Innenmeniskus durch das Ereignis vom 6. Februar 1995 bedingt ist. Bei dieser Sachlage kann jedoch die Beklagte der ihr obliegenden Beweislast eines konkurrierenden Faktors nicht gerecht werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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